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Die Praxis sozialwissenschaftlicher Methodenbildung
- sozialwissenschaftliche Methoden in der Berufspraxis
Tagung an der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz, Solothurn, 27.
& 28.10.2023
Empirische Forschung, und damit die methodisch kontrollierte Produktion und Überprüfung von
Wissen, ist eine der wichtigsten Operationen des Wissenschaftssystems (Luhmann 1992). Folg-
lich sind die Entwicklung neuer Methoden und die methodisch-methodologische Bildung – kurz:
die Methodenbildung – notwendige Bestandteile akademischer Praxis. Auch wenn das Wissen-
schaftssystem eine eigenlogische Sinnprovinz darstellt (Schütz 1971), ist es eingebettet in kom-
plexe Gesellschaftsstrukturen, in denen sich berufliche Anforderungen stetig wandeln und Kom-
petenzprofile erweitert werden (Bolder et al. 2012; Minssen 2018). Komplexe gesellschaftliche
Strukturen und Entwicklungen fordern komplexe Bildungswege und -inhalte. Es überrascht also
wenig, dass etliche Berufsgruppen professionalisiert werden – d.h., dass sie sich u.a. durch ein
wissenschaftliches Studium auszeichnen, um Lösungen für komplexe und nicht durch Routinen
bearbeitbare Probleme in der unmittelbaren Interaktion mit Menschen bereitzustellen (Helsper
2021; Parsons 1937).
Sozialwissenschaftliche Methodenbildung trägt in der (z.B. pädagogischen) Berufspraxis zur Bil-
dung unterschiedlicher Kompetenzen bei: Sie hilft, Statistiken richtig lesen und interpretieren zu
können, kleinere Evaluationen zu realisieren oder sich besser auf Elterngespräche vorzubereiten,
indem auf Wissen um verschiedene Interviewverfahren und damit verbundene Gesprächsfüh-
rungstechniken zurückgegriffen werden kann. Da Methoden vor allem dem Ziel dienen, kompe-
tent forschen zu können, wird mit ihr auch eine forschende Grundhaltung eingeübt, die ver-
meintliche Selbstverständlichkeiten hinterfragt, ein Interesse an komplexen Problemen hat und
nach innovativen Lösungen dafür sucht. Damit trägt Methodenbildung grundsätzlich dazu bei,
für situative Problemwahrnehmung sensibel zu werden und nach situationsangemessenen Lö-
sungen zu suchen. Folglich geht sie bestenfalls über die rein rezeptive Anwendung methoden-
bezogener Kenntnisse hinaus und dient vielmehr der Verinnerlichung berufsrelevanter Kompe-
tenzen wie Selbstreflexion, analytische Distanz oder Problemwahrnehmung (Kunz et al. 2021).
Gleichzeitig lässt sich nicht leugnen, dass bei Studierenden oft eine gewisse «Methodenscheu»
(Oth 2012) besteht. Sozialwissenschaftliche Methodenbildung wird als praxisfern und vor allem
auf eine wissenschaftliche Karriere vorbereitend wahrgenommen – und dies vor dem Hinter-
grund, dass weniger als ein Fünftel der Hochschulbsolvent:innen eine Promotion beginnt (Sta-
tista 2018/2022).
Das ist für uns Anlass, die Frage nach den Relationierungen zwischen sozialwissenschaftli-
cher Methodenbildung einerseits und deren Nutzung und Stellenwert in der Berufspraxis
andererseits zu stellen. Einen der Schwerpunkte wollen wir auf pädagogische Handlungsfelder
legen und uns insbesondere folgenden Frage- und Themenkomplexen widmen:
- Von welchen impliziten und expliziten Prämissen oder methodologischen Konzepten gehen wir
bei der Konzipierung sozialwissenschaftlicher Methodenbildung aus?
- Welche Standpunkte teilen unterschiedliche Strömungen und Fachdisziplinen und welche Impli-
kation hat dies für die Methodenbildung?
