Content uploaded by Florian Frank
Author content
All content in this area was uploaded by Florian Frank on Nov 30, 2022
Content may be subject to copyright.
Didaktik der Physik
Frühjahrstagung – virtuell 2022
PUMA : Spannungslabor - Eine AR-Applikation für den
Einsatz in der E-Lehre der Sek I
Florian Frank, Christoph Stolzenberger, Thomas Trefzger
Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Lehrstuhl für Physik und ihre Didaktik
florian.frank@uni-wuerzburg.de
Kurzfassung
Mit Hilfe von Augmented-Reality (AR)-Apps können virtuelle Objekte und Texte in Echtzeit in die
reale Welt (z.B. auch bei physikalischen Experimenten) eingefügt werden. Unter dem Namen
PUMA (PhysikUnterricht Mit Augmentierung) werden am Lehrstuhl für Physik und ihre Didaktik
der Universität Würzburg AR-Applikationen für den Einsatz in der schulischen Physiklehre entwi-
ckelt. Die AR-App „PUMA : Spannungslabor“ erweitert Experimente zu einfachen Stromkreisen
um virtuelle Darstellungen elektrischer Ströme und Potentiale gemäß ausgewählter Analogie-Mo-
delle. Durch die Beobachtung dieser sonst nicht wahrnehmbaren Größen können Schüler*innen
selbstständig erforschen, warum und auf welche Weise Elektronen in geschlossenen Stromkreisen
fließen und welche physikalischen Gesetzmäßigkeiten bei Reihen- oder Parallelschaltungen gelten.
Die App bietet Möglichkeiten für die Bildung und Überprüfung eigener qualitativer Aussagen zum
Stromkreis und erlaubt durch Einblendung von Kenn- und Messwerten zusätzlich die Gewinnung
halbquantitativer Erkenntnisse. In Lupen-Ansichten verschiedener elektrischer Bauteile können au-
ßerdem die Interaktionen der Leitungselektronen mit den Atomrümpfen nach dem Drude-Modell
beobachtet werden und ein qualitatives Verständnis für den elektrischen Widerstand gebildet wer-
den. Die Applikation soll dadurch die Entwicklung einer korrekten Modellvorstellung zu elektri-
schen Stromkreisen entscheidend unterstützen und sowohl das Fortbestehen als auch die Entwick-
lung fehlerhafter Schülervorstellungen verhindern.
1. Rahmen und Ablauf der Entwicklung
Am Lehrstuhl für Physik und ihre Didaktik der Uni-
versität Würzburg wird im Rahmen des vom BMBF
geförderten Projekts Connected Teacher Education
(kurz: CoTeach) die Konzeption, Entwicklung und
Evaluation von Augmented Reality (AR)-
Anwendungen für den Einsatz im Unterricht vollzo-
gen. Mittels Tablet-gestützter AR können auf dem
Bildschirm virtuelle Objekte über ein Livebild der
Realität geblendet werden. Durch Tracking markan-
ter Objekte wie QR-Codes kann dabei auch eine In-
teraktion der Realität mit den virtuellen Objekten ge-
schaffen werden. Die hier beschriebene App
„PUMA : Spannungslabor“ ist Produkt eines Kon-
zeptions- und Entwicklungsprozesses, um im nächs-
ten Schritt die Lernwirksamkeit der Applikation im
Rahmen einer Schülerlaborstudie zu evaluieren.
Gemäß eines Design-Based Research (kurz: DBR)
Ansatzes [1] wurde das Projekt mit der Definition ei-
nes realen Problems der Unterrichtspraxis begonnen,
welches durch die Entwicklung einer Intervention an-
gesprochen werden soll. Die jüngere fachdidaktische
Forschung hat nach Ende des Unterrichts zur Elektri-
zitätslehre [2],[3], nach Ende der Sekundarstufe I [4]
und zu Beginn des Studiums [5] jeweils auftretende
Schülervorstellungen zur Elektrizitätslehre erhoben
und kam zu dem Ergebnis, dass an allen genannten
Messzeitpunkten verschiedene fehlerhafte Vorstel-
lungen wie etwa die Stromverbrauchsvorstellung
oder die mangelnde Fähigkeit zur Unterscheidung
von Stromstärke und Spannung weit verbreitet ist.
