Content uploaded by Albi Salm
Author content
All content in this area was uploaded by Albi Salm on Dec 16, 2022
Content may be subject to copyright.
3
Gradientenfaktoren
auf dem Vormarsch?
Zusammenfassung:
Für die ÖGTH Jahrestagung am 18.12.2022 in Wien, umreissen wir kurz die
folgenden Themen:
Idee & Funktion von Gradientenfaktoren (GF)
Aktuelle Implementierungen
Auswirkungen auf die Tauchgangs-Planung
ganz kurzer Ausflug in die Geschichte
und bieten Literatur zum weiterlesen / experimentieren an.
Einführung: Folien # 4 9
Methoden: Folien # 10 15
Daten: Folien # 16 19
Diskussion & Schlußbemerkungen: Folien # 20 22
Referenzen: Folien # 23 & 24
Anhang: Folien # 25 27
4
Einführung (1):
Deterministische Dekompressions-Modelle
(im Gegensatz zu Modellen, die auf probabilistischen Methoden beruhen)
berechnen aus den Parametern:
Umgebungsdruck (Tauchtiefe)
Tauchzeit
Inertgasanteil bzw. Sauerstoffanteil des Atemgases
zunächst die Inertgassättigung (Partialdruck eines Inertgases) in einem
sogenannten
„Kompartiment“.
Kompartimente sind mathematische Modelle für Körpergewebe, die
Geschwindigkeit der Inertgasaufnahme (oder auch –abgabe) wird durch
den Exponent einer Exponentialfunktion, die „Halbwertszeit“ bestimmt.
Diese Halbwertszeit ist im Wesentlichen der Kehrwert der Durchblutung.
Zur Ermittlung der Tiefe und Dauer der allfälligen Dekompressions-Stopps
muß das Dekompressions-Modell eine Annahme über die erlaubte oder
tolerierte Inertgasübersättigung machen. Ziel ist es, die Dekompressions-
krankheit (DCS, decompression sickness) zu vermeiden.
5
Einführung (2):
Diese Annahmen waren bei:
Haldane et al. [1] ca. „2 : 1“, unterschiedslos für alle 5 Kompartimente mit
den Halbwertszeiten 5, 10, 20, 40 und 75 Minuten
Workman et al. [2] als „M-Werte“ (M wie Maximum) bezeichnet und von
der Halbwertszeit abhängig. Z.B. von ca. 3 : 1 für das schnellste, das 5
min Kompartiment bis zu ca. 1,5 : 1 für das langsamste, das 240 min
Kompartiment aus der Schar der benutzten 9 Kompartimente
den Perfusionsmodellen mit 12, 15, 16 oder nochmehr Kompartimenten
wie bei z.B. Schreiner & Kelley [3] oder auch bei Bühlmann, Hahn et al. [4]
ganz ähnlich wie oben. Die M-Werte sind nun die „tolerierten / erlaubten
Übersättigungen“
Die graphische Darstellung dieser Annahmen als einfache, lineare
Funktion des Umgebungsdruckes (der Tauchtiefe), finden wir in Abb. 1 als
rote Linie (M-Wert Linie)
In Abb. 2. sehen wir die Idee dahinter skizziert, in Abb. 3 die grüne Linie
mit den mittels den GF reduzierten Inertgasübersättigungen
Abb. 2: die Idee dahinter …
Abb. 3: Gradientenfaktoren
GF High & GF Low
9
Einführung (3):
Üblicherweise werden die Gradientenfaktoren GF als Paar
GF High / GF Low (GF Hi / GF Lo) implementiert, d.h. es gibt
2 (zwei) GF für alle Kompartimente unterschiedslos,
mit: GF Low < GF High < 1,0.
Wobei: GF = 1,0 = 100% = originale Bühlmann-Hahn bzw.
Schreiner / Workman Koeffizienten.
