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22 SCHWERPUNKT_SINN
Unter Corporate Purpose versteht man die Daseinsbe-
rechtigung von Unternehmen jenseits notwendiger
Gewinnerzielung (Hendersen/Van den Steen, 2015,
S. 327), wobei die jeweilige Konkretisierung dieser
Daseinsberechtigung unternehmensspezifisch ausgestaltet wer-
den kann. Bspw. reklamiert der US-Motorradhersteller Harley
Davidson für sich den Purpose „We fulfill dreams of personal
freedom“ und verkörpert somit Freiheit als zentralen Wert sei-
ner Existenzberechtigung. Corporate Purpose verspricht die
Zielharmonie zwischen den Gewinninteressen der Unterneh-
men auf der einen Seite und dem Streben nach sinnerfüllter
Arbeit der Beschäftigten auf der anderen Seite und entwickelt
sich aktuell zum Trendthema in der Wirtschaft.
Überraschenderweise gibt es kaum wissenschaftlich abgesi-
cherte Befunde zum Zusammenhang zwischen Corporate Purpose
und den betriebswirtschaftlichen Erfolgsgrößen der Unterneh-
men. Wir untersuchen den Einfluss der Kommunikation des Cor-
porate Purpose auf die wahrgenommene Arbeitgeber attraktivität.
Dabei variieren wir den konkreten Inhalt des Pur pose-Statements
auf der Einstiegsseite der Karrierehomepage. Im Folgenden stel-
len wir das empirische Design der Vignettenstudie und die Ergeb-
nisse vor. Einleitend gehen wir auf den Zusammenhang zwischen
Corporate Purpose und sinnvoller Arbeit ein.
Corporate Purpose, sinnvolle Arbeit und New Work
In der Arbeitspsychologie wird seit den 1980er Jahren im Job-
Characteristics-Modell (Hackman/Oldham, 1976) sinnvolle Ar-
beit als das jeweils subjektive Empfinden der Sinnhaftigkeit
der Arbeit erfasst. Die theoretische Verankerung lässt sich auf
Viktor Frankl, den Begründer der „Dritten Schule der Psychothe-
rapie“, zurückführen (Frankl, 1972). Demnach ist der subjektive
Wille zum Sinn das elementare Bedürfnis der Menschen. Frankl
lässt dabei die Frage offen, wodurch sich dieses Bedürfnis be-
friedigen lässt, und überlässt diese Festlegung der individuellen
Freiheit und Verantwortung des Einzelnen. In der modernen
Arbeitspsychologie werden darauf aufbauend vier Ausrich-
tungen unterschieden: Sich selbst erfahren, Gemeinschaft erle-
ben, Talente entwickeln, anderen helfen (Lips-Wiersma/Morris,
2009, S. 496). In unserer Untersuchung berücksichtigen wir
als Pur pose-Dimensionen deshalb u. a. sowohl den Beitrag des
Die Wirkung der Kommunikation eines Corpo-
rate Purpose auf die Arbeitgeberattraktivität
Von Dr. Julian Decius (Universität Bremen), Prof. Dr. Michael Knappstein (ISM Dortmund) und
Prof. Dr. Heiko Weckmüller (Hochschule Koblenz)
Unternehmens zur gesellschaftlichen Entwicklung als auch die
Schaffung von Rahmenbedingungen im Unternehmen, damit
individuelle Talente entwickelt werden können.
Corporate Purpose und subjektiv sinnvolle Arbeit stellen beide
die Arbeits- und Beschäftigtenperspektive in den Vordergrund.
Beiden Konzepten geht es um die Förderung der Unterneh-
mensziele. Während Corporate Purpose als Begriff auch in der
Unternehmenspraxis verwendet wird, werden Ansätze subjek-
tiv sinnvoller Arbeit in der Praxis unter dem diffuseren Begriff
„New Work“ diskutiert. New Work startete in den 1980er-Jahren
allerdings zunächst als humanistisches Gegenkonzept zum
Kapitalismus (Bergmann, 2004) und erlebte einen bemerkens-
werten Aufschwung in den letzten Jahren. Aktuell ordnen sich
eine Vielzahl heterogener Ansätze unter dem – offensichtlich
attraktiven – New-Work-Begriff ein, wobei das originäre Konzept
zum Teil nur noch in Spuren erkennbar ist. Die Diskursanalyse
weist den „businessorientierten Managementdiskurs“ (Taimer/
Weckmüller, 2019, S. 18) als eine der dominanten Strömungen
innerhalb von New Work nach. Innerhalb dieses Diskurses wer-
den unterschiedliche personalwirtschaftliche Praktiken wie Ho-
meoffice oder Empowerment als betriebswirtschaftlich sinnvoll
propagiert. Im Gegensatz zu sinnvoller Arbeit bezieht sich Cor-
porate Purpose auf die Ebene der Organisation und nicht auf die
Ebene individueller Beschäftigter.
