ArticlePDF Available

Das Unterrichts- und Rollenverständnis von Lehramtsstudierenden in eigenverantwortetem Unterricht. In D. Mattes & J. H. Hinske, Implizites Wissen (Themenheft) Empirische Pädagogik, 36 (3), 294-310.

Authors:

Abstract

Implicit knowledge as tacit knowing is the foundation for professional action. To become effective in actions, explicit knowledge has to be acquired, internalized and integrated into subjective knowledge structures. During teacher education, students acquire explicit, professional knowledge in different domains. Here, their implicit knowledge as pupils becomes relevant, which emerges from individual and culturally framed socialization processes. In the following article we examine the implicit knowledge of student teachers that comes into play in independent and non-assessed lessons during an internship. For this purpose, videotaped lessons, in which students as teachers taught a class independently for one week, were transcribed (language and actions). Using an inductive, data-based qualitative content analysis approach, shared tacit knowledge was identified, differentiated and, using type building qualitative content analysis, bundled into three types of tacit knowledge. These differ in their understanding of teaching and the role of the teacher and are discussed according to the significance of the tacit knowledge based on students‘ experiences as pupils.
Empirische Pädagogik © Verlag Empirische Pädagogik
2022, 36. Jahrgang, Heft 3, S. 294-3010
Manuela Keller-Schneider, Markus Janssen & Thomas Wiedenhorn
Das Unterrichts- und Rollenverständnis von
Lehramtsstudierenden in eigenverantwortetem
Unterricht
Implizites Wissen als tacit knowing stellt die Grundlage für berufliches Handeln dar, explizites Wissen wird
erworben, internalisiert und in subjektive Wissensstrukturen integriert, um in Handlungen wirksam zu wer-
den. Im Lehramtsstudium erwerben Studierende explizites, berufsbezogenes Wissen in unterschiedlichen
Domänen. Ihr aus individuellen und kulturell gerahmten Sozialisationsprozessen hervorgehendes implizites
Wissen als Schüler*in ist dabei von Bedeutung. Welches implizite Wissen von Lehramtsstudierenden in
eigenverantwortlichem und nicht beurteiltem Unterricht im Praktikum zum Tragen kommt, wird im folgen-
den Beitrag untersucht. Dazu werden videographierte Unterrichtsstunden analysiert, in welchen Studierende
als Lehrpersonen während einer Woche in einer Klasse eigenverantwortlich unterrichteten. Aus den nach
Wort und Handlungen transkribierten Unterrichtsstunden wurde mittels qualitativer Inhaltsanalyse über ein
induktives Vorgehen geteiltes implizites Wissen herausgearbeitet, nach Ausdifferenzierungen aufgefächert
und über eine fallorientierte Typenbildung zu Typen impliziten, in Handlungen zum Ausdruck gebrachten
Wissens gebündelt. Die drei identifizierten Typen unterscheiden sich im Verständnis von Unterricht und der
Rolle der Lehrperson und werden nach der Bedeutung des aus Schüler*innenerfahrungen gestützten impli-
ziten Wissensbeständen diskutiert.
Schlagwörter: Eigenverantwortliches UnterrichtenImplizites WissenLehramtsstudierendeRollenver-
ständnisVerständnis von Unterricht
Student teachers' understanding of teaching and the
role of the teacher in independent teaching
Implicit knowledge as tacit knowing is the foundation for professional action. To become effective in actions,
explicit knowledge has to be acquired, internalized and integrated into subjective knowledge structures.
During teacher education, students acquire explicit, professional knowledge in different domains. Here, their
implicit knowledge as pupils becomes relevant, which emerges from individual and culturally framed sociali-
zation processes. In the following article we examine the implicit knowledge of student teachers that comes
into play in independent and non-assessed lessons during an internship. For this purpose, videotaped
lessons, in which students as teachers taught a class independently for one week, were transcribed (language
and actions). Using an inductive, data-based qualitative content analysis approach, shared tacit knowledge
was identified, differentiated and, using type building qualitative content analysis, bundled into three types
of tacit knowledge. These differ in their understanding of teaching and the role of the teacher and are
discussed according to the significance of the tacit knowledge based on students‘ experiences as pupils.
Keywords: implicit knowledgeindependent teachingstudent teachersunderstanding of rolesunder-
standing of teaching
Verständnis von Unterricht 295
1 Einleitung
Der Beruf von Lehrpersonen stellt komplexe Anforderungen, die aufgrund berufsbi-
ografisch erworbener individueller Ressourcen wahrgenommen und gedeutet wer-
den. Damit prägt implizites Wissen als Grundlage Wahrnehmungs- und Deutungs-
prozesse sowie daraus hervorgehende, bewusste und unbewusste Entscheidungen.
Diese führen zu Handlungen und werden in der Auseinandersetzung mit situativ
gestellten Anforderungen sichtbar. Welche Facetten impliziten Wissens aus Hand-
lungen von Studierenden im Schulfeld hervorgehen, die in der Rolle als eigenver-
antwortlich tätige Lehrpersonen unterrichten, wird im folgenden Beitrag herausge-
arbeitet.
2 Theoretische Fundierung
2.1 Implizites Wissen als tacit knowing
Implizites Wissen als nicht direkt beobachtbares, latentes Wissen (Neuweg, 2020) ist
individuell geprägt, umfasst über Sozialisationsprozesse erworbenes Wissen (Dick,
Nebauer-Herzig & Termath, 2016) und erfahrungsgestützte Erkenntnisse (Combe &
Gebhard, 2009). Weitgehend unbewusst und intuitiv wirkend, beinhaltet es biogra-
fisch erworbene Selbstverständlichkeiten, welche die Sicht auf Situationen und An-
forderungen prägen.
Von Polanyi (1969, nach Gourlay, 2002) als tacit knowing bezeichnet, ist implizites
Wissen als latentes Potential dem Bewusstsein nicht direkt zugänglich und nur
schwer artikulierbar (Neuweg, 2004). Es wird in spezifischen Situationen hervorge-
rufen und umfasst dynamische sowie statische Aspekte. Als in subjektive Strukturen
verankertes Potential verstanden, stellt implizites Wissen eine Grundlage für Wahr-
nehmungs- und Deutungsprozesse sowie für Handlungen dar. Implizites Wissen
wird als subjektiv wahrgenommenes Können oder als Entscheidungen stützende
Wissensbasis im Handeln sichtbar, auch wenn es als solches nicht direkt beobacht-
bar ist. Explizites Wissen kann nicht ohne zugrundliegendes implizites Wissen be-
stehen (Henry, 2010).
Implizites Wissen als tacit knowing ist von tacit knowledge zu unterscheiden, wel-
ches, als träges Wissen verstanden, im individuellen Wissen abgelegt ist, in Hand-
lungen jedoch nicht wirksam wird (Wahl, 2001). Während implizites Wissen einen
handlungsleitenden, dem Bewusstsein nicht zugänglichen Anteil der subjektiven
Wissensstrukturen darstellt, umfasst träges Wissen nicht integriertes Wissen, das an-
gelernt und bei Bedarf in spezifischen Situationen erinnert werden kann (Anderson
& Karthwohl, 2001). Implizites, in subjektive Strukturen integriertes Wissen wird im
296 Keller-Schneider, Janssen & Wiedenhorn
(berufs)biografischen Verlauf erworben (Keller-Schneider, 2020a) und von familiä-
ren, kulturellen sowie kontextspezifischen Sozialisationsprozessen geprägt (Hurrel-
mann et al., 2015). Damit sind kontextuelle Faktoren wie Bildungschancen, Bildungs-
gelegenheiten und Bildungsangebote nicht nur für den Erwerb von objektivem,
propositionalem Wissen von Bedeutung, sondern über kontextgeprägte Erfahrun-
gen auch für den Aufbau und die Veränderung subjektiver Strukturen impliziten
Wissens. Aus Erfahrungen hervorgehende (Combe & Gebhard, 2009), in die indivi-
duellen Wissensstrukturen integrierte Erkenntnisse schlagen sich im impliziten Wis-
sen nieder. Für den Erwerb von Wissen sind somit nicht nur von außen kommende
Impulse von Bedeutung, sondern auch die Bereitschaft, diese anzunehmen und sich
mit diesen auseinanderzusetzen (Keller-Schneider, 2020a).
