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LEITLINIEN UND EMPFEHLUNGEN FÜR
GEDENKSTÄTTEN UND MUSEEN
UMGANG MIT
HOLOCAUSTVERZERRUNG
IN DEN SOZIALEN MEDIEN
countering holocaust distortion
on social media
Erste Ausgabe, veröentlicht 2022.
© 2022, Projekt “Countering Holocaust distortion on social media”
Diese Publikation wurde durch die nanzielle Unterstützung der International Holocaust
Remembrance Alliance ermöglicht (IHRA Grant Strategy 2019-2023, Linie 2 “Countering distortion”,
IHRA Grant #2020-792).
Die in dieser Veröentlichung zum Ausdruck gebrachten Ansichten, Meinungen und Standpunkte
geben nicht notwendigerweise die Ansichten der IHRA wieder.
Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Publikation darf für Bildungszwecke und andere nicht-
kommerzielle Zwecke frei verwendet und kopiert werden, vorausgesetzt, dass bei einer solchen
Vervielfältigung das Projekt “Countering Holocaust distortion on social media” als Quelle angegeben
wird.
Design und Layout: Antonio Raga
countering holocaust distortion
on social media
INHALT
Über das Projekt
Danksagungen
Vorwort von Simonetta Della Seta
Vorwort von Tobias Ebbrecht-Hartmann
Kurzfassung
Einführung
Holocaust-Verzerrung verstehen
Umgang mit Holocaust-Verzerrung in sozialen Medien: Leitprinzipien
Schlussfolgerung und Empfehlungen
Anhang. IHRA-Arbeitsdenition von Holocaust-Leugnung und -Verzerrung
Referenzen und Quellen
Bildnachweise
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FONDAZIONE MUSEO DELLA SHOAH
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Diese Publikation wurde im Rahmen des Projekts “Countering Holocaust distortion on social media.
Promoting the positive use of Internet social technologies for teaching and learning about the
Holocaust” erstellt (IHRA Grant Strategy 2019-2023, Linie 2 “Countering distortion”, IHRA Grant #2020-
792), https://holocaust-socialmedia.eu.
Ziel des Projekts ist es, Hinweise und Empfehlungen zu geben, wie Museen und Gedenkstätten,
welche im Feld der Erinnerung an den Holocaust tätig sind, eine Schlüsselrolle bei der Bewahrung der
relevanten, historischen Aufzeichnungen spielen und sachlich korrekte Informationen bereitstellen
können. In diesem Sinne haben wir den Fokus nicht darauf gelegt, in welcher Form soziale
Medien Verzerrungen, Antisemitismus und Hassreden verstärken, sondern haben die Perspektive
eingenommen, wie soziale Medien als positive Technologie eingesetzt werden können, um einen
Beitrag dazu zu leisten, das Wissen über den Holocaust und die Erinnerung daran zu erweitern,
insbesondere in Bezug auf das Erreichen jüngerer Generationen.
Das Projektteam setzt sich aus den folgenden Mitgliedern und Institutionen zusammen:
Stefania Manca (Institute of Educational Technology, Italian National Research Council; Project
coordinator), Martin Rehm (Institut für Bildungsconsulting, Pädagogische Hochschule Weingarten),
Susanne Haake (Fach Mediendidaktik, Pädagogische Hochschule Weingarten), Jörg Stratmann
(Fach Erziehungswissenschaft, Pädagogische Hochschule Weingarten), Mareike Krüger (Fach
Erziehungswissenschaft, Pädagogische Hochschule Weingarten), Silvia Guetta (Department of
Education, Languages, Intercultures, Literatures and Psychology, University of Florence), Donatella
Persico (Institute of Educational Technology, Italian National Research Council), Davide Capperucci
(Department of Education, Languages, Intercultures, Literatures and Psychology, University of
Florence).
Unterstützt wurde das Team auch durch die Arbeit von Marta Testa (Department of Education,
Languages, Intercultures, Literatures and Psychology, University of Florence) und Ilaria Bortolotti
(Department of Psychology of Developmental and Socialisation Processes, Sapienza University of
Rome).
Drei teilnehmende Organisationen leisteten Unterstützung und Beratung: Yad Vashem, Mémorial de
la Shoah de Paris und die Gedenkstätte Mauthausen.
ÜBER DAS PROJEKT
GEDENKSTÄTTE BUCHENWALD
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Wir sind den vielen ExpertInnen und WissenschaftlerInnen dankbar, welche uns bei der Erstellung
dieser Publikation unterstützt haben.
HerausgeberInnen dieser Publikation sind Stefania Manca (Institute of Educational Technology,
Italian National Research Council), Susanne Haake (Fach Mediendidaktik, Pädagogische Hochschule
Weingarten), Martin Rehm (Institut für Bildungsconsulting, Pädagogische Hochschule Weingarten),
Silvia Guetta (Department of Education, Languages, Intercultures, Literatures and Psychology,
University of Florence).
Wir sind den folgenden Einrichtungen sehr dankbar, dass sie dem Projektteam im Rahmen der
Erstellung der Leitlinien und Empfehlungen ihren Rat und ihr Fachwissen zur Verfügung gestellt
haben: Fondazione Fossoli (Italien), Fondazione Museo della Shoah (Italien), Memoriale della Shoah
di Milano (Italien), Museo Nazionale dell’Ebraismo Italiano e della Shoah - MEIS (Italien), Gedenkstätte
Buchenwald (Deutschland), Gedenkstätte Bergen-Belsen (Deutschland), KZ-Gedenkstätte Dachau
(Deutschland), KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Deutschland), Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück
(Deutschland).
Der vorliegende Inhalt wurde auf der Grundlage einer Reihe von Fokusgruppen mit ExpertInnen und
einer Online-Umfrage entwickelt. Allen TeilnehmerInnen und Befragten gilt ein besonderer Dank für
ihre Teilnahme und ihre Beiträge.
Ein besonderer Dank gilt Dr. Iris Groschek von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme für ihre
Unterstützung bei der Entwicklung von Ideen rund um den Einsatz von TikTok. Ein besonderer Dank
geht an Marta Testa für ihre organisatorische Unterstützung.
Ein besonderer Dank gilt Stella De Robertis für die sprachliche Korrektur der englischsprachigen
Version der Leitlinien, Jörg Stratmann und Mareike Krüger für die Korrektur der deutschsprachigen
Version.
Mitglieder des International Advisory Boards, welche für die Beratung und Betreuung des
Publikationspozesses verantwortlich waren, sind: Prof, Ilya Levin (Tel Aviv University), Dr. Michael Gray
(Hereford Cathedral School, UK), Dr. Dietmar Sedlaczec (KZ-Gedenkstätte Moringen).
DANKSAGUNGEN
GEDENKSTÄTTE BERGENBELSEN
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VORWORT
von Simonetta Della Seta
Als künftige Vorsitzende der Arbeitsgruppe Gedenkstätten und Museen der IHRA (International
Holocaust Remembrance Alliance) und als ehemalige Direktorin des National Museum of Italian
Judaism and the Shoah (MEIS) freue ich mich
ganz besonders, unseren LeserInnen diese
Leitlinien und Empfehlungen für Holocaust-
Gedenkstätten und -Museen vorstellen zu
können, um geeignete Gegenstrategien
zu verzerrten Holocaust-Narrativen in den
sozialen Medien zu entwickeln.
Ich bin auch stolz darauf, dass dieses Projekt
das Ergebnis einer Initiative einer wichtigen
italienischen Einrichtung ist, nämlich des
Institute of Educational Technology, Italian
National Research Council, und dass es von
italienischen und deutschen ExpertInnen
und PädagogInnen gemeinsam durchgeführt
wurde. Ich bin Ihnen allen sehr dankbar.
Das Thema ist sehr aktuell, da in den sozialen Medien zunehmend hasserfüllte Inhalte, einschließlich
Antisemitismus, Holocaust-Leugnung und -Verzerrung, verteilt und verbreitet werden. Es besteht
daher dringender Handlungsbedarf, und Gedenkstätten und Museen bilden ein perfektes Umfeld,
um dabei zu helfen, die Auswirkungen von Holocaust-Verzerrungen, insbesondere in den sozialen
Medien, zu verringern.
Holocaust-Museen bilden eine der Säulen der Holocaust Education und -Erinnerung. Durch
Ausstellungen, Konferenzen, Seminare, Bildungsaktivitäten und Social-Media-Strategien spielen
Holocaust-Museen - oft in Verbindung mit jüdischen Gemeinden und Holocaust-Überlebenden - eine
wichtige Rolle bei der Erläutertung und Dokumentation des Holocausts für ein breites Publikum,
insbesondere für junge Menschen.
Holocaust-Museen und -Gedenkstätten verfügen bereits über mehrere Instrumente: Sie vermitteln
korrektes Wissen über den Holocaust; sie nutzen Technologie und Kommunikation und verfügen
über das Know-how, um professionell in den sozialen Medien aktiv zu sein; sie haben das Wissen,
um Verzerrungen zu erkennen. Museen können auch in Bildungsaktivitäten und in die beruiche
Entwicklung bzw. Weiterbildung ihres Personals investieren; sie können auch in internationalen
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Netzwerken agieren und die Zusammenarbeit und den Austausch mit anderen Gedenkstätten und
Museen stärken.
Wie in den Leitlinien erläutert: “On one hand, museums and memorials can play an essential role in
safeguarding the historical record of the Holocaust and, on the other hand, they can counter Holocaust
distortion by engaging their social media followers, not only through promotion of their cultural
activities and initiatives, but also by producing good practices of social media adoption as a means
for disseminating accurate historical information and minimizing trivialization and distortion”1... Als
gute “gatekeepers in digital communication [they] may become increasingly prominent in promoting
educational and counter-distortion actions” (s.o.).
Holocaust-Verzerrung ist in letzter Zeit zu einem Besorgnis für diejenigen geworden, die die Fakten
über den Holocaust kennen und die sich an die Wahrheit erinnern und sie weitergeben möchten,
um so den Überlebenden und allen Opfern des Holocausts Respekt zu erweisen. LeiterInnen und
MitarbeiterInnen von Museen gehören sicherlich zu dieser Gruppe. Wie in diesen Leitlinien dargelegt
wird, “in recent surveys that involved users and museum sta in two countries – Italy and Germany –
it was found that museum sta highly rated the use of social media to counter Holocaust distortion
regardless of the size of the organisation” (s.o.).
Dank der, in diesen Leitlinien enthaltenen Empfehlungen und insbesondere durch die Berücksichtigung
sowohl der “proaktiven”, als auch der “reaktiven” Maßnahmen, die in dieser Studie vorgeschlagen
werden, um der Verzerrung entgegenzuwirken, können Holocaust-Gedenkstätten und -Museen dazu
beitragen, eine Kultur der Zusammenarbeit sowohl mit den AdministratorInnen und ModeratorInnen
sozialer Seiten als auch mit ihren FollowerInnen zu schaen, mit einer großen Chance, etwas zu
bewirken. Ziel ist es, eine neue Gemeinschaft zu schaen, die bewusster, anerkannter und aktiver ist,
nicht nur in der Erinnerung an den Holocaust, sondern auch im Schutz der Fakten.
