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Rassistische Diskriminierung im Kontext polizeilicher Gewaltanwendung

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Abstract

Die Analyse der empirischen Daten der Studie KviAPol („Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt:innen“) gibt Hinweise auf rassistische Diskriminierungen im Kontext polizeilicher Gewaltanwendung im deutschsprachigen Raum. Personen mit Migrationshintergrund und People of Color sind auf besondere Weise von übermäßiger polizeilicher Gewalt betroffen und tragen andere Folgen davon als weiße Personen oder Personen ohne Migrationshintergrund. Anhand der empirischen Befunde legt der Beitrag Formen und Folgen rassistisch motivierter polizeilicher Gewaltanwendung dar und erläutert mögliche Auslöser und Erklärungsansätze.
359
Rassistische Diskriminierung
im Kontext polizeilicher
Gewaltanwendung
Hannah Espín Grau und Luise Klaus
Zusammenfassung
Die Analyse der empirischen Daten der Studie KviAPol („Körperverletzung
im Amt durch Polizeibeamt:innen“) gibt Hinweise auf rassistische Dis-
kriminierungen im Kontext polizeilicher Gewaltanwendung im deutsch-
sprachigen Raum. Personen mit Migrationshintergrund und People of Color
sind auf besondere Weise von übermäßiger polizeilicher Gewalt betroffen
und tragen andere Folgen davon als weiße Personen oder Personen ohne
Migrationshintergrund. Anhand der empirischen Befunde legt der Beitrag
Formen und Folgen rassistisch motivierter polizeilicher Gewaltanwendung dar
und erläutert mögliche Auslöser und Erklärungsansätze.
Schlüsselwörter
Polizei · Gewalt · Diskriminierung · Rassismus · Perspektivendiskrepanz
© Der/die Autor(en) 2022
D. Hunold und T. Singelnstein (Hrsg.), Rassismus in der Polizei,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-37133-3_17
H. Espín Grau (*) · L. Klaus
Ruhr-Universität Bochum, Juristische Fakultät, Lehrstuhl fur Kriminologie,
Bochum, Deutschland
E-Mail: hannah.espingrau@rub.de
L. Klaus
E-Mail: luise.klaus@rub.de
360 H. Espín Grau und L. Klaus
1 Hinführung
„Die Gewalt wurde zu Beginn der Maßnahme angewendet. Da ich einen Migrations-
hintergrund habe, gehe ich von Racial Profiling aus, und dass die Polizei generell
eher gröber bei Ausländern und Flüchtlingen vorgeht.“ (Betroffene/Lfdn. 7981)
„Ein Trigger könnte meine dunkle Hautfarbe gewesen sein. Die Gewaltanwendung
begann während und nachdem ich von der Blockade gelöst wurde.“ (Betroffene/
Lfdn. 5631)
„The police had pinned a black man to the ground and when a group of us asked
what they were doing, they said we would get the same treatment if we did not walk
further.“ (Betroffene/Lfdn. 9247)
Diese Zitate stammen von Personen, die im Rahmen der Studie KviAPol
(Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt:innen)1 ihre Erfahrungen mit
polizeilicher Gewalt schilderten, die sie als unverhältnismäßig wahrnahmen.
Gewalt ist in der modernen westlichen Gesellschaft verpönt. Sie gilt „als
Modernisierungsdefizit, als Handlungsweise von ‚Rückständigen‘ oder ‚Rück-
wärtsgewandten‘“2 und wird in ihrer ordnungsstörenden Dimension außerhalb
der modernen Gesellschaftsordnung verortet. Der Begriff der „Polizeigewalt“
ist insofern diskursiv umkämpft. Die Polizei übt das staatliche Gewaltmonopol
aus und darf dabei zur Durchsetzung legitimer Zwecke auch körperlichen Zwang
einsetzen, sofern dieser angemessen und verhältnismäßig ist. Dementsprechend
wird polizeilichen Gewaltanwendungen eine „ordnungsstiftende Funktion“3
für die Gesellschaft und ihre soziale Ordnung zugeschrieben. Überschreitet der
Zwang jedoch die Grenze zur Verhältnismäßigkeit, so wird die polizeiliche Hand-
lung ordnungsstörend. Da diese Grenze nicht klar gezogen ist, sondern von den
Umständen des Einzelfalls abhängt und aus den verschiedenen Perspektiven der
Beteiligten oft fundamental anders wahrgenommen wird, stellt die Bezeichnung
einer polizeilichen Handlung als „Gewalt“ im ordnungsstörenden Sinne, einen
1 Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte empirische
Forschungsprojekt KviAPol (Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt:innen) unter-
suchte von 2018 bis 2022 unter Leitung von Prof. Dr. Tobias Singelnstein polizeiliche
Gewaltanwendungen, die von den Betroffenen als übermäßig bewertet wurden. Die
Autorinnen arbeiten als Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen im Projekt und sind beide
weiß.
2 Beck (2017), S. 16.
3 Beck (2017), S. 17.
361Rassistische Diskriminierung im Kontext …
Affront dar. Dies gilt umso mehr, wenn der Vorwurf von Personen geäußert
wird, die in der sozialen Ordnung eine marginalisierte Position einnehmen
und die, wie etwa People of Color (PoC) oder Personen mit (vermeintlichem)
Migrationshintergrund, aufgrund rassistischer Stereotype eher selbst als gewalt-
voll imaginiert werden.4
Um rassistische polizeiliche Praxen analysieren zu können, ist es aufgrund
unterschiedlicher Deutungen polizeilicher Gewaltanwendung erforderlich, die
Erfahrungen der Betroffenen und ihre Schilderungen der Gewaltsituationen ernst zu
nehmen und zum Ausgangspunkt wissenschaftlicher Untersuchungen zu machen.
Daher wurden im Forschungsprojekt KviAPol Betroffene von übermäßiger
polizeilicher Gewalt gebeten, in einer Befragung ihre Erfahrungen zu schildern.5
Die Betroffenen wurden in einem Schneeballsystem über Gatekeeper in der
Zivilgesellschaft sowie einen öffentlichen Aufruf (Social Media, Flyer) gebeten
teilzunehmen; die Stichprobe ist mithin nicht repräsentativ. Außerdem wurden
63 Expert:innen aus Polizei, Justiz und Zivilgesellschaft in qualitativen Inter-
views zu ihren Einschätzungen und Erfahrungen befragt. Die Angaben von 3373
Betroffenen wurden quantitativ sowie qualitativ ausgewertet und schließlich
in der Analyse mit den Expert:inneninterviews zusammengeführt.6 Ziel war es,
situative Umstände und Konstellationen zu identifizieren, die zu Eskalationsver-
läufen in der Interaktion zwischen Polizei und Bürger:innen führen, das Anzeige-
verhalten der Betroffenen zu untersuchen und schließlich Aussagen über das
Verhältnis von Hell- und Dunkelfeld abzuleiten.7
Der Fokus der Studie lag allgemein auf Erfahrungen von Betroffenen polizei-
licher Gewaltanwendung. Die Ergebnisse der Analyse bieten jedoch zahlreiche
Hinweise auf eine besondere Betroffenheit von Personen mit Migrationshinter-
grund und People of Color8 und geben daher Anlass, diskriminierende Polizei-
praxen zu reflektieren.