Dieses Problem der Unterrichtspraxis wurde unter
Zuhilfenahme der Cognitive Load Theory (kurz:
CLT, [6]) und der Cognitive Theory of Multimedia
Learning (kurz: CTML, [7]) analysiert und ein Lö-
sungsansatz entwickelt. Die Kernaussage der CLT ist,
dass Lernende endliche kognitive Kapazitäten haben.
Ein Lernprozess, der diese individuelle Kapazität
überschreitet, überfordert den Lernenden bzw. die
Lernende und behindert deren Lern- und Verstehens-
prozess in einem solchen Maße, dass der Lerngegen-
stand nicht korrekt verstanden wird. Die CTML gibt
Möglichkeiten an die Hand, die kognitive Last eines
Lernprozesses zu verhindern. Eine der Aussagen ist,
dass eine große räumliche und zeitliche Trennung der
für den Lernprozess nötigen Ressourcen die kognitive
Last erhöht, da alle Ressourcen gleichzeitig im Ar-
beitsgedächtnis gehalten werden müssen. Bei der Ge-
staltung eines Lernprozesses soll daher darauf geach-
tet werden, dass eine solche Trennung so gering wie
möglich ausfällt.
Bezogen auf das eingangs definierte Problem stellen
wir die Vermutung an, dass die für das Verstehen der
Elektrizitätslehre wichtigen Ressourcen einerseits das
reale Experiment mit seinen Ergebnissen und ande-
rerseits das häufig für die Erklärung der Ergebnisse
genutzte didaktische Analogie-Modell der Elektrizi-
357
Frank et al.
tät (bspw. offener oder geschlossener Wasserkreis-
lauf, Stäbchenmodell oder Elektronengasmodell) ist.
Um die räumliche und zeitliche Trennung zwischen
diesen Ressourcen zu verringern, nutzen wir daher
Augmented Reality, um die für das Verstehen nötigen
Modellvorstellungen direkt auf die Experimente zu
projizieren.
2. PUMA : Spannungslabor
Hierfür wurde die Applikation „PUMA : Spannungs-
labor“ entwickelt [8]. Diese ist Teil des Projekts
„PUMA – PhysikUnterricht Mit Augmentierung“, in
dessen Rahmen am Lehrstuhl für Physik und ihre Di-
daktik auch zwei weitere Augmented Reality Appli-
kationen für den Einsatz in der schulischen Physik-
lehre entwickelt werden, „PUMA : Magnetlabor“ [9]
und „PUMA : Optiklabor“.
Das Ziel der Entwicklung war die Verbindung des
Realexperiments und der zugehörigen Modellvorstel-
lung durch AR bei gleichzeitiger minimaler zusätzli-
cher Belastung durch den Einsatz für Lehrkräfte und
Lernende. Entsprechend wurde als digitales Medium
das Tablet gewählt, welches in Klassensätzen mittler-
weile an vielen deutschen Schulen vorhanden ist. Die
Entwicklung wird sowohl für iOS- als auch für And-
roid-Geräte vollzogen.
Für die Entwicklung wurde die Programmierumge-
bung Unity unter Zuhilfenahme des Tools Vuforia ge-
nutzt. Die entwickelte Applikation musste aus techni-
schen Gründen sehr nahe an ein reales Experimentier-
set angepasst werden. Wir haben uns für das Experi-
mentierset ELEKTRIK 1 der Firma MEKRUPHY
entschieden, welches aus einer überschaubaren An-
zahl von Einzelbauteilen besteht. Diese Einzelteile
sind allesamt groß genug für das Bestücken mit ei-
gens entworfenen QR-Codes für die Erkennung und
Nachverfolgung der Bauteile. Die QR-Codes werden
zentral auf die Bauteile aufgebracht.