Simonetta Della Seta
Member of the Italian Delegation in IHRA
2023 Chair of the IHRA Memorials and Museums Working Group
1 Vgl.: https://holocaust-socialmedia.eu/wp-content/uploads/Addressing-Holocaust-distortion-
website.pdf, zuletzt abgerufen am 10.6.2022.
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VORWORT
von Tobias Ebbrecht-Hartmann
Soziale Medien stellen heute einen
elementaren Aspekt unseres privaten und
öentlichen Lebens dar. Teile davon werden
in und durch Social-Media-Plattformen
“gelebt”. Wenn der Holocaust ein bedeutender
Teil unserer globalen Erinnerungskultur
bleiben soll, wenn die Erinnerung an die
systematische Ermordung der Juden und die
Verfolgung anderer Gruppen während des
Zweiten Weltkriegs für die Zukunft bewahrt
werden soll und wenn wir das Wissen über
und das Bewusstsein für diese besondere
Geschichte weiter verbreiten wollen, muss
sie einen angemessenen Ort in den digitalen
Umgebungen der Social-Media-Plattformen
nden. Diese Studie zeigt, dass die Geschichte
und die Erinnerung an den Holocaust auf
Plattformen wie Twitter, Facebook, Instagram und TikTok präsent sind. Sie zeigt auch, dass es ein
Interesse daran gibt, diese Plattformen zu nutzen, um mehr über die Geschichte und insbesondere
über Geschichten im Zusammenhang mit diesen historischen Ereignissen zu erfahren. Dies ist eine
sehr gute Nachricht.
Die sozialen Medien sind jedoch nicht nur ein Ort des Gedenkens an den Holocaust und der aktiven
Auseinandersetzung mit der Geschichte. Sie bieten auch vielfältige Möglichkeiten, die Geschichte des
Holocausts zu leugnen und zu verzerren, Fehlinformationen zu verbreiten und durch Hass und Trolling
diejenigen anzugreifen und zum Schweigen zu bringen, die sich für die Bewahrung der Vergangenheit
einsetzen. Die Erinnerung an den Holocaust in den sozialen Medien ist ein höchst umstrittenes Thema,
insbesondere wenn es um Analogien zwischen vergangenen und gegenwärtigen Ereignissen und um
die Aneignung der Erinnerung an den Holocaust und von Bildern für politische Kampagnen und die
Anprangerung politischer GegnerInnen geht. Diese Studie zeigt jedoch, dass es nicht möglich sein
wird, Hass, Fehlinformationen und Verzerrungen allein mit technischen Maßnahmen, dem Verbot
unangemessener Beiträge und Gegenrede zu bekämpfen. Wir müssen unsere Räume für das Lehren
und Lernen über den Holocaust mit Hilfe der Kommunikation in den sozialen Medien verteidigen und
neue Räume für das Gedenken, die Information und die Bildung entwickeln. Dazu ist es notwendig,
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auf diesen Plattformen präsent zu sein, und den kollektiven Willen zu zeigen, die Erinnerung an
den Holocaust und die Erinnerungen derer, die ihn erlebt haben, zu bewahren, die Geschichten
der Verfolgten weiterzuerzählen, ihre Namen zu nennen und ihre Gesichter zu zeigen und dies mit
unserem heutigen Leben zu verbinden, indem wir die Geschichte in Geschichten verwandeln, mit
denen sich die NutzerInnen sozialer Medien auseinandersetzen, die sie mögen und teilen, die sie sich
zu eigen machen und mitgestalten können, kurz: eine partizipative Gedenkkultur in den sozialen
Medien zu schaen, die Institutionen, InuencerInnen, eine Vielzahl von ErstellerInnen von Inhalten
und andere NutzerInnen einbezieht.
Diese Studie lehrt uns dabei, dass wir - Institutionen und einzelne NutzerInnen gleichermaßen - nicht
nur zu “Gatekeeper” der Erinnerung an den Holocaust in den sozialen Medien werden. Wir schaen aktiv
eine Gemeinschaft. Eine solche Gemeinschaft bildet die Grundlage für eine wirksame Bekämpfung
von Hassreden und Holocaust-Verzerrungen und unterstützt die Verbreitung vertrauenswürdiger
Informationen, die Beschäftigung mit authentischen Geschichten und die Möglichkeit, aktiv zum
historischen Erzählen und zur Entwicklung neuer, digitaler Formen des Gedenkens beizutragen. Dies
bedeutet, dass die Institutionen ihren FollowerInnen, MacherInnen und NutzerInnen in gleicher Weise
vertrauen müssen, wie diese sich auf die Ressourcen und das Fachwissen von Gedenkstätten, Museen
und anderen institutionellen Akteuren im Bereich der Holocaust Erinnerung und Bildungsarbeit
verlassen müssen.
Dies setzt auch eine intensivere Kommunikation voraus. Die O- und Online-Zusammenarbeit zwischen
Institutionen über angemessene und wirksame Social-Media-Praktiken sowie ein ständiger Dialog mit
NutzerInnen, InuencerInnen und anderen ErstellerInnen ist ein wichtiger Schritt hin zu lebendigen
und gleichzeitig sicheren Räumen für das Gedenken an den Holocaust und die Bildung in sozialen
Medien. Ein wichtiger Aspekt dieser Art von gegenseitiger Kommunikation ist die (gemeinsame)
Schaung einer angemessenen Sprache für das Sprechen über den Holocaust auf Plattformen wie
Twitter, Facebook, Instagram und TikTok. Wie können wir in sechzig Sekunden über den Holocaust
sprechen? Wie können wir Hashtags verwenden, um Orte, Menschen und historische Informationen
miteinander zu verknüpfen? Wie können wir die Social-Media-Struktur der segmentierten Narration
anpassen, um über die fragmentierte Natur einer Geschichte zu sprechen, die von Trauma und
Verlust geprägt ist? Wie kann die multimodale Struktur von Instagram-Stories oder TikTok-Videos die
Komplexität der Erinnerung an den Holocaust widerspiegeln? Was sind ansprechende Möglichkeiten,
die NutzerInnen anzusprechen und aktiv einzubinden? Wie können Social-Media-Plattformen genutzt
werden, um über historische Quellen zu reektieren und neue Wege der (medialen) Zeugenschaft zu
gehen?
Um der Verzerrung des Holocausts in den sozialen Medien entgegenzuwirken und einen Raum für
das Gedenken an und für die Bildungsarbeit über den Holocaust zu schaen, ist es erforderlich,
die Sprache der sozialen Medien zu übernehmen und sie mit dem Fachwissen und den eektiven
Bildungsansätzen der Holocaust-Museen und -Gedenkstätten abzustimmen. Diese Einrichtungen
können von der Medienkompetenz junger NutzerInnen und MacherInnen sozialer Medien lernen,
und diese MacherInnen protieren von dem Wissen und den Ressourcen, die von Einrichtungen zur
Verfügung gestellt werden, die über den Holocaust forschen und aufklären. Dies wird hoentlich
den nötigen Raum und auch die Bereitschaft zum Erproben auf der Grundlage des gegenseitigen
Verständnisses schaen, so dass wir uns alle um die Zukunft der Erinnerung an den Holocaust kümmern
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können. Die sozialen Medien bieten einen oenen Raum, der sich sehr gut für die Information und
Aufklärung über ernste Themen und komplexe Fragen eignet. Durch die Bereitstellung von Best-
Practice-Beispielen können Institutionen und Einzelpersonen gleichermaßen Inhalte produzieren,
die Teil des Social-Media-Lebens einer Vielzahl von NutzernInnen werden. Durch die Nutzung des
verbindenden Charakters von Social-Media-Plattformen, insbesondere durch Hashtag-Kampagnen
und andere Gedenkaktivitäten, werden sich mehr und neue virtuelle Erinnerungsgemeinschaften
entwickeln. Indem wir mit anderen zusammenarbeiten, können wir Erfahrungen darüber austauschen,
wie wir unsere Konten und Gemeinschaften am besten moderieren, wie wir FollowerInnen einbinden,
wie wir soziale Medien für die Verbreitung von historischem Bewusstsein und gleichzeitig (neuer)
Medienkompetenz nutzen können. Dies könnte zu einer neuen Reihe von Standards beitragen, die das
Beste aus dem vorhandenen Wissen, der Expertise und den innovativen Ansätzen der Bildungsarbeit
und Forschung zum Holocaust übernehmen und an eine aktive, partizipative, demokratische und
ko-kreative digitale Erinnerungskultur anpassen. Diese Studie und ihre Leitlinien bieten eine solide
Grundlage für diesen Weg.
Dr. Tobias Ebbrecht-Hartmann
Department of Communication & Journalism/European Department, The Hebrew University of
Jerusalem
FONDAZIONE FOSSOLI
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FÜR WEN SIND DIESE LEITLINIEN UND EMPFEHLUNGEN GEDACHT?
Dieser Bericht soll Holocaust-Museen und -Gedenkstätten eine Reihe von Leitlinien und
Empfehlungen an die Hand geben, um dem Phänomen der Holocaust-Verzerrung auf Social-Media-
Kanälen zu begegnen. Da diese Einrichtungen zunehmend wichtige Eckpfeiler gegen die Verzerrung
des Holocausts darstellen, haben sie vielfältige Herausforderungen, aber auch Möglichkeiten, die
historische Überlieferung zu schützen, und benötigen Unterstützung, um den Herausforderungen,
die von denjenigen ausgehen, die die Wahrheit verzerren, zu begegnen. Vor diesem Hintergrund
hebt der Bericht mehrere Maßnahmen hervor, die Gedenkstätten und Museen ergreifen können, um
die Auswirkungen der verschiedenen Formen der Holocaust-Verzerrung in den sozialen Medien zu
verringern.
WARUM IST DIE VERZERRUNG DES HOLOCAUSTS EIN ANLIEGEN DER ZIVILGESELLSCHAFT?
Missbrauch, Ausreden, falsche Darstellungen und Manipulationen der Geschichte des Holocausts sind
auf allen Ebenen der Gesellschaft zu nden. Dabei handelt es sich keineswegs um ein Randphänomen:
Beispiele nden sich bei Regierungen, die versuchen, ihre historische Verantwortung zu minimieren,
bei Verschwörungstheoretikern, welche jüdische Gemeinschaften mit Anschuldigungen konfrontieren
ihr Leid zu ihrem Vorteil zu übertreiben, und bei Online-NutzerInnen, welche die mit dem Holocaust
assoziierte Bilder und Sprache für politische, ideologische oder kommerzielle Zwecke verwenden,
die nichts mit der Geschichte zu tun haben. Unabhängig von ihrer Form haben die Verzerrung
des Holocausts und ihre potenziellen direkten oder indirekten Auswirkungen - Antisemitismus,
Holocaust-Leugnung, Verschwörungsmythen und extremer Nationalismus - eine internationale
Dimension und Relevanz, welche eine internationale Reaktion erfordern. Was die sozialen Medien
anbelangt, so haben diese zwar Einzelpersonen und Gruppen die Möglichkeit gegeben, sich auf
globaler Ebene zu vernetzen und sofortigen Zugang zu Informationen und Wissen zu erhalten,
aber sie haben auch die Verbreitung von hasserfüllten Inhalten, einschließlich Antisemitismus,
Holocaust-Leugnung und -Verzerrung in einem noch nie dagewesenen Ausmaß ermöglicht.
