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Mensch-Tier-Verhältnis: Ergebnisse und Positionen aus einem studentischen Kurs

Authors:
Mensch-Tier-Verhältnis
Ergebnisse und Positionen aus einem
studentischen Kurs
Theresa Sophie Busse, Jan P. Ehlers, Tonja Kochanek,
Julia Nitsche, Michaela Zupanic (Hrsg.)
2
Inhaltsverzeichnis
Ein persönliches Vorwort ....................................................................................................... 6
1. Der Kurs Mensch-Tier-Verhältnis ................................................................................... 8
2. Heimtierhaltung .............................................................................................................11
Einleitung ..........................................................................................................................11
Hintergrund .......................................................................................................................11
EXOPET-I-Studie ..............................................................................................................12
Exotische Tiere im Handel ................................................................................................13
Qualzuchten .....................................................................................................................14
Illegaler Welpenhandel .....................................................................................................14
Heimtiere und Klima ..........................................................................................................15
Tierrechtsbewegung .........................................................................................................16
Literatur ............................................................................................................................16
3. Zoos und Tierparks für Tierschutz und Arterhaltung? ....................................................18
Geschichte ........................................................................................................................18
Arten von Zoos .................................................................................................................18
Wofür gibt es Zoos? ..........................................................................................................19
Vorteile und Nachteile .......................................................................................................20
Beispiele ...........................................................................................................................20
Weiterführende Fragen .....................................................................................................22
Literatur ............................................................................................................................22
4. Tiere in unserer Sprache ...............................................................................................23
Schimpfen und Beschimpfen ............................................................................................23
Tiere als Schimpfworte .....................................................................................................24
Speziesismus....................................................................................................................26
Einfluss unserer Sprache ..................................................................................................27
Literatur ............................................................................................................................27
5. Meat Paradox ................................................................................................................29
Was ist das Meat Paradox? ..............................................................................................29
3
Strategien zur Dissonanzreduktion ...................................................................................29
Unterschiede moralischen Denkens von Omnivor:innen und Nicht-Omnivor:innen ...........32
Studie zum Thema Fleischkonsum und Gesundheit .........................................................33
Literatur ............................................................................................................................35
6. Diskrepanz in der Behandlung verschiedener Tiere ......................................................37
Begriffserläuterung ...........................................................................................................37
Historie .............................................................................................................................38
Vergleich auf internationaler, kultureller Ebene .................................................................39
Vergleich Hund und Schwein ............................................................................................40
a. Studienlage ............................................................................................................41
Psychologische Hintergründe der unterschiedlichen Behandlungsweisen sowie des
Fleischkonsums ................................................................................................................42
a. Historische Analyse ................................................................................................42
b. Kulturelle Analyse Psychologische Phänomen ....................................................44
Literatur ............................................................................................................................45
7. Tierhaltung und Klimaschutz .........................................................................................48
Einleitung ..........................................................................................................................48
Tierhaltung ........................................................................................................................49
a. Rinderhaltung .........................................................................................................49
b. Hühnerhaltung ........................................................................................................51
c. Schweinehaltung ....................................................................................................52
d. Fischfang und Fischzucht .......................................................................................53
e. Monokulturen .........................................................................................................54
Umweltsiegel ....................................................................................................................56
a. Ökosiegel ...............................................................................................................56
b. Umweltsiegel ..........................................................................................................57
Resümee ..........................................................................................................................57
Literatur ............................................................................................................................58
8. Tierquälerei ...................................................................................................................61
4
Einleitung ..........................................................................................................................61
Definition von Tierquälerei ................................................................................................61
Rechtssprechung ..............................................................................................................62
Betrachtung aus Perspektive der Psychologie ..................................................................63
Resümee ..........................................................................................................................65
Literatur ............................................................................................................................66
9. In-vitro-Fleisch eine Perspektive für Carnivoren? .......................................................68
„Ein alter Hut“ – Ein Resümee von der Idee bis zum Produkt ............................................68
Tierleidfreies Fleisch oder doch nicht? Herstellung von IVF ...........................................69
“42”? Potenziale und Schattenseite von IVF .....................................................................70
Wozu das Ganze? Notwendigkeit von IVF und gesellschaftliche Akzeptanz .....................72
Fazit ..................................................................................................................................74
Literatur ............................................................................................................................75
Weiterführende Links ........................................................................................................78
10. Tiere und Emotionen..................................................................................................79
Warum eigentlich? ............................................................................................................79
Neuronale Ebene ..............................................................................................................79
Verhaltensebene ...............................................................................................................80
Subjektive Ebene ..............................................................................................................83
Gesetzgebung ..................................................................................................................85
Mediale Präsenz ...............................................................................................................85
Literatur ............................................................................................................................86
11. Tiere in Dienstverhältnissen .......................................................................................88
Arbeitstiere .......................................................................................................................88
Assistenzhünd:innen .........................................................................................................88
Therapietiere.....................................................................................................................89
Tiere bei Militär und Polizei ...............................................................................................92
Tiere zu Personensuche und Rettung ...............................................................................93
Fazit ..................................................................................................................................93
5
Literatur ............................................................................................................................94
12. Placeboeffekt Gibt es den auch bei Tieren? ............................................................96
Literatur .......................................................................................................................... 101
13. Epilog ...................................................................................................................... 103
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Umfrage mit den Studierenden „Wofür gibt es Zoos?“ .....................................20
Abbildung 2: Tierische Schimpfworte Klasse 8 einer Förderschule .......................................26
Abbildung 3: Vergleich der Emissionen verschiedener Lebensmittel und Verkehrsmittel ......50
Abbildung 4: Das magische Dreieck Setting in der tiergestützten Therapie .......................91
6
Ein persönliches Vorwort
Jan P. Ehlers
Ich bin Tierarzt und damit laut Berufsordnung
1
der „berufene Schützer der Tiere“. Aber ich
hatte im Studium Fächer wie „Tierproduktion“, habe männliche Ferkel ohne Narkose kastriert
und am Schlachthof mal ein bis zwei Augen zugedrückt. Das habe ich auch gar nicht hinter-
fragt. Es war ja irgendwie klar, dass in der Kleintierpraxis die Patient:innen oft Familienmitglie-
der sind, in der Pferdepraxis Freund:innen, Wertanlage oder Statussymbol und in der Groß-
tierpraxis eben einfach Lebensmittellieferant:innen. Daher hat sich irgendjemand mal das un-
sägliche Wort „Nutztiere“ ausgedacht.
Und dann habe ich etwas getan, was in vielerlei Hinsicht mein Leben verändert hat. Ich habe
geheiratet. Eine Tierärztin. Die tollste Frau, die ich mir nur wünschen könnte, aber Vegetarie-
rin. Das passte wenig in meine Welt als fleischessender Tierarzt. Also haben wir unheimlich
viel über Ernährung diskutiert. Und irgendwann hatte ich meine Diskussion klar: Was für einen
Sinn macht es, auf Fleisch und Fisch zu verzichten, wenn doch durch den Eier- und Milchpro-
duktekonsum die Fleischindustrie genauso unterstützt werden. Kühe geben nur Milch, wenn
sie ein Kalb geboren haben. Diese Kälber gehen dann wieder in die Fleischproduktion. Gute
Argumentationskette, dagegen konnte sie nicht argumentieren. Doch der Erfolg war ein ande-
rer als gedacht. Während ich den Grill anfeuerte, da ich dachte, jetzt stehe dem gemeinsamen
Steakkonsum nichts mehr im Wege, war ich plötzlich mit einer Veganerin verheiratet. Also
alles wieder auf null. Nächtelange Diskussionen über Tierethik, Klimawandel, Welthunger,
Tierleid, gesunde Ernährung. Und ich habe keinen Stich mehr gesehen. Kein sinnvolles Argu-
ment für den Fleischkonsum außer vielleicht Geschmack und „war schon immer so“. Letzteres
hat mich am meisten an mir geärgert. Immer überall nach Innovationen gesucht und dann mit
traditionellem Verhalten argumentiert. Ärgerlich. Also kam der Entschluss, ich probiere es mal
unverbindlich zwei Wochen ohne tierische Produkte aus. Das lief so gut, dass ich jetzt seit 14
Jahren vegan lebe. Wenn man sich einmal vom „war schon immer so“ getrennt hat, fällt es
schwer, weiter nachzuvollziehen, warum Menschen im 21. Jahrhundert an der Tradition des
Fleischessens festhalten, die neben den Auswirkungen auf die Umwelt so viel Leid bei Tieren
erzeugt. Sehr eindrucksvoll hat Edgar Kupfer-Koberwitz (ehemaliger Häftling im KZ Dachau
und Autor der „Dachauer Tagebücher“) dies in seinem Buch „Die Tierbrüder“ formuliert: „Ich
weigere mich, Tiere zu essen, weil ich mich nicht von den Leiden und vom Tod anderer Lebe-
wesen ernähren kann. Ich weigere mich, dies zu tun, weil ich selbst so schmerzlich gelitten
habe, dass ich den Schmerz anderer fühle, indem ich mich meiner eigenen Leiden erinnere.“
1
Berufsordnung der Tierärztekammer Westfalen-Lippe vom 14. November 2007, letzte Änderungen vom
31. Oktober 2018 (DTBl. 12/2018 S. 1702)
7
Und es bleibt die Frage, was ich persönlich tun kann, um andere zu unterstützen, sich selbst
Gedanken um ihr Verhältnis zu Tieren zu machen und bewusste Entscheidungen zu treffen.
Als ich später Vizepräsident der Universität Witten/Herdecke wurde, hatte ich ein langes Ge-
spräch mit dem Kulturdezernenten der Universität. Wir haben über Zukunft der Hochschulen,
Digitalisierung, Gemeinsamkeiten von Tier- und Humanmedizin und vieles andere gespro-
chen. Doch als er mich einlud, an der Bürgeruni Witten einen Vortrag zu halten, hatte sich nur
eins bei ihm eingeprägt: Da ist ein veganer Tierarzt. Zum ersten Mal durfte ich einen Vortrag
zu Mensch-Tier-Beziehungen halten. Der erste in einer mittlerweile langen Reihe von Vorträ-
gen, Interviews und Aufträgen. Und auf einmal hatte ich meine Rolle als „berufener Schützer
der Tiere“ weit weg von der tierärztlichen Praxis gefunden.
Das große Glück im Leben sind die Begegnungen. Und mein großes Glück ist, am Lehrstuhl
tolle Kolleginnen zu haben, die sich für das gleiche Thema begeistern und sich mit mir auf das
Wagnis einen Kurs „Mensch-Tier-Verhältnis“ an der Uni anzubieten eingelassen haben. Wir
haben mindestens so begeisterte Studierende gefunden, mit denen wir dieses Buch gestaltet
haben. Vielen Dank allen Beteiligten.
Lassen Sie sich von diesem Buch zum Nachdenken anregen. Machen Sie nichts, weil „es
immer so war“, sondern machen Sie sich Ihre eigenen Gedanken und finden Sie eigene Lö-
sungen für sich. Entscheiden Sie sich bewusst für Ihren eigenen Weg.
8
1. Der Kurs Mensch-Tier-Verhältnis
Theresa Sophie Busse, Jan P. Ehlers, Tonja Kochanek, Julia Nitsche, Michaela Zupanic
Im Sommersemester 2021 haben wir den Kurs zum ersten Mal im Studium fundamentale
(StuFu) der Universität Witten/Herdecke angeboten. Das StuFu hat einen Umfang von 10% in
allen Studiengängen an unserer Universität und damit auch eine identitätsstiftende Funktion.
Jeder Donnerstag ist nur für Kurse aus dem StuFu reserviert. Studierende aller Fachrichtun-
gen belegen hierbei zusammen Veranstaltungen, die individuell aus einem Angebot von über
100 Kursen gewählt werden. In diesen gemeinsamen Kursen haben sie die Möglichkeit ihre
eigene Fachlichkeit in anderen Disziplinen zu reflektieren, gemeinsame Sprache und Prob-
lemlösungen zu finden sowie ihren persönlichen Interessen nachzugehen.
Unsicher über das Interesse der Studierenden gaben wir im Sommersemester 2021 zunächst
eine maximale Teilnehmendenzahl von 24 vor, die wir dann aber im Zuge von über 200 An-
meldungen auf 50 Studierende erhöhten. Zudem kündigten wir eine Wiederholung für das fol-
gende Wintersemester an. Der Umfang der Teilnahme am Kurs betrug zwei ECTS. Zwei wei-
tere ECTS konnten durch eine „Independent Study“ erworben werden. Das war in diesem Fall
das Schreiben eines eigenen Kapitels für dieses Buch.
In der ersten Sitzung des Kurses haben wir die Studierenden, die sich bunt aus allen Studien-
gängen der Universität zusammensetzten, zuerst inhaltliche Schwerpunkte sammeln lassen,
die sie im Rahmen des Kursthemas interessieren. Danach haben sich Gruppen von zwei bis
sechs Studierenden gebildet, die sich jeweils einzelnen Schwerpunkten angenommen haben.
Ihr Aufgabe war es, jeweils betreut durch eine:n Dozent:in durch ausführliche Recherche zu
Expert:innen des Themas zu werden und dann jeweils einen der wöchentlichen 90 minütigen
Kurstermine zu organisieren und durchzuführen. Der erste Termin wurde von den Dozierenden
übernommen, die sich zwei der noch nicht betreuten Themen aussuchten, um den Studieren-
den etwas mehr Zeit für die Recherche zu schaffen.
Wir waren nicht nur über die Vielfalt der Themen (s. Tabelle 1: Ausgewählte Themen im StuFu-
Kurs „Mensch-Tier-Verhältnis“Tabelle 1) überrascht, sondern auch über das Engagement der
Studierenden, die sich tief in Literatur, Quellen und Videos vergraben haben, um großartige
und auch sehr nahegehende Lerneinheiten zu gestalten. Neben der Qualität der vermittelten
Fakten und der angefertigten Präsentationen inklusive Umfragen, Videobeispielen und Grup-
penaufgaben war vor allem die Qualität der Reflexion über den menschlichen Umgang mit
Tieren und die eigene Rolle dabei sehr beeindruckend. Auch schwierige Themen wurden ge-
meinsam erarbeitet und dabei stets darauf geachtet, niemanden zu überfordern. Wir haben
9
gemeinsam erlebt, wie kurz 90 Minuten sind und hätten oft noch lange weiter diskutieren kön-
nen. In kleinen Gruppen haben wir sogar oft nach den Veranstaltungen das Thema weiterbe-
wegt und vor allem viel gelernt.
Wir wollen aber auch nicht verschweigen, dass es in dem Kurs auch eine gefährliche Klippe
gab, die wir erst spät bemerkten und dann mit aller Anstrengung bewältigen mussten. In die-
sem Kurs sammelten sich viele Menschen, die sich vegan ernährten. Normalerweise befinden
sie sich in der Gesellschaft in der Minderheit und müssen sich für ihre „abweichende Ernäh-
rungsweise“ oft rechtfertigen. Die in diesem Kurs jedoch bestehende Mehrheit der Veganer:in-
nen, sorgte bei anderen Teilnehmenden jedoch teilweise für einen Rechtfertigungsdruck, wa-
rum sie Fleisch oder tierische Produkte en. Das führte zunächst zu einer Verschärfung der
Diskussionskultur. Erst ein gemeinsames Besprechen dieses Umstandes hat geholfen, Dis-
kussionen sachlich zu führen, voneinander zu lernen und sowohl ohne Diffamierungen als
auch ohne Whataboutism auszukommen.
Obwohl wir diesen Kurs während der COVID-19-Pandemie rein online via Zoom durchgeführt
haben, ist eine gute Gemeinschaft entstanden, in der auch privates, wie Austausch über die
eigene Tierhaltung oder vegane Rezepte genauso entstanden ist, wie sehr intime Berichte
über die eigenen Lebensgeschichten und (tierethischen) Ansichten.
In dem Kurs haben alle (inklusive uns Dozierenden) viel über das Mensch-Tier-Verhältnis ge-
lernt. Aber wir haben auch viel über uns als Gemeinschaft und uns als Individuum gelernt.
Alexander von Humboldt wird das Zitat zugewiesen „Grausamkeit gegen die Tiere kann weder
bei wahrer Bildung noch wahrer Gelehrsamkeit bestehen. Daher hoffen wir, mit einem Bil-
dungsangebot etwas für ein positives Mensch-Tier-Verhältnis beitragen zu können, sei es mit
dem Kurs oder den daraus entstandenen und hier vorliegenden Materialien. Ebenfalls von
Humboldt war es, der sagte Nichts auf der Welt ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit ge-
kommen ist.“ Gemeinsam arbeiten wir daran, dass die Zeit für eine gerechte Tierethik kommt.
Tabelle 1: Ausgewählte Themen im StuFu-Kurs „Mensch-Tier-Verhältnis“
Sommersemester 2021
Wintersemester 2021/2022
Placebo Effekt bei Tieren
Euthanasie
Tiere als Schimpfworte
Tiere als Besitz
Diskrepanz in der Behandlung verschiede-
ner Tiere
Unterschied der Tierhaltung in verschiede-
nen Kulturen
Tierversuche und Mensch-Affen Chimäre
Tiere als Familienmitglied
Meat Paradox
Vegane Ernährung im Krankenhaus
Tiere und Emotionen
Tiergestützte Therapie
10
Tierquälerei, Unterschiede Mensch/Tier, Ge-
setzgebung, Kind-Tier Beziehung
Tiere und Angstpatient:innen
Zoos/Tierparks und Tierschutz/Artenerhalt,
Hundehaltung
Zoophilie
Tiergestützte Therapie im Gesundheitswe-
sen, Tiere mit Jobs
Lernen mit Tieren (Bürohund)
Laborgezüchtetes Fleisch: Perspektive, Mo-
ral, Notwendigkeit?
Tierzucht und Überzüchtung
Tierhaltung und Auswirkungen aufs Klima
Artgerechte vegetarische Ernährung
11
2. Heimtierhaltung
Theresa Sophie Busse, Julia Nitsche
Einleitung
Heimtiere spielen im Leben vieler Menschen eine entscheidende Rolle. So können Hunde in
manchen Familien als Familienmitglied wahrgenommen werden. Doch bei all der Zuneigung,
die mit Heimtieren einher geht, gibt es auch viele Bereiche, die kritisch zu beleuchten sind. Im
folgenden Kapitel wird betrachtet, wie es zur Heimtierhaltung geschichtlich kam, wie Tiere der-
zeit gehalten werden und wie Handel und Zucht sich auf Tiere auswirken. Außerdem werden
mögliche Auswirkungen der Heimtierhaltung auf das Klime betrachtet. Das Kapitel schließt mit
einer philosophischen Betrachtung der Heimtierhaltung. Aufgrund des breiten Spektrums der
Thematik werden hierbei einzelne Tiere oder verwandte Tierarten in den Fokus genommen,
um exemplarisch die Herausforderungen aufzuzeigen.
Hintergrund
Heimtiere bezeichnet im Folgenden Tiere, die mit Menschen zusammen im selben Haus oder
in derselben Wohnung leben. Dazu zählen domestizierte Tiere, wie etwa Hunde sowie nicht
domestizierte Tiere, wie etwa Schlangen. Sie sind damit abzugrenzen von Haustieren, die
entgegen der umgangssprachlichen Nutzung des Begriffs alle domestizierten Tierarten um-
fassen, sowohl Nutztiere als auch Heimtiere. Nutztiere sind Tiere, deren Arbeitsleistung Men-
schen unterstützt oder die durch die Produktion eines Produktes einen Zweck erfüllen (Kunz-
mann, 2018).
Das Tier, das in längster Generation als Heimtier des Menschen gilt, ist der Hund (Bräuer &
Kaminski, 2020). Bis heute ist nicht vollständig geklärt, wie genau vor 35.000 40.000 Jahren
die Domestizierung aus dem Wolf erfolgt ist. Dies könnte durch die Nähe zu Menschen als
Schutz vor Feinden oder aber auch zur Sicherung des Futters erfolgt sein. Aus Perspektive
der Menschen wurde die Tiere vermutlich geduldet, da Wölfe soziale Lebewesen sind und
auch über kommunikative Fähigkeiten verfügen. Auch die Menschen profitierten von der Do-
mestizierung, sowohl durch die Zug- und Trageleistung der Wölfe, als auch durch die Unter-
stützung bei der Jagd. Zudem konnten Wölfe vor Feinden warnen, gegebenenfalls vertreiben
und sogar hilfreich sein, da sie Kot (der Babys und Kleinkinder) fraßen ein nicht zu verach-
tender Vorteil in einer Zeit, bevor es Windeln gab (Bräuer & Kaminski, 2020).
Im Laufe der Zeit haben sich unsere Wünsche gegenüber Heimtieren verändert. Während
manche Menschen Tiere noch zum ursprünglichen Zweck z. B. des Schutzes halten, wün-
schen sich viele Heimtierhalter:innen vor allem Unterhaltung oder Gesellschaft von ihren Tie-
12
ren. Heimtiere werden außerdem zum Sport gehalten oder aus Prestige-Gründen. Zudem er-
folgt der Einsatz als Erziehungshilfe durch Menschen, die ihr Heimtiere vor allem der Kinder
wegen halten. Im Gegensatz hierzu haben Heimtiere ihre Wünsche im Laufe der Zeit nur be-
dingt angepasst. Sie wünschen sich vor allem Sozialkontakte mit ihren Artgenossen, eine be-
darfsdeckende Ernährung und eine artgerechte Haltung. Häufig werden diese Bedarfe durch
Menschen aufgrund der zunehmenden Vermenschlichung nicht wahrgenommen und erfüllt.
Dies führt zu ungenügenden Rückzugsmöglichkeiten oder mangelnden Beschäftigungsange-
boten (Kunzmann, 2018).
EXOPET-I-Studie
Neben Hunden gibt es jedoch noch viele andere Tiere, die als Heimtiere gehalten werden. Im
Rahmen der EXOPET-I-Studie wurde die Haltung von Säugetieren mit Ausnahme von Hunden
und Katzen näher untersucht. Im Rahmen einer Onlinebefragung wurden verschiedene Para-
meter erhoben neben soziodemographischen Daten, zum einen die Informationsquellen, die
Teilnehmende nutzten, um sich über die Haltung ihrer Tiere zu informieren, zum anderen die
Bewertung der eigenen Haltungsbedingungen. Bei einem Rücklauf von 2939 Fragebögen nah-
men Halter:innen von 136 Tierarten und -unterarten aus 40 verschiedenen Säugetierfamilien
teil. Dies umfasste beispielsweise Kaninchen, Meerschweinchen, (Iltis-)Frettchen, Degus,
Farbmäuse, Farbratten, Weißbauchigel, Goldhamster, Chinchillas und mongolische Renn-
mäuse. Während 73,8% der Befragten angaben, sich vor der Tieranschaffung über die Hal-
tungsbedingungen informiert zu haben zeigte sich dennoch, dass viele Tiere nicht artgerecht
gehalten wurden: Halter:innen gaben bei 69,8% der Weißbauchigel und 62,5% der Chinchillas
Haltungseinheiten an, die zu klein für die Tiere waren. Fehlendes Beschäftigungsmaterial
konnte bei 42,5% der (Iltis-)Frettchen, 23% der Farbratten und 22,6% der Degus basierend
auf den Aussagen der Halter:innen festgehalten werden (Bläske et al., 2018). Dies zeigt auf,
dass trotz erfolgter Information über die Haltungsbedingungen keine artgerechte Haltung si-
chergestellt ist. Zudem kann vermutet werden, dass die Halter:innen es vermieden hätten,
bewusst falsche Haltungsbedingungen im Rahmen einer solchen Studie anzugeben und diese
eher verschwiegen hätten. Wahrscheinich waren die Heimtierhalter:innen der Überzeugung,
dass die Haltung den Notwendigkeiten für eine artgerechte Haltung entspricht. Die Information
über die Haltungsbedingungen erfolgte bei 58,8% der Teilnehmenden via Internet. Von denen,
die sich über das Internet informierten, empfanden es73,3% als sehr hilfreich. Weitere Infor-
mationsquellen der Teilnehmenden waren Züchter:innen, Vereine, Tierärzt:innen, Bücher, Zu-
gehörige, Tierbörsen und -märkte sowie der Fachhandel (Bläske et al., 2018). Die Studie be-
trachtete zudem die Möglichkeit des Sachkundeausweises. Dieser wird nach einem Sachkun-
delehrgang mit Prüfung unter Aufsicht eines Amtsveterinärs vergeben. Derzeit ist dies nur für
in bestimmten Bereichen vorgeschrieben (§11 Tierschutzgesetz):
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Gewerbsmäßige Zucht und Haltung von Heimtieren
Tierheime und ähnliche Einrichtungen (Auffangstationen)
Gewerbsmäßiger Handel
Gewerbsmäßige Zurschaustellung
Zoologische Gärten
Gewerbsmäßige tiergestützte Aktivitäten
Die Autor:innen der EXOPET-I-Studie vermuteten, dass ein Sachkundeausweis helfen könnte
die Bedingungen zu verbessern. Es zeigten jedoch nur 48,5% der Teilnehmenden ohne Sach-
kundeausweis die Bereitschaft diesen abzulegen, wenn er vorgeschrieben wäre. Aus der Stu-
die ging jedoch nicht hervor, wie viele Teilnehmende einen Sachkundeausweis hatte, (Bläske
et al., 2018).
Exotische Tiere im Handel
Ein Bereich, der in der EXOPET-I-Studie trotz der großen Zahl exotischer Tiere nicht berück-
sichtigt wurde, ist der Artenschutz. In den letzten Jahren hat die Popularität von Reptilien und
Amphibien im Heimtierhandel stetig zugenommen (Hughes, 2017). Einige der Arten werden
regelmäßig nachgezüchtet, andere stammen jedoch aus freier Wildbahn. Diese Entfernung
von bevorzugt erwachsenen Weibchen aus ihrem natürlichen Lebensraum führt zu einer Be-
drohung der Wildtierbestände (Altherr, 2014). Doch hier enden die negativen Auswirkungen
nicht. Der Import von Wildtieren kann auch zur Dezimierung heimischer Arten führen. So wur-
den lebende Molche und Salamander aus Asien nach Europa importiert und führten einen
Hautpilz mit ein, der die in Europa heimischen Schwanzlurche infizierte und zum Tod führte
(Martel et al., 2014). Um diese Prozesse zu verringern, wurde die Convention on International
Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora (CITES) gegründet. Sie schützt unter
anderem 5.800 Tierarten, indem sie bei akuter Bedrohung und Gefährdung durch den Handel
den kommerziellen Handel verbietet (CITES, 2019).
Doch trotz der Arbeit zur Verringerung des Handels exotischer Tiere bestehen weiter viele
Plattformen, auf denen Tiere angeboten und verkauft werden. Im Rahmen einer sechsmona-
tigen qualitativen Analyse von fünf Online-Plattformen und zehn Facebook-Gruppen konnte
festgestellt werden, dass 100.343 Tiere verkauft wurden. Dies umfasste 84,9% Reptilien,
11,1% Amphibien und 3,9% Säugetiere (Altherr et al., 2020). Eine weitere qualitative Analyse
über zwölf Monate im Bereich von Onlinehandel, Tierbörsen, Zoogeschäften und Großhänd-
lern fokussierte sich auf die Artenvielfalt. Hier wurde festgestellt, dass 2.078 valide Arten und
98 unspezifische Gattungsnamen für die vermittelten Tiere genutzt wurden. Dies umfasste
73,3% Reptilien, 16,6% Amphibien und 10,1% Säugetiere (Altherr et al., 2020). Altherr, Freyer
14
und Lameter (2020) erhoben zudem, dass 62,3% der online angebotenen Tiere ohne Her-
kunftsangaben zum Handel angeboten wurden. 35,9% der angebotenen Tiere wurden als
Nachzucht, 1,6% als Wildfang und 0,2% als Farmzucht deklariert. Aus Sicht der Autor:innen
ist zu beachten, dass die Herkunft in den meisten Fällen kaum nachprüfbar ist. So werden
Wildfänge häufig als Nachzucht deklariert, um Handelsbeschränkungen zu umgehen (Altherr
et al., 2020). Die Erhebung der Autor:innen zeigt deutlich auf, dass weiterhin viele exotische
Tiere gehandelt werden, bei denen die Herkunft aus Wildfang nicht ausgeschlossen werden
kann. Zudem ist auffällig, dass Tiere verkauft werden, obwohl keine Herkunftsangaben beste-
hen. Dies lässt möglicherweise auf eine Gleichgültigkeit oder informierte Zustimmung seitens
der Käufer:innen schließen.
Qualzuchten
Ein weiterer Bereich, in dem vor allem die Käufer:innen der Tiere eine große Entscheidungs-
gewalt haben und die Landschaft der Heimtierhaltung positiv beeinflussen können sind Qual-
zuchten, die besonders im Bereich der Hundezucht vorkommen. Während der §11b des Tier-
schutzgesetzes die Züchtung von Tieren verbietet, die bestimmte Merkmale haben, unter de-
nen sie leiden, bestehen weiterhin viele Rassenstandards, die schwerwiegende gesundheitli-
che Probleme erwirken. Problematisch ist im Bereich dieser Zuchten vor allem, dass bei Wett-
bewerben nicht gesunde Tiere prämiert werden, sondern jene, die den Zuchtzielen entspre-
chen, unabhängig ihres Gesundheitszustandes (Deutscher Tierschutzbund e.V., 2013). So lei-
den Möpse aufgrund des verkürzten Gesichtsschädels an Atemnot. Zudem fehlt ihr Gebiss-
schluss durch die Verkürzung des Oberkiefers. Dies macht Abbeißen unmöglich und führt häu-
fig auch zu Zahnfehlstellungen, -schmerzen oder -verlust. Französische Bulldogen haben auf-
grund der Kurzköpfigkeit ebenfalls Atembeschwerden. Ihre verengten Nasenlöcher führen au-
ßerdem zu Schnarchen und einer gestörten Temperaturregulation. Neben diesen bei vielen
als Qualzuchten bekannten Tieren haben auch Schäferhunde starke Probleme durch Rasse-
standards. Durch den gezüchteten abfallenden Rücken kommt es zu Problemen beim Laufen.
Zudem haben Schäferhunde aufgrund der Genetik eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Hüft-
gelenksdysplasien (Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e.V., 2017).
Illegaler Welpenhandel
Ein Bereich, in dem Hunde ebenfalls aufgrund ihrer Schönheit und nicht der Gesundheit wegen
gezüchtet werden sind Hundefabriken im Ausland. So exportiert die Tschechische Republik
Tiere aus Einrichtungen nach Deutschland, Belgien und Italien, in denen die Hunde nach der
Geburt etwa zwei bis vier Wochen bei ihrer Mutter verbleiben. Empfohlen ist die Übergabe
nach der achten bis zwölften Lebenswoche. Diese frühe Trennung führt zu massiven Verhal-
tensproblemen, da keine Sozialisierung stattfindet. Die Tiere sind in kleinen Zwingern einzeln
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untergebracht und leiden oft unter diversen unbehandelten Erkrankungen (Milben, Wurmbe-
fall, entzündete Hautstellen, Tumore). Rüden erhalten zudem Hormone, um stetig decken zu
können. Die Tiere kommen traumatisiert, nicht entwurmt und ohne Impfungen nach Deutsch-
land. Sie sind nicht durch Mikrochips gekennzeichnet und die Begleitpapiere sind in der Regel
gefälscht (Novotný, 2020). Es kann also angenommen werden, dass Personen, die diese
Hunde aufnehmen, nicht um die problematische Herkunft der Tiere wissen. Sieben verschie-
dene Studien verglichen Hunde aus anderen Züchtungen mit Hunden aus den Hundefabriken.
Es zeigte sich, dass die Hunde aus den Fabriken deutlich häufiger Aggressionen gegen ihre
Halter:innen und Zugehörige, teils auch gegen fremde Personen oder andere Hunde aufzeig-
ten. Auch in Bezug auf die Trennung von ihren Halter:innen reagierten die Tiere oft uner-
wünscht und zeigten eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Berührungen auf (McMillan,
2017). Dieses Verhalten und dessen Folgen sowie Arbeit daran sind mit immensen Kosten
verbunden, was nicht selten zu der Übermittlung des Tieres an ein Tierheim führt (Novotný,
2020). Erneut wird an dieser Stelle die Notwendigkeit deutlich, die Herkunft von Tieren zu
prüfen, bevor man sie kauft.
Heimtiere und Klima
Heimtiere können eine nicht zu verachtende Klimabelastung darstellen. Wenngleich dies ein
Faktor ist, der häufig nicht berücksichtigt wird, bei der Berechnung des eigenen ökologischen
Fußabdrucks. Um das Ausmaß dessen genauer zu ergründen, führten Annaheim, Jungbluth
und Meili 2019 eine Untersuchung der Ökobilanz von Pferd, Hund, Katze, Kaninchen, Ziervo-
gel und Zierfisch durch. Hierbei wurden folgende Parameter berücksichtigt:
Futtermenge
Trinkwasserverbrauch
Ausrüstung
Besuche bei der:dem Tierärzt:in
Einstreu
Wasser zur Reinigung
Anreise zum Stall
Ausbildung des Tiers
Autofahrten zum Spaziergang oder
zur Hundeschule
Fäkalien
Zudem wurden verschiedene Szenarien berechnet, wie beispielsweise verschiedenes Ein-
streu, die Möglichkeit das die Ausscheidung kompostiert wurde, Hauskatzen /-kater im Ver-
gleich zu Freigänger:innen und den Vergleich verschiedener Futterarten. So konnte erhoben
werden, dass der durchschnittliche Verbrauch an Tonnen CO2 Äquivalent pro Jahr pro Pferd
3,1 Tonnen, Hund 1,0 Tonnen, Katze 0,4 Tonnen, zwei Kaninchen 0,2 Tonnen, 4 Ziervögeln
0,1 Tonnen und 50 Zierfischen 0,1 Tonnen beträgt. In der Schweiz konnte für das Referenzjahr
2015 berechnet werden, dass 1,2% der gesamten Umweltbelastung durch Heimtiere entstan-
den (Annaheim et al., 2019). Spannend ist vor allem die Varianz je nach Szenario. So kann
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selbst nach der Entscheidung zur Tierhaltung noch jede kleinere Entscheidung (z.B. Katze als
Freigängerin oder reine Hauskatze) oder ähnliches, entscheidende Auswirkungen haben.
