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Zeitenwandel: Die HochschulAllianz für Angewandte
Wissenschaften (HAWtech) als Wegbegleiter
und Impulsgeber der großen gesellschaftlichen
Transformationsprozesse
Frank Artinger
Weltweit stehen unsere Gesellschaften an einem Wendepunkt: Klimakri
se, Ressourcenverbrauch und die damit verbundenen gesellschaftlichen,
wirtschaftlichen und politischen Prozesse bedingen eine neue Priorisie
rung unserer Werte und Ziele, um das Leben auf unserem Planeten für
uns und unsere Nachfahren lebenswert und positiv zu gestalten. Die
sechs Hochschulen der HochschulAllianz für Angewandte Wissenschaften
(HAWtech) begleiten und gestalten diese Transformationsprozesse durch
zukunftsweisende Projekte und Ideen.
Wer ist die Hochschulallianz HAWtech?
In der Hochschulallianz HAWtech haben sich sechs in den MINT-Fächern
führende Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) zusam
mengeschlossen. Sie eint die Überzeugung, dass exzellente Lehre und
angewandte Forschung essentiell sind, um innovative Produkte und Ver
fahren am Wirtschaftsstandort Deutschland erfolgreich auf den Weg zu
bringen. Gemeinsames Ziel ist es, insbesondere kleine und mittelständi
sche Unternehmen als Motor des wirtschaftlichen Fortschritts in regio
nalen Netzwerken zu stärken. Ermöglicht wird dies durch ein hervorra
gendes wissenschaftliches und praxisorientiertes Studienangebot für die
Ingenieurinnen und Ingenieure von morgen. In diesem Sinne arbeiten
die Verbundhochschulen in Lehre, Forschung und Verwaltung eng zu
sammen. Die HAWtech setzt sich darüber hinaus für eine Weiterentwick
lung der Forschung an Fachhochschulen/Hochschulen für Angewandte
Wissenschaften ein. Die Mitglieder des HAWtech-Verbunds leisten als for
schungsstarke Hochschulen wertvolle Beiträge zu aktuellen gesellschaftli
chen Herausforderungen. Weil wir als forschungsaffine Hochschulen wis
sen, wie wichtig neben unseren Kernthemen weitere Aufgaben, wie der
internationale Austausch oder Unterstützungsangebote für Studierende
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und den wissenschaftlichen Nachwuchs sind, setzen wir uns gezielt dafür
ein. Darüber hinaus hat auch eine lebendige Gründerkultur Eingang in
das Portfolio der Hochschulen gefunden. Zugleich sind die Ansprüche
an die technische Infrastruktur und zeitgemäße Lehr-, Lern-, Forschungs-
und Arbeitsformen in den letzten Jahren gestiegen. Auch die Flexibilität
der Bildungsangebote und deren Vereinbarkeit mit Familie, Beruf sind re
levante Themen der Hochschullandschaft geworden. Gemeinsam können
wir als HAWtech diese vielfältigen Herausforderungen besser bewältigen.
Vier Transformationsfelder im Fokus der HAWtech und Beispiele
anwendungsbezogener Zukunftsprojekte
Weltweit stehen die Gesellschaften an einem Wendepunkt: Klimakrise,
Ressourcenverbrauch und die damit verbundenen politischen, wirtschaftli
chen und gesellschaftlichen Entwicklungen bedingen große und weitrei
chende Veränderungen, um das Leben auf der Erde für uns in naher, aber
auch fernerer Zukunft positiv zu gestalten. Treibende Kraft dieser Prozesse
ist die Agenda 2030 der Vereinten Nationen, die am 25. September 2015
von 193 Mitgliedsstaaten auf einem Gipfeltreffen beschlossen wurde (vgl.
Martens, Obenland 2016).
Als Orte des Wissensaustauschs und der Begegnung verbinden Hoch
schulen in besonderer Weise Menschen und sind Keimzellen des Wandels.
Sie haben den gesetzlichen Auftrag, zum gemeinsamen Fortschritt beizu
tragen und die Transformationsprozesse in der Gesellschaft zu begleiten
und zu unterstützen. Dieser Aufgabe werden sie dann am besten gerecht,
wenn sie ihre strategische und organisatorische Entwicklung an den realen
Bedarfen ausrichten. Die HAWtech identifiziert vier Transformationsfel
der, um den wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
Fortschritt zu begleiten:
• Digitalisierung und Künstliche Intelligenz
• Klimaschutz
• Mobilität
• Arbeitswelt
Anhand ausgesuchter Projekte wird im Folgenden beispielhaft der Beitrag
der Verbundhochschulen zur Gestaltung dieser Transformationsprozesse
dargestellt.
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Transformationsfeld Digitalisierung und Künstliche Intelligenz
In den nächsten Jahren werden die zunehmende Digitalisierung und Au
tomatisierung zu noch stärkeren Umbrüchen in der industriellen Produk
tion führen und umfassende neue Wertschöpfungspotenziale eröffnen.