Einer der zentralen Grundsätze von DBR [10] ist die
enge Zusammenarbeit mit praktizierenden Lehrkräf-
ten bei der Entwicklung der Intervention. Dem fol-
gend wurden im Zeitraum von August bis Dezember
2021 qualitative Interviews mit insgesamt 14 Lehr-
kräften geführt, in welchen der jeweilige Entwick-
lungsstand der Applikation auf Einsatztauglichkeit
im Unterricht überprüft wurde. Die Ergebnisse sind
dabei nach jedem Interview iterativ in die weitere
Entwicklung eingeflossen und die auf den Rückmel-
dungen basierenden Änderungen wurden in den fol-
genden Interviews mit evaluiert [11].
3. Funktionalitäten der Applikation
Um die Applikation sinnvoll nutzen zu können, sollte
zunächst ein Experiment mit einem QR-Code be-
stückten Experimentiersatz aufgebaut werden.
Öffnet man dann die App „PUMA : Spannungsla-
bor“, wird ein Hauptmenü angezeigt, in welchem man
zwischen einem kurzen Tutorial und dem Start der
AR-Applikation wählen kann. Im Betrieb der AR-
Applikation wird zwischen verschiedenen Modi un-
terschieden. In den Modi sind jeweils verschiedene
Konfigurationen der Funktionalitäten der Applikation
freigeschaltet, um beispielsweise bei einer reinen
qualitativen Betrachtung keine Messwerte anzuzei-
gen. Diese Bereitstellung überflüssiger Informatio-
nen würde nach dem Kohärenz-Prinzip der CTML zu
einer unnötigen Steigerung der kognitiven Belastung
führen.
Wählt man einen der Modi aus, wird der Augmented
Reality-Anteil der Applikation gestartet und man
wird aufgefordert, einen Scanvorgang durchzuführen.
Die App erkennt dabei die auf den Bauteilen aufge-
klebten QR-Codes und umrandet sie grün, wenn sie
erfolgreich eingelesen sind. Über den untenstehenden
QR-Code kann ein Beispielvideo des Scanvorgangs
aufgerufen werden.
Abb. 1: QR-Code zu einem Video des Scanvorgangs
Sind alle für den Aufbau genutzten Bauteile erkannt
und eingelesen, kann per Betätigung des Play-Buttons
die Visualisierung gestartet werden.
Die Visualisierungen umfassen Darstellungen von
vereinfachten, vergrößerten Elektronen, die sich ent-
lang der Leiterbahnen bewegen, und Repräsentatio-
nen des elektrischen Potentials. Zusätzlich können
Darstellungen der Interaktionen von leitenden, sich
bewegenden Elektronen mit den ortsfesten Atom-
rümpfen auf Teilchenebene nach dem Drude-Modell
angezeigt werden und an den Bauteilen (Spannungs-
quelle, Widerstände, Lampen) können Mess- bzw.
Kennwerte der Grundgrößen im elektrischen Strom-
kreis (Stromstärke, Spannung, Widerstand) darge-
stellt werden, um die qualitative Darstellung stärker
mit der quantitativen Messung verknüpfen zu können.
Abb. 2: In der App mögliche Visualisierungen mit zuge-
hörigen Buttons
358
PUMA : Spannungslabor - Eine AR-Applikation für den Einsatz in der E-Lehre der Sek I
Die einzelnen Visualisierungen können per Betäti-
gung entsprechender Buttons ein- und ausgeblendet
werden, um den Lernenden die Möglichkeit zu geben,
sich auf eine Visualisierung konzentrieren zu können.
3.1. Elektronen
Die Elektronen werden in der Applikation als kleine,
weiße Kugeln dargestellt, die sich auf den Leiterbah-
nen befinden. Dabei ist für die Visualisierung uner-
heblich, ob der Stromkreis geschlossen ist oder ob das
entsprechende Leiterstück Teil eines geschlossenen
Stromkreises ist. So kann es passieren, dass in den
Verästelungen der Parallelslots im unteren Bereich
des Experiments auch bei einem geschlossenen
Stromkreis einzelne Elektronen unbeweglich sind. Im
Unterricht kann dies aufgegriffen werden und dabei
thematisiert werden, dass die Elektronen im Leiter
unabhängig vom einem Stromfluss vorhanden sind.