Vor dem Hintergrund der Gemeinsamkeiten und Unter-
schiede der beiden Konzepte kann Corporate Purpose als ein
mögliches Sinnangebot an die Beschäftigten interpretiert wer-
den, das neben anderen Angeboten (aus der Organisation oder
von außerhalb) steht und individuelles Sinnempfinden auslö-
sen kann, aber nicht muss.
Inhaltliche Ausrichtung des Corporate Purpose
Ein Blick zurück auf das Beispiel Harley Davidson („We fulfill
dreams of personal freedom“) lässt Bezüge des Purpose hin zu
einer persönlichen Entwicklung der Beschäftigten sowie einer
Kundenorientierung erkennen. Um diese inhaltlichen Ausrich-
tungen von Corporate Purpose trennschärfer voneinander ab-
zugrenzen, untersuchen wir – analog zu den unterschiedlichen
Quellen eines subjektiven Sinnempfindens der Arbeit – die
folgenden fünf Dimensionen:
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(1) Eine erste Dimension, wir nennen sie „gesellschaftlicher
Nutzen“, besteht im Wertbeitrag des Unternehmens oder
dessen Produkten für die Gesellschaft. Unternehmen liefern
in diesem Sinne einen Beitrag zum „common good“ (Argan-
dona, 1998). Gerade während der Covid-9-Pandemie wurde
deutlich, dass Unternehmen der Daseinsfürsorge grundsätz-
liche menschliche Bedürfnisse erfüllen und damit einen un-
mittelbaren Beitrag zur Existenz der Gesellschaft liefern.
(2) Umwelt: Im Sinne des klassischen CSR ergibt sich Umwelt-
schutz bzw. Nachhaltigkeit als weitere Dimension, auch vor
dem Hintergrund der gesellschaftlichen Herausforderung des
Klimawandels.
(3) Persönliche Entwicklung: Unternehmen können zudem die
Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass sich Menschen
individuell entwickeln. Die Entwicklung der eigenen Talente
ist bereits in der Ethik Kants als individuelle Pflicht veran-
kert (Kant, 1977, S. 52). Die Zentralität der Arbeit in west-
lichen Gesellschaften und die zunehmende Komplexität des
Wirtschaftslebens schaffen ein entsprechendes Umfeld zur
Talententfaltung, das in anderen Lebensbereichen nicht für
alle in gleicher Form gegeben ist.
(4) Diversität: Die Gleichstellung der Geschlechter ist eines der
UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (United Nations, 2021,
S. 36-37). Frauen sind in Führungspositionen deutlich un-
terrepräsentiert, und Selbstverpflichtungen führten in der
Vergangenheit nicht zum gewünschten Erfolg, weshalb es
in den letzten Jahren zu mehreren Gesetzesinitiativen kam.
Bewegungen wie #MeToo und #BlackLivesMatter wurden
vermehrt von Unternehmen aufgegriffen und zeigen den
breiteren Rahmen der Diversität über Geschlechtergerech-
tigkeit hinaus. Die Förderung von Gleichberechtigung und
Diversität kann somit als eigenständige Purpose-Dimension
interpretiert werden (Martinez, 2021).
(5) Kundenorientierung: Kundenorientierung wirkt auf den
ersten Blick wie eine Negation eines Corporate Purpose, da
primär über die Zahlungsbereitschaft der Kundinnen und
Kunden der Unternehmensgewinn gefördert wird. Kunden-
zentrierung führt in diesem Verständnis zu Shareholder Va-
lue. Kundinnen und Kunden weisen vielfältige, komplexe,
zum Teil unbekannte und immer auch sozialer Bedürfnisse
auf, die sich in Kaufentscheidungen niederschlagen. Nicht
zuletzt Informationsdefizite auf Seiten der Unternehmen
führten bei Milton Friedman zur Ablehnung alternativer
Unternehmensziele neben dem Gewinnziel: Durch die
Orientierung an der Gewinnmaximierung werden die –
gänzlich oder zumindest bezüglich ihrer Gewichtung un-
bekannten – Ziele automatisch erfüllt. Bedingung dabei ist,
dass Konsumentinnen und Konsumenten gesellschaftliche
Ziele im Sinne einer „mindful consumption“ (Sheth et al.,
2011, S. 27) in ihren Kaufentscheidungen berücksichtigen.