4 Vgl. Hester und Gray (2018).
5 Der Fragebogen war vom 08. November 2018 bis zum 13. Januar 2019 auf der Projekt-
webseite verfügbar.
6 Für nähere Ausführungen zur Methode s. Abdul-Rahman et al. (2019).
7 Vgl. Abdul-Rahman et al. (2020b), S. 14.
8 Eine Person hat einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Eltern-
teil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzt (Statistisches Bundesamt
2020). PoC ist eine Selbstbezeichnung von Menschen mit Rassismuserfahrungen (AG
Feministisch Sprachhandeln (AG FSH) 2015, S. 56) die von der „weißen Dominanzkultur
marginalisiert“ werden (Ha 2009). Im Rahmen der Studie KviAPol ist der Begriff keine
Selbstbezeichnung, sondern wurde von den Forschenden gewählt.
362 H. Espín Grau und L. Klaus
2 Polizeigewalt und Rassismus – was wissen wir
über Deutschland?
Eine viel debattierte Form rassistischer Diskriminierung durch Polizeibeamt:innen
stellt das sog. Racial Profiling dar, bei dem Personen vorrangig aufgrund von der
weißen Norm abweichender phänotypischer Merkmale polizeilich kontrolliert
werden.9 Im Folgenden liegt der Fokus jedoch allein auf übermäßiger physischer
Gewalt, also Misshandlungen im engeren Sinne, die in die körperliche Integrität
eingreifen.
Die Thematik der übermäßigen polizeilichen Gewaltanwendung in Deutsch-
land wird bislang in der Literatur zwar vereinzelt kritisch besprochen.10
Empirisch untersucht wurde jedoch bisher neben Hellfelddaten aus Strafver-
folgungsstatistiken11 und Beschwerdeverfahren gegen die Polizei12 überwiegend
die polizeiliche Perspektive im Rahmen von quantitativen13 sowie qualitativen
Studien14 und teilnehmenden Beobachtungen15. Die Perspektive der Betroffenen
wurde außerhalb von aktivistischen Dokumentationen16 bisher nicht empirisch
beleuchtet. Entsprechend wenig ist die Betroffenenperspektive, das Dunkelfeld
und das Anzeigeverhalten wissenschaftlich untersucht.
Studien, die sich für den deutschsprachigen Raum spezifisch mit Rassis-
mus und Diskriminierungserfahrungen im Kontext übermäßiger polizeilicher
Gewaltanwendung befassen, gibt es bislang nur vereinzelt.17 Die Fallstudien von
9 Vgl. KFRP (2019), S. 169; Wa Baile et al. (2019); Thompson (2018a); Hunold (2017);
Schutter und Ringelheim (2008).
10 Vgl. Derin und Singelnstein (2020); Loick (2018); Pichl (2014); Feltes et al. (2007);
Behrendes (2003).
11 Vgl. Singelnstein (2019).
12 Vgl. Luff et al. (2018).
13 Vgl. Bosold (2006); Ellrich und Baier (2015); Wiendieck et al. (2002).
14 Vgl. Maibach (1996); Feltes et al. (2007).
15 Vgl. Reuter (2014); Hunold (2011).
16 Vgl. Kampagne für Opfer rassistisch motivierter Polizeigewalt (KOP) 2020; Amnesty
International (2010).
17 Vgl. KFRP (2019).
363Rassistische Diskriminierung im Kontext …
Bruce-Jones18 identifizieren Strukturen von institutionellem Rassismus und ver-
weisen dabei auf eine intersektionale Verschränkung verschiedener Strukturkate-
gorien wie race, gender und class.
Im Zuge der in der jüngsten Vergangenheit gestiegenen medialen wie wissen-
schaftlichen Aufmerksamkeit zum Thema Rassismus in der Polizei, wird
zunehmend auch auf den Zusammenhang zwischen Racial Profiling und polizei-
licher Gewaltanwendung verwiesen, wobei diese Auseinandersetzung über-
wiegend anhand einzelner Beispielfälle erfolgt.19 Dabei wird hervorgehoben,
dass nicht alle von Rassismus betroffenen Personen(gruppen) dem gleichen
Risiko ausgesetzt seien, von übermäßiger polizeilicher Gewalt betroffen zu
werden: Im Schweizer Kontext zeige sich etwa bei Geflüchteten ein erhöhtes
Risiko, im Zuge von Polizeikontrollen physische Gewalt durch Beamt:innen zu
erfahren.20 End wiederum verweist auf eine möglicherweise niedrigere Schwelle
des Gewalteinsatzes gegenüber Sinti:zze und Rom:nja, die in Zusammenhang mit
antiziganistischen Ermittlungsansätzen in der polizeilichen Praxis stehen könne.21
Rassifizierte Personen scheinen schwerwiegendere Folgen von polizeilicher
Gewaltanwendung zu erleben. Neben gesundheitlichen Problemen, häufig in
Form von psychosomatischen Einschränkungen oder Traumafolgen wie Ängsten
und Vermeidungsverhalten, spielt auch der Vertrauensverlust in die deutsche
Polizei und Behörden insgesamt eine nicht zu unterschätzende Rolle.22
Eine umfassende empirische Erforschung des Zusammenhangs zwischen
Racial Profiling und der Eskalation polizeilicher Gewaltanwendungen steht noch
aus. Wenig empirisch gesichertes Wissen besteht auch zu institutionalisiertem
Rassismus in der Justiz im Kontext übermäßiger Polizeigewalt. Naguib verweist
in diesem Zusammenhang darauf, „dass der historische Rassismus den polizei-
lichen Zugriff auf den »fremden« Körper [normalisiere]“23 und somit eine Ver-
urteilung der gewaltausübenden Beamt:innen ungleich schwieriger mache.
18 Vgl. Bruce-Jones (2015, 2017).
19 Vgl. Michel (2019); Plümecke und Wilopo (2019).
20 Vgl. Plümecke und Wilopo (2019), S. 152.
21 Vgl. End (2017), S. 38.
22 Vgl. KFRP (2019), S. 100–122; Thompson (2018b); Louw et al. (2016); Kauff et al.
(2017), S. 836.