Ist das Leiterstück Teil eines geschlossenen Strom-
kreises, so bewegen sich die virtuellen Elektronen
entlang des Leiters, in Richtung des positiven Pols der
Spannungsquelle. Die Geschwindigkeit der Elektro-
nen hängt dabei maßgeblich von der Stromstärke
durch das Leiterstück ab. Im geschlossenen Strom-
kreis ist die Dichte der virtuellen Elektronen überall
gleich.
Abb. 3: Visualisierung der Elektronen im geschlossenen
Stromkreis
Ausgehend von aus den Interviews generiertem Feed-
back haben wir im Rahmen eines erweiterten Menüs
am unteren Bildschirmrand die Möglichkeit hinzuge-
fügt, die optische Darstellung der Elektronen durch
Schieberegler zu beeinflussen. Lehrkräfte können vor
dem Unterrichtseinsatz damit die Größe der ange-
zeigten Elektronen und die Abstände der Elektronen
zueinander selbst wählen. Durch eine geeignete Ab-
standswahl kann so beispielsweise auch die Nähe zu
einer Kettenanalogie erreicht werden.
3.2. Elektrisches Potential
Die Darstellung des elektrischen Potentials ist anhand
zweier verschiedener didaktischer Modelle möglich,
dem Elektronengasmodell [2] und dem Stäbchenmo-
dell [12].
Im Elektronengasmodell wird die Analogie zwischen
dem elektrischen Potential und Druckunterschieden
in Gasen gezogen, die Leitungselektronen werden da-
bei als ideales Gas angesehen. Im offenen Stromkreis
kommt es durch den durch die Spannungsquelle er-
zeugten Druckunterschied in den angeschlossenen
Teilbereichen zu einer Verschiebung der Leitungs-
elektronen. Im geschlossenen Stromkreis gleicht sich
diese unterschiedliche Dichte durch einen Elektro-
nenfluss aus.
Zur einfachen Unterscheidung werden Bereiche glei-
chen elektrischen Drucks gleich eingefärbt. Eine
blaue Färbung steht dabei für einen hohen elektri-
schen Druck, eine rote Färbung für einen niedrigen
und eine gelbe Färbung für einen elektrisch neutralen
Druck [13]. Durch die Stärke der Sättigung kann zwi-
schen unterschiedlichen hohen elektrischen Drücken
differenziert werden.
Abb. 4: Unterschiedliche elektrische Drücke und damit
Elektronendichten in verschiedenen Bereichen im offenen
Stromkreis (nach dem Elektronengasmodell)
Eine aus den Interviews generierte Änderung an der
Applikation war die Implementierung des Stäbchen-
modells als weiteres didaktisches Modell der Elektri-
zität. Basierend auf einer Höhenanalogie wird das
elektrischen Potential durch die vertikale Lage der
Leiterbahnen versinnbildlicht [14]. Der Unterschied
der Lage zwischen den Leiterbahnen an einem
elektrischen Bauteil ist damit ein Maß für den Span-
nungsabfall.
Abb. 5: Höhendarstellung des Potentials
Die Richtung der Darstellung kann selbst bestimmt
werden, entweder wird ein hohes elektrisches Poten-
tial durch einen hohen oder durch einen tiefen Leiter
visualisiert. In Konzept des Stäbchenmodells soll ein
hohes elektrisches Potential durch eine hohe räumli-
che Lage verdeutlicht werden. Nutzt man eine inverse
Darstellung (niedrige Lage als hohes Potential), so
359
Frank et al.
kann man die Visualisierung auch nutzen, um den
Lernenden ein Murmelbahn- oder Förderband-ähnli-
ches Modell nahezubringen, in welchem die Elektro-
nen „von oben nach unten“ laufen.