Methodik: Vignettenstudie unter Young Professionals
Die Teilnehmenden unserer Studie wurden über eine Koopera-
tion mit dem Kölner Karrierenetzwerk Squeaker, das die Befra-
gung in verschiedene Mailings an seine Mitglieder eingebunden
hatte, rekrutiert. Dementsprechend lag das Durchschnittsalter
der Teilnehmenden bei eher jungen 30,6 Jahren. Dieser Wert
unterstreicht die Eignung der Stichprobe für die Beurteilung
der Arbeitgeberattraktivität, wo es vielen Unternehmen übli-
cherweise um die Einschätzungen eher jüngerer Bewerberinnen
und Bewerber (sog. Young Professionals) geht. 49 % der Teilneh-
menden waren männlich. Die Online-Befragung lief zwischen
Oktober 2020 und Februar 2021. Insgesamt nahmen 632 Per-
sonen an der Befragung teil, wobei wir für 476 Personen Ergeb-
nisse bezüglich der relevanten Variablen erhielten.
Bei der Befragungsart handelt es sich um eine experimen-
telle Vignettenstudie im Querschnitt: Den Teilnehmenden
wurden drei Screenshots von Internetseiten des fiktiven
Handelsunternehmens „Dorela“ gezeigt. Die allgemeine Un-
ternehmensdarstellung wurde bereits in anderen Untersu-
chungen eingesetzt und hat sich als valide und praktikabel
erwiesen (Knappstein, 2019). Wir entschieden uns bewusst
für die Branche Einzelhandel, da diese Branche und deren
Beschäftigte während der Covid19-Pandemie eine große Ver-
änderung der Wertschätzung in der Gesellschaft erfahren
haben. Während die ersten beiden Screenshots allgemeiner
Natur und für alle Teilnehmenden gleich waren, um in den
Kontext eines Handelsunternehmens einzuleiten, unterschied
der dritte Screenshot einer manipulierten Karrierewebsite
zwischen den fünf verschiedenen inhaltlichen Dimensionen
ABSTRACT
Forschungsfrage: Welchen Inhalt sollten Purpose-Statements haben, um die Arbeitgeber-
attraktivität positiv zu beeinflussen?
Methodik: Vignettenstudie mit 476 Young Professionals. Variiert werden die Inhalte der
Purpose-Statements unter Nutzung der Dimensionen gesellschaftlicher Nutzen, Umwelt,
persönliche Entwicklung, Diversität und Kundenorientierung auf der Homepage eines fiktiven
Handelsunternehmens.
Praktische Implikationen: Die Wirkung auf die Arbeitgeberattraktivität hängt vom Inhalt
des Corporate Purpose ab. Die Kommunikation eines gesellschaftlichen Nutzens wirkt bspw.
positiver auf die Arbeitgeberattraktivität als die Kommunikation persönlicher Entwicklungs-
möglichkeiten.
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hende statistische Analyse mit Hilfe eines Strukturgleichungs-
modells (hier nicht dargestellt) zeigt, dass die Dimensionen
„persönliche Entwicklung“ und „Kundenorientierung“ im
Vergleich zur Standardkommunikation einen statistisch si-
gnifikanten negativen Einfluss haben, während der Einfluss
der drei weiteren Dimensionen „gesellschaftlicher Nutzen“,
„Umweltorientierung“ und „Diversität“ nicht signifikant von
der Standardkommunikation abweicht.
Daraus lässt sich unmittelbar schließen, dass der konkrete
Inhalt eines Purpose-Statements auf der Karrierehomepage
Auswirkungen auf die wahrgenommene Attraktivität des Ar-
beitgebers hat. Schwieriger ist die Interpretation der Ergebnisse
einer Purpose-Kommunikation im Vergleich zur Standard-
kommunikation. Hier ist einerseits festzuhalten, dass Purpose
nicht zu einer signifikanten Steigerung der wahrgenommenen
Arbeitgeberattraktivität führt. Das mag zunächst ernüchternd
erscheinen. Andererseits sinkt die Arbeitgeberattraktivität
auch nicht, wenn statt Einkommen, Arbeitsplatzsicherheit und
Work-Life Balance z. B. über den gesellschaftlichen Nutzen der
Tätigkeit gesprochen wird. Allerdings können wir mit unserer
Untersuchung lediglich die erste Stufe der Präferenzbildung
im Bewerbungsprozess abbilden; die Frage der Informations-
bewertung in den weiteren Stufen bis hin zum Abschluss eines
Arbeitsvertrages bleibt offen.
von Corporate Purpose und einer Standardpräsentation von
Unternehmen als Arbeitgeber. In Anlehnung an Collins/Por-
ras (1991, S. 38) nutzten wir ein kurzes Purpose-Statement
als Operationalisierung des Corporate Purpose. Jede Website
beinhaltete jeweils einen anderen Kurztext. Jeder teilneh-
menden Person wurde per Zufallsgenerator eine dieser sechs
Karrierewebsites vorgelegt.