WAS SIND DIE HERAUSFORDERUNGEN BEI DER BEKÄMPFUNG DER HOLOCAUSTVERZERRUNG?
Im Gegensatz zur Holocaust-Leugnung - dem Versuch, den Holocaust aus der Geschichte zu löschen
- wird bei der Holocaust-Verzerrung, welche nicht immer leicht zu identizieren ist, der Holocaust
auf unterschiedliche Weise in Medien entschuldigt, verharmlost oder falsch dargestellt. Während
weitgehend Einigkeit darüber besteht, dass die Leugnung des Holocausts durch Antisemitismus
genährt wird, wird die Verzerrung des Holocausts entweder als eine Form des “sekundären
Antisemitismus” oder als Manipulation der Geschichte des Holocausts und seiner Erinnerung zu
unterschiedlichen Zwecken betrachtet. Obwohl missbräuchliche Geschichtsdarstellungen jedes
KURZFASSUNG
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historische Ereignis betreen können, nimmt die Zahl Verzerrungen der Geschichte des Holocausts
heute zu, wobei verschiedene Formen der Verzerrungen identiziert werden können. Da es keine
einzelne, generelle Maßnahme gegen alle Formen der Ver zerrung gibt, müssen je nach geograschem
oder sozialem Kontext verschiedene, spezische Maßnahmen ergrien werden.
WAS KÖNNEN GEDENKSTÄTTEN UND MUSEEN TUN, UM DER VERZERRUNG DES HOLOCAUSTS IN
DEN SOZIALEN MEDIEN ENTGEGENZUWIRKEN?
Die Frage nach den Maßnahmen, mit denen Museen und Materialien zu diesem Zweck ausgestattet
werden können, erfordert einen komplexen, ganzheitlichen Ansatz. Obwohl keine der Maßnahmen
das Problem in Gänze lösen oder eingrenzen kann, ist es wichtig zu betonen, dass Museen und
Gedenkstätten mehrere Maßnahmen zur Verfügung haben: Sie können dazu beitragen, das Wissen
über den Holocaust vor allem bei jungen Menschen zu erweitern, indem sie Inhalte bereitstellen,
welche den sprachlichen und medialen Gewohnheiten Jugendlicher entsprechen; sie können die
Gemeinschaft der Social Media Fans und FollowerInnen aktiv einbeziehen, indem sie in die Schaung
eines ein sicheren und kooperativen Umfelds einbeziehen; sie können sich auf nationale oder lokale
Besonderheiten der Verzerrung des Holocausts konzentrieren; sie können den Unterschied zwischen
absichtlicher Verzerrung und Verzerrung aufgrund mangelnden Wissens erkennen; sie können in die
beruiche Entwicklung und Weiterbildung des Personals investieren und sie können die internationale
Zusammenarbeit und den Austausch durch den Aufbau von Netzwerken zwischen Gedenkstätten
und Museen sowie mit anderen Holocaust-Einrichtungen, stärken.
EINFÜHRUNG
KZGEDENKSTÄTTE NEUENGAMME
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Dieser Bericht befasst sich umfassend mit der Verzerrung des Holocausts in sozialen Medien und liefert
eine Reihe von Leitlinien und Empfehlungen für Holocaust-Gedenkstätten und -Museen, um geeignete
Gegenstrategien zu entwickeln. Während andere, neuere Beiträge die Rolle der Technologie von
Social-Media-Plattformen und Geschäftsmodellen bei der Verbreitung antisemitischer Inhalte betonen
(Hübscher & von Mering, 2022), hebt diese Arbeit Maßnahmen hervor, die Gedenkstätten und Museen
ergreifen können, um die Auswirkungen verschiedener Formen von Holocaust-Verzerrung in sozialen
Medien zu verringern.
Soziale Medien wie Twitter, Facebook, TikTok, YouTube und Instagram werden von immer mehr
NutzerInnen genutzt, die täglich mit Tausenden von verschiedenen Arten von Tex t- und Bildinformationen
konfrontiert werden. Im Januar 2022 wurden insgesamt 3,96 Milliarden Social-Media-NutzerInnen auf
allen Plattformen gezählt, wobei eine durchschnittliche Person zwischen sieben verschiedenen sozialen
Netzwerken pro Monat hin und her springt und Erwachsene durchschnittlich 95 Minuten pro Tag auf
allen Plattformen mit sozialen Medien verbringen. Unter den verschiedenen Plattformen ist TikTok das
am schnellsten wachsende, soziale Netzwerk mit einer hohen Wachstumsrate von 105 % der NutzerInnen
in den USA in den letzten zwei Jahren (SproutSocial, 2022). Diese Zahl ist besonders wichtig, wenn man
bedenkt, dass TikTok zur Plattform der Wahl für Jugendliche und junge Erwachsene geworden ist und
dass eine wachsende Zahl von Organisationen im Bereich der Erinnerung an den Holocaust, Museen
und Gedenkstätten die Plattform mit der klaren Absicht betreten, diese Zielgruppe zu erreichen. Trotz
der Zunahme von Hassreden und der alarmierenden Präsenz antisemitischer Botschaften in den
verschiedenen von der Plattform unterstützten Medienformaten (Videoclips, Lieder, Kommentare, Tex te
und Bilder) (Weimann & Masri, 2021), haben ExpertInnen damit begonnen, Möglichkeiten für einen
ernsthaften Umgang mit der komplexen Geschichte des Holocausts und mit Antisemitismus auf TikTok
zu analysieren (Divon & Ebbrecht-Hartmann, 2022; Ebbrecht-Hartmann & Divon, 2022).
Die sozialen Medien haben es Einzelpersonen und Gruppen zwar ermöglicht, sich auf globaler Ebene
zu vernetzen und sofortigen Zugang zu Informationen und Wissen zu erhalten, sie haben aber auch
die Verbreitung von hasserfüllten Inhalten, einschließlich Antisemitismus, Holocaust-Leugnung und
-Verzerrung, aufgrund der potenziellen Viralität der Inhalte in einem noch nie dagewesenen Tempo
ermöglicht (Nahon & Hemsley, 2013; Wetzel, 2017). Das Phänomen des antisemitischen Online-Hasses
hat besondere Relevanz erlangt, da hasserfüllte Online-Kommentare zu mehr negativen, impliziten
Einstellungen gegenüber der Zielbevölkerung führen können als neutrale Kommentare (Weber et
al., 2019). Im Falle der Holocaust-Verzerrung sind die Formen meist mehrdeutig und schwieriger zu
erkennen, aber nicht weniger gefährlich.
Dennoch ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass Antisemitismus und Holocaust-Verzerrung auf einigen
Plattformen eher auftauchen können als auf anderen. Plattformen wie TikTok beispielsweise waren
bis vor kurzem weniger oen für Regulierung, öentlichen Druck und Maßnahmen zum Schutz der
NutzerInnen vor hasserfüllten Inhalten oder haben ihre eigenen Nutzungsbedingungen in Bezug
auf Hassreden oder andere beleidigende Inhalte kaum angewandt. Am Holocaust-Gedenktag 2022
starteten die UNESCO und der Jüdische Weltkongress (WJC) jedoch eine neue Partnerschaft mit der
Plattform, um gegen die Verzerrung und Leugnung des Holocausts vorzugehen. NutzerInnen, die
nach Begrien im Zusammenhang mit dem Holocaust suchen, werden zu verizierten Informationen
weitergeleitet. Im Januar 2021 hatte Facebook bereits eine Vereinbarung mit der UNESCO und dem
Jüdischen Weltkongress getroen, um NutzerInnen, die nach Begrien im Zusammenhang mit
dem Holocaust oder Holocaust-Leugnung suchen, auf die Webseite AboutHolocaust.Org (www.
aboutholocaust.org, zuletzt abgerufen am 10.6.2022) umzuleiten. Die Webseite bietet sachliche
Antworten auf grundlegende Fragen zum Holocaust, stellt die Fakten des Holocausts dar, klär t die Leser
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über die historischen Wurzeln des Völkermords, seine Abläufe und Folgen auf und umfasst inzwischen
19 Sprachen für Social-Media-NutzerInnen in aller Welt. Heute sehen sowohl Facebook- als auch TikTok-
NutzerInnen, die nach Begrien im Zusammenhang mit dem Holocaust suchen, wie z. B. “Holocaust-
Opfer” oder “Holocaust-Überlebender”, oben in ihren Suchergebnissen ein Banner, der sie zum Besuch
der Website AboutHolocaust.Org einlädt.1
Eine weitere, wichtige Initiative zur Bekämpfung von Holocaust-Leugnung und -Verzerrung als
zeitgenössische Formen des Antisemitismus wurde von der UNESCO, den Vereinten Nationen, der
International Holocaust Remembrance Alliance und der Europäischen Kommission gefördert, die im
Januar 2021 die Kampagne #ProtectTheFacts (https://www.againstholocaustdistortion.org, zuletzt
abgerufen am 10.6.2022) ins Leben riefen. Diese internationale Kampagne, die in sechs Sprachen
verfügbar ist, zielt darauf ab, das Bewusstsein für Holocaust-Verzerrungen zu schärfen und Maßnahmen
vorzuschlagen, um diese zu erkennen und zu bekämpfen. Das IHRA Toolkit Against Holocaust Distortion
(https://againstdistortiontoolkit.holocaustremembrance.com/, zuletzt abgerufen am 10.6.2022)
schließlich soll Politikern, Entscheidungsträgern und der Zivilgesellschaft dabei helfen, Schritte zur
Erkennung und Bekämpfung von Holocaust-Verzerrung zu unternehmen. Es bietet Führungskräften
praktische Instrumente, Anleitungen und Beispielaktivitäten, um sie zu befähigen, in ihren Institutionen,
Regierungen und Gemeinden als Botschafter des Wandels aufzutreten.