Objektives, von außen an Individuen herangetragenes propositionales, und damit
explizites Wissen (Bromme, 1992) wird im Rahmen von institutionellen Lerngelegen-
heiten in der Aus- und Weiterbildung vermittelt. Vorerst als objektiv richtiges Wissen
wahrgenommen wird es, je nach Passung zum eigenen Überzeugungsrahmen (vgl.
unten, Blömeke, Kaiser & Lehmann, 2008) oder nach Vorgaben von in einem insti-
tutionellen Kontext zu erbringenden Leistungen (Keller-Schneider, 2018), angenom-
men und bearbeitet. Als explizites Wissen lässt sich dieses über Erinnerungsprozesse
(Anderson & Krathwohl, 2001) darlegen. Über Erinnerungsprozesse bleibt dieses
Wissen in seiner Explizität erhalten; inwiefern es auch haften bleibt und als träges
Wissen abgespeichert wird, oder ob es wieder vergessen und durch implizites, hand-
lungsleitendes Wissen verdrängt wird, wird durch den Grad der vertieften Auseinan-
dersetzung, der Vernetzung (Gruber & Degner, 2016) und der Integration in sub-
jektive Wissensstrukturen geprägt (Keller-Schneider, 2020a). Je nach subjektiver
Relevanz des expliziten Wissens bzw. des individuellen Interessens an der Thematik,
der Anforderungsstruktur der Lerngelegenheit (Keller-Schneider, 2018) oder der
Taxonomiestufe der Leistungsanforderung (Anderson & Krathwohl, 2001) können
Lernprozesse ausgelöst werden, die zu Erkenntnissen und damit zur Transformation
der latenten Wissensstrukturen führen. Damit kann objektives Wissen, als explizites
Wissen an Lernende (Schüler*innen, Studierende, Lehrpersonen) herangetragen,
subjektive Wissensstrukturen irritieren, wenn dieses als kontingent (Combe, Paseka
& Keller-Schneider, 2018) angenommen zu einer vertieften Auseinandersetzung
führt (Keller-Schneider, 2020a). Damit wird das Wissen nicht nur angeeignet, um in
spezifischen Kontexten erinnert zu werden (Anderson & Krathwohl, 2001), sondern
ermöglicht über vertiefte Auseinandersetzungsprozesse handlungswirksam wer-
dende Erkenntnisse. Durch deren Integration in die individuellen Wissensbestände
werden diese angereichert und transformiert (Gruber & Degner, 2016).
Verständnis von Unterricht 297
2.2 Wahrnehmung und Deutung von Anforderungen als Basis für
den Erwerb von Wissen
Der transaktionalen Stresstheorie von Lazarus zufolge (Lazarus & Folkman, 1984)
werden als bedeutsam und bewältigbar wahrgenommene Anforderungen als He-
rausforderungen angenommen und in einem Ressourcen in Anspruch nehmenden
(Keller-Schneider, 2020a) und neue Ressourcen generierenden Prozess (Hobfoll &
Schumm, 2004) bearbeitet. Bestehende und unbewusst verfügbare individuelle Res-
sourcen sind dabei von Bedeutung (Keller-Schneider, 2021). Diese umfassen kogni-
tive, wie Wissen und Können, sowie emotional-motivationale Komponenten, die als
Überzeugungen den Wahrnehmungs-, Deutungs- und Bearbeitungsprozess rahmen
und diejenigen Impulse zulassen, die sich in das bestehende Überzeugungssystem
einfügen (Blömeke et al., 2008). Ziele und Motive, Regulationsprozesse, Persönlich-
keitsmerkmale und Emotionen als weitere individuelle Ressourcen wirken auf die
Wahrnehmung und Deutung von Anforderungen ein. Aus diesem Prozess gehen
Entscheidungen hervor (Blömeke, Gustafsson & Shavelson, 2015), die in ihrem
Zusammenwirken über die Auseinandersetzung mit Anforderung (Keller-Schneider,
2020a) zu Erkenntnissen führen, die, in die subjektiven Wissensstrukturen integriert,
den Referenzrahmen für nachfolgende Anforderungen verändern (Combe &
Gebhard, 2009; Keller-Schneider, 2020a).
2.3 Wissen von Noviz*innen und Expert*innen
Dem Novizen-Experten-Ansatz zufolge unterscheiden sich Expert*innen von No-
viz*innen in der latenten Struktur ihres Wissens. Das Wissen von Expert*innen zeich-
net sich durch Synergien und Bündelungen aus, die als Chunks (Gruber & Degner,
2016) eine komplexitätsreduzierende und holistische Wahrnehmung von situativ
sich stellenden Anforderungen ermöglichen. Wahrnehmen, Denken und Handeln
von Expert*innen ist in intuitiv ablaufenden Prozessen von Fluidität gekennzeichnet.
Aus diesen gehen Handlungen hervor, die dem Bewusstsein wenig zugänglich sind.
Über Reflexionsprozesse können diese bewusst und kommunizierbar gemacht wer-
den. Das regelgeleitete Denken und Handeln von Noviz*innen hingegen zeichnet
sich über geringere Vernetzungen aus und ist von geringerer Fluidität gekennzeich-
net.
Da Wissen nicht direkt in Handlung überführt werden kann (Gruber & Renkl, 2000;
Mandl & Gerstenmaier, 2000), steht es in komplexen, von strukturbedingter Unge-
wissheit geprägten Situationen des Schulfeldes nur über bewusste Entscheidungen
zur Verfügung. In Ausbildungskontexten erworbenes Wissen reicht i. d. R. nicht aus,
um den im Schulfeld sich stellenden und eigenverantwortlich zu meisternden An-
forderungen zu entsprechen. In der Auseinandersetzung mit situationsspezifischen
298 Keller-Schneider, Janssen & Wiedenhorn
Anforderungen wird das regelgeleitete Wissen zu Richtlinien und Prinzipen weiter-
entwickelt. Erkenntnisse werden in die subjektiven Wissensstrukturen integriert,
wodurch diese transformiert werden (Dreyfus & Dreyfus, 1986; Berliner, 2001;
Neuweg, 2004; Keller-Schneider, 2020a). Bei wachsender Expertise werden Situatio-
nen zunehmend holistisch, in einer komplexitätsreduzierenden und das Wissen
fluide nutzenden Art und Weise wahrgenommen und bewältigt.
Komplexe, einem Handlungsdruck unterworfene, von Ungewissheit geprägte
(Helsper, 2008) und in dynamischen Kontexten auszuführende Handlungen erfor-
dern instantane Entscheidungen. Dabei wird auf die aktuell verfügbare Expertise als
individuelle Ressource zurückgegriffen, die als implizites, subjektiv verankertes und
fluide verfügbares Wissen greifbar ist. Inwiefern sich diese auf die berufliche Exper-
tise als Lehrperson oder auf die Expertise als Schüler*in stützt, wird vom Grad der
Verankerung des berufsbiografisch erworbenen Professionswissens in die subjekti-
ven Wissensstrukturen geprägt.
2.4 Implizites Wissen als Ressource für berufliches Handeln
Studierende erwerben berufsrelevantes Wissen, das insbesondere in den jeweiligen
Lehrveranstaltungen und den damit verbundenen Leistungsnachweisen gezeigt und
von Dozierenden beurteilt wird. Inwiefern dieses meist objektive Wissen bereits in
subjektive Wissensstrukturen integriert ist, wird von der didaktischen Gestaltung der
Lehrveranstaltung (Wahl, 2001), ihren Zielen (Anderson & Krathwohl, 2001) und der
Art und Weise der eingeforderten Performanz geprägt (Keller-Schneider, 2018).