Tierrechtsbewegung
Abschließend für dieses Kapitel wird die Tierrechtsbewegung in den Blick genommen. Sie be-
schäftigt sich aus philosophischer Perspektive mit Herausforderungen im Blick auf die Heim-
tierhaltung. Dieser Zusammenschluss verschiedener Bewegungen setzt sich für ein Grund-
recht auf Leben, Freiheit und Unversehrtheit nicht-menschlicher Tiere ein (Brucker, 2014). Im
Gegensatz zum Tierschutz, der den Anspruch auf die Nutzung von Tieren lediglich ein-
schränkt, lehnt die Tierrechtsbewegung dies völlig ab (Petrus, 2018). Anhänger:innen kritisie-
ren den Anspruch auf die Nutzung von Lebewesen für die Ernährung, Bekleidung, Forschung
sowie Unterhaltung. Der Ansatz geht zurück auf Jeremy Bentham (1748-1832) und wird auch
von Peter Singer (*1946), dem bekannten Philosophen und Ethiker, vertreten. Einer der Ver-
treter:innen der Tierrechtsbewegung ist Bernd Ladwig. Er ist der Ansicht, dass Tiere, die ei-
gentlich wild sind, nicht als Haustiere gehalten werden sollten. Tiere, die sehr an uns gewöhnt
sind, könnten jedoch weiter beim Menschen gehalten werden. Ihre Zucht sollte auf Dauer den-
noch eingestellt werden. So kann der Hund unter Menschen ein gutes Leben haben. Dieses
wird er ohne das Leben beim Menschen vermutlich nicht in der Art weiterleben können. Hunde
können zudem die Zusammenarbeit mit Menschen als erfreulich erleben und Wünsche und
Abneigungen von Hunden sind erkennbar und somit umsetzbar. Die Bedürfnisse andere Tiere,
wie etwa einer Bartagame, sind jedoch für Menschen schwer interpretierbar. Hier kann ange-
nommen werden, dass die Haltung durch Menschen für sie keinen Vorteil birgt. Die Bedingun-
gen der Haltung müssen aus Ladwigs Perspektive stetig geprüft werden und die Tiere politisch
zunehmende Rechte erhalten (Ladwig, 2014, 2018).
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18
3. Zoos und Tierparks für Tierschutz und Arterhaltung?
Marine Brétéché, Julia Nitsche, Theresa Sophie Busse
Geschichte
Zoos und ähnliche Einrichtungen existieren schon seit Jahrhunderten in unterschiedlichsten
Formen und an vielen Orten auf der Welt. Laut ZoosMedia (2015) gab es zum Beispiel schon
3.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung Parkanlagen in China und im alten Ägypten, meist von
Herrschenden angelegt, in denen Vögel und Jagd- und Schlachttiere, aber auch andere Säu-
getiere, Reptilien und Fische gehalten wurden. Der Webseite nach wurden lange viele dieser
Tiere als Nahrungsvorrat gehalten, bei Spielen zu Unterhaltungszwecken getötet oder mit an-
deren Herrschenden getauscht. Infolgedessen gewann die Sammlung von exotischen Tieren
an Anerkennung. König Heinrich der III. eröffnete 1235 eine der ersten bekannten königlichen
Menagerien Europas in London (ZoosMedia, 2015). Auf der anderen Seite der Welt wurde im
15. Jahrhundert ein sehr gut ausgestatteter Tierpark des Aztekenherrschers Moctezuma II von
den spanischen Eroberern vorgefunden (ZoosMedia, 2015). Der Trend der Tierhaltung war
also nicht ortsgebunden.
1752 wurde eine Menagerie in Schönbrunn (Wien) angelegt und ist inzwischen der älteste
Tiergarten der Welt (Tiergarten Schönbrunn, o.D.). Laut dem Tiergarten Schönbrunn (o.D.)
wurde er damals nur von der Familie des Kaisers und deren Gästen genutzt. 1778 wurde der
Park sonntags für „anständig gekleidete Menschen“ (Tiergarten Schönbrunn, o.D.) geöffnet,
ab 1779 dann auch für die Allgemeinbevölkerung (Tiergarten Schönbrunn, o.D.).
ZoosMedia (2015) beschreibt, dass die wissenschaftliche Neugier mehr über Tiere zu erfahren
wuchs und viele Tierparks und Menagerien, die keine tiergerechte Haltung vorzeigen konnten
schließen mussten, da an diesen Tieren nicht geforscht werden konnte. Es wird auch geschrie-
ben, dass zu dieser Zeit auch wissenschaftlich geführte Parks gegründet wurden, in denen die
Gehege größer waren, sodass man möglichst naturnah forschen konnte. Dies war zum Bei-
spiel in der Ménagerie du Jardin des Plantes (1793 gegründet) der Fall. Diese wurde für For-
schungszwecke genutzt, aber war trotzdem für Besucher:innen geöffnet. Außerdem wird be-
richtet, dass damals viele Tiere noch nicht in den Einrichtungen gezüchtet wurden, sondern
immer wieder aus freier Wildbahn eingefangen oder aus anderen Anlagen getauscht, ge-
schenkt oder verkauft wurden. Am Anfang des 20. Jahrhunderts begann das Bewusstsein über
vom Aussterben bedrohten Tierarten zu wachsen, immer mehr Volksbildung wurde betrieben
und Naturschutz initiiert (ZoosMedia, 2015).
Arten von Zoos
Es wird deutlich, dass im Laufe der Zeit viele Begriffe verwendet wurden, um Orte zu beschrei-
ben, an denen Tiere zu Unterhaltungs- und Forschungszwecken gehalten wurden. Auch heute
19
wird zwischen Arten von Zoos differenziert. Josten (2019) beschreibt vier Begriffe: Es gibt den
Zoologischen Garten, in dem vorwiegend exotische Tiere gezeigt werden. In diesen Zoos wer-
den Shows und Vorführungen mit manchen der Tiere gezeigt. Dabei werden häufig auch Kurse
mit Informationen über die jeweiligen Tiere gegeben. In Tierparks sind sowohl exotische als
auch einheimische Tiere zu finden. Manche Tierarten werden dabei zusammengehalten, wo-
bei Gattungen getrennt werden (also Raubtiere und deren Beuten nicht in einem Käfig). Die
Gehege sind im Allgemeinen grösser als im Zoologischen Garten und sind meist so gedacht,
dass Besucher:innen durchfahren oder durchlaufen können, als wären sie Teil der Umwelt.
Tiergärten halten überwiegend exotische, aber auch einheimische Tiere. Diese Gärten sind
landschaftsarchitektonisch interessant, haben weniger Bewohner:innen und größere Gehege
als Zoologische Gärten und mehr Grünflächen außerhalb der Gehege als Tierparks. Schließ-
lich findet man in Wildparks überwiegend einheimische Tiere, während die Tierarten meist
unter sich in großen Gehegen leben. Zusätzlich zu diesen vier Arten gibt es auch noch Unter-
scheidungen von Zoos, je nachdem welche Gattungen von Tieren sie zeigen. Darunter fallen
Aquarien, Delfinarien, Haustier- oder Streichelzoos, Reptilienzoos, Safariparks, Vogelparks
und viele mehr (Josten, 2019).
Wofür gibt es Zoos?
Die vorherigen Ausführungen zeigen auf, dass die Tradition des Tierhaltens zu Unterhaltungs-
zwecken schon sehr alt ist und in der heutigen Zeit auf unterschiedlichste Arten und Weisen
erfolgt. Aber warum und wofür gibt es überhaupt Zoos? Abbildung 1 zeigt das Ergebnis einer
Umfrage, die mit Studierenden im Rahmen des Kurses Mensch-Tier-Beziehungen im Som-
mersemester 2021 an der Universität Witten/Herdecke durchgeführt wurde. Infolgedessen
wurde innerhalb dieser Studierendengruppe eine Diskussion geführt, die hier zusammenge-
fasst wird: zunächst einmal scheint es beim Menschen ein großes Interesse zu geben, mehr
über diese Tiere, die meist aus anderen Teilen der Welt kommen, zu erfahren. Menschen sind
neugierig, wissbegierig und Zoos bieten eine Antwort auf diese Faszination für Unbekanntes.
Nach Meinung der Studierenden, sollten auch die kritischen Aspekte bedacht werden, zum
Beispiel, dass Zoos traditionsreiche Institutionen sind, die man allein aus diesem Grund bei-
behalten möchte und dass sie kommerzielle Unterhaltungsräume schaffen. Nichtsdestotrotz
führten die Studierenden an, dass Zoos auch die positive Funktion haben können, vom Aus-
sterben bedrohte Tierarten zu erhalten und zu schützen. Man war sich sicher, dass Zoos (zu-
mindest dort, wo dies rechtlich kontrolliert wird) inzwischen immer tiergerechter umgebaut wer-
den. Jedoch wurde auch thematisiert, dass viele der gehaltenen Tiere innerhalb der Institutio-
nen gezüchtet werden und dadurch Auswilderungen in vielen Fällen gar nicht möglich sind.
Hier stellte sich die Frage, ob die Züchtung zukünftig in bestimmten Fällen noch Sinn ergibt,
wenn es zum Beispiel keinen Ort mehr auf der Welt gibt, der der natürlichen Umwelt eines
Tieres entsprechen würde.
20
Wird die Entwicklung der Zoos in der Zeitge-
schichte betrachtet, zeigt sich zusammenfas-
send, dass Zoos früher dazu dienten, den Reich-
tum Herrschender zu zeigen, Freundschafts-
zeugnisse durch Tiertausch zu ermöglichen und
exotische Lebewesen für die Neugierde des
Menschen zur Schau zu stellen (ZoosMedia,
2015). Heute hat Arterhaltung einen hohen Stel-
lenwert und Zoos stehen mitten in Tierschutz-
Debatten, ob und inwiefern sie zu diesen beitra-
gen (vgl. Vegane Gesellschaft Schweiz, 2021).
Vorteile und Nachteile
Anhand der Antworten auf die Frage, warum es Zoos gibt, können die Vor- und Nachteile von
solchen Institutionen abgeleitet werden.
Als Vorteile gilt das Anstreben der Arterhaltung und des Tierschutzes von vom Aussterben
bedrohten Tierarten. Nach der Veganen Gesellschaft Schweiz (2021) leben viele der Tiere an
diesen Orten möglicherweise ein komfortableres Leben, als sie es jemals in der freien Wild-
bahn hätten haben können. Darunter zählt, dass sie Futter- und Krankheitstechnisch versorgt
werden und möglichst naturnah beschäftigt werden (zum Beispiel mit verstecktem Futter). Au-
ßerdem sind Zoos inzwischen Bildungseinrichtungen, denn „Zoos lehren uns viel über die Na-
tur und die Lebensweise von Tieren“ (Vegane Gesellschaft Schweiz, 2021).
Leider bestehen einige Nachteile in Bezug auf Zoos, was zu der Zwiespältigkeit der Meinungen
zu diesen Institutionen führt: Zuallererst kann der letzte Vorteilspunkt eine negative Wirkung
haben, zum Beispiel, dass anstatt der Wichtigkeit des Tierschutzes das übergeordnete Gefühl
über andere Spezies angeregt werden könnte, dadurch dass der Abstand, den die Käfige auf-
bauen, die Tiere weniger beeindruckend und naturfern erscheinen lassen (Vegane Gesell-
schaft Schweiz, 2021). Außerdem kann der wirtschaftliche Hintergrund dazu führen, dass Zoos
die Tierschutzregeln nicht einhalten können, denn selbst wenn sie sich an die Empfehlungen
des Bundesministeriums für Landschaft und Ernährung halten, kann der natürliche Bewe-
gungsraum der Tiere nicht gewährleistet werden (Peta Zwei, 2020).
Beispiele
Zur Darstellung der positiven und negativen Seiten von Zoos und Tierparks sind im Folgenden
Beispiele zu den Auswirkungen dieser Institutionen dargestellt.
Abbildung 1: Umfrage mit den Studierenden des StuFu-Kur-
ses „Mensch-Tier-Verhältnis“ im Sommersemester 2021 an
der Universität Witten/Herdecke auf www.menti.com: „Wo-
für gibt es Zoos?“
21
Negativ-Beispiel: Das Negativbeispiel wird anhand des Dokumentarfilms „Blackfish“ von Gab-
riela Cowperthwaite (Regie und Produktion) und Manuel V. Oteyza (Produktion) (2013) darge-
stellt. Er zeigt zunächst, wie Orcas gefangen werden. Hierfür werden illegale Fangteams be-
auftragt, die aus Flugzeugen und Schnellboten bestehen. Wenn eine Gruppe an Orcas aus-
findig gemacht wurde, wurden diese mit Bomben in Buchten getrieben. Im gezeigten Beispiel
kannten die Orcas dieses Verfahren schon und teilten sich in zwei Gruppen auf (die eine mit
den Müttern und ihren Kälbern und die anderen mit den anderen Orcas aus der Familie). Als
dies den Personen in dem Flugzeug auffiel und sie gerade der falschen Gruppe folgten, infor-
mierten sie die Personen in den Schnellbooten. Die Orca Gruppe mit Müttern und Kälbern
wurde wiedergefunden, zusammengetrieben und in Schleppnetzen gefangen. Die Kälber wur-
den dann mithilfe von Schlingen isoliert, auf Tragen gezogen, anschließend mit einem Kran
aus dem Wasser gehoben und in, mit Wasser gefüllte, Container gehoben. Diese wurden in
Flugzeuge geladen und so an Land transportiert.
Im Film „Blackfish“ geht es im Folgenden vor allem um den Orca Tilikum, der 1983 gefangen
wurden, im Alter von zwei Jahren. 1985 wurde er von Sealand, einem öffentlichen Aquarium
in Victoria (USA) gekauft. Damals war er fast fünf Meter lang und eine Tonne schwer. Die Wale
in Sealand wurden als Sicherheitsmaßnahme nachts in sogenannten „Modulen“ untergebracht
(sechs Meter lang und breit, neun Meter tief und ohne Lichtquelle).
Am 20.02.1991 passierte der erste Vorfall in den Tilikum involviert war. Eine Trainerin fiel wäh-
rend einer Show, bei der die Orcas Tricks, zum Beispiel verschiedene Sprünge, vorzeigten,
ins Wasser und wurde beim Versuch rauszukommen von den Orcas ergriffen und immer wie-
der ins Wasser gezogen. Die Trainerin ertrank und die Tragödie wurde vor der Öffentlichkeit
möglichst geheim gehalten, aber Sealand schloss im folgenden Jahr seine Türen. Die Wale
wurden verkauft und SeaWorld Orlando kaufte Tilikum als Zuchtbullen. Dies bedeutet, dass er
meist isoliert von den zwei Weibchen lebte, jedoch für die Zucht genutzt wurde und gelegent-
lich in Shows zu sehen war in denen er nur mit seinen Nachkommen auftrat. Die Trainer:innen
in SeaWorld erfuhren nichts von dem Vorfall in Sealand (bei dem sich im Nachhinein heraus-
gestellt hatte, dass Tilikum derjenige war, der die Trainerin ins Wasser gezogen hatte) und
arbeiteten weiter mit ihm. Es ereigneten sich noch weitere Angriffe auf Trainer:innen, in die
Tilikum involviert war. Jedoch war er ein notwendiger Bulle für die Zucht (es tragen über 54%
aller Orcas in Seaworld seine Gene) und wurde deshalb trotz wiederholter Vorfälle behalten.
Außerdem erklärt der Film, warum Orcas in Gefangenschaft ein aggressives Verhalten zeigen.
Orcas leben in freier Wildbahn in Familien, die ihre eigene Sprache sprechen. In Gefangen-
schaft werden verschiedene Orcas aus unterschiedlichen Familien zusammengehalten. Sie
können sich nicht verständigen, da sie nicht dieselbe Sprache sprechen, erkennen sich also
22
als Feinde an. Dies führt zu Aggressionen und Übergriffen untereinander. In der Freiheit wür-
den diese Kämpfe nicht passieren, da es genug Platz gibt, um sich aus dem Weg zu gehen.
Positiv-Beispiel: Als Positivbeispiel ist die Geschichte der Przewalskis zu erzählen, die vor
allem in der Mongolei zu finden sind. Diese Ur-Pferde, auch Takhis genannt, galten ab den
1970er Jahren als in der Wildbahn ausgestorben. Am Anfang der 1940er Jahre befanden sich
nur noch dreizehn fortpflanzungsfähige Exemplare in Zoos, die auf der ganzen Welt verteilt
lagen. Diese wurden im Folgenden anhand von Zusammenarbeit der unterschiedlichen Zoos
und über die Logistik eines Zuchtbuches gezielt vermehrt, damit ein möglichst breiter Gen-
haushalt gewährleistet werden konnte. Anschließend wurden und werden sie gezielt wieder
ausgewildert. Inzwischen gibt es ca. 2.500 Takhis, die auf der Welt verteilt leben (International
Takhi Group, o.D.).
Weiterführende Fragen
Zum Ende dieses Kapitels möchten wir dazu anregen, sich ein paar Fragen zu dem Thema
Zoos und Tierparks für Tierschutz und Arterhaltung zu stellen: Wie sollte ein Zoo sein? Falls
du Zoos abschaffen möchtest: Was wären Übergangslösungen für Tiere, die nirgendwo hin-
können (z.B. weil sie nicht mehr ausgewildert werden können)?
Falls du Zoos behalten möchtest: Was sind Möglichkeiten, um die Nachteile von Zoos zu mi-
nimieren und die Vorteile zu vervielfältigen?
Literatur
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Verfügbar unter: https://www.paradisi.de/freizeit/zoos/#Verschiedene_Ar-
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Peta Zwei (2020, 03. September). Zoo: So viel Platz bräuchten die Tiere wirklich. Verfügbar
unter: https://www.petazwei.de/artikel/zoo-platz/ [08.11.2021]
Tiergarten Schönbrunn. (o.D.). Geschichte. Verfügbar unter: https://www.zoovienna.at/ueber-
uns/geschichte/ [08.11.2021]
Vegane Gesellschaft Schweiz. (2021, 13. Juni) Die drei großen Mythen von Zoos. Verfügbar
unter: https://vegan.ch/2021/06/die-drei-grossen-mythen-von-zoos/ [08.11.2021]
ZoosMedia. (2015, 30. Juni) Seit wann gibt es Zoos?. ZoosFakten. Verfügbar unter:
http://zoos.media/zoo-fakten/geschichte-zoos/ [08.11.2021]
23
4. Tiere in unserer Sprache
Julia Nitsche, Theresa Sophie Busse
Die Mensch-Tier-Beziehung zeigt sich in verschiedenen Bereichen sehr vielschichtig und ge-
staltet sich oft widersprüchlich. Während wir auf der einen Seite unsere eigenen vier Wände
oder gar unser Bett mit Heimtieren teilen, wollen wir gleichzeitig andere Tiere möglichst fern
von unserem Wohnraum halten. Diese Widersprüchlichkeit zeigt sich auch in vielen sprachli-
chen Phänomenen, die sowohl von Nähe, als auch Distanz zwischen Mensch und Tier geprägt
sind (Habermann, 2015). So finden sich im Sprachgebrauch Aussagen, deren Ausdruck der
Mensch-Tier-Beziehung kaum Gleichberechtigung oder Gleichwertigkeit, sondern viel mehr
der Ausdruck von der Macht des Menschen, sich über das Tier zu erheben birgt (Habermann,
2015). Diese Form des Machtgefälles im sprachlichen Ausdruck findet sich schon in der An-
tike; Menschen nutzten Tierfabeln sowohl um soziale Zustände in verfremdeter Art und Weise
anzuprangern, als auch als eine enthumanisierende Herabsetzung einer anderen Person
(Schmaucks, 2008). Im heutigen Alltag finden sich ebensolche Bewertungen von Situationen
und Menschen unter Verwendung tierischer Vergleiche als tierische Schimpfworte.
Neben dem Machtgefälle zeigt sich auch eine andere Form der Mensch-Tier-Beziehung in
unserer Sprache, tierische Kosenamen. Sowohl tierische Kosenamen als auch Schimpfwörter
lassen eine Nähe zum Tier vermuten, die von intimer Vertrautheit und starker Emotionalität
geprägt ist (Habermann, 2015). Tabelle 1 zeigt eine Kurzübersicht über aktuell sprachlich ge-
bräuchliche Begrifflichkeiten in Bezug auf Tiere in der deutschen Sprache.
Tabelle 2: Beispiele von Tieren in der deutschen Sprache
Positive Assoziation
Negative Assoziation
Treu wie ein Hund
Dreckig wie ein Schwein
Fleißig wie eine Biene
Frech wie ein Dachs
Hasi
Ratte
Kätzchen
Schlange
Schimpfen und Beschimpfen
Dieses Kapitel soll sich im Folgenden mit der negativen Form der Verwendung von tierischen
Begrifflichkeiten und Metaphern in der deutschen Sprache befassen. Dazu findet sich zu-
nächst eine kurze Definition des (Be-)Schimpfens, um schließlich zu verstehen, warum Men-
schen tierische Schimpfworte verwenden. Der Duden umschreibt die Begrifflichkeit des Be-
schimpfens mit „mit groben Worten schmähen, beleidigen“. Zudem werden auch computerge-
nerierte typische Verbindungen des Wortes im Duden aufgezeigt, eine davon lautet Nestbe-
schmutzer, eine tierische Verbindung. Es zeigt, dass im Akt des Beschimpfens eine negative
24
Form des Ausdrucks gegen etwas gerichtet wird. Dies kann unterschiedlichen Kausalitäten
zugrunde liegen, die nicht immer offensichtlich zu erkennen sind.
Aman (1975) liefert eine noch heute geltende Definition, die versucht einen Zusammenhang
herzustellen: „Das Schimpfen ist ein Angriffsakt durch abwertende, beleidigende Worte. Es ist,
psychologisch gesehen, das Endglied einer dreigliedrigen Kausalkette[...]. Aufs Äußerste re-
duziert, sieht diese Kette folgendermaßen aus: Frustration (vereitelnde Ursache) → Affekt (Er-
regungszustand) → Aggression (Schimpfen).“ Lakoff (1987) konnte in einer sehr umfangrei-
chen Studie nachweisen, dass Wutausbrüche systematisch in physikalischen Ausdrücken be-
schrieben werden.
In Kombination mit der eben genannten Definition und der zuvor beschriebenen Ausführungen
des Dudens wird der Unterschied zwischen Schimpfen und Beschimpfen deutlich. Während
Schimpfen selbst keine:n Adressat:in braucht und sich unvermittelt an die Allgemeinheit rich-
tet, richtet sich das Beschimpfen an eine:n unmittelbaren Adressat:in. Ausdrucksmittel des
Beschimpfens sind hauptsächlich Schimpfwörter. Dabei hängt die Wahl der Schimpfworte so-
wohl von der:dem Sendenden als auch von der:dem Adressat:in ab. Die:der Adressat:in kann
sowohl eine Person als auch ein Gestand oder ein Sachverhalt sein. Nur in seltenen Fällen
besteht Schimpfen aus dem Ausruf eines einzigen Wortes; meist sind es längere Äußerungen,
die durch Mimik und Gestik sichtbar unterstrichen werden (Szczęk, 2018). Einzelne Schimpf-
wörter sind in der mindestens Regel zweisilbig, wobei die Hauptbetonung auf der ersten Silbe
liegt (Schmaucks, 2007). Nach den Ausführungen von Aman (1975) und Lakoff (1987) dient
Beschimpfen dem Abreagieren. Die Lunge füllt sich durch tiefes Einatmen mit Luft und mit der
ersten gesprochenen Silbe entweicht ein Großteil der aufgestauten Luft wieder. Auch Verhal-
tensbiologisch lässt sich Schimpfen entsprechend der vorherigen Ausführungen zum Aggres-
sionsverhalten einsortieren. Die folgenden Ausführungen beziehen sich nur noch auf die
Sprechhandlung des Beschimpfens, da sich hier die meisten tierischen Schimpfworte finden
lassen. Unter Schimpfworten versteht dieses Kapitel „… Substantive, mit denen Personen an-
statt mit ihren Namen oder Titel in abfälliger Weise angeredet oder benannt werden.“ (Seibi-
cke, 1996).
Tiere als Schimpfworte
Nübling und Vogel (2004) haben eine Übersicht erstellt, die thematische Motive zeigt, derer
sich Schimpfworte bedienen. Hier findet sich unter anderem auch der Bereich der Tiere. Tiere
sind Träger:innen von bestimmten Eigenschaften und Verhaltensmustern. Darüber hinaus
werden ihnen durch Menschen zutreffende oder auch unzutreffende - Eigenschaften zuge-
schrieben. Durch die Assoziation bestimmter Eigenschaften können Tiere als eine Quelle für
Beschimpfungen dienen. Werden tierische Schimpfworte verwendet, kommt es zu einer Me-
25
taphorisierung, die meist auf Grundlage einer Isolierung von Merkmalen entsteht. Dabei wer-
den ebensolche Merkmale verwendet, deren Funktion abwertend ist. Die häufigste Form der
tierischen Beschimpfung findet sich in elliptischen Sätzen und in Kombination mit Adjektiven,
die der Verstärkung der Äußerung dienen sollen (Zehan, 2008).
Wird jemand als Tier oder mit tierischen Eigenschaften bezeichnet, wird ihm für die jeweilige
Situation das Menschsein abgesprochen. Ebensolche Stereotype helfen Menschen dabei, den
Alltag zu bestreiten und die Einflüsse, derer sie ausgesetzt sind, zu bewältigen (Szczek, 2018).
Dabei findet sich jedoch keine Stringenz in der Wahl der Begrifflichkeiten oder dem Verhältnis
zum Menschen. Während der Mensch sich einerseits gegenüber dem Tier empor hebt, wenn
er andere Menschen mit tierischen Begrifflichkeiten beschimpft und sie als Mensch abwertet,
verwendet er andererseits ebenso tierische Begrifflichkeiten, wenn er eine besonders positive
Eigenschaft hervorheben möchte. Das Absprechen des Menschseins findet also scheinbar nur
bei negativer Verwendung von Tiernamen statt. In jedem Fall ist davon auszugehen, dass
dieser sprachliche Gebrauch von Tierbezeichnungen auf Grundlage eines sprachlichen Inven-
tars des menschlichen Verhaltens geschieht, was diese Begriffe aufgrund der Sozialisierung
enthält (Chrissou, 2001). Es findet in der Beschimpfung mit tierischen Begrifflichkeiten sogar
oft eine doppelte Strategie Anwendung: einerseits wird der beschimpfte Mensch abgewertet
und zusätzlich werden ihm:ihr vermeintlich negative tierische Eigenschaften zugeschrieben.
Einerseits finden sich in der Auswahl von tierischen Schimpfworten geschlechtsneutrale an-
dererseits aber auch geschlechtsspezifische Verwendungen. Wenn Tierweibchen und Tier-
männchen leicht zu unterschieden sind, dann dienen diese Tiere oft als geschlechtsspezifi-
sche Schimpfworte (Schmauks, 2008). Diese Unterscheidung gelingt meist entweder durch
Geschlechtsdimorphismen (z.B. Geweih oder Mähne) oder durch bestimmte Verhaltenswei-
sen (z.B. Revierverteidigung, Nahrungssuche, Brut). Während Beschimpfung gegenüber dem
männlichen Geschlecht eher die Intelligenz, Unmännlichkeit oder Feigheit bewerten, richten
sich Beschimpfung gegenüber dem weiblichen Geschlecht oft in Richtung sexueller Freizügig-
keit und einer Bewertung des Aussehens (Schmauks, 2008). Schmauks zeigt zudem auf, dass
es aufgrund dessen nur sehr wenige gleiche Schimpfworte für die Geschlechter gibt. Trotz der
vorherigen Ausführungen ist es nicht immer eindeutig, warum eine Zuordnung zu einem be-
stimmten Geschlecht getätigt wird, auch wenn dies biologisch keiner Stringenz folgt.
Um einen aktuellen Eindruck von tierischen Schimpfworten im jugendlichen Alltag zu erhalten,
wurde eine 8. Klasse (13-15 Jahre) einer Förderschule in Nordrhein-Westfalen darum gebeten
ungeniert alle tierischen Schimpfworte zu nennen, die ihnen einfallen. Die Grafik zeigt eine
Übersicht der genannten Begriffe.
26
Abbildung 2: Tierische Schimpfworte Klasse 8 einer Förderschule
Speziesismus
Eine mögliche Begründung der Verwendung von tierischen Schimpfworten im menschlichen
Sprachgebrauch liefert das Konstrukt des Speziesimus, dessen Ursprung in den 1970er Jah-
ren liegt und erstmals von dem Psychologen Richard Ryder verwendet wurde (Ryder, 2010).
Die Mensch-Tier-Beziehung wurde zu dieser Zeit erstmalig mit dem Begriff „speziesistisch“
bezeichnet und liefert damit eine Parallele im Rahmen von ungerechtfertigter Diskriminierung
(Horta, 2010; Ryder, 2006, Singer, 1975; 1979; Singer & Mason, 2007). Speziesismus meint
eine Form der Diskriminierung aufgrund fehlender Zugehörigkeit zu einer gewissen Spezies
(Caviola, Everett & Faber, 2019). Es findet eine Diskriminierung von Lebewesen aufgrund ihrer
Artenzugehörigkeit statt - insbesondere aufgrund der Nichtzugehörigkeit zur Spezies Mensch.,
Dem zugrunde liegt der universelle Glaube, dass Menschen von Natur aus wertvoller sind als
Individuen anderer Arten. Damit einher geht das Selbstverständnis, dass eine unterschiedliche
Behandlung von Spezies ethisch vertretbar ist (Caviola, Everett & Faber, 2019). In dem Fall
der Verwendung von tierischen Schimpfworten findet eine sprachliche Diskriminierung von
Tieren statt. Vor allem dann, wenn Tiere mit Eigenschaften und Handlungsmustern in Verbin-
dung gebracht werden, die der Tierart eigentlich nicht von Natur aus entspricht (Glücksschwein
und Dreckschwein). So kann es teilweise auch zu stark ambivalent besetzenden Bezeichnun-
gen von Tieren kommen (Schmauks, 2008). Diese Form der falschen Zuschreibung kann mög-
licherweise von Menschen für wahr befunden und übernommen werden, wenn Personen, die
für die Schimpfwörter verwendeten Tiere aus eigener Anschauung nicht kennt. Hier wird zur
Diskussion gestellt, ob es sich um eine verstärkte Form der Diskriminierung handelt, wenn
Lebewesen nicht nur aufgrund ihrer Nichtzugehörigkeit zu einer Spezies diskriminiert werden,
27
sondern ihnen auch noch biologisch fehlgeleitet Eigenschaften und Handlungsmuster zuge-
schrieben werden. Zu erwähnen ist, dass die Eigenschaftszuschreibung stark kultur- oder gar
epochenabhängig ist.
Einfluss unserer Sprache
Sprache hat einen starken Einfluss auf unsere Wahrnehmung (Lupyan et al., 2020). Du bist
was du sprichst, könnte man modern ableiten. Unsere Gedanken werden durch die Struktur
der Sprache geprägt. Gleichzeitig hat die Sprache selbst auch einen Einfluss auf unsere Denk-
weisen und Weltansichten. Sprache hilft den Menschen bei einer kategorialen Wahrnehmung
(Boroditsky, 2012). Findet sich Speziesimus - zum Beispiel in Form von tierischen Schimpf-
worten - im gesprochenen Wort wieder, ist abzuleiten, dass dieses Konstrukt sich auch in der
Denkweise der Menschen manifestiert. Die Verwendung von tierischen Schimpfworten ist
demnach vielmehr als ein reines Beschimpfen von Lebewesen. Es ist auch eine Manifestation
einer Mensch-Tier-Beziehung, die durch Widersprüchlichkeiten und Ungleichheit in der Be-
handlung von Lebewesen geprägt ist. Diesen manifestierten Gedankenkonstrukten entgegen-
zuwirken, erscheint mühselig. Ein erster Schritt kann die bewusste Auseinandersetzung mit
der eigenen Sprache und ihrem Einfluss auf andere Menschen, einen selbst, sowie Beziehung
zu Tieren sein. Im Rahmen der eigenen sprachlichen Möglichkeiten, kann dem Speziesimus
entgegengewirkt werden. Aktuell gibt es Bewegungen, die eine Veganisierung der Sprache
fordern, um die Mensch-Tier-Beziehung zu stärken und Tiere als gleichwertig zu betrachten.
Dabei sollen tierische Begriffe weder positiv noch negativ konnotiert verwendet werden, son-
dern durch andere Begrifflichkeiten ersetzt werden.
In jedem Fall, unabhängig vom Speziesimus, sollte das Ziel eine möglichst Schimpfwortfreie
Kommunikation sein, denn so kann zwischenmenschliche Kommunikation und auch die Kom-
munikation mit und über Tiere gewaltfreier werden. Wie dargelegt kann damit schlussendlich
auch unser Denken und Handeln beeinflusst und eine friedvolle Zukunft ermöglicht werden.
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5. Meat Paradox
Zilan Akar, Zoe A. Drückler, Theresa Sophie Busse, Julia Nitsche
Was ist das Meat Paradox?
Mit der Zeit scheint sich in Deutschland der Tierschutz zu einem gesamtgesellschaftlichen
Anliegen entwickelt zu haben. Einerseits, weil dieser mittlerweile Verankerungen im Grundge-
setz findet, andererseits aber auch, weil Studien zeigen, dass Menschen dem Tierwohl eine
große Bedeutung zu schreiben und zusätzlich ein Leiden der Tiere vermeiden wollen (Spiller,
2012; Loughnan et al., 2014). Dem gegenüber steht ein enorm hoher Fleischkonsum: in
Deutschland beträgt der Pro-Kopf Konsum 2020 57,33 kg Fleisch (BLE, 2021). Tiere zu essen
und gleichzeitig zu behaupten, Tiere zu lieben, scheint ein Paradoxon zwischen Schaden und
Fürsorge der Menschen gegenüber Tieren zu sein. Das entstehende Paradoxon ist im We-
sentlichen psychologisch bedingt, schlussendlich liegt eine Form der kognitiven Dissonanz
vor, die es zu bewältigen gilt (Loughnan & Davies, 2019). Einfach gesprochen entsteht ein
moralischer, innerer Konflikt im Zusammenhang mit dem Essen von Tieren. Verschiedene
Studien haben Strategien aufgezeigt, die es Menschen ermöglichen mit dem entstehenden
Konflikt, der Unbehagen oder einer Form von Ekel hervorrufen kann, umzugehen, während
sie in Teilen ihren Fleischkonsum fortsetzen (Bastian et al., 2012; Loughnan et al., 2010; Kunst
& Hohle 2016.). Auf die einzelnen Strategien wird im Laufe des Kapitels noch eingegangen.
