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Stefanie Schnebel,
Markus Janssen,
Thomas Wiedenhorn und
Manuela Keller-Schneider
Beratungsbezogenes Handeln
in der Lernunterstützung
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Lernende in ihren Lernhandlungen zu unterstützen, stellt eine zentra-
le Aufgabe von Lehrpersonen dar. Dabei geht es um den Erwerb fach-
bezogener sowie auch selbstbezogener Kompetenzen, wie Problem-
lösefähigkeiten, Selbststeuerung und Durchhaltevermögen (Schnebel
2013, siehe auch Beer, Hagen & Herrmann in dieser Ausgabe). Ler-
nende sollen befähigt werden, Aufgaben und Problemstellungen ei-
genständig zu meistern, Entscheidungen zu treen und damit auch
eine Opmierung zukünigen Lernens anzustreben (Corno, 2008).
Dazu sind vielfälge Beratungstägkeiten der Lehrperson erforderlich
(Schnebel, 2019b).
Lernunterstützung als pädagogisch-didaksche Maßnahme kann sich
auf unterstützende Intervenonen ausrichten, in welchen sich die
Lehrperson aufgrund klarer Vorgaben und Abläufe mehr und mehr
überüssig machen kann (Scaolding) (Rodgers, 2004), oder auf be-
ratende Prozessbegleitungen in Problemlöseaufgaben, in welchen die
Lehrperson über lerngegenstandsbezogene Impulse sowie über die
Movaon, die Selbststeuerung und Eigenverantwortung unterstüt-
zende Aussagen die Schüler*innen berät (Schnebel, 2019a).
Folgt man der Systemasierung von Lernunterstützung als Handlun-
gen auf kogniver, sozial-emoonaler und movaonaler Ebene (Sei-
del, 2014), so lassen sich Handlungen ausdierenzieren, die, einer
beratungstheoreschen Anbindung entsprechend, Merkmale eines
Problemlösenden Vorgehens sowie einer Ressourcenorienerung in
non-direkver Grundhaltung aufweisen.
Auf der kogniven Ebene zielt Lernunterstützung darauf ab, Lernen-
de in der Bewälgung einer Aufgabe bzw. eines Problems zu beraten
und dabei die Fähigkeit zu fördern, zukünig ähnliche Aufgaben zu
bewälgen. Dies erfordert von der Lehrperson diagnossche Kompe-
tenz, um Mikroprozesse zu erkennen und sich in die Perspekve der/
des Lernenden zu versetzten, um aus dieser Perspekve beratend ein-
zuwirken und eine schülerorienerte Unterstützung zu geben (Corno,
2008). Zielsetzungen benennen und Lösungsideen entwickeln, sind
Handlungselemente, die beratungstheoresch als problemlösendes
Vorgehen bezeichnet werden können. Dem Prinzip der minimalen Hil-
fe folgend (Rodgers, 2004) unterstützt die Lehrperson Schüler*innen
in der Entwicklung von Lösungen und bietet dazu Impulse an.
Auf der sozial-emoonalen Ebene unterstützen beratende und movie-
rende Akvitäten, dass Lernende Vertrauen in ihre Fähigkeiten und zu-
nehmend auch Selbstverantwortung auauen. Insbesondere die in der
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Beratung zentralen Elemente einer posiven, zugewandten Beziehungs-
gestaltung, wie Wertschätzung und Empathie (Mutzeck, 2014), schaen
auch in unterstützenden Mikroprozessen ein lernförderliches Lernklima
(Knierim, Raufelder & Westein, 2016). Das Moment der personalen
Zuwendung stärkt die Lernenden und ermöglicht eine Zuwendung zum
Lerngegenstand (Thies, 2017). Um sozial-emoonal zu unterstützen,
wird eine personenzentrierte gegenüber einer lerngegenstandsbezoge-
nen Perspekve der Lehrperson bedeutsam (Schnebel, 2019b).