Neben den Maßnahmen, die durch gemeinsame internationale Kampagnen und Social-Media-
Unternehmen umgesetzt werden können, wie z. B. die automatische Sperrung bestimmter Arten
von Inhalten oder deren Entfernung durch ModeratorInnen, können die AdministratorInnen und
ModeratorInnen sozialer Medienprole und Webseiten eine Reihe von Maßnahmen ergreifen, um
Verzerrungen und Verharmlosungen entgegenzuwirken. Es hat sich gezeigt, dass die algorithmische
Erkennung von Hass- oder antisemitischen Äußerungen nur begrenzt möglich ist, da sich die
künstliche Intelligenz ständig an die sprachlichen Ausdrucksformen anpassen muss, in denen
problematische Äußerungen auftreten können. Darüber hinaus erkennt die algorithmische Erkennung
die kommunikativen Absichten der Nachricht nicht, z. B. den Unterschied zwischen einer Nachricht,
die antisemitischen Hass zum Ausdruck bringt, und einer Nachricht, die Beispiele für antisemitische
Äußerungen zu pädagogischen Zwecken benutzt. Im konkreten Fall der Holocaust-Leugnung hat sich
gezeigt, dass Inhalte aus diesem pädagogischen Bereich, letztendlich entfernt wurden, weil es nicht
möglich war, diese von tatsächlichen Holocaust-Leugnung und -Verzerrung zu unterscheiden (Sales,
2021). Neben der Ausweitung der derzeitigen Vereinbarungen mit den Unternehmen der sozialen
Medien, die sich zunehmend an der Überwachung antisemitischer oder verzerrender Nachrichten
beteiligen müssen, ist es daher wichtig, eine Kultur der Zusammenarbeit zu schaen, in der sowohl
die AdministratorInnen und ModeratorInnen sozialer Webseiten als auch deren NutzerInnen (Fans und
FollowerInnen) eine wichtige Rolle spielen.
Die Förderung und Ausbildung zuständiger AdministratorInnen und ModeratorInnen von Social-
Media-Seiten und -Prolen bildet daher eine Priorität bei der Entwicklung von proaktiven (Gegen)-
Narrativen. Eine direkte Adressierung und Auseinandersetzung, die lange Zeit als übliche Praxis zur
Reaktion auf antisemitische Hassreden oder Holocaust-Verzerrungen galt, hat sich als wenig wirksam
erwiesen, um sowohl Hass als auch Verzerrungen entgegen zu wirken. Dies kann daran liegen, dass
eine direkte Adressierung zusätzlich zur Aufdeckung problematischer Inhalte auch Mechanismen
auslösen kann, die in einer potenziell endlosen Spirale weitere, hetzerische Inhalte schaen. Diese Art
1 Weitere Informationen über die Maßnahmen von Social-Media-Unternehmen zur Bekämpfung von
Online-Antisemitismus nden Sie unter Online-Antisemitismus: A Toolkit for Civil Society (ISD, 2022).
21
der Auseinandersetzung kann dennoch ein Stück weit dazu beitragen, die negativen Auswirkungen
antisemitischer und verzerrter Botschaften, die nicht durch andere externe Maßnahmen beseitigt
werden, zu verringern, da sie antisemitische und verzerrte Botschaften direkt hinterfragen und
die Verbreiter für ihre verzerrte Rhetorik zur Rede stellen. Proaktive Gegennarrative beinhalten die
Verbreitung positiver Narrative oder unvoreingenommener Fakten über die Geschichte und die
Erinnerung an den Holocaust und die verschiedenen Opfergruppen. Gegennarrative stehen jedoch
auch vor Herausforderungen. Sie sind nicht nur zeit- und arbeitsaufwändig, sondern müssen auch das
richtige Zielpublikum erreichen und überzeugend sein. Gleichzeitig sollten sie es vermeiden, sich auf
potenziell kontraproduktive Maßnahmen einzulassen, die dazu führen könnten, dass verzerrte oder
antisemitische Botschaften noch stärker sichtbar werden. Schließlich sollte auch betont werden, dass
die Erfahrungen mit den bisher untersuchten Gegennarrative (Institute for the Study of Contemporary
Antisemitism, 2017) gezeigt haben, dass sie bei NutzerInnen, die bereit sind, ihr eigenes, begrenztes
oder ungenaues Wissen zu hinterfragen, eektiver sind als bei solchen, die Holocaust-LeugnerInnen
sind oder dazu neigen, aus Hass oder Wut heraus zu provozieren. Erfahrungen mit Gegennarrativen
zu Antisemitismus haben beispielsweise gezeigt, dass Tweets von jüdischen Organisationen, die
antisemitischen Inhalten entgegentreten, mehr Engagement - auch in Form von Unterstützung durch
NutzerInnen - erhalten können als antisemitische Inhalte (Ozalp et al., 2020).
Von den Empfehlungen, die zur Bekämpfung der Holocaust-Verzerrung entwickelt wurden, benden
sich die wichtigsten im IHRA-Bericht “Recognizing and Countering Holocaust Distortion” enthalten.
Recommendations for policy and decision makers” (Online unter: https://www.holocaustremembrance.
com/resources/reports/recognizing-countering-holocaust-distortion-recommendations, zuletzt
abgerufen am 10.6.2022). Während sich der IHRA-Bericht mit der Bekämpfung von Holocaust-
Verzerrungen als einem breiteren Phänomen befasst, konzentrieren sich diese Leitlinien und
Empfehlungen speziell darauf, wie Museen und Gedenkstätten gegen Holocaust-Verzerrungen auf
ihren Social-Media-Prolen vorgehen können.
Holocaust-Museen2 gehören zu den wichtigsten Akteuren der Bildungsarbeit zum Holocaust, der
Bewusstseinsbildung und des Gedenkens. Durch Online- und Vor-Ort-Ausstellungen, Konferenzen und
Seminare, Bildungsaktivitäten und Strategien in den sozialen Medien spielen Holocaust-Museen eine
wichtige Rolle bei der Verbreitung des Bewusstseins und des Wissens über den Holocaust in breiten
Bevölkerungsschichten (Oztig, 2022). Ein Grund für ihre Bedeutung ist, dass sie nicht als isolierte Akteure
agieren, sondern in Gedenkkulturen zum Holocaust eingebettet sind, die sich durch die Praktiken
internationaler Organisationen, Zeremonien und persönliche Geschichten von Überlebenden (neu)
konstituieren.
Die Erinnerung an den Holocaust stützt sich zunehmend auf digitale Technologien, um Menschen in
immersive, simulative oder kontrafaktische Erinnerungen an den Holocaust einzubeziehen (Garde-
Hansen, Hoskins, & Reading, 2009; Kansteiner, 2017) und so zur Denition einer globalen und universellen
Erinnerung an den Holocaust beizutragen (Levy & Sznaider, 2006; Probst, 2003). Da das Gedächtnis
sowohl die Form individueller als auch kollektiver Prozesse annimmt (Erll, 2010), fungieren Museen
als Träger des kulturellen Gedächtnisses (Assmann, 2016) oder “lieux de mémoire” als “symbolisches
2 In diesem Bericht werden wir der Kürze halber gelegentlich den Begriff “Holocaust-Museum” verwenden, der
sich sowohl auf Museen als auch auf Gedenkstätten bezieht, wie sie in der Encyclopaedia Britannica definiert sind:
“eine von mehreren Bildungseinrichtungen und Forschungszentren, die sich der Bewahrung der Erfahrungen
von Menschen widmen, die während des Holocaust (1933-45) Opfer der Nazis und ihrer Kollaborateure wurden”
(Parrott-Sheffer, 2019: n.a.).
22
Element des Gedächtnisses einer Gemeinschaft” (Nora, 1989, dt. Üb., S. 7). Infolge der zunehmenden
Konvergenz von historischem Wissen und Erinnerungspraktiken, die den Trend zur Musealisierung des
Holocausts kennzeichnen können (Assmann, 2016), konstruieren verschiedene Gemeinschaften das
kulturelle Gedächtnis des Zweiten Weltkriegs auf unterschiedliche Weise, und auch die zeitgenössischen
Geschichtsmuseen “spiegeln das historische Wissen und das kulturelle Gedächtnis ihrer Zeit wider”
(Jaeger, 2020, dt. Üb., S. 10). Das heutige “transnationale Gedächtnis”, das sich auf ein breites Spektrum
historischer Phänomene über nationale Grenzen hinweg bezieht (Tyrrell, 2009), kennzeichnet jedoch die
meisten musealen Darstellungen des Zweiten Weltkriegs und des Holocausts (Jaeger, 2020).
Gleichzeitig gewinnen Gedenkstätten und Museen zunehmend an Bedeutung, wenn es darum geht,
der Verzerrung des Holocausts zu begegnen. Da sie große Teile der Bevölkerung erreichen können, kann
sich ihr Engagement sowohl für das Gedenken als auch für die Bildung als eine wichtige Stütze in der
Arbeit gegen die Verzerrung erweisen. Unter diesem Gesichtspunkt könnte ihre Rolle als “Gatekeeper” in
der digitalen Kommunikation bei der Förderung von Bildungs- und Gegenmaßnahmen immer wichtiger
werden. Diesen Empfehlungen liegt der Gedanke zugrunde, dass soziale Medien als eine positive
Technologie angesehen werden können, da sie den NutzerInnen die Möglichkeit geben, ihr Wissen
über den Holocaust zu erweitern und das Bewusstsein für die vielen aktuellen Formen der Verzerrung
des Holocausts in den sozialen Medien zu schärfen. Einerseits können Museen und Gedenkstätten
eine wichtige Rolle bei der Bewahrung der historischen Artefakte über den Holocaust spielen und
andererseits können sie der Verzerrung des Holocaust entgegenwirken, indem sie ihre AnhängerInnen
in den sozialen Medien einbinden, nicht nur durch die Förderung kultureller Aktivitäten und Initiativen,
sondern auch durch bewährte Praktiken bei der Nutzung der sozialen Medien als Mittel zur Verbreitung
korrekter, historischer Informationen und zur Minimierung der Trivialisierung und Verzerrung.
Gleichzeitig können Museen und Gedenkstätten das Potenzial der Kommunikation nicht nur nutzen,
um eine passive Anhängerschaft aufzubauen, sondern auch, um eine Gruppe von MitgestalterInnen zu
aktivieren, die sich an der Erstellung von Inhalten beteiligen - und so von “Gatekeepern” zu “Gameplayer”
oder zu einem Teil einer Gemeinschaft werden, die gemeinsam lernt.
HOLOCAUSTVERZERRUNG VERSTEHEN
KZGEDENKSTÄTTE DACHAU
25
Missbrauch, Ausreden, falsche Darstellungen und Manipulationen der Geschichte des Holocausts
nden sich auf allen Ebenen der Gesellschaft, obwohl es Hinweise für die in den verschiedenen
am Holocaust beteiligten Ländern (Europa und Nordafrika) begangenen Verbrechen gibt (die vom
deutschen Naziregime selbst und seinen Kollaborateuren dokumentiert wurden), ebenso wie
Hinweise, die durch AugenzeugInnenberichte und Forschungen von WissenschaftlerInnen aus aller
Welt erbracht wurden. Dies ist alles andere als ein Randphänomen. Unabhängig von ihrer Form
haben die Verzerrung des Holocausts und ihre potenziellen direkten oder indirekten Auswirkungen
- Antisemitismus, Holocaust-Leugnung, Verschwörungsmythen und extremer Nationalismus - eine
internationale Reichweite und Relevanz und erfordern daher eine internationale Entgegnung.