3.3. Widerstandsinnenansichten
Um eine qualitative Beobachtung der Interaktion von
Leitungselektronen und Stromkreis zu ermöglichen,
wurde bei den einbaubaren Bauteilen eine Innenan-
sicht hinzugefügt. Diese per Betätigung eines entspre-
chenden Lupe-Buttons einblendbare Zusatzoption
zeigt, wie die im geschlossenen Stromkreis fließen-
den Elektronen mit den Atomrümpfen im leitenden
Material interagieren und mit diesen stoßen. Sie wer-
den dabei selbst abgelenkt und verlangsamt und regen
die Teilchen zu Schwingungen an. Diese Visualisie-
rungen sind eine dreidimensionale Weiterentwick-
lung der in [2] vorgeschlagenen 2D-Darstellung der
Interaktionen zwischen Leitungselektronen und Ma-
terie.
In der Applikation kann man beispielsweise die In-
nenansicht eines Widerstands (leicht erkennbar durch
irregulär angeordnete Atomrümpfe) mit der Innenan-
sicht eines Leiterstücks (die Atomrümpfe bieten ge-
nug Platz für ungehinderten Durchfluss der Elektro-
nen) vergleichen. In der Innenansicht der Glühlampe
wird durch einen Stoß ein Atom zu Schwingungen
angeregt, welches zur Aussendung eines Lichtparti-
kels aus der Innenansicht führt. Mehrere Innenansich-
ten können dabei gleichzeitig angezeigt werden, um
einen direkten Vergleich zu ermöglichen. Zur genau-
eren Betrachtung einzelner Interaktionen können die
Innenansichten auch einzeln nochmals vergrößert
dargestellt werden.
Abb. 6: Darstellung kleiner und großer Innenansichten
(oben Leiter, rechts und mittig Lampen, unten Wider-
stand)
3.4. Anzeige von quantitativen Werten
Um die erworbenen qualitativen Kenntnisse mit einer
quantitativen Betrachtung zu verknüpfen, können in
der App an den Großbauteilen Lampe, Widerstand,
Leiterstück, Schalter und Batterieblock Kennwerte
eingeblendet werden. Diese Kennwerte umfassen je
nach ausgewählter Darstellung eine Kombination aus
Werten zum Spannungsabfall zwischen den Enden
des Bauteils, Stromfluss durch das Bauteil und
elektrischen Widerstand, den das Bauteil darstellt.
Beim Scannen des Aufbaus wird von jedem Bauteil
der primäre Kennwert (elektrischer Widerstand der
Verbraucher, Spannungsdifferenz zwischen den En-
den des Batterieblocks) eingelesen, die weiteren an-
gezeigten Werte werden aus diesen Anfangswerten
für den experimentellen Aufbau berechnet.
Abb. 7: Anzeige des Stromflusses durch die Bauteile
Einige dieser Kennwerte können, ähnlich einer Simu-
lation, in einem erweiterten Menü am unteren Bild-
schirmrand durch Schieberegler verändert werden.
Dies erlaubt den Lehrkräften, auf einfache Art und
Weise beispielsweise die Änderung des Stromflusses
bei einer Parallelschaltung zweier Widerstände ohne
ein zusätzliches Potentiometer zu zeigen. Es ist hier-
bei aber wichtig, dass den Lernenden klar kommuni-
ziert wird, dass es sich hier um eine rein virtuelle Än-
derung der Kennwerte handelt. Diese Funktionalität
wurde ursprünglich ausschließlich für die interne Te-
stung implementiert, wurde aber von einzelnen Lehr-
kräften im Rahmen der Interviews sehr gut aufge-
nommen und ist daher nun auch für Anwender zu-
gänglich.
Abb. 8: Erweitertes Menü mit Schiebereglern für die
Kennwerte der Bauteile
Um real gemessene Werte anzuzeigen, muss die Ap-
plikation per Bluetooth mit einem externen Messgerät
verbunden werden. Eine solche Funktion ermöglicht
die Nutzung der Applikation und des Experimentier-
satzes in Verbindung mit einer externen, regelbaren
Spannungsquelle statt des mitgelieferten Batterieb-
locks. Damit kann die Beobachtung der Innenansich-
ten einer Glühlampe bei langsam steigender Span-
nung zusätzliche Verknüpfungen zwischen Realität
und Modellvorstellung ermöglichen, wenn simultan
ein nach und nach stärkeres Leuchten der Glühlampe
und eine sich entsprechend steigernde Frequenz der
360
PUMA : Spannungslabor - Eine AR-Applikation für den Einsatz in der E-Lehre der Sek I
Stöße zwischen Elektronen und Rümpfen wahrnehm-
bar sind.