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- Welche Kompetenzen werden durch die akademische Methodenbildung gefördert? Zeigen sie
auch Anschlussfähigkeit an die ausserakademische Berufspraxis?
- Inwiefern entsprechen unsere Lehr-Lern-Konzepte den angestrebten methodenbezogenen
Kompetenzen?
- Wie trägt Methodenbildung zu professionellem beruflichen Handeln (insbesondere in der päda-
gogischen Praxis) bei? Und welche Auswirkungen haben sich ändernde Bedingungen in der (pä-
dagogischen) Berufspraxis auf die Praxis der Methodenbildung?
Formate
Mit Keynote-Sprecher:innen, die in ihren Kurzbeiträgen die Praxis sozialwissenschaftlicher Me-
thodenbildung und deren Anwendung und Stellenwert in der Berufspraxis erörtern, wird
die Tagung eröffnet. Daran anschliessend sind folgende Formate vorgesehen:
Vortragssessions (je Vortrag ca. 20 min, zzgl. Diskussion): Die Vortragenden erörtern theoreti-
sche Rahmungen und berichten aus ihrer (ausserhochschulischen) Berufspraxis. Gefragt
sind hier genauso theoriegeleitete Überlegungen zur Praxis der Methodenbildung, wie
Beiträge, die illustrativ die Nutzung und den Nutzen ebensolcher Ausbildungen verdeutli-
chen und konkretisieren.
Hands-on Ateliers (je Beispiel 45 min, inkl. Diskussion): Die Ateliers fokussieren beispielhafte
Konzepte aus der Praxis der Methodenbildung und zeigen an konkreten Beispielen die Be-
deutung der Methoden in der späteren Berufspraxis. Wir freuen uns über die Einreichung
von Konzepten, welche bspw. die Adaption konkreter Methoden in der Berufspraxis oder
die Vermittlung bestimmter methodischer Kompetenzen illustrieren.
Die Tagung schliesst mit einer Podiumsdiskussion ab, in deren Rahmen die Vertreter:innen aus
der Praxis der Methodenbildung mit Vertreter:innen aus der Berufspraxis ins Gespräch
kommen. Der Austausch dient dazu, die wichtigsten Standpunkte hervorzuheben und die
gegenseitige Anschlussfähigkeit beider Praxen zu prüfen.
Im Anschluss an die Tagung ist eine Veröffentlichung der Beiträge geplant.
Tagungsreihe
Aspekte der Professionalisierung und Perspektiven der Profession
Die Tagung «Die Praxis der sozialwissenschaftlicher Methodenbildung – sozialwissenschaftliche
Methodenbildung in der Berufspraxis» stellt den Auftakt zur Tagungsreihe «Aspekte der Profes-
sionalisierung und Perspektiven der Profession» dar. Mit der Tagungsreihe möchte das Institut
Kindergarten-/Unterstufe der Pädagogischen Hochschule FHNW einen inter- und transdiszipli-
nären sowie interorganisationalen Diskursraum eröffnen und in aktiven Austausch mit unter-
schiedlichen pädagogischen Fachrichtungen, (Professions)Hochschulen und Bildungsorganisati-
onen zu Fragen der Professionalisierung treten. Mit der Fokussierung geteilter Problemlagen
jenseits der hochschulspezifischen Schwerpunkte oder Fachrichtungen wollen wir kooperativen
Austausch fördern und Themenschwerpunkte von überfachlichem Interesse gemeinsam erör-
tern. Einen besonderen Schwerpunkt legen wir dabei auf die jedwede Fragestellungen, welche
die Relationierung wissenschaftlicher Wissensbestände, die Wissenschaftsorientierung der
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Hochschulbildung und die konkreten Anforderungen der Berufspraxis tangieren. Dabei gehen
wir explizit
nicht
von einem Gegensatz Wissenschaft vs. Praxis aus. Vielmehr gehen wir von der
Beobachtung aus, dass die Wechselwirkungen zwischen dem Bildungssystem und den korres-
pondierenden Berufsfeldern stetem Wandel unterworfen sind und dabei komplexer werden: Die
Wissenschaft stellt immer feingliedrige Instrumente zur Beschreibung der Natur und Sozialität
zur Verfügung; die bildungspolitischen und gesellschaftlichen Anforderungen an die Bildungsin-
stitutionen ändern sich permanent; die Berufsfelder sind immer ausdifferenzierter und die Bil-
dungswege immer komplexer. Das Verständnis ebendieser Wechselwirkungen ist zentral, um ei-
nen gewinnbringenden Umgang mit Schnittstellen finden und die Frage der Professionalisierung
differenziert und mehrperspektivisch bearbeiten zu können.
