ArticlePDF Available

Anno 2019. Zum 50. Todestag von Friedrich Richard Freiherr von Hoyningen, genannt Huene

Authors:

Abstract

Journal: CHELYOPS - Berichte aus der Paläontologischen Sammlung in Tübingen
1
CHELYOPS
Berichte aus der Paläontologischen Sammlung in Tübingen
Anno 2019
Zum 50. Todestag von Friedrich Richard Freiherr von Hoyningen,
genannt Huene
Ingmar Werneburg1,2,*
Der bedeutende Wirbeltierpaläontologe Friedrich
von Huene (1875–1969) (Abb. 1), dessen Todes-
jahr sich nun zum 50. Mal jährt, war Taxonome
und Christ (Turner 2009). Durch sein protestanti-
sches Elternhaus beeinflußt – sein Vater war
Pastor – verstand er die Stammesgeschichte als
Gottes ‚Plan der Natur’, und er widmete sich vol-
ler Hingabe dem Studium ihrer Strukturen und
ihrer Diversität. In mehr als 400 wissenschaftli-
chen Artikeln und Büchern beschrieb von Huene
Hunderte ausgestorbener Landwirbeltiere und leg-
te Überlegungen zu ihrer genetischen Verwandt-
schaft vor. Jedoch nur der Mensch war, aus seiner
Sicht, anatomisch hinreichend genug generalisiert,
um sich über die Zeit hin zu übersteigern. Gerade
wegen seiner körperlich bedingten Beschränkung,
also ohne ein spezialisiertes Organ zu haben, wäre
der Mensch – ganz im Sinne Herders – erst in der
Lage, am Ende seinen Geist auf eine höhere Ebe-
ne fort zu entwickeln und nicht, wie andere Orga-
nismen, in einer ‚evolutionären Sackgasse‘ zu
enden.
Konzepte zur Generalisierung existieren auch
im modernen Evolutionsdenken. Obzwar von
Huene den gemeinsamen Ursprung allen Lebens
akzeptierte – er veröffentlichte einen der ersten
Wirbeltierstammbäume (v. Huene 1936, Abb. 2) –
so ließ er eine blinde Selektion in seinem Weltver-
ständnis nicht gelten (Reif und Lux 1987). Pflan-
zen und ‚Tiere‘ seien zunächst gottgeschaffen und
der Mensch stamme evolutionär von den Wirbel-
tieren ab. Seit der Neolithischen Revolution aber –
sie entspreche dem sechsten Schöpfungstag der
Bibel – entwickelte sich der Mensch nach Gottes
Plan auf besondere Weise. Der Mensch war, in
1. Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment (HEP) an der Universität Tübingen, Sigwartstraße 10,
72074 Tübingen, 2. Fachbereich Geowissenschaften an der Universität Tübingen, Hölderlinstaße 12, 72074 Tübingen
* ingmar.werneburg@senckenberg.de
Abbildung 1. Portrait von Friedrich von Huene, publiziert
in seiner Autobiographie von 1944.
Herausgeber: Ingmar Werneburg Scidinge Hall Verlag Tübingen
ISBN: 978-3-947020-14-0
Band 1, 2019, Seiten 1-2
2
CHELYOPS
Berichte aus der Paläontologischen Sammlung in Tübingen
den Augen von Huenes, das letzte Ziel des Lebens
auf der Erde und nach der Auferstehung würde
allein der Mensch eine höhere Existenzebene er-
reichen – also evolvieren (v. Huene 1937). „Und
das Meer gab die Toten heraus, die in ihm waren;
und der Tod und die Unterwelt gaben ihre Toten
heraus, die in ihnen waren“ (Offb 20,13). Auf die-
se Weise erkannte von Huene, ins Geheim, eine
auch zukünftig fortschreitende Transformation
der Natur durch das Schicksal der Menschen an.
So sehr wir von Huene als Evolutionsmorpho-
logen widersprechen müssen und heute die mo-
derne evolutionäre Synthese anerkennen wollen,
so werden auch wir als Menschen stets unter einer
ererbten Selbst-Bezogenheit forschend tätig sein.
Wir werden also aus dem konzeptionellen Umfeld
unserer persönlichen Traditionen heraus die Welt
zu erklären suchen. Durch von Huenes Beispiel