Ausgehend davon, dass Menschen, die Fleisch konsumieren entsprechend des Meat Paradox
eine kognitive Dissonanz verspüren, wird darunter verstanden, dass ein innerer Spannungs-
zustand entsteht, weil zwei Kognitionen nicht vereinbar sind (Spiller, 2012). Dieses Gefühl wird
als unangenehm wahrgenommen und daher versucht zu reduzieren (Festinger, 1957).
Ein eingehendes Beispiel für das beschriebene Paradoxon ist der Besitz von Heimtieren beim
gleichzeitigen Verzehr von Fleisch. Während Heimtiere für ihre Halter:innen moralisch rele-
vante Subjekte zu sein scheinen, wird dennoch Fleisch von anderen Tieren verzehrt. Grund-
lage dieses nicht stringent scheinenden Verhaltens ist das Meat Paradox und die einzelnen
Bewältigungsstrategien, um mit dem entstehenden Unbehagen auszukommen.
Die nachfolgenden Ausführungen liefern einen detaillierteren Blick auf das Meat Paradox und
damit einhergehende Inhalte.
Strategien zur Dissonanzreduktion
Um die zuvor beschriebene kognitive Dissonanz überwinden zu können, müssen Menschen
Strategien entwickeln. Im Zusammenhang mit dem Meat Paradox wird häufig das Meat-Rela-
ted Cognitive Dissonance Framework (MRCD) angeführt, welches 15 Methoden zur Vermei-
dung und/oder Verringerung moralischer Schuldgefühle bei Fleischkonsum umfasst. Welche
30
dieser Methoden genutzt wird, hängt vom Aspekt des Fleischkonsums, der Motivation, indivi-
duellen Faktoren (Geschlecht, Alter, Affinität zu Tieren, Umgang mit Tieren) und Kultur ab
(Rothgerber, 2020). Faktoren wie Erinnerung an Fleischproduktion, Informationen über das
Wohlbefinden von Farmtieren und Erinnerung, dass Fleisch von Tieren ist, stellen Trigger im
Rahmen des MRCD dar, die Strategien zur Überwindung erfordern (Rothgerber & Rosenfeld,
2021).
Diese Trigger können von den Menschen durch Vermeidung, beabsichtigte Ignoranz oder Dis-
soziation ausgeblendet werden (Rothgerber & Rosenfeld, 2021). Bei der Vermeidungsstrate-
gie geht es sowohl darum, Informationen zu Themen wie der Massentierhaltung oder Schlach-
tung zu umgehen, als auch Tierschutz-, Umwelt- und Gesundheitsbedenken nicht anzuerken-
nen. Durch die „beabsichtigte Ignoranz“ (Rothgerber & Rosenfeld, 2021) entfällt die Selbstin-
formation über die Fleischproduktion, um den eigenen Fleischkonsum nicht hinterfragen zu
müssen. Hinzu kommt, dass diese Strategie häufig mit geringen Kenntnissen über landwirt-
schaftliche Praktiken und das Ausmaß des Tierleids einhergeht (Rothgerber & Rosenfeld,
2021). Menschen, die Tier und Fleisch separat voneinander betrachten, nutzen die Dissozia-
tion als eine Vermeidungsstrategie (Rothgerber & Rosenfeld, 2021). Dabei erfolgt die Tren-
nung von Tier und Fleisch durch Mechanismen wie etwa die verbale Verschleierung, bei der
man Begriffe nutzt, die nicht direkt auf das Tier zurückzuführen sind. Ein Beispiel dafür ist der
Ausdruck „Medaillon“ statt „Rindscheibe“.
Ist es dem Menschen jedoch nicht möglich den Trigger zu blockieren, müssen Dissonanz-
reduzierende Mechanismen angewendet werden. Dabei kann auf direkte sowie indirekte Stra-
tegien oder auf Verhaltensveränderungen zurückgegriffen werden (Rothgerber & Rosenfeld,
2021). Unter die indirekten Strategien fallen Vorgehensweisen wie die wahrgenommene Ver-
haltensveränderung, die Selbstdefinition als humane:r Fleischesser:in, die Abwertung von Per-
sonen, die als prosozial oder moralisch lobenswert empfunden werden (Gutmensch-Ableh-
nung), die Schuldübergabe an Dritte und die moralische Empörung. Die Ergebnisse der Studie
von Rothgerber & Rosenfeld (2021) zeigen, dass die wahrgenommene Verhaltensverände-
rung signifikant stärker bei Frauen vertreten ist, als bei Männern. Das heißt, wenn Frauen mit
negativen Aspekten des Fleischkonsums konfrontiert werden, berichten diese eher von einem
eigenen niedrigeren Fleischkonsum als Männer, obwohl der Fleischkonsum sich nicht verän-
derte. Somit besteht ein geschlechtsspezifischer Unterschied für diese Strategie.
In einer anderen Studie von Rothgerber (2013) hat sich ein weiterer Unterschied zwischen den
Geschlechtern bezüglich der Strategien-Nutzung ergeben. In dieser Studie wurde ermittelt,
welche Rechtfertigungen Omnivor:innen für den Fleischkonsum anwenden. Dabei konnte fest-
gestellt werden, dass Männer direkte Strategien zur Reduktion der Dissonanz nutzen wie z.B.:
günstigere Einstellung zum Verzehr von Fleisch; Ablehnung des Tierleids; Überzeugung, dass
31
Tiere den Menschen hierarchisch untergeordnet sind; religiöse und gesundheitliche Rechtfer-
tigungen für den Verzehr von Tieren und der Glaube, dass es das menschliche Schicksal sei,
Fleisch zu essen. Frauen hingegen nutzen indirekte Strategien, indem sie Tier und Fleisch als
separat voneinander betrachten. Außerdem vermeiden weibliche Individuen es, darüber nach-
zudenken, wie das Tier behandelt wurde, bevor sie es als Fleisch konsumieren. Die Ergeb-
nisse der Studie zeigen auf, dass die kognitive Dissonanz für Frauen unangenehmer ist, weil
sie den Fleischverzehr nicht so wie Männer rechtfertigen können.
Bezüglich der indirekten Strategien wird im Rahmen der Selbstdefinition als humane:r Fleisch-
esser:in von vielen Personen an dem Argument festgehalten, dass den Tieren, die gegessen
werden, aufgrund einer Produktion unter fairen und tiergerechten Bedingungen kein Schaden
hinzugefügt wird (Rothgerber & Rosenfeld, 2021).
Die Gutmensch-Ablehnung (Do-gooder Derogation) ist eng verbunden mit dem Phänomen,
bei dem das moralisch motivierte Verhalten einer Person dazu führt, dass sie von anderen
negativ wahrgenommen wird (Rothgerber & Rosenfeld, 2021). Zusätzlich wurde in einer Studie
festgestellt, dass Individuen, die kein Fleisch konsumieren, von Omnivor:innen als Bedrohung
der Fleisch-Ideologie gesehen werden (Minson & Monin, 2012). Sowohl das Kritisieren und
Betonen der Mängel als auch die Abwertung lenken davon ab, über die eigene moralische
Mängel nachzudenken, die somit zu einer Dissonanz-Reduktion führen.
Eine weitere Vorgehensweise ist die Schuldzuweisung an Dritte, in der es darum geht, die
Verantwortung von sich abzuwenden und auf andere zu verschieben (Rothgerber & Rosen-
feld, 2021). Dabei wird die persönliche Verantwortung für die Massentierhaltung verschleiert.
Somit werden Unternehmen im Lebensmittelsystem beschuldigt, indem argumentiert wird,
dass man selbst nichts an den aktuellen Gegebenheiten ändern könne, sondern etwas an den
Gesetzen durch die Regierung verändert werden muss. In der letztaufgezählten indirekten
Strategie geht es darum, dass eine Empörung über Dritte stattfindet (z.B. Tiermisshandlung),
um persönliche Schuld zu lindern (Rothgerber & Rosenfeld, 2021). Diese Strategie führt dazu,
die wahrgenommene persönliche Moral zu stärken und sich dadurch positiver zu bewerten.
Neben den indirekten, beschriebenen Strategien bestehen auch direkte Strategien für den
Umgang mit kognitiver Dissonanz. Drei mögliche direkte Strategien sind das Entsagen geisti-
ger Fähigkeiten von Tieren, die Rationalisierung und das Verringern des eigenen Fleischkon-
sums (Rothgerber & Rosenfeld, 2021). (1) Die Dissonanz motiviert dazu, Tieren geistige Fä-
higkeiten abzusprechen. Dabei verweigern die Individuen die geistigen Fähigkeiten nur für
Tiere, die sie selbst konsumieren. Dies tritt vor allem auf, wenn Menschen mit der Verbindung
von Tieren und Leiden konfrontiert werden. Außerdem besteht ein verstärktes Verleugnen,
wenn die Individuen anschließend Fleisch essen (Loughnan et al., 2012). Die Reduktion der
Dissonanz erfolgt somit durch das Zuschreiben einer geringeren Leidfähigkeit der Tiere. Es
32
konnte ebenfalls festgestellt werden, dass zur Reduktion von Dissonanz das Tieren die Mög-
lichkeit Schmerz zu empfinden abgeschrieben wird (Loughnan et al., 2012). (2) Bei einer Ra-
tionalisierung und Rechtfertigung des Fleischkonsums argumentieren Menschen für die Ak-
zeptanz des Verzehrs von Fleisch, sowohl um den Verzehr zu legitimieren als auch um mora-
lische Vegetarier:innen und Veganer:innen als nicht-bedrohlich zu empfinden (Piazza et
al.,2015). (3) Der letzte direkte Mechanismus zur Dissonanz-Reduktion ist das Verringern des
eigenen Fleischkonsums (Rothgerber & Rosenfeld, 2021). Durch diese Strategie der Verhal-
tensveränderung entstehen verschiedene Möglichkeiten für die Menschen, wie die Reduktion
des motivierten Einsatzes kognitiver Strategien, die Verbesserung der Einstellung zum Spe-
ziesismus, die Verringerung der wahrgenommenen Notwendigkeit des Fleischkonsums für die
Gesundheit und eine Verringerung der Ablehnung der Umweltauswirkungen durch die Tierhal-
tung (Rothgerber & Rosenfeld, 2021). Zusätzlich konnte in einer Studie festgestellt werden,
dass eine Konfrontation mit Tierleid die Bereitschaft verringerte, Fleisch zu konsumieren (Hil-
ton & Becker, 2016).
Zudem wurden in einer weiteren Studie kulturelle Unterschiede bezüglich der Strategie der
Verhaltensveränderung erfasst (Khara et al., 2021), wie bereits bei Rothgerber (2021) be-
nannt. Die Teilnehmer:innen einer Studie wurden mit der Tierhaltung und der Schlachtung von
Tieren zum Erwerb von Fleisch konfrontiert. Während australische Teilnehmer:innen ihren
Fleischkonsum reduzierten oder sich tierfreundlicheren Alternativen zuwendeten, griffen indi-
sche Teilnehmer:innen auf die Strategien der Distanzierung und emotionalen Betäubung zu-
rück, um Dissonanzen zu vermindern.
Es lässt sich somit zusammenfassen, dass ein Meat Paradox besteht und dieses ebenfalls
den Zustand der kognitiven Dissonanz auslösen kann. Jedoch kann die kognitive Dissonanz
durch verschiedene Strategien reduziert oder unterdrückt werden, womit das Meat Paradox
erhalten bleibt. Aus diesem Grund können Individuen Fleisch konsumieren, während gleich-
zeitig eine emotionale Bindung zu Tieren wie z.B. zu Heimtieren besteht, da der eventuell
auftretende Konflikt unterdrückt oder mit den zuvor genannten Strategien bewältigt wird.
Unterschiede moralischen Denkens von Omnivor:innen und Nicht-Omnivor:in-
nen
Um ein Verständnis davon zu erhalten, wie die Unterschiede des moralischen Denkens zwi-
schen Individuen zu erklären sind, beschäftigt sich der folgende Abschnitt mit der Moral Foun-
dations Theory. Dabei erklärt diese Theorie, inwiefern sich das menschliche moralische Den-
ken durch Einflüsse wie z.B. Kultur oder Nationalität unterscheidet (Simpson, 2017).
33
In der Moral Foundations Theory werden sechs Werte dargestellt, die von jedem Individuum
je nach Lebenseinstellung unterschiedlich gewichtet werden: Pflege/Schaden, Fairness/Be-
trug, Loyalität/Verrat, Autorität/Subversion, Unantastbarkeit/Abwertung sowie Freiheit/Unter-
drückung (Simpson, 2017).
Während sich Omnivoren nach den Werten Autorität und Loyalität richten, bevorzugen Vega-
ner:innen und Vegetarier:innen die Werte Fürsorge und Fairness (Grünhage & Reuter, 2021).
Das bedeutet Omnivor:innen orientieren sich an einer hierarchie-gerichteten Gruppenzugehö-
rigkeit, während Veganer:innen und Vegetarier:innen ein stärkeres Bindungsverhalten und er-
höhte Empathie aufzeigen.
In einer Studie von Markowski und Roxburgh (2019) wurde untersucht, inwieweit die Angst vor
Stigmatisierung von Veganer:innen Auswirkungen auf den Fleischkonsum hat. Im Rahmen
von Fokusgruppeninterviews konnte festgestellt werden, dass Vegetarier:innen und Omnivore
ähnliche negative Vorstellungen von Veganer:innen und Veganismus hatten. Die beiden Grup-
pen berichteten zudem von einer körperlichen und verbalen Distanzierung von Veganer:innen.
Sie fürchteten, dass durch eine mögliche eigene vegane Ernährung andere Personen sie
ebenfalls stigmatisieren und soziale Distanz zu ihnen aufbauen könnten. Die teilnehmenden
Veganer:innen bestätigen diese Erfahrungen. Aus Sicht der Autor:innen sind die Ergebnisse
entscheidend, um einen der Gründe für andauernden Fleischkonsum zu verstehen, die sich
auf sozialen Barrieren begründen (Markowski & Roxburgh, 2019).
Zusammengefasst kann gesagt werden, dass die Befürwortung speziesistischer Einstellungen
signifikant und positiv mit negativen Einstellungen gegenüber ethnischen Minderheiten zusam-
menhängt (Jonas et al., 2014). Dabei bedeutet der Begriff Speziesismus die moralische Dis-
kriminierung von Lebewesen aufgrund ihrer Artenzugehörigkeit. Somit wird das Leben oder
das Leid eines Individuums nicht oder weniger stark berücksichtigt, wenn es nicht einer be-
stimmten Spezies angehört. Die soziale Dominanzorientierung stellt eine kritische individuelle
Differenzvariable dar, die ideologischen Glaubenssystemen und Einstellungen in Bezug auf
Mensch-Mensch-Intergruppen und Mensch-Tier-Beziehungen zugrunde liegen (Jonas et al.,
2014).
Studie zum Thema Fleischkonsum und Gesundheit
Die Anzahl der Menschen in Deutschland, die auf Fleisch oder insgesamt auf tierische Pro-
dukte verzichten, steigt seit einigen Jahren an: Basierend auf einer Befragung von 23.000
Personen in Deutschland über 14 Jahren wurden Hochrechnungen auf rund 70 Millionen Per-
sonen durchgeführt. Diese zeigen, dass die Zahl der Vegetarier:innen von 2016 bis 2020 um
ca. 1,2 Millionen Menschen auf 6,5 Millionen Menschen gestiegen ist. Auch die Zahl der Ve-
34
ganer:innen wuchs von 0,8 Millionen in 2016 auf 1,1 Millionen Menschen im Jahr 2020 (Sta-
tistisches Bundesamt, zitiert nach de.statisa.com, 2021a). Medial werden Gesundheit und
Fleisch auch immer mehr thematisiert, weswegen zum Abschluss dieses Kapitels weitere Da-
ten zu diesem Thema vorgestellt werden.
Im Rahmen einer Studie von Al-Shaar et al. (2020) machten seit dem Jahr 1986 insgesamt
43.272 männliche Angehörige von Gesundheitsberufen in den USA alle vier Jahre, mithilfe
eines detaillierten Gesundheits- und Ernährungsanamnesebogen, Angaben zu ihrer Kranken-
geschichte, ihrer Ernährung sowie ihrem Lebensstil. Eingeschlossene Berufsgruppen waren
Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker, Optometristen, Osteopathen und Podologen. Es wurden
4.456 Herzinfarkte verzeichnet (hierbei ist zu beachten, dass manche Probanden mehrere In-
farktgeschehen erlitten), davon endeten 1.861 tödlich. Laut Studienauswertung stieg das Ri-
siko einen Herzinfarkt zu erleiden nachweislich bei den Menschen, die häufig Fleisch und
Wurstwaren verzehrten. Aus den Auswertungen der Studie geht hervor, dass das Infarktrisiko
um 12% pro Woche stieg, wenn in dieser Woche 4-5 Mahlzeiten aus rotem Fleisch oder Wurst-
waren bestanden. Hierbei fiel vor allem der Verzehr von unverarbeitetem rotem Fleisch ins
Gewicht. Weitere Faktoren, die das Infarktrisiko erhöhen, wie Nikotinabusus, häufiger Verzehr
alkoholischer Getränke, eine positive Familienanamnese bezüglich koronarer Herzerkrankun-
gen, Beruf und Arbeitsstatus, Alter, Body-Mass-Index und die sonstige Krankengeschichte
(z.B. Diabetes oder Gicht) der Probanden wurden untersucht, um falsche Rückschlüsse aus-
zuschließen. An dem, mit dem Verzehr von rotem Fleisch verbundenen, Risiko ändert sich
nach der Ausschlussanamnese jedoch nichts. Doch nicht nur die Nachteile von Fleischkon-
sum, sondern auch die positiven Auswirkungen einer pflanzlichen Ernährung wurden unter-
sucht. So konnte die Studie einen Rückgang der koronaren Herzkrankheiten und des Infarkt-
risikos von 17% aufzeigen, wenn drei der vorher fleischhaltigen Mahlzeiten in der Woche durch
Mahlzeiten durch pflanzliche Proteine ersetzt wurden (Al-Shaar et al., 2020).
Es gibt viele fundierte Studien zum Thema Ernährung und Fleisch (Clonan et al., 2015, Geiker
et al., 2021). Auch in Ausbildungsinhalten für Ärzt:innen wird daher dazu geraten, Fleischkon-
sum zu reduzieren, um präventiv gegen Herzkreislauferkrankungen und Gicht vorgehen zu
können (Pezzutto, Ulrichs & Burmester, 2006).
Doch um die Notwendigkeit der Ernährungsumstellung als präventive Maßnahme deutlich zu
machen, scheinen Fakten nicht auszureichen: Im Jahr 2019 starben in Deutschland 3.373
Menschen in der Folge eines Transportmittelunfalls (Statistisches Bundesamt, 2021b). An
Krankheiten des Kreislaufsystems starben im gleichen Jahr 331.221 Menschen in Deutschland
(Statistisches Bundesamt, 2020).
Betrachtet man diese Zahlen so ist es paradox, dass uns von klein auf beigebracht wird, dass
wir nicht bei Rot über die Ampel gehen sollen, einen Helm beim Fahrradfahren tragen sollen
35
und uns auf den Straßenverkehr konzentrieren sollen, während wir Auto fahren. Jedoch be-
kommen wir nicht beigebracht, wie wir uns gesund ernähren. Dieses Teilkapitel soll einen An-
stoß liefern, dieses Ungleichgewicht auszugleichen und die eigene Ernährung im Allgemeinen
und den eigenen Fleischkonsum im Speziellen auch in Bezug auf gesundheitliche Aspekte zu
hinterfragen.
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Mio.). Zitiert nach de.statista.com. https://de.statista.com/infografik/24000/anzahl-der-
vegetarier-und-veganer-in-deutschland/ [26.10,2021]
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contexts: Reactions among Chinese and French participants. Appetite, 96, 187-194
37
6. Diskrepanz in der Behandlung verschiedener Tiere
Simon Shaw, Hannah Ohm, Sophia Johanni, Theresa Sophie Busse, Julia Nitsche
Laut aktuellen Studien besitzen rund 47% aller Haushalte mindestens ein Haustier (ZZF & IVH,
2020). Ungefähr 75,5 Millionen Deutsche (90,98%) konsumieren regelmäßig Fleisch (Statisti-
sches Bundesamt, 2021). Setzt man diese beiden Angaben miteinander in Beziehung, kann
vereinfacht angenommen werden, dass ca. 9 von 10 Personen, welche Haustiere halten,
Fleisch konsumieren. Die Diskussion rund um Fleischkonsum ist sehr hitzig aufgeladen, häufig
prallen gegensätzliche Meinungen frontal aufeinander, ohne einen Mehrwert zu erzeugen. Wa-
rum behandeln Menschen Tiere so unterschiedlich? Warum gefällt es uns Haustiere zu hal-
ten? Was für kulturelle Unterschiede gibt es in der Behandlung von Tieren? Wie hat sich unser
Verhältnis zu anderen Tieren im Laufe der Zeit entwickelt? Welche psychologischen Phäno-
mene spielen hierbei eine Rolle?
Diese Fragen sollen nun möglichst perspektivenreich beantwortet werden, um einen Beitrag
zur Debatte rund um die Mensch-Tier Beziehung zu leisten.
Begriffserläuterung
In folgender Analyse wird der Blick auf die Diskrepanz in der vom Menschen ausgehenden
Behandlung verschiedener Tiere gelegt. Zunächst werden Begriffe definiert, die im weiteren
Verlauf des Kapitels eine Rolle spielen werden. Anschließend folgt die Betrachtung der Histo-
rie von Mensch-Tier Beziehungen, um zu verstehen, auf welcher Grundlage die heutige Dis-
krepanz entstanden ist. In diesem Zusammenhang wird auf den Vergleich verschiedener Län-
der und deren Verhältnis zu Tieren eingegangen. Die Länder Indien, Peru, Griechenland, Na-
mibia, Frankreich und China werden hierbei genauer betrachtet. In einem weiteren Schritt wer-
den besonders die Tiere Schwein und Hund kontrastiert, wobei die Autor:innen in die zeitak-
tuelle Studienlage eintauchen. Abschließend werden die psychologischen Hintergründe der
unterschiedlichen Behandlungsweisen von Tieren und des Fleischkonsums beleuchtet. Hier-
bei liegt der Fokus insbesondere auf der historischen Analyse, der empirischen Diskrepanz
und der kulturellen Analyse.
Um ein einheitliches Verständnis als Grundlage für die nachfolgenden Ausführungen zu schaf-
fen, werden nun zunächst die Begriffe Nutztier, Haustier und Heimtier definiert.
Ein Nutztier ist ein Tier, das domestiziert wurde, damit es dem Menschen einen bestimmten
Nutzen beschert. Nutztiere werden entweder wegen Ihrer Arbeitsleistung (z.B. als Last- und
Zugtier, bei der Jagd, bei der Polizei) gehalten oder wegen Ihres Nutzens, um tierische Pro-
dukte (z.B. Milch, Wolle, Eier) zu erhalten oder um Bestandteile als Nahrung (z.B. Fleisch)
oder Bekleidung (z.B. Leder, Pelze) zu verwenden (Heim- und Haustiere, o.J.).
38
Haustiere sind Tiere, die durch Domestikation aus Wildtierarten hervorgegangen sind (Heim-
und Haustiere, o.J.). Domestikation beschreibt die Umwandlung von Wildtieren in Haustiere,
durch genetische Isolierung der Haustiere von den Wildtieren (Biologie Seite, o.J.).
Als Heimtiere werden Tiere bezeichnet, die von Menschen in engem Kontakt gehalten werden.
In diesem Falle ist es nicht möglich, die Begriffe Haustier und Heimtier deutlich zu trennen. Ein
Blindenhund beispielsweise ist somit zugleich ein Nutztier, Haustier und Heimtier. Als Heim-
tiere gehalten werden neben den domestizierten Tierarten auch nicht domestizierte Tierarten
z.B. Vogelspinnen und Schlangen (Heim- und Haustiere, o.J.).
Um besser verstehen zu können, wie die Diskrepanz in der Behandlung unterschiedlicher
Tiere entstanden ist, ist es sinnvoll sich nun mit er gemeinsamen Historie von Mensch und Tier
zu befassen.
Historie
Die Ursprünge der Nutztierhaltung liegen in der Domestizierung von Wildtierarten und lassen
sich auf circa 10.000 bis 8.000 Jahre v.Chr. zurückverfolgen. Mit Ausnahme von Schweinen,
die von einheimischen Wildformen abstammen, haben die meisten domestizierten Tierarten
ihren Ursprung außerhalb Europas (dpa, 2017). Bislang gingen die Ursprünge der meisten
heute lebenden Hunde auf Domestikationen aus Südostasien zurück. Neuere Erkenntnisse
beweisen allerdings, dass Mensch und Wolf in Europa und Asien ungefähr zum gleichen Zeit-
punkt zueinander fanden (brt & dpa, 2016). Dies ist durch die soziale Ähnlichkeit von Wolf und
Mensch zu erklären. Sie lebten jeweils in Kleingruppen, in denen es notwendig war, viel zu
kooperieren, um das Überleben zu sichern (Jung, 2020). Im Laufe der Zeit entwickelte sich
der Wolf vom Jagdbegleiter und Bewacher immer mehr zum Haustier und Freund. Während
Nutztiere wie das Schwein sich immer weiter vom Haus und schließlich auch dem Hof entfern-
ten, näherten sich Wolf und Mensch weiter an. Heute hat ein Hund nur noch selten die Aufga-
ben, die ein Wolf zur damaligen Zeit hatte. Innerhalb weniger Generationen machte er eine
starke Wesensänderung durch. Aufgrund der Zusammenarbeit und des Zusammenlebens mit
dem Menschen mussten die Tiere weniger Energie in den Überlebenskampf stecken. Der hier-
mit verbundene Stress blieb aus und es ließ mehr Kapazität zum Lernen und Anpassen an die
sozialen Regeln des Menschen. Die Tiere wurden zahmer und unterwürfiger (Stoppel, 2018).
Vor wenigen Jahrzehnten war es für die meisten Menschen alltäglich Nutztiere am eigenen
Hof zu halten und zudem selber zu schlachten. In sehr kurzer Zeit haben Menschen sich, im
Gegensatz zu ihrer Beziehung zu Haustieren, immer mehr von Nutztieren entfernt und sehen
sie heute oftmals nur als Nahrungs- oder Bekleidungslieferant (Marquardt, 2011).
Hierbei können wir aber keineswegs von einem einheitlichen Bild auf der gesamten Welt re-
den. In der Tat unterscheiden sich die Umgänge mit verschiedenen Tieren stark zwischen
39
unterschiedlichen Kulturen und Grenzen. Diese Unterschiede sollen nun deutlich gemacht
werden.
Vergleich auf internationaler, kultureller Ebene
Der Umgang mit Tieren ist stark kulturell geprägt. Ein Vergleich verschiedener Länder und
deren kultureller Umgang mit Tieren soll Aufschluss darüber geben.
Ein bekanntes Beispiel für einen stark kulturell bzw. religiös geprägten Umgang mit Tieren ist
das Land Indien, in dem Kühe als heilig wahrgenommen werden. Das bedeutet, sie haben dort
einen besonderen Stellenwert und Schutz. Begründet ist dieser Stellenwert in der Religion des
Hinduismus, in der die Kuh als Göttin angesehen wird. Es ist gewöhnlich, dass die Kühe sich
freilaufend in der Landschaft Indiens bewegen, gleichzeitig ist die Schlachtung in vielen Ge-
bieten Indiens verboten (Bruhns, 2013).
Auch in Peru ist der Umgang mit Tieren kulturell geprägt. Während Meerschweinchen für Kin-
der und Familien der deutschen Kultur als Heimtiere wahrgenommen werden, sind sie in Süd-
amerika ein Nationalgericht. Sie leben dort in den Bergen und sind von größerer Statur als die
Heimmeerschweinchen in Europa. In Peru werden jedes Jahr bis zu 65 Millionen Meer-
schweinchen gegessen. Das örtliche Grundnahrungsmittel findet sich an fast jedem Imbiss-
stand als Street Food und in den meisten Restaurants am Spieß gegrillt (Bruhns, 2013).
Ein weiteres Land, das für den Vergleich herangezogen wird, ist Griechenland. Dort leben viele
Katzen auf der Straße, erkranken und finden häufig keine Nahrung. Hunde werden oft ausge-
setzt oder leben angekettet Tag und Nacht draußen. Ein Grund dafür ist ein abgeschwächter
Stellenwert im Gegensatz zur deutschen Kultur. Sie werden dort oft als Nutztiere (z.B. Wach-
hund) oder sogar als Schädlinge, die Krankheiten übertragen können und schmutzig sind, ge-
sehen (Tierschutzinfo und Auslandstierschutz, o.J.).
Als Beispiel dienen ebenso verschiedene Länder Afrikas wie etwa Namibia. Dort wird die Tro-
phäenjagd angeboten und durchgeführt. Trophäenjagd bedeutet, dass Menschen dafür be-
zahlen, besondere Wildtiere erlegen zu dürfen. Jedes Jahr gehen in Afrika mehr als 18.000
Tourist:innen auf Großwildjagd und töten dabei über 120.000 Wildtiere, u.a. Elefanten, Löwen,
Geparde, Nashörner und Zebras. Solche Trophäen können häufig legal nach Deutschland im-
portiert werden. Es gibt teilweise Medaillen- und Rekordvergaben für die besten Trophäen (Pro
Wildlife, o.J.).
Während Frankreich ebenso wie Deutschland stark durch die europäische Kultur geprägt wird,
gibt es dennoch auch Unterschiede. Eine französische Tradition ist der Verzehr von Fröschen
und Schnecken. In Frankreich werden ca. 40.000 Tonnen Schnecken und 5.000 Tonnen
Froschschenkel im Jahr verspeist. Die Anzahl der in der freien Wildbahn lebenden Frösche
40
und Weinbergschnecken nimmt ab, einige Froscharten sind sogar vor dem Aussterben be-
droht, weshalb die Tiere oft aus anderen Ländern bezogen werden, z.B. aus der Türkei, Ru-
mänien und Albanien (Wüpper, 2008).
Zuletzt wird das wahrscheinlich bekannteste Beispiel für den kulturell unterschiedlichen Um-
gang mit Tieren in Bezug auf das Essverhalten beleuchtet. Eine Recherche des Süddeutschen
Zeitung Magazins bestätigte, dass in China teilweise auch Affen verzehrt werden (Strittmatter,
2013). Diese werden am Tisch fixiert, während ihnen die Schädeldecke bei Bewusstsein auf-
gebrochen wird, um anschließend das Gehirn aus dem lebendigen Affen zu löffeln.
In China gibt es zudem exotische Tiermärkte, z.B. den Huanan-Markt. Dort werden Meeres-
früchte, aber auch Krokodile, Schlangen, Pfaue, Kamele, Riesensalamander und Schuppen-
tiere verkauft (Schlechtriemen, 2020; dpa, 2020). Schuppentiere gelten als Delikatesse, wes-
halb sie vor dem Aussterben bedroht sind. Die Gründe für den Verzehr von Exoten sind die
angeblichen medizinischen Heilkräfte (afp & gux, 2014).
In einigen Regionen/Provinzen Chinas, genauer in 5 von 22, werden Hunde und Katzen als
Nahrungsmittel genutzt. Zum Teil werden die Hunde auch lebend verspeist, wobei sie vorher
verstümmelt werden, damit sie in ihrer Todesangst mehr Adrenalin produzieren und somit das
Fleisch zarter ist (DTW Redaktion, 2016). Ein Teil der chinesischen Bevölkerung gehen davon
aus, dass Hundefleisch gesund sei und die Potenz steigert. Der Verzehr von Hundefleisch ist
außerdem seit Jahren Tradition. In China gibt es Lebendtiermärkte, auf denen z.B. Hunde
angeboten werden. Die Kund:innen können sich aus dem Drahtkäfigen ein Tier aussuchen,
schlachten lassen und mitnehmen. Die Preise für einen lebenden Hund liegen bei ca. vier Euro
pro Kilogramm, die Preise für einen geschlachteten Hund bei ca. fünf Euro pro Kilogramm
(Morlok & Margenfeld, 2018). Im Vergleich dazu liegt der Preis für ein Kilogramm Rind 2021
bei ca. acht Euro (GlobalProductPrices.com, 2021). Pro Jahr werden in China 20 Millionen
Hunde und Katzen geschlachtet. Die meisten Hunde stammen von Händler:innen, die sie von
Privatpersonen oder Züchter:innen abkaufen, oft sind auch gestohlene Heimtiere dabei (Jerg-
ler, 2017; Morlok & Margenfeld, 2018).
Hier wird deutlich, dass es nicht nur Differenzen hinsichtlich des Umgangs mit bestimmten
Tieren in verschiedenen Ländern gibt, sondern auch innerhalb der einzelnen Länder. Diese
Differenzen äußern sich häufig auch in den Attributen, die den Tieren zugeschrieben werden.
Sind diese Attribute meist rational begründet oder häufig auch vorurteilsbasiert? Dies soll im
folgenden Abschnitt unter Bezug auf empirische Ergebnisse analysiert und erläutert werden.
Vergleich Hund und Schwein
Tieren werden oftmals bestimmte Eigenschaften und Attribute zugeschrieben, die sich im
Laufe der Zeit auch in die alltägliche Sprache integrierten. Menschliches Verhalten wird mit
41
Hilfe von Tiermetaphorik in jeglicher Hinsicht ausgedrückt. Menschen können als „Frechdachs“
oder „Dreckspatz“, „Klammeraffe“ oder „Aasgeier“. Aber treffen all diese Charakterisierungen
auch wirklich so auf das jeweilige Tier zu?
Um die Diskrepanz zwischen verschiedenen Tieren und vor allem unterschiedlichen Kategori-
sierungen besser zu verstehen, ist die genauere Betrachtung der den Tieren zugeschriebenen
Eigenschaften interessant.