Eine solche Schnittstelle zwischen externem Messge-
rät und AR-Applikation wird im nächsten Entwick-
lungsschritt zusammen mit einer reinen Simulations-
umgebung implementiert.
4. Bisherige qualitative Forschung
Die Applikation wurde bereits in zwei Schulsituatio-
nen eingesetzt, um weitere Hinweise auf die Pra-
xistauglichkeit zu erlangen. Der erste Einsatz wurde
im Rahmen eines Lernzirkels einer achten Gymnasi-
alklasse vollzogen, in dem die Lernenden unter Zu-
hilfenahme der Applikation Inhalte zu Parallelschal-
tungen erarbeiten sollten. Die Einzelstationen wurden
eng von Studierenden der Universität Würzburg be-
treut. Die Schülerinnen und Schüler nahmen die Ap-
plikation ausgesprochen gut an, bezeichneten deren
Visualisierungen unter anderem als „besser [ver-
ständlich] als das [bisher genutzte] Modell“. In einem
Follow-Up Interview beschrieb die Lehrkraft die
durch die Applikation erworbenen Kenntnisse als ge-
festigt und berichtete, dass einzelne Schülerinnen und
Schüler im weiteren Unterrichtsverlauf bereits auf
Basis der Visualisierung der Modelle in der Applika-
tion argumentierten.
Der zweite Praxiseinsatz fand im Rahmen einer zwei-
stündigen Unterrichtseinheit für eine achte Mittel-
schulklasse zum selben Thema statt. Die Applikation
wurde dabei zur Erarbeitung der Inhalte in Kleingrup-
pen und zur Sicherung der Ergebnisse im Plenum ein-
gesetzt. In einem Follow-Up Interview berichtete die
Lehrkraft, dass der Einsatz der Applikation im Rah-
men des Unterrichts zusätzliche Schülerinnen und
Schüler angesprochen habe. Berichtet wurde von
etwa einem Viertel der Klasse, hauptsächlich schwä-
chere Schülerinnen und Schüler, die „nochmal diese
Verbindung gebraucht haben“.
5. Ausblick auf quantitative Forschung
Zur Evaluation der Lernförderung durch Augmented
Reality wird die entwickelte Applikation in einem
Schülerlabor am M!ND-Center der Universität Würz-
burg in einer Studie nach Pre/Posttest-Design mit ei-
ner Kontroll- und mehreren Treatmentgruppen einge-
setzt. Innerhalb von vier Stationen zu je 45 Minuten
erarbeiten die teilnehmenden Schülerinnen und Schü-
ler anhand eines Forscherheftes in Kleingruppen
selbstständig Inhalte der Elektrizitätslehre, nament-
lich die Konzepte von Stromstärke und Spannung,
Ohm’schen und nicht-Ohm’schen Widerständen,
Reihenschaltungen und Parallelschaltungen. Teilneh-
mende Klassen werden in drei Gruppen geteilt, die je-
weils in der Erarbeitung der Inhalte mit unterschied-
lichen Materialien unterstützt werden. Eine Gruppe
arbeitet mit Infotexten und -grafiken, eine weitere mit
der AR-Applikation „PUMA : Spannungslabor“, eine
dritte mit einer bildschirmgestützten Simulation, die
in ihrer Funktionalität mit der AR-Applikation iden-
tisch ist.