Robotik und Künstliche Intelligenz sind Schlüsseltechnologien zur Bewäl
tigung der verstärkt komplexen Aufgaben und Anforderungen. In diesem
Zusammenhang lösen sich die traditionellen Grenzen der ingenieurwis
senschaftlichen Fachdisziplinen zunehmend auf. Im Fokus stehen insbe
sondere interdisziplinäre Ansätze, da sie mithilfe der Künstlichen Intelli
genz Synergien freisetzen und Innovationen anregen. Die Praxisbeispiele
der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW Berlin) und
der Hochschule Darmstadt zeigen, wie rasant die Entwicklung der Digita
lisierung und Künstlichen Intelligenz voranschreitet: von grundlegenden
Kompetenzen im Bereich KI (systematischer KI-Lehrkanon) mithilfe einer
KI-Werkstatt an der HTW Berlin über individuelle digitale Lösungsansätze
für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) bis hin zur Entwick
lung einer automatischen Software, die Hasskommentare und Fake News
im Internet filtert (Hochschule Darmstadt):
Forschung und Kompetenzaufbau im Bereich Künstliche Intelligenz
(Projektbeispiel der HTW Berlin)
In zwei gekoppelten Projekten baut die HTW Berlin seit Oktober 2021
eine forschungsorientierte KI-Werkstatt auf und im Januar 2022 folgte eine
interdisziplinäre Lehr-Werkstatt für Künstliche Intelligenz. Davon profitie
ren insbesondere (Nachwuchs-)Forschende und Studierende, aber auch
Praxispartner und Unternehmen. Diese Werkstatt soll als Ort für gemein
sames Lehren, Forschen und Anwenden von KI-Technologie verstanden
werden. Ein Spitzenrechencluster und ein KI-Showroom, der Künstliche
Intelligenz für das Internet of Things (IoT) ebenso aufgreift wie KI in der
Medizin, in Gestaltung, Kunst und Kultur und für die nachhaltige und
smarte Stadt der Zukunft, wird die KI-Forschung der einzelnen Fachberei
che künftig vernetzen. Die KI-Werkstatt wird die fachliche Vielfalt der
HTW Berlin spiegeln: Nah an den Daten und damit nah an den Anwen
dungen und Menschen dahinter – von KI im Digital Engineering und der
Genomsequenzierung bis zu KI-Ansätzen für die Personalentwicklung und
künstlerischen Gestaltung. Für die „KI Lehr-Werkstatt Interdisziplinär“
stehen rund 2 Millionen Euro über eine Projektdauer von vier Jahren
durch das BMBF-Programm „Förderung der Künstlichen Intelligenz in der
I.
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Hochschulbildung“ bereit. Geplant sind unter anderem ein Austauschfo
rum für die KI-Lehre und die Einrichtung einer KI-Professur für einen
neuen Masterstudiengang an der Schnittstelle von Ingenieurwesen und IT.
Um KI-Kompetenzen in der Breite an Studierende zu vermitteln, wird ein
systematischer KI-Lehrkanon erarbeitet. Weiterhin ist geplant, mittels KI
E-Learning-Angebote und Lehrveranstaltungen zu evaluieren und mit
Chatbots und Dialogsystemen Studierenden künftig Unterstützung wäh
rend bestimmter Studienphasen anzubieten. Die Hochschule greift mit
diesen Projekten als HAW ein wichtiges Bedürfnis auf, das auch in einer
jüngsten Untersuchung des Hochschulforums Digitalisierung herausge
stellt wird: Demnach werden Studiengänge im Bereich KI etwas häufiger
an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) als an Universitä
ten angeboten. Die anwendungsorientierte Ausrichtung der HAWen prägt
die politische, gesellschaftliche und ökonomische Erwartungshaltung, die
sich an die Verbreitung von KI-Kompetenz knüpft, in besonderem Maß
(Wannemacher, Bodmann 2021, S. 39).
Digitalisierung muss sein – aber wie (Projektbeispiel der HTW Berlin)
Auch wenn die Auswirkungen der Corona-Pandemie die Prioritäten in
vielen Unternehmen temporär verändert haben: Die Digitalisierung bleibt
ganz oben auf der Agenda. Die HTW Berlin fördert kleine und mittel
ständische Unternehmen (KMU) im Rahmen des Projekts „DIGITAL+“.
Dabei werden die Digitalisierungspotenziale der KMU-Unternehmen mit
Sitz in Berlin analysiert und Lösungsansätze erarbeitet, die ganz konkret
auf das Unternehmen zugeschnitten sind. Die Herausforderungen der
Betriebe könnten unterschiedlicher nicht sein: Da ist beispielsweise der
kleine Kabelfertigungsbetrieb, der seine Geschäftsprozesse nicht mehr mit
Excel-Tabellen steuern möchte, sondern mit einer zeitgemäßen Software.
Oder die Kfz-Werkstatt, die zwar bereits über ein funktionierendes Waren
wirtschaftssystem verfügt, aber bis heute mit Datendubletten kämpft, die
eine zeitraubende manuelle Nacharbeit erfordern. Das sind nur zwei Bei
spiele für mittelständische Unternehmen, denen bereits geholfen wurde.
Für die Unternehmen ist dieser Service kostenlos. Je nach Sachlage und
Fragestellung werden praxiserfahrene Professorinnen und Professoren und
Kooperationspartner aus der Region einbezogen. Das Projekt „DIGITAL+“
ist eines von 75 Projekten des „Masterplan Industriestadt Berlin“, die von
der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe gefördert wer
den. Bisher haben 122 Unternehmen an dem Projekt teilgenommen, und
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es sind wertvolle Publikationen zur Digitalisierung entstanden, die KMUs
zukünftig in dieser Frage weiterhelfen können (HTW Berlin 2022).