Dieses Kapitel beschäftigt sich insbesondere mit den reellen, sowie wahrgenommenen Unter-
schieden zwischen Hund und Schwein. Wird der Hund stärker als Haustier wahrgenommen,
weil er tatsächlich schlauer ist als beispielsweise das Schwein, welches oft Attribute wie dre-
ckig oder unintelligent zugeschrieben bekommt?
a. Studienlage
Verschiedene Forschungseinrichtungen haben sich mit diesen Themen beschäftigt:
Eine Studie der University of Exeter and Canterburry Christ Church aus dem Jahr 2018 zeigt,
dass Hunde nicht schlauer sind als viele andere Säugetiere (Lea & Osthaus, 2018). Die For-
scher:innen verglichen den Hund mit Säugetieren der Kategorien Fleischfresser:innen, soziale
Jäger:innen und Haustieren. Sogenannte Erfolge bei Testvergleichen zwischen anderen Säu-
getieren wie dem Wolf, der Katze und dem Hund seien oft überinterpretiert. Aufgrund der ge-
meinsamen Historie und Entwicklung schreibe der Mensch dem Hund eine besondere Stellung
zu. Studien seien oftmals so angelegt worden, dass sie beweisen, wie schlau der Hund dar-
gestellt werden soll (Lea & Osthaus, 2018).
Ein Beweis, dass das Intelligenzniveau von Hunden oft nicht das anderer Tiere übertrifft, über-
liefert eine Studie der ELTE Universität in Budapest (Fraga, Gerencsér, Lovas, Ùjváry & An-
dics, 2021): Hunde und Schweine sollten in einem Experiment die gleichen Probleme lösen
(Öffnen einer Box, in der Nahrung versteckt war). Sowohl die teilnehmenden zehn Schweine
als auch die teilnehmenden zwölf Hunde haben dies schnell verstanden. Je schwieriger es
jedoch wurde die Box zu öffnen, desto schneller wendeten sich die Hunde hilfesuchend an
den Menschen. Schweine versuchten es bei höherem Schwierigkeitsniveau allerdings immer
hartnäckiger. Die Autor:innen der Studie leiteten daraus folgendes Ergebnis ab: Schweine sind
eigenständiger und unabhängiger als der Hund. Das ließe sich durch die vielen Jahre des
Zusammenlebens und Zusammenarbeiten von Hund und Mensch erklären. Aufgrund dessen
sei der Hund nun mehr auf Interaktion und Kooperation mit dem Menschen angewiesen.
In der Tat zeigen eine Vielzahl von Studien, dass Schweine zu den intelligentesten Säugetie-
ren gehören:
42
Wissenschaftler:innen des Friederich-Loeffler-Instituts wiesen Ferkeln einen Namen zu und
brachten ihnen diesen Namen bis zum Erwachsenenalter bei. Diese Fähigkeit war im als er-
wachsenes Schwein sehr wichtig, denn die Tiere erhielten ihr Futter nur wenn sie auf Kom-
mando ihres eigenen Namens zum Trog gingen. Die Schweine verstanden diesen Ablauf sehr
schnell, sodass die Fütterung auf Kommando ohne Chaos verlief. Währenddessen wurden die
Vitalzeichen der Tiere überwacht. Alle Schweine behielten eine ruhige Herzfrequenz und zeig-
ten keine Reaktion bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie ihren Namen hörten (Füßler, 2012).
Ein weiteres Experiment, das die Intelligenz von Schweinen hervorhebt, ist eine Studie der
University of Cambridge (Broom, Sena & Moynihan, 2009). Britische Forscher:innen versteck-
ten Nahrung hinter einem Objekt, sodass das Schwein dies nur in einem Spiegel sehen konnte.
Alle Schweine waren in der Lage die Nahrung aufzuspüren. Sie können also verstehen wie
ein Spiegel und dessen Reflektionen funktionieren, sowie Objekte in ihm wahrnehmen und
interpretieren.
Auch das Klischee, dass Schweine grundsätzlich dreckig sind, ist unzutreffend. Die Tiere wäl-
zen sich im Schlamm, da die Schlammkruste vor Insekten und der Sonne schützt und zudem
bei warmen Temperaturen eine kühlende Wirkung hat. Außerdem achten Schweine, bei aus-
reichend Platz in ihrem Stall, auf eine Trennung von Schlafplatz und Toilette (Füßler, 2012).
Die Schlussfolgerung der hier vorgestellten Studien und Experimente sollte also sein, dass die
Unterscheidung zwischen der Intelligenz und weiterer Eigenschaften von Hund und Schwein
beziehungsweise Haus- und Nutztier in diesem Beispiel nur aufgrund der menschlichen Wahr-
nehmung und kulturellen Normentwicklungen geschieht. Tiere werden nach dem Nutzen sor-
tiert, den sie dem Menschen bringen, was wiederum eine Schlussfolgerung auf die verscho-
bene Wahrnehmung sein kann.
Die Unterscheidung erfolgt zu einem erheblichen Teil auf Grundlage von sozialen und kultur-
anthroposophischen Größen, nicht angesichts unterschiedlicher kognitiver Fähigkeiten einzel-
ner Tiere.
Psychologische Hintergründe der unterschiedlichen Behandlungsweisen sowie
des Fleischkonsums
a. Historische Analyse
Zunächst sollten wir den Blick in die Vergangenheit werfen, um den Wandel von Beziehungen
zwischen Menschen und anderen Tieren zu beobachten. In seinem Buch Eine kurze Ge-
schichte der Menschheit schreibt Yuval Noah Harari (2015, S.101):
43
„Sie [die Menschen] trafen keine Entscheidungen darüber, wo ein Feigenbaum wachsen, wo
eine Herde grasen und welcher Bock sich mit welchem Schaf paaren sollte. Mehrere Zehntau-
send Jahre lang hielt auch der Homo sapiens seine Nase aus den Privatangelegenheiten an-
derer Tierarten heraus.“
Im Zuge der landwirtschaftlichen Revolution setzte sich der Mensch jedoch von ihrer Umwelt
(anderen Lebewesen) ab:
„Damals begannen die Sapiens, ihre Anstrengungen fast ausschließlich auf die Manipulation
einiger weniger Tier- und Pflanzenarten zu bündeln“ (Harari, 2015, S.101).
Der Mensch hat sich also im Laufe der Zeit von anderen Tieren zunehmend distanziert und
sich in der Nahrungskette nach oben gearbeitet. Ist also die heutige, alltägliche, auf Nutzen
ausgelegte Beziehung des Menschen zu den von ihm konsumierten Tieren im klassischen
Sinne natürlich? Interessant ist hier ein Blick ins Militär:
Es gibt bereits substanzielle Forschungsbeweise die, zumindest zwischenmenschlich, eine
grundsätzlicher Gewaltabneigung des Menschen nachweisen. Rückblickende Forschung zu
Kriegen wie unter anderem dem Vietnamkrieg und dem 1. Weltkrieg ergaben, dass das
Schuss-Treffer Verhältnis unverhältnismäßig gering war. Es wurde daher vermutet, dass eine
Vielzahl an Soldat:innen ihre Munition in die Luft schoss (Grossman, 1996). Es sollte offen-
sichtlich evolutionstheoretisch beachtet werden, dass die Ablehnung von Gewalt gegenüber
anderen Menschen aber nicht einfach auf das Verhältnis zu den Lebewesen außerhalb unse-
rer Spezies übertragbar ist.
Trotz dessen malt sich ein Bild, das zeigt, dass Menschen keine grundsätzliche Abneigung zu
anderen Tieren haben. Es ist anzunehmen, dass fast kein:e Hundebesitzer:in in Deutschland
es akzeptabel findet, im Restaurant ein Welpensteak serviert zu bekommen. Trotz dessen
werden regelmäßig Steaks von Schwein und Rind serviert.
Es stellt sich also die Frage: Sind jetzige Nutztiere wie das Schwein, das Huhn, die Kuh, etc.
grundsätzlich prädestiniert auf dem Teller zu landen und Haustiere wie der Hund, das Meer-
schweinchen, die Katze, etc. prädestiniert unseren Alltag zu erleichtern?
Beantworten wir diese Frage mithilfe der Intelligenz, so konnten wir bereits feststellen: Es gibt
oft keinen erheblichen Intelligenzunterschied zwischen den Tieren, welche gegessen werden
und denen welche geliebt werden (Helmenstine, 2020). Ein Schwein könnte in der Theorie
ebenso gut als Haustier funktionieren wie ein Hund, und ein Hund könnte ebenso gut als Nutz-
tier funktionieren wie ein Schwein. Nur ist dies in unserer westlichen Gesellschaft nicht kulturell
genormt. Menschen haben keine grundsätzliche Gewaltaffinität zu Tieren, ebenfalls nicht ge-
genüber Tieren welche konsumiert werden. Dennoch lag der durchschnittliche Fleischkonsum
44
pro Kopf in Deutschland im Jahr 2020 bei 84,48 kg (Statistisches Bundesamt zitiert nach
de.statista.com, 2020). Der Blick sollte weg von einer evolutionären, natürlichen Beurteilung
hin zu einer kulturellen Perspektive gedreht werden. Auf dieser Ebene können wir uns best-
möglich dem ethischen Spagat der unterschiedlichen Behandlungsweisen nähern.
b. Kulturelle Analyse Psychologische Phänomen
Grundsätzlich stellen wir beim Fleischkonsum folgendes fest: Das Handeln und die Werte sind
inkongruent. Die meisten Menschen mögen prinzipiell Tiere und finden Tierquälerei schlecht.
Trotz dessen werden, wie bereits erwähnt, hohe Mengen an Tieren konsumiert. Um ein Gefühl
zu vermeiden, was durch diese Inkongruenz entsteht, gibt es drei Möglichkeiten (Joy, 2010):
1. Werte an Handeln anpassen
2. Handeln an Werte anpassen
3. Wahrnehmung des Handelns so anpassen, dass es so scheint, als passe es zu den
Werten
Die vermeintlich einfachste Methode ist die Anpassung der Wahrnehmung an das Handeln,
sodass es scheint, als passe es zu den Werten. Moralisches Unbehagen kann so vermieden
werden, ohne Handlungs- oder Werteveränderungen vorauszusetzen. Doch wie funktionieren
diese Mechanismen?
Im Englischen spricht man hier von verschiedenen Formen des psychic numbing (Joy, 2010,
S.8), auf Deutsch psychische Abstumpfung. Durch diese lernen wir, bei gewissen Tieren we-
niger zu fühlen. Wir können hier mehrere Formen feststellen. Zunächst die praktische, sowie
symbolische Unsichtbarkeit. Auf einer praktischen Ebene können wir feststellen, dass die täg-
liche Konfrontation mit Massentierhaltung weit vom öffentlichen Auge entfernt geschieht. Trotz
einer Anzahl von jährlich 800 Millionen geschlachteten Tieren in Deutschland haben die we-
nigsten Bürger:innen jemals einen Schlachthof gesehen. Außerdem ähnelt das Fleisch, das
wir essen, größtenteils nicht mehr dem Tier, von dem es abstammt. Studien zeigen, dass ein
größeres Ekelgefühl hervorgerufen wird, wenn das Fleisch dem Tier ähnelt. Fleisch schmeckt
also besser, wenn wir stärker den Gedanken an das Tier ignorieren können. Dies ist ein wei-
teres Zeichen, dass Fleischkonsum anscheinend moralisches Unbehagen hervorruft/ hervor-
rufen kann. Auf einer symbolischen Ebene können wir beobachten, dass Fleischkonsum meist
keiner Rechtfertigung bedarf, da es als der Standard in der Gesellschaft gesehen wird:
„Mainstream is simply another way to describe an ideology that is so widespread – so entren-
ched that it‘s assumptions and practices are seen as simply common sense“ (Joy, 2010,
S.20). Mit zahlreichen historischen Beispielen ist belegt, dass jedoch gesellschaftliche Akzep-
tanz keine unbedingte moralische Konformität bedeutet. Schließlich war auch Sklavenhaltung
gesellschaftlich akzeptiert, rückblickend jedoch nicht moralisch akzeptabel. Diese symbolische
45
Unsichtbarkeit ist allein schon an den fehlenden Begriffen für Fleischkonsument:innen be-
obachtbar. Während Veganer:innen und Vegetarier:innen stets einem Wertesystem unterstellt
werden und der Ausdruck nicht bloß die Form der Ernährung beschreibt, gibt es keinen ver-
breiteten Begriff für Fleischkonsument:innen, außer den der:des Fleischesser:in. Sowohl auf
symbolischer, als auch auf praktischer Ebene verschwindet also durch gewisse kulturelle Ent-
wicklungen der Drang nach Rechtfertigung für Fleischkonsum. Wenn es doch zu Rechtferti-
gung kommt, können wir zwischen den 3 N’s unterscheiden:
Normal: Soziale Normen bestätigen größtenteils Fleischkonsum
Natürlich: Rechtfertigung des Fleischkonsums durch Verweis auf Nahrungskette
und führende Position der Menschen
Notwendig: Es ist für Planet und Mensch notwendig, sich an natürliche Abläufe zu
halten
Was ist also die Quintessenz des Ganzen? Menschen besitzen keine grundsätzliche Ge-
waltneigung, die sich im Verhalten gegenüber den Nutztieren äußert. Im Laufe der landwirt-
schaftlichen Revolution haben sich jedoch die Menschen zunehmend das Tier zum Untertanen
gemacht, was im Laufe der Globalisierung extreme Formen wie die der Massentierhaltung
hervorgebracht hat. Tiere werden heutzutage nicht unterschiedlich behandelt, weil Menschen
tagtäglich bewusst diese Entscheidungen treffen und gewisse Tiere als weniger oder mehr
wertvoll betrachten. Stattdessen gibt die historische, gesellschaftliche Entwicklung einen Rah-
men vor, innerhalb dessen sich Strukturen festigen.
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bis 2020 Zitiert nach de.statista.com. URL: https://de.statista.com/statistik/daten/stu-
die/36573/umfrage/pro-kopf-verbrauch-von-fleisch-in-deutschland-seit-2000/
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URL: https://www.n-tv.de/wissen/frageantwort/Wie-wurde-der-Wolf-zum-Hund-ar-
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zahl_der_Heimtiere_in_Deutschland.pdf [27.10.2021]
48
7. Tierhaltung und Klimaschutz
Jana Noomi Bunkus, Lisanne Güth, Tonja Kochanek, Theresa Sophie Busse
Einleitung
Die Klimaerwärmung wird zunehmend dramatischer. Seit Beginn der Industrialisierung ist ein
Anstieg der Welttemperatur zu verzeichnen, der in den letzten Jahren nochmals stark zuge-
nommen hat. Dies kann anschaulich anhand der sogenannten Klimastreifen dargestellt wer-
den: Seit Beginn der Aufzeichnungen 1850 ist die Durchschnittstemperatur vor allem in den
letzten Jahrzehnten enorm angestiegen. Dies liegt an dem erhöhten Ausstoß von Treibhaus-
gasen, der von uns Menschen seit der Industrialisierung verursacht wird. Ohne den natürlichen
Treibhausgaseffekt würde die Erde vereist sein. Wenn der Effekt jedoch durch das Handeln
der Menschen anhaltend gesteigert wird, wird es so warm, dass die Erde für Menschen und
andere Lebewesen keinen geeigneten Lebensraum bietet (Umweltbundesamt, 2021d). Die
Klimakrise ist menschengemacht und hat nicht nur Folgen für die Natur, sondern auch direkt
für Menschen und andere Lebewesen. Der Climate Change Report des Intergovernmental
Panel on Climate Change (IPCC) sieht u.a. die Nahrungsversorgung gefährdet (IPCC, 2014).
Durch die ansteigende Temperatur könnten wichtige Nahrungsmittel wie Getreide, Reis und
Mais in wärmeren Regionen nicht mehr angebaut werden. Zudem werden die Wasser-Res-
sourcen aus Grundwasser in trockenen, subtropischen Regionen knapp, was den Kampf um
sauberes Wasser erhärten wird (IPCC, 2014). Hitzewellen und andere Extremwetterereignisse
wie Fluten und Stürme werden zunehmen und stärker werden. Es wird viele Menschen geben,
die aufgrund mangelnder Ressourcen aus ihrer Heimat flüchten müssen (IPCC, 2014).
In diesem Kapitel wird der Fokus auf dem Zusammenhang zwischen Klimakrise und Massen-
tierhaltung liegen. Laut Umweltbundesamt war die Landwirtschaft im Jahr 2020 für 63% der
Methan- und 81% der Lachgasemissionen in Deutschland verantwortlich, sowie für 8,2% der
gesamten Jahresemissionen (Umweltbundesamt, 2021b). Dies liegt z.B. an der Entstehung
von Methan während der Fermentation bei Wiederkäuern oder der Lagerung von Wirtschafts-
dünger (Umweltbundesamt, 2021b). Die Landwirtschaft macht demnach einen nicht unwesent-
lichen Teil der Emissionen aus. Welche Sektoren besonders beteiligt an der Entstehung von
Emissionen sind und welche anderen Möglichkeiten sich anbieten, ist in diesem Kapitel zu-
sammengestellt. Die Klimakrise als Ganzes und auch der Zusammenhang zur Landwirtschaft
ist ein sehr komplexes Thema, weswegen in diesem Kapitel nur ein kleiner Einblick gegeben
werden kann.
49
Tierhaltung
a. Rinderhaltung
In Deutschland leben zurzeit etwa 11,7 Millionen Rinder in 133.000 Betrieben, pro Jahr werden
3,2 Millionen Tiere geschlachtet (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, 2021).
Obwohl der Fleischkonsum in Deutschland in den letzten zwei Jahren leicht abgenommen hat,
zeigt sich insgesamt ein Anstieg um 20% zwischen 2002 und 2020 (Bundesanstalt für Land-
wirtschaft und Ernährung, 2021).
Je nach Haltungsform leben die Nutztiere bis zu ihrem Ableben unter mehr oder weniger art-
gerechten Bedingungen, beispielsweise muss jedem Tier Zugang zu genug Futter und Wasser
gewährt werden (Verordnung zum Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere und anderer zur Er-
zeugung tierischer Produkte gehaltener Tiere bei ihrer Haltung (Tierschutz-Nutztierhaltungs-
ordnung - TierSchNutztV § 3 Allgemeine Anforderungen an Haltungseinrichtungen). Diese und
weitere Richtlinien der konventionellen Tierhaltung legen den Fokus auf die Sicherheit, wäh-
rend ein Mindestmaß an Komfort nur so weit gewährleistet sein muss, wie es möglich ist, z.B.
muss die Verunreinigung von Futter und Wasser auf ein Minimum begrenzt werden (Verord-
nung zum Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere und anderer zur Erzeugung tierischer Produkte
gehaltener Tiere bei ihrer Haltung (Tierschutz-Nutztierhaltungsordnung - TierSchNutztV § 3
Allgemeine Anforderungen an Haltungseinrichtungen).
Bei Biosiegeln wie Demeter oder Naturland sieht dies anders aus. Naturland verbietet z.B.
Anbindehaltung und Kuhtrainer
2
und sieht vor, dass die Rinder ihrem Bewegungsbedürfnis
nachkommen können (Naturland, 2020). Auch die Richtlinien von Demeter schreiben Weide-
gang oder ständigen Auslauf für die Tiere vor (Demeter e. V., 2021). Aus einer tierethischen
Sicht ist die Rinderhaltung, die den Vorgaben von Biosiegeln wie Demeter und Naturland folgt,
besser als die konventionelle Haltung. Klimatechnisch betrachtet, trägt Bio-Rindfleisch aus
Deutschland hingegen genauso viel zum Treibhauseffekt bei, wie das aus konventioneller Hal-
tung (Meier et al., 2015; Reinhardt et al., 2020). Um den Einfluss menschlichen Verhaltens auf
das Klima zu quantifizieren, bieten sogenannte CO2-Äquivalente eine gute Möglichkeit. CO2-
Äquivalente ist eine Einheit, die benutzt wird, um die Effekte aller relevanten Treibhausgase
miteinzubeziehen und vergleichen zu können, z. B. entspricht 1kg Methan 21kg CO2-Äquiva-
lente (Meier et al., 2015). Die Herstellung von 1kg Rindfleisch verbraucht etwa 13,6kg CO2-
Äquivalente und von 1kg Bio-Rindfleisch sogar 21,7 kg CO2-Äquivalente. Der hohe CO2-Fuß-
abdruck von Bio-Rindfleisch lässt sich u.a. damit erklären, dass die Herstellung von Bio-Le-
bensmitteln, wie dem Biofutter für die Tiere, mehr Anbaufläche aufgrund geringerer Erträge
2
Ein Kuhtrainer bezeichnet einen elektrischen Draht, der sich während des Harnens oder Ko-
tens über dem Rücken der Tiere befindet und sie dazu nötigt, ein paar Schritte zurückzutreten,
um Verschmutzungen auf ein Minimum zu beschränken. (Huber, 2016)
50
benötigt (Reinhardt et al., 2020). Dennoch stellt Fleisch aus konventioneller Haltung keine
klima- und umweltfreundlichere Alternative dar, wie der Abschnitt zu Monokulturen zeigen
wird.
Eine pflanzliche Fleischalternative auf Sojabasis, z. B. eine Menge von 1kg an Burgerpatties,
verursacht mit 1,1kg CO2-Äquivalente weniger als ein Zehntel der Emissionen (Reinhardt et
al., 2020). Zum Vergleich: Ein Auto mit 1,4 Personen verbraucht auf der Strecke von Witten
nach Düsseldorf etwa 9,6kg CO2-Äquivalente, dies entspricht etwa dem Verzehr von 9,6kg
Tofu oder 0,4kg Bio-Rindfleisch (für weitere Beispiele s. Abb. 1).
0,6 0,8 11,4 4,1 4,6 5,1 5,5 9,6 13,6 15,1 21,7
199,5
0
50
100
150
200
250
Abbildung 3: Vergleich der Emissionen verschiedener Lebensmittel und Verkehrsmittel in kg CO2-Äquivalente pro kg
Lebensmittel/Personenkilometer (Reinhardt et al., 2020; Umweltbundesamt, 2019).
51
Die schlechte Bilanz der CO2-Äquivalente liegt im Rindersektor nicht vorrangig an CO2, son-
dern an Methan und Lachgas (Umweltbundesamt, 2021a). Diese Gase haben eine 25x (Me-
than) bzw. 300x (Lachgas) stärkere Treibhausgaswirkung als CO2 (Umweltbundesamt, 2020).
Der Hauptanteil der Methan-Emissionen stammt aus dem Verdauungsvorgang bei Wiederkäu-
ern. Tatsächlich sind die weltweiten Methan-Emissionen fast ausschließlich auf Rinder- und
Milchkühe zurückzuführen.
Hinsichtlich des Futtermittels wird bei der konventionellen Landwirtschaft der Fokus auf eine
ausreichende Futtermenge und Qualität gelegt (Verordnung zum Schutz landwirtschaftlicher
Nutztiere und anderer zur Erzeugung tierischer Produkte gehaltener Tiere bei ihrer Haltung
(Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung - TierSchNutztV) § 4 Allgemeine Anforderungen an
Überwachung, Fütterung und Pflege). Bei Naturland und Demeter muss das Futter 100% Bio-
futter sein und aus eigenem Anbau oder kooperierenden, möglichst regionalen Betrieben
stammen (Naturland, 2020; Demeter e.V., 2021). Aufgrund fehlender Regulierungen werden
in der konventionellen Tierhaltung häufig Soja-Futtermittel eingesetzt, die aus Südamerika im-
portiert werden (WWF, 2020). Im Abschnitt zu Monokulturen wird näher betrachtet, warum
diese Tatsache problematisch ist.
Zur Herstellung von 1kg Rindfleisch werden 15.400l Wasser benötigt so viel verbraucht auch
eine Person, die ein ganzes Jahr lang täglich ca. 3-5 Minuten duscht (Mikhalevich, 2021). Für
die Herstellung von 1kg Vollmilch werden 2000l Wasser benötigt, für dieselbe Menge Hafer-
milch mit 300l hingegen nur etwas mehr als ein Zehntel davon (Reinhardt et al., 2020). Wenn
in einem Haushalt pro Woche ein Liter Milch verbraucht und dieser durch Hafermilch ersetzen
würde, können in einem Jahr 88.400l Wasser gespart werden. Der Analogie zuvor entspre-
chend könnte eine Person mit dieser Wasserersparnis für etwas mehr als 5 ½ Jahre täglich 3-
5 Minuten duschen. Angesichts der möglichen Wasserverknappung durch die Klimakrise ist
der Verbrauch von Wasser ein nicht zu vernachlässigendes Thema.
b. Hühnerhaltung
Im Jahr 2020 wurden in Deutschland 13,3kg Geflügel pro Person konsumiert, das entspricht
ca. 255g pro Woche (Ahrens, 2021b). Um diesem Bedürfnis gerecht zu werden, müssen die
Masthühner möglichst schnell möglichst viel Gewicht zunehmen. Derzeit wandelt ein Tier
1,6kg Futter in 1kg Fleisch um, sodass es an seinem 29. Lebenstag etwa 1,5kg wiegt (an Tag
1 nur 42g das entspricht 2% dieser Masse) (Stadler, 2010). Vor 50 Jahren brauchten die
Hühner doppelt so lang und hätten für diese Zunahme etwa das Dreifache verspeisen müssen
(Stadler, 2010). Eine schnellere Mastdauer ist für das Klima besser, da das Tier weniger Res-
sourcen verbraucht. Allerdings ist die schiere Masse an Tieren heutzutage nicht mit der vor 50
Jahren zu vergleichen. Der Bestand ist im Vergleich zu 1970 um das Fünffache angewachsen
(Ahrens, 2021a).
52
Hinsichtlich der Ressourcen verbraucht vor allem das Fleisch der Hühner sehr viel: Für 1kg
Hähnchenfleisch werden 20.000l Wasser benötigt für 1kg Tofu nur 7.000l (Reinhardt et al.,
2020). Eier schneiden noch besser ab, da 1kg Eier 900l Wasser zur Herstellung benötigen.
Schaut man sich jedoch den CO2-Fußabdruck an, sieht es wieder schlecht für die tierischen
Produkte aus. Während 1kg Hähnchenfleisch 5,5 kg CO2-Äquivalente und 1kg Eier 3kg CO2-
Äquivalente verbraucht, sind es bei 1kg Tofu nur 1kg CO2-Äquivalente (Reinhardt et al., 2020).
Wenn die 13,3kg Hähnchenfleisch pro Person im Jahr durch Tofu ersetzt würden, könnten
59,85kg CO2-Äquivalente gespart werden das entspricht mehr als sechs Autofahrten von
Witten nach Düsseldorf (Umweltbundesamt, 2019).
c. Schweinehaltung
Wurst, Schnitzel oder Speck - in Deutschland ist Schweinefleisch in verschiedensten Formen
noch immer das meistverzehrte Fleisch. Bei den Durchschnittsbürger:innen landeten 2020
ganze 57,3kg Schwein auf dem Teller (Raab, 2020). Erfreulich an dieser Zahl ist, dass es sich
dabei um den tiefsten Wert seit dem Beginn der Berechnung im Jahre 1989 handelt (Bundes-
informationszentrum Landwirtschaft, 2020). Trotzdem erzeugt der Schweinefleischkonsum
durchschnittlich 260kg CO2 pro Bundesbürger:in im Jahr.
Ammoniak ist wohl das größte Problem in der Schweinezucht. Bei Ammoniak handelt es sich
um ein wasserlösliches und farbloses Gas, welches als giftig eingestuft wird und welches man
gut an seinem stechenden Geruch erkennen kann. Das Gas hat die Eigenschaft, sich beson-
ders gut in der Atmosphäre auszubreiten und sich anschließend in Ökosystemen wie Flüssen
und Seen ablagern zu können. Längerfristig trägt es so zur Eutrophierung der Gewässer bei.
Das bedeutet, dass Pflanzen wie Algen, die auf natürliche Art und Weise in den Gewässern
vorkommen, durch Ammoniak so stark gedüngt werden, dass sie übermäßig wachsen und die
Gewässer trüben (Spektrum, 2000). Dadurch können Pflanzen, die eher nah am Sediment
gelegen sind, keine Photosynthese mehr betreiben und sterben ab. Die Folgen sind unter an-
derem eine Verringerung der Artenvielfalt und eine Ansammlung von Biomasse, welche somit
zur Verlandung des Gewässers führt (Umweltbundesamt, 2020). Zwar konnte die Eutrophie-
rung in den letzten Jahren durch verbesserte Kläranlagen und phosphatfreie Waschmittel ein-
gedämmt werden, allerdings verursacht die Landwirtschaft noch immer einen beängstigend
hohen Anteil an Ammoniak, so dass das Problem der Eutrophierung noch längst nicht behoben
ist (Umweltbundesamt, 2021c). Knapp 70% der gesamten Menge an Ammoniakemissionen
stammen aus der Tierhaltung - ganze 19% aus der Schweinehaltung. Mehr Ammoniak Emis-
sionen erzeugt sonst nur die Rinderhaltung mit einem Anteil von 43%. (Umweltbundesamt,
2021a).
53
d. Fischfang und Fischzucht
Fleisch ist demnach schlecht für die Umwelt. Doch wie sieht es mit Fisch aus? Ist eine pesce-
tarische Ernährung das, was die Umwelt noch retten kann? Weltweit werden jährlich ca. 155
Millionen Tonnen Fisch konsumiert (FAO, 2021). Der natürliche Fischbestand kann sich von
diesen enormen Abfangmengen nicht erholen. Der Anteil der Fischbestände, die nachhaltig
befischt werden, sinkt stetig der Trend geht zum industriellen Fischfang. 2050 werden 88%
der Fischbestände überfischt sein und unterhalb der Biomasse liegen, die für die Arterhaltung
benötigt wird. (Worm, 2016). Überfischung ist ein Teufelskreis, der schwierig wieder zu durch-
brechen ist. Durch die drohende Gefahr auszusterben, sind die Fischpopulationen gezwungen,
sich schon in früheren Stadien zu entwickeln, als es normalerweise üblich ist, wenn die Be-
stände nicht überfischt sind und es ausreichend Fisch in allen Entwicklungsstufen gibt. Die
Evolution springt hier ein und so kommt es, dass viele Fische trotz einer kleineren Körper-
größe bereits geschlechtsreif sind (Lund University, 2021). Logischerweise müssen größere
Mengen von den kleinen Fischen gefangen werden, um auf den gewohnten Ertrag zu kom-
men. Somit wird die die Überfischung immer weiter fortschreiten. Dass dies ein Problem für
unser Klima ist und nicht nur für unseren unstillbaren Hunger nach Fisch, erklärten im Sep-
tember 2020 über 300 Wissenschaftler:innen in Ihrem Statement „Ending Overfishing is Cli-
mate Action“. In diesem fordern sie das Europäische Parlament, die Europäische Komission
und alle Europäischen Mitgliedsstaaten dazu auf, strengere Richtlinien für die Fischerei zu
erlassen und somit die Überfischung zu besiegen. Als Argumente führen sie z.B. an, dass
gesunde Fischbestände eine große Rolle für die allgemeine Gesundheit des „Ökosystems
Meer“ spielen. Das Meer ist als CO2-Speicher unerlässlich für eine Aufrechterhaltung des Kli-
mas. Die Überfischung sorgt für eine geringere Resilienz des Meeres, sodass es schlechter
auf klimatische Veränderungen reagieren kann und weniger CO2 absorbiert (Our Fish, 2020).
Ein weiteres Ökosystem, das von den Auswirkungen des Fischfangs betroffen ist, sind Koral-
lenriffe. Sie sind der natürliche Lebensraum von ungefähr 25% aller Meeres-Organismen (Er-
hardt, 2019) und werden deshalb oft als „Regenwälder des Meeres“ bezeichnet (van Dien &
Stone, 2018). Durch das Abfischen von bestimmten Fischarten sind die Riffe allerdings immer
mehr in Gefahr. Große Fische wie Papageienfische leben in einem symbiotischen Verhältnis
mit den Korallen. Sie fressen bestimmte Algenarten, die sonst die Korallen überwuchern und
zwangsläufig zum Absterben der Korallen führen. Gibt es also weniger große Fischarten, wer-
den immer mehr Riffe von Algen eingenommen (Penn State, 2020). Somit verschwindet mit
den Korallenriffen ein wichtiges Ökosystem, welches zur Gesundheit der Weltmeere beiträgt.
Wenn man sich den Auswirkungen von Fischerei auf die Weltmeere und deren Bewohner:in-
nen bewusst ist, klingt der Begriff Aquakultur wie eine echte Alternative zur Meeresfischerei.
54
Und tatsächlich stammten 2018 46% aller Fische, 61% aller Krebstiere und 75% aller Weich-
tiere auf dem Weltmarkt aus Aquakulturen (FAO, 2020). Allerdings verdrängt die Aquakultur
die traditionelle Fischerei nicht. Longo (2019) argumentiert vielmehr, dass die Aquakultur
durch das gesteigerte Angebot die Nachfrage nach Meerestieren weiter auszubaut und festigt.
Zudem zählen Hecht, Makrele und Barsch, die häufig in Aquakulturen gehalten werden, zu
den Raubfischen. Auch sie müssen gefüttert werden. Das geschieht meist durch wildgefange-
nen Fisch (Greenpeace, n.d.). Problematisch ist außerdem, dass Tiere, die aus der Aquakultur
entkommen konnten, aufgrund ihrer angezüchteten Vorteile wie zum Beispiel ihrer gestei-
gerten Körpergröße oft ihre natürlichen Artgenoss:innen vertreiben und Krankheiten über-
tragen (Aquaculture Stewardship Council).
e. Monokulturen
In Monokulturen wird nur eine Pflanzenart angebaut (Spektrum, 1999). Dadurch werden
Pflanz-, Pflege- und Ernteverfahren einfacher und automatischer, die Landwirt:innen müssen
sich nur noch mit bestimmten Pflanzen auskennen und können sich darauf spezialisieren. Eine
für die Tierhaltung wichtige Pflanze, die in Monokulturen angebaut wird, ist die Sojapflanze.
Entgegen dem häufig genannten Vorurteil, Sojakonsum in Form von Tofu oder veganen Er-
satzprodukten sei für die Zerstörung des Regenwaldes verantwortlich, werden lediglich 5%
des Sojaanbaus für Nahrungsmittel wie Tofu oder Sojasauce verwendet, der Hauptanteil von
80% dient hingegen dem Tierfutter (die restlichen 15% dienen der industriellen Verwendung,
z. B. Öl in Margarine) (Damm & Weber, 2019). Der Anbau von Soja-Futtermittel in Monokultu-
ren in Südamerika ist durch die zunehmende Nachfrage insbesondere von der Europäischen
Union und China angestiegen (Then et al., 2018). Dies steht der Verwirklichung der
Sustainable Development Goals (SDG) entgegen, die unter anderem die nachhaltige Bewirt-
schaftung von Wäldern und den Schutz von Landökosystemen sowie die Gewährleistung der
Verfügbarkeit von Wasser verfolgen; denn durch die erhöhte Nachfrage kommt es zu massi-
ven Entwaldungen und Belastung der Gewässer mit Chemikalien (Then et al., 2018).