Im Rahmen der Studie wird der Einfluss des Einsat-
zes der AR-Applikation auf die Entwicklung des kon-
zeptuellen Wissens und die kognitive Belastung der
Lernenden während des Lernprozesses untersucht
und gegen den Einsatz einer Simulation oder von In-
fotexten und -grafiken abgegrenzt. Erhoben wird die
Entwicklung des konzeptuellen Wissens, ausgeprägt
durch den Lernzuwachs und die Auftretenswahr-
scheinlichkeit fehlerhafter Schülervorstellungen,
durch den Einsatz des Fragebogens 2T-SEC [3] vor
und nach der Durchführung des Schülerlabors. Die
kognitive Belastung wird mittels der Naive Rating
Scale [15] durchführungsbegleitend unmittelbar nach
jeder Station erhoben. Als Moderatorvariablen wer-
den vor der Intervention neben den Schulnoten in Ma-
thematik und Physik die Einstellung gegenüber Tech-
nik und die Technikbegeisterung und -kompetenz der
Schülerinnen und Schüler [16] sowie die Fähigkeit
zur Veranschaulichung (als Aspekt des räumlichen
Vorstellungsvermögens) [17] erhoben.
6. Zusammenfassung und Verfügbarkeit
Die Augmented Reality-Applikation „PUMA : Span-
nungslabor“ kann durch ihre hier vorgestellten Funk-
tionalitäten die Vermittlung didaktischer Modelle der
Elektrizitätslehre unterstützen. Die Verbindung von
Realexperiment und Modellvorstellung ermöglicht es
Lernenden, die grundlegenden Inhalte der E-Lehre zu
erlernen und dabei bestehende fehlerhafte Vorstellun-
gen zu adressieren und zu beheben. Mit der Applika-
tion sind sowohl qualitative als auch halb-quantitative
Experimente möglich.
Die Applikation ist sowohl im Google Play Store (für
Android-Geräte) als auch im App Store (für iOS-Ge-
räte) kostenlos verfügbar. Für mehr Informationen
über die Applikation verweisen wir auf unsere Web-
site: https://www.physik.uni-wuerzburg.de/pid/phy-
sik-didaktik/augmented-reality/puma-spannungsla-
bor/
7. Literatur
[1] Ejersbo, Lisser Rye; Engelhardt, Robin;
Frølunde, Lisbeth; Hanghøj, Thorkild; Magnus-
sen, Rikke; Misfeldt, Morten (2008): Balancing
Product Design and Theoretical Insights.
In (Kelly, Anthony; Lesh, Richard; Baek, John
(Hrsg.)): Handbook of Design Research Meth-
ods in Education - Innovations in Science,
Technology, Engineering and Mathematics
Learning and Teaching. Routledge, London.
[2] Burde, Jan-Philipp (2018): Konzeption und
Evaluation eines Unterrichtskonzepts zu einfa-
chen Stromkreisen auf Basis des Elektronen-
gasmodells.
In: Studien zum Physik- und Chemielernen. Lo-
gos-Verlag, Berlin.
[3] Ivanjek, Lana; Morris, Louisa; Schubatzky,
Thomas; Hopf, Martin; Burde, Jan-Philipp;
Haagen-Schützenhofer, Claudia; Dopatka, Liza;
361
Frank et al.
Spatz, Verena; Wilhelm, Thomas (2021): De-
velopment of a two-tier instrument on simple
electric circuits.
In: Phys. Rev. Phys. Educ. Res. 17, 020123.
[4] Müller, Svetlana; Burde, Jan-Philipp; Wilhelm,
Thomas (2015): Vergleich von Schülervorstel-
lungen zur Elektrizitätslehre in Hessen und
Weißrussland.
In: PhyDidB, Didaktik der Physik, Beiträge zur
DPG-Frühjahrstagung, 1 (2015).
[5] Fromme, Bärbel (2018): Fehlvorstellungen von
Studienanfängern – Was bleibt vom Physikun-
terricht der Sekundarstufe I?
In: PhyDid B, Didaktik der Physik, Beiträge zur
DPG-Frühjahrstagung, 1 (2018), S. 205-215.
[6] Plass, Jan; Moreno, Roxana; Brünken, Roland
(2010): Cognitive Load Theory. Cambridge
University Press, New York.
[7] Mayer, Richard (Hrsg.) (2014): The Cambridge
Handbook of Multimedia Learning. Second
Edition. Cambridge University Press, New
York.
[8] Stolzenberger, Christoph; Frank, Florian; Trefz-
ger, Thomas (2022): Experiments for students
with built-in theory: ‘PUMA: Spannungslabor’
– an augmented reality app for studying elec-
tricity.