Zudem wird es von der Passung der Impulse auf die individuellen Überzeugungs-
systeme (Blömeke et al., 2008) gestaltet, die der Integration von zu erwerbendem
Wissen auch Grenzen setzen können (Keller-Schneider & Albisser, 2012). Lehramts-
studierende stehen in ihrem Studienverlauf und der damit verbundenen schulprak-
tischen Erfahrungen als Noviz*in in der Schule. In von Ausbildungspersonen
(Hochschullehrende, Praxislehrpersonen) geleiteten Lehrveranstaltungen sind sie
gefordert, sich den Erwartungen entsprechend mit Impulsen auseinanderzusetzen,
um über den Aufbau von regelgeleitetem Wissen Grundlagen zu erwerben, die in
Auseinandersetzungsprozessen im Schulfeld ausdifferenziert und auf ihre Angemes-
senheit hin diskutiert werden. Als Schüler*innen verfügen Lehramtsstudierende über
weit mehr schulfeldbezogene Erfahrung als in der Rolle als Lehrperson. Ihr implizites
Wissen über schulische Prozesse stützt sich auf ihre Expertise aus ihrer langjährigen
Schulerfahrung. Als Lehrperson hingegen stehen sie in der Phase als Noviz*in. Ihr
regelgeleitetes und wenig fluides Wissen ist in von Ungewissheit und Handlungs-
druck geprägten Unterrichtssituationen wenig greifbar. Die aus der Erfahrung als
Schüler*in hervorgehende Expertise kann die Nutzung des als Noviz*in erworbenen
und nicht fluide verfügbaren Professionswissens als Lehrperson beinträchtigen. Da
Verständnis von Unterricht 299
es den Studierenden in Praxisphasen auch darum geht, ihr Selbstkonzept als Lehr-
person zu erhalten (Meyer & Kiel, 2013) und sich in der Leitung einer Schulklasse als
fähig zu erleben, kann angenommen werden, dass sie, insbesondere in risikoreichen
Praxisphasen und bei möglicher Überforderung, sich vor risikoreichen Aktivitäten
schützen und damit auf ihr fluide verfügbares implizites Wissen als Schüler*in zu-
rückgreifen und nicht auf das erworbene, regelhafte und weiter auszudifferenzie-
rende Professionswissen als Lehrperson.
2.5 Professionalisierung durch Irritationsbereitschaft
Inwiefern sich Studierende ihres Stadiums als Noviz*in in der Rolle einer Lehrperson
bewusst sind, dieses als solches anerkennen und sich erforderlichen Professionali-
sierungsprozessen stellen, oder ob sie auf ihre Expertise als Schüler*in zurückgreifen,
wird von individuellen Ressourcen und Irritationsbereitschaft geprägt. Erfahrung
allein genügt nicht, wenn diese irritationsvermeidend dem eigenen Wissens- und
Überzeugungsrahmen entsprechend umgedeutet wird und damit den Auseinander-
setzungs- und Professionalisierungsprozess einschränkt (Keller-Schneider, 2020a).
Um Irritationen auszulösen, sind die Passung des zu erwerbenden Wissens auf das
individuelle Überzeugungssystem (Blömeke et al., 2008), die Bereitschaft, das Selbst-
konzept zu gefährden (Meyer & Kiel, 2013), emotional-volitionale Faktoren (Keller-
Schneider, 2020a, 2021), sowie psychische Stabilität erforderlich (Asendorpf, 2007;
Keller-Schneider, 2020a). In Situation mit Handlungsdruck wird verankertes und flu-
ide verfügbares, implizites Wissen wirksam. Wird der Druck von beurteilenden
Ausbildungspersonen ausgelöst, so kann angenommen werden, dass auf die Erwar-
tungen dieser Personen ausgerichtete Wissensbestände aktiviert werden. Stehen
Studierende als eigenverantwortlich tätige Lehrperson im Schulfeld, so sind sie dem
Druck ausgesetzt, Unterricht eigenständig zu meistern. Es ist zu erwarten, dass ins-
besondere die impliziten Wissensbestände zum Tragen kommen, die als Expertise
verfügbar und fluide nutzbar sind. Welches implizite Wissen sich in den Handlungen
von eigenverantwortlich unterrichtenden Studierenden zeigt, wird im Beitrag an-
hand von zwei Fragestellungen untersucht.
(1) Welches implizite Wissen bezüglich des Verständnisses von Unterricht und der
Rolle der Lehrperson zeigt sich im eigenverantworteten Unterricht der Lehramts-
studierenden?
(2) Welche Typen des Verständnisses von Unterricht und der Rolle der Lehrperson
lassen sich ausdifferenzieren?
3 Zum methodischen Vorgehen
Kontext der Untersuchung ist das Projekt „Studierende machen Schule!“ an der
Pädagogischen Hochschule Weingarten. Studierende des Lehramts Grundschule
300 Keller-Schneider, Janssen & Wiedenhorn
verantworten im Integrierten Semesterpraktikum freiwillig für eine Woche den Un-
terricht und das Schulleben einer Schule, während die Lehrpersonen die Zeit für eine
gemeinsame Fortbildung außerhalb der Schule nutzen (Janssen & Wiedenhorn,
2019). Während zweier sog. Übernahmewochen entstand ein Korpus von 32, mit
Kamerabrillen oder Go-Pro-Kameras videographierten Unterrichtsstunden, in denen
Studierende eigenverantwortlich unterrichteten. Durch die Abwesenheit von bewer-
tenden Lehrpersonen und Mentor*in entfällt die Anforderung, sich an deren
Verständnis von Unterricht und der Rolle der Lehrperson zu orientieren. Zudem wer-
den die Schüler*innen nicht durch die Anwesenheit einer Lehrperson reguliert
(Janssen & Wiedenhorn, 2020). Die Studierenden stehen nicht unter einem Bewer-
tungs-, sondern unter Handlungsdruck. Dabei kann angenommen werden, dass sich
im von ihnen geführten Unterricht ihr implizites Verständnis von Unterricht und ihrer
Rolle zeigt.
Diesem Aufsatz liegen vier wörtlich transkribierte
1
, um Handlungsbeschreibungen
und Raumangaben (z. B. vor der Tafel) ergänzte, 45-minütige Mathematik- und vier
Deutschstunden von acht Studentinnen des fünften Fachsemesters zugrunde, die
im Schnitt 22 Jahre alt sind. Die Daten wurden mit der inhaltlich-strukturierenden
qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018) unter Anwendung induktiv aus dem
Material herausgearbeiteter thematischer Kategorien impliziten Wissens (1) ausge-
wertet. Geteilte Selbstverständlichkeiten stellen Hauptkategorien dar, die sich über
unterschiedliche Konkretisierungen in Unterkategorien gliedern. Über eine Kombi-
nation dieser den Handlungen immanenten Aspekten des impliziten Wissens wur-
den Muster unterschiedlicher Kombinationen herausgearbeitet, die sich in Typen
manifestieren (2).
4 Ergebnisse
4.1 Implizites Wissen der als Lehrpersonen tätigen Studierenden
Die Kategorien impliziter, unterrichtsbezogener Wissensbestände umfassen den
Handlungen und Aussagen immanente Sichtweisen darüber, was Unterricht ist, was
eine Lehrperson tut und was sie von den Schüler*innen erwartet. Den theoretischen
Zugängen von Blömeke und Mitarbeitenden (Blömeke et al., 2015) sowie von Keller-
Schneider (Keller-Schneider, 2020a) entsprechend erfolgt Verhalten aufgrund von
dispositiv angelegten Ressourcen, führt über Wahrnehmungs- und Deutungspro-
zesse zu Entscheidungen und manifestiert sich in konkreten Handlungen. Gestützt
1
Auf die Möglichkeiten, Grenzen und Herausforderungen dieser Erhebungsmethode kann hier aus
Platzgründen nicht eingegangen werden.
Verständnis von Unterricht 301
auf diese theoretischen Zugänge wird das implizite Wissen über Unterricht und un-
terrichtliche Handlungen einer Lehrperson aus dem sichtbaren Verhalten herausge-
arbeitet.
Das im ersten Schritt herausgearbeitete implizite Wissen umfasst geteiltes Wissen
über Selbstverständlichkeiten, die sich bei allen Studierenden als ‚Normalität‘ schu-
lischen Geschehens zeigen und sich unterschiedlich konkretisieren.
(1) Eine Unterrichtsstunde ist gegliedert. Die videographierten Unterrichtsstunden
lassen sich in einen Einstieg, eine Arbeits- und eine Abschlussphase gliedern. In ei-
nigen Stunden zeigen sich Phasen der Exposition des Lerngegenstandes im Einstieg,
der Bearbeitung in sequenziell aufgebauten, impliziten Zielen folgenden Aufgaben
und einem auf Organisatorisches ausgerichteten Abschluss. Kontrastiv dazu geht in
zwei Stunden die Gliederung der Stunde aus der Aufgabe und dem damit verbun-
denen und explizit dargelegten Ziel hervor. Die Teile, nach welcher die Stunde
gegliedert ist, entspricht den auf das Ziel hinführenden Aktivitäten und stehen somit
in einer sachlogischen Abfolge.