In den meisten Tauchcomputern so implementiert:
Eingabe als Prozent-Zahl mit:
GF Low < GF High < 100 %
Beispiele mit Shearwater & Scubapro Computern auf den nächsten 2
Folien
sowie Beispiele für die Eingabemasken bei Desktop Deco-Software auf
den weiteren Folien
10
Methoden (1):
Beispiele für Einstellmöglichkeiten / Tauchcomputer:
Shearwater PERDIX:
11
Methoden (2):
Beispiele für Einstellmöglichkeiten / Tauchcomputer:
Scubapro Galileo 2 TEK / „G2 TEK“:
12
Methoden (3):
Beispiele für Einstellmöglichkeiten / Desktop Deco Software
Subsurface:
(URL zum kostenlosen download im Anhang)
13
Methoden (4):
Beispiele für Einstellmöglichkeiten / Desktop Deco Software
OSTC Planer
(URL zum kostenlosen download im Anhang)
Interpolation der GF im Tauchcomputer oder in der
Desktop Deco-Software:
vom GF Low nach GF High
Diese Interpolation hat zunächst keinen physiologischen Hintergrund:
sie dient nur zur Vermeidung von exzessiv langen Stopps während der
letzten Phase des Aufstiegs.
(N.B.: In der Legende oben, zur Formel 22-1 ist der „Standard“ in „“,
eben weil es keinen Standard hierzu gibt …)
15
Methoden (5):
Wir simulieren eines unserer üblichen Test-Profile;
ein einfaches Box-/Kastenprofil mit:
42 m Grundtiefe, 27 min Grundzeit, normale Druckluft als Atemgas,
zunächst mit dem ZH-L16 C System zum Vergleich mit den
Tauchcomputern im Planungs-Modus, und dann mit
dem ZH-L16 B zum Vergleich der originalen ZH-86 Tabelle von
A. A. Bühlmann
auf den nächsten 4 Folien …
Bemerkungen:
TAT = total ascent time, bzw. TTS = time-to-surface, i.e.:
Summe aller Stopp-Zeiten + Aufstiegszeit
Aufstiegszeit = Grundtiefe / Aufstiegsgeschwindigkeit
19
Daten (4) : 42 m, 27 min, Luft
2 Tauchpläne;
Oben: GF = 1,0 mit der TTS = 34
Unten: GF High = 1,15; d.h. 115 % GF Low = 0,7 (= 70 %):
typisch für Blasenmodelle wie VPM & RGBM (*); sehr kurze, tiefere Stopps
wie Tabelle ZH-86 (15 & 12 m),
Stopps im flachen Bereich gekürzt gegenüber Tabelle ZH-86;
TTS gegenüber Tabelle ZH-86 i.d.R. annähernd identisch bzw. verkürzt,
wenn der GF High noch größer gewählt wird!
(*) VPM: Varying Permeability Model, RGBM: Reduced Gradient Bubble Model
20
Diskussion / Schlußbemerkung (1):
Benötigen wir
überhaupt diese GF?
Eine DAN Studie
aus dem DSL
(Diving
Safety Laboratory, von
03/2015) Aus
10.738 auswertbaren
Tauchprofilen
im DAN DSL Portal mit
165 DCS-Fällen
(unspezifiziert,
Rate von 1,54 %). Die Verteilung der DCS-Fälle zwischen ZH-L Computern
und RGBM war wohl ca. 50:50. Interessant war weiterhin, daß kaum jemals
kritische Kompartimentsübersättigungen auftraten; die meisten simulierten
Sättigungen waren < 80 % der erlaubten M-Werte (Quelle: [221] Balestra,
Constantino; Germonpre, Peter (ed.) The Science of Diving: Things your
instructor never told you, Kapitel 1 & S. 27 ff. S. 29).
21
Diskussion / Schlußbemerkung (2):
Benötigen wir überhaupt diese GF?
Allerdings weist die Studie sowohl systematische als auch Fehler im
Statistik-Design auf: eine kritische Würdigung dieser Fehler ist in [5] zu
finden.
Aus der Analyse von 4 * 480 Rechteck-Profilen mit Trimix / Heliox aus
dem Tiefen-Bereich 30 80 m und dem Zeitbereich 20 – 60 min Grundzeit,
wurde ersichtlich, daß es falsche oder zumindest schlampige ZH-L 16
Implementierung für Mischgase geben kann.