Im Gegensatz zur Holocaust-Leugnung (dem Versuch, den Holocaust aus der Geschichte zu
löschen) wird bei der Holocaust-Verzerrung der Holocaust durch verschiedene Medien und auf
unterschiedliche Weise entschuldigt, verharmlost oder falsch dargestellt, was nicht immer leicht zu
erkennen ist. Während weitgehend Einigkeit darüber besteht, dass die Leugnung des Holocausts durch
Antisemitismus genährt wird, wird die Verzerrung des Holocausts häug als eine Form des “sekundären
Antisemitismus” und der Manipulation der Geschichte des Holocausts und seiner Erinnerung für
verschiedene Zwecke betrachtet (Gerstenfeld, 2009). Obwohl unverantwortliche und missbräuchliche
Geschichtsdarstellungen jedes historische Ereignis betreen können (De Baets, 2013), nimmt die
Zahl der Verzerrungen der Geschichte des Holocausts heute zu. Dabei können verschiedene Formen
unterschieden werden: u.a. “Holocaust-Promotion”, “Holocaust-Denial”, “Holocaust Depreciation”,
“Holocaust Deection”, “Prewar and Wartime Holocaust Equivalence”, “Postwar Holocaust Equivalence”,
“Holocaust Inversion, Accusing the Jews of Holocaust Memory Abuse” und “Obliterating the Holocaust
Memory”, “Universalizing/Trivializing the Holocaust” wurden u.a. in der Vergangenheit vorgeschlagen,
um die verschiedenen Formen der Verzerrung zu identizieren (Gerstenfeld, 2007).
Die International Holocaust Remembrance Alliance (2021) hat intensiv daran gearbeitet, einen
umfassenden Katalog der vielen Formen der Holocaust-Verzerrung zu erstellen. Seit ihrer
Arbeitsdenition der Holocaust-Leugnung und -Verzerrung von 2013 identiziert die IHRA heute
folgende Formen der Holocaust-Verzerrung:
» Absichtliche Bestrebungen, die Auswirkungen des Holocausts oder seiner wichtigsten
Elemente, einschließlich der Kollaborateure und Verbündeten Nazideutschlands, zu
entschuldigen oder herunterzuspielen
» Grobe Minimierung der Zahl der Opfer des Holocausts im Widerspruch zu zuverlässigen
Quellen
» Versuche, den Juden die Schuld für ihren eigenen Völkermord zu geben
» Äußerungen, die den Holocaust als positives, historisches Ereignis darstellen und darauf
hinweisen, dass dieser bei der Verwirklichung seines Ziels der “Endlösung der Judenfrage”
nicht weit genug gegangen sei
» Versuche, die Verantwortung für die Einrichtung von Konzentrations- und Todeslagern
durch Nazi-Deutschland zu verbergen, indem andere Nationen oder ethnische Gruppen
verantwortlich gemacht werden
26
» Beschuldigung der Juden, den Holocaust für irgendeine Art von Gewinn zu “benutzen”
» Verwendung des Begris “Holocaust” zur Bezugnahme auf Ereignisse oder Konzepte,
die in keinem sinnvollen Zusammenhang mit dem Völkermord am europäischen und
nordafrikanischen Judentum durch Nazi-Deutschland und seine Komplizen zwischen 1941
und 1945 stehen
» Staatlich geförderte Manipulation der Geschichte des Holocausts, um innerhalb oder
außerhalb der Grenzen eines Landes politische Zwietracht zu säen
» Verharmlosung oder Ehrung des historischen Vermächtnisses von Personen oder
Organisationen, die an den Verbrechen des Holocausts beteiligt waren
» Die Verwendung von Bildern und Sprache, die mit dem Holocaust in Verbindung gebracht
werden, für politische, ideologische oder kommerzielle Zwecke, die nichts mit dieser
Geschichte zu tun haben, in Online- und Oine-Foren
Jede dieser verschiedenen Formen der Verzerrung kann in bestimmten Ländern stärker und in
anderen weniger stark ausgeprägt sein, da sie von den Erfahrungen eines Landes während und nach
dem Zweiten Weltkrieg beeinusst werden können (z.B. als Täterstaat, besetztes Land, neutraler Staat
oder Teil der Alliierten).
Die Verzerrung des Holocausts kann in der Tat in konkurrierenden, nationalen Narrativen verwurzelt
sein, von solchen, die ein dominantes Märtyrertum beanspruchen, bis hin zu nationalen Identitäten,
und denjenigen, die immer noch eng mit dem Narrativ der Opferrolle im Zweiten Weltkrieg und
seinen Nachwirkungen verbunden sind, manchmal auf Kosten der vollen Anerkennung der jüdischen
Opfer (siehe Barna & Félix, 2017, Imho et al., 2017). Eine andere, in jüngster Zeit wiederbelebte Form
der Holocaust-Verzerrung, ein ausgeklügeltes revisionistisches Modell, das als “doppelter Völkermord”
bekannt ist, postuliert die “Gleichheit” der nationalsozialistischen und sowjetischen Verbrechen und
beinhaltet manchmal Versuche, die Täter zu rehabilitieren und die Überlebenden zu diskreditieren.
Dies kann unter prowestlichen Regierungen und Eliten in osteuropäischen Ländern verbreitet sein,
die mitunter auf eine enge Zusammenarbeit mit westlichen Ländern zurückblicken können, und
genießt gelegentlich die politische Unterstützung großer westlicher Länder im Rahmen der Ost-West-
Politik (siehe Katz, 2016). Generell können (insbesondere in Europa) viele Kräfte im Spiel sein, von
denen manche von der Regierung unterstützt werden können, die damit beschäftigt sind, ihre frühere
Beteiligung am Holocaust zu verzerren und zu beschönigen (siehe Rozett, 2019). Mit einem Fall
problematischen Umgangs mit der Geschichte des Holocausts werden schließlich z.T. Gedenkstätten
am Ort ehemaliger Konzentrationslagern konfrontiert, die auch mit späteren Ereignissen verbunden
waren, wie etwa sowjetische Speziallager oder andere Gefangenenlager. Diese Gedenkstätten
werden häuger von Online-BesucherInnen oder -NutzerInnen mit Gleichsetzungen oder Parallelen
konfrontiert.
Andere Formen der Verzerrung umfassen die Verwendung von Bildern und Sprache, die mit dem
Holocaust in Verbindung gebracht werden, für politische und ideologische Zwecke. Die UNESCO
hat beispielsweise festgestellt, dass “in Germany, the United Kingdom, the Netherlands, the Czech
Republic, France, Italy and the United States, protestors have engaged in falsications of the history
27
of the Holocaust, donning yellow star badges reading ‘not vaccinated’ at demonstrations against
COVID-19 measures”.1 Heute ist eine der am weitesten verbreiteten Formen der Verzerrung gerade
die, die die Verbrechen des Nationalsozialismus mit den Maßnahmen verschiedener Regierungen zur
Eindämmung der COVID-19-Pandemie gleichsetzt (siehe Steir-Livny, 2022). Das jüngste Beispiel für
eine solche Verzerrung ist schließlich die Vereinnahmung des Holocaust-Gedenkens in der jüngsten
Auseinandersetzung zwischen der Ukraine und Russland.
Ganz allgemein ist es auch aus konzeptioneller Sicht wichtig, mindestens zwei Herausforderungen
hervorzuheben, wenn es um Maßnahmen geht, die sich gegen die scheinbare oder tatsächliche
Manipulation der Geschichte des Holocaust richten. Konkret geht es hier um die Herausforderungen
des “kulturellen Gedächtnisses” und die seit langem geführte Debatte darüber, dass der Holocaust ein
“einzigartiges” oder “beispielloses” Ereignis ist:
Die erste Herausforderung - “kulturelles Gedächtnis” (Erll & Nünning, 2008) - dreht sich um die vielen
unterschiedlichen Formen, welche die Erinnerung annehmen kann. Es ist wichtig zu betonen, dass
es in der Erinnerung an den Holocaust immer häuger zu Spannungen kommt, zwischen einem
Fokus auf ein globales, transnationales oder universelles Gedächtnis und einem Fokus auf ein lokales,
nationales, agonistisches (Cento Bull & Hansen, 2016) oder multidirektionales Gedächtnis (Rothberg,
2009). Auch wenn die Erinnerung an den Holocaust heute zu einem der stärksten, westlichen,
kollektiven Gedächtnisse und Identitäten geworden ist (Pakier & Stråth, 2010), war er ein zutiefst
geograsches Ereignis, das in bestimmten physischen Räumen, Zeiten und Landschaften verwurzelt
war und ganz Europa und Nordafrika betraf. In diesem Sinne können historische Ereignisse auf
verschiedenen geograschen Ebenen betrachtet werden, mit der Präsenz nationaler und lokaler
Erinnerungen, die immer noch sehr stark sind, wenn nicht sogar im Widerspruch zueinander
stehen können, wie in manchen ehemals kommunistischen Ländern Osteuropas (de Smale, 2020;
Katz, 2016; Ray & Kapralsky, 2019) oder in Ländern des asiatisch-pazischen Kriegsschauplatzes
(Allen & Sakamoto, 2013; Hatch, 2014), wo teilweise umstrittene Erinnerungen immer noch aktiv
sind. Kennzeichnend für die vorherrschenden Formen der Verzerrung in den osteuropäischen
Ländern ist beispielsweise die Verfolgung bestimmter gemeinsamer Ziele, einschließlich des
Versuchs, die Rolle lokaler Kollaborateure zu verbergen oder zu minimieren, die Gleichwertigkeit
von nationalsozialistischen und kommunistischen Verbrechen zu befürworten (das Argument
des doppelten Völkermords) und das Bedürfnis nach HeldInnen in diesen neuen Demokratien, die
ehemalige Kollaborateure oder TäterInnen beim jüdischen Völkermord waren2. Dies spiegelt sich auch
in der Museumslandschaft postsozialistischer EU-Mitgliedstaaten wider, wo z.T. widersprüchliche
1 Vgl. https://en.unesco.org/news/rising-threat-holocaust-distorsion-requires-urgent-international-
resonse, zuletzt abgerufen am 10.6.2022.
2 Eine bekannte und genauso umstrittene Person stellt der ukrainische Nationalistenführer Stepan
Bandera dar, der die Ukrainische Aufständische Armee anführte, deren Männer vorgeworfen wird,
Tausende von Juden und Polen, darunter auch Frauen und Kinder, getötet zu haben, während sie
an der Seite Nazi-Deutschlands gegen die Rote Armee und die Kommunisten kämpften. Er ist nach
wie vor ein umstrittenes Symbol des ukrainischen Nationalismus und wurde 2010 posthum mit dem
Titel “Held der Ukraine” ausgezeichnet (zellebriert 1. Januar, ozielle Annulierung 2011), vgl. https://
en.wikipedia.org/wiki/Stepan_Bandera, zuletzt abgerufen am 10.6.2022.