(2) Die Rolle der Lehrperson besteht darin, den Unterricht zu leiten. Dabei zeigen
sich Anforderungen der Vermittlung von Sach- und Fachinhalten, der Organisation
von Tätigkeiten und der Führung der Schüler*innen. Die Rolle der Lehrperson zeigt
sich in einem, diverse Aktivitäten der Kinder animierenden, gezielt lenkenden, initi-
ierenden und ermöglichenden Verständnis. Die Rollengestaltung wird durch die je
spezifische Art von Fragen, Impulsen und Quittierungen geprägt. Fragen, Impulse
und Quittierungen einer Lehrperson geben somit über ihr implizite Wissen Auf-
schluss.
(3) Die Lehrperson motiviert Schüler*innen über Fragen und Impulse, sich am Un-
terricht zu beteiligen und sich aufmerksam dem Lerngegenstand zuzuwenden. Da-
mit bindet die Lehrperson die Schüler*innen in den Unterricht ein und verpflichtet
sie zum Mitdenken. Dies erfolgt über offene Fragen, die aufgrund des dargebotenen
Lerngegenstand über Schlussfolgerungen beantwortet werden können. Andere of-
fene Fragen stützen sich auf Vorwissen, das dem kulturell-familiären Hintergrund
entspringen sollte oder sich auf im schulischen Kontext vermitteltes Vorwissen be-
zieht. Eine weitere Art offener Fragen, die sich jedoch auf eine enge Antwort zielen,
führen zu einem Erraten einer spezifischen Antwort, welche erstmal nur die Lehrper-
son kennt, allen Schüler*innen jedoch die Möglichkeit der Beteiligung geben soll.
Kontrastiv dazu zeigen sich zielführende Fragen, die zu einem schrittweisen Klären
des gesamten Sachverhalts führen. In solchen Fragen spiegelt sich das implizite Wis-
sen, dass Fragen beantwortbar gestellt und zielführend genutzt werden sollen.
302 Keller-Schneider, Janssen & Wiedenhorn
(4) Die Lehrpersonen stellen Aufgaben, die von den Schüler*innen bearbeitet wer-
den und das von der Lehrperson zu verantwortende Lernen der Schüler*innen er-
möglichen, anregen bzw. sicherstellen. Diese sind von unterschiedlicher Komplexität
und Logik ihrer inhaltlichen Bezüge. Inhaltlich wenig verbundene Aufgaben stützen
sich auf ritualisierte Tätigkeiten, die den Schüler*innen aus anderen Stunden be-
kannt sind. Andere erfordern Aktivtäten, die aus Anleitungen hervorgehen und sich
in ihren Anforderungen deutlich unterscheiden. Beide Arten von Aufgaben stehen
in einem losen, nur diffus auf ein Lernziel ausgerichteten Zusammenhang. In einer
weiteren Gruppe von Aufgaben wird durch das Lösen der Aufgabe Lernen ange-
strebt, wobei das Gelöst-haben mit Gelernt-haben gleichgestellt wird. Weitere Lehr-
personen initiieren Aufgaben, die sich aus der Sache und ihrer Logik heraus ergeben
und über die Zieldimension geprägt in verschiedenen, aufeinander aufbauenden
Zugängen eigenaktiv erarbeitet werden. In den Aufgaben spiegeln sich unterschied-
liche Sichtweisen von Lehren und Lernen.
(5) Die Lehrperson steuert über Anweisungen die im Unterricht sich vollziehenden
Tätigkeiten. Diese fokussieren auf das Tun der Schüler*innen und das im schulischen
Kontext ausgeübte Verhalten. Aus den differenten Arten von Aufgaben gehen je
entsprechende Anweisungen hervor. Diese konkretisieren sich in schrittweisen An-
leitungen, denen die Schüler*innen folgen sollten, um das Ziel die Lösung der Auf-
gabe und damit das durch die Aufgabe angestrebte Ergebnis zu erreichen. In den
Anweisungen anderer Lehrpersonen spiegelt sich ein Verständnis, nach welchem
Anweisungen Arbeitseinheiten in einem großen Bogen darlegen, um den Schü-
ler*innen eine auf das Erschließen der Sachverhalte fokussierte Arbeit zu ermögli-
chen.
(6) Die Bearbeitung von Aufgaben findet in unterschiedlichen Sozialformen statt, die
von der Lehrperson angeleitet werden: In den Unterrichtssequenzen zeigt sich ein
Verständnis, wonach Sozialformen aufgaben- und lernzielbezogen oder als rhyth-
misierende Gestaltungsform eingesetzt werden. Es zeigen sich Elemente der Kreis-
sequenz, des frontalen Instruierens, der Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit. In
allen Sequenzen werden die Gruppengröße und die Zusammensetzung durch die
Lehrpersonen bestimmt.
(7) Deutlich wird das Verständnis, dass sich Schüler*innen am Unterricht beteiligen,
und dass es Aufgabe der Lehrperson ist, diese in den Unterricht einzubinden und
ihre Beteiligung zu regulieren. Wie die Schüler*innen in den Unterricht eingebunden
werden, zeigt sich in differenten Modi. Diese konkretisieren sich in Ritualen des Auf-
streckens und Drannehmens, in der Art der Beteiligung, die sich aus den Fragen und
Impulsen ergibt, in der Darbietung eigener Lösungen oder der Möglichkeit, andere
Schüler*innen aufzurufen oder ihnen Rückmeldungen zu geben. Das Verständnis
der Beteiligung der Schüler*innen umfasst auch über die Aufgabe hinausgehende,
Verständnis von Unterricht 303
unaufgefordert oder zu sachfremden Aspekten hineingerufene Äußerungen, die den
Unterricht stören und zu reaktiven Handlungen der Lehrperson führen.
(8) Dass Unterricht von der Lehrperson ein Führungsverhalten erfordert, zeigt sich
als weiterer Aspekt impliziten Wissens. Die Lehrperson initiiert, lenkt, reguliert,
beurteilt und diszipliniert Aktivitäten der Schüler*innen. Bei den einen spiegelt sich
im Führungsverhalten das implizite Wissen, dass Ruhe eine von der Lehrperson
herzustellende Voraussetzung für Unterricht ist. In anderen Unterrichtssequenzen
manifestieren sich Sichtweisen, die über Zurechtweisungen und Disziplinierungen
einen reibungslosen Unterricht anstreben und damit parallel zu sachbezogenen
Handlungen laufen. In auf Lernaktivitäten der Schüler*innen ausgerichteten
Handlungen von Lehrpersonen spiegelt sich ein Führungsverständnis, das die
Auseinandersetzung mit der Sache ins Zentrum stellt, wodurch der damit
einhergehende Geräuschpegel aktivitätsspezifisch variiert.
In diesen thematisch zusammengefassten unterrichtlichen Selbstverständlichkeiten
zeigen sich lehrpersonenspezifische Ausgestaltungen und Konkretisierungen, die
sich als individuelles implizites Wissen bezeichnen lassen. Aus den fallspezifischen
Kombinationen der spezifischen Konkretisierungen der impliziten Wissensaspekte
geht eine Systematik hervor, die über eine Typenbildung über die Fälle hinweg aus-
gearbeitet wird.
4.2 Typen des Verständnisses von Unterricht und der Rolle der
Lehrperson
Über eine Ausdifferenzierung der Facetten impliziten Wissens wurden drei Typen
identifiziert, die sich über Kombinationen von Spezifizierungen des impliziten Wis-
sens auszeichnen.