Hate Speech und Fake News automatisch erkennen: Projekt DeTox
(Projektbeispiel der Hochschule Darmstadt)
Das Forschungsvorhaben „DeTox – Detektion von Toxizität und Aggres
sionen in Postings und Kommentaren im Netz“ hat zum Ziel, Hass und
Lügen im Netz systematisch zu identifizieren und vorzuselektieren. Ko
operationspartner sind das Forschungszentrum Angewandte Informatik
der Hochschule Darmstadt und das Fraunhofer Institut für Sichere Infor
mationstechnologie SIT Darmstadt. In Zusammenarbeit mit der Melde
plattform „Hessen gegen Hetze“ des Hessen Cyber Competence Center
entwickeln und untersuchen die Forschenden automatisierte Erkennungs-
und Klassifikationsverfahren von Hate Speech und Fake News unter An
wendung künstlicher Intelligenz. Gefördert wird das Vorhaben vom Hessi
schen Ministerium des Innern und für Sport.
Die Grundlage für die Detektion bilden 5.000 deutschsprachige Tweets,
die von der beteiligten Meldestelle vorklassifiziert und für das Forschungs
vorhaben zur Verfügung gestellt wurden. Die Plattform liefert Postings,
Kommentare und Bilder, die Menschen aufgrund von Nationalität, Haut
farbe, ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit, Weltanschauung, Behinde
rung, Geschlecht, sexueller Orientierung, politischer Haltung, äußerer Er
scheinung oder sozialem Status angreifen. Hate Speech ist demnach durch
seine „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ gekennzeichnet. Dazu
kommen mehrere tausend Tweets, die die Forschenden mit so genannten
„Crawler“-Programmen gesammelt haben und die von Studierenden klas
sifiziert wurden.
Zentral für das Projekt ist die Beobachtung, dass soziale Medien zuneh
mend von Menschen dominiert werden, die diffamieren, beleidigen und
bedrohen. Über automatisch generierte Nachrichten werde zudem der
Eindruck erweckt, dass diese extremen Meinungen in der Bevölkerung
weit verbreitet seien. Den Betreibern von Social Media-Plattformen gelin
ge es nicht mehr, das zu moderieren. Daher bestehe ein dringender Bedarf
an Methoden zur automatischen Identifizierung verdächtiger Beiträge.
Die Forschenden der Hochschule Darmstadt nutzen KI-Methoden zur
automatischen Textklassifikation auf Basis von Algorithmen. Für DeTox
hat das Fraunhofer SIT ein Software-Tool entwickelt, mit dem sich die
Tweets klassifizieren, im Fachjargon „annotieren“ lassen. Damit lässt sich
bei den einzelnen Tweets markieren, inwiefern eine Äußerung positiv,
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negativ oder neutral ist, ob es sich um Hate Speech handelt oder inwiefern
dies strafrechtliche Relevanz hat. Das Tool wird über das Füttern mit
Tweets immer weiter trainiert, um relevante Merkmale in Texten automa
tisch identifizieren zu können.
Das Forschungsprojekt DeTox verfolgt dabei nicht das Ziel, ein System
zur vollautomatischen Filterung von Hate Speech und Fake News zu ent
wickeln. Vielmehr geht es um ein Tool zur Vorklassifizierung, das als
Hilfe für jene Personen genutzt werden kann, die die Ergebnisse letztlich
bewerten und aussortieren und gegebenenfalls an die Staatsanwaltschaft
weitergeben müssen.
Transformationsfeld Klimaschutz
Angesichts der zunehmend sichtbaren Konsequenzen des Klimawandels
gewinnen Aspekte der Nachhaltigkeit für die Bewertung des individuellen,
gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Handelns eminent an Bedeutung.
Die Umsetzung und Weiterentwicklung von Lösungen zur Bewältigung
des Klimawandels werden daher den gesellschaftlichen Diskurs in Zu
kunft prägen. Am Übergang hin zu einer klimaverträglichen Gesellschaft
kommt den Hochschulen als Inkubatoren technologischer Innovation,
als Demonstratoren für die Realitätstauglichkeit klimaneutraler Ansätze
und als Multiplikatoren eines gesteigerten ökologischen Bewusstseins in
vielerlei Hinsicht eine entscheidende Rolle zu. Die folgenden beispielhaft
angeführten Projekte geben einen Einblick zu clever konstruierten Photo
voltaikanlagen im Bereich Ackerbau (HTW Dresden), Infos zur Initiierung
einer breit angelegten Energiesparkampagne an der Hochschule Esslingen
sowie zu ausgetüftelten Energie- und Kühlsystemen in afrikanischen Kran
kenhäusern (Hochschule Karlsruhe):
Sonne und Ackerbau von morgens bis abends (Projektbeispiel der HTW
Dresden)
Ein aktuelles Forschungsprojekt an den Fakultäten Landbau/Umwelt/Che
mie und Bauingenieurwesen untersucht, wie sich Photovoltaikanlagen pa
rallel zur Landwirtschaft betreiben lassen.