28
Narrative die Geschichtsmuseen prägen (Radonić, 2017)3. Doch auch in Westeuropa können sich die
nationalen Erinnerungen an die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs unterscheiden und sich mehr auf
manche Aspekte als auf andere konzentrieren, und sei es nur aufgrund der Vielfalt der historischen
Ereignisse, die diese Länder geprägt haben (Echikson, 2019). In diesem Sinne ist es, auch wenn die
sozialen Medien als wichtiger Schauplatz der mediatisierten Erinnerung betrachtet werden können,
die zunehmend globalisiert und transkulturell ist, immer noch möglich, Spannungen zwischen
nationalen und transnationalen kulturellen Erinnerungen an den Holocaust (Jaeger, 2020) auf diesen
sozialen Plattformen zu erkennen.
Die zweite Herausforderung liegt in der seit langem geführten wissenschaftlichen Debatte über
den Holocaust als “einzigartiges” oder “beispielloses” Ereignis in der Geschichte der Menschheit.
Zwar besitzt jedes historische Ereignis sowohl einzigartige als auch nicht einzigartige Aspekte,
und dies gilt sicherlich auch für den Holocaust, aber es gab keinen vollständigen oder auch nur
mehrheitlichen Präzedenzfall für den Holocaust in der Art und Weise, wie er sich entfaltete4, doch ist
in den letzten Jahrzehnten eine Debatte zwischen zwei Säulen der Holocaust-Forschung im Gange,
die Auswirkungen auf die Gesellschaft insgesamt hat. Die Frage, “whether Holocaust was a unique
historical event - meaning, an event possessing unique attributes that are characteristic of it alone - or
a genocide that, although extreme, should nonetheless be located on the continuum of genocides
that occurred before and after it” (Porat, 2021, S. 275) hat Generationen von Gelehrten gespalten in
dem Versuch, einer Denkschule den Vorrang vor der anderen zu geben.
Die Implikationen jedes dieser Ansätze wurden ebenfalls hervorgehoben, wie z. B. die Ansicht, dass
Einzigartigkeit ein Hindernis für ein wirkliches Verständnis sei, da ein einzigartiges Ereignis in der
Geschichte keine Lehren daraus ziehen lasse. KritikerInnen des Ansatzes der Einzigartigkeit betonen
die Notwendigkeit, Erkenntnisse aus der Geschichte des Holocaust zu ziehen, um beispielsweise
Vergleiche mit anderen Völkermorden herstellen zu können und Parallelen zum Verständnis anderer
“ähnlicher” Ereignisse der jüngsten Zeit zu nden. Die Vergleichbarkeit, eine der Säulen, auf denen die
Genocide Studies beruhen, ziele gerade darauf ab, das Konzept der Einzigartigkeit, das den Holocaust
nur als spezisch jüdische Tragödie relevant macht, zu überwinden und Vergleiche möglich zu machen.5
In diesem Sinne ist die Rahmung der Unterschied zwischen dem Ziehen von Parallelen (die zwischen
den Ereignissen nicht aufrecht erhalten werden können) und dem Kontrastieren und Vergleichen,
durch das wir lernen. Leider kann die Vergleichbarkeit und Allgemeingültigkeit der “Lektion” aus dem
Holocaust für einige paradoxerweise den Weg zu gefährlichen oder unangemessenen Vergleichen
3 Einige Museen wollen ihre Europäizität unter Beweis stellen, indem sie internationale
Musealisierungstrends übernehmen, während andere fordern, dass “Europa” ihr Leiden unter der
Sowjetherrschaft als das größere Übel anerkenne (Radonić, 2021).
4 “It is crucial to highlight the unprecedentedness of the Holocaust also to understanding how people
responded to it. In fact, when some people in real time tried to draw from partial precedents, like
calling the rst six months of mass murder in Vilna a pogrom, they misunderstood what was happening
to them and where it might lead. Pogroms were paroxysms of violence that came and went, but that is
not what they were experiencing” (Dank an Robert Rozett für diese persönliche Mitteilung).
5 Vgl. z.B. Bauer (1979): “If what happens to the Jews is unique, then by denition it doesn’t concern
us, beyond our pity and commiseration for the victims. If the Holocaust is not a universal problem,
then why should a public school system in Philadelphia, New York or Timbuktu teach it? Well, the
answer is that there is no uniqueness, not even of a unique event. Anything that happens once, can
happen again: not quite in the same way, perhaps, but in an equivalent form” (S. 5).
29
erönen6.
Die Grenze zwischen dem, was mit der Geschichte des Holocausts vergleichbar ist, und dem, was
nicht vergleichbar ist, mag schwer zu denieren und genau zu bestimmen sein, und das gilt umso
mehr für die sozialen Medien, in denen die Menschen dazu neigen, Gleichsetzungen mit anderen
Völkermorden mit größerer Leichtigkeit vorzunehmen. Doch genau in diesem Kontext können
PädagogInnen, LehrerInnen und von Museen und Gedenkstätten initiierte Bildungsprogramme
einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie Ansätze und Grenzen für Vergleiche aufzeigen. In diesem
Sinne haben manche WissenschaftlerInnen beispielsweise die Rolle der Holocaust-Museen in der
Herstellung von Verbindungen betont “between Holocaust memory and the traumatic pasts of many
nations and cultures in pursuit of a multidirectional museology of relevance that reects the diversity
of American society and exemplies the museums’ collective function as moral institutions in the
United States” (Sievers, 2016, S. 284). Die Suche nach einem Gleichgewicht zwischen dem Umgang
mit dem Thema des modernen Völkermords und der Beibehaltung eines eindeutigen Schwerpunkts
auf dem Holocaust ist der Kern der multidirektionalen Museologie in vielen Ländern.
Weitere Auswirkungen ergeben sich aus der Verfolgung eines umfassenden Programms zum
Thema Völkermord und Menschenrechte sowie aus den Versuchen, andere Völkermorde im Geiste
des Vergleichs und der Einbeziehung anderer Gräueltaten in die Erinnerung an den Holocaust
aufzunehmen. Seit dem Aufkommen dieses Phänomens (in den 1990er Jahren) hat sich jedoch
die Art und Weise, wie Holocaust-Museen ein Gleichgewicht zwischen Relevanz und Gedenken an
den Holocaust anstreben, weiterentwickelt. Während sie sich anfangs nur auf andere Völkermorde
konzentrierten, haben sie später auch ihre Aufmerksamkeit auf Themen wie Immigration, Gewalt
gegen Frauen und Flüchtlingskrisen gelenkt. Diese Praxis der Ausweitung der Grenzen des
Holocaust-Gedenkens ist jedoch nicht ohne Kritik. Wie bereits erwähnt, wird der Holocaust, wenn
er mit anderen Gräueltaten in Verbindung gebracht wird, nach Ansicht einiger (Rothberg, 2009) in
einer Weise “universalisiert” oder “globalisiert”, dass seine historische Integrität in gewisser Weise
gefährdet sei. Andere hingegen betonen, dass die Bemühungen der Holocaust-Museen, lokale und
globale Relevanz zu schaen, nicht zu einer Verwässerung des Holocaust-Gedenkens führen müssen,
sondern Ausdruck der Vielfalt bestimmter Gesellschaften (z. B. der amerikanischen Gesellschaft)
sind, in denen Holocaust-Museen auch als moralische Institutionen fungieren, die eine Brücke zur
traumatischen Vergangenheit schlagen, wie die der AfroamerikanerInnen und der amerikanischen
6 In der Debatte zwischen den Befürwortern der Einzigartigkeit und den Befürwortern einer histori-
sierenden Betrachtungsweise des Holocausts gibt es weder Gewinner noch Verlierer, auch wenn es
in jüngster Zeit Versuche gegeben hat, die beiden Positionen miteinander zu versöhnen. Siehe z. B.
Dina Porat: “There is no necessary contradiction between the research of the Holocaust as a unique
phenomenon and the research of other murders, but rather completion and cross-fertilization, or syn-
thesis. […] Depicting the Holocaust as a unique event does not necessarily encompass a view of the
event on a religious, ethical, metaphysical, or mystical level, […] but rather is the outcome of its ex-
amination as a historical event, which, like all historical events, has its own characteristics” (Porat, 2021,
S. 289). Auch der Europarat hat sich kürzlich wie folgt geäußert: “The particular challenge in passing
on remembrance of the Holocaust is highlighting the unique nature of the event, without neglecting
the link between the Holocaust and the other crimes of genocide and crimes against humanity [...]
Consider the history and remembrance of the Holocaust and crimes committed by the Nazis, their
accomplices and collaborators as both an area of study in itself and a starting point for developing
values, attitudes and aptitudes through a resolutely comparative approach” (COE, 2022).
30
UreinwohnerInnen in den Vereinigten Staaten (Sievers, 2016).
Diese sogenannte “Amerikanisierung” des Holocausts (siehe Krasuska, 2018; Rosenfeld, 2011) und ihr
Beharren auf der moralischen Lehre haben die Entstehung eines neuen, globalen Phänomens namens
“moralisches Gedenken” gefördert, welches Standards für “angemessene Formen des Erinnerns”
vorschreibt (David, 2020). “Moralische Erinnerung” bezieht sich auf eine standardisierte und isomorphe
Reihe von Erinnerungsnormen, die auf universell gewordenen Menschenrechtsgrundsätzen wie
“Vergangenheitsbewältigung”, “Picht zur Erinnerung” und “Gerechtigkeit für die Opfer” beruhen.
Das moralische Gedenken ist zur weltweiten Präferenz für die Standardisierung des Gedenkens, die
institutionelle Homogenisierung und die Nachahmung von Normen an der Schnittstelle zwischen
Erinnerung und Menschenrechten geworden. Eine solche Standardisierung, die mit einem Prozess der
Ideologisierung einhergehe, habe sich nicht nur als wenig wirksam, sondern in einigen Fällen sogar
als kontraproduktiv erwiesen: “[These] de-contextualised memorialisation eorts produce a long list
of false premises that [...] in the long run end up enforcing divisions on the ground” (David, 2020, S. 2)7.
Moralisches Gedenken könne zur Entstehung neuer sozialer Ungleichheiten führen und nicht dazu,
dass die Menschen die Werte der Menschenrechte mehr zu schätzen wissen.
Die kurzen Ausführungen im vorangegangenen Abschnitt zeigen, wie wichtig es ist, all diese
Phänomene im Blick zu behalten, wenn man sich mit dem Thema Holocaust-Verzerrung
auseinandersetzt: Globalisierungsprozesse, der Vergleich mit anderen Gräultaten und Völkermorden
sowie eine standardisierte Gedenkstättenpraxis können es ermöglichen, die Bedeutung der
Erinnerung an den Holocaust auch heute noch zu bewahren, insbesondere für jüngere Generationen;
andererseits können sie den Weg für “Erinnerungskriege” sowie politisierte und ideologisierte Formen
der Verzerrung ebnen. Museen und Gedenkstätten können, wie wir sehen werden, verantwortungsvoll
mit den verschiedenen Formen der Verzerrung umgehen, denen sie auf ihren Social-Media-Kanälen
begegnen, wenn sie sich der Komplexität des gesamten Szenarios bewusst sind.