Den auf Aktivitäten und Materialbearbeitung ausgerichteten Handlungen von Typ I
liegt ein implizites Wissen zugrunde, welches für Grundschüler*innen einen vielfäl-
tige Aktivitäten umfassenden Unterricht als angemessen erachtet. Lernen soll sich
beiläufig ereignen. Der Unterricht umfasst mehrere Aktivitäten in unterschiedlichen
Sozialformen, die sich jedoch nicht auf ein spezifisches Lernziel ausrichten, sondern
auf ein breit gefächertes Nutzen von Wissen zielt, um dieses damit zu festigen. In
der Einstiegssequenz im Sitzkreis wird eine die Schüler*innen in die Mitarbeit ein-
bindende Aktivität ausgeführt, die sich im gemeinsamen Tun zeigt. Aufgrund von
Bildern werden Märchen genannt (L27), unklar ist, inwiefern sich die Schüler*innen
auf schulisch oder biografisch vermitteltes Wissen stützen. In anderen Einstiegsse-
quenzen werden die Kinder über einen sehr offenen Impuls gefragt, ob ihnen etwas
auffalle (L25) oder was man mit den bereit gelegten Dingen tun könne (L19). Auf-
grund der unpräzisen Frage, die jedoch aus Sicht der Lehrperson nur eine richtige
304 Keller-Schneider, Janssen & Wiedenhorn
Antwort zulässt, entsteht ein Raten. Die Schüler*innen stehen in einem Abhängig-
keitsverhältnis, in welchem die Lehrperson nicht nur die Berechtigung zur Antwort
erteilt, sondern auch inhaltlich über richtig und falsch entscheidet. Dabei entsteht
eine Unruhe, welcher die Lehrperson stark lenkend und disziplinierend begegnet,
um das Verhalten unter Kontrolle zu bringen. Die in der mittleren Sequenz zu bear-
beitenden Aufgaben umfassen vielseitige, einem inhaltlichen Rahmenthema unter-
stellte Aktivitäten, die aber unterschiedliche Anforderungen stellen und nicht auf
spezifische Lernziele ausgerichtet sind. Lernen findet im Tun statt. Durch die Anwei-
sungen der Lehrperson sollen die Schüler*innen wissen, wie sie die Aufgaben lösen,
was sie wohin schreiben und wohin sie was legen sollen. Die Tätigkeiten finden in
spontanen, von der Lehrperson nicht initiierten Sozialformen statt und manifestieren
sich in einem ‚alle helfen allen‘, damit alle fertig werden. Die Lehrperson leitet die
Schüler*innen eng geführt an, lenkt, kontrolliert und sanktioniert aufgaben- und
verhaltensbezogen. Mit Signalen und Disziplinierungen wird versucht, Ruhe herzu-
stellen, auch wenn dies nicht gelingt. In den Handlungen dieses Typs zeichnet sich
ein implizites Wissen über Unterricht ab, nach welchem die Kinder nach Anweisun-
gen und mit Hilfestellungen der Lehrperson in einem aktivitätenbezogenen Tun un-
bemerkt lernen; da sich diese Vorstellung in der Unterrichtsrealität aber nicht zeigt,
sieht sich die Lehrperson veranlasst, durch sanktionierende Interventionen das ge-
wünschte Treiben anzustreben, in der Absicht, dieses sicherzustellen.
In den Handlungen des themenorientierten Typs II zeigt sich ein Verständnis von
Unterricht, nach welchem über die Aktivitäten auf ein dem Thema zugrundeliegen-
des implizites Lernziel hingearbeitet wird, welches nicht transparent gemacht wird
und möglicherweise auch der Lehrperson nicht klar ist. Daraus geht ein Lernver-
ständnis hervor, nach welchem der Lerngegenstand selbst Ziel des Lernens ist (‚Das
ist das Thema: Wir rechnen bis Tausend‘, L20). Im Einstieg erläutert die Lehrperson,
dass sie etwas mitgebracht habe, das ins Zentrum der Aufmerksamkeit gestellt wird
und über offene Fragen erkundet und geklärt wird (L14, L24). Auch bei Typ II zeich-
net sich ein implizites Wissen ab, nach welchem die Kinder über offene Fragen zur
Mitarbeit motiviert werden sollen, um dabei etwas Bestimmtes herauszufinden. Da-
mit führen die Beiträge der Kinder in diverse Richtungen, was ein Bündeln und Rich-
tigstellen durch die Lehrperson erfordert. Das implizite Wissen, dass das Befolgen
eines spezifischen, der Lehrperson vorgegebenen Weges den Schüler*innen Lernen
ermöglicht, erfordert von ihr eine enge, disziplinierende Führung. Erklärungen der
Lehrperson fokussieren auf die Handlungen der Schüler*innen: „Dann nehmen wir
das weg und schreiben das dazu“ (L20). Den Schüler*innen wird eine Mitarbeit ein-
geräumt, indem ein Kind die Lösung an der Wandtafel ausführt, während die ande-
ren dasselbe an ihren Plätzen tun (L14) oder indem ein Kind ein nächstes aufruft
(L14). Die Lehrperson gibt Hinweise und Tipps, damit das richtige Ergebnis gefunden
Verständnis von Unterricht 305
wird (L14, L20). Um Ruhe herzustellen, nutzt Typ II verbale und nonverbale Mittel
(„Ich nehme die dran, die ruhig sind“ L20; „Es soll leise sein, ich guck mal auf die Uhr,
wie lange ihr leise seid“, L14; L24 legt als Ermahnung zur Ruhe den Finger auf den
Mund). Teilweise werden auch Sanktionierungsinstrumente (L14) eingesetzt. Anwei-
sungen werden häufig mit ‚dürfen‘ („Ihr dürft jetzt in den Sitzkreis kommen“, L14)
ausgedrückt, was im Widerspruch zur engen Führung steht. Die Vorstellungen, dass
Grundschüler*innen sanft geführt werden sollen, steht im Widerspruch zum diszi-
plinierenden Verhalten.
Typ III als auf zielorientiertes Lernen orientierter Typ, hebt sich in den explizit dar-
gelegten Lernzielen und im sachlogischen darauf Hinarbeiten deutlich von den Ty-
pen I und II ab. Nach einem thematischen Einstieg (L12 liest den Text gestaltet vor,
um die Schüler*innen einen gestalteten Text erleben zu lassen; L30 stellt den Ge-
genstand des Würfels und das in-Erinnerung-Rufen von Merkmalen eines Würfels
ins Zentrum) lenkt Typ III die Aktivitäten der Schüler*innen in einer aus den Aufga-
ben hervorgehenden Sequenzierung der Arbeitsschritte. Die offenen Fragen der
Lehrperson sind über vielfältige Antworten aus dem Gegenstand heraus beantwort-
bar. Arbeitsschritte sind aus dem Lerngegenstand erkennbar (L30) oder lassen sich
ableiten (L12). Klärungen werden über echte Fragen vorgenommen („Weiß jemand
…?“, da niemand eine Antwort einbringt, erläutert L30 die Sache. Mit der Frage
„Worauf müssen wir achten?“ ermöglicht L12 zahlreiche richtige Antworten, die von
der Lehrperson auch als solche anerkannt und für nächste Arbeitsschritte genutzt
werden). Auf das Verhalten ausgerichtete Appelle erfolgen direkt (L30) oder sind
nicht erforderlich (L12), da die Schüler*innen in mündlichen Aktivitäten parallel zu-
einander arbeiten und Ruhe einfordern kein Thema ist. Die Lehrperson lenkt den
Unterricht in sachlogischen Schritten, die einen Bogen über den gesamten Verlauf
geben. Damit werden die Schüler*innen als kokonstruktiv mitarbeitende anerkannt
und von den Lehrpersonen mehrheitlich in direkten Formulierungen adressiert.
5 Diskussion der Ergebnisse
In der Analyse des den Unterrichtsstunden zugrundeliegenden impliziten Wissens
zeigen sich Grundkenntnisse, die als Alltagswissen Vorstellungen über Schule und
Unterricht sowie über die Rolle der Lehrperson und die Erwartungen an die Schü-
ler*innen umfassen.
Die als Merkmale unterrichtlichen Handelns herausgearbeiteten Themen (Hauptka-
tegorien) zeigen sich in allen analysierten Videos; in ihren Ausgestaltungen beste-
hen jedoch Unterschiede, die sich in ihren Kombinationen zu Typen systematisieren
lassen und damit, wie aus habitustheoretischer (Helsper, 2018), berufsbiografischer
(Keller-Schneider, 2020a; Hericks; Keller-Schneider & Bonnet, 2019) und professio-
306 Keller-Schneider, Janssen & Wiedenhorn
nalisierungstheoretischer Perspektive (Gruber & Renkl, 2016; Neuweg, 2004) erwar-
tet werden kann, auf eine latente Struktur typendifferenten impliziten Wissens als
Potential (Blömeke et al., 2015) und Ressource (Keller-Schneider, 2020a) verweisen.
So liegt den Handlungen von Typ I ein implizites Wissen zugrunde, das für Grund-
schüler*innen einen viele unterschiedliche Tätigkeiten umfassenden Unterricht als
angemessen erachtet. In den Stunden der Studierenden von Typ II zeigt sich die
Sichtweise, dass Schüler*innen der Grundschule auf ein in den Aufgaben immanen-
tes Lernziel hingeführt werden, ohne explizit darauf hinzuweisen. In beiden Typen
vollzieht sich Lernen im Tun, ohne dass den Kindern ihr Lernen bewusst wird. Dem
impliziten Wissen von Typ III zufolge setzen sich die Schüler*innen anhand explizier-
ter Lernziele mit einer Sache und den darin innewohnenden Anforderungen ausei-
nander und arbeiten eigenständig auf ein Ziel hin, das auf Basis von sequenziell
angelegten Lernschritten erreicht wird.