23 Naguib (2019), S. 271.
364 H. Espín Grau und L. Klaus
3 Übermäßige Polizeigewalt und Rassismus:
Die empirische Perspektive
Zivilgesellschaftliche und aktivistische Gruppen berichten bereits seit vielen
Jahren von diskriminierenden Erfahrungen, die rassifizierte Personen mit polizei-
lichen Gewaltanwendungen machen. Da der deutschsprachige empirische
Forschungsstand im Bereich der Viktimisierungsforschung allerdings wie dar-
gestellt lückenhaft ist, wurden die qualitativen und quantitativen Daten des
Projekts KviAPol hinsichtlich der Erfahrungen von Personen mit Migrations-
hintergrund und People of Color im Kontext polizeilicher Gewaltausübung ana-
lysiert. Dies umfasst sowohl Angaben einer Online-Befragung von Betroffenen
(n = 3373), die polizeiliche Gewalt erlebt haben, welche sie als übermäßig
bewerteten, als auch Interviews mit Expert:innen aus Polizei und Zivil-
gesellschaft, die dies thematisierten (n = 17).
3.1 PoC und Personen mit Migrationshintergrund
in der Studie KviAPol: Eine andere Betroffenheit
PoC und Personen mit Migrationshintergrund erleben polizeiliche Gewaltan-
wendungen, die sie als übermäßig wahrnehmen, auf eine andere Art als weiß
gelesene Personen. Dies betrifft einerseits die Settings, innerhalb derer sie
Gewalterfahrungen machen, und damit einhergehend die Formen von Gewalt, die
sie beschreiben. Andererseits sind die Folgen derartiger Vorfälle für sie besonders
gravierend, was mit der Erfahrung zusammenhängt, aufgrund bestimmter persön-
licher Eigenschaften viktimisiert und so diskriminiert worden zu sein.
Die Stichprobe wurde anhand der Situationen, für die die polizeiliche Gewalt-
ausübung geschildert wurde, in drei Settings eingeteilt: Demonstrationen bzw.
politische Aktionen (55 %); Fußball und andere Großveranstaltungen (25 %)
sowie Einsätze außerhalb von Großveranstaltungen (20 %). Die Einsatz-
situationen unterscheiden sich demographisch voneinander, vor allem aber durch
die ihnen inhärenten situativen Dynamiken aufgrund der Größe der Einsätze
sowie bestehender Konfliktverhältnisse zwischen Polizei und Fußballfans bzw.
Demonstrierenden.
Die Befragten wurden zudem aus Analysegründen in drei Untergruppen
geteilt: Personen mit Migrationshintergrund, People of Color und Personen ohne
365Rassistische Diskriminierung im Kontext …
Migrationshintergrund (welche in etwa deckungsgleich mit der Gruppe weißer24
Personen ist), wobei sich die Gruppen teilweise überschneiden (s. Abb. 1). Die
Unterscheidung zwischen Personen mit Migrationshintergrund und PoC ist des-
halb wichtig, da es sich bei Migrationshintergrund sowie Staatsangehörigkeit
um starre Kategorien handelt, die bestimmte Diskriminierungserfahrungen nicht
sichtbar machen oder verzerren.25 So kann eine Person zwar einen Migrations-
hintergrund haben, aber dennoch weiß sein; umgekehrt gibt es PoC, die nach der
genannten Definition keinen Migrationshintergrund haben.
Da insbesondere bei PoC der anfängliche Kontakt mit der Polizei vor allem
bei Einsätzen außerhalb von Großveranstaltungen stattfand, beziehen sich die
folgenden Ausführungen zu Erfahrungen und Folgen von als diskriminierend
empfundener polizeilicher Gewalt vornehmlich auf diese Situationen.
3.2 Erfahrungen mit übermäßiger Polizeigewalt
Es lassen sich vor allem Unterschiede in der Art der erlebten Gewaltanwendung
feststellen: Während Personen mit Migrationshintergrund etwas häufiger als
Personen ohne Migrationshintergrund berichteten, zu hart angefasst worden
zu sein (53 % vs. 47 %) und zudem ebenso wie PoC (39 %) häufiger als weiße
Abb. 1 Unterteilung der Stichprobe. (eigene Darstellung)
24 Weiß meint keine Schattierung von Hautfarbe, sondern eine soziale Position, die mit
bestimmten Privilegien einhergeht. Um diese meist unmarkiert bleibende Position sichtbar
zu machen, wird der Begriff kursiv gesetzt. vgl. Informations- und Dokumentationszentrum
für Antirassismusarbeit e. V. (IDA e. V.) 2020.
25 Vgl. Supik (2017), S. 47. S. auch den Beitrag von Karakayalı in diesem Band.
366 H. Espín Grau und L. Klaus
Personen (28 %) angaben, gefesselt oder fixiert worden zu sein, erlebten sie
seltener den Einsatz von Pfefferspray bzw. Reizgas (PoC: 26 %; Personen mit
Migrationshintergrund: 35 %; ohne Migrationshintergrund: 42 %). Die unter-
schiedlichen Arten der Gewalterfahrung in den drei Gruppen lassen sich vor
allem darauf zurückführen, dass PoC und Personen mit Migrationshintergrund
in anderen Einsatzsituationen auf die Polizei trafen als weiße Personen und
Personen ohne Migrationshintergrund (s. Tab. 1):
So kamen PoC und Personen mit Migrationshintergrund seltener im Kontext
von Fußballspielen in Kontakt mit der Polizei, häufiger jedoch außerhalb von
Großveranstaltungen. Beide Gruppen berichteten häufiger (28 % bzw. 22 %),
dass es aufgrund einer Personenkontrolle zum Kontakt mit der Polizei kam
(14 % bei Personen ohne Migrationshintergrund). Hingegen gaben sie seltener
an, dass es zum Polizeikontakt kam, weil die Polizei wegen eines Konfliktes oder
einer Straftat (z. B. wegen Ruhestörungen oder Schlägereien) gerufen wurde (s.
Abb. 2).
Da Reizgas bzw. Pfefferspray vor allem im Kontext von Großveranstaltungen
von der Polizei eingesetzt wird und Festgehalten werden bzw. zu hartes
Anfassen sowie Fesselungen und Fixierungen bei Einsätzen außerhalb von
Großveranstaltungen vermehrt eine Rolle spielen, lassen sich die Formen der
erfahrenen Gewaltanwendung also auch auf die unterschiedlichen Anlässe des
Tab. 1 Anlass des Polizeikontaktes nach Gruppen. (eigene Darstellung)
Eine Person mit und vier Personen ohne Migrationshintergrund machten keine Angabe zum
Anlass des Kontaktes.
Personen mit
Migrationshintergrund
(n = 542)
PoC
(n = 164)
Personen ohne
Migrationshintergrund
(n = 2.784)
Häufigkeit Anteil (%) Häufigkeit Anteil
(%)
Häufigkeit Anteil
(%)
Demonstration/
Politische Aktion
287 53,0 69 42,1 1.565 56,2
Fußball/andere
Großveranstaltung
96 17,7 21 12,8 727 26,1
Einsätze
außerhalb von
Großveranstaltungen
159 29,3 74 45,1 492 17,7
367Rassistische Diskriminierung im Kontext …
Polizeikontaktes zurückführen. Im qualitativen Material finden sich zudem Hin-
weise darauf, dass Fesselungen im Kontext von Abschiebungen gehäuft auftreten.