Monokulturen weisen eine Vielzahl an Problemen auf: Sie haben nur wenig genetische Vielfalt
und aufgrund eines einzigen Genotyps nur wenig natürliche Abwehr, weshalb mehr Dünge-
und Pflanzenschutzmittel notwendig sind. In Südamerika ist das oft Glyphosat, da die gentech-
nisch veränderte Sojapflanze als einzige dagegen immun ist (Then et al., 2018). Den Preis
bezahlt nicht nur die Natur mit einem starken Rückgang der Artenvielfalt und der Verunreini-
gung von Gewässern, sondern auch die in der Umgebung wohnenden Menschen mit ihrer
Gesundheit, da Glyphosat u.a. im Verdacht steht, krebserregend zu sein (Then et al., 2018).
Zudem führen ein höheres Risiko für das epidemische Auftreten von Schädlingen sowie die
Erschöpfung der Nährstoffe im Boden zu einem höheren Risiko geringer Erträge, was ange-
55
sichts der wachsenden Weltbevölkerung nicht nur jetzt, sondern vor allem in einigen Jahrzehn-
ten ein großes Problem hinsichtlich der Nahrungsmittelversorgung darstellen wird. Die man-
gelnde Biodiversität stellt direkt ein Problem für das Klima dar: Ökosysteme mit wenig Arten-
vielfalt sind instabiler gegenüber Naturkatastrophen wie Überschwemmungen (u.a. durch die
Erosion des Bodens), die mit der Klimakrise noch häufiger werden (Max-Planck-Gesellschaft,
2021; Then et al., 2018). Zudem nehmen artenarme Wälder nur die Hälfte an CO2 auf im
Vergleich zu artenreichen (Huang et al., 2018). Zum Eindämmen der Klimakrise braucht es
vielfältige Wälder wie den Regenwald, um den Treibhausgaseffekt nicht weiter zu verstärken.
Außerdem zeigt sich hier, dass die Klimakrise und ihre Auswirkungen auch deutliche finanzi-
elle Folgen haben werden. Sogenannte „Ökosystem-Dienstleistungen“ fallen weg, da es im-
mer weniger Insekten gibt, wodurch die Felder aufwendig und teuer künstlich bestäubt werden
müssen. Zur Veranschaulichung: Eine künstliche Bestäubung der Nutzpflanzen würde in
Deutschland 3,8 Milliarden Euro im Jahr kosten (Max-Planck-Gesellschaft, 2021).
Dies sind nur wenige der Vielzahl an Problemen, die die Zerstörung des Regenwaldes für
Sojafelder mit sich bringen. Auch in Deutschland sind die Folgen der Intensivierung der Land-
wirtschaft durch den Verlust von Ackerrandstreifen, Pestiziden und Überdüngung bemerkbar:
Die Bestände von vielen heimischen Vögeln wie dem Kiebitz oder der Feldlerche haben stark
abgenommen, beispielsweise gibt es seit 1980 am Bodensee 88% weniger Feldlerchen (Max-
Planck-Gesellschaft, 2019) und der Kiebitz ist aus Dortmund nahezu verschwunden (Kretz-
schmar & Hamann-Tauber, 2019). Insgesamt sind im letzten Jahrhundert bereits so viele Vo-
gelarten ausgestorben wie in den 3000 Jahren davor (Max-Planck-Gesellschaft, 2021). Diese
Tiere sind nur einzelne Beispiele des sechsten großen Massenaussterben (Max-Planck-Ge-
sellschaft, 2021). Das Massenaussterben führt zu weniger Biodiversität, was wiederum die
Stabilität der Ökosysteme massiv gefährdet und die CO2-Aufnahmefähigkeit der Wälder ver-
ringert.
Um die Versorgung von uns Menschen und unseren Nutztieren nachhaltiger zu gestalten als
über klimaschädliche Monokulturen, kann z. B. Aquaponik eingesetzt werden. Die Aquaponik
ist ein System aus Fischen und Pflanzen und ermöglicht eine optimierte Ressourcennutzung
(Aquakulturinfo, 2019). Die Pflanzen werden mit den Ausscheidungen von Fischen gedüngt,
dass u. a. Nitrat enthält. Nitrat stellt einen wichtigen Nährstoff für Pflanzen dar und befindet
sich oft in Düngemitteln der herkömmlichen Landwirtschaft (Gerhard, 2019). Das durch die
Pflanzen verdunstete Wasser wird wiederum aufgefangen und kann für das Wasser im Fisch-
becken verwendet werden. Eine andere, nachhaltigere Alternative ist traditionelle Landwirt-
schaft. So setzen zum Beispiel die Landwirt:innen der Apricot Lane Farms in den USA statt
auf künstliche Düngemittel und Monokulturen auf natürliche Abwehrmittel . Dort werden Gänse
eingesetzt, um die Schneckenplage auf der Obstwiese mit über 125 Obstsorten einzudämmen
56
(Chester, 2019). Insgesamt hat sich eine Gemeinschaft von Pflanzen als deutlich ertragreicher
im Vergleich zu einer Monokultur herausgestellt, da diese die verfügbaren Ressourcen nach-
haltiger nutzen (Zeller et al., 2012). Dennoch existieren heute noch viele Monokulturen, da sie
deutlich einfacher zu bewirtschaften sind.
Umweltsiegel
Im folgenden Abschnitt wird beleuchtet, ob nachhaltige Tierprodukte erworben werden kön-
nen. Zumindest die Produktdeklarationen im Supermarkt können eine:n dies glauben lassen.
Viele Tierproduktarten, die in konventioneller Haltung produziert werden, können auch mit ei-
nem Umweltsiegel erstanden werden. Aber was steckt eigentlich hinter Demeter, Bioland und
Co.?
a. Ökosiegel
Ökosiegel werden für die Einhaltung bestimmter Richtlinien verliehen und sollen Verbrau-
cher:innen helfen, schnell nachhaltige Konsumentscheidungen treffen zu können.
Das Biosiegel. Das Biosiegel ist wahrscheinlich das bekannteste Öko-Siegel. Es bedeutet,
bezogen auf die Tierhaltung, dass dem Tier Auslauf zur Verfügung gestellt wird. Zusätzlich
müssen die Ställe eine bestimmte Mindestgröße haben. Nach den Bio-Richtlinien bräuchte so
zum Beispiel ein Schwein eine Stallfläche von mindestens 1,3m2, sowie eine Auslauffläche
von 1m2 im Gegensatz zu 0,75m2 Stallfläche und keiner Auslauffläche beim gesetzlichen Min-
deststandard (Bundesinformationszentrum Landwirtschaft, Infografik, o.d.). Zusätzlich dürfen
die Tiere keine Antibiotika oder leistungsfördernde Medikamente verabreicht bekommen. Das
Futter muss zu 95% ökologischen Standards entsprechen. Dadurch ist gewährleistet, dass für
das Futter der Bio-Masttiere keine Regenwälder abgeholzt werden, was sich positiv auf das
Klima auswirkt (Hensch, 2020).
Demeter. Das orangene Demeter Siegel ist häufig auf Produkten in Bioläden zu finden. Um
Produkte mit diesem Siegel kennzeichnen zu dürfen, müssen die Tiere mit Futter in 100%iger
Demeter Qualität gefüttert werden. Weiterhin muss 25% des Futters aus dem eigenen Anbau
stammen. Monokulturen oder Regenwaldabholzungen sind also auch hier nicht die Quellen
für das Tierfutter. Erkrankte Tiere sollen möglichst mit anthroposophischen oder homöopathi-
schen Heilmethoden behandelt werden. Zusätzlich ist der Transport ist reguliert. Die Distanz
vom Stall bis zum Schlachthof darf höchstens 200km betragen (Demeter, 2021).
Ökosiegel setzen sich vor allem für das Wohlbefinden der Tiere ein. Neben dem Biosiegel und
Demeter gibt es noch eine Menge andere Ökosiegel. Leider ist es bisher nicht der Fall, dass
„Bio“ auch gleichbedeutend mit „gut für das Klima“ ist (Reinhardt et al., 2020). Bio-Schweine-
fleisch ist zwar klimafreundlicher als konventionelles Schweinefleisch, dafür ist Bio-Rindfleisch,
57
wie oben erwähnt, wesentlich klimaschädlicher als das konventionelle Rindfleisch (Franzen-
burg, 2008). Wichtig ist es also, Bio-Produkte nicht als gut oder schlecht für das Klima zu
pauschalisieren, denn je nach Produktart ist die Klimabilanz von Produkten mit Ökosiegel bes-
ser oder auch schlechter als bei Tierprodukten aus konventioneller Haltung.
b. Umweltsiegel
Marine Stewardship Council (MSC) Siegel. Das MSC Siegel wird häufig als Umweltsiegel
verstanden. Es steht für zertifizierte und nachhaltige Fischerei und somit für einen Schutz der
Artenvielfalt. Gegründet wurde das Siegel im Jahr 1997 vom World Wide Fund for Nature
(WWF) und Unilever. Heute ist es unabhängig (Hensch, 2020). Greenpeace kritisiert das MSC-
Siegel jedoch stark. Der Non-Profit-Organisation zufolge wird es trotz viel zu hoher Beifang-
Raten und auch bei zerstörerischen Fangmethoden verliehen. Immer wieder werden auch Pro-
dukte aus überfischten Beständen mit dem Siegel gekennzeichnet. Greenpeace wirft dem
MSC-Siegel vor, in einem Interessenkonflikt mit der Industrie zu stehen (Greenpeace, 2017).
Das Regionalfenster. Das Regionalfenster zeigt an, dass die Hauptzutat des gekauften Pro-
duktes mindestens zu 51% aus der angegebenen Region stammt (Hensch, 2020). Durch die
Berücksichtigung des Siegels können Käufer:innen Produkte erwerben, bei denen der CO2-
Ausstoß durch den Transport des Nahrungsmittels möglichst geringgehalten wird.
Trotz aller Siegel sollte berücksichtigt werden, dass tierische Produkte in der Regel einen hö-
heren Ausstoß an Emissionen haben als pflanzliche Alternativen (Reinhardt et al, 2020) und
der einfache Austausch von konventionellem Fleisch durch ein mit einem Siegel zertifiziertem
Fleisch nicht immer zur Reduktion des individuellen ökologischen Fußabdruckes führt.
Resümee
Die Klimakrise ist das größte Problem unserer Zeit. Die folgenden Generationen werden stark
unter extremen Wetterlagen und Temperaturschwankungen leiden müssen. Wenn man daran
denkt, dass dies schon die Kinder und Enkelkinder der jetzigen Generation betreffen wird, gibt
es viele gute Gründe, die Zügel in die Hand zu nehmen und alles Mögliche zu tun, damit die
Realität irgendwann nicht mit jener in sämtlichen dystopischen Romanen übereinstimmt. Das
bedeutet, dass man seinen Komfortraum verlassen muss und sich fragen sollte, was wirklich
wichtiger ist: Ein gutes Stück Steak oder ein Planet zum Leben? Vielleicht hat dieser kurze
Überblick über die komplexen Zusammenhänge zwischen Tierhaltung und Klima den ein oder
anderen Denkanstoß provoziert.
58
Literatur
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Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. (2021). Konsum von Rind- und Kalbfleisch
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8. Tierquälerei
Fenja Göcking, Theresa Sophie Busse
Einleitung
Als der Homo Sapiens vor Jahrmillionen im Rennen der Evolution auf das, im wahrsten Sinne
des Wortes, intelligenteste Pferd setzte, entdeckte er nicht viel später die eigennützigen Mög-
lichkeiten der Domestizierung (= Ausbeutung?) seiner Mit-Arten. Doch tat sich hier ein Macht-
gefälle auf, das heute größer nicht sein könnte und dessen Auswirkungen vermutlich weitrei-
chender schwingen nicht nur durch das Leben aller involvierter Spezies, sondern durch die
gesamte Biosphäre.
Einige dieser Folgen werden in anderen Kapiteln dieses Buches diskutiert, so soll sich dieser
Abschnitt mit einer Thematik beschäftigen, welche offenbar unausweichlich auftritt, sobald
Menschen auf Tiere treffen und umgekehrt: Tierquälerei.
Bei einigen ihrer Formen bildet sich vermutlich ein breiter Konsens darüber, was als Tiermiss-
handlung deklariert wird, bei anderen hingegen erfordert es schon ein genaueres Betrachten.
Wie Akrobat:innen balancieren die denkenden Menschen auf ethischen und ebenso fragilen
Spindeln. Bleiern wiegt hier besonders eins: die Frage nach Verantwortlichkeit, die Frage nach
Moral.
Die Royal Society for Prevention of Cruelty to Animals (RSPCA) untersuchte 2020 allein in
England und Wales über 57.000 Fälle von Tierquälerei (RSPCA, 2021), doch versteckt sich
hinter dieser Einschätzung sicherlich eine Dunkelziffer epischen Ausmaßes. Solche Taten
passieren oftmals unentdeckt und hinter hohen Mauern, mit Opfern, die nicht reden.
Definition von Tierquälerei
Der Duden definiert Tierquälerei als „unnötiges Quälen, rohes Misshandeln von Tieren“ (Du-
den, o.D.). Eine andere Definition lautet: „Sozial inakzeptables Verhalten, das einem Tier ab-
sichtlich unnötige Schmerzen, Leiden oder Ängste zufügt und/oder es tötet.“ (Ascione, 1993).
Kritisch zu betrachten ist in beiden Definitionen das Wort „unnötig“. Die Tierschutzorganisation
PETA Deutschland e.V. fragt hier zurecht: […] ist nicht jede Quälen von Tieren unnötig?
(PETA Deutschland e.V., 2019). Derart unscharfe Definitionen führen dazu, dass eine klare
Beschreibung von Tierquälerei erschwert ist. Zusätzlich lassen sie die Leser:innen allein zu-
rück mit der Entscheidung, wann eine grausame Tat als nötig deklariert werden kann. So wird
beispielsweise das gewaltsame Morden von Tieren zur Fleisch-„Gewinnung“ von den meisten
Menschen als notwendiger Kollateralschaden betrachtet. Viele Studien, welche die Thematik
der Tiermisshandlung explorieren, schließen daher derartige industrielandwirtschaftliche Fälle
62
schon im Vorhinein aus (Agnew, 1998) und beschränken sich auf die „wirklich“ unnötige Quä-
lerei.
Neben der Frage, ob etwas nötig oder unnötig ist, verstärkt die Komplexität der Thematik noch
zusätzlich das Problem des Nicht-Greifen-Könnens. So finden sich in der Literatur verschie-
dene Differenzierungen, von denen hier eine Auswahl vorgestellt wird.
Es besteht beispielsweise eine Unterscheidung indirekte“ versus „indirekte“ Tierquälerei (Al-
leyne et al., 2015). Indirekte Tiermisshandlung wird hierbei oft mit vernachlässigenden Hal-
tungsbedingungen beschrieben.
Eine weitere wichtige Unterscheidung ist die „absichtliche“ gegenüber der „unabsichtlichen“
Tierquälerei (Connor et al., 2018).
Letzte angeführte Differenzierung ist „physisch“ versus „psychisch“. Die physische Tierquäle-
rei umschließt in dieser Abgrenzung all jene Handlungen, die eine Schädigung der körperli-
chen Verfassung eines Tieres zur Folge tragen. Psychische Handlungen hingegen führen häu-
fig zu Ängsten, Angstreaktionen und Verhaltensstörungen der Tiere und können zudem eben-
falls hierdurch zu körperlichen Beeinträchtigungen führen, was nicht weniger wiegt (Vermeu-
len, zitiert nach Connor et al., 2018).
An jenem Dschungel an Begrifflichkeiten lässt sich allenfalls erahnen, wie viele Schweregrade
und Wirkungen dem behandelten Thema innewohnen. An einem Punkt, an dem sogar For-
schung und Literatur Schwierigkeiten haben, einen Durchblick durch das Geäst zu erhaschen,
versagt erst recht eine Disziplin: die Legislative. Und würde man ihr die metaphorische Ma-
chete zu Füßen legen, würde sie sich lachend umdrehen und freudig-pfeifend davon hüpfen.
Warum sich die Mühe machen, wo doch das schutzbedürftige Objekt (nicht Subjekt, ganz
wichtig!) weder demonstrieren, noch klagen, noch bitten kann?
Rechtssprechung
Die Gesetzgebung und Ahndung von Tiermisshandlung lassen sich weder als hinreichend
noch als nützlich fassen. Zwar stellt die Quälerei von Tieren einen Strafbestand dar, jedoch
wird dieser weder konsequent noch für alle Tiere gleichberechtigt verfolgt. Erst seit 2002 ist
der Tierschutz Teil des Grundgesetzes, allerdings ist lediglich die vorsätzliche Handlung von
Täter:innen strafbar (TierSchG). Der allbekannte Satz „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“
scheint ganz klar dem Homo Sapiens vorbehalten zu sein. Wenigstens sind in Paragraf 2 des
Tierschutzgesetztes die Tierhalter:innen zu artgerechter Haltung und Fütterung verpflichtet.
Doch ist die „artgerechte Haltung“ gesetzlich auf einen Quadratmeter für bis zu neun ausge-
wachsene hner bei der Bodenhaltung festgesetzt (TierSchNutztV., 2001, §13a, Abs. 2).
Wobei sich auch hier die Frage nach dem Sinn eines solchen Gesetzes aufdrängt. Wenn sich
dann Täter:innen der Missachtung der gesetzlichen Verankerungen schuldig gemacht haben,
63
winken allenfalls seichte Geldstrafen. Der Höchstsatz einer Strafe für schwere Tierquälerei
liegt bei drei Jahren Freiheitsstrafe. Diese kam seit Inkrafttreten dieses Gesetzes 1972 bloß
ein einziges Mal zum Tragen (PETA Deutschland e.V., 2019).
Das deutsche Tierschutzrecht unterteilt generell in drei Varianten der Quälerei: 1. Das Töten
eines Wirbeltieres ohne „vernünftigen Grund“ ist strafbar (§17 Nr.1 TierSchG). 2. Jemand kann
sich schuldig machen, der einem Wirbeltier „aus Rohheit erhebliche Schmerzen oder Leiden“
(§17 Nr. 2 lit. a TierSchG) zufügt. 3. Wenn jemand „länger anhaltende oder sich wiederholende
Schmerzen oder Leiden“ (§17 Nr. 2 lit b. TierSchG) zufügt. Jedoch bestehen derartige Gesetze
nur für Wirbeltiere. Wirbellose wie Krebse und Würmer werden hier ausgeschlossen. Der
Grund sei ein fehlender empirischer Nachweis über ein Nervensystem, das Schmerz wahr-
nehmen kann. Doch hat nicht jedes Lebewesen einen natürlichen Wunsch nach Leben und
physischer Unversehrtheit? Immerhin klassifiziert die deutsche Legislative nicht in Haustier,
Nutztier oder Wildtier, auch wenn sich durchaus unterschiedliche Bevorzugungen abzeichnen
(PETA Deutschland e.V., 2019).
Ein bekannter Fall für Tierschutz vor dem Gesetz ist das so genannte „Küken-Urteil“ vom Bun-
desverwaltungsgericht im Jahr 2019. Dort wurde den männlichen Küken in der Eierindustrie,
welche aus wirtschaftlichen Gründen wenige Stunden nach dem Schlüpfen getötet werden,
erstmals ein Eigenwert zugeschrieben. Das Gericht sprach kein sofortiges Verbot aus, er-
laubte diese grausame Praktik so lange, bis Methoden der Geschlechtsbestimmung im Ei an-
wendungsfähig sind (Janisch, 2019)
Betrachtung aus Perspektive der Psychologie
Betrachtet man das Phänomen der Tierquälerei aus der Brille einer anderen Disziplin findet
sich auch nicht mehr Klarheit eher so, als schaue man durch die abgetragene Discounter-
lesebrille mit fettigen Fingerabdrücken und dem feinen Riss im linken Glas. Die Psychologie
nähert sich dieser Thematik überwiegend mit der Fragestellung nach dem Zusammenhang
zwischen Quälerei von Tieren und genereller Gewaltneigung. Die Suche nach entsprechenden
Studien führt zu Prozentzahlen mit großen Variationen, von Personen, die angeben schon
einmal in solchen Handlungen involviert gewesen zu sein. Das ist vor dem Hintergrund der
Definitionsproblematik und dem Unbehagen, das im Thema mitschwingt, kaum verwunderlich.
So fand beispielsweise eine Studie heraus, dass 55% der Befragten ein Straftatbekenntnis
machten (Newberry, 2017). Bezieht man sich bei den befragten Personen auf männliche Straf-
täter, so gibt mehr als jeder zweite Straftäter (60%) an, schon einmal bei einem solchen Tun
beteiligt gewesen zu sein (Kellert und Felthous, 1985). Diese Befunde sprechen ebenfalls für
die Verbindung zwischen tierquälerischen Tendenzen und Gewaltneigung. Connor und Kol-
leg:innen kristallisierten in ihrer Erhebung „Factors influencing the prevalnece of animal cruelty
during adolescence“ einige Prädiktoren für Tierquälerei im Erwachsenenalter heraus. Dabei
64
dominierten drei Hauptfaktoren: Die soziale Akzeptanz von tierquälerischer Handlung, anti-
soziales Verhalten und demographische Faktoren (Connor et al., 2021). Diese Befunde schei-
nen intuitiv: lernt ein Kind schon früh ein Lebewesen als ein Objekt ohne Schmerzwahrneh-
mung kennen und beobachtet es ältere Personen, welche das Tier so behandeln, wird es
später zu einer eben solchen Verhaltenstendenz neigen. Die meisten Personen haben den
Impuls, sozial erwünscht zu handeln, so auch hier. Wie verpönt gewaltvoller Umgang mit Tie-
ren ist, variiert nicht nur von Mensch zu Mensch, sondern auch zwischen Gesellschaften. Auch
scheint es wenig verwunderlich, dass Kinder, welche schon gegenüber Altersgenoss:innen
oder anderen Personen anti-sozial auffallen, dieses Verhalten auch, oder vielleicht ganz be-
sonders, bei Tieren ausleben. Der Prädiktor der demographischen Faktoren umschließt vor
allem das Geschlecht und Haustierbesitz. Viele Studien fanden heraus, dass Jungen und Män-
ner häufiger Tiere quälen, als Mädchen und Frauen (Baldry, 2003), was kongruent mit den
Befunden geht, dass auch die meisten generellen Straftaten eher von männlichen Personen
begangen werden. Connor und Kolleg:innen (2021) bemerkten, wie wichtig die Unterschei-
dung in verschiedene Arten der Quälerei von Tieren ist, da sich hierdurch unterschiedliche
Akzeptanzlevels je nach Art abzeichnen. Es ist essenziell zu beachten, dass die Akzeptanz
befragter Personen am geringsten bei absichtlicher und körperlicher Tierquälerei war und
schon eher eine Akzeptanz von unabsichtlicher Tierquälerei zu beobachten war. Am meisten
Verständnis brachten Befragte für vernachlässigende Tierquälerei auf, wobei die Akzeptanz-
levels von männlichen Befragten generell höher waren als von weiblich Befragten (Connor et
al., 2021).
Robert Agnew stellte Ende des zwanzigsten Jahrhunderts eine Theorie zum Auftreten von
tierquälerischem Verhalten auf, welche besagt, dass vier Faktoren hierfür entscheidend seien.
So sollen individuelle Persönlichkeitseigenschaften, Sozialisation, sowie Belastung und sozi-
ale Eingebundenheit, beziehungsweise Nicht-Eingebundenheit, Menschen zu Täter:innen ma-
chen (Agnew, 1998). Neigen Personen generell zu Gewalt und wenig Empathie, steigert dies
die Wahrscheinlichkeit (individuelle Persönlichkeitseigenschaften). Dass Sozialisation, bezie-
hungsweise soziale Akzeptanz, wichtige Schlüsselaspekte darstellen, fand auch schon die
Studie von Connor und Kolleg:innen (2021). Was Agnew hier vor allem vorrausschickt, ist un-
ter anderem die Belastung. So neige jemand, der ohnehin schon psychisch oder emotional
unter Stress steht, eher zu Misshandlung von Tieren (Agnew, 1998). Die soziale Eingebun-
denheit kommt negativ zu Einfluss, sobald sich jemand marginalisiert fühlt, kein Teil einer ge-
sunden Community sein kann. Aus diesen Faktoren leitete Agnew auch Präventionen ab, wel-
che helfen können, das Auftreten von Tierquälerei zu verhindern oder wenigstens zu mindern.
Er listet demnach hohe Empathiewerte, eine gelungene Sozialisation und prosoziale, morali-
sche Glaubenssätze zu den präventiven Variablen. Weiterhin nennt er eine enge Verbindung
zum familiären und sozialen Umfeld, sowie Supervisionen (Agnew, 1998). Er bietet mit seinem
65
Konzept einen ersten Anknüpfpunkt für Pädagog:innen und Institutionen, welcher nun zu nut-
zen gilt. Thomas J. Mowan und John H. Boman konnten Agnew´s Theorie teilweise stützen.
Ihre Ergebnisse aus „Animal Abuse among High-Risk Youth: A Test of Agnew´s Theory“ zeig-
ten, dass eine Kombination aus individuellen Persönlichkeitseigenschaften und sozialisatori-
schen Erfahrungen, genauso wie soziale Kontrollmechanismen signifikant mit Tiermisshand-
lung korrelieren. Sie differenzierten bei den Persönlichkeitsmerkmalen die Variable der gerin-
gen Selbstachtung,- so neigen Personen mit einem solch geringen Selbstwert eher zu quäle-
rischen Taten (Mowan & Boman, 2019). Ebenso kristallisierten die Forscher unter dem Faktor
Sozialisation den Prädiktor „Anfälligkeit für sozialen Einfluss“ heraus und argumentierten, dass
eine generelle Neigung zu Gewalt positiv mit sozialer Beeinflussungstendenz einhergeht, was
auch auf den Bereich der Tierquälerei zu übertragen ist. Kellert und Felthous befragten Mitte
der achtziger Jahre 158 männliche Straftäter zu deren motivationalen Antrieben für Tierquäle-
rei. Die neun Motive für solches Handeln war unter anderem Rachenahme, Kontrollerlangen
über das Tier oder das Ausleben spezizistischer Vorurteile. Weiterhin fanden auch Gründe wie
das Ausleben von Aggression oder unspezifischem Sadismus ihren Niederschlag (Kellert &
Felthous, 1985). Levitt und Kolleg:innen befragten 150 männliche Täter nach den Methoden
ausgeübter Misshandlungen und differenzierten auch hier in aktive und passive Tierquälerei.
Die häufigsten Formen der aktiven Misshandlung umfassten Grausamkeiten wie Treten, Wer-
fen, Erwürgen oder Erstechen. Bei der Frage nach passiver Quälerei gaben 91% aller Befrag-
ten an, dem Tier nicht genügende oder angemessene Futter- und Wasserbereitstellung gebo-
ten zu haben. Weiterhin fand nur ungenügende oder keine tierärztliche Behandlung statt (Levitt
et al. 2016). Michelle Newberry untersuchte in ihrer Abhandlung „Assiciations between diffe-
rent motivations für animal cruelty, methods of animal cruelty and facets of impulsivity“ unter
anderem auch, welche Tierarten Quälerei am häufigsten zum Opfer fallen. Hier fand sie her-
aus, dass Hunde, Katzen und Spinnen die bevorzugten Opfer von Misshandlungen sind, ge-
folgt von einigen weiteren wie Fischen, Eidechsen und Vögeln (Newberry, 2017). Ein mögli-
cher Erklärungsansatz könnte auch hier wieder die Wahrscheinlichkeit bieten: Hunde und Kat-
zen sind mitunter die häufigsten Haustiere,- sie leben nahe mit dem Menschen zusammen und
sind daher leichter zu erreichende Opfer für Grausamkeiten.
Resümee
Auch wenn die Psychologie einige Risikofaktoren und Motive diskriminieren konnte, bleibt Tier-
misshandlung zurück als ein komplexes, schwer definierbares Konstrukt, welches nicht weni-
ger sensibel und unangenehm ist. So wissen wir tief in uns um die moralische Verwerflichkeit,
um den Handlungsbedarf im Gesetz und vor allem um den Bedarf in der Aufklärung. Viele
Täter:innen handeln nicht immer vorsätzlich, sondern einfach aus einem Mangel besseren
Wissens. Ganz besonders Kinder sollten begreiflich gemacht bekommen, welche Auswirkun-
66
gen ihre Handlungen haben, dass Tiere schutzbedürftig sind. Erste Anhaltspunkte bieten ver-
schiedenste Präventionsideen, wie sie unter anderem aus dem Modell von Agnew herausge-
hen. Auch sozialisatorische und kulturelle Aspekte müssen Veränderung erfahren und Tiere
in den Köpfen der Menschen als fühlende Wesen begriffen werden.
Denn letztlich verschwimmen all diese Informationen in einer zähen, farblosen Masse aus Da-
ten und Fakten. Sie sammeln sich zu einem Gerinnsel, münden in einem dunklen Meer aus
Grausamkeit und Opfern, um das lieber ein Bogen gemacht wird. So süßlich lockt die Ignoranz,
so verführerisch das Wegschauen. Wer diesem Ruf widersteht und dem leisen, aber steten
Flüstern der Moralität folgt, kann tätig werden. Bei Beobachtungen solcher Handlungen kann
gegebenenfalls eigeschritten oder Meldung (mithilfe von Beweismaterial) bei Polizei, Veteri-
när:innenamt oder einem Tierschutzbund gemacht werden. Sei mutig, dich der Verantwortung
zu stellen, die du als Angehörige:r einer privilegierteren Spezies bekommen hast. Stehe für
diejenigen ein, die nicht für sich selbst sprechen können.
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68
9. In-vitro-Fleisch eine Perspektive für Carnivoren?
Tonja Kochanek
Das folgende Kapitel befasst sich mit einer Zukunft der Fleischindustrie. Eine Zukunft in der
Fleisch im Labor (in-vitro) gezüchtet wird, als Alternative zu konventionellem Fleisch. In-vitro
Fleisch (IVF) besteht primär aus synthetisch gezüchtetem Muskelgewebe sowie Fettgewebe.
Der zelluläre Aufbau ist identisch mit dem von konventionellem Fleisch (Reynolds, 2018). Die
meisten Unternehmen arbeiten bisher vor allem an der Herstellung von wenig strukturierten
Rindfleisch-Produkten (Spreer, 2021), der erste kommerzielle Verkauf eines IVF Produkts star-
tete jedoch mit einem Hühnerfleisch-Produkt (Leopold, 2021). Entsprechend der Vielzahl an
Unternehmen, die IVF auf den Markt bringen (möchten), gibt es viele Begriffe für IVF zum
Beispiel kultiviertes Fleisch, Kulturfleisch, safe meat, clean meat, victimless meat, Labor-
fleisch, Kunstfleisch, tissue-engineered meat, Tubesteak oder test-tube meat.
„Ein alter Hut“ – Ein Resümee von der Idee bis zum Produkt
In-vitro-Fleisch, lat. für “Fleisch im Glas” ist keine neue Idee. Bereits zu Beginn des letzten
Jahrhunderts hat unter anderen Winston Churchill die Absurdität des Fleischkonsums erkannt
insbesondere des Konsums weniger Teile eines Tieres und er hat im Labor gezüchtetes
Fleisch prognostiziert.
„Wir werden der Absurdität entgehen, ein ganzes Huhn zu züchten, um die Brust oder den
Flügel zu essen, indem wir diese Teile getrennt auf einem geeigneten Medium züchten. [...]
Die neuen Lebensmittel werden nicht vom Naturprodukt zu unterscheiden sein.“ (Übersetzt
aus dem Englischen; Churchill, 1932)
Damit war Churchill ein wahrer Visionär und seiner Zeit weit voraus, denn erst 1997 meldete
Willem Frederik van Eelen mit weiteren Mitstreiter:innen ein Patent an, für ein Herstellungs-
verfahren von IVF in industriellem Maßstab das erste Patent dieser Art (Van Eelen et al.,
1997). Noch mal über eine Dekade später, im Jahr 2013, wurde der erste in-vitro Burger von
der Öffentlichkeit wahrgenommen verköstigt. Hergestellt wurde der Burger von einer Projekt-
gruppe an der Universität Maastricht in den Niederlanden. Die hierfür aufgewendeten Kosten
betrugen ca. 250 000 Euro (Schlütter, 2013). Immer noch exklusiv, jedoch seit Ende 2020 in
Singapur zugelassen und seitdem kommerziell erhältlich, sind Chicken Nuggets überwie-
gend aus in-vitro Fleisch für etwa 42 Euro pro Stück (Leopold, 2021). Laut Prognosen soll
der IVF-Preis im Jahr 2032 dem Preis von Fleisch getöteter Tiere entsprechen (Terpitz, 2021).
Um eine Alternative zur konventionellen Fleischproduktion aus Nutztieren zu bieten, müssen
Verfahren zur industriellen Massenproduktion entwickelt werden. Weltweit arbeiten über 80
Unternehmen mit Hochdruck an entsprechenden Verfahren für die Produktion von Fleisch und
69
Fisch (Waltz, 2021. Die Unternehmen verwenden viele verschiedene Begriffe für IVF und der
Begriff IVF wird in der Öffentlichkeitsarbeit der Unternehmen gemieden (Ferrari & Lösch,
2017), im wissenschaftlichen Diskurs jedoch häufig verwendet, aufgrund der Neutralität. Bei
einer kurzen Umfrage an der Universität Witten/Herdecke im Rahmen des Seminars Mensch-
Tier-Beziehung im Sommersemester 2021 mit 32 teilnehmenden Studierenden sowie fünf Do-
zent:innen, wurde der Begriff victimless meat favorisiert.