In der Ausgestaltung der Rolle als Lehrperson, in welcher die Studierenden Tätigkei-
ten anregen und über Führung den Unterricht sicherstellen, zeigen sich deutliche
Unterschiede. Diese unterschiedlichen Arten der Gestaltung der Rolle als Lehrperson
können einerseits aus individuellen Schulerfahrungen hervorgehen (Helsper, 2018)
oder sich in differenten Integrationen von Erkenntnissen und Transformationen von
Wissensstrukturen zeigen, die als individuelle Ressourcen (Keller-Schneider, 2020a)
verfügbar sind und daraus hervorgehende Handlungsentscheidungen (Blömeke et
al., 2015) prägen. Aufgrund des erhöhten Handlungsdrucks können diese als tief
verankerte Handlungsweisen zum Ausdruck (Wahl, 1991) kommen und im Rahmen
der Lehrpersonenbildung erworbenes und wenig verankertes Wissen verdrängen.
Üben die einen Studierenden die Aufgabe der Vermittlung als unspezifische Aktivi-
täten anregende Lehrperson aus (Typ I), zeigen sich bei anderen auf ein Thema aus-
gerichtete Handlungen, über welche die Lehrperson die Schüler*innen in der Aus-
führung spezifischer Handlungen anweist (Typ II). In diesen beiden Typen zeigen
sich wenig professionalisierte, krisenauslösende und krisenlösende Verhaltenswei-
sen (Combe, Paseka & Keller-Schneider, 2018). Diese verweisen auf ein implizites
Wissen, in welchem die Expertise als Schüler*in zum Tragen kommt und in welchem
ein Schüler*innenhabitus sichtbar wird (Helsper, 2018). Der Ungewissheit berufli-
chen Handelns wird mit hoher Kontrolle und die Tätigkeiten der Schüler*innen
regulierenden Anweisungen begegnet. Eine Auseinandersetzung mit berufsrele-
vanten, berufsphasenspezifisch geprägten Entwicklungsaufgaben als Lehrperson
(Keller-Schneider, 2020a), die als haltgebendes Gegenüber der Schüler*innen Lern-
prozesse anregt und die Kinder in ihrem Lernverhalten lenkt (Hericks et al., 2019), ist
nur in Ansätzen erkennbar.
Im Kontrast zu diesen wenig professionalisierten Typen zeigt sich bei anderen Stu-
dierenden eine Rollengestaltung als Lehrperson, die eine komplementäre Position
Verständnis von Unterricht 307
zur Rolle der Schüler*innen einnimmt (Typ III) und auf explizite Lernziele ausgerich-
tet, Denkprozesse auslösende Impulse gibt. Diese ermöglichen den Schüler*innen,
sich über eigenaktives Schlussfolgern Erkenntnisse zu erschließen und dabei von der
Lehrperson in eigenaktiven und auf das Lernziel ausgerichteten Lernprozessen un-
terstützt und gefördert zu werden. Im Verhalten von Typ III zeigen sich Ansätze eines
Sach- und Adressatenbezugs, der in seiner Komplementarität zum Verhalten der
Schüler*innen auf einen vom Schüler*innenhabitus abgelösten Lehrpersonenhabi-
tus verweist (Helsper, 2018), Ungewissheit als Herausforderung annimmt (Keller-
Schneider, 2018) und von einem differenten Umgang mit der Entwicklungsaufgabe
der sachangemessenen Vermittlung zeugt (Keller-Schneider, 2020a), der die Profes-
sionalisierungsphase als angehende Lehrperson kennzeichnet.
In der Aufgabe der Führung besteht bei den Typen I und II die Tendenz, zurechtwei-
send und disziplinierend zu wirken, ohne den Kindern den notwendigen Halt zu ge-
ben und das eigene Verschulden als Lehrperson an den Störungen und den damit
einhergehenden Verunsicherungen der Schüler*innen zu erkennen. Im Verhalten
von Typ III zeigt sich eine auf die Sache und die Zielverfolgung ausgerichtete kon-
sistente Klassenführung, in welcher die Dynamik des Geschehens auf lernzielbezo-
gene Handlungen der Schüler*innen ausgerichtet ist und sich nur wenige das Ver-
halten lenkende Disziplinierungen ergeben.
Da insbesondere bei Handlungsdruck das implizite Wissen zum Tragen kommt
(Wahl, 1991), das als fluides (Gruber & Degner, 2016) und vernetztes (Neuweg, 2004)
Wissen von Expert*inne verfügbar ist, können wir davon ausgehen, dass sich dieses
in den analysierten Handlungen zeigt. Inwiefern dieses aber aus der eigenen
Schulzeit oder aus tradierten generellen Vorstellungen stammt oder ob sich bei Typ
III bereits ein Niederschlag von Erkenntnissen aus der Auseinandersetzung mit
beruflichen Anforderungen im Rahmen des Studiums zeigt, müsste untersucht
werden. Inwiefern in von Ausbildungspersonen begleitetem Unterricht auch erst
wenig verankerte Wissensaspekte zum Tragen kommen, müsste weiter geprüft
werden. Über eine Triangulation dieses aus Verhaltensweisen herausgearbeitete
implizite Wissen mit dem aus Interviews
2
herausgearbeiteten, explizit zur Sprache
gebrachtem Verständnis von Unterricht und der Rolle der Lehrperson wird geprüft,
inwiefern sich mögliche professionalisierungsrelevante Diskrepanzen zeigen.
Die Ergebnisse verdeutlichen, dass viele Lehramtsstudierende insbesondere mit An-
forderungen der Klassenführung kämpfen und sich dabei auf ein die Kinder eng
führendes Verständnis stützen, wie auch aus Ergebnissen mit schweizerischen Stu-
dierenden hervorgeht (Keller-Schneider, 2020b). Für die Lehrpersonenbildung wird
2
Interviews wurden wenige Tage nach der Videographie geführt, werden in diesem Beitrag nicht genutzt.
308 Keller-Schneider, Janssen & Wiedenhorn
die Folgerung abgeleitet, die Studierenden darin anzuregen, schulische Anforderun-
gen aus der Sicht der Schüler*innen zu betrachten und dabei auch entwicklungs-
psychologisches Wissen einzubeziehen, um ein auf die Bedürfnisse der Kinder aus-
gerichtetes Verständnis von Unterricht und der Rolle der Lehrperson zu fördern.
Den Blick auf verstehendes Lernen auszurichten, sowohl aus lernpsychologisch ge-
stützter allgemeindidaktischer als auch aus fachdidaktischer Perspektive, und dabei
den Fokus weg vom Aufgaben-erledigen hin zu Lernprozesse und vertieftes Lernen
unterstützende Handlungen zu verschieben, kann die Studierenden in der Anforde-
rung des Adressatenbezugs ihrer Handlungen als Lehrpersonen unterstützen.
In Reflexionsprozessen explizite und implizite Wissensbestände aufzuspüren, um
diese im unterrichtsbezogenen Handeln zu erkennen und auf ihre Angemessenheit
zu prüfen, könnte Erkenntnisse ermöglichen, die in einen professionelleren Umgang
mit Anforderungen münden und insbesondere in frühen Professionalisierungspha-
sen den Handlungsdruck reduzieren können. Aus den Befunden kann weiter abge-
leitet werden, dass sich Professionalisierung nicht im Prozeduralisieren von explizi-
ten Wissensbeständen erschöpft, sondern dass eine Verbindung zum impliziten
Wissen erforderlich ist, um Divergenzen zu erkennen, die eine Integration von er-
worbenem Wissen beeinträchtigen. Da Anforderungen aufgrund individueller Res-
sourcen wahrgenommen und gedeutet werden (Keller-Schneider, 2020a, 2021) und
Handeln, auf implizites Wissen gestützt (Neuweg, 2004), aus diesen Deutungen her-
vorgeht (Blömeke et al., 2015) und zu erkenntnisgenerierenden Erfahrungen führt
(Combe & Gebhard, 2009), ist von Bedeutung, dass im Rahmen der Lehrpersonen-
bildung Erfahrungen im Schulfeld nachbearbeitet werden. Insbesondere bezüglich
manifest gewordener Kontingenz sollen Erfahrungen reflektiert werden, um eigene
Anteile an Interaktionen zu erkennen und auf ihre Angemessenheit zu analysieren.