Diese seien, wie Expert:innen aus der Zivilgesellschaft betonten, nicht immer
notwendig und würden etwa auch bei Personen durchgeführt, die sich ruhig ver-
hielten und von denen kein Risiko ausgehe.26 Die interviewten Expert:innen
führten dies auf die spannungsgeladene Ausgangslage und eine Unerfahrenheiten
der Beamt:innen zurück, die durch die Situation teilweise überfordert seien.27
3.3 Physische und psychische Folgen übermäßiger
Polizeigewalt
Während die empirischen Daten der Studie zwar keine stärkere physische
Betroffenheit von PoC und Personen mit Migrationshintergrund zeigen, finden
sich bei den psychischen Folgen deutliche Unterschiede.28 Die Schwere der
Fett gedruckte Werte unterscheiden sichsignifikant (Chi²-Test; p<.05).
Abb. 2 Einsätze außerhalb von Großveranstaltungen nach Gruppen (in Prozent). (eigene
Darstellung)
26 Vgl. Abdul-Rahman et al. (2020a), S. 25.
27 Vgl. Abdul-Rahman et al. (2020a), S. 25.
28 Vgl. Abdul-Rahman et al. (2020a), S. 38.
368 H. Espín Grau und L. Klaus
psychischen Folgen wurde mit einem Mittelwertindex bestehend aus zwölf Items
bestimmt (s. Abb. 3). Der Vergleich zeigte, dass PoC die schwersten Folgen
erlitten, gefolgt von Personen mit Migrationshintergrund und Personen ohne
Migrationshintergrund.
Die psychischen Auswirkungen von als unrechtmäßig wahrgenommener
Gewalt durch die Polizei treffen jede Person individuell, sind jedoch auch
gesellschaftlich zu kontextualisieren, wie anhand dreier besonders ein-
schneidender Folgen deutlich wird:
Psychosomatische Veränderungen wie Schlafstörungen, Freudlosigkeit und
sozialer Rückzug manifestieren sich zunächst bei der/dem Betroffenen individuell
und schränken vor allem die persönliche Lebensqualität stark ein. „Internalisierte
Selbstkontrollhandlungen“29 wie der Versuch das Äußere zu verändern, um
29 Golian (2019), S. 188.
Gültige
Prozent ohne fehlende Werte. Personen ohne Migrationshintergrund: n = 2.6662.756; Personen mi
t
Migrationshintergrund: n = 513538; PoC: n = 156163.
Abb. 3 Psychische Folgen nach Gruppen (in Prozent, Einzelitems: mindestens teilweise
zutreffend). (eigene Darstellung)
369Rassistische Diskriminierung im Kontext …
nicht erneut eine vergleichbare Erfahrung zu machen, stoßen bei körperlichen
Merkmalen, die nicht der weißen Norm entsprechen, ebenso an Grenzen wie
Vermeidungsstrategien zur Umgehung bestimmter Orte nach der Erfahrung von
polizeilicher Gewalt. Solche Umgehungen sind angesichts alltäglicher Wege
und Aufgaben nur eingeschränkt möglich. Sie sind jedoch Folge verräumlichten
polizeilichen Handelns (s. Abschn. 4.1) und führen in ihrer Konsequenz zu einer
Neuordnung des gesellschaftlichen Raums.30
Ein Grund für die schwerere psychische Betroffenheit kann darin liegen, dass
die betroffenen PoC und Personen mit Migrationshintergrund vielfach angaben,
sich durch die Polizei in der jeweiligen Situation diskriminiert gefühlt zu haben.
Wenn die Ursache der polizeilichen Gewaltanwendung in einer rassistischen
oder diskriminierenden Haltung der handelnden Beamt:innen vermutet wird,
beschreiben dies Expert:innen aus der Zivilgesellschaft als „ein Erleben
von maximaler Unsicherheit, Handlungsunfähigkeit und Ohnmacht“ (Zivil-
gesellschaft/A2.2, Pos. 24) für die Betroffenen.
Die Frage, ob sie sich während des geschilderten Vorfalls von der Polizei
diskriminiert gefühlt hätten, beantworten etwa drei Viertel der PoC (74 %)
zustimmend; ebenfalls zustimmend äußerte sich mehr als die Hälfte (57 %) aller
Personen mit Migrationshintergrund. Unter den Personen ohne Migrationshinter-
grund fühlten sich etwas weniger als die Hälfte (46 %) beim Vorfall durch die
Polizei diskriminiert.31
Die spezifischen Eigenschaften, die die Betroffenen als ursächlich für die
wahrgenommene Diskriminierung angaben, waren nicht nur, aber auch Merkmale
der (zugeschriebenen) Herkunft wie phänotypische Merkmale, Nationalität,
Name bzw. Sprache oder der Aufenthaltsstatus. Dies traf vor allem auf PoC und
Personen mit Migrationshintergrund zu (s. Abb. 4).
Hinsichtlich der Einflussfaktoren für die wahrgenommene Ungleichbe-
handlung bestanden zwar keine signifikanten Unterschiede zwischen den drei
Gruppen. Dennoch fiel auf, dass PoC diese Erfahrungen etwas häufiger „oft“
oder „ständig“ machten.32 Dies beeinflusste auch die Bewertung des aktuellen
30 Vgl. Dangelmaier und Brauer (2020); Belina (2018). S. auch den Betrag von Belina in
diesem Band.
31 Die Prozentangaben setzen sich aus folgenden Items zusammen: „trifft voll und ganz zu“,
trifft eher zu“, „trifft teilweise zu“.
32 Vgl. Abdul-Rahman et al. (2020a), S. 27.
370 H. Espín Grau und L. Klaus
polizeilichen Handelns: Je häufiger Betroffene schon derartige Erfahrungen
gemacht hatten, desto wahrscheinlicher bewerteten sie das polizeiliche Verhalten
als diskriminierend.33
4 Erklärungsansätze: Rassistisches
Erfahrungswissen vs. Erfahrungswissen über
Rassismus
Als Erklärung für polizeiliche Gewaltanwendungen, die von den Betroffenen
sowohl als übermäßig als auch als rassistisch wahrgenommen werden, weist die
Analyse des empirischen Materials der Studie KviAPol auf drei Ansatzpunkte
hin:
33 Vgl. Abdul-Rahman et al. (2020a), S. 28.
Fett gedruckte Werte unterscheiden sich signifikant(Chi²-Test; p<.05).
Abb. 4 Einflussfaktoren für wahrgenommene Ungleichbehandlung nach Gruppen (in Pro-
zent, Mehrfachnennung möglich). (eigene Darstellung)
371Rassistische Diskriminierung im Kontext …
4.1 Rassistisch strukturiertes Erfahrungswissen
aufseiten der Polizei
Es ergaben sich Hinweise auf explizite rassistische Einstellungen einzel-
ner Polizeibeamt:innen34: Einerseits berichteten PoC in den Freitextfeldern
der Befragung von rassistischen Beleidigungen und Einschüchterungen durch
Polizeibeamt:innen. Zudem kritisierten vereinzelt Interviewpartner:innen aus der
Polizei rassistisches Verhalten von Kolleg:innen und daraus potenziell resultierende
polizeiliche Gewaltanwendungen.35 Es lassen sich anhand des Datenmaterials
allerdings keine Aussagen dazu treffen, wie groß dieses Problem ist.