In: Physics Education, Vol. 57, No. 4, 045024.
[9] Schwanke, Hagen; Trefzger, Thomas (im
Druck): Augmented Reality in Schülerversu-
chen der Elektrizitätslehre in der Sekundarstufe
I.
In (Baum, Michael; Eilerts, Katja; Hornung,
Gabriel; Roth, Jürgen; Trefzger, Thomas
(Hrsg.)): Die Zukunft des MINT-Lernens :
Konzepte für guten Unterricht mit digitalen
Methoden. Band 2: Digitale Tools und Metho-
den im MINT-Unterricht. Springer-Verlag, Ber-
lin.
[10] Anderson, Terry; Shattuck, Julie (2012): De-
sign-Based Research: A Decade of Progress in
Education Research?
In: Educational Researcher, Vol. 41, No. 1. S.
16-25.
[11] Frank, Florian; Stolzenberger, Christoph; Trefz-
ger, Thomas (2022): Vorstellung einer qualitati-
ven Studie zur Eignung einer AR-Applikation
zur Unterstützung der Modellvorstellungsbil-
dung in der E-Lehre.
In (Habig, Sebastian (Hrsg.)): Unsicherheit als
Element von naturwissenschaftsbezogenen Bil-
dungsprozessen – Tagungsband der GDCP-
Jahrestagung 2021. S. 684 – 687.
[12] Wilhelm, Thomas; Schecker, Horst; Hopf, Mar-
tin (Hrsg.) (2021): Unterrichtskonzeptionen für
den Physikunterricht. S. 261 – 268. Springer-
Verlag, Berlin.
[13] Lutz, Wolfgang; Burde, Jan-Philipp; Wilhelm,
Thomas; Trefzger, Thomas (2020): Digitale
Unterrichtsmaterialien zum Elektronengasmo-
dell.
In: PhyDid B, Didaktik der Physik, Beiträge zur
DPG-Frühjahrstagung, 1 (2020), S. 333-341.
[14] Koller, D. (2008): Entwurf und Erprobung ei-
nes Unterrichtskonzepts zur Einführung in die
Elektrizitätslehre.
Zulassungsarbeit am Lehrstuhl Didaktik der
Physik der LMU München. Unterrichtsmateria-
lien verfügbar unter https://www.didaktik.phy-
sik.uni-muenchen.de/archiv/inhalt_materia-
lien/einf_elektrizitaet/ [zuletzt aufgerufen:
31.05.2022]
[15] Klepsch, Melina; Schmitz, Florian; Seufert,
Tina (2017): Development and Validation of
Two Instruments Measuring Intrinsic, Extrane-
ous, and Germane Cognitive Load.
In: Front. Psychol. 8:1997.
[16] Karrer, Katja; Glaser, Charlotte; Clemens,
Caroline; Bruder, Carmen (2009): Technikaffi-
nität erfassen – der Fragebogen TA-EG.
In (Lichtenstein, Antje; Stößel, Christian; Cle-
mens, Caroline (Hrsg.)): Der Mensch im Mittel-
punkt technischer Systeme. 8. Berliner Werk-
statt Mensch-Maschine-Systeme (ZMMS
Spektrum, Reihe 22, Nr. 29, S. 196 – 201). VDI
Verlag GmbH, Düsseldorf.
[17] Heller, Kurt; Perleth, Christoph (2000): Kogni-
tiver Fähigkeitstest für 4.-12. Klassen, Revision
(KFT 4-12+ R). Hogrefe, Göttingen.
URL: https://www.hogrefe.com/at/shop/kogni-
tiver-faehigkeitstest-fuer-4-bis-12-klassen-revi-
sion.html [zuletzt aufgerufen: 31.05.2022]
Förderung
Die Julius-Maximilians-Universität Würzburg und
das Projekt „Connected Teacher Education“ wird im
Rahmen der gemeinsamen „Qualitätsoffensive Lehr-
erbildung“ von Bund und Ländern aus Mitteln des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung ge-
fördert.
362