Damit kann das Repertoire professioneller Handlungsmöglichkeiten erweitert wer-
den und zu einer fluiden Expertise (Tartwijk et al., 2017)) führen. Werden Praxiser-
fahrungen auf das Erhalten des eigenen Selbstkonzepts (Meyer & Kiel, 2013) ausge-
richtet, so könnten sie auch deprofessionalisierend wirken.
Literatur
Anderson, L. W. & Krathwohl, D. L. (2001). A taxonomy for learning, teaching and assessing. New York:
Longman.
Asendorpf, J. (2007). Psychologie der Persönlichkeit (4. Aufl.). Heidelberg: Springer.
Berliner, D. C. (2001). Learning about and learning from expert teachers. International Journal of Education
Research, 35 (5), 463-482.
Blömeke, S., Gustafsson, J. E. & Shavelson, R. L. (2015). Beyond dichotomies: Competence viewed as a
continuum. Zeitschrift für Psychologie, 223 (1), 3-13.
Blömeke, S., Kaiser, G. & Lehmann, R. (2008). Professionelle Kompetenz angehender Lehrerinnen und Lehrer.
Münster: Waxmann.
Bromme, R. (1992). Der Lehrer als Experte. Bern: Huber.
Verständnis von Unterricht 309
Combe, A. & Gebhard, U. (2009). Irritation und Phantasie. Zur Möglichkeit von Erfahrungen in schulischen
Lernprozessen. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 12 (3), 549-571.
Combe, A., Paseka, A. & Keller-Schneider, M. (2018). Ungewissheitsdynamiken des Lehrerhandelns. In A.
Paseka, M. Keller-Schneider & A. Combe (Hrsg.), Ungewissheit im Unterricht als Herausforderung für
pädagogisches Handeln (S. 53-81). Wiesbaden: VS Springer.
Dick, M., Nebauer-Herzig, K. & Termath, W. (2016). Triadengespräch. In M. Dick, W. Marotzki & H. Mieg
(Hrsg.), Handbuch Professionsentwicklung (S. 331-342). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Dreyfus, H. & Dreyfus, S. (1986). Mind over machine. New York: The Free Press.
Gourlay, S. (2002). Tacit knowledge, tacit knowing, or behaving? Kongston: eprints.kingston.ac.uk.
Gruber, H. & Degner, S. (2016). Expertise und Kompetenz. In M. Dick, W. Marotzki & H. Mieg (Hrsg.),
Handbuch Professionsentwicklung (S. 173-180). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Gruber, H. & Renkl, A. (2000). Die Kluft zwischen Wissen und Handeln. In H. G. Neuweg (Hrsg.), Wissen
Können Reflexion (S. 155-175). Innsbruck: Link Verlag.
Helsper, W. (2008). Ungewissheit und pädagogische Professionalität. In Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.),
Soziale Arbeit in Gesellschaft (S. 162-168). Wiesbaden: VS Springer.
Helsper, W. (2018). Lehrerhabitus. In A. Paseka, M. Keller-Schneider & A. Combe (Hrsg.), Ungewissheit als
Herausforderung für pädagogisches Handeln (S. 105-140). Wiesbaden: Springer VS.
Henry, S. G. (2010). Polanyi's tacit knowing and the relevance of epistemology to clinical medicine. Journal
of evaluation in clinical practice, 16 (2), 292-297.
Hericks, U., Keller-Schneider, M. & Bonnet, A. (2019). Professionalität von Lehrerinnen und Lehrern in
berufsbiographischer Perspektive. In M. Harring, C. Rohlfs & M. Gläser-Zikuda (Hrsg.), Handbuch
Schulpädagogik (S. 597-607). Münster: Waxmann.
Hobfoll, S. E. & Schumm, J. A. (2004). Die Theorie der Ressourcenerhaltung. In P. Buchwald, R. Schwarzer &
S. E. Hobfoll (Hrsg.), Stress gemeinsam bewältigen (S. 91-120). Göttingen: Hogrefe.
Hurrelmann, K., Bauer, U., Grundmann, M. & Walper, S. (Hrsg.) (2015). Handbuch Sozialisationsforschung.
Weinheim: Beltz.
Janssen, M. & Wiedenhorn, T. (2019). Studierende machen Schule. Praktikum ohne Lehrkräfte. In Bildung &
Wissenschaft, 4, 27.
Janssen, M. & Wiedenhorn, T. (2020). The theory of practice architectures and the core practice approach as
theoretical perspectives on school adoption. In M. Janssen & T. Wiedenhorn (Eds.), School adoption in
teacher education (pp. 57-73). Münster: Waxmann.
Keller-Schneider, M. (2018). „Es genügt nicht mehr, einfach zu unterrichten“. Den Umgang mit Ungewissheit
als Herausforderung annehmen. In A. Paseka, M. Keller-Schneider & A. Combe (Hrsg.), Ungewissheit als
Herausforderung für pädagogisches Handeln (S. 231-254). Wiesbaden: Springer VS.
Keller-Schneider, M. (2020a). Entwicklungsaufgaben im Berufseinstieg von Lehrpersonen. Bearbeitung von
beruflichen Herausforderungen im Zusammenhang mit Kontext- und Persönlichkeitsmerkmalen und in
berufsphasendifferenten Vergleichen (2. überarb. und erw. Aufl.). Münster: Waxmann.
Keller-Schneider, M. (2020b). Was beschäftigt Studierende in der Rolle als Lehrpersonen?
Mehrperspektivische Reflexion subjektiv bedeutsamer Situationen und daraus hervorgehende Hinweise
auf wahrgenommene Anforderungen und Erklärungszugänge von Studierenden in der einphasigen
Ausbildung zur Lehrperson. Jahrbuch für Allgemeine Didaktik, 10 (1), 40-58.
Keller-Schneider, M. (2021). Challenge-appraisal profiles of beginning teachers and inter-profile differences.
European Journal of Teacher Education, 44, 1-23.
Keller-Schneider, M. & Albisser, S. (2012). Grenzen des Lernbaren? In T. Hascher & G. H. Neuweg (Hrsg.),
Forschung zur (Wirksamkeit der) Lehrer/innen/bildung (S. 85-103). Wien: LIT-Verlag.
Kuckartz, U. (2018). Qualitative Inhaltsanalyse (4. Aufl.). Weinheim: Beltz Juventa.
Lazarus, R. S. & Folkman, S. (1984). Stress, appraisal and coping. New York: Springer.
Mandl, H. & Gerstenmaier, J. (2000). Die Kluft zwischen Wissen und Handeln. Göttingen: Hogrefe.
Meyer, B. & Kiel, E. (2013). Wie Lehramtsstudierende ihr Praktikum erleben. Zeitschrift für Bildungsforschung
4 (1), 23-41.
310 Keller-Schneider, Janssen & Wiedenhorn
Neuweg, G. H. (2004). Könnerschaft und implizites Wissen. Zur lehr- und lerntheoretischen Bedeutung der
Erkenntnis- und Wissenstheorie Michael Polanyis. Münster: Waxmann.
Neuweg, G. H. (2020). Implizites Wissen in der Lehrerinnen-und Lehrerbildung. In C. Cramer, J. König, M.
Rothland & S. Blömeke (Hrsg.), Handbuch Lehrerinnen- und Lehrerbildung (S. 764-769). Bad Heilbrunn:
Klinkhardt utb.
Polanyi, M. (1969). Knowing and being. In M. Grene (Ed.), Knowing and being (pp. 123-207). Essays. London:
Routledge and Kegan Paul.
Tartwijk, J., Zwart, R. & Wubbels, T. (2017). Developing teachers' competences with the focus on adaptive
expertise in teaching. In D. J. Clandinin & J. Husu The sage handbook of research on teacher education
(Vol. 2, pp. 820-833). 55 City Road, London: SAGE.
Wahl, D. (1991). Handeln unter Druck. Weinheim: Deutscher Studienverlag.
Wahl, D. (2001). Nachhaltige Wege vom Wissen zum Handeln. Beiträge zur Lehrerbildung, 19 (1), 157-174.
Autor*innen
Prof. Dr. Manuela Keller-Schneider, Pädagogische Hochschule Zürich
Dr. Thomas Wiedenhorn, Pädagogische Hochschule Weingarten
Markus Janssen, Pädagogische Hochschule Weingarten
Korrespondenz an: m.keller-schneider@phzh.ch
ResearchGate has not been able to resolve any citations for this publication.