Ersichtlich wurde in den Interviews mit Polizeibeamt:innen jedoch, dass
diese intendierte Form von Rassismus nicht vorrangiges Problem sein muss.
Vielmehr scheint polizeiliches Erfahrungswissen eine erhebliche Rolle bei der
Verfestigung (rassistischer) Stereotype und Vorannahmen bei Beamt:innen zu
spielen: Alles polizeiliche Handeln baut auf Erfahrungswissen auf, das sich
aus eigens Erlebtem, Erzählungen Dritter sowie gesellschaftlichen Diskursen
zusammensetzt.36 Gerade letztere transportieren (unbewusste) stereotype und
kulturalisierende Annahmen über rassifizierte Personen37; eigene Erfahrungen
oder Erfahrungsberichte von Kolleg:innen knüpfen an dieses Wissen an und
bestätigen es scheinbar:
„Also das sind auch teilweise Leute, die aufgrund anderer Ethnien oder aufgrund
anderer kultureller und moralischer Vorstellungen einfach nicht mit unserer Arbeit
dʼaccord gehen. Ja, also das können auch männliche Ausländer sein, die zum Beispiel
nicht mit Frauen bei der Polizei mit der Arbeit dʼaccord gehen oder auch andere, ich
will da jetzt keine anderen Kulturen nennen, wo das prägnant ist. Aber das merkt man
dann schon, dass die Akzeptanz der Polizei eine ganz andere ist als hier zum Beispiel
vom normalen Otto-Normal-Verbraucher-Bürger.“ (Polizei/C3.10, Pos. 14)
Bestimmten Personen werden also aufgrund ihrer (vermuteten) Herkunft
negativ konnotierte Eigenschaften zugeschrieben, wie etwa eine mangelnde
Akzeptanz der Polizei oder abweichende Moralvorstellungen. Im Sinne eines
34 S. zu Einstellungen allgemein den Beitrag von Wegner in diesem Band.
35 Vgl. Abdul-Rahman et al. (2020a), S. 37 f.
36 Vgl. Grutzpalk (2016).
37 Vgl. Terkessidis (1998).
372 H. Espín Grau und L. Klaus
„Verstärkerlernens“38 kann sich das Erfahrungswissen in der polizeilichen
Berufspraxis dabei selbst legitimieren und dadurch zusätzliche Generalisierungen
und Typisierungen fördern. Die notwendige „situative Offenheit“, das heißt die
Prüfung des Einzelfalls möglichst frei von (pauschalisierenden) Vorannahmen,
wird dadurch erschwert.39
Daneben stellt verräumlichtes polizeiliches Handeln eine besondere Aus-
prägung des Erfahrungswissens dar.40 Pauschalisierende Abstraktionen beziehen
sich hier nicht auf bestimmte Personen(gruppen), sondern auf Orte, denen spezi-
fische Eigenschaften zugeschrieben werden, wie etwa eine hohe Kriminalitäts-
belastung an sogenannten „sozialen Brennpunkten“.41 Derartige Zuschreibungen
nehmen wiederum Einfluss auf polizeiliches Handeln gegenüber den Personen an
diesen Orten42, was auch in folgendem Zitat einer/eines Interviewpartner:in aus
der Polizei zum Ausdruck kommt:
„Also wenn ich da natürlich in ein Gebiet gehe, wo die Migrationsrate sehr hoch ist
und nachweislich per Statistik meinetwegen jetzt auch die Kriminalität sehr hoch
ist, dann gehe ich da als [Polizist:in] nicht völlig neutral rein. Das ist eben so. Naja
und dann braucht eben nur ein kleines was passieren und dann hau ich wahrschein-
lich an der Stelle schneller zu, als wenn ich nach [Stadtbezirk 1] gehe und hier
eine Kleinigkeit passiert, wo ich sage: ‘Bleibt mal locker, bleibt mal entspannt‘.“
(Polizei/C 3.4, Pos. 12)
Verräumlichtes polizeiliches Handeln ist teilweise gesetzlich so vorgesehen:
In festgelegten „Gefahrengebieten“ hat die Polizei besondere Befugnisse, wie
etwa die Durchführung verdachtsunabhängiger Kontrollen.43 In dem Kontext
wird häufig kritisiert, dass diese Orte ein besonderes Risiko für Racial Profiling
bergen, da die Personenauswahl der Kontrollen auf stereotypen Vorannahmen
aufbauen kann, was durch das diskursive Framing als „gefährlich“ in der gesetz-
lichen Befugnis befördert wird.44 Die Zuschreibung von pauschalisierenden
43 S. dazu den Beitrag von Ruch in diesem Band.
44 Vgl. Keitzel (2020); Ban! Racial Profiling (2018); Belina (2016); Scharlau und Witt (2019).
38 Behr (2019), S. 28.
39 Behr (2019), S. 41.
40 S. dazu allgemein den Beitrag von Belina in diesem Band.
41 Belina und Wehrheim (2011).
42 Vgl. Golian (2019).
373Rassistische Diskriminierung im Kontext …
Eigenschaften und die unterschiedliche polizeiliche Bearbeitung bestimmter
Räume können zu einer polizeilichen Praxis führen, die von Betroffenen als
diskriminierend wahrgenommen wird, ohne dass den Polizeibeamt:innen ihr
diskriminierendes Handeln oder die zugrundeliegenden Stereotype notwendiger-
weise bewusst sind.45 Die sich daraus ergebende Eskalationsspirale beschreibt
ein:e interviewte:r Polizeibeamt:in wie folgt:
„Wenn ich irgendwo an bestimmten Brennpunktorten eine Ansammlung habe aus
bestimmten Ethnien, die auch – auch oft begründet – misstrauisch und skeptisch der
Polizei gegenüber sind, und dort dann auch geballt Menschen dazu kommen und das
heizt sich dann auch immer mehr auf. Möchte ich auch einmal sehen, dass jemand
wirklich deeskalativ ist und beschwichtigt und die richtigen Worte verwendet, aber
meistens oder sehr häufig enden solche Einsätze in einem Desaster.“ (Polizei/C3.3,
Pos. 13)
Das Misstrauen der Betroffenen und ihr daraus resultierendes Verhalten werden
also polizeilicherseits teilweise als Auslöser der Einsatzeskalation betrachtet.