Tierleidfreies Fleisch oder doch nicht? Herstellung von IVF
Bisher produziertes IVF ist nicht tierleidfrei. Enttäuschend für all diejenigen, die aus ethischen
Gründen auf den Konsum von Fleisch verzichten und gehofft haben, in naher Zukunft ohne
Gewissensbisse Fleisch essen zu können. Basis für IVF ist das Gewebe von Tieren. Im ersten
Produktionsschritt wird einem lebenden Tier mittels einer Biopsie Muskelgewebe entnommen,
um daraus adulte Stammzellen zu generieren. Laut Mosa Meat (ein Unternehmen, das aus
der Projektgruppe entstand, welche 2013 den ersten in-vitro Burger präsentierte) können
80.000 Burger Patties mit einer entnommenen Gewebeprobe von der Größe eines Pfeffer-
korns (0,5 Gramm) hergestellt werden (Growing Beef, o. D.). Der erste Produktionsschritt wird
wie bei Mosa Meat bisher auch bei allen anderen Unternehmen auf gleiche Weise ausge-
führt (Reynolds, 2018). Die Stammzellen wachsen anschließend in einem Bioreaktor auf einer
Nährlösung aus Zucker, Aminosäuren, Mineralien und Vitaminen sowie einem Wachstumsse-
rum heran, sie teilen und vermehren sich. Das Wachstumsserum bestand bis 2019 bei allen
Unternehmen aus dem Blut von Föten. Dafür wird während der Schlachtung trächtiger Mutter-
tiere dem Ungeborenen Blut aus dem Herzen entnommen, der Fötus ist nicht überlebensfähig
(Echtermann, 2019; Engel, 2021). Für das Wachstumsserum wurden und werden folglich Mut-
tertier und Fötus getötet. Zur Herstellung eines einzigen Burgerpatties werden schätzungs-
weise 50 Liter fetales Kälberserum (FKS) benötigt (Reynolds, 2018). Damit sind die Rohstoffe
zur Erstellung des Wachstumsserums für IVF extrem teuer und zudem auch alles andere als
tierleidfrei. 2019 gelang es Mosa Meat ein Nährmedium zu erstellen, welches frei von tieri-
schen Bestandteilen ist, sodass seitdem kein Tier mehr getötet werden muss für die Herstel-
lung des Fleischs (“Growth Medium without Fetal Bovine Serum”, 2019). Die Rezeptur ist ein
Geschäftsgeheimnis, doch andere Unternehmen haben mittlerweile auch Lösungsansätze pa-
rat (Our Meatless Future”, 2021). Bekannte Ansätze sind die Herstellung eines Wachstumsse-
rums aus Pilzen, Hefezellen oder Algen. Unabhängig von der Art des Wachstumsserums bildet
sich Muskelgewebe aus den im ersten Produktionsschritt gewonnen Stammzellen, welches in
einem Gerüst mit mechanischen und elektrischen Impulsen trainiert wird. Das Gerüst besteht
aus Schwämmen, Membranen, kleinen Kugeln und pflanzlichem Kollagen. Einige Unterneh-
men setzen bei der Herstellung auf eine natürliche Umgebung sauerstoffreich und tempera-
turkontrolliert. Das gewonnene IVF ist identisch zu Fleisch von geschlachteten Tieren und
kann genauso weiterverarbeitet werden.
70
“42”? Potenziale und Schattenseite von IVF
Ferrari und Lösch beleuchten in einem Artikel aus dem Jahr 2017 ausführlich, welche Poten-
tiale IVF tatsächlich hat in Relation zu den Schattenseiten. Sie reflektieren kritisch, wie Visio-
när:innen und Unternehmen dazu tendieren, ausschließlich den Fokus auf die positiven As-
pekte zu legen.
IVF hat das Potential große Auswirkungen auf die Mensch-Tier-Beziehung zu haben. Wenn
Tiere unter artgerechten Bedingungen gehalten und nicht zur Nahrungsmittelproduktion ge-
schlachtet werden müssen, kann sich aus psychologischer Sicht das Verhältnis von Mensch
zu Tier (und umgekehrt) wieder verbessern (Kapitel Meat Paradox). Fraglich ist jedoch, unter
welchen Bedingungen Tiere fortan leben werden; denn die Mensch-Tier-Beziehung wird selten
von den Innovator:innen von IVF thematisiert (Ferrari & Lösch 2017). Mark Post, Gründer von
Mosa Meat, nimmt in einem TEDx Talk (2014) Bezug auf Nutztiere:
“Ich denke, aus der Sicht der Kühe [... sie sind] nicht mehr nur Nahrungsmittel und stolz darauf,
ein Stammzellenspender für unsere Nahrungsmittelproduktion zu sein, aber trotzdem am Le-
ben zu bleiben.” (Übersetzt aus dem Englischen)
Posts Auslegung der Gefühle der Kühe führt sicherlich bei einigen Tierethiker:innen zu Wider-
worten. Obgleich ein öffentlich kommuniziertes Motto von Mosa Meat ist, leckeres Fleisch zu
produzieren, das nachhaltig und tierfreundlich ist (“Growth Medium without Fetal Bovine Se-
rum”, 2019), liegt für die Produktion von IVF der Fokus letztendlich darauf, gute Stammzellen-
lieferant:innen zu haben, um ein skalierbares und sauberes Produkt zu erzeugen (Post, 2012).
Konsument:innen befürchten, dass die Technologisierung der Fleischproduktion zu einer wei-
teren Entfremdung von Menschen zu der Erzeugung von Nahrungsmitteln führen kann (aca-
tech & Körber-Stiftung, 2020). Dies spricht nicht unbedingt für eine Verbesserung der Mensch-
Tier-Beziehung durch IVF.
Die Produktion von IVF kann vollkommen transparent und sicher in Fabriken erfolgen, welche
potentiell wie Bierbrauereien besichtigt werden können. Isha Datar, Geschäftsführerin bei
der non-profit Organisation New-Harvest bezeichnet IVF als nächsten (R)Evolutionsschritt in
der Landwirtschaft nach Jagd, Domestikation und Industrialisierung folgt die Zellkultivierung
(Bitten, 2016). Schlachthöfe und Aufzuchtstationen müssen nicht mehr vor der Öffentlichkeit
versteckt werden, da sie - so die Hoffnung - nicht mehr wie bisher existieren. Wie Treich in
einem Artikel 2021 beschreibt, kann IVF in der Tat die Fleischindustrie revolutionieren. Der
Begriff Revolution ist sehr passend, denn ein stabiler Wirtschaftszweig wird komplett neu struk-
turiert. Die Marktanteile der meisten Landwirt:innen werden von wenigen großen Konzernen
71
übernommen. Und das ist die Kehrseite der Medaille, denn dies kann wohlbekannt weitrei-
chende Konsequenzen haben, wie Patente auf Saaten und Tiere in der Vergangenheit gezeigt
haben (“Monopole durch Patente”, o. D.).
Positiv für Menschen ist die Tatsache, dass die Gefahren von Zoonosen und Krankheitserre-
gern bedingt durch tierwidrige Haltung mit der Herstellung von IVF statt Fleisch aus Massen-
tierhaltung drastisch reduziert werden kann (Anomaly, 2020). Vor allem in Hinblick auf die
andauernde COVID-19-Pandemie ein Lichtblick. Insbesondere bei guter Haltung kann ein An-
tibiotikaeinsatz minimiert werden. Geringer Antibiotikaeinsatz ist ein nicht zu verachtender Vor-
teil von IVF im Hinblick auf die Prognose der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass zu-
nehmend Menschen an multiresistenten Keimen sterben; laut Prognose 2050 mehr, als jähr-
lich Verstorbene an Krebs (“New report calls for urgent action”, 2019). Bei der Verwendung
eines Wachstumsserums pflanzlichen Ursprungs können theoretisch wenige Tiere als
“Stammzellenlieferantinn:en” unter ansonsten guten Bedingungen leben. Leider bedeutet die
Haltung von weniger Tieren im Umkehrschluss nicht gezwungenermaße, dass diese Tiere un-
ter besseren Bedingungen leben. Nichtsdestotrotz bietet IVF eine Nahrungsoption ohne Anti-
biotikaeinsatz, Krankheitserreger und Gentechnik. IVF hat ergo ein soziales Potenzial im Hin-
blick auf Gesundheit und Tierwohl.
Die Entscheidung Fleisch zu essen oder eben nicht kann neben direkten gesundheitlichen
und ethischen Aspekten, auch von ökologischen Gesichtspunkten abhängen. Die ökologi-
schen Problematiken der Produktion von konventionellem Fleisch sind hinlänglich bekannt,
unter anderem Treibhausgasemissionen, Wasserverbrauch, Energieverbrauch, Verbrauch
von Landfläche (Kapitel Klima und Umwelt). Werfen wir einen Blick darauf, wie IVF im Hinblick
auf die genannten Aspekte abschneidet.
Es werden weniger Landflächen für Nutztiere und deren Futter benötigt, wodurch vormals be-
nötigte Landflächen größtenteils renaturiert werden könn(t)en. Ressourcen und Böden können
durch die kleinere Anzahl an Tieren geschont werden. Lediglich Fläche für die wenigen Tiere
als Stammzellenlieferant:innen und deren Futter wird benötigt sowie Fläche für die Bioreakto-
ren, in denen das IVF heranwächst.
Offen ist noch, ob viele kleine - aufstellbar in einzelnen Supermärkten oder sogar im eigenen
Haushalt - oder wenige große Bioreaktoren für eine Produktion im industriellen Maßstab be-
nötigt werden und wie hoch der Energieverbrauch sein wird. Aktuell ist der Energieverbrauch
von IVF sehr hoch; 2014 lag die Prognose des Energieverbrauchs höher als bei jeglichem
Fleisch aus konventioneller Nutztierhaltung (Tuomisto et al., 2014). Es ist gut möglich, dass
der Energieverbrauch auch langfristig höher als bei konventionellem Fleisch sein wird (Mattick
et al., 2015). Ohne Energiegewinnung aus regenerativen Quellen ist dies ein deutlicher Nach-
teil.
72
Der Wasserverbrauch für die Produktion von IVF ist geringer, jedoch voraussichtlich höher als
zunächst angenommen (Heinrich-Böll-Stiftung et al., 2018). Berechnungen von 2014 gehen
davon aus, dass der Wasserverbrauch etwa halb so hoch wie bei Rind und deutlich niedriger
als bei Schwein ist, jedoch etwas höher als bei Geflügel aus konventioneller Haltung ist (Tuo-
misto et al., 2014).
Treibhausgasemissionen sind bei IVF deutlich geringer als bei jeglichem Fleisch aus konven-
tioneller Haltung (Tuomisto et al., 2014). Dies ist in Anbetracht der Klimakrise und den not-
wendigen Handlungen zur Bewältigung ein Vorteil von IVF im Vergleich zu konventionell pro-
duziertem Fleisch.
Es ist anzumerken, dass die Studienergebnisse variieren. Laut Umweltbundesamt gibt es noch
keine sicheren Werte zu den oben aufgeführten ökologischen Kennwerten (Umweltbundes-
amt, 2019). Nach bestem Wissen der Autorin gibt es noch keine Studie zur Produktion im
industriellen Maßstab, sodass nur Annahmen bezüglich verwendeter Ressourcen und Um-
weltauswirkungen getroffen werden können. Es ist jedoch davon auszugehen, dass IVF große
ökologische Potenziale bietet. Indirekt kann durch Renaturierung die Biodiversität aufrecht er-
halten oder gesteigert werden, Schadstoffbelastungen von Böden können reduziert und damit
kann die Wasserqualität erhöht werden. Durch weniger Treibhausgasemissionen sowie die
zuvor genannten Punkte hat IVF das Potential im Vergleich zu Fleisch aus konventioneller
Haltung besser für das Klima zu sein.
Durch Verfügbarkeit von IVF und die kollektive sowie individuelle Auseinandersetzung mit dem
Thema Fleisch können Konsument:innen theoretisch dazu angeregt werden zu hinterfragen,
warum sie überhaupt Fleisch essen. Eine aktive Auseinandersetzung kann potentiell zu dem
Schluss führen, dass eine Ernährung ohne Fleisch eine Option ist. Wahrscheinlicher ist jedoch,
dass IVF in Massenproduktion nichts an dem Fleisch-Konsumverhalten und individuellen Er-
nährungsbewusstsein ändert: das “Fleischparadigma” bleibt bestehen. Für all diejenigen, die
sich der Problematiken bewusst sind, jedoch trotzdem Fleisch konsumieren, wird Fleischkon-
sum durch die Verfügbarkeit von IVF vielmehr legitimiert. Simonsen (2015) argumentiert, dass
die mit Vegetarismus und Veganismus einhergehenden ethischen Diskussionen und die
grundlegende Gesellschaftskritik mit subversivem Potential in den Hintergrund rücken.
Wozu das Ganze? Notwendigkeit von IVF und gesellschaftliche Akzeptanz
Vegetarismus ist die nachhaltigere Form der Ernährung verglichen mit einer Ernährung mit
IVF, das räumen auch IVF Produzent:innen wie Post ein. In verschiedenen Interviews und
Vorträgen, weist er jedoch berechtigterweise darauf hin, dass eine Ernährungsumstellung der
gesamten Weltbevölkerung sehr unwahrscheinlich ist. Post verweist auf Länder wie China,
73
Indien und Russland, in denen der größer werdenden Mittelschicht zunehmender Fleischkon-
sum möglich wird und diese Möglichkeit auch in Anspruch genommen wird. Auch in Deutsch-
land scheint eine umfassende Ernährungsumstellung unwahrscheinlich, angesichts der aus-
schweifenden Debatte im Jahr 2013 um einen einzigen vegetarischen Tag jede Woche in deut-
schen Kantinen, welche von Schlagzeilen begleitet wurde wie “Die Grünen wollen uns das
Fleisch verbieten!” (2013). Doch aktuelle Zahlen lassen hoffen, denn 2020 ist die Produktion
vegetarischer und veganer Lebensmittel um 39% im Vergleich zu 2019 gestiegen (“Presse-
mitteilung Nr. N 033”, 2021). Eine Kearny Studie (2020) zur Zukunft des Fleischmarktes prog-
nostiziert, dass die konsumierten Fleischprodukte im Jahr 2040 nur noch 40% konventionelles
Fleisch sein werden, im Vergleich zu noch 90% im Jahr 2025. Aufgrund der wachsenden
Nachfrage entspricht dies allerdings lediglich einer Reduktion von 3% produzierten Fleischs
aus konventioneller Nutztierhaltung (Gerhardt et. al., 2020).
“Wir sind eine Spezies, die Fleisch liebt.” - Richard Vrangham, Professor für biologische Anth-
ropologie an der Harvard-Universität, 2013
Geht es denn nicht einfach ohne Fleisch? Theoretisch ja, doch obwohl die Zahl an Menschen,
die sich vegan oder vegetarisch ernähren, gestiegen ist und sich in Deutschland von 2016 bis
2020 sogar verdoppelt hat, ernähren sich immernoch 69,1% Europäer:innen omnivor, zusätz-
lich 22,9% flexitarisch (Veganz Ernährungsstudie, 2020). Praktisch ist es relativ unwahrschein-
lich, dass ein Großteil der Bevölkerung in kürzester Zeit die Ernährung umstellt. Dieser Pro-
zess dauert seine Zeit aus Aspekten der Nachhaltigkeit schlicht zu lange und bedarf Auf-
klärung, insbesondere auch in Ländern, in denen der Fleischkonsum weiter ansteigt und Bil-
dung gegebenenfalls nicht strukturell gegeben ist. Außerschulische Bildung wie der Film “The
Game Changers” oder Social Media Profile wie “@VeganIstUngesund” können die Gesell-
schaft zu einem Umdenken anregen.
Wenn es weltweit keine Option scheint, komplett auf Fleisch oder tierische Produkte zu ver-
zichten, bietet IVF tatsächlich das Potential ein Teil der Lösung für einige ethische und viele
ökologische Probleme zu sein. Neben pflanzlichen Fleischersatzprodukten (Tofu, Tempeh,
u.v.m.) welche zunehmend an Popularität gewinnen und tierischen Proteinquellen (Insek-
ten, Algen) kann IVF eine technische Alternative für die konventionelle Fleischproduktion aus
Nutztieren sein. Natürlich nur dann, wenn IVF auch tatsächlich konsumiert wird. Lange hatten
die Umfragen zu IVF niedrige Akzeptanzwerte. Dies scheint sich jedoch zu ändern. So berich-
tet auch Petra Kluger, Vizepräsidentin der Universität Reutlingen von ihrer Tätigkeit als Do-
zentin, dass 2013 fast keiner der Studierenden IVF probieren wollte, im Jahr 2021 hingegen
Jede:r in der Vorlesung (Stawski & Klößer, 2021). Laut der Veganz Ernährungsstudie (2020)
können sich 20,1% der Befragten vorstellen, IVF zu essen. Interessant ist dabei die Betrach-
tung der aktuellen Ernährungsform 42% Veganer:innen, 30,5% Vegetarier:innen und nur
74
18% Omnivor:innen; denn eigentlich soll IVF eine Alternative für die vielen Menschen sein, die
aktuell Fleisch essen. Immerhin können sich laut Umfragen im Vereinigten Königreich 68%
und in Italien 54% der Menschen vorstellen, IVF zu probieren (Sharma et al. 2015, Mancini &
Antonioli, 2019).
Spätestens, wenn IVF auf dem Markt ist und günstiger wird als konventionelles Fleisch, wer-
den wahrscheinlich einige Konsument:innen umdenken. Wenn das Umdenken auch nicht aus
ethischen oder Gründen der Nachhaltigkeit erfolgt, kann trotzdem dasselbe Ergebnis eine
nachhaltigere und ethischere Produktion von Fleisch erzielt werden.
Fazit
Das eindeutige Ergebnis der Stellungnahmen in diesem Buch lautet: “So wie bisher geht es
nicht weiter”. Der steigende Fleischhunger der Menschen ist auf Dauer auf vielen Ebenen nicht
tragbar. Von Tierleid über die Zerstörung unseres Planeten, bis zur Ausrottung aller Arten in-
klusive uns selbst ist klar, es muss eine Lösung für das “Fleisch-Dilemma” geben.
Optimal wäre es, wenn (fast) alle Menschen auf vegetarische oder besser vegane Ernährung
umsteigen würden. Durch eine Mischung aus Getreiden und Hülsenfrüchten kann tatsächlich
dieselbe Anzahl an Kalorien aufgenommen werden, wie durch Fleisch (Gerhardt et. al., 2020).
Auch der gesamte Bedarf an Vitaminen und Mineralstoffen kann mittels einer ausgewogenen
veganen, vegetarischen oder omnivoren Ernährung abgedeckt werden unanhängig vom Al-
ter der Person und eventuellen anderen Umständen (z. B. Schwangerschaft) (Schüpbach et
al., 2017; Akbulut & Yeşilkaya, 2021). Trotzdem ist eine vegane oder vegetarische Ernährung
aus verschiedenen Gründen keine dauerhafte Option für Jede:n. Der Anthropologe Richard
Vrangham verweist schlicht die historische und evolutionäre Bedeutung von Fleisch in der
Menschheitsgeschichte (DeptOfExpansion, 2013). Auch am Beispiel des bekannten Autors
Jonathan Safran Foer - der unter anderen das Buch “Tiere essen” (2009) verfasste - wird die
emotionale Komponente des Fleischkonsums deutlich. Obwohl das Buch eine gute Argumen-
tationsgrundlage für Vegetarier:innen bietet und Foers Meinung widerspiegelt, ist er nach der
Veröffentlichung trotzdem seinem Appetit auf Fleisch nachgegangen (Faller, 2019; Foer,
2019). Kognitiv schlüssige Argumente reichen nicht immer aus, um auf Fleisch oder tierische
Produkte zu verzichten.
Da der Fleischbedarf Prognosen zufolge bedingt durch Bevölkerungs- und Wirtschafts-
wachstum weiter ansteigt (Janson, 2021), ist es nicht tragbar, wenn dafür 46% der weltwei-
ten Agrarprodukte aufgewendet werden müssen, um damit wohlgemerkt nicht mal 7% der
weltweiten Nahrungskalorien zu erzeugen (Gerhardt et. al., 2020). Alternativen müssen gefun-
den werden und neben pflanzlichen Ersatzprodukten und Insekten sowie Algen ist IVF eine
75
Option. Selbst Tierrechtsorganisationen wie PETA (People for the Ethical Treatment of Ani-
mals) sowie Ethiker:innen und Unternehmen, die eine vegane Lebensweise propagieren, er-
kennen IVF aus pragmatischen Gründen als eine Alternative zu konventionellem Fleisch an
(Ferrari & Lösch, 2017).
Obwohl auch IVF - wie in diesem Kapitel dargelegt - Risiken und Nachteile birgt, scheinen die
Vorteile im Gegensatz zu konventionellem Fleisch zu überwiegen. IVF ist aller Voraussicht
nach eine nachhaltigere, sicherere und leidärmere Alternative zu konventionellen Fleisch. Er-
nährungssicherheit und ethische Ansprüche können mittels IVF trotz steigender Fleischnach-
frage miteinander vereint werden. IVF kann also für Tier, Mensch und Umwelt eine bessere
Alternative zu konventionellem Fleisch sein. Womöglich ist Fleisch direkt vom Nutztier in nicht
allzu ferner Zukunft ein Luxusgut, wie in Staffel 1 der Serie Upload (Daniels, 2020-heute).
Bleibt zu hoffen, dass sich die ökologischen und sozialen Potentiale bewahrheiten und, dass
nach und nach mehr Menschen auf eine überwiegend pflanzenbasierte Ernährung umsteigen;
dass Mensch und Tier vielleicht eines Tages wieder im Einklang mit der Natur leben können.
Nichts sieht hinterher so einfach aus wie eine verwirklichte Utopie.- Wernher Freiherr von
Braun
Diese Stellungnahme ist nur ein kleiner Einblick in das durchaus umfassende und größer wer-
dende Thema IVF und deckt keinesfalls die weitreichende Komplexität ab. IVF ist ein Thema,
welches uns höchstwahrscheinlich die kommenden Jahr(zehnt)e zunehmenden beschäftigen
wird. Vielen Fragen darf und soll empirisch nachgegangen werden: Bewahrheiten sich die
ökologischen, ökonomischen und sozialen Potentiale? Ist IVF tatsächlich gesünder und siche-
rer als kommerzielles Fleisch? Unter welchen Bedingungen leben die Tiere fortan? Ist mess-
bar, wie sich IVF auf das Bewusstsein des Fleischkonsums in der Gesellschaft auswirkt? Wel-
che Auswirkungen hat IVF langfristig auf die Mensch-Tier-Beziehung? Und viele, viele mehr.
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79
10. Tiere und Emotionen
Frederike Stoll, Sarah Breuer, Michaela Zupanic
Warum eigentlich?
Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum Ihre Katze miaut, wenn Sie morgens aufstehen
oder Ihr Hund bellt, wenn Sie das Haus betreten? Oder fällt Ihnen auf, dass Sie mit dem Wel-
pen Ihrer Nachbar:innen reden als wäre er ein Kleinkind?
Unbewusst schreiben vor allem Haustierbesitzer:innnen ihren Tieren gerne Emotionen zu, die
sie zu dem Verhalten bewegen, dass wir beispielsweise als Wiedersehensfreude interpretie-
ren. Sollten Sie sich angesprochen fühlen, sind Sie damit nicht allein. Doch wie definieren
Wissenschaftler:innen Emotionen und können sie auch Tieren zugesprochen werden? Das,
was Sie beim Anblick Ihres Hundes bei sich als Wiedersehensfreude wahrnehmen, bezeichnet
der Neurowissenschaftler Dolan (2002) als subjektives Gefühl. Neben diesem beinhaltet der
Emotionsbegriff darüber hinaus sowohl expressives Verhalten als auch neuronale Aktivitäts-
muster.
Neuronale Ebene
Aus evolutionspsychologischer Sicht erfüllen Emotionen einen überlebenswichtigen Zweck.
Sie bereiten unseren Organismus auf die Interaktion mit der Umwelt vor. Dies ist vor allem in
potenziell gefährlichen Situationen wichtig, da hier die Geschwindigkeit einer angemessenen
Reaktion über Leben und Tod entscheiden kann. Diese schnelle Analyse findet zunächst auf
Grundlage einer sehr basalen, unbewussten Entscheidung zwischen gut oder schlecht statt.
Auf der neuronalen Ebene wird diese Entscheidung besonders mit der Aktivität der Amygdala
im limbischen System assoziiert (Pinel et al., 2018). Sie wird mit erlernten Ängsten in Verbin-
dung gebracht und projiziert Signale in weitere Hirnareale. Diese veranlassen ihrerseits eine
physische Reaktion. Am Beispiel der Angst lässt sich dies unter anderem durch einen höheren
Puls, eine schnellere Atmung sowie eine Weitung der Blutgefäße aufzeigen. Während wir
diese schnelle Reaktion bei einem Vortrag für unangemessen halten, ist sie in potenziell ge-
fährlichen Situationen, die kurz gesagt Kampf oder Flucht erfordern, unerlässlich. Neben die-
ser schnellen Reaktion gibt es auch den Weg der langsamen Wahrnehmung. In diesem Fall
umfasst die neuronale Verarbeitung über das limbische System hinaus neokortikale Strukturen
wie die Sehrinde, den okzipitalen Kortex oder den Hippocampus. Diese dienen der tieferen
Bewertung einer Situation sowie einer Regulation der physiologischen Reaktion.
Wie charakterisiert sich nun die neuronale Ebene bei Ihrem Haustier? Niedere Wirbeltiere wie
Amphibien und Fische besitzen einen Hirnstamm, welcher basale Mechanismen, wie die At-
mung, reguliert. Bei höheren Wirbeltieren wie Säugetieren und Vögeln ist ein ähnliches Ner-
vensystem wie beim Menschen vorzufinden. So führte die Entfernung und Stimulierung der
80
Amygdala bei Hunden zu ähnlichen Reaktionsmustern bzw. Verhaltensänderungen wie beim
Menschen (LeBoux, 2003). In weiteren Studien wurden speziell die physiologischen Reaktio-
nen von Hunden untersucht. So zeigte sich bei aggressiven Hunden, denen ein provokativer
Reiz dargeboten worden war, eine reduzierte serotonerge Funktion. Bei ängstlichen Hunden,
denen ein plötzliches und lautes Geräusch präsentiert worden war, konnten ein erhöhter Cor-
tisol- oder Progesteronspiegel, sowie eine erhöhte Herzfrequenz und Körpertemperatur fest-
gestellt werden (Kujala, 2017).
Verhaltensebene
Im menschlichen Verhalten spiegelt sich die expressive Ebene der Emotionen beispielsweise
in verschiedenen Gesichtsausdrücken wider. So belegte Ekman (2010) mit seiner Forschungs-
arbeit, dass für die sechs Basisemotionen Freude, Angst, Ekel, Wut, Trauer und Überraschung
universelle Gesichtsausdrücke existieren. Zu diesem Zweck ist der Mensch im Besitz einer
komplexen Gesichtsmuskulatur. Doch wie können wir die emotionalen Ausdrücke von Tieren
erkennen, die nur zu weniger komplexen oder keinen Gesichtsausdrücken imstande sind? An-
derson und Adolphs (2014) stellten in ihrer Arbeit vier mögliche Kriterien vor, anhand derer
emotionales Verhalten bei Tieren gemessen werden kann: Skalierbarkeit, Valenz, Persistenz
und Generalisierbarkeit. Gemäß der Skalierbarkeit können Emotionen unterschiedliche Inten-
sitätsgrade annehmen. So können wir nur leicht genervt, wütend oder gar sehr zornig sein.
Dies spiegelt sich im Grad der Erregung, sowie im Verhalten wider. Ausführliche Beobachtun-
gen von Drosophila zeigen, dass ähnliche Prozesse auch bei ihnen stattfinden. So konnten in
unterschiedlichen Situationen verschiedene Abstufungen von aggressivem Verhalten beo-
bachtet werden. Die Annahme der Valenz von Emotionen stützt sich auf das Prinzip der Anti-
these. Das bedeutet, dass gegensätzliche Stimuli zu gegensätzlicher neuronaler Aktivität, ge-
gensätzlichem Verhalten sowie gegensätzlichem Befinden führt. Vereinfacht können wir dies
am besten am Beispiel von Freude und Trauer beobachten. Freude geht mit einem aktivieren-
den Gefühl einher und wir beobachten, dass die Mundwinkel zu einem Lächeln nach oben
gehen. Sind wir traurig, fühlen wir uns eher lustlos und die Mundwinkel gehen nach unten.
Erneut lässt sich ähnliches im Verhalten von Drosophila feststellen. Beobachtungen in ver-
schiedenen Kontexten deuten darauf hin, dass Drosophila stark über die Positionierung ihrer
Flügel kommunizieren. Während des Geschlechtsaktes stehen ihre Flügel horizontal. In ange-
spannten Situationen, wie zum Beispiel in der Anwesenheit von Konkurrenten hingegen, rich-
ten sich ihre Flügel vertikal auf. Emotionen beeinflussen uns nachhaltig auch nach Auflösen
des ursprünglichen Auslösers. Dies bezeichnen Anderson und Adolphs (2014) als Persistence
von Emotionen, welche sich im Verhalten, sowie anhaltender neuronaler Aktivität ausdrückt.
In einem Experiment wurden Drosophila Stress in Form von kurzen Luftstößen ausgesetzt.
Das Einsetzten dieser Luftstöße führte zu einer plötzlich erhöhten Motorik der Fliegen, welche
81
auch nach Ende dieser anhielt. Zuletzt ergibt sich aus der Annahme der Persistence die Kon-
sequenz der Generalisierbarkeit. Das bedeutet, dass Stimuli auf andere Kontexte übertragen
werden und die folgende Wahrnehmung beeinflussen können. Eben solches Verhalten ist bei
Honigbienen zu beobachten. Diese wurden experimentell konditioniert gut-riechende Blumen
mit Nektar von schlecht-riechenden mit Gift zu unterscheiden. Danach wurden 50% von ihnen
einer Stresssituation ausgesetzt, indem sie geschüttelt wurden. Während bei der Ausübung
des konditionierten Verhaltens im Anschluss keine Veränderung zu beobachten war, zeigten
sich deutliche Unterschiede in mehrdeutigen Situationen. Honigbienen, welche durch das
Schütteln einem für sie traumatisierenden Erlebnis ausgesetzt waren, agierten deutlich pessi-
mistischer, wenn sie mit Substanzen konfrontiert wurden, welche sie nicht erkannten. Pessi-
mistisches Verhalten zeigte sich darin, dass die traumatisierten Honigbienen signifikant häufi-
ger vermeidendes Verhalten zeigten als nicht-traumatisierte Bienen. Die aufgeführten Bei-
spiele führen die Notwenigkeit vor Augen die Ausdrucksweisen von Emotionen neu zu denken
und artspezifisch zu untersuchen. Dabei bieten die benannten vier Kriterien von Anderson und
Adolphs (2014) eine gute Grundlage, um emotionales Empfinden feststellen und bewerten zu
können.
Wie das emotionale Erleben sowohl Kognition als auch das Verhalten beeinflussen kann, zeigt
sich am Phänomen der kognitiven Verzerrung. Beim Menschen äußert sich dieses dadurch,
dass ängstliche oder depressive Menschen dazu neigen, einen mehrdeutigen Reiz negativ zu
interpretieren (Deinzer & von dem Knesebeck, 2018). Ob kognitive Verzerrung auch bei Tieren
auftritt, lässt sich gut anhand einer Studie mit Hunden verdeutlichen (Kujala, 2017). In einen
Raum wurden zwei Futternäpfe in zwei entgegengesetzte Ecken gestellt. Einer der Näpfe war
mit Futter gefüllt, der andere blieb leer. Sobald ein Hund gelernt hatte, die beiden Orte zu
unterscheiden, wurde ein zusätzlicher Napf zwischen den bereits bestehenden platziert. In
Testversuchen wurde dann die Annäherungszeit an den neu aufgestellten Napf, also an die-
sen uneindeutigen Ort, gemessen. Eine schnelle Annäherung zeigte eine Erwartung des Hun-
des, dass dieser Napf mit Futter gefüllt ist, also ein optimistisches Urteil. Eine langsame An-
näherung zeigte dagegen ein pessimistisches Urteil, also eine Erwartung an einen leeren
Napf. Hunde mit hoher Ängstlichkeit näherten sich dieser mehrdeutigen Schlüsselpositionen
langsamer, zeigten also eine negative kognitive Verzerrung.
Ein konkretes Beispiel für Verhalten, das Tiere sich und dem Menschen gegenüber zeigen, ist
das Blickverhalten. Ein von Hunden gelerntes Verhalten, das notwendig ist für deren Fähigkeit,
auf menschliche Befehle zu reagieren. Der Aufmerksamkeitszustand eines Menschen wird an
dessen Blickrichtung erkannt. In einer Studie konnte zudem gezeigt werden, wie sich Hunde
an die Perspektive des Menschen anpassen (Koyasu et al., 2020). Es wurden zwei Spielzeuge
82
für einen Hund sichtbar in einem Raum platziert, wobei eines für den:die Besitzer:in des Hun-
des durch blickdichte Paneele blockiert wurde. Auf eine unspezifische Anweisung hin wählte
der Hund das für den Menschen sichtbare Spielzeug zum Apportieren. Doch auch zweckge-
richtete Anpassung an den:die Besitzer:in findet statt. So zeigen Hunde mehr aufmerksam-
keitserregendes Verhalten, wenn der:die Besitzer:in den Blick auf seinen:ihren Hund richtet.
Auch das bekannte Betteln für Futter oder Leckerlis richtet sich nach dem Blick eines Men-
schen. So trat Bettel-Verhalten häufig bei sichtbaren Augen auf, wohingegen Hunde bei ver-
bunden Augen eher zögerliches Verhalten zeigten. Doch nicht nur bei Futter, auch bei unge-
wohnten Situationen interagiert der Hund mit seinem:seiner Besitzer:in. Im Angesicht einer
unlösbaren Aufgabe oder eines fremden Objekts zeigen Hunde soziales Referenzieren, indem
sie ihren Blick auf ihren Menschen richten. Auch bei Katzen konnten in Bezug auf ihr Blickver-
halten interessante Erkenntnisse beobachtet werden. Im Gegensatz zum Hund vermeiden
Katzen einen ihnen vertrauten Blick. Der Blick des Menschen wird von Ihrer Katze eventuell
wie der Blick einer anderen Katze interpretiert. In sozialen Situationen ohne ein konkretes Ziel
zeigt der Blick einer Katze eine Bedrohung an. Doch nicht nur in diesem Punkt unterscheiden
sich Hund und Katze. Einer unlösbaren Aufgabe gegenüber zeigen Katzen kein soziales Re-
ferenzieren. 80% der Katzen wechselten im Angesicht eines fremden Objekts den Blick zwi-
schen Objekt und Besitzer:in. Es ist allerdings ebenfalls zu beobachten, dass Katzen ihr Ver-
halten abhängig vom emotionalen Ausdruck des Menschen ändern. So zeigen sowohl Hunde
als auch Katzen tröstendes Verhalten bei einem offensichtlich negativen emotionalen Zustand
ihres:ihrer Besitzer:in (Koyasu et al., 2020). Es scheint, als wären Hunde weitaus menschen-
bezogener als Katzen. Aber ist dem wirklich so?