Agriphotovoltaikanlagen (Agri-PV) ermöglichen die Erzeugung von So
larstrom bei gleichzeitiger Nutzung der Fläche für den Ackerbau. Die
Anlagen bestehen in den meisten Fällen aus nach Süden hin schräg aufge
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stellten Solarmodulen. Damit die Ackerfläche dennoch durch Arbeitsma
schinen befahren werden kann, müssen die Module entsprechend weit
auseinander aufgestellt oder für ein Unterfahren hoch aufgeständert wer
den. Dieses Vorgehen ist allerdings sehr kosten- und materialintensiv. Au
ßerdem führt die Aufstellung der Module zu ungleicher Niederschlagsver
teilung und entzieht der landwirtschaftlichen Produktion sehr viel an Flä
che. Eine Alternative sind Photovoltaik-Anlagen mit vertikal aufgestellten
bifazialen Solarmodulen, die den Strom sowohl über die Vorder- als auch
über die Rückseite erzeugen, und wenig an Ackerfläche benötigen. Im Pro
jekt „Agri-PV mit vertikal aufgestellten bifazialen Modulen auf Standorten
für Feldfrüchte“ wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine
Versuchsanlage errichten, die die Vor- und Nachteile solcher Anlagen für
den Ackerbau untersucht. Um die Auswirkungen derartiger Module zu
erfassen, entwickeln die Forscher Mess- und Erfassungssysteme, anhand
derer sie verschiedene Parameter zur Bodenbeschaffenheit, Umwelteinflüs
sen, meteorologische Größen sowie landwirtschaftliche Produktionsdaten
auswerten können. In der Agri-PV-Anlage ist auch der Aufbau eines so
genannten Controlled Traffic Farming-Systems geplant, d.h. es werden
nur sehr wenige Fahrspuren vorgegeben und nur diese dürfen von den
Traktoren und anderen Fahrzeugen genutzt werden. Auf diese Weise wird
der Anteil überfahrener Fläche bei der Bewirtschaftung möglichst gering
gehalten.
Darüber hinaus soll ein Biotopverbundsystem geschaffen werden. Da
unter den Modulreihen keine Bewirtschaftung erfolgt, entstehen jeweils
kleine Biotope. Durch angelegte Blühstreifen zwischen den Modulreihen
und hin zu den Feldrändern können diese untereinander verbunden und
so in die Umgebung eingebettet werden.
Für die Bewirtschaftung der Fläche werden Precision Farming/ Smart
Farming-Technologien zum Einsatz kommen. Mit diesen Technologien
wird ein Feld nicht mehr einheitlich bewirtschaftet. Stattdessen wird es
in viele kleine Teilflächen eingeteilt, auf denen Bearbeitung, Pflege und
Düngen individuell erfolgen und den jeweiligen Bedürfnissen angepasst
sind. Gleichzeitig werden mit den Bewirtschaftungsmaschinen sehr viel
mehr an Daten erfasst als bisher und durch eine Vernetzung untereinander
ausgetauscht, so dass die in den Maschinen ablaufenden Arbeitsprozesse
verbessert werden können. Ziel ist es, die Chancen und Risiken solch einer
doppelten Nutzung einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen. So soll zum
Beispiel anhand einer Besucherplattform die Anlage vorgestellt werden.
Neben einer virtuellen Plattform wird auch eine reale Plattform direkt an
der Versuchsanlage in Pillnitz errichtet. Dort gibt es Informationen zur
Agri-PV und Leistungsdaten der Anlage in Echtzeit.
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Projekt Energiesparkampagne: nachhaltig im Alltag (Projektbeispiel der
Hochschule Esslingen)
Die Hochschule Esslingen hat Ende 2021 eine außergewöhnliche Energie
sparkampagne gestartet. In fünf Handlungsfeldern zeigt sie auf, wo und
wie Energie gespart werden kann. Die Handlungsfelder umfassen die Be
reiche Arbeiten, Studieren und Lehren, Beleuchten, Heizen, Lüften und
Kühlen sowie Mitdenken. Der Gesamtenergieverbrauch von Strom und
Wärme an der Hochschule lag im Jahr 2019 pro Person bei durchschnitt
lich 2.094 kWh. Die Energiesparkampagne möchte diesen Verbrauch deut
lich senken. Hauptverbraucher sind hierbei vor allem die Beheizung sowie
Laborgeräte und Maschinen. Doch auch das eigene Verhalten spielt beim
Energieverbrauch eine Rolle. Durch das Herunterfahren von Arbeitsgerä
ten oder das Herunterdrehen der Heizung kann der Verbrauch verringert
werden. Unter dem Motto „Wir nehmen es in die Hand!“ kann jeder Stu
dierende und Hochschulangehörige seinen Beitrag für die Umwelt leisten.
Ähnliche Projekte an anderen Hochschulen haben gezeigt, dass dadurch
fünf bis zehn Prozent der Energiekosten eingespart werden können. Auch
die Hochschule Esslingen möchte damit ihren Teil zu mehr Nachhaltig
keit beisteuern und den Energieverbrauch senken. 50 Prozent der erspar
ten Kosten erhält die Hochschule zudem vom Land Baden-Württemberg
ausgezahlt. Diese zusätzlichen Gelder könnten dann in weitere Projekte
fließen.