Article
Full-text available
This paper focusses on beginning teachers’ appraisals of the challenge posed by their various professional requirements, and the associated buffering and boosting effects of individual resources. Challenge appraisal is relevant for professionalisation, but also risks energy loss, which hinders professionalisation. In this study, beginning teachers (n = 864) from primary and secondary schools in Switzerland and Germany were asked by questionnaire to report how challenging they found certain professional requirements (developmental tasks that relate to the career-entry stage), and to self-report their levels of certain individual resources. Six challenge-appraisal profiles were identified, which showed task-specific differences as well as differing individual-resource profiles. Self-efficacy, satisfaction, and dissociation reduced perceived challenge, while strain and engagement increased it. Two profiles showed a risk of stagnation and emotional exhaustion. Possessing reflexive and metacognitive skills concerning challenge appraisals and self-regulation may help student-teachers’ professionalisation.
Article
Full-text available
Im Beitrag wird die Frage untersucht, was Studierende als angehende Lehrpersonen in von ihnen geführten Unterrichtssequenzen wahrnehmen, welche Situationen sie beschäftigen und wie sich zugrundeliegende berufliche Entwicklungsaufgaben ausbildungsphasenspezifisch konkretisieren lassen. In diesem Zusammenhang kam ein stress- und ressourcentheoretisch begründetes Reflexionsinstrument zum Einsatz, welches subjektiv als bedeutsam wahrgenommene Situationen ins Zentrum stellt.Die aus der Bearbeitung des Reflexionsinstruments hervorgehenden Dokumente werden mittels Methoden der qualitativen Inhaltsanalyse analysiert. Ergebnisse zeigen, dass den Studierenden insbesondere Anforderungen der Klassenführung wichtig sind, wobei im ersten Studienjahr die Sicherung des Unterrichtsablaufs, die durch Fehlverhalten von Kindern gefährdet wird, imVordergrund steht. Im zweiten Studienjahr werden Quellen von auf die Dynamik einwirkenden Interaktionen nicht nur beim Kind gesehen, sondern teilweise auch bei der Lehrperson; zudem erkennen die angehenden Lehrpersonen nicht nur direkte, sondern auch indirekte und einen größeren Zeithorizont einnehmende Interventionsmöglichkeiten.
Chapter
Full-text available
Das „Handbuch Lehrerinnen- und Lehrerbildung“ bietet aus fachlicher, fachdidaktischer, bildungswissenschaftlicher und schulpraktischer Perspektive einen umfassenden forschungsbasierten Überblick zu allen Bereichen der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Das von 174 Autorinnen und Autoren erarbeitete Orientierungswissen wird in 107 Beiträgen präsentiert. Ausgehend von den Aufgaben im Lehrerinnen- und Lehrerberuf werden die Geschichte und Entwicklung der Lehrerinnen- und Lehrerbildung sowie ihre Strukturen, Phasen und Kontexte dargestellt und Qualifikationswege aufgezeigt. Die fachlichen und fachdidaktischen, bildungswissenschaftlichen und schulpraktischen Komponenten der Lehrerinnen- und Lehrerbildung werden beschrieben, der Forschungsstand zur Entwicklung von Lehramtsstudierenden sowie Referendarinnen und Referendaren dargelegt und das bislang begrenzte Wissen zu den Lehrerinnen- und Lehrerbildenden und Entscheidungstragenden erfasst. Das Handbuch richtet sich an Forschende und Lehrende im Bereich der Lehrerinnen- und Lehrerbildung an Hochschulen, Studienseminaren und Ausbildungsschulen sowie der Fort- und Weiterbildung, an Lehramtsstudierende, Referendarinnen und Referendare, Lehrerinnen und Lehrer und die Bildungsadministration.
Chapter
Full-text available
Dieser Beitrag entfaltet das Thema »Lehrerprofessionalität« in drei Schritten aus einer berufsbiografischen Perspektive. Dem Berufseinstieg kommt im Rahmen des »kontinuierlichen Weiterlernens im Beruf« (Terhart, 2000) eine besondere Rolle zu, weil berufsspezifische Anforderungen in dieser Phase zum ersten Mal in ihrer vielfältigen Dynamik und Komplexität biografisch wirksam werden (Keller-Schneider, 2009, S. 145). Die Struktur institutionellen pädagogischen Handelns zeigt sich im Berufseinstieg daher in verdichteter Form, was diese Phase für empirische Forschungen zum Lehrerberuf besonders ergiebig und aufschlussreich macht (Keller-Schneider & Hericks, 2014). Nach einer Klärung einschlägiger Begriff e wird im zweiten Abschnitt des Beitrags ein Modell phasenspezifischer Entwicklungsaufgaben des Berufseinstiegs von Lehrpersonen vorgestellt. Die Entwicklungsaufgaben werden anschließend zu Entwicklungsfeldern verallgemeinert, die über die gesamte Berufsbiografie bedeutsam bleiben. Es sind dies die Felder Person, Sache, Schülerinnen/Schüler und Institution (Hericks, 2006, S. 63). In theoretischer Hinsicht verweisen sie auf erziehungswissenschaftliche Diskurse und Theoriebezüge zur begrifflichen Erschließung und empirischen Untersuchung der genannten Aspekte. Im dritten Abschnitt explizieren wir einschlägige Theoriebezüge zur Beschreibung der institutionellen pädagogischen Handlungsstruktur. Unsere Ausführungen münden in einen Vorschlag, Bildung als zentralen Bezugspunkt des beruflichen Handelns von Lehrpersonen auszulegen. Unsere These lautet, dass Lehrpersonen sich in dem Maße professionalisieren, wie sie sich in ihrem Handeln an Bildungsprozessen der Schülerinnen und Schüler orientieren. Die Grundzüge einer solchen pädagogischen Professionstheorie werden im vierten Abschnitt dargelegt.
Chapter
In diesem Beitrag wird der Begriff Kontingenz spezifiziert und aus system- und bildungstheoretischer Perspektive analysiert. Aus den theoretischen Arbeiten von Luhmann wird zunächst die Vielschichtigkeit des Begriffs herausgearbeitet und im Anschluss mit bildungstheoretischen Überlegungen kontrastiert. Dabei werden Gemeinsamkeiten aber auch Divergenzen sichtbar.
Chapter
Ungewissheit ist zunächst ein Strukturmerkmal jeder Lebenspraxis. Jede Zielsetzung ist immer eine mit Vorbehalt, je umfassender sie ausgelegt ist umso voraussetzungsvoller wird ihre Realisierung. Allerdings ist mit dem Übergang zur Moderne eine immer grundlegendere Aufstörung von Gewissheiten verbunden, da Versuche einer Invisibilisierung des Ungewissen und einer Konstruktion letzter Gewissheit dekonstruiert werden (vgl. Liesner/Wimmer 2003). Allerdings muss die Moderne andererseits auch als eine Bewegung gegen die Konfrontation mit Ungewissem verstanden werden. So entwickelt Paul Virilio die Figur des sehend Blinden, dessen Blindheit durch „Überbelichtung“ entstehe: „im Falle des Sehenden wurde ihm dagegen die Freiheit vorenthalten, wirklich neue Bilder zu entdecken; die üblichen Bilder, die sich in Hülle und Fülle einstellten, waren lediglich Bildschirme, die dazu bestimmt waren, das Erscheinen neuer Formen zu verhüllen (…) Institutionelle Figuren hatten sich schon lange festgesetzt“ (Virilio 1995, S. 22f). So seien wir zumeist nur „Wiedersehende“ in der Wiederholung des Gleichen, in einer modernen Welt, die durch Ordnungssysteme vermessen sei: „Fast verschwunden war indessen das Ungewisse.“ (ebd., S. 23) Dem entsprechen Zygmunt Baumans Diagnosen zum Umgang mit Ambivalenz in der Moderne: „Es ist ein Kampf der Bestimmung gegen die Mehrdeutigkeit, der semantischen Präzision gegen die Ambivalenz, der Durchsichtigkeit gegen die Dunkelheit, der Klarheit gegen Verschwommenheit. Ordnung als ein Konzept, eine Vision, als ein Zweck konnte nicht ausgedrückt werden, hätte es nicht die Einsicht in die totale Ambivalenz, die Zufälligkeit des Chaos gegeben. Ordnung ist ständig im Überlebenskampf begriffen. Das Andere der Ordnung ist nicht eine andere Ordnung: Die einzige Alternative ist das Chaos. Das Andere der Ordnung ist das Miasma des Unbestimmten, und Unvorhersagbaren. Das Andere ist die Ungewissheit, jener Ursprung und Archetyp aller Furcht“ (Bauman 1992, S. 19).