Movaonale Prozesse fokussieren im beratenden Zugang zur Lernun-
terstützung ein ressourcenorienertes Vorgehen. Dieses fördert das
Selbstwirksamkeitserleben der Schüler*innen sowie ihre internale At-
tribuierung (Pekrun, 2011) und kann durch posives inhalts- oder pro-
zessbezogenes Feedback unterstützt werden. Die konsequente Adres-
sierung der individuellen Ressourcen und der Eigenverantwortung, wie
sie in beratendem Handeln angelegt ist, fördert durch das Zutrauen
von Autonomie die Lernmovaon der Schüler*innen.
Die genannten Elemente beratender Akvitäten in Lernunterstützungs-
sequenzen (Tab. 1) können als Gesprächshandlungen der Lehrperso-
nen konkret in Interakonen mit den Lernenden idenziert werden.
Tab. 1 Ebenen beratender Tägkeiten der Lehrperson
Ebene des Lernprozesses (EL) Beratungsbezogene Elemente
kogniv (kEL)
Problemlösend: Orienerung, Diagnose Stand im
Lern-/Denkprozess, Zielorienerung/-benennung,
anregende Hilfen, direkte minimale Hilfen,
Unterstützung der Umsetzung.
Hilfe beim Verstehen: Strukturierung, Hinweis auf
Ist-Soll Diskrepanz
sozial-emoonal (s-eEL)
Non-direkve Wertschätzung und Empathie:
Signalisieren von Verständnis, Anbieten von Hilfe,
Hinweis auf Ressourcen
movaonal (mEL)
Ressourcenorienerung, posives Feedback,
Anbieten von Alternaven oder eigenständigen
Entscheidungsmöglichkeiten
Inwieweit sich auf der Mikroebene beratende Akvitäten in Lernun-
terstützungssequenzen zeigen, wird im Folgenden an einer Sequenz
untersucht.
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Kontext und methodisches Vorgehen
Ausgangspunkt der Untersuchung ist das Projekt Studierende machen
Schule! (SMS) an der Pädagogischen Hochschule Weingarten, in dem
Studierende während des Praxissemesters für eine Woche den Unter-
richt einer Grundschule übernehmen. Die Lehrpersonen nutzen diese
Woche für eine Fortbildung außerhalb der Schule (Janssen & Wieden-
horn, 2019). Miels Kamerabrillen und Go-Pro-Kameras wurden Un-
terrichtstunden videographiert, die die Studierenden ohne Aufsicht
durch Lehrpersonen gehalten haben (Janssen & Wiedenhorn, 2020).
Die Aufzeichnungen wurden wörtlich transkribiert und um Handlungs-
beschreibungen und Raumangaben (z. B. vor der Tafel) ergänzt.
Für den Gegenstand der Lernunterstützung erfolgte die Datenana-
lyse in drei Schrien: (1) unterrichtliche Arbeitsformen (Einzelarbeit,
Partnerarbeit usw.) wurden nach Kobarg und Seidel (2003) qualitav-
inhaltsanalysch codiert (Kuckartz, 2018) und (2) diejenigen codierten
Einzelarbeitsphasen ausgewählt, in denen eine Lehrer*in-Schüler*in-
Interakon, die mehrere Turns umfasst und eine lernhandlungs-
bezogene Unterstützung erkennen lässt (Schnebel, 2019b). (3) Im
Anschluss an Ophardt und Thiel (2016) erfolgte eine sequenell-funk-
onale Analyse; hier der Interakon der Studierenden und der Ler-
nenden unter den funkonalen Aspekten von Beratung (vgl. Tab. 2).
Für diesen Beitrag wurde eine Lehrer*in-Schüler*in-Interakon (Dau-
er: 3:14 Minuten) aus einer Mathemakstunde zur Übung von Sub-
trakon und Addion im Zahlenraum bis 100 ausgewählt.