4.2 Erfahrungswissen über Rassismus aufseiten der
Betroffenen
Aus Betroffenenperspektive stellt sich die Situation anders dar. In den Freitext-
feldern der Befragung berichteten betroffene PoC auf die Frage nach dem Trigger
der übermäßigen polizeilichen Gewaltanwendung46, dass die Situation in dem
Moment kippte, in dem sie das polizeiliche Handeln als rassistisch benannten:
„Einfach weil ich schwarze Hautfarbe habe und gefragt habe warum ich so respekt-
los behandelt werde.“ (Betroffene/Lfdn. 2037)
„Die Gewaltanwendung begann, als ich mich informieren wollte, welchem Zwecke
die Maßnahme diene und der Polizist Verwunderung darüber äußerte, dass das
Affenmädchen sprechen kann.“ (Betroffene/Lfdn. 985)
45 Vgl. Zick (2020), S. 129 f.
46 An zwei Stellen im Fragebogen (Einschätzung der Verhältnismäßigkeit und Trigger der
übermäßigen Gewaltanwendung) wurden die Betroffenen gebeten, in Freitextfeldern ihre
Perspektive zu schildern. Der Fragebogen ist unter https://kviapol.rub.de/index.php/inhalte/
zwischenbericht abrufbar.
374 H. Espín Grau und L. Klaus
In Konstellationen, in denen Polizeibeamt:innen auf rassifizierte Personen treffen,
scheint also eine Kritik des polizeilichen Handelns als rassistisch zum Trigger
für eine Eskalation der Situation werden zu können. Expert:innen aus der Zivil-
gesellschaft vermuten aufseiten der Betroffenen in Bezug auf „rassistische
Mikroaggressionen“47 ein in den vergangenen Jahren gewachsenes Problem-
bewusstsein48:
„Wenn Leute dann in dem Ärger, in der Wut ständig von der Polizei behelligt zu
werden, ohne dass es dafür einen Grund gibt / Da kommt es zu Situationen, wo es
dann eben Wortgefechte gibt. Leute weigern sich, sich auszuweisen, wollen weiter-
gehen und so weiter und so fort. Dann schreitet eben auch hier die Polizei sehr
schnell ein. Und ich habe eben wie gesagt das Gefühl, dass die Hemmschwelle
gegenüber Schwarzen Menschen, PoCs generell sehr viel niedriger ist, aber erst
recht, wenn davon auszugehen ist, dass die Menschen sich auch nicht wirklich ihrer
Rechte bewusst sind.“ (Zivilgesellschaft/A1.4, Pos. 15)
Die wahrgenommene niedrigere Hemmschwelle der Polizei zur Gewaltan-
wendung gegenüber rassifizierten Personen, wird in der Literatur unter anderem
damit erklärt, dass diesen Personengruppen eine niedrigere Beschwerdemacht
zugeschrieben werde.49 Darauf verweisen auch Expert:innen aus der Zivil-
gesellschaft im Interview:
„Die Konstellation, das sind in den allermeisten Fällen Leute, denen man,
wenn man sie sieht, das Beschwerdeschwache sozusagen zurechnet. […] Ja, es
konzentriert sich auf Menschen, denen man einen Migrationshintergrund ansieht,
das ist die eine, die größte Gruppe vielleicht.“ (Zivilgesellschaft/A3.2, Pos. 6–8)
Aus polizeilicher Sicht werden im Zusammenhang mit dem besonderen
Eskalationspotenzial bei Einsätzen gegenüber rassifizierten Personen hin-
gegen eher kommunikative Defizite oder die Infragestellung der Autorität der
Polizeibeamt:innen betont:
„Null Toleranz heißt, wir lassen uns nichts gefallen als Polizei. Das heißt, wenn
wir angemacht werden, wenn wir beleidigt werden, wenn wir angegriffen werden,
führt das kompromisslos zu polizeilichen Gegenmaßnahmen, sofort. […] Das ist
49 Vgl. Maibach (1998).
47 Sue et al. (2007), S. 273.
48 Vgl. Abdul-Rahman et al. (2020a), S. 33 f.
375Rassistische Diskriminierung im Kontext …
die sicherheitspolitische Linie der Landesregierung. Also man kann ja seitens des
Innenministeriums vorgeben, wie man vorgeht. Man hat ganz lange immer auch auf
Kommunikation und Kooperation gesetzt, aber wir haben einfach festgestellt, dass
wir bei bestimmten Personengruppen mit Kommunikation und Kooperation nicht
weiterkommen.“ (Polizei/C2.5, Pos. 49–50)
„Man kann es sehr sehr deutlich spüren, dass die Ansprache von Polizisten teil-
weise bei sehr jungen Menschen, aber auch teilweise bei Personen mit deutlichem
Migrationshintergrund, teilweise nicht ankommt und dass auch die Reaktionen dem
Polizeibeamten gegenüber häufig menschenverachtend sind, so dass dadurch auch
schon eine Situation emotional hochgefahren wird und es sehr schwierig ist, natür-
lich auch diese Sachen emotional wieder runter zu fahren.“ (Polizei/C2.4, Pos. 22)
Hier offenbart sich eine deutliche Perspektivendiskrepanz in Bezug auf den
Auslöser einer eskalativen Situation: Während die betroffenen Personen das
polizeiliche Handeln als diskriminierend empfinden und durch das Hinterfragen
der polizeilichen Maßnahme ihrem (kollektiven) Erfahrungswissen über dis-
kriminierende Polizeipraxen Rechnung tragen, stellt diese Äußerung von Skepsis
gegenüber der Rechtmäßigkeit der Maßnahme für die Polizei eine Provokation
dar. Beide Seiten empfinden das Handeln des Gegenübers als ungerechtfertigt,
woraus sich ein besonderes Spannungspotenzial ergibt.