Bei der Dimension „gesellschaftlicher Nutzen“ ging es um
den Purpose als gesellschaftlichen Nutzen der Produkte und
Dienstleistungen. Beispielhaft auch für die weiteren Vignetten
sei der komplette Websitetext hier aufgeführt:
Ob im Verkauf, in der Verwaltung oder in der Logistik, un-
sere Arbeit soll einen echten Nutzen für die Gesellschaft und
die einzelnen Menschen haben. Wir liefern die Produkte, die
die Menschen wirklich brauchen, sind auch in Krisenzeiten für
unsere Kunden da und unterstützen auch sonst die Teile der
Gesellschaft, die eine Unterstützung benötigen, z. B. über unser
hausinternes Programm zur Förderung ehrenamtlichen Mitar-
beiterengagements oder Spenden an die Tafeln. Wir sind davon
überzeugt, dass es für Unternehmen heute nicht mehr ausreicht,
nur ökonomisch erfolgreich zu sein: Unternehmen benötigen
einen Daseinszweck oder einen „Corporate Purpose“, d.h. einen
klaren gesellschaftlichen Nutzen der Produkte und Dienstlei-
stungen. Bewerben Sie sich, wenn Sie diese Passion teilen!
In der sechsten Vignette wurde keinerlei Bezug zum Purpo-
se hergestellt. Stattdessen konzentrierten wir uns hier auf die
Darstellung einer angenehmen Arbeitsatmosphäre, einer um-
fassenden Einarbeitung, eines unbefristeten Arbeitsvertrags
sowie eines attraktiven Gehalts als übliche Einflussfaktoren
auf die Arbeitgeberattraktivität, die bei vielen Unternehmen
als Standard verwendet werden (Brast/Hendriks, 2013, S 38).
Wir weisen darauf hin, dass es sich hier nicht um ein echtes
Kontrollgruppendesign handelt, da Corporate Purpose und tra-
ditionelle Attraktivitätsfaktoren keine alternativen Kategorien
sind, sondern sich durchaus ergänzen können. Allerdings ist der
Umfang der Karriereseiten begrenzt, sodass sich die Frage stellt,
ob Unternehmen zunächst über Purpose oder über Erfüllung tra-
ditioneller Attraktivitätsfaktoren berichten sollten. Wir gehen in
der Diskussion der Ergebnisse auf diesen Aspekt nochmals ein.
Arbeitgeberattraktivität wurde mit vier Items von Highhouse
et al. (2003) gemessen, die von Becker et al. (2008) ins Deut-
sche übersetzt wurden. Auf einer 5-stufigen Likert-Skala von
„1 = Starke Ablehnung“ bis „5 = Starke Zustimmung“ sollte
der Grad der Zustimmung angegeben werden. Ein Beispielitem
lautet: „Dieses Unternehmen wäre für mich ein guter Ort, um
dort zu arbeiten.“ Cronbachs Alpha lag bei 0,86.
Ergebnisse und Diskussion
In Abbildung 1 sind die Ergebnisse der Untersuchung zusam-
mengefasst. Es zeigt sich ein differenziertes Ergebnis, das von
den Inhalten der Purpose-Statements abhängt. Eine weiterge-
Abb. 1: Einfluss der verschiedenen Purpose-Dimen-
sionen auf die Arbeitgeberattraktivität
Quelle: Eigene Darstellung
(n=476). Dargestellt ist die Arbeitgeberattraktivität (Skala 1-5) korrigiert
um statistische Abweichungen aus der Vorhermessung.
* = statistisch signifikanter negativer Einfluss gegenüber der
Standardkommunikation.
3,19
3,10
2,98*
3,26
2,92*
3,32
Gesellschaftlicher
Nutzen
Umweltorientierung
Persönliche
Entwicklung
Diversität
Kundenorientierung
Standard-
kommunikation
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hängt wesentlich von den Inhalten des Purpose-Statements
ab. Arbeitgeber können durchaus Inhalte wie den gesellschaft-
lichen Nutzen, Diversität oder Umweltschutz in den Vorder-
grund ihrer Kommunikation stellen, sollten aber intensiv über
die unternehmensspezifische inhaltliche Ausgestaltung des
Purpose-Statements nachdenken.