7 Für einen Wertekonikt in den europäischen Kulturkriegen über Identität, Nationalismus und Ge-
schichte und eine staatlich geförderte Agenda zur Erinnerung an den Holocaust, siehe der Fall Po-
len (Michlic, 2021; Ray & Kapralski, 2019). Einen Überblick über den Antisemitismus in den Ländern
der Visegrad-Gruppe bietet der Bericht “Addressing Antisemitism through Education in the Visegrad
Group Countries” (ENCATE, 2022).
UMGANG MIT HOLOCAUSTVERZERRUNG IN
SOZIALEN MEDIEN: LEITPRINZIPIEN
MAHN UND GEDENKSTÄTTE RAVENSBRÜCK
33
Unter all den Herausforderungen und den verschiedenen Formen der Manipulation oder
Trivialisierung, mit denen sich Holocaust-Organisationen auseinandersetzen müssen, ist die
Verzerrung des Holocausts sowohl für die NutzerInnen als auch für das Museumspersonal ein großes
Problem. In kürzlich durchgeführten Umfragen unter NutzerInnen und MuseumsmitarbeiterInnen
in zwei Ländern - Italien und Deutschland - wurde festgestellt, dass das Museumspersonal den
Einsatz sozialer Medien zur Bekämpfung der Holocaust-Verzerrung unabhängig von der Größe der
Organisation sehr hoch einschätzt (Manca et al., 2022). Bei der Untersuchung des Interesses der
NutzerInnen an Inhalten mit Holocaustbezug wurde festgestellt, dass NutzerInnen sozialer Medien
das Thema Leugnung und Verzerrung des Holocausts am oberen Ende der Interessenskala ansiedeln.
Nicht nur in der Forschungsliteratur und in Erklärungen von Interessengruppen und großen,
internationalen Organisationen, sondern auch bei den AkteurInnen selbst, die für die Veröentlichung
und Nutzung von Inhalten auf den Social-Media-Prolen von Museen und Gedenkstätten zuständig
sind, ist die Aufmerksamkeit nach wie vor groß.
Diese Leitlinien und Empfehlungen wurden auf der Grundlage der Literatur und der Ergebnisse einer
Reihe von Meetings und Fokusgruppen mit ExpertInnen und InteressenvertreterInnen entwickelt,
die in Italien und Deutschland nach einem ganzheitlichen Ansatz durchgeführt wurden. Obwohl
diese Leitlinien evtl. einige kritische Punkte enthalten, wie z. B. die Idee, “akzeptable oder “legitime”
Analogien zum Holocaust zu schaen, verfolgen sie einen multiperspektivischen Ansatz zum Thema
Verzerrung, in der Honung, dass diese Aspekte evtl. bei den Beteiligten auf Resonanz stoßen.
Bevor wir jedoch Empfehlungen zur Verbesserung der Wirksamkeit der von Museen und
Gedenkstätten auf ihren Social-Media-Kanälen ergrienen Maßnahmen vorstellen, werden wir
kurz einige der bisher festgestellten Einschränkungen skizzieren, die die Entwicklung wirksamer
Strategien zur Bekämpfung von Verzerrungen verhindern. Anschließend werden wir eine Reihe von
Strategien vorstellen, die kurz- und langfristig umgesetzt werden können. Da sich diese Leitlinien
und Empfehlungen speziell an Museen und Gedenkstätten für die Nutzung sozialer Medien richten,
lassen wir Maßnahmen außen vor, die von internationalen Organisationen, NROs und organisierten
Interessengruppen weiterentwickelt werden können, wie etwa globale Sensibilisierungskampagnen
oder Vereinbarungen mit Social-Media-Unternehmen.
AKTUELLE EINSCHRÄNKUNGEN
UNGLEICHGEWICHT ZWISCHEN WISSENSCHAFTLICHEN DEBATTEN UND ÖFFENTLICHEM WISSEN
Studien haben gezeigt, dass eine Kluft zwischen dem Wissen der HistorikerInnen, welches auch die
jüngsten Entwicklungen im Bereich der lokalen und internationalen Geschichtsforschung umfasst,
und dem weit verbreiteten Wissen in der allgemeinen Bevölkerung besteht (siehe Lawson, 2017).
Insbesondere wurde darin hervorgehoben, dass jüngere Generationen und SchülerInnen z.T. nur
sehr begrenzte und partielle, wenn nicht gar verzerrte Kenntnisse über die wichtigsten Ereignisse
haben, die die Geschichte des Holocausts von 1933 bis 1945 geprägt haben. So wurde beispielsweise
festgestellt, dass viele SchülerInnen im Vereinigten Königreich nur ein sehr begrenztes Verständnis
34
für die Opfer des Holocausts, ein begrenztes Verständnis für die TäterInnen und ein eingeschränktes
Gefühl für seine Geograe haben. Trotz einer Vielzahl von Initiativen zum Gedenken an den Holocaust
neigen Teile der jungen Generationen dazu, Adolf Hitler als alleinigen Täter zu betrachten, und
bringen einen allgemeinen Mangel an Wissen über andere Konzentrations- und Vernichtungslager
neben Auschwitz-Birkenau zum Ausdruck. Zu den falschen Vorstellungen in der Öentlichkeit,
einschließlich der Erwachsenen, gehört die Vorstellung, dass es in jedem Konzentrationslager
Gaskammern zur Vernichtung der Juden gegeben habe, dass der Holocaust nur in Deutschland und
Polen stattgefunden habe, dass die deutschen Juden einen großen Teil der deutschen Bevölkerung
ausgemacht haben, dass Juden die einzigen Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung gewesen
seien oder dass alle Juden durch Gas getötet worden seien.1
MANGEL AN GEMEINSAMEN GRUNDKENNTNISSEN ÜBER HISTORISCHE EREIGNISSE UND FAKTEN
IN VERSCHIEDENEN LÄNDERN
Obwohl die pädagogische Arbeit zum Holocaust in den Lehrplänen vieler Länder zu einem Thema
geworden ist (Carrier, Fuchs, & Messinger, 2015; Eckmann, Stevick, & Ambrosewicz-Jacobs, 2017;
OSCE, 2006), variieren die Unterrichtsansätze und die Auswahl der Inhalte von Land zu Land stark.
Dies bedeutet, dass das ohnehin begrenzte und umschriebene Wissen der NutzerInnen sozialer
Medien enorm variieren kann und daher bestimmte Formen der Verzerrung bei NutzerInnen in
bestimmten geograschen Gebieten häuger auftreten können als in anderen. In manchen Ländern
(Vereinigte Staaten und Vereinigtes Königreich), die historisch gesehen zu den Alliierten gehörten,
beispielsweise könnte die Rolle der Befreier z.T. stärker betont werden als die Ereignisse in den von
Nazi-Deutschland besetzten Ländern. Ebenso kann es sein, dass die Geschichte des Widerstands
gegen die deutsche Besatzung in den westeuropäischen Ländern z.T. stärker betont werden als die
Massentötungen in Osteuropa (der sogenannte “Holocaust by bullets”) (Lawson, 2017; Vice, 2019).
Schließlich darf nicht vergessen werden, dass widersprüchliche kulturelle Erinnerungen innerhalb ein
und desselben Landes dazu führen können, dass man sich der Geschichte und der Erinnerung an den
Holocaust auf unterschiedliche Weise nähert, möglicherweise mit verzerrenden Ergebnissen, je nach
den politischen oder ideologischen Absichten, die manchmal einer bestimmten Erinnerungspolitik
zugrunde liegen.
OFFENSICHTLICHER SCHWERPUNKT AUF ERINNERUNG UND GEDENKEN UND WENIGER AUF DER
VERMITTLUNG HISTORISCHER INHALTE
Studien haben gezeigt, dass weltweit die Tendenz zu beobachten ist, die Praxis des Gedenkens über
die Vermittlung von solidem Faktenwissen zu stellen, was auf die Rhetorik der vorherrschenden Kultur
und den Zweck der Holocaust-Education in bestimmten Ländern zurückzuführen ist (Lawson, 2017);
im Einklang mit diesem Trend neigen Holocaust-Organisationen und -Museen in manchen Ländern
dazu, Erinnerungs- und Gedenkveranstaltungen gegenüber der Vermittlung historischer Inhalte zu
bevorzugen. Die Verschiedenartigkeit des Ansatzes kann von mehreren Faktoren abhängen, wie: von
der Identität und dem Auftrag des Museums oder der Gedenkstätte (Museen mit dem vorrangigem
1 https://holocaustlearning.org.uk/latest/holocaust-myth-busting-challenging-the-misconceptions/,
zuletzt abgerufen am 10.6.2022 und https://mchekc.org/holocaust-history/misconceptions/, zuletzt
abgerufen am 10.6.2022.
35
Ziel des Gedenkens konzentrieren sich naturgemäß stärker auf Erinnerungsaktivitäten als Museen, die
sich historischen Inhalten widmen; Jaeger, 2020), von der geograschen Lage (in manchen Ländern
kann der Schwerpunkt auf der universellen Achtung der Menschenrechte oder auf dem Vergleich
mit anderen Völkermorden als moralische Lehre liegen) und von der spezischen lokalen Geschichte,
der die Einrichtung gedenken möchte. In all diesen Fällen kann das nicht erwünschte Ergebnis ein
unvollständiges oder uneinheitliches Wissen sein, mit besonderem Schwerpunkt auf bestimmten
historischen Ereignissen oder auf der Art und Weise, wie an sie erinnert wird, was zu einem größeren
Risiko der Verzerrung führen kann.
MATERIALIEN, DIE IM ALLGEMEINEN NICHT FÜR JÜNGERE GENERATIONEN GEEIGNET SIND
Jüngste Studien haben gezeigt, dass die HauptnutzerInnen der wichtigsten sozialen Medien
(Facebook, Twitter und Instagram) Erwachsene sind, hauptsächlich weiblich und mit einem mittleren
bis hohen Bildungsniveau (Manca et al., 2022). Es ist leicht vorstellbar, dass Museen und Gedenkstätten
sich der soziodemograschen Merkmale ihrer durchschnittlichen NutzerInnen bewusst sind und
daher Materialien oder Veranstaltungsankündigungen für diese Zielgruppe vorbereiten. Der
Kommunikationsstil, das lexikalische Register und der Tonfall, die für die Kommunikation verwendet
werden, machen das Material im Allgemeinen eher für ein erwachsenes Publikum geeignet, während
Jugendliche oder junge Erwachsene weniger angesprochen werden, die eher daran gewöhnt
sind, Inhalte durch sehr kurze Videos oder kurze Texte zu erhalten, und die an einen informelleren
Kommunikationsstil gewöhnt sind. Dieser Trend wurde auch in jüngsten Umfragen deutlich, die
zeigen, dass die 16- bis 25-Jährigen in Deutschland sich viel stärker für die NS-Zeit interessieren als
ihre Eltern und dazu neigen, Analogien zwischen der damaligen Zeit und dem heutigen Rassismus
und der Diskriminierung zu ziehen und die Motive der TäterInnen zu untersuchen. Sie wünschen sich
aber auch mehr “Snackable Content”, also Informationen in leicht zu konsumierenden Portionen,
und eine “Verschmelzung von digitalen und analogen” Angeboten, wie z. B. digitale Nachbesuche
von Gedenkstätten (Axelrod, 2022)2. Aktuelle Erfahrungen mit der Nutzung von TikTok durch Museen,
Organisationen und Überlebende zeigen beispielsweise, wie wichtig es ist, Kommunikationsstile
und Medienformate zu übernehmen, die auf ein jüngeres Publikum zugeschnitten sind (Ebbrecht-
Hartmann & Divon, 2022).