können wir lernen, wie dieser innere Konflikt
zwischen Geglaubtem und Erlebtem in einer
Abbildung 2. “Versuch eines Stammbaums der Wirbeltiere” (v. Huene
1936). Der Mensch steht im Zentrum des Baums.
produktiven, ja existentiellen Evolutionsforschung
resultieren kann. Seine religiösen Ansichten veröf-
fentlichte von Huene ausschließlich in christlichen
Verlagen. Seine falsifizierbare Naturwissenschaft
hingegen war dem Fachpublikum vorbehalten.
REFERENZEN
Huene, F. v. (1936). Versuch eines Stammbaums der Wirbel-
tiere, Eclogae Geologicae Helvetiae 29(2):, 571-574.
Huene, F. v. (1937). Ist der Werdegang der Menschheit eine
Entwicklung? Enke-Verlag, Stuttgart.
Turner, S. (2009). Reverent and exemplary: ‘dinosaur man’
Friedrich von Huene (1875–1969), The Geological So-
ciety London, Special Publications 310: 223-243.
Reif, W.-E., Lux, W. (1987). Evolutionstheorie und religiö-
ses Konzept im Werk des Wirbeltierpaläontologen
Friedrich Freiherr von Huene (1875–1969). Mit einer
Bibliographie. Bausteine zur Tübinger Universitätsge-
schichte Folge 3, 91–140.
Ingmar Werneburg (2019): Der 50. Todestag Friedrich von Huenes
ResearchGate has not been able to resolve any citations for this publication.
Article
Full-text available
Friedrich Freiherr (Baron) Hoyningen, better known as von Huene, was a palaeontologist who made major contributions to vertebrate, especially amphibian and reptile, taxonomy. He was the dinosaur doyen of the Institute and Museum of Geology and Palaeontology, University of Tübingen, and an important figure in the German scientific community for seven decades. Unlike his peers, he was a pious evangelical Protestant whose life and research were strongly influenced by his beliefs, which were unusual for a scientist in the 20th century and even for most contemporary Christians, and which he maintained throughout his life. His body of scientific and religious work and his correspondence with colleagues such as Tilly Edinger and Richard Lull, and the self-taught vertebrate palaeontologist Heber A. Longman in Australia, give insights into and contrasts to his thinking, and throw light on scientific exchange in general as well as von Huene's philosophy, personal beliefs, hopes and dreams, and on how he coped with the Third Reich. Longman, a professed agnostic, was mentored by von Huene during his early work on vertebrate taxonomy at the Queensland Museum. Their relationship lasted more than 25 years, although they never met. Unlike other 20th-century ‘life’ scientists, von Huene's scientific work and career were affected by his religious philosophy. Supplementary Material : Huene bibliography is available at http://www.geolsoc.org.uk/ SUP 18336.
Versuch eines Stammbaums der Wirbeltiere
  • F V Huene
Huene, F. v. (1936). Versuch eines Stammbaums der Wirbeltiere, Eclogae Geologicae Helvetiae 29(2):, 571-574.
Ist der Werdegang der Menschheit eine Entwicklung?
  • F V Huene
Huene, F. v. (1937). Ist der Werdegang der Menschheit eine Entwicklung? Enke-Verlag, Stuttgart.
Evolutionstheorie und religiöses Konzept im Werk des Wirbeltierpaläontologen Friedrich Freiherr von Huene (1875-1969). Mit einer Bibliographie
  • W.-E Reif
  • W Lux
Reif, W.-E., Lux, W. (1987). Evolutionstheorie und religiöses Konzept im Werk des Wirbeltierpaläontologen Friedrich Freiherr von Huene (1875-1969). Mit einer Bibliographie. Bausteine zur Tübinger Universitätsgeschichte Folge 3, 91-140.