Wie lässt sich demgegenüber der signifikant negative Ein-
fluss der inhaltlichen Dimensionen Kundenorientierung und
persönliche Entwicklung erklären? Bei einem Purpose, der
in der Wahrnehmung der Teilnehmenden die Kunden in den
Mittelpunkt des Handelns stellt, handelt es sich aus Sicht der
Befragten wohl nicht um einen Corporate Purpose im engeren
Sinne, sondern um ein altbekanntes Prinzip der Gewinnma-
ximierung (Lytle/Timmerman, 2006). In diesem Zusammen-
hang kann Purpose als Mittel verstanden werden, das sich als
Zweck tarnt.
Für die negativen Effekte eines Purpose mit Ausrichtung
auf die persönliche Entwicklung der Mitarbeitenden lassen
sich zwei Erklärungen anführen: Zunächst kann es sein, dass
sich die Bewerberinnen und Bewerber vom Unternehmen in
ihrer Autonomie und Selbstwirksamkeitserwartung angegrif-
fen fühlen, weil sie sich unabhängig von ihrem (zukünftigen)
Arbeitgeber weiterentwickeln möchten. Schließlich findet die
persönliche Weiterentwicklung in Zeiten lebenslangen Ler-
nens und häufigerer Arbeitgeberwechsel zunehmend unab-
hängig von einzelnen Arbeitgebern statt (Decius et al., 2022
zum Konzept New Learning). Ein zu starker, paternalistischer
Drang des Arbeitgebers, die persönliche Entwicklung beein-
flussen zu wollen, könnte von Mitarbeitenden als anmaßend
empfunden werden. Zudem kann insbesondere diese Purpose-
Dimension auch als „Purpose Washing“ interpretiert werden
(Delmas/Burbano, 2011; Findlay/Moran, 2019). Für die persön-
liche Entwicklung kann das Unternehmen immer nur die Rah-
menbedingungen schaffen, die tatsächliche Entwicklung hängt
entscheidend vom Engagement der einzelnen Beschäftigten in
informellen Lernprozessen und Zufallseinflüssen ab (Decius et
al., 2021). Ein auf die persönliche Entwicklung ausgerichteter
Corporate Purpose lässt sich für Außenstehende schwieriger
überprüfen als stärker kennzahlenunterlegte Schwerpunkte
im Bereich Diversität (z. B. über den Anteil von Frauen in
Führungspositionen) oder den gesellschaftlichen Nutzen (z. B.
über den Beitrag der Produkte für eine verbesserte Hygiene in
Zeiten der Pandemie).
Abschließend kann festgehalten werden, dass von Corporate
Purpose somit kein wesentlicher neuartiger Effekt ausgeht.
Ein Purpose-Statement sollte sorgsam entwickelt und etabliert
werden, um negative Einflüsse auf die Arbeitgeberattraktivi-
tät zu vermeiden, die z. B. über eine zu starke Betonung von
Kundenorientierung und persönlicher Entwicklung entstehen
können. Werden diese Hinweise befolgt, kann die Kommunika-
tion eines Corporate Purpose eine zusätzliche Komponente im
Kampf um knappe Talente darstellen.
Zusammenfassung
Im Rahmen einer experimentellen Vignettenstudie unter-
suchten wir den Einfluss unterschiedlicher Inhalte eines Pur-
pose-Statements auf die Arbeitgeberattraktivität. Der Einfluss
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PROF. DR. HEIKO WECKMÜLLER
Professur Human Resources
Hochschule Koblenz
Rheinahrcampus Remagen
E-Mail: weckmueller@rheinahrcampus.de
www.hs-koblenz.de
PROF. DR. MICHAEL KNAPPSTEIN
ISM International School of Management
E-Mail: michael.knappstein@ism.de
https://institut.kienbaum.com
SUMMARY
Research question: Does the specific content of a corporate
purpose statement influence employer attractiveness?
Methodology: Vignette study (N = 476 young professionals)
using a career page of a retail organization.
Practical implications: The impact on employer attractiveness
depends on the content of the purpose statement. E.g., contri-
buting to society has a more positive impact in comparison to
personal growth.
DR. JULIAN DECIUS
Universität Bremen
E-Mail: julian.decius@uni-bremen.de
https://www.uni-bremen.de/organisati-
onspsychologie/personen/dr-julian-decius
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(zuletzt abgerufen 28.12.2021)