Sequenelle Beschreibung und
funkonale Analyse
Zur Kontextualisierung: Die Studenn (L) geht durch das Klassenzim-
mer. Die Schüler*innen sitzen an ihren Plätzen und bearbeiten ein
Arbeitsbla (AB). Schüler F (F) bearbeitet eine Teilaufgabe, in der an-
hand eines Bildes (Blumen und Blumenbläer) eine Vielzahl von Ad-
dionsaufgaben gebildet werden sollen. Den Interakonsverlauf mit
Detailbeschreibung und der funkonalen Analyse stellen wir tabella-
risch vor (Tab. 2):
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Tab. 2 Analyse der Sequenz
Transkriptauszug Detailbeschreibung funkonale Analyse
F: Ich nde keine Aufgabe
mehr…
L geht zu F und kniet sich
vor seinem Platz hin.
F äußert ein aufgaben-
bezogenes Problem, dass
er die Aufgabe nicht been-
den kann, währenddessen
sich L ihm körperlich-
räumlich zuwendet und
signalisiert, dass sie ihn
gehört hat.
s-eEL
L: Du ndest keine Auf-
gabe mehr? Soll ich mal
schauen? Schau mal bei
der Ente hier.
Siehst du da [L zeigt auf
Fs Bla] noch eine Plus-
aufgabe?
L wiederholt die Problem-
anzeige; stellt F Entschei-
dungsfrage, ob sie ihm
helfen solle und schließt
direkt ihre Auorderung
„Schau mal bei der Ente
hier.“ verbunden mit einer
geschlossenen Frage an
Mit ihrem Zeigen bietet
sie sich und F eine
Fokussierung auf dem
Aufgabenbla und ihm
eine Ermugung zum
Weiterdenken an.
kEL + mEL
L ermugt und unterstützt
F weiterzuarbeiten.
kEL:
Die allgemein-strategische
Hilfe „Schau mal bei der
Ente!“
orienert F und fokussiert
aufgabenbezogen auf
die Ente. So gibt L in Ver-
bindung mit dem Zeigen
auf die Bildstelle einen
konkreten Impuls zum
Weiterdenken.
F: Hmhm (traurig)
L: Nicht? Hier? Sagst du,
dass das ferg ist?
Handlung: L nimmt einen
S in die Hand und zeigt
auf ein Bild auf Fs Bla.
F beantwortet die Frage
nicht, bleibt entmugt.
L beantwortet fragend
ihre vorher selbst gestellte
Frage; L zeigt erneut auf
die entsprechende Stelle
auf dem AB und fragt
F direkt („Sagst du…“)
evaluav, ob er Aufgabe
abgeschlossen hat.
kEL: L gibt zweite allge-
mein-strategische Hilfe
und fordert F auf, Rück-
meldung zu Bearbeitungs-
stand und Zielerreichung
der Aufgabe zu geben; L
bleibt zurückhaltend und
geduldig und bewertet
weder den Arbeitsstand
noch Fs Entmugung.
F: Nee. Nein da sind ja
noch welche da, aber ich
sehe keine mehr.
F antwortet, dass weitere
Aufgaben zu nden sein
müssten, er diese aber
nicht sehe; er wiederholt
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Transkriptauszug Detailbeschreibung funkonale Analyse
L: Du siehst keine mehr?
F: Ja. (traurig).
[andere SuS sprechen L
an; L antwortet kurz und
wendet sich wieder F zu.
L: Schau mal, wo, was ist
denn übrig? Wo hast du
noch nichts eingekreist?
Wo könnte denn noch
eine Plusaufgabe sein?
[andere SuS sprechen L
an; L antwortet kurz und
wendet sich wieder F zu.
damit sein eingangs ge-
äußertes Wahrnehmungs-
problem, aus einer bildlich
dargestellten Situaon
kogniv eine mathema-
sche Aufgabe zu bilden;
L fragt zurück, F bestägt
L fokussiert und ermugt
„Schau mal …“ und gibt
zwei weitere allgemein-
strategische Hilfen und
schließt mit einer Wdh.
der Aufgabenstellung
ohne diese anstelle des S
zu beantworten; Impuls
von L reicht nicht aus,
damit F weiterarbeitet.
s-eEL + mEL:
L bleibt zurückhaltend
und geduldig
kEL:
L gibt drie allgemein-
strategische Hilfe „Was ist
übrig? Wo ist noch nichts
eingekreist?“; damit
erkennt sie implizit die
bereits erledigten Teil-
leistungen an
L: Möchtest du was, äh
weitermachen, wenn
du sagst du bist ferg,
oder…?