Projekt SophiA – nachhaltige Kühlsysteme für afrikanische Krankenhäuser
(Projektbeispiel der Hochschule Karlsruhe)
Obwohl das globale Phänomen der Verstädterung auch in Afrika zu be
obachten ist, leben die meisten Menschen dort nach wie vor in ländli
chen und abgelegenen Gebieten mit schlechter Infrastruktur und geringen
Wachstumsmöglichkeiten. In den afrikanischen Subsaharagebieten gibt es
rund 22.000 Krankenhäuser und 98.000 Gesundheitsstationen, von denen
etwa ein Viertel gar keinen Zugang zu Elektrizität hat und nur ein Vier
tel über eine zuverlässige Stromversorgung verfügt. Außerdem haben in
vielen Regionen bis zur Hälfte dieser Einrichtungen keinen Zugang zu
sauberem Trinkwasser. Auf dem afrikanischen Kontinent wird bis 2050
mehr als die Hälfte des weltweiten Bevölkerungswachstums erwartet, was
verdeutlicht, wie wichtig es ist, sich mit der Gesundheit der Bevölkerung
zu befassen. Neben der Bereitstellung von sauberem Trinkwasser ist der
Zugang zu Energie eine entscheidende Voraussetzung für den Einsatz
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zeitgemäßer medizinischer Technologie und damit auch ein zentraler Fak
tor, damit grundlegende Gesundheitsdienste erbracht werden können. Der
afrikanische Kontinent verfügt über ein enormes Potenzial an erneuerba
ren Energien, jedoch wird z.B. Photovoltaik bis heute nur in geringem
Umfang genutzt.
Das Projekt SophiA „Sustainable off-grid solutions for pharmacies and
hospitals in Africa“ hat sich zum Ziel gesetzt, eine nachhaltige, netzunab
hängige Energieversorgung sowie bakterien- und virenfreies Wasser für
ländliche und abgelegene Gesundheitseinrichtungen in Afrika bereitzustel
len und damit die nachhaltige Entwicklung, das Wachstum und den wirt
schaftlichen Wandel zu beschleunigen.
Unter Verwendung verschiedener Technologien wie Photovoltaik, So
larthermie, elektrischer und thermischer Speicherung, effizienter Wasser
aufbereitung und natürlicher Kältemittel mit geringem Treibhauspoten
zial wird SophiA vor Ort innovative, modulare, erschwingliche und effi
ziente solarbetriebene Containersysteme entwickeln und herstellen, die
folgende Einsatzmöglichkeiten bieten: Stromversorgung für den Einsatz
bei Stromnetzausfall, sauberes Trinkwasser, Warmwasser und bei Bedarf
auch Dampf zum Sterilisieren, Kühlung von chirurgischen oder intensiv
medizinischen Einheiten, Kühlung von Arzneimitteln bei +5 °C und –
wenn erforderlich – von Lebensmitteln, Kältelagerung von Blutplasma bei
-30 °C, Lagerung von empfindlichen Medikamenten (z. B. einige Covid-19-
oder Ebola-Impfstoffe) bei sehr niedrigen Temperaturen um -70 °C. Diese
Containersysteme werden in vier unterschiedlichen afrikanischen Klima
zonen, in Burkina Faso, Kamerun, Uganda und Malawi im realen Einsatz
installiert und getestet.
SophiA wird vor Ort innovative, erschwingliche und effiziente solarbe
triebene Geräte entwickeln um die genannten Aspekte der Einsatzmöglich
keiten sicherzustellen. Dazu werden Photovoltaik-Paneele, solarthermische
Module, Ultrafiltration in Kombination mit UV-Lampen und kapazitiver
Deionisierung sowie natürliche Kältemittel mit niedrigem Treibhauspo
tenzial in einem dreistufigen Kaskadenkältesystem mit hocheffizienter
thermischer Energiespeicherung eingesetzt. Auf der Grundlage der Ergeb
nisse dieser Feldtestinstallationen wird nach Abschluss des Projekts eine
modulare Containerversion verfügbar sein. Dazu wird ein Leitfaden er
stellt, der es lokalen Unternehmen ermöglicht, ähnliche Systeme vor Ort
zu bauen. SophiA wird so in Afrika einen Beitrag zu einem nachhaltigen
Entwicklungswachstum leisten können.
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Transformationsfeld Mobilität
Eng verbunden mit den beiden zuvor vorgestellten Transformationsfel
dern ist das Transformationsfeld Mobilität. Digitale Fahrassistenzsysteme
werden in den nächsten Jahren auf dem Weg zum autonomen Fahren
eine immer wichtigere Rolle im Straßenverkehr einnehmen und Mobili
tätsdaten werden im Dienste einer effizienteren Verkehrssteuerung zuneh
mend vernetzt. Parallel dazu nimmt der Anteil der Elektromobilität an
der Gesamtmobilität nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Erfordernis
se des Klimaschutzes kontinuierlich zu und führt einen Wandel hin zu
einer nachhaltigen Mobilitätskultur herbei. Die sich vollziehenden Verän
derungsprozesse im Mobilitätssektor betreffen dabei nicht nur die primär
eingesetzten Antriebstechnologien und Assistenzsysteme, sondern auch
die damit zusammenhängende erforderliche Betriebsinfrastruktur, Parkflä
chen sowie den Modal Split (Verteilung des Transportaufkommens auf
verschiedene Verkehrsträger oder Verkehrsmittel). Die folgend genannten
Hochschulprojekte zeigen neue Denkweisen, wie Mobilität konzeptionell
und strukturell am Beispiel des Baden-Württemberg Institut für Nachhal
tige Mobilität (BWIM) geplant werden kann und am Beispiel der FH
Aachen, welche Möglichkeiten elektrische Mobilität auch im Luftraum
eröffnet:
Baden-Württemberg Institut für Nachhaltige Mobilität (BWIM) (Projektbeispiel
der Hochschule Karlsruhe)
Einen einzigartigen Beitrag zum Transformationsfeld Mobilität stellt das
Baden-Württemberg Institut für Nachhaltige Mobilität (BWIM) dar. Das
BWIM ist ein Transferinstitut der Hochschule Karlsruhe, das vom Land
tag Baden-Württemberg strukturell gefördert wird. Die Betreuung erfolgt
durch das Ministerium für Wissenschaft und Kunst gemeinsam mit dem
Verkehrsministerium. Das BWIM vernetzt seit Herbst 2020 Verantwort
liche aus Verwaltung, Unternehmen und Politik mit der Wissenschaft,
stärkt Planungsbüros und Verkehrsentwickler mit fachlicher Weiterbil
dung, ermöglicht Innovationen in nachhaltiger Mobilität und ist für die
Gesellschaft mit prägnanter und sympathischer Stimme präsent.