Zur Beantwortung dieser Frage wurde die Bindung von Hunden und Katzen gegenüber dem
Menschen untersucht. Dafür wurde der Fremde-Situation-Test verwendet, ein von Ainsworth
(1978) entwickeltes und standardisiertes Verfahren zur Erfassung der Qualität der Bindung
zwischen Kind und Bezugsperson. Im Rahmen dieses Tests werden verschiedene Situationen
durchlaufen, nachdem Kind und Bezugsperson gemeinsam einen fremden Raum betreten ha-
ben. Anschließend kommt eine fremde Person hinzu und die Bezugsperson des Kindes ver-
lässt zweimal den Raum und kehrt zurück. Aus dem Bindungs- und Explorationsverhalten des
Kindes in den verschiedenen Situationen können Rückschlüsse auf die Bindungsqualität ge-
zogen werden (Pinquart et al., 2021). Allerdings wurden statt Kindern Hunde und Katzen mit
ihren Besitzer:innen den verschiedenen Situationen ausgesetzt. Bei Hunden zeigte sich eine
Zunahme von Erkundungs- und Spielverhalten in der neuartigen Umgebung, wenn der:die Be-
sitzer:in im Raum war anstelle einer fremden Person. Zudem nahm das Folgeverhalten zu,
wenn der:die Besitzer:in anstelle der fremden Person den Raum verließ. Der:die Besitzer:in
stellt demnach für den Hund eine sichere Basis dar, ähnlich wie dies bei einer menschlichen
83
Mutter-Kind-Bindung der Fall ist. Die Aufmerksamkeitssuche, die wie bereits beschrieben, un-
ter dem Blick des:der Besitzer:in zunimmt, stellt somit ein mögliches Bindungssignal dar. Zu-
dem stellt das reziproke Blickverhalten eine Win-Win-Situation dar. Der typische Hundeblick,
den Ihr Hund Ihnen von Zeit zu Zeit zuwirft, löst bei Ihnen eine erhöhte Oxytocin-Sekretion aus
(Koyasu et al., 2020). Das Hormon Oxytocin steht bewiesenermaßen unter anderem im Zu-
sammenhang mit dem Bindungsverhalten (Dorsch, 2021). Dieser Hundeblick führt Sie wahr-
scheinlich oft dazu, sich mit Ihrem Hund zu beschäftigen, ihn zu streicheln oder mit ihm zu
spielen. Diese Interaktion wiederum erhöht die Oxytocin-Sekretion bei Ihrem Hund, es findet
also eine beidseitige hormonelle Bindungsstärkung statt. Bei Katzen zeigte sich im Rahmen
des Fremde-Situation-Tests sowohl mehr Bewegung als auch Erkundungsverhalten, wenn
ihr:ihre Besitzer:in anwesend war. Gegenüber der fremden Person zeigten Katzen jedoch
mehr Alarmverhalten. Zudem vokalisierten, also miauten Katzen mehr, wenn der Mensch den
Raum verließ, als dies bei der fremden Person der Fall war. Auch bei Katzen lässt sich also
eine Bindung zu ihrem:ihrer Besitzer:in feststellen.
Subjektive Ebene
Das Übertragen menschlicher Eigenschaften durch den Menschen auf ein Objekt wird als
Anthropomorphismus bezeichnet. Dieser Begriff ist jedoch wesentlich umfangreicher. Der
wahrnehmungsbasierte Ansatz zur Betrachtung der Anthropomorphisierung beschreibt, dass
Gegenstände, die bereits eine optische Ähnlichkeit zum Menschen aufweisen, eher anthropo-
morphisiert werden. Zudem können sich Fähigkeiten eines Objekts auf die Entstehung der
Anthropomorphisierung auswirken. Ein Saugroboter, der menschen-ähnliche Gesten zeigt
oder sich selbstständig bewegt, wird demnach wahrscheinlicher von Ihnen vermenschlicht, als
es bei einem handelsüblichen Staubsauger der Fall ist (Aggarwal & McGill, 2007). Der psy-
chologische Ansatz orientiert sich an der Drei Faktoren Theorie von Epley et al. (2007). Der
erste Faktor Elicited Agent Knowledge beschreibt die kognitive Ebene. Er besagt, dass Rück-
schlüsse auf Nicht-Menschliches basierend auf dem eigenen Wissen über Menschlichkeit ge-
zogen werden und diese durch die Wahrnehmung der eigenen Ähnlichkeit zu dem Nicht-
Menschlichen verstärkt werden. Der zweite Faktor Effectance Motivation ist eine motivationale
Determinante. Er beschreibt den Wunsch des Menschen, komplex wahrgenommene Sachver-
halte zu erklären und verständlich erscheinen zu lassen. Der dritte Faktor Sociality Motivation
befindet sich ebenfalls auf der motivationalen Ebene und befasst sich mit dem Wunsch nach
sozialer Interaktion und Zugehörigkeit. Demnach trägt die Anthropomorphisierung von Nicht-
Menschlichem dazu bei, eine Verbindung zu diesem herzustellen. Aber findet diese Anthropo-
morphisierung, diese Attribution von menschlichen Eigenschaften, bei allen Menschen statt?
Oder neigen Tierbesitzer:innen eher dazu, ihren Tieren Emotionen zuzuschreiben?
84
Zur Beantwortung dieser Frage wurde eine Studie durchgeführt, bei der die Attribution von 14
Emotionen auf Hunde, Pferde und Nagetiere durch Menschen mit unterschiedlicher Erfahrung
mit Tieren untersucht wurde. Es wurden sowohl primäre Emotionen, also die bereits beschrie-
benen Basisemotionen, als auch sekundäre Emotionen erfasst (Morris et al., 2012). Sekun-
däre Emotionen entstehen aus primären Emotionen, die sozialen und kulturellen Einflüssen
unterliegen. Sie werden im Laufe des Lebens erlernt und können auch aus Mischemotionen
der primären Emotionen bestehen. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Nicht-Tierhalter:in-
nen den ausgewählten Tierarten signifikant weniger Emotionen zusprachen als Tierhalter:in-
nen. Allgemein wurden den Tieren häufiger primäre als sekundäre Emotionen zugesprochen,
wobei der Unterschied dieser Angaben unter Nicht-Tierhalter:innen stärker ausfiel. Auch zwi-
schen den Tierarten fanden sich Unterschiede bei der Emotionsattribution. Eifersucht bei-
spielsweise wurde Nagetieren von 58% der Nagetierbesitzer:innen zugesprochen, bei Pferden
waren es 86% der Pferdebesitzer:innen und Hunden sprachen 94% der Hundebesitzer:innen
Eifersucht zu. Unabhängig vom Besitzerstatus wurden Hunden die meisten Emotionen zuge-
sprochen, gefolgt von Pferden. Die wenigsten Emotionen wurden Nagetieren zugesprochen.
Bei sekundären Emotionen fielen diese Unterschiede zudem ausgeprägter aus als bei pri-
mären Emotionen (Morris et al., 2012).
Doch können Tiere nun tatsächlich Emotionen subjektiv erleben? Balcombe (2016) widmete
dieser Frage ein gesamtes Buch und trug darin bisheriges Wissen über das Empfinden von
Fischen zusammen. Auch wenn wir vielleicht bei dem Gedanken an mögliche subjektive Emp-
findungen nicht direkt an Fische denken, so verfügen sie dennoch über Sinnesorgane, ein
Nervensystem, sowie auch ein Hormonsystem, welches dem der Menschen gleicht. Während
schmerz-verarbeitende Regionen beim Menschen im Großhirn verortet sind, wurden bei Fi-
schen ebensolche im Endhirn gefunden. Obwohl somit die Voraussetzungen für Empfindun-
gen gegeben sein sollten, stellt sich die Frage nach dem (Selbst-)Bewusstsein. Ein Verfahren,
welches gerne verwendet wird, um festzustellen, ob Lebewesen sich selbst erkennen, ist der
Rouge-Test. Bei diesem wird einem Lebewesen ein Punkt auf die Stirn gezeichnet und es wird
ihm ein Spiegel vorgehalten (Dorsch, 2021). Während Hunde hinter dem Spiegel nach ihrem
vermeintlichen Zwilling suchen, so sind Fische in der Lage, sich selbst zu erkennen. Dies zeigt
sich dadurch, dass sie versuchen, durch Reiben an Gegenständen den Punkt an ihrer Stirn zu
entfernen. Anders als der Ruf, der ihnen vorauseilt, verfügen Fische zudem über ein hervorra-
gende kognitive Fähigkeiten. So ist ein kleiner Kalmar imstande sich schneller in einem Laby-
rinth zu orientieren, als Hunde. Darüber hinaus zeigte sich, dass Karpfen sich bis zu drei Jahre
an bestimmte Angelhaken erinnern und diese meiden. Auch auf hormoneller Ebene sind men-
schenähnliche Veränderungen auf Umwelteinflüsse zu beobachten. Experimente legen dabei
die Vermutung nah, dass Fische innerhalb ihrer Artgenoss:innen favorisierte sowie nicht-favo-
risierte Exemplare haben. In experimentellen Settings, ähnlich dem der bereits beschriebenen
85
Honigbienen, zeigte sich, dass Fische, welche Zeit mit ihren favorisierten Artgenoss:innen ver-
bringen, in mehrdeutigen Situationen optimistischere Entscheidungen treffen, als wenn sie mit
nicht-favorisierten Fischen Zeit verbringen. Zudem konnte ein niedrigerer Cortisolspiegel ge-
messen werden, wenn ein:e favorisierte:r Artgenoss:in anwesend war. Auf Grundlage dieser
Erkenntnisse kann angenommen werden, dass Fische untereinander Bindungen aufbauen
können, welche sich auch auf körperlicher Ebene sowie im Verhalten widerspiegeln. Die An-
nahme eines subjektiven Empfindens scheint somit mehr als angemessen. Eher stellt sich die
Frage danach, wie differenziert diese Empfindungen sind und ob sie über die basalen Emoti-
onen wie beispielsweise Angst hinausreichen. In einer Verhaltensstudie zur sekundären Emo-
tion Eifersucht ignorierten Hundebesitzer:innen ihre Hunde und beschäftigten sich stattdessen
entweder mit einem realistisch aussehenden Spielzeughund oder einem anderen Objekt.
Hunde zeigten signifikant mehr aufmerksamkeitserregendes Verhalten, wenn der:die Besit-
zer:in sich mit dem Spielzeughund beschäftigte als bei dem fremden Objekt (Kujala, 2017).
Gesetzgebung
Nachdem bereits die wissenschaftliche Sicht auf tierische Emotionen beleuchtet wurde, ist
auch die politische Sicht einen Blick wert. Da Deutschland zur Europäischen Union (EU) ge-
hört, beziehen sich auch die Gesetze in diesem Bereich auf für die EU festgelegte Richtlinien.
In einem Zusatzprotokoll zum Vertrag von Amsterdam wurde festgehalten, dass der Wunsch
bestehe, das Wohlergehen von Tieren als fühlende Wesen zu berücksichtigen. Dem Wohler-
gehen der Tiere sei in verschiedenen Bereichen der Politik Rechnung zu tragen (Europäische
Union, 1997). Im Vertrag von Lissabon wurde dieses Zusatzprotokoll erweitert um die Bestim-
mung 21: „Als Artikel 6b wird der verfügende Teil des bisherigen Protokolls über den Tierschutz
und das Wohlergehen der Tiere eingefügt; (…) und nach den Worten „des Wohlergehens der
Tiere“ werden die Worte „als fühlende Wesen“ eingefügt.“ (Amtsblatt E, 2007; C 306/49).
Mediale Präsenz
Abschließend wird ein Fokus auf die mediale Präsenz von Emotionen bei Tieren gelegt. Hier-
bei geht es allerdings nicht um reale Tiere, sondern um Zeichentricktiere, die Ihnen aus Ihrer
Kindheit oder auch der Ihrer Kinder bestimmt bekannt vorkommen. Wie bereits erklärt, be-
schreibt Anthropomorphisierung das Übertragen von menschlichen Eigenschaften auf Nicht-
menschliches. Dies trifft auch auf Tiere in Animationsfilmen zu, die den Zuschauenden zum
Eskapismus verhelfen, also das Bedürfnis unterstützen, den realen Forderungen des Lebens
auszuweichen (Stephany, 2008). Nach Ehneß (2002) lässt sich die Vermenschlichung in drei
Kategorien einteilen. Auf der ersten Stufe schreibt der Mensch dem Tier bestimmte geistige
Eigenschaften vor allem des Denkens zu und interpretiert tierische Verhaltensweisen und tie-
risches Aussehen menschlich. Das wird allerdings natürlich gehalten, indem ursprüngliche Be-
wegungsabläufe beibehalten werden und menschliche Sprache vermieden wird, wobei jedoch
86
bei den Tieren teilweise ein Verständnis für die menschliche Sprache besteht. Auf dieser Stufe
stehen oft Charaktere, die kleinere Nebenrollen besetzen, wie die Grinsekatze von Alice im
Wunderland. Auf der zweiten Stufe besitzen Tiere geistige Eigenschaften des Menschen, sie
können denken, fühlen, sprechen und besitzen gewisse menschliche Moralvorstellungen. Die
Tiere werden weitgehend natürlich dargestellt, haben jedoch menschliche geistige Fähigkei-
ten, sprechen und leben zudem in menschenähnlichen Sozialsystemen. Auf dieser Stufe be-
finden sich unter anderem Bambi und seine Eltern in dem Film Bambi, die Tiere aus Happy
Feet sowie aus Findet Nemo. Auf der dritten und letzten Stufe besitzen Tiere geistige und
körperliche Eigenschaften des Menschen, zumeist handwerkliche Fähigkeiten, die sie in der
Realität nicht besäßen. Tiere verwenden beispielsweise ihre Pfoten wie Hände, tragen Klei-
dung und gehen aufrecht. Diese Tiere haben ihre eigene Körperphysiognomie vollständig ver-
lassen, denken und sprechen wie Menschen. Tiere wie Micky Maus oder Donald Duck sind
dieser Stufe zuzuordnen. Diese Überzeichnung von Tieren im Zeichentrick kann dazu fühlen,
dass eine Sensibilisierung für das ursprüngliche Tier verloren geht (Stephany, 2008). Eine
naturgetreue Animation kann dagegen die Empathie für das betreffende Tier und seine Le-
bensumstände wecken und das Verständnis des Menschen für das Wesen der Tiere verstär-
ken.
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11. Tiere in Dienstverhältnissen
Lara-Celina Scott, Axel Röhlig, Michaela Zupanic
Arbeitstiere
Die Bezeichnung „Arbeitstier“ wird in unserer Gesellschaft in übertragener Bedeutung häufig
für Menschen eingesetzt, die besonders viel oder intensiv arbeiten. Doch wie steht es um die
eigentliche Bedeutung des Wortes im Sinne der arbeitenden Tiere? Menschen verwenden
Tiere schon lange Zeit als Nutztiere. Unter Nutztieren versteht man Tiere, die von Menschen
überwiegend aus wirtschaftlichen Interessen gehalten werden. Darunter fallen Zwecke wie die
Ernährung, Bekleidung, Forschung, Belustigung oder das Verrichten von Arbeit. Tiere, die
überwiegend zum Vergnügen gehalten werden, zählen zu den Heimtieren. Die ersten Domes-
tizierungsprozesse, die für diese Form der Haltung grundlegend waren, sind vor circa 11.500
Jahren in der Historie zu erkennen (Bolinski, 2020). Auch heute werden Tiere für verschiedene
Arbeitsbereiche eingesetzt, beispielsweise in der Landwirtschaft als Hütehunde und Jagdbe-
gleitung, im Katastrophenschutz zur Personensuche und Wasserrettung, als Attraktion zur Un-
terhaltung im Zirkus und in Filmen sowie vor allem als Assistenztiere im Gesundheitswesen.
Assistenzhünd:innen
Das Deutsche Zentrum für Assistenzhunde T.A.R.S.Q. (Training, Auswahl, Respekt, Standard,
Qualität) benennt insgesamt 16 verschiedene Assistenzhünd:innen-Formen, z. B. Asthma-
warnhünd:innen, Signalhünd:innen, Schlaganfallwarnhünd:innen, Allergieanzeigehünd:innen,
usw. (Assistenzhunde T.A.R.S.Q., 2021). Blindenführhünd:innen stellen dabei unter den As-
sistenz:hündinnen das populärste Beispiel dar und ermöglichen ihren Halter:innen eine erwei-
terte Mobilität, Sicherheit im Verkehr und mehr Unabhängigkeit. Zu den wichtigen Aufgaben
der Blindenführhünd:innen gehören Ausweichen von Gegenständen im Weg und auf Kopf-
höhe, Anzeigen von Bodenhindernissen, Finden von Türen und Zebrastreifen auf Hörzeichen,
Widersetzen des Gehens bei nicht freier Straße, Anzeigen von Sitzgelegenheiten und Ignorie-
ren von Passant:innen oder anderen Hünd:innen. Die Haltung von Blindenführhünd:innen er-
möglicht ihren Halter:innen eine verbesserte Interaktionen mit anderen Menschen sowie er-
höhten psychischen Komfort (Esquent et al., 2019). Derzeit sind in Deutschland die Blinden-
führhünd:innen die einzige rechtlich anerkannte Form der Assistenzhünd:innen gemäß §33
SGB V zu Hilfsmitteln für Versicherte. Demnach hat jeder Mensch in Deutschland, der blind
ist oder eine hochgradige Sehbehinderung hat, Anspruch auf eine:n Blindenführhünd:in und
kann einen Antrag für eben diese:n bei der Krankenkasse stellen. Die Krankenkasse über-
nimmt die Anschaffungskosten von ca. 20.000 25.000 und zahlt zudem einen Pauschal-
betrag zur Haltung, der bei 178 € pro Monat liegt (Deutscher Bundestag, 2018).
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Auf der Homepage des Deutschen Zentrums für Assistenzhunde wird beispielhaft die Ausbil-
dung eines Blindenführhundes beschrieben (Assistenzhunde T.A.R.S.Q., 2021): In diesem
Konzept übernimmt ein:e Assistenzhundetrainer:in die Auswahl geeigneter Junghünd:innen in
Tierheimen oder Zuchtbetrieben. Die Ausbildung dauert circa 9 Monate. Antragstellende müs-
sen jedoch damit rechnen circa 2 Jahre auf eine:n geeignete:n Hünd:in zu warten. Der Hund
sollte wesensfest sein, wenig Jagdtrieb und circa eine Schulterhöhe von 55 65 cm haben.
Häufig werden Golden Retriever oder Deutsche Schäferhünd:innen eingesetzt. Am Ende jeder
Ausbildung steht ein Einweisungslehrgang und eine abschließende Gespannprüfung. Die Blin-
denführhünd:innen arbeitet dann circa 6 7 Jahre, werden im Anschluss durch jüngere
nd:innen ausgetauscht und in eine Adoptivfamilie vermittelt.
Batt et al. (2008) untersuchten, ob standardisierte Auswahltests zur motorischen Lateralität,
Reaktivität und Temperament den Erfolg eines anschließenden Trainings zur:m Blindenführ-
hünd:in vorhersagen können. Dabei zeigte sich, dass die motorische Lateralität als Indikator
für die Reaktion auf Stress im Zusammenhang mit dem Cortisolgehalt im Speichel der nd:in-
nen aussagen kann, inwiefern das Training zur:m Blindenführhünd:in erfolgreich sein wird. Die
motorische Lateralität gilt als Prädiktor für ein erfolgreiches Training nach 14 Monaten. Ebenso
wurde belegt, dass bei jungen nd:innen, die in den verschiedenen Verhaltenstests Angst
und Ruhelosigkeit zeigen, die Erfolge in einem Blindenführhünd:innentraining geringer ausfal-
len (Tomkins et al., 2011).
Therapietiere
Unter dem Oberbegriff tiergestützte Intervention werden zwei Richtungen unterschieden
Tiergestützte Pädagogik und Tiergestützte Therapie. Die Pädagogik setzt Tiere ein, um die
Entwicklung der sozialen, emotionalen und kognitiven Kompetenz von Menschen zu unterstüt-
zen, meist bei verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen mit besonderen Bedürfnissen
oder leichten Handicaps. Unter Tiergestützter Therapie wird die Subsumierung zielgerichteter
Interventionen im Kontext von Tieren verstanden, (…) „welche auf der Basis einer sorgfältigen
Situations- und Problemanalyse sowohl das Therapieziel als auch den Therapieplan unter Ein-
bezug eines Tieres festlegen. Ziel der Tiergestützten Therapie ist die Verhaltens-, Erlebnis-
und Konfliktbearbeitung zur Stärkung und Verbesserung der Lebensgestaltungskompetenz.“
(Vernooij & Schneider, 2008; zit. nach Germann-Tillman et al., 2019). Dabei werden in der
Praxis aktuell zwei Formen der Tiergestützten Therapie angewendet:
1) Die:Der Therapeut:in führt die Therapie mit Klient:in und Therapiebegleittier selbstständig
durch jedoch nur, wenn sie:er über einen Beruf im Gesundheits- und Sozialwesen verfügt
und wenn möglich eine Zusatzausbildung in Tiergestützter Therapie besteht.
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2) Die:Der Therapeut:in verfügt über kein eigenes Therapiebegleittier und arbeitet mit einem
ausgebildeten Mensch-Tier-Team zusammen. Die:Der Therapeut:in ist für die eigentliche Sit-
zung und deren Inhalte verantwortlich und leitet das Team an, bzw. das Team arbeitet ent-
sprechend den Anweisungen der:des Therapeut:in.
Die World Health Organisation (WHO) definierte im Rahmen des International Classification of
Functioning (ICF) (2005) als Ziele der Tiergestützten Therapie, dass zum einen körperliche
und kognitive Funktionen wiederhergestellt und erhalten werden sollen. Zum anderen soll die
Fähigkeit und Fertigkeit Aktivitäten und Handlungen durchzuführen gefördert und die Einbe-
ziehung in die jeweilige Lebenssituation unterstützt werden. Außerdem soll das subjektive
Wohlbefinden verbessert werden. Damit soll erreicht werden, dass der einzelne Mensch in
unterschiedlichen Lebensbereichen seinen Fähigkeiten entsprechend agieren und partizipie-
ren kann. Die Tiergestützte Therapie findet beispielsweise Anwendung im Krankenhaus zur
Unterstützung emotionaler und sozialer Prozesse zur Genesung oder zu rehabilitativen Maß-
nahmen, in der Psychologie in Bereichen wie Posttraumatischer Belastungsstörung, Angststö-
rung oder Autismus, in der Neurologie bei Erkrankungen wie Epilepsie, infantiler Cerebral-
parese, Aphasie oder Multipler Sklerose, in der Gerontologie bei Demenz und auch im Pallia-
tivbereich (Prothmann, 2009). Häufig werden Haustiere wie nd:innen, Katzen:Kater oder
Vögel zu Therapiezwecken eingesetzt, aber auch Nutztierarten wie hner, Pferde oder
Schweine und auch exotische Tiere wie Lamas und Alpakas.
Tiere haben einen besonderen Einfluss auf den Menschen. Bereits die Anwesenheit eines
Tieres kann blutdrucksenkend wirken und den Kreislauf stabilisieren (Greifenhagen & Buck-
Werner, 2009). Der Einsatz vieler Tierarten ist dabei noch nicht umfangreich wissenschaftlich
validiert (Evans & Gray, 2012). Am Beispiel eines Delfins stellt Rütten (2007) heraus, dass
Delfintherapie eine Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten bei geistig behinderten Kindern
erzielen kann. Die theoretische Annahme ist, dass die Ortungswellen des Delfins die Hirnwel-
len des Menschen stimulieren können und somit eine signifikante Verbesserung der Konzent-
ration und Motivation, sowie der Grob- und Feinmotorik bewirken können. Im Bereich des the-
rapeutischen Reitens zeigt sich, dass eine Zusatzförderung von Kindern mit Autismus mit Hilfe
des Mediums Pferd zu einer Verbesserung der Wahrnehmung, Motorik, Kontaktaufnahme und
zu einem Rückgang von Verhaltensauffälligkeiten führt (Bandl, 2019).
Nach Germann-Tillmann et al. (2019) umfassen die positiven Effekte von Tieren auf die
menschliche Psyche die Förderung des allgemeinen Wohlbefindens, Verringerung des Ge-
fühls sozialer Einsamkeit, Förderung eines positiven Selbstbildes, Stärkung von Selbstbe-
wusstsein und Selbstwertgefühl, Beruhigung und Entspannung, Reduktion von Stress, antide-
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pressive und antisuizidale Wirkung, das Gefühl bedingungsloser Akzeptanz sowie die Neube-
wertung von seelischen Belastungen. Dies entsteht vor allem durch die emotionale Zuwen-
dung eines Tieres und Abwechslung von der Alltagsroutine.
Das Magische Dreieck in der Abbildung 1 beschreibt die therapeutische Beziehung in einer
tiergestützten Therapie, bei der die Beteiligten in einer Wechselbeziehung zueinander stehen.
Die primäre Beziehung bilden die:der Therapeut:in und das Therapiebegleittier, die sekundäre
Beziehung gestalten Tier und Klient:in und die tertiäre Beziehung besteht zwischen Thera-
peut:in und Klient:in (Germann-Tillman et al., 2019).
Abbildung 4: Das magische Dreieck Setting in der tiergestützten Therapie (in Anlehnung an: Germann-Tillmann
et al., 2019; S. 256)
Das therapeutische Mensch-Tier-Team muss sich in diesem Setting gegenseitig aufeinander
verlassen und gemeinsam auf Drittpersonen einlassen können. Der Einfluss von Menschen
auf das Tier in therapeutischen Settings ist jedoch bisher selten untersucht worden (Odendaal,
2000; zit. nach Dawn, 2011, S. 43). Wirth et al. (2016) analysierten die Stresslevel von Meer-
schweinchen bei Einsätzen in Pflegeeinrichtungen. Bei einem Erstkontakt mit einer:m Pati-
ent:in stieg das Stresslevel der Meerschweinchen mit der Dauer der Streicheleinheit. Bereits
bei einem Zweitkontakt war dieser Anstieg weniger stark. Daraus lässt sich schlussfolgern,
dass die Meerschweinchen von einer:m festen Therapiepartner:in profitieren würden. Darüber
hinaus wurde auch das Stresslevel von Hünd:innen im Einsatz in der Pädiatrie untersucht. Die
Tiere wurden beobachtet, während sie Kinder beim Aufwachen nach einer Narkose begleite-
ten. Es konnten keine Verhaltensänderungen oder Anstiege der Herzfrequenz festgestellt wer-
den (Palestrinie et al., 2017). Weitere Untersuchungen zum Befinden der Tiere im therapeuti-
schen Setting sind wünschenswert, um deren Belange adäquat, d. h. tiergerecht berücksichti-
gen zu können.
Tier
Therapeut:inKlient:in
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Tiere bei Militär und Polizei
Tiere werden bereits seit hunderten von Jahren im Militärdienst eingesetzt. Pferde, Esel oder
Mulis werden genutzt, um Lasten zu transportieren, da sie sich in unebenen und schwer zu-
gänglichen Geländen besser zur Fortbewegung eignen als es Fahrzeuge überhaupt könnten
(Yilmaz & Wilson, 2013). Zudem werden verschiedene Tiere (z. B. Hünd:innen oder Elefanten)
zu Trainingseinheiten beispielsweise im Bereich der Wundversorgung oder chemischer Labor-
unfälle sowie in Kampfsituationen eingesetzt. Selbst Insekten dienten in der Historie in Kriegen
als Waffe (Kistler, 2011). Darüber hinaus werden teilweise Delfine im Unterwasserbereich ver-
wendet, um Minen aufzuspüren oder auch um als lebende Bombe zu funktionieren (Marino,
2013).
Bei der Bundeswehr spielen Hünd:innen eine wichtige Rolle. Das Diensthünd:innenwesen be-
schreibt dabei alle Aufgaben von der Aufzucht, Ausbildung und dem Einsatz der Tiere bis hin
zu deren Versorgung im Alter (Bundeswehr, 2021). Derzeit beschäftigt die Bundeswehr circa
260 Diensthünd:innen, die als Spürhünd:innen in verschiedenen Bereichen eingesetzt werden:
Unterstützung der Feld- und Fallschirmjäger:innentruppe sowie der Objektschutzkräfte der
Luftwaffe, Aufspüren von Minen und Kampfmitteln sowie Zugriff. Manche Hünd:innen assistie-
ren auch als Therapietiere für traumatisierte Soldat:innen (LaFolette et al., 2019). Der Einsatz
der Tiere wird jedoch kritisiert, da er teilweise ein hohes Risiko birgt, welches fraglich vertretbar
ist. Aus ethischer Perspektive bleibt zudem zu berücksichtigen, dass viele der Aufgaben durch
technische Errungenschaften übernommen werden könnten, statt Tiere zu nutzen (Enemark,
2013). In einer Studie der Bundeswehr wurden radiologische und klinische Befunde von ins-
gesamt 100 Diensthünd:innen bei Ankauf und Ausmusterung untersucht (Matzen, 2013). 47%
dieser Tiere mussten aufgrund von orthopädischen Problemen gerade im Bereich der Lenden-
wirbelsäule ausgemustert werden. Pauly (2007) untersuchte den Stresslevel von
Diensthünd:innen während der Grundausbildung bei der Bundeswehr, ermittelt durch die Cor-
tisol-Werte während einer Trainingseinheit. Dabei zeigte sich, dass die Trainingsaufgaben ein
Stressventil für die Hünd:innen darstellten während die Zwingerhaltung zu einer signifikanten
Erhöhung der Cortisol-Werte führte.
Die circa 600 Polizeihünd:innen in Deutschland haben einen besonderen Status, sie erhalten
einen Lohn von 120 im Monat und nach Abschluss ihres Dienstes eine monatliche Rente
von 30 - 110 je nach Bundesland. Auf der Homepage der Polizei Nordrhein-Westfalen (2019)
wird in einem Artikel der zweijährige Ausbildungsprozess von Polizeihünd:innen wie folgt be-
schrieben: Die Auswahl passender nd:innen erfolgt durch die Beobachtung eines Wurfes
Welpen über circa 4-6 Wochen, während die Welpen verschiedene spielerische Aufgaben ab-
solvieren, wie zum Beispiel über ein Gitter laufen. Auf Grund dieser Beobachtungen erfolgt die
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Benotung und die mutigsten und selbstbewusstesten Hünd:innen werden ausgewählt. Darauf-
hin absolvieren die Tiere ab der 12. Lebenswoche eine 18-24 Monate lange Ausbildung zur:m
Diensthünd:in in den Bereichen Fährte, Unterordnung und Schutzdienst. Innerhalb der Ausbil-
dung werden die Diensthünd:innen an eine:n Hundeführer:in der Polizei vermittelt und bleiben
dann ihr Leben lang als Spür- oder Schutzhund bei dieser:diesem Hundeführer:in. Nach der
Ausmusterung verbleibt die:der Diensthünd:in bei der/dem Hundeführer:in und geht in den pri-
vaten Besitz über. Der Pflegezuschuss für die pensionierten Diensthünd:innen ist aber laut
Polizeigewerkschaft (2021) zu wenig, da die Hünd:innen durch die Einsätze und das spezielle
Training oft so beansprucht seien, dass sie mit dem Alter beispielsweise Physiotherapie oder
eine andere tiermedizinische Behandlung bräuchten.
Tiere zu Personensuche und Rettung
Neben offiziellen Diensthünd:innen werden in vielen Hilfsorganisationen und Vereinen, wie
dem Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) oder dem Techni-
schen Hilfswerk (THW) nd:innen zur Personensuche oder -rettung eingesetzt. In den Be-
reichen Mantrailing, Wasserortung, Wasserrettung und der Trümmer-, Flächen- und Lawinen-
suche sind nd:innen unersetzbar, da sie die Leistung einer ganze Gruppe Menschen er-
bringen (Gorges, 2016). Fürnd:innen in diesem Bereich gibt es keine offizielle Ausbildung,
aber die Tiere werden darauf trainiert den Eigengeruch, den ein Mensch permanent produziert,
zu finden und anzuzeigen. Die Trainingsdauer beläuft sich auf circa 2-3 Jahre und hat hohe
Anforderungen an Hundeführer:in und nd:in. Der Dienst birgt ein hohes Belastungsrisiko für
das Tier. Wilhelm (2007) stellte heraus, dass die Sucharbeit eine hohe psychische und physi-
sche Belastung für die Tiere ist und sie deshalb viel Regenerationszeit benötigen.
Fazit
Es zeigt sich, dass Tiere in unzähligen Bereichen für Arbeiten eingesetzt werden. Teilweise
haben die Tiere eigene Ausbildungen und eigene Berufsbezeichnungen. Der Nutzen des Men-
schen darin ist enorm. In vielen Bereichen könnte kein Mensch und auch keine Maschine die
Leistung eines Tieres ersetzten. Assistenzhünd:innen ermöglichen Menschen mit verschiede-
nen Krankheitsbildern oder anderen Einschränkungen eine völlig neue Lebensqualität. Auch
im therapeutischen Kontext eröffnen Tiere dem Menschen neue Perspektiven und Wirkungs-
richtungen, die allein vom Menschen nicht geschaffen werden können. Im Militär- und Polizei-
bereich macht sich der Mensch die Vorteile der Tiere schon lange zunutze, da der Geruchsinn
einer:s Hünd:in deutlich leistungsstärker ist als der eines Menschen und mit der Hilfe von Tie-
ren Menschenleben gerettet werden können.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Wirkung des Tieres auf den Menschen wissen-
schaftlich bereits vielfältig untersucht ist. Leider ist die Forschung um das Wohlbefinden des
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Tieres bisher wenig umfangreich. Die wenige Forschung zeigt, dass Tiere in Arbeitsverhältnis-
sen starken, von Menschen geschaffenen, Belastungen ausgesetzt sind. Dennoch gibt es bis-
her kein Arbeitsrecht für Tiere und die Bedingungen der Arbeit sind in den wenigsten Fällen
gesetzlich verankert. Um unsere wichtigen und geschätzten Kolleg:innen der Tierwelt zu
schützen, sollte in die Forschung investiert werden, um Arbeitsbereiche von Tieren auf einer
wissenschaftlichen Grundlage zu verbessern und Tierrechte gesetzlich zu fundieren.