Schau mal, fällt dir bei
den Blumen vielleicht was
auf?
F: Hmhm.
L fragt F, ob er an anderer
Aufgabe arbeiten möchte,
weil sie meint, er häe
gesagt, er sei ferg – was
er nicht gesagt hat. Ohne
Antwort von F abzuwarten
fordert L F verbal auf, auf
eine besmmte Stelle „bei
den Blumen“ auf dem AB
zu schauen; F verneint.
L erönet F eine Entschei-
dungsmöglichkeit auf der
movaonalen Ebene,
indem sie ihm anbietet
zu entscheiden, ob er zu
einer anderen Aufgabe
wechselt oder nicht.
L gibt eine vierte allge-
mein strategische Hilfe
L: Nicht? Soll ich dir mal
sagen, was mir da auällt?
F: Mhm.
L: Guck mal. Vier dunkle
Blumen und vier weiße
Blumen.
F: Oh!
L stellt F eine Entschei-
dungsfrage, ob sie ihm
helfen solle; F bejaht;
L überführt für F die bild-
liche Darstellung in eine
beschreibende, nicht-
mathemasche Sprache,
indem L „und“ sta „plus“
sagt. Sie gibt damit die
Lösung nicht vor. F äußert
mEL:
Mit ihrer Entscheidungs-
frage, überlässt L F die
Wahl der Unterstützung
kEL:
L gibt eine inhaltsorien-
erte strategische mini-
male Hilfe
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Transkriptauszug Detailbeschreibung funkonale Analyse
sein Erkennen in einem
freudigen, erleichterten
„Oh!“, das anzeigt, dass er
diese Hilfe als eine
anregende Hilfe erlebt.
L: Was ist das denn für
eine Aufgabe?
F: Das ähm (…) Das sind
verschiedene Blumen
aneinander.
Handlung: F hält mit einer
Hand den Tischrand fest
und mit der anderen
einen S.
L: Mhm. Genau! Und was
kannst du dazu für eine
Aufgabe machen?
L fordert F auf, aus ihrer
Formulierung Rückschlüs-
se zu ziehen und zu ver-
balisieren, um welche Art
einer mathemaschen
Aufgabe es sich handelt;
F beginnt zu antworten,
bricht ab und beschreibt
die Abbildung auf dem
AB, ohne die Frage von L
zu beantworten;
L quiert die Beschrei-
bung als richg, ohne die
unpassende Antwort auf
die gestellte Frage zu pro-
blemasieren. Stadessen
formuliert L ihre Frage
um, zu einer operaven
Frage, welche Art von Auf-
gabe F „dazu“ zu diesem
Bild bilden könne.
kEL:
Miels Frage gibt L eine
kogniv inhaltsorienert
strategische Hilfe
s-eEL, mEL + kEL:
L bleibt wertschätzend
und movierend und
verstärkt dann ihr Anlie-
gen durch eine alternav
formulierte Frage, die die
inhaltlich-kognive Ebene
adressiert
F: Ähm, ich ich ich
weiße Blumen, vier weiße
Blumen wachsen auf (…)
der Wiese, vier schwarze
Blumen wachsen auf der
(…)
L legt den S auf den
Tisch und steht wieder
auf. Sie stützt sich mit den
Händen auf ihre Knie ab.
[…]
L: Mhm. Und was macht
das für eine Plusaufgabe?
Gut, das war die Rechen-
geschichte, genau.