4.3 Die Benennung von Rassismus als spezifischer
Eskalationsmoment
Das Material bietet gleichwohl Hinweise darauf, dass die Benennung des
polizeilichen Handelns als rassistisch oder diskriminierend auch dann Trigger
übermäßiger polizeilicher Gewaltanwendung sein kann, wenn die Kritisierenden
selbst nicht von Rassismus betroffen sind und somit selbst keine Dis-
kriminierungserfahrung machen. So berichteten insgesamt 30 Befragte, die als
weiß gelesen werden, dass das Kritisieren des polizeilichen Vorgehens oder das
Dokumentieren der Interaktion als Auslöser der erlebten polizeilichen Gewaltan-
wendung wahrgenommen wurde:
„Die Polizei hat auf unser mündliches Nachfragen, welche Rechtsgrundlage sie für
die brutale Festnahme eines Ausländers haben, sehr aggressiv reagiert […] Da war
kein Grund, wir wollten nur wissen, ob sie eine Rechtsgrundlage für die rassistische
Festnahme hätten und da sich die Polizei nicht rechtfertigen konnte, wurden sie
aggressiv.“ (Betroffene/Lfdn. 6305)
376 H. Espín Grau und L. Klaus
Die Thematisierung der Wahrnehmung von rassistischem oder diskriminierendem
polizeilichem Handeln (auch durch Zeug:innen) kann demnach ein erhöhtes
Konfliktpotenzial für polizeiliche Einsätze bergen. Dies lässt sich ebenfalls
mit einer Wahrnehmungs- bzw. Perspektivendiskrepanz erklären: Während
die Betroffenen selbst häufig alltäglich Rassismuserfahrungen machen und
damit in hohem Maße sensibilisiert sind, wird ein solcher Vorwurf – so konkret
er auch sein mag – auf polizeilicher Seite gerade auch im Zuge einer stärkeren
gesellschaftlichen Thematisierung von Rassismus als pauschalisierend, ungerecht-
fertigt oder diskreditierend empfunden. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund
relevant, dass den Polizeibeamt:innen die kulturalisierenden Vorannahmen, die
ihr Handeln geleitet haben mögen, nicht bewusst sein müssen. Bislang ist dieser
Zusammenhang nur wenig wissenschaftlich untersucht (s. Abschn. 2). Hinweise
dazu ergeben sich aber nicht nur aus vereinzelten Untersuchungen zu Racial
Profiling (s. Abschn. 2), sondern auch aus einer hessischen Polizeistudie, bei der
44 % der befragten Polizeibeamt:innen die „Unterstellung von Rassismus bei der
Durchführung von Maßnahmen“ als sehr belastend empfanden.50
5 Fazit
Im empirischen Material der Studie KviAPol finden sich Hinweise auf
rassistische Diskriminierungen im Kontext polizeilicher Gewaltanwendungen,
die die Erkenntnisse der bisherigen Forschung bestätigen bzw. ergänzen: PoC
und Personen mit Migrationshintergrund machen einerseits andere Erfahrungen
in anderen Kontexten mit polizeilicher Gewaltanwendung als nicht-rassifizierte
Personen (s. Abschn. 4.1).51 Besonders betroffen scheinen dabei junge Männer,
die als nicht weiß gelesen werden, Geflüchtete und Personen mit prekärem Auf-
enthaltsstatus zu sein.52
Andererseits sind die psychischen Folgen für diese Gruppen stärker (s.
Abschn. 4.2): Sie sind nicht nur von polizeilicher Gewalt, sondern auch von
Rassismus betroffen und wissen um diese doppelte Ohnmachtsposition.53
Durch die alltägliche Erfahrung rassistischer (Mikro-) Aggressionen sind sie
51 Vgl. Klimke (2010), S. 48.
52 Vgl. zu Viktimisierung von Geflüchteten und Personen in Abschiebung Abdul-Rahman
et al. (2020a, b), S. 25.
53 Vgl. Simon (2017), S. 14.
50 Vgl. Hessisches Ministerium des Inneren und für Sport (2020), S. 10.
377Rassistische Diskriminierung im Kontext …
für die Wahrnehmung von Ungleichbehandlungen besonders sensibilisiert.54 Im
kollektiven Erfahrungswissen bestimmter Communities ist das Wissen um das
Eskalationspotenzial von Begegnungen mit der Polizei, die als diskriminierend
empfunden werden, fest verankert und führt zu einer „Einschränkung der Raum-
praxis und dem Nachgang des alltäglichen Lebens“55. Besagtes Eskalations-
potenzial resultiert aus Perspektive der Betroffenen vor allem aus der
Hinterfragung polizeilicher Maßnahmen bzw. aus der Benennung von Dis-
kriminierungen (s. Abschn. 4.2 und 4.3).
In den Interviews mit Polizeibeamt:innen finden sich ebenfalls Hinweise auf
ein Erfahrungswissen, nach dem eskalative Polizeieinsätze im Zusammentreffen
mit rassifizierten Personen durch spezifische Strukturen wie Leitbilder und
Gesetzes- oder Einsatzvorgaben bedingt sind und damit keine Einzelfälle dar-
stellen (s. Abschn. 4.1).56 Dabei wird jedoch vorrangig die Infragestellung der
polizeilichen Autorität durch respektloses Verhalten als begünstigender Faktor
für den gewaltvollen Verlauf eines Einsatzes hervorgehoben (s. Abschn. 4.2).
Wenig Bewusstsein scheint bei den interviewten Polizeibeamt:innen für inter-
nalisierte Rassismen zu bestehen, die sich im alltäglichen Handeln aufgrund ihrer
Zuschreibung zu einem vermeintlich objektivem Erfahrungswissen ihren Weg
bahnen können.57
Problematisch ist dabei die Perspektivendiskrepanz zwischen Polizeibeamt:innen
und Betroffenen: Wird polizeiliches Handeln als rassistisch bzw. diskriminierend
und damit rechtswidrig bezeichnet, so stellt dies die Definitionshoheit der
Polizeibeamt:innen über die Situation in Frage. Die von den Polizeibeamt:innen
nicht (zwingend) als diskriminierend erkannte polizeiliche Maßnahme wird hinter-
fragt, was zu einem Rechtfertigungsdruck aufseiten der Beamt:innen führt (s.
Abschn. 4.3). Wenn dieser Rechtfertigungsdruck als Infragestellung polizeilicher
Autorität verstanden wird und sich in einer gewaltvollen Eskalation der Situation
entlädt, so muss der Blick auch auf die dahinterstehenden Strukturen gerichtet
werden:
Welche Rechtsgrundlagen, Aufgaben und Dienstanweisungen strukturieren
das polizeiliche Handeln und geben diskriminierendem Erfahrungswissen Raum
sich in der Praxis zu entfalten? Wie kann eine Barriere zwischen gesellschaftlich
54 Vgl. Louw et al. (2016), S. 34 f.
55 Thompson (2018a), S. 205.
56 Vgl. Zick (2020), S. 126.
57 Vgl. Mohrfeldt (2016), S. 64.
378 H. Espín Grau und L. Klaus
geprägte stereotype Vorannahmen und die polizeiliche Praxis gesetzt werden?
Welcher Umgang mit Fehlern wird in den Polizeieinheiten gepflegt?58 Wie
können Ankerpunkte für eine kritische Binnenkultur gebildet und interne
Kritiker:innen gestärkt werden?
Dabei gilt es auch die potenziell stigmatisierende Wirkung diskriminierender
polizeilicher Gewaltanwendungen zu bedenken, die die Betroffenen in der
öffentlichen Wahrnehmung als deviant erscheinen lässt und damit stereotypes
Erfahrungswissen (re-)produziert.59 Rassismus muss als gesamtgesellschaft-
liches Phänomen verstanden werden, das sozialen Interaktionen zugrunde liegt,
durch sie aktualisiert wird und historisch in sämtliche staatliche Institutionen
und deren Strukturen eingeschrieben ist. Insofern ist die Institution der Polizei
als Ausführende des staatlichen Gewaltmonopols nicht von ihrer Verantwortung
entbunden, einen Anteil zur Überwindung von institutionellem Rassismus zu
leisten. Im Moment der Eskalation, in der rechtmäßiger unmittelbarer Zwang
zu übermäßiger polizeilicher Gewalt umschlägt, materialisieren sich Strukturen
rassistischer Diskriminierung. Diese zu hinterfragen ist nicht Aufgabe der von
Rassismus Betroffenen, sondern obliegt der Wissenschaft sowie der Polizei
selbst. Die Debatte darüber steht im deutschsprachigen Raum erst am Anfang.