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96
12. Placeboeffekt Gibt es den auch bei Tieren?
Jan P. Ehlers
Placeboeffekte, auch Scheinbehandlungen genannt, kennen wir alle. Beim Placeboeffekt han-
delt es sich um eine heilende Wirkung eines Medikamentes, das keine Wirkstoffe enthält, oder
einer Therapie, die nur scheinbar durchgeführt wird. Die einfache Erklärung ist oft, dass der
Glaube daran, dass wir gerade einen Wirkstoff einnehmen oder uns einer Therapie unterzie-
hen, so stark ist, dass selbst dann eine Wirkung eintritt. Da stellt sich natürlich die Frage, ob
es so etwas ebenfalls bei Tieren gibt, die ja nicht wissen, was sie gerade bekommen sollen,
und daher vielleicht auch nicht an eine Wirkung glauben können.
Eigentlich eine einfache, geschlossene Frage, die mit ja oder nein beantwortet werden könnte.
Jemand könnte auf die Frage aber natürlich auch mit „Who cares?“ antworten. Was macht es
denn für einen Unterschied, ob es den Placebo-Effekt auch bei Tieren gibt? Und das macht
die Antwort vielleicht etwas interessanter (und verlängert sie auch so, dass es sich lohnt, ein
ganzes Kapitel dazu zu schreiben).
Der Bestand an sogenannten Nutztieren, also Tieren, die für die Produktion von Lebensmitteln
gehalten werden, beträgt in Deutschland jährlich über 200 Millionen Tiere (AHRENS 2021).
Der Anteil in ökologischer Wirtschaftsweise gehaltener Tiere divergierte 2020 laut statisti-
schem Bundesamt (DESTATIS 2022) je nach Tierart zwischen 1% (Schweine) und 33% (Zie-
gen). In der konventionellen Nutztierhaltung werden Tiere in großen Kohorten gehalten. Be-
triebsgrößen können bei Mastschweinen über 5.000 Tiere betragen, bei Zuchtsauen und
Milchkühen über 500 Tiere sowie bei Lege- und Masthennen über 50.000 Tiere (Wissenschaft-
liche Dienste Deutscher Bundestag 2016).
Bei derart großen Zahlen von gemeinsam gehaltenen Tieren kommt es natürlich zu gesund-
heitlichen Problemen wie etwa Infektionen. Antibiotika sind hier auch bei Tieren wichtige Arz-
neimittel zur Behandlung. Sie dürfen nur bei kranken Tieren zur Therapie eingesetzt werden.
Noch vor einigen Jahren wurden in der industriellen Tiermast Antibiotika jedoch auch bei ge-
sunden Tieren als Leistungsförderer und Mastbeschleuniger im großen Stil eingesetzt. Seit
2006 ist das in der gesamten EU verboten und der Antibiotikaeinsatz wird genau überwacht.
Trotzdem ist es bei großen Tierzahlen nicht einfach möglich, eine Einzeltierbehandlung mit
Antibiotika durchzuführen, sodass oft die gesamte Kohorte behandelt wird. Um den Verbrauch
von Antibiotika zu verringern, wurde 2014 das Antibiotika-Minimierungskonzept in der 16. No-
vellierung des Arzneimittelgesetzes (AMG) verabschiedet. Die Bundestierärztekammer (sic)
hat 2015 Leitlinien für den sorgfältigen Umgang mit antibakteriell wirksamen Tierarzneimitteln
veröffentlicht. Durch diese Strategien sowie ein verändertes Bewusstsein konnte der Einsatz
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von Antibiotika in der Tiermedizin von 2011 bis 2019 um 40% gesenkt werden. Trotzdem wur-
den 2019 immer noch über tausend Tonnen Antibiotika eingesetzt, darunter auch Reservean-
tibiotika, denen eine besondere Bedeutung für die Therapie beim Menschen zugrechnet, wird
(BVL 2020).
Der sorgsame Umgang mit Antibiotika in der Tiermedizin ist essentiell. Auch durch den Einsatz
von Antibiotika in der Tierhaltung ist das Ausmaß der Gefahr von Infektionen durch multiresis-
tente Keime stark gestiegen. Je restriktiver Antibiotika in lebensmittelliefernden Tierhaltungen
eingesetzt werden, umso geringer sind die Probleme mit Antibiotikaresistenzen in der Human-
und Tiermedizin (Tang et al. 2017). Tenhagen et al. (2008) beschrieben die Übertragung von
Methicillin-resistenten Staphyloccocus aureus (MRSA) vom Nutztier auf den Menschen nicht
allein durch Kontakt oder Lebensmittel, sondern auch über Aerosole in den Tierställen sowie
deren Emissionen. Friese et al. (2012 und 2013) konnten in Untersuchungen MRSA im Boden
um Tierställe nachweisen; bei Schweinemastbetrieben bis zu einer Entfernung von 300m auf
der windabgewandten Seite, bei Hühnermastbetrieben sogar bis zu 500m. Wer also idyllisch
auf dem Land wohnt und von der Terrasse aus einem guten Blick auf einen großen Maststall
hat, kann sich überlegen, was der Wind alles mit sich trägt.
Der Einsatz von Antibiotika scheint eng mit der Tierhaltungsform, oben beschrieben der in-
dustriellen Tierhaltung, verbunden zu sein. Allen, die schon einmal konventionelle Mastbe-
triebe gesehen haben, wird dies auch verständlich sein. Wenn Lebewesen so dicht gedrängt
gehalten werden, breiten sich Infektionen sehr leicht aus. Durch haltungs- und rassebedingte
Verletzungen und Schäden, wie z.B. Federpicken oder Sohlengeschwüre, finden Keime zu-
sätzliche einen leichten Eingang in den Körper. Daher lohnt sich ein Blick auf die Zustände in
ökologischen Tierhaltungen. Hier ist einerseits die Besatzdichte (etwas) geringer, andererseits
ist der Einsatz von Antibiotika noch stärker reglementiert. Was zunächst jedoch nach einer
guten Alternative klingt, hält nicht zwingend der Prüfung stand. Denn wenn Antibiotika hier
auch seltener eingesetzt werden, ist die daraus resultierende Regelung dennoch kritisch:
Nach Maßgabe der Europäischen Kommission (2022) gelten bei der Haltung von „Bio-Tieren
strenge Vorschriften. Zum Thema Therapie ist dort zu lesen: „Im Krankheitsfall dürfen bei Be-
darf und unter strengen Bedingungen allopathische Tierarzneimittel, einschließlich Antibiotika,
eingesetzt werden. Dies ist nur zulässig, wenn phytotherapeutische, homöopathische und an-
dere Arzneimittel ungeeignet sind.“ Es müssen also zuerst homöopathische Arzneimittel aus-
probiert werden, bevor Antibiotika eingesetzt werden dürfen. Auch die Verwendung des Be-
griffs „allopathische Tierarzneimittel“ ist interessant, wurde er doch vom Begründer der Homö-
opathie, Samuel Hahnemann, als Sammelbegriff für alle nicht homöopathischen Therapien
erfunden.
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Als im Februar 2021 im deutschen Tierärzteblatt ein umfangreicher Artikel über den vermeint-
lichen Nutzen der Tierhomöopathie erschien (DEEG 2021) ging durch einen großen Teil der
deutschen Tierärzteschaft ein „Aufschrei“ (MEEUW 2021). In einem offenen Brief sowie in di-
versen Blog- und Social-Media-Beiträgen setzen sich Tierärzt:innen empört mit einer nicht
über den Placeboeffekt hinaus wirkenden Therapieform auseinander. Aufgeführt werden dazu
viele Quellen, die die mangelnde Wirksamkeit darlegen. Eine gute Übersicht findet sich auf
der Webseite des Informationsnetzwerkes Homöopathie (2022). Zudem wird in den Beiträgen
deutlich, dass es sich nicht nur um eine unschädliche, unwirksame Therapie handelt, sondern
dass durch homöopathische Behandlungsversuche viele Tiere erst zu spät eine wirksame Be-
handlung erfahren.
Im Rahmen einer Untersuchung der FU Berlin (Bella-Paul 2017) wurden die Einsatzmöglich-
keiten von Homöopathie in einem Bio-Milchviehbestand untersucht. Die Ergebnisse fielen
deutlich aus. Bei der Behandlung mit klassischer Homöopathie konnten keine signifikant bes-
seren Heilungserfolge erzielt werden als bei der Anwendung von Placebo-Präparaten. Trotz-
dem wurde in dieser Arbeit geschlussfolgert, dass homöopathische Arzneimittel ruhig ange-
wendet werden könnten, da in diesem Fall die Tierhalter:innen regelmäßig nach den Tieren
schauen und dadurch kein Nachteil für Tiere und Verbraucher:innen entsteht. Hier muss ich
jedoch deutlich widersprechen. Natürlich entstehen dennoch Kosten durch eine nicht wirk-
same Behandlung, während zudem den Tieren eine wirksame Behandlung vorenthalten oder
erst später verabreicht wird. Das sind deutliche Nachteile für die Tiere. In der Dissertation wird
daher auch empfohlen, bei schwerwiegenden Erkrankungen sofort „richtige Arzneimittel“ und
auch Antibiotika einzusetzen. Ein Ratschlag, den ich mir auch in den Bio-Richtlinien der Euro-
päischen Kommission wünsche.
In der Diskussion um die Wirksamkeit von Homöopathie wird gerne als Argument herange-
führt, dass nach der Gabe von Homöopathika bei Tieren ein Behandlungserfolg zu sehen sei.
Da Tiere ja nicht an die Wirkung glauben können und es daher keinen Placeboeffekt bei Tieren
gibt, müssen Homöopathika doch wirken (Gram & Mukerji 2017). Leider finden sich solche
Aussagen auch in den Internetauftritten von Homöopathie einsetzenden Tierärztlichen Praxen
und Kliniken. Hierdurch zeigt sich, dass es für die Tiere eine ziemliche Relevanz hat, ob es bei
ihnen einen Placeboeffekt gibt. Immerhin hängt davon anscheinend ab, welche Behandlung
sie erhalten.
Also schauen wir uns den Placeboeffekt doch etwas genauer an. Einen sehr guten Überblick
gibt die Publikation von Elisaa et al. (2020): Der Placebo-Effekt ist die Verringerung eines
Symptoms oder die Veränderung eines physiologischen Parameters, wenn eine vermeintlich
inerte Behandlung (das Placebo) zusammen mit einer Reihe komplexer psychosozialer Stimuli
verabreicht wird, die den Patient:innen suggerieren, dass ein Nutzen eintreten könnte.Das
99
Gegenteil, also unerwünschte Wirkungen, die durch scheinbare Schadmittel, die keine wirkli-
chen Schadstoffe enthalten, hervorgerufen werden, wird als Nocebo bezeichnet. Es gibt aller-
dings nicht diesen einen Placeboeffekt, sondern es ist ein Sammelbegriff für unterschiedliche
Mechanismen. Diese stehen cerebral z.B. in Verbindung mit Erwartungen, Angst, Belohnung
und Lernphänomenen. Auch an genetischen Varianten der Placebo-Empfindlichkeit wird ak-
tuell geforscht.
Betrachten wir zunächst, wie der Placebo-Effekt bei Tieren funktioniert: McMillan (1999) be-
schreibt Placebos bei Tieren und vermutet drei mögliche Wirkmechanismen: klassische Kon-
ditionierung, Erwartungen und endogene Opiate. Benedetti (2012) beschreibt den Paceboef-
fekt bei Tieren sogar als gutes Forschungsmodell für Effekte beim Menschen. Placebos nutzen
die gleichen biochemischen Pfade und aktivieren die gleichen Rezeptoren wie Arzneimittel mit
tatsächlichen Wirkstoffen. Daher wird ein Zusammenspiel zwischen sozialen Reizen und the-
rapeutischen Ritualen mit pharmakologischen Wirkungen angenommen (Jordan 2009, Elisaa
et al. 2020).
Wem es schwerfällt, sich den Zusammenhang zwischen sozialen Reizen und körperlicher Wir-
kung vorzustellen, möchte ich einladen, mit mir zusammen an einem Gedankenexperiment
teilzunehmen. Stellen Sie sich vor, Sie kommen zu einer Institution, an der Sie regelmäßig
sind. Vielleicht ein Fitnessclub, eine Sauna, der Kindergarten oder Sportverein ihrer Kinder
oder ähnliches. Heute bemerken Sie an der Eingangstür ein großes Schild. Rote Großbuch-
staben und viele Ausrufezeichen: „VORSICHT!! Wir hatten in den letzten Tagen hier große
Probleme mit KOPFLÄUSEN!! Bitte untersuchen Sie sich genau!“ Und? Juckt Ihnen gleich die
Kopfhaut? Dieses Beispiel zeigt bei den meisten, wie gut eine solche Prägung funktioniert und
wie Symptome schon durch einen einfachen Stimulus hervorgerufen werden können.
Zwar wissen wir, dass Tiere Erwartungen entwickeln und danach handeln können, aber ent-
wickeln sie auch bei einer medizinischen Behandlung so etwas wie Glück, Freude, Hoffnung
oder Zuversicht? Durch Konditionierung, den fürsorglichen (menschlichen) Kontakt oder Über-
tragung von Ängsten und Hoffnungen von Menschen auf Tiere ist dies denkbar (Jordan 2009).
Zusätzlich können natürlich auch „Fehler im System“, also Fehler bei der Beobachtung (s.u.),
dazu führen, dass ein Placeboeffekt erkannt wird, wo keiner ist.
Sehr eindrücklich zeigt eine Studie von Guo et al. (2010), wie stark der Placeboeffekt durch
Konditionierung sein kann. Eine Gruppe von Mäusen wurde hier mit Morphin behandelt, um
das Schmerzempfinden herabzusetzen, eine andere Gruppe von Mäusen mit Aspirin. Wenn
bei beiden Gruppen statt des Wirkstoffs ein Placebo gegeben wurde, zeigten sie trotzdem ein
reduziertes Schmerzempfinden, als hätten sie den Wirkstoff bekommen. Nun wurden beide
Gruppen zusätzlich zum Placebo mit Naloxon behandelt, einem Gegenmittel zu Morphin. Die
mit Morphin konditionierte Gruppe zeigte jetzt normales Schmerzempfinden, die mit Aspirin
100
konditionierte Gruppe Mäuse weiterhin ein reduziertes. Diese Untersuchung zeigt sehr ein-
drücklich, dass die gleichen biochemischen Pfade und Rezeptoren wie bei den echten Wirk-
stoffen durch Placebos genutzt und aktiviert werden. In der Literatur finden sich viele ähnliche
Bespiele mit ganz unterschiedlichen Wirkstoffen und Tierarten.
Der Nutzen menschlichen Kontaktes und Fürsorge auf den Heilungserfolg wurde uns unter
dem Kürzel TLC schon im Tiermedizinstudium beigebracht. Dabei steht TLC nicht für eine
Popband der frühen 90er Jahre, sondern für Tender Loving Care (unterstützende Pflege, Klee
und Metzner 2016). Dies beschreibt eine erhöhte Fürsorge und ein stärkeres Kümmern um die
jeweiligen Patient:innen. Nachweislich kann dies z.B. dazu führen, dass geringere Dosierun-
gen von Arzneimitteln notwendig sind (Gross 1980). Entsprechendes haben wir bereits in dem
Resümee der Dissertation von Bella-Paul (2017) gelesen, allerdings funktioniert es eben auch
ohne die Gabe von Homöopathika. Eine erhöhte Fürsorge kann z.B. einfach ein häufigeres
Anbieten von Futter, gutes Zureden oder regelmäßiges Nachschauen und Spenden von Auf-
merksamkeit sein. Auch der umgekehrte Effekt, z.B. ein positives Einwirken von Hunden auf
menschliche Herzpatient:innen, ist schon lange beschrieben (Vormbrock und Grossberg
1988).
Als letzte Form eines beobachteten Placeboeffektes habe ich oben von Fehlern im System
geschrieben. Dabei kann es zum einen tatsächlich zu einer Verbesserung kommen. Diese liegt
aber an dem statistischen Phänomen der Regression zur Mitte (Zwingmann und Wirtz 2005).
Dieses beschreibt den Einfluss des Zufalls auf Messwerte. Nach der Messung eines extremen
Wertes (z.B. sehr hohes Fieber) wird dann die nächste verbundene Messung wieder näher am
Durchschnitt liegen. Dies tritt dann auf, wenn die Korrelation der Messwerte hoch ist, aber
nicht 100% beträgt. Gerne wird trotzdem versucht, aus den verbesserten Messungen Kausal-
zusammenhänge herzustellen. Zum anderen können aber auch Beobachtungsfehler dazu füh-
ren, dass ein Effekt dort gesehen wird, wo de facto keiner aufgetreten ist. Dies wird „Placebo
by proxy“ oder auch „Caregiver placebo effect“ genannt. Durch die Behandlung positiv ge-
stimmte Besitzer:innen oder Behandler:innen sehen positive Effekte einer Behandlung, die
nicht objektiv messbar sind. Dieser Effekt ist in vielen Bereichen der Tiermedizin beschrieben
(z.B. Schmerz- oder Gewichtsreduktion). In den Untersuchungen von Gruen et al. (2017) er-
kannten die Besitzer:innen bei 50-70% von mit Placebo schmerzbehandelten Katzen einen
Therapieerfolg. Sprichwörtlich ist hier „der Wunsch Vater des Gedankens“.
Nun fragt sich die geneigte Leser:innenschaft eventuell: Was will der Ehlers denn hier von uns
mit den langen Ausführungen zur Homöopathie, die nicht über den Placeboeffekt hinaus-
reicht? Ist das nicht irrelevant? Gilt denn nicht, wer heilt hat recht? Tatsächlich ist genau das
die Überschrift vieler tierärztlicher Diskussionen zu dem Thema. Aber in der Wissenschaft ist
es zum einen wichtig, auch die Kausalitäten einer Behandlung beschreiben zu können, zum
101
andern ist es tierschutzrelevant, Tieren die richtige und wirksame Behandlung zukommen zu
lassen. Das kann placebounterstützt sein, dann muss dieses aber auch als solches eingesetzt
werden und nicht verschleiert als eine vermeintlich alternativmedizinische Therapieform. Hin-
ein spielt sicherlich der Umstand, dass in Deutschland jede:r ohne Zulassungsvoraussetzun-
gen als Tierheilpraktiker:in tätig werden kann, Medikamente allerdings nur von Tierärzt:innen
verordnet werden dürfen.
Abschließend lässt sich nach diesen langen Ausführungen die ursprüngliche Frage sehr kurz
beantworten. JA, es gibt den Placeboeffekt auch bei Tieren. Leider wird er manchmal zum
Leid der Tiere missbraucht, um unwirksame Therapien als wirksam zu erklären.
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103
13. Epilog
Theresa Sophie Busse, Julia Nitsche
„Wer gegen Tiere grausam ist, kann kein guter Mensch sein“ soll Arthur Schopenhauer (1788-
1860) gesagt haben. Wir haben in diesem Buch viele Bereiche aufgezeigt und diskutiert, in
denen Grausamkeit gegenüber Tieren stattfindet. So haben wir ein Kapitel der Tatsache ge-
widmet, dass eine große Diskrepanz in der Behandlung verschiedener Tiere besteht, Tierquä-
lerei teilweise weiterhin salonfähig ist und welche Vor- und Nachteile Zoos und Tierparks ha-
ben. Doch neben diesen offensiven Bereichen der Grausamkeit gegenüber Tieren ergaben
sich noch viele weitere Schwerpunkte. Im Rahmen des Buches und unseres Seminars haben
wir daher auch die Bereiche betrachtet, die zunächst nicht auf Grausamkeit schließen lassen
und in unserem alltäglichen Leben einen festen Bestandteil haben: Die Beschäftigung von
Tieren in verschiedenen Jobs, Haustierhaltung und das Vorkommen von tierischen Bezeich-
nungen in der Sprache. Weiterführend wurde auch der Bereich der Ernährung mit Hinblick auf
die Grausamkeit gegenüber Tieren betrachtet. Es wurde benannt, warum wir dem Meat Para-
dox aufsitzen und welche Möglichkeiten durch In-Vitro-Fleisch entstehen können. Hieraus
ergibt sich auch die Prüfung der Grausamkeit gegen das Klima durch Tierhaltung und kon-
sum, der wir daher ein weiteres Kapitel widmeten.
All diese Themen spiegeln nur einen Bruchteil der Ideen wider, die seitens der Studierenden
und Dozierenden zu Beginn des Seminars im Hinblick auf Knackpunkte in der Beziehung zwi-
schen Menschen und Tieren bestanden. Der Austausch untereinander und auch die inhaltliche
Ausarbeitung der einzelnen Themenbereiche ergaben stets neue Diskussionsinhalte und dif-
ferenzierte Blickwinkel, sodass die Tragweite dieses Themenkomplexes immer wieder impo-
sant deutlich wurde.
In vielen Bereichen berühren die Themen die Tierethik und Psychologie und lassen sich nicht
losgelöst betrachten. Deutlich wird sowohl in den Kapiteln als auch in den Diskussionen, dass
Tiere einen großen Stellenwert in unserem Leben einnehmen. Ganz gleich ob als Gefährte,
Nahrungsmittel oder Unterhaltungsobjekt. Es zeigt sich zudem, dass dieser Stellenwert durch
jedes Individuum anders definiert und ausgestaltet wird. Die Beziehung zwischen Menschen
und Tieren blickt auf eine lange Evolution zurück, von der wir hoffen können, dass sie noch
nicht abgeschlossen ist. Deutlich wird bei vielen der Themen nämlich leider, dass folgende
Aussage weiterhin nicht an Wahrheit eingebüßt hat: „Der Mensch ist das grausamste Tier.“
(Friedrich Nietzsche, 1844-1900).
Wir hoffen sehr, dass alle Leser:innen in den Kapiteln dazu angeregt wurden, über den per-
sönlichen Umgang mit Tieren und die Beziehung zwischen Menschen und Tieren nachzuden-
ken. Die breite Themenauswahl zeigt auf, wie viele Bereiche von diesem Thema berührt sind
104
und Einzug in unseren Alltag finden; was wiederum deutlich macht, wie viele Möglichkeiten wir
haben, die Beziehung zwischen Menschen und Tieren positiv zu beeinflussen. Dabei gilt es
nicht zwingend gesellschaftspolitische Schritte einzuleiten, sondern zunächst einmal die ei-
gene Beziehung zu Tieren zu hinterfragen und bewusst zu definieren. Entscheidend scheint
hierbei in allen Bereichen, dass wir beginnen, die Tiere als das zu sehen was sie sind: Den-
kende, fühlende Lebewesen, die eigene (nicht zwingend den Menschen gleiche) Bedürfnisse
haben. Entsprechend dieser Tatsache sollten Tieren angemessene Rechte zukommen, die
sie vor Grausamkeit schützen und ihnen ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen.
... The course cohort met weekly as an online group (via Zoom), and was offered for a second time (Busse et al., 2022). Five lecturers from the fields of psychology, veterinary medicine, health sciences, and cognitive and media sciences offered the course. ...
... It can therefore be assumed that students have already reflected on and dealt with this topic to a high degree in advance (Goos & Salomons, 2017;Wolbring & Treischl, 2016). The participants of the previous StuFu course on the same topic also showed a high level of interest over the duration of the course and dealt intensively with sources, studies, and data on the specific topics in preparation for the individual sessions (Busse et al., 2022). This cannot be taken for granted, especially in view of the purely digital implementation of the course. ...
... This includes courses like "Digital Medicine goes Planetary Health" or "Gaming against the Climate Crisis" as well as a planned digital and open lecture HAS series for the winter semester of 2024/2025. At this point, reference can also be made to the book 'Human-animal relationship-results and positions from a student course' ('Mensch-Tier-Verhältnis-Ergebnisse und Positionen aus einem studentischen Kurs') by Busse et al. (2022), which was produced on the basis of a StuFu course that thematized the human-animal relationship and took place in the summer semester of 2021. Thus, at UW/H, a hidden curriculum can be discussed not only in a structural sense with measures already established on campus, but also in terms of an expanding discontinuous curriculum in teaching, which is urgently needed for the development of students' personalities with regard to ethical behavior in general and environmentally friendly behavior in particular. ...
Article
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Higher education can promote environmental awareness and action through hidden curricula. This study at the Witten/Herdecke University examined the impact of the Human–Animal Studies course on students’ environmental awareness and behavior, comparing participants with the general student population. A cross-sectional and longitudinal survey was conducted using a 12-question Likert-scale questionnaire. Course participants were surveyed three times, while the general student body was surveyed once. In addition, reflective writing was qualitatively analyzed to assess changes in attitudes and behaviors. The results showed that both groups exhibited high levels of environmental awareness and behavior, exceeding the German population average. Female students showed greater commitment than male students. While no significant differences were found between course participants and other students, reflections indicated that the course promoted personal awareness and behavioral change and that the course encouraged participants to think about changes in their attitudes and behaviors toward the environment. These findings suggest that courses such as Human–Animal Studies can promote environmental awareness and self-reflection among students.
Chapter
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Digitale Technik ist längst fester Bestandteil der Massentierhaltung und des modernen Herdenmanagements. Auf Basis der elektronischen Tierkennzeichnung operiert das »Smart Farming« gleichermaßen mit Tierdaten und Datentieren. Neben der intendierten Identifikation und Verfolgbarkeit geraten hierbei vermehrt Formen der Überwachung und Kontrolle in den Blick - und schließlich auch Verhaltensänderungen bei den Tieren selbst. Aus der Verbindung von Lebewesen und technischem Artefakt resultieren zunehmend Fragen nach dem Status des Tieres in unserer Kultur. Unter dem Aspekt der »anonymen Individualisierung« analysiert Ina Bolinski aus medienwissenschaftlicher Perspektive die aktuellen Aushandlungen um den veränderten Akteurstatus von Tier, Technik und Mensch.
Article
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Dogs (Canis familiaris) and cats (Felis silvestris catus) have been domesticated through different processes. Dogs were the first domesticated animals, cooperating with humans by hunting and guarding. In contrast, cats were domesticated as predators of rodents and lived near human habitations when humans began to settle and farm. Although the domestication of dogs followed a different path from that of cats, and they have ancestors of a different nature, both have been broadly integrated into—and profoundly impacted—human society. The coexistence between dogs/cats and humans is based on non-verbal communication. This review focuses on “gaze,” which is an important signal for humans and describes the communicative function of dogs’ and cats’ eye-gaze behavior with humans. We discuss how the function of the gaze goes beyond communication to mutual emotional connection, namely “bond” formation. Finally, we present a research approach to multimodal interactions between dogs/cats and humans that participate in communication and bond formation.
Article
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Although placebos have long been considered a nuisance in clinical research, over recent years they have become an active and productive field of research. Indeed, the placebo effect represents an elegant model to understand how the brain works. It is worth knowing that there is not a single but many placebo effects, with different mechanisms across different systems, medical conditions and therapeutic interventions. For example, brain mechanisms of expectation, anxiety and reward are all involved, as well as a variety of learning phenomena. There is also some experimental evidence of different genetic variants in placebo responsiveness. Pain and Parkinson’s disease represent the most productive models to better understand the neurobiology of the placebo effect. In these medical conditions the neural networks involved have indeed been identified: that is, opioid, cannabinoid, cholecystokinin, cyclooxygenase, and dopamine modulatory networks in pain; and part of the basal ganglia circuitry in Parkinson’s disease. Overall, there is today compelling evidence that placebos and drugs share common biochemical pathways and activate the same receptor pathways, which suggests possible interference between social stimuli and therapeutic rituals on one hand and pharmacological agents on the other. The same holds true for the nocebo effect, the opposite phenomenon of placebo. The assessment of patients’ expectations should become the rule in clinical trials in order to allow us a better interpretation of therapeutic outcomes when comparing placebo and active treatment groups. Administering drugs covertly is another way to identify the placebo psychobiological component without the administration of any placebo, and this provides important information on the role of patient’s expectations in the therapeutic outcome. A further in-depth analysis of placebo and nocebo phenomena will certainly provide important information in the near future for a better understanding of human biology, medicine and society.
Article
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Guinea pigs are often involved in animal-assisted therapy (AAT) but there is little knowledge about the effects of human contact on guinea pigs involved in AAT. The aim of this study was to investigate effects of availability of a retreat, presence of conspecifics, prior experience with AAT, and human interaction on indicators of welfare in guinea pigs involved in AAT. Guinea pigs of both sexes and different ages (n=20) were assigned to a randomized, controlled within-subject trial with repeated measurements. Each guinea pig was tested in four settings: (I) therapy with retreat possibility with conspecifics, (II) therapy with retreat possibility without conspecifics, (III) therapy without retreat possibility, and (IV) setting without human interaction. We measured changes in eye temperature, as a proxy to infer stress levels, at 5-s intervals with a thermographic camera. All sessions were video recorded and the guinea pigs’ behavior was coded using continuous recording and focal animal sampling. For the statistical analysis we used generalized linear mixed models, with therapy setting as a fixed effect and individual guinea pig as a random effect. We observed a temperature increase relative to baseline in settings (I) therapy with retreat with conspecifics present and (III) therapy without retreat. The percentage of time a guinea pig was petted was positively correlated with a rise in the eye temperature independent of the setting. Time spent eating was reduced in all therapy settings (I-III) compared to the setting without HAI (IV). In the setting with retreat (I), guinea pigs showed more active behaviors such as locomotive behavior or startling compared to the setting without retreat (III) and the setting without HAI (IV). When no retreat was available (III), they showed more passive behaviors, such as standing still or freezing compared to therapy with retreat (I). Based on our results we identified the behaviors “reduced eating”, “increased startle” and “increased freezing” as indicators of an increased stress level. Petting the guinea pigs was correlated with a rise in the eye temperature and might be a factor which can cause stress. Our results support the suggestion that guinea pigs involved in AAT should have a retreat possibility, should have access to conspecifics, and should be given time to adapt to a new setting. In this way, stress might be reduced.
Article
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Simple Summary The study examines the main legislative issues of providing a legal solution to the problem of illegal puppy mills in the post-communist context. These issues are demonstrated using the Czech Republic, a country that has become infamous for its illegal breeding establishments and subsequent export of puppies and kittens to other European countries, as an example. The country recently adopted tougher sentencing guidelines for animal abuse. The analysis identified three main obstacles to adopting tougher legislation: unwillingness to admit the gravity of the problem of animal abuse and deficient puppy mills; a conservative approach to legislation; inconsistencies caused by the Criminal Code amendment, especially violation of the ultima ratio principle. This was emphasised by a number of criminal law experts, who even warned that the Criminal Code amendment passed would not function in practice. The study demonstrates this on an analysis of criminal law experts’ positions and on the debates that took place in both chambers of the Czech parliament. Abstract This study seeks answers to questions regarding the kind of main legislative issues and obstacles there are in providing a legal solution to the problem of illegal puppy mills in the post-communist context, how criminal law experts opine about toughening the sentencing guidelines for animal abuse and deficient puppy mills, what kind of arguments have been formulated and how they have shaped the decision making by lawmakers, and how Czech politicians have argued in favour of or against toughening the sentencing guidelines for animal abuse. The Czech Republic was selected as a country of “flourishing” illegal breeding establishments and puppy exports to other European countries—a problem that has long required a solution. The introduction defines the concepts of animal abuse and puppy mills employed in the paper. Subsequently, the paper outlines existing laws as well as the amendments to toughen the sentencing guidelines. I use the example of debates among parliamentarians and legal experts on toughening the Czech Criminal Code and introducing longer prison terms to demonstrate some typical issues of the debates on tougher sentences for animal abuse in the post-communist region.
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Introduction: Psychiatric service dogs are increasingly being sought out by military veterans as a complementary intervention for posttraumatic stress disorder (PTSD). After receiving a service dog, many veterans continue training their service dog at home. Our objective was to explore the associations between training methods, PTSD severity, service dog behavior, and the veteran-service dog bond in a population of military veterans with PTSD. Methods: Post-9/11 military veterans with PTSD who had received a psychiatric service dog were recruited from a national service dog provider. A total of 111 veterans (M = 40.1 ± 8.3 years, 80% male) participated in an online survey regarding frequency of training methods, PTSD symptom severity, service dog behavior, and the human-animal bond. Service dogs were predominately Labrador Retriever purebreds or mixes of various breeds (66% male) and mostly obtained from shelters or rescues (58%). Training methods were divided into five categories: positive reinforcement (e.g., physical praise), negative punishment (e.g., ignoring the dog), positive punishment (e.g., verbal correction), dominance (e.g., alpha roll), and bond-based (e.g., co-sleeping). Data were analyzed using general linear models. Results: Veterans self-reported using all five categories of training methods at least once a month. More frequent use of positive punishment was associated with less closeness with their service dog (p = 0.02), more fear (p = 0.003), less eye contact (p < 0.0001), and less trainability (p = 0.04). More frequent use of positive reinforcement was associated with higher closeness to their service dog (p = 0.002) and perceived increased attachment behavior (p = 0.002) and playfulness (p = 0.002). More frequent use of bond-based methods was associated with higher closeness to their service dog (p = 0.02). PTSD severity was not significantly associated with reported dog behavior, temperament, or veteran-service dog closeness. Conclusion: Military veterans with PTSD service dogs reported using many training methods that were associated with different outcomes. In general, the reported use of positive reinforcement or bond-based training methods were associated with reporting more positive outcomes while the reported use of positive punishment was associated with reporting more negative outcomes. Educating service dog organizations and recipients about the impacts of training methods could be beneficial for service dog efficacy and welfare.
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Slaughter-free meat grown in bioreactors reaches select diners in Singapore in the form of chicken nuggets.
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Does language change what we perceive? Does speaking different languages cause us to perceive things differently? We review the behavioral and electrophysiological evidence for the influence of language on perception, with an emphasis on the visual modality. Effects of language on perception can be observed both in higher-level processes such as recognition and in lower-level processes such as discrimination and detection. A consistent finding is that language causes us to perceive in a more categorical way. Rather than being fringe or exotic, as they are sometimes portrayed, we discuss how effects of language on perception naturally arise from the interactive and predictive nature of perception.