F überlegt und beginnt,
beginnt eine Erzählung
um die Abbildung zu
spinnen „wachsen“;
L quiert („Mhm“), un-
terstützt bzw. lenkt dann
durch ihre Frage nach der
Plusaufgabe F kogniv
und wendet sich dann
s-eEL, mEL + kEL:
L signalisiert Verständnis;
konkresiert und verstärkt
anschließend ihre kogni-
ve Unterstützung
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Transkriptauszug Detailbeschreibung funkonale Analyse
erneut der Erzählung von
F zu, und gibt F Rück -
meldung, dass dies eine
Rechengeschichte sei.
F: Vier weiße Blumen (…)
und die schwarzen
L: Mhm. Und was
schreibst du dann auf?
Handlung: L zeigt auf
Fs AB.
F: Vier weiße (…) auf der
Wiese gleich acht.
Handlung: L richtet sich
auf.
L: Mhm. Genau.
F nennt die richge
Rechenaufgabe;
L leitet den Schüler durch
ihre Frage „Und was
schreibst du dann auf?“
weiter an. Durch Aufzei-
gen auf dem AB erfragt sie
die richge Lösung und
gibt F abschließend eine
posive Rückmeldung.
kEL + mEL:
L bestägt die richge
Lösung „Mhm“, nalisiert
den Arbeitsprozess und
gibt F ein posives Feed-
back „Mhm. Genau“ zur
richg benannten Auf-
gabe.
Die Intervenon erfolgt im gewählten Fallbeispiel durch eine Lernbe-
ratung in Form der „Bewälgung konkreter inhaltsbezogener Prob-
lemstellungen im Unterricht“ (Schnebel, 2013, S. 285).
In der funkonalen Analyse lassen sich alle drei Ebenen der beratungs-
bezogenen Tägkeiten der Lehrperson (vgl. Tab. 1) idenzieren. Die
Intervenon erfolgt kleinschrig und schülerorienert, wobei es zu
keiner Bewertung der Aufgabe und der Aussagen des Schülers kommt.
Immer wieder erönet die angehende Lehrperson dem Schüler Ent-
scheidungsspielräume, die sein Autonomieerleben und seine Mo-
vaon stärken. Sie bleibt geduldig und zurückhaltend und verwickelt
den Schüler über oene Fragen und gezielte Impulse in eine kon-
nuierliche Aufgabenbearbeitung. Darin werden Momente der Wert-
schätzung und Empathie als Grundlagen einer non-direkven Grund-
haltung deutlich. Es gelingt der Lehrperson, die Aufmerksamkeit des
Schülers in der inhaltlichen Bearbeitung der Rechenaufgabe bis zur
Finalisierung zu erhalten. Durch die verstärkte Nutzung minimaler
strategischer ansta inhaltlicher Hilfen können beim Schüler immer
wieder eigenständige nächste Lösungsschrie angeregt werden. Der
Anteil der Lehrperson an der gemeinsamen, aber in komplementären
Rollen sich zeigende Verantwortung liegt primär auf der movaona-
len und sozial-emoonalen Ebene, nicht auf der inhaltlichen. Das Lö-
sen der Aufgabe wird über weiterführende Impulse und nicht durch
Anweisungen und Erklärungen gegeben, so dass der Schüler in seiner
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Suche nach Lösungen unterstützt wird. In den Äußerungen der Lehr-
person lassen sich beratungsbezogene Impulse auf der kogniven, der
sozial-emoonalen und der movaonalen Ebene erkennen.