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59 Vgl. dazu auch den Beitrag von Bosch und Thurn in diesem Band.
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383Rassistische Diskriminierung im Kontext …
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Berlin is increasingly emerging as a hub of Arab intellectual life in Europe. In this first study of Arab culture to zoom in on the thriving metropolis, the contributors shed light on the dynamics of transformation with Arabs as agents, subjects, and objects of change in the spheres of politics, society and history, gender, demographics and migration, media and culture, and education and research. The kaleidoscopic character of the collection, embracing academic articles, essays, interviews and photos, reflects critical encounters in Berlin. It brings together authors from inter- and multidisciplinary fields and backgrounds and invites the readers into a much-needed conversation on contemporary transformations.
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Der Beitrag beschäftigt sich mit den Anforderungen der ‚unternehmerischen Stadt‘ an die Polizei und den sich daraus ergebenden Lösungsstrategien und Handlungsauswirkungen. Der öffentliche Raum kann dabei als Schaltfläche sozialer Platzierung angesehen werden, über die gesellschaftliche Institutionen wie die Polizei den Diskurs um Sicherheit und Ordnung entscheidend mitgestalten. Delinquenz wird so am Rand der bürgerlichen Gesellschaft konstituiert und soziale Probleme werden auf den Raum übertragen. Die Polizei als Bearbeiterin dieser Probleme kann innerhalb der proaktiven Polizeiarbeit (Prävention) von einem Ermessensspielraum Gebrauch machen und Raumordnungen, orientiert an den Bedürfnissen der Mittelschicht, mitgestalten.
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Ein Großteil der polizeilichen Tätigkeit findet sichtbar im öffentlichen Raum statt und ist von unterschiedlicher, teilweise nur in Ansätzen beeinflussbarer Dynamik betroffen. Das Verhältnis der Organisation Polizei zu dem Auftreten von Fehlern mag in diesem Kontext verwundern, ist aber zumeist organisationsintern klar: Fehler passieren nicht! Dass diese Einstellung nicht dazu beitragen kann, den Wert und die Möglichkeiten einer gewinnbringenden Nutzung von Fehlern, das Verhüten von oder aber ein systematisches Lernen aus Fehlern zu erkennen, wird dabei schnell deutlich. Fraglich ist allerdings, warum ein solcher, in weiten Teilen negativer Umgang mit Fehlern in der Polizei ausgeprägt zu sein scheint. Um sich dieser Fragestellung zu nähern, werden die Strukturebene der Organisation und die individuelle Ebene der handelnden Personen in den Blick genommen. Insbesondere der Einfluss von Männlichkeitsmustern der Polizistenkultur auf die Fehlerkultur zeigt deutlich, wie ein negativer Umgang mit Fehlern durch das Beziehungsverhältnis von Struktur und Handlung (re-)produziert wird.
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Rassistische Polizeikontrollen gehören zum Alltag in Europa. Sie machen auf drastische Weise sichtbar, wer nicht als Mit-Bürger*in gilt. Während ein Großteil der Dominanzgesellschaft diese rassistische Praxis als normal empfindet, sind immer mehr betroffene Menschen nicht mehr bereit, sie widerstandslos zu akzeptieren. Der Band versammelt wissenschaftliche, künstlerische und aktivistische Beiträge zu den gesellschaftlichen Hintergründen und Wirkungsweisen von Racial Profiling und den Möglichkeiten eines intersektionalen antirassistischen Widerstands. Dabei liegt der Fokus auf der Schweiz, ergänzt durch Perspektiven von Autor*innen, die mit dem deutschen Kontext vertraut sind.
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In dem Artikel wird gezeigt, wie sich Diskriminierungspraktiken unprätentiös mit Handlungsroutinen verbinden und wie sie im polizeiliche Alltagshandeln stattfinden, und zwar gleichgültig, ob sie dabei den Handelnden bewusst sind oder nicht. Polizeiliche Diskriminierung ist nicht identisch mit Rassismus. Rassismus spielt sich zuerst (und manchmal ausschließlich) im Kopf ab, Diskriminierung erzeugt hingegen immer eine direkte und konkrete belastende Wirkung beim Anderen. Polizist*innen können durchaus diskriminierend verhalten, ohne persönlich eine rassistische Haltung oder Überzeugung zu haben. Deshalb steht polizeiliches „profiling“ im Vordergrund des Artikels. Es unterscheidet sich, je nach Qualität der Begründung, in „racial-, social- und criminal-profiling“. Kultureller Hintergrund von Diskriminierung ist die Abwehr des als gefährlich erscheinenden Fremden, denn im Zentrum der Polizeiarbeit steht die Vorstellung einer vertrauten „guten Ordnung“, deren Störung bzw. Gefährdung abgewehrt werden soll.
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Previous research has shown negative effects of discrimination on ethnic minority members’ health and well-being. In this study, we examined cross-sectional and longitudinal effects of discrimination by members of the police and security personnel over and above other types of discrimination and ethnic victimization on the health of immigrant minority students from three different European countries (N = 4,334 immigrant students from 580 ethnically mixed school classes in Germany, the Netherlands, and Sweden). Results indicate that perceptions of ethnic victimization in the school (measured via social network data) as well as three types of discrimination outside school (discrimination in clubs, public transportation as well as by the police and private security) are associated with current and future negative health outcomes (i.e., psychosomatic problems) in immigrant minority students. Among the different types of discrimination, discrimination by the police and private security personnel was most common and had the most negative effect on immigrant minority students’ health. Practical and political implications of our findings as well as differences in discrimination and violence by the police between the United States and Europe are discussed.
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International zu beobachtende rechtlich-institutionelle Bemühungen, selektives „policing race“ zu reduzieren, werden durch die zunehmende Raumorientierung der Polizeiarbeit konterkariert, weil „policing space“ tendenziell von sozialen Verhältnissen sowie Zuschreibungen abstrahiert, gerade dadurch eine Selekti- vität des polizeilichen Zugriffs bewirkt und so diskriminierende gesellschaftli- che Strukturen reproduziert. Aufbauend auf Diskussionen der Produktion des Raums, der Definitionsmacht der Polizei sowie dem Zusammenhang beider Aspekte in Institutionalisierungen und Alltag des policings, wird diese These anhand polizeilich ausgewiesener „Gefahrengebiete“ in Hamburg illustriert.
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Oury Jalloh, an asylum-seeker from Sierra Leone, burned to death chained to a mattress in a German holding cell. Eddie Bruce-Jones, a senior legal lecturer at University of London’s Birkbeck College School of Law, writes that the myriad mistakes in the investigation and prosecution of Jalloh’s case reveal patterns institutional racism that many Germans are unwilling to confront.