Die Vision des BWIM ist es, über Disziplingrenzen hinweg alle Aspek
te von Mobilität in unterschiedlichen Formaten und Anwendungen von
angewandter Wissenschaft, Gesellschaft und Wirtschaft zu einem sich wei
terentwickelnden System zu verknüpfen und aktivieren. Mobilitätswende
wird in diesem großen Netzwerk zu einem Mitmachprojekt für alle.
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Unter dem Motto „Gemeinsam sind wir besser unterwegs“ bauen die
Mitglieder des BWIM seitdem Netzwerkknoten mit Partnern in ganz
Baden-Württemberg auf. Das BWIM vernetzt die Kompetenzen in der
Mobilität landesweit und setzt in Kooperation mit Politik, Wirtschaft und
Verwaltung wirksame Impulse in der Forschung (BWIM als Forschungs
cluster für nachhaltige Mobilität), im Bereich der Weiterbildung (Angebo
te, besonders für kommunale Verwaltungen und Landeseinrichtungen;
Integration der Aktivitäten der BWIM-Professoren in ihre Hochschullehre)
oder im Transferbereich (Kooperationsformate für Politik, Behörden, Pla
nungsbüros). Als thematischer Ansprechpartner tritt das BWIM darüber
hinaus in Diskussion mit Politik und Öffentlichkeit.
Zwar unterscheiden sich die Mobilität im urbanen Raum und in der
Fläche genauso grundlegend voneinander wie der Personenverkehr und
die Güterlogistik. Unabhängig von der Erscheinungsform der Mobilität
ist ihre Transformation eine gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch
hochrelevante Themenstellung. Die Studienergebnisse der Untersuchung
„Mobiles Baden-Württemberg – Wege der Transformation zu einer nach
haltigen Mobilität“ bestätigen, dass die Langfristziele für den Klimaschutz
und die Ziele der Landesregierung für den Endenergiebedarf des Ver
kehrssektors 2050 nur dann erfüllt werden können, wenn eine „neue
Mobilitätskultur“ etabliert werden kann (BW-Stiftung 2022). Angesichts
der Corona-Pandemie ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob die
veränderten Arbeitsweisen durch eine stärkere Nutzung des Home-Office
die Verkehrsproblematik nicht gelöst haben zu verneinen: Tatsächlich hat
sich der CO2-Ausstoß (Studie unter Beteiligung des Potsdam-Instituts für
Klimafolgenforschung (PIK 2020), durch die temporäre Änderung der geo
politischen Situation weltweit um eine Milliarde Tonnen CO2 reduziert
(weniger Flugreisen, mehr mobiles Arbeiten etc.). Auch Deutschland hat
davon profitiert, allerdings ist die Reduktion durch den sog. Landverkehr
in Deutschland nur geringfügig zurückgegangen (Carbon Monitor). Grün
de dafür werden in einer größeren Skepsis bei der Nutzung öffentlicher
Verkehrsmittel (Infektionsgefahr) gesehen. Genau an diesem Status quo
setzt das BWIM an, um die ungelösten Probleme nachhaltiger Mobilität
dauerhaft durch neue Mobilitätskonzepte zu lösen.
Durch die Lüfte: Projekte elektrischer Luftmobilität (Projektbeispiel der FH
Aachen)
Das Thema der elektrischen Luftmobilität wird am Fachbereich Luft- und
Raumfahrttechnik der FH Aachen in mehreren Projekten bearbeitet. In
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der Öffentlichkeit wird das Thema häufig auf die Diskussion über Flugta
xis für Reiche verkürzt — was aber nur einen kleinen Ausschnitt berührt.
Die Bandbreite reicht von Warenlieferungen mit Drohnen bis zu um
weltfreundlichen Hybridmotoren für Passagierflugzeuge. Was technisch
möglich und gesellschaftlich sinnvoll ist, wird derzeit in mehreren For
schungsprojekten ausgelotet. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft
ler beschäftigen sich mit den technischen Grundlagen ebenso wie mit der
Anwendung in der Flugpraxis und innovativen Mobilitätskonzepten. Ein
Meilenstein für diesen Forschungsbereich ist die Inbetriebnahme von zwei
elektrisch angetriebenen Motorflugzeugen im Rahmen des Projekts Next
Generation Electric Powered Flight Training, das die FH Aachen gemein
sam mit strategischen Partnern betreibt und das vom Ministerium für Ver
kehr des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert wird. Das FH-Forschungs
team möchte herausfinden, wie die Pilotinnen- und Pilotenausbildung
mit E-Flugzeugen umgesetzt werden kann, welche Emissionen dadurch
eingespart werden können und wie die Instandhaltung der elektrisch an
getriebenen Flugzeuge in bestehende Wartungsprozesse integriert werden
kann.