Diskussion und Ausblick
Die analysierte Sequenz zeigt auf, welche beratenden Momente in
einer kurzen L-S-Interakon idenzierbar sind und wie diese zu ei-
nem Abschluss eines Denk- und Arbeitsprozesses führen. Darin spie-
gelt sich, wie sich die Studenn über beratende Intervenonen auf
unterschiedlichen Ebenen mit der Entwicklungsaufgabe der adressa-
tenbezogenen Vermilung (Keller-Schneider, 2020) auseinandersetzt,
welche durch den Adressatenbezug eine begleitende und beratende
Komponente beinhaltet. Es darf allerdings nicht übersehen werden,
dass die Lernsituaon „Bewälgung konkreter inhaltsbezogener Pro-
blemstellungen“ (Schnebel, 2013, S. 285) strukturelle Momente ent-
hält, die einer rein beratenden Intervenon entgegenstehen (Schne-
bel, 2019a). So ist die Bearbeitung der Situaon aus der Perspekve
der Lehrperson nicht ergebnisoen. Dies löst die Lehrperson, indem
sie dem Schüler die Wahl lässt, weiter an der Problemlösung zu ar-
beiten. Nachdem sich der Schüler dafür entschieden hat, ist das Ziel
vorgegeben und die Oenheit der Lösungsmöglichkeiten durch die
Aufgabenstellung begrenzt. Der inhaltlichen Eindeugkeit, die einer
lösungsoenen beratenden Interakon entgegenstehen, wird da-
durch begegnet, dass die Lehrperson stärker mit strategischen und
strukturierenden Intervenonen agiert, die dem Schüler Spielräume
für eigene kognive Schrie ermöglichen.
Oen bleibt dabei, wie o sich solche lernfördernden Sequenzen zei-
gen und inwiefern von subjekven Sichtweisen und unbewussten,
lernbegleitungsbezogene Überzeugungen geprägte Unterschiede zwi-
schen den (angehenden) Lehrpersonen bestehen, welche als implizi-
tes Wissen auf die Handlungen einwirken (Keller-Schneider, Janssen &
Wiedenhorn, 2022 i. V.). Diese Frage wird in einem nächsten Schri
untersucht.
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Stefanie Schnebel et al.
jlb no. 2/2022  hps://doi.org/10.35468/jlb-02-2022-07
Stefanie Schnebel, Dr., Professorin
an der Pädagogischen Hochschule Weingarten.
Arbeitsschwerpunkte:
Unterrichts- und Lehrerbildungsforschung,
Beratung in Schule
schnebel@ph-weingarten.de
Markus Janssen, akademischer Mitarbeiter
an der Pädagogischen Hochschule Weingarten.
Arbeitsschwerpunkte:
Schulprakka in der Lehrerbildungsforschung,
qualitave Forschungsmethoden
janssen@ph-weingarten.de
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Thomas Wiedenhorn, Dr., Akademischer Rat
an der Pädagogischen Hochschule Weingarten.
Arbeitsschwerpunkte:
Porolioarbeit,
historische Bildungsforschung,
Unterrichts- und Lehrerbildungsforschung
wiedenhorn@ph-weingarten.de
Manuela Keller-Schneider, Dr., Professorin
an der Pädagogischen Hochschule Zürich.
Arbeitsschwerpunkte:
Professions- und Lehrerbildungsforschung;
Beratung von Lehrpersonen
m.keller-schneider@phzh.ch
Beratung im schulischen Kontext 
journal für lehrerInnenbildung no. 2/2022 22. Jahrgang
Beratung im schulischen Kontext
journal für lehrerInnenbildung 
no. 2/2022
EDITORIAL
BEITRÄGE
01
Lehrer*innenemotionen und deren Regulation in der Elternberatung
02
Wo sehen Lehrkräfte Bedarf hinsichtlich ihrer Professionalisierung?
Spannungsfelder in der Elternberatung
03
Förderung von motivierenden Gesprächsstrategien im Elterngespräch.
Workshop für Lehrkräfte und Studierende
04
Beratungskompetenzen für Inklusion iterativ entwickeln.
Spiralcurriculum konkret!
05
Elterngespräche im Kontext von Mehrsprachigkeit
aus Sicht von Berufseinsteiger*innen
06
Beratungskompetenz von Lehrkräften bei hoher Begabung.
Operationalisierung und Struktur
07
Beratungsbezogenes Handeln in der Lernunterstützung
08
Lernberatung in Lernentwicklungsgesprächen.
Wie werden Schüler*innen eingebunden?
STICHWORT
09
Sprachlernberatung im schulischen Kontext.