Die Tagungsreihe «Aspekte der Professionalisierung und Perspektiven der Profession» bietet in
regelmässigen Abständen eine Plattform zu kooperativem Austausch und produktiver Irritation
zwischen Fachbereichen, Institutionen, wissenschaftsorientierten und praxisverankerten Akteurs-
gruppen.
Literatur
Bolder, Axel/Dobischat, Rolf/Kutscha, Günter/Reutter, Gerhard (2012) (Hg.): Beruflichkeit zwi-
schen instiutionellem Wandel und biographischem Projekt. Wiesbaden: Springer VS.
Helsper, Werner (2021): Professionalität und Professionalisierung in pädagogischen Handlungs-
feldern: Eine Einführung. Stuttgart: utb
Kunz, Alexa Maria/Mey, Günter/Raab, Jürgen/Albrecht, Felix (Hg.) (2021): Qualitativ Forschen als
Schlüsselqualifikation. Prämissen – Praktiken – Perspektiven. Weinheim: Beltz Juventa
Krempkow, René/Sembritzki, Thorben/Schürmann, Ramona/Winde, Mathias (2016): Personalent-
wicklung für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Bedarf, Angebote und Perspektiven – eine em-
pirische Bestandsaufnahme im Zeitvergleich. Essen: Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft
Lödermann, Anne-Marie/Scharrer, Katharina (2010): Beschäftigungsfähigkeit von Universitätsab-
solventen – Anforderungen und Kompetenzen aus Unternehmenssicht. In: Beiträge zur Hoch-
schulforschung, 32. Jahrgang, 4/2010, S. 72-91.
Luhmann, Niklas (1992): Die Wissenschaft der Gesellschaft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp
Minssen, Heiner (2018): Arbeit in der modernen Gesellschaft. Eine Einführung. 2. Aufl. Wiesba-
den: Springer VS
Oth, Constanze (2012): (Be-)Deutungsansprüche qualitativer Forschung. Student’s introduction.
Online: https://www.methodenkritik.de/programm/introduction-2/ (Zugriff am 30.08.2022)
Parsons, Talcott (1937): Remarks on Education and the Professions. In: International Journal of
Ethics. Vol. 47/3. The University of Chicago Press. S.: 365-369.
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Schütz, Alfred (1971): Gesammelte Aufsätze I. Das Problem der sozialen Wirklichkeit. Den Haag:
Martinus Nijhoff
Statista 2018/2022:
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/36654/umfrage/promotionsquote-an-deutschen-
universitaeten-nach-faechergruppen/
Formalia
Wir freuen uns über die Einreichung Ihrer Beiträge bis 28.02.2023
- Maximal 3.500 Zeichen (inkl. Leerzeichen, ohne Literatur)
- Bitte benennen, ob Beitrag zu Vortrag oder Atelier gewünscht
- Einreichung an folgende Adresse: tagung.iku.ph@fhnw.ch
- Bei inhaltlichen Fragen können Sie sich gerne an die Organisatorinnen
wenden.
Konzept und Organisation
Dr. Alexa Maria Kunz
Leitung Methodenlabor
House of Competence (HoC) / Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
alexa.kunz@kit.edu
Dr. Marija Stanisavljević
Leitung Module Forschung und Entwicklung
Institut Kindergarten-Unterstufe der Pädagogischen Hochschule FHNW
marija.stanisavljevic@fhnw.ch