Das Forschungsvorhaben „SkyCab“ ist eines der neuen Leuchtturmpro
jekte, das ein intermodales Mobilitätskonzept für die Pilotregion NRW/
Rhein-Maas Euregio mit besonderem Fokus auf elektrifizierte Flugtaxis
entwickelt. Beteiligt sind fünf Forscher aus vier Fachbereichen — mehr
Interdisziplinarität geht kaum. Dabei soll der Transfer von Standards aus
dem Automobilbau auf ein Flugtaxi gelingen. In einem weiteren Projekt
wird untersucht, wie adaptive Mobilität bei Leichtfahrzeugen durch dyna
mische Fahrzeuganpassung mit KI-basierter multisensorischer Umfelder
kennung möglich ist.
Transformationsfeld Arbeitswelt
Die bereits dargestellten Transformationen bewirken im Zusammenhang
mit der Emergenz weiterer „Game-Changer“ wie mobilem Arbeiten einen
tiefgreifenden Strukturwandel der Arbeitswelt. Erwartete Qualifikationen,
Anforderungen an interkulturelle Kompetenz, Rahmenbedingungen von
Arbeit und ihre Verortung innerhalb der persönlichen Work-Life-Balance
sind einem umfassenden Wandel unterworfen. Zudem ändert sich parallel
zu den weiterentwickelten technischen Möglichkeiten auch die konkrete
Ausgestaltung von Arbeit: Produktionsprozesse werden effizienter und
präziser durchgeführt und die Rolle des Menschen in ihnen neu verortet,
neue Formen der Arbeitsplatzorganisation und der Zusammenarbeit wer
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den etabliert. Innovationsfähigkeit wird dabei zur entscheidenden Größe,
um die sich vollziehenden Veränderungsprozesse der Arbeitswelt zum
Wohle der Menschen zu gestalten. Startups sind hier besonders gut aufge
stellt, da sie in der Regel während oder kurz nach dem Studium von jun
gen Entrepreneuren ins Leben gerufen werden, die in sich hochaktuelles
Fachwissen, einen frischen Blick auf Problemstellungen und den Willen
zum Erfolg vereinen. Die HAWtech-Hochschulen betreffen diese Entwick
lungen der Arbeitswelt in dreifacher Weise: Einmal in Bezug auf die Si
cherstellung der Berufsbefähigung ihrer Absolventen, sodann in Bezug auf
ihre eigenen Rollen als Arbeitgeber und schließlich bezüglich der Rolle als
begleitende Institution studentischer Gründungsaktivitäten. Die Projekt
einsichten der Hochschule Esslingen, der FH Aachen und der Hochschule
Dresden zeigen drei unterschiedliche, aber hochaktuelle Themenbereiche,
die für unsere Zukunft essentiell sind: Optimale Arbeitsbedingungen für
eine gute Pflege im Alter und der Einsatz digitaler Instrumente, um Infra
strukturen und Prozesse in der Arbeitswelt allgemein zu optimieren, und
in der Fertigung des Maschinenbaus, um die Arbeitsschritte effizient und
punktgenau zu planen und umzusetzen.
Projekt Care4Care: strategische Fachkräftesicherung in der Pflege (Projektbeispiel
Hochschule Esslingen)
Pflegende arbeiten derzeit am Limit – daran ist nicht nur die Corona-Pan
demie Schuld. Der Fachkräftemangel ist seit Jahren zum Normalzustand
in der Pflege geworden. Der Forschungsverbund „Care4Care“, an dem
auch die Hochschule Esslingen beteiligt ist, evaluiert den Fachkräftebe
darf in der Pflege und zeigt Wege auf, wie der Pflegeberuf insgesamt
attraktiver gestaltet werden kann. Der Forschungsverbund „Care4Care“
untersuchte von März 2017 bis März 2020, wie Pflegefachkräfte gewonnen
werden sowie dauerhaft zufrieden und gesund in ihrem Beruf verbleiben.
In der ersten Förderphase wurden der aktuelle Fachkräftebedarf und Lö
sungsansätze entlang ausgewählter Schlüsselthemen untersucht, welche
in den folgenden zwei Jahren (bis 2022) gemeinsam mit Praxispartnern
zu Umsetzungsempfehlungen für die Fachkräftesicherung in der Pflege
aufbereitet werden. In engem Austausch mit unterschiedlichen Akteuren
der Pflegebranche erfolgt die Validierung und Erprobung von praxisnahen
Ansätzen, die dann über eine Transferplattform bereitgestellt werden.
Eines der Ergebnisse: Ausgebildete Pflegekräfte achten bei der Stellensu
che nicht allein auf das Gehalt. So ist es ihnen auch wichtig, dass sie in
einem verlässlichen Team arbeiten und die ihnen anvertrauten Menschen
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gut versorgen können. Damit gut ausgebildete Pflegekräfte ihren Beruf
nicht aufgeben, sollten Arbeitgeber ihre Mitarbeitenden in die Umsetzung
von Lösungen für mehr Arbeitszufriedenheit einbeziehen. Außerdem soll
ten vielfältige berufliche Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet werden. Die
Ergebnisse des Projektes werden mit anderen Vertreterinnen und Vertre
tern aus Wissenschaft und Praxis sowie der interessierten Öffentlichkeit
auf Kongressen, Tagungen und in weiteren Kommunikationsplattformen
geteilt und diskutiert (vgl. ZAFH 2017).