Deren Fehler oder Schlampereien können mit Gradientenfaktoren durchaus
verschleiert werden [6].
22
Diskussion / Schlußbemerkung (3):
Kurzer Ausflug in die Geschichte:
Haldane: Stoppzeiten wurden um bis zu 30 % erhöht ([1], S. 368).
Sowie: leichte Überschreitung seines "2:1" Grenzwertes (ebd., S. 367:
"slightly exceeded ...") [Klartext: er hat ca. 2,2 :1 2,3:1 verwendet ]
Max Hahn 1985: die Koeffizienten des ZH-L 16 Systems für den
Tauchcomputer „Deco-Brain“; die Software-Release P2-3 als Nachfolge-
Release der P2-2 wurde konservativer gestaltet wie die veröffentlichten
theoretischen Werte (Quelle: private Kommunikation)
Bühlmann: benutzte Gradientenfaktoren, aber nur mit einem echten
Prozentwert vom „theoretischen“ Grenzwert; er spricht von 3 - 10 %; sowie
von einer „Reduktion des a-Koeffizienten“ (Geometrisch entspricht dies
einer Rechtsverschiebung der roten Geraden in den Abb. 1 3)
Dies bedeutet aber auch, daß Gradientenfaktoren tatsächlich schon seit
Haldane benutzt wurden, nur war der terminus technicus jeweils ein
anderer …
23
Gradientenfaktoren
auf dem Vormarsch?
Referenzen (1):
[1] Boycott, A.E., Damant, G.C.C., & Haldane, J.S.: The Prevention
of Compressed Air Illness, Journal of Hygiene, Volume 8, (1908), pp. 342-
443. (Die erste und grundlegende Arbeit über Stufen-Dekompression – an
Ziegen!)
[2] Workman, Robert D. "Calculation of Decompression Tables for
Nitrogen-Oxygen and Helium-Oxygen Dives," Research Report 6-65, U.S.
Navy Experimental Diving Unit, Washington, D.C. (26 May 1965)
(Vollständige Entwicklung des M-Wert Algorithmus für N2 und He)
[3] Schreiner, H.R.; Kelley, P.L. "A Pragmatic View of Decompression,"
Underwater Physiology Proceedings of the Fourth Symposium on
Underwater Physiology, edited by C.J. Lambertsen. Academic Press, New
York, (1971) pp. 205-219
(Herleitung des Perfusions-Modells, die Schreiner Gleichungen, Ableitung der
Halbwertszeiten-Matrix für verschiedene Inertgase, Deko mit Mischgasen)
24
Gradientenfaktoren
auf dem Vormarsch?
Referenzen (2):
[4] Bühlmann, A. A. (1983) Dekompression - Dekompressionskrankheit,
Springer, ISBN 3-540-12514-0 (Dokumentation des ZH-L12 Systems)
[5] Salm, A. (09 / 2017) Post-Publication Comment
[6] Salm, A.; Rozenblat, Miriam (03/2021) Decompression-Calculations for
Trimix Dives with PC- Software; Gradient Factors: do they repair
defective algorithms or do they repair defective implementations?
25
Anhang: Desktop Dekompressions-Software
(Deco Software für PC)
Kostenlos sind, nur 3 Beispiele hier, erhältlich:
Subsurface (auch als
elektronisches Logbuch verwendbar)
download link zum Produkt:
https://subsurface-divelog.org/de/
OSTC Planner
download link zum Produkt:
https://ostc-planner.net/
27
Anhang: … zum weiterlesen
Eine Übersicht / Zusammenstellung der Dokumentenlinks
der 3-teiligen Serie über (Rechen-)Fehlerchen in Tauchmedizinbüchern:
„The diving medicine detectives: when diving medicine books are
completely wrong.“
DOI:
https://dx.doi.org/10.13140/RG.2.2.12077.97760
Und was Tauchcomputer so alles falsch machen können:
eine Übersicht / Zusammenstellung der Dokumentenlinks der 9-teiligen Serie
„On the reliability of dive computer generated run-times“
DOI:
https://dx.doi.org/10.13140/RG.2.2.34921.98406