Förderung der Kompetenzen im Lehramt
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journal für lehrerInnenbildung no. 2/2022 Beratung im schulischen Kontext
ISSN 1681-7028
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Chapter
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Book
School adoption is an innovative partnership model in teacher education which offers unique opportunities for in-service and pre-service teachers. At its core, teachers leave their school to be adopted by student teachers for one week. While the teachers engage in a professional development course outside the school, they are fully substituted by student teachers, who thus have an increased responsibility for the pupils’ learning, for the organizational matters of the school and for their own professional development. In this volume, we present different international concepts of school adoption, lessons learned, and first theoretical considerations. With it, we invite teacher educators in schools, universities, and other institutions to engage into a dialogue about the perspectives school adoption offers for teacher education and teacher education research.
Article
Untersuchungen zur Lehrer-Schüler-Beziehung haben eine lange Tradition in der psychologischen Forschung. Dabei haben bisherige Ansätze gezeigt, dass es sich bei der Lehrer-Schüler-Beziehung um ein multidimensionales und dynamisches Konstrukt handelt, das -- je nach theoretischer Ausrichtung -- sehr unterschiedlich konzeptualisiert wird. Im vorliegenden Übersichtsartikel werden drei gängige theoretische Ansätze (Erziehungsstilforschung, Bindungstheorie und Selbstbestimmungstheorie) vorgestellt und kritisch diskutiert, mit dem Ziel Potenziale und Defizite zu identifizieren, anhand derer sich Forschungsdesiderate ableiten lassen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass je nach theoretischer Ausrichtung unterschiedliche Aspekte der Lehrer-Schüler-Beziehung empirisch fokussiert werden, was eine Vergleichbarkeit der verschiedenen Forschungsergebnisse maßgeblich erschwert. Schließlich gilt es der Komplexität der Lehrer-Schüler-Beziehung theoretisch und empirisch besser gerecht zu werden, um spezifischere Implikationen für die Lehrerbildung und Schulpraxis generieren zu können.
Chapter
Die Optimierung von Erziehungs- und Unterrichtsprozessen ist seit den Anfängen der Pädagogik und später dann der (Pädagogischen) Psychologie als der jüngeren Wissenschaft immer ein zentrales Thema gewesen. Je nach Zeitgeist bzw. vorherrschendem Welt- und Menschenbild hat es zwar durchaus unterschiedliche Ansichten darüber gegeben, welche Erziehungs- und Unterrichtsziele (für die Unterscheidung in normative, präskriptive, deskriptive und prozessuale s. Fuhrer, 2005) erreicht werden sollen, das wissenschaftliche Interesse galt aber stets der Frage, wie sich diese Ziele erreichen lassen.
Article
In this article, findings from case study research of two effective literacy teachers are presented in order to describe in rich detail the nature of effective scaffolding. The teachers worked one-to-one with first-grade students who were experiencing extreme difficulty in learning to read. The complexity of scaffolding is described in terms of the instructional decisions that teachers must make on a moment-by-moment basis about the kind of help (what to work on) and level or amount of help to provide at points of difficulty during reading.
On Teaching Adaptivly
  • L Corno
Corno, L. (2008). On Teaching Adaptivly. Educational Psychologist, 43 (3), 161-173.
Entwicklungsaufgaben im Berufseinstieg von Lehrpersonen (2., überarb. u. erw
  • M Keller-Schneider
Keller-Schneider, M. (2020). Entwicklungsaufgaben im Berufseinstieg von Lehrpersonen (2., überarb. u. erw. Aufl.) Münster: Waxmann.
Das Verständnis von Unterricht und der Rolle der Lehrperson von Lehramtsstudierenden in eigenverantwortetem Unterricht
  • M Keller-Schneider
  • M Janssen
  • T Wiedenhorn
Keller-Schneider, M., Janssen, M. & Wiedenhorn, T. (2022 i. V.). Das Verständnis von Unterricht und der Rolle der Lehrperson von Lehramtsstudierenden in eigenverantwortetem Unterricht. Empirische Pädagogik, 15 (1).