Intelligente Produktion von morgen (Projektbeispiel FH Aachen)
Das Institut für angewandte Automation und Mechatronik (IaAM) der FH
Aachen beschäftigt sich unter anderem mit Fragestellungen rund um die
Digitalisierung im Maschinenbau. Es versteht sich als Kompetenzzentrum
für die intelligente Produktion von morgen mit den Schwerpunkten auto
nome Robotik, additive Fertigungsverfahren, innovative Verbindungstech
nik und ganzheitliches Prozessmanagement und Engineering im Bereich
Produktion und Logistik. Ein aktuelles Projekt des Instituts ist die Digital
Twin Academy. Mit dem Begriff „Digital Twin“ werden umfassende Si
mulationen industrieller Prozesse bezeichnet. Diese Simulationen können
den gesamten Lebenszyklus von Produkten, Maschinen, Produktionslinien
oder sogar ganzen Unternehmen umfassen und ermöglichen es, besser und
effizienter zu planen. Industrielle Produktionsprozesse müssen heutzutage
so angelegt werden, dass sie eine individuelle, flexible und effiziente Ferti
gung ermöglichen. Als eine der Schlüsseltechnologien von Industrie 4.0
sind Digitale Zwillinge ein wichtiger Schritt in der Digitalisierung, indem
sie ein virtuelles Abbild einer realen Einheit schaffen. Das Konzept umfasst
die komplette Wertschöpfungskette: Forschung und Entwicklung, Kon
zeption und Prototyping, Produktion und Wartung, Datenmanagement,
Kundendienst und Logistik. Gefördert wird das Projekt „Digital Twin
Academy“ durch das Interreg V-A Programm der Euregio Maas-Rhein.
Ideen für die Arbeitswelt von morgen erproben (Projektbeispiel der HTW
Dresden)
Welche Infrastrukturen, Produkte und Prozesse werden zukünftig unse
re Arbeit maßgeblich vereinfachen oder verändern? Im neu gegründeten
Lab X der HTW Dresden können Studierende und Mitarbeitende ihre
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Gründungsideen zur Arbeitswelt von morgen testen. Im Zentrum der in
terdisziplinären Ideenwerkstatt steht dabei das kreative und konzeptionelle
Arbeiten. Die Studierenden können Prototypen ihrer Produkte entwickeln
oder Demonstratoren erproben.
Mit dem Lab X baut die HTW Dresden ihre Gründungaktivitäten
weiter aus: Studierende werden für Gründungsideen begeistert und dazu
ermutigt, ihre technischen Konzepte und Ideen zu prüfen und weiterzu
entwickeln. Eine Jury aus Mitgliedern der Hochschule, der Wirtschaft und
der Dresdner Startup-Community begutachtet die Projekte. Dabei werden
vor allem Gründungsideen aus dem MINT-Bereich und die damit verbun
denen technischen Herausforderungen in den Fokus genommen. Sind
vielversprechende Ideen dabei, können die Studierenden an einem soge
nannten KickStart-Team teilnehmen. Die KickStart-Teams werden durch
das Lab X bis zu sechs Monate bei der Realisierung ihrer Ideen unterstützt
und beraten. Das Lab X konzentriert erstmals alle wesentlichen Bausteine
von der Ideenfindung bis hin zur Umsetzung an einem zentralen Ort an
der Hochschule. Es vereint die Smart Factory der HTW Dresden – das
Industrial IoT Test Bed, Werkstätten sowie den neu geschaffenen Kreativ
bereich der Hochschule und es gibt eine sehr enge Zusammenarbeit mit
der Gründungsschmiede der HTW Dresden. Während das Lab X vor allem
in der Vorgründungsphase unterstützt, begleitet die Gründungsschmiede
im Anschluss daran den direkten Gründungsprozess. Studierende und Mit
arbeitende der HTW Dresden erhalten damit ein Angebot, das sie von
der ersten Geschäftsidee über die Realisierung von Proof of Principles bis
hin zur Unternehmensgründung durchgängig begleitet. Lab X wird vom
BMBF gefördert und hat eine Laufzeit von vier Jahren. Es ist das erste
Startup Lab an einer Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW)
in Sachsen. Weitere Informationen: www.htw-dresden.de/labx
Ausblick
Transformation ist ein langjähriger Prozess, der auch die Komponenten
des Lernens und Suchens beinhaltet und dadurch mit vielen Unsicherhei
ten verbunden ist (WBGU 2011). Viele neue Ideen wachsen erst durch
Kennenlernen, Erproben und gemeinsamen Austausch.
Die Gründungsidee der HAWtech ist die Idee der Zusammenarbeit
und Vernetzung in allen Bereichen des Hochschulwesens. Nach über
zehn Jahren gemeinsamen Handelns hat sich gezeigt, dass die HAWtech-
Hochschulen essentielle gesellschaftliche, wirtschaftliche und technologi
sche Entwicklungen unserer Zukunft konsequent vorantreiben und an
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der Gestaltung von zentralen Zukunftsthemen grundlegend beteiligt sind.
Bildung und Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft brauchen viele junge
Talente, um die wichtigsten Aufgaben, die in den kommenden Jahren in
den großen Transformationsfeldern vor uns stehen, auch zukünftig lösen
zu können. Die beispielhaft angeführten Projekte machen deutlich, dass in
den Hochschulen der HAWtech überaus großes Potenzial, viel Know-How
und frischer Gründergeist vorhanden ist, um die Herausforderungen des
gesellschaftlichen Wandels, der Neuerfindung und der Suche nach einem
lebenswerten Morgen zu meistern.
Literatur- und Quellenverzeichnis
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