BEGRENZTE BIDIREKTIONALE INTERAKTION MIT NUTZER_INNEN SOZIALER MEDIEN
Der Umgang mit umstrittenen Inhalten ist nach wie vor ein komplexes und heikles Thema für
Holocaust-Museen, die sich vor allem damit befassen, Fällen von Leugnung, Verzerrung, Missbrauch
und oberächlichen Darstellungen zu entgegnen und einzugrenzen. WissenschaftlerInnen haben
jedoch auch die “Passivität” von Holocaust-Institutionen hervorgehoben, die aus der Angst vor
Trivialisierung oder Verzerrung und dem Risiko, widersprüchliche Erinnerungen zu beherbergen,
resultiert, was wiederum zu einer übervorsichtigen Haltung von Einrichtungen geführt haben könnte,
wenn es um die Interaktion mit den NutzerInnen geht (Manca, Passarelli & Rehm, 2022; Walden,
2021b). Holocaust-Organisationen scheinen i.d.R. eher eine einseitige Kommunikation und die
2 Weitere Informationen zu dieser Studie nden Sie unter https://enc.arolsen-archives.org/en/study/,
zuletzt abgerufen am 10.6.2022.
36
Verbreitung einer “carefully shaped, widely acceptable message via social media” (Kansteiner, 2017,
S 324) zu bevorzugen. Diese “Passivität” äußert sich in einer geringen Beteiligung an den sozialen
Medien in Form von Veröentlichungen weiterer Inhalte oder Kommentaren zu den Beiträgen anderer
NutzerInnen, während NutzerInnen dazu neigen, Interaktionen zu bevorzugen, die hauptsächlich aus
“Likes” und Shares/Retweets bestehen (Manca, 2021a).
MANGEL AN SPEZIFISCHEM FACHWISSEN IM UMGANG MIT FRAGEN DER VERZERRUNG IN
SOZIALEN MEDIEN
Obwohl Museen und Gedenkstätten in ihren Bildungsprogrammen Anstrengungen und Energie
darauf verwenden, das Problem der Verzerrung anzugehen, erfordert das Format der sozialen
Medien eine geeignete Aufbereitung der Materialien, um sie über diese Medien zu vermitteln. Dies
erfordert passende Kommunikationsformen und bedeutet, dass verschiedene Aufmerksamkeits-
und Bewusstseinsmechanismen aktiviert werden, die eine soziale Medienkompetenz erfordern
(Manca, Bocconi, & Gleason, 2021). Dem Museumspersonal fehlt es jedoch oft an der entsprechenden
Ausbildung, Expertise und Erfahrung, um mit allen Facetten der Social-Media-Kommunikation
umzugehen. Dies stellt eine Herausforderung dar und ruft in Verbindung mit chronisch unterbesetzten
Kommunikationsabteilungen zur Vorsicht bei der Reaktion auf Vorfälle in der Online-Kommunikation
mit aufrührerischen Einzelpersonen und Ansammlungen von Menschen auf. Hinzu kommt, dass trotz
einiger allgemeiner Regeln und struktureller Ähnlichkeiten alle Social-Media-Plattformen nuancierte
Unterschiede in der Nutzung aufweisen. Folglich müssen die KommunikationsmitarbeiterInnen auch
spezische Kenntnisse und Fähigkeiten für jede von ihnen genutzte Plattform erwerben, z. B. Tools
zur Messung der Wirkung sozialer Medien und zur Suchmaschinenoptimierung. Als sozio-technische
Systeme bieten soziale Medien eine Reihe von Benutzungsmöglichkeiten, Einschränkungen und
Ausdrucks- sowie Interaktionsmöglichkeiten, die die NutzerInnen sowohl global als technologische
Kategorie als auch lokal entsprechend den Merkmalen der einzelnen Plattformen beherrschen
müssen (van Dijck, 2013).
BEGRENZTE STRUKTURIERTE UND LANGFRISTIGE INTERAKTION MIT ANDEREN LOKALEN UND
INTERNATIONALEN HOLOCAUSTORGANISATIONEN
Zwar gibt es Verbände oder Organisationen, die verschiedene Museen und Gedenkstätten sowohl
auf nationaler als auch auf internationaler Ebene miteinander verbinden, doch handeln kleinere
Einrichtungen im Allgemeinen einzeln und wenig in Synergie mit ähnlichen Einrichtungen. Dies führt
zu einer Zersplitterung der Erfahrungen und des Fachwissens, selbst nach vielen Jahren der Tätigkeit,
die nicht koordiniert werden können, um bewährte Verfahren zu entwickeln, die mit anderen geteilt
werden können. Zwar sind die Holocaust-Museen oft personell unterbesetzt, und es fehlt ihnen an
Zeit und Ressourcen, um sich umfassend an der (inter-)nationalen Zusammenarbeit zu beteiligen,
doch würde eine Koordinierung dem allgemeinen Anliegen der Bekämpfung von Verzerrungen
zugute kommen und könnte auch die Arbeit und die Belastung auf die beteiligten Parteien verteilen.
PROAKTIVE MASSNAHMEN
VERTIEFUNG DER HISTORISCHEN KENNTNISSE ÜBER DEN HOLOCAUST
Eine der wichtigsten Maßnahmen in dieser Hinsicht ist die Erstellung von weiterführenden
37
Studien- oder Bildungsmaterialien, die über soziale Medien verbreitet werden, um das Wissen
der NutzerInnen (sowohl bei Erwachsenen als auch bei jungen Menschen) zu erweitern. Dabei
kann auf die historischen und pädagogischen Archive der einzelnen Institutionen zurückgegrien
werden und in Zusammenarbeit mit WissenschaftlerInnen und ExpertInnen im Feld der Holocaust-
Forschung faktenbasiertes Material bereitgestellt werden. Aufgrund der Kurzlebigkeit sozialer Medien
besteht Bedarf an einer Art kollektivem, online Gedächtnis, in dem kurze, auf historischen Fakten
basierende Beiträge zusammengestellt und in einen breiteren Kontext eingebettet werden könnten.
Eine Möglichkeit wäre die Bereitstellung von externen Links, z. B. zu Museumswebseiten. Da jedes
Museum seine eigene Geschichte hat, wird es spezische Inhalte zu dieser Geschichte anbieten. Eine
Möglichkeit ist zum Beispiel die Erstellung digitaler Glossare mit wichtigen Fakten über das jeweilige
Museum und seiner Geschichte. Es wird wichtig sein, auf die verschiedenen Phasen einzugehen, die
die Geschichte eines Ortes kennzeichnen können (z. B. könnte der Ort auch ein Internierungslager
für Kriegsgefangene, ein Durchgangslager für Juden oder ein Flüchtlingslager gewesen sein oder
dieser könnte, wenn auch nur teilweise, in ein Lager für deutsche Kriegsgefangene oder Zivilisten
umgewandelt worden sein, die nach der Niederlage Deutschlands des Nazismus beschuldigt wurden).
Dies wird dazu beitragen, an die verschiedenen “Facetten” des Ortes zu erinnern und zu verhindern,
dass einige von ihnen in Vergessenheit geraten und zum Gegenstand von Erinnerungskonikten und
-lücken werden.
ANPASSUNG UND ÜBERSETZUNG VERFÜGBARER MATERIALIEN UND INSTRUMENTE
Die IHRA, die UNESCO und wichtige nationale und internationale Holocaust-Organisationen haben
Berichte, Unterrichtsleitfäden und Hilfsmittel entwickelt, um das Problem der Verzerrung anzugehen
und ganz allgemein über den Holocaust zu lehren und zu lernen. Dieses vorhandene Wissen und
diese Leitlinien stellen Ressourcen dar, die in geeigneter Weise angepasst und ggf. in nationale
Sprachen übersetzt werden können. Die Erweiterung der von der IHRA und anderen großen
Regierungsorganisationen und NROs bereitgestellten Materialien und Hilfsmittel wird die Entwicklung
neuer maßgeschneiderter Anwendungen ermöglichen. Die UNESCO beispielsweise erstellt technische
Leitfäden für Bildungsakteure, die die Beschäftigung mit dem Holocaust, mit Völkermord und
Gräueltaten sowie mit Antisemitismus im weiteren Sinne in ihre Bildungssysteme aufnehmen oder
vertiefen wollen (https://en.unesco.org/themes/holocaust-genocide-education/resources, zuletzt
abgerufen am 10.6.2022). Weitere Beispiele für hilfreiches Material sind #ProtectTheFacts (https://
www.againstholocaustdistortion.org, zuletzt abgerufen am 10.6.2022), der Bericht “Understanding
Holocaust Distortion. Contexts, Inuences and Examples” und das “Toolkit Against Holocaust
Distortion” (https://againstdistortiontoolkit.holocaustremembrance.com/, zuletzt abgerufen am
10.6.2022) von der IHRA. Der Kurzlm “Holocaust Distortion: A Growing Threat” (https://youtu.be/
ovdF4pGhew8, zuletzt abgerufen am 10.6.2022), in dem internationale ExpertInnen untersuchen,
was Holocaust-Verzerrung ist, wie sie sich manifestiert und warum sie eine solche Bedrohung
für das Erbe des Holocausts darstellt, ist derzeit mit Untertiteln in Englisch, Deutsch, Ungarisch,
Italienisch und Slowenisch verfügbar. Ressourcen, die sich auf die Bereitstellung historischer Inhalte
und faktenbasierter Daten konzentrieren, ndet man auf den Websites der wichtigsten Holocaust-
Organisationen (siehe “Fact-checking resources: USHMM, Yad Vashem, Gedenkstätte und Museum
Auschwitz-Birkenau”).
UNTERSUCHUNG DER VORURTEILE UND VOREINGENOMMENHEIT DER NUTZER_INNEN
Die Untersuchung der Vorurteile und Voreingenommenheit z.B. von SchülerInnen beim
38
Besuch von Museen und Gedenkstätten ist ein weiteres nützliches Mittel zur Bekämpfung von
Verzerrungsphänomenen, da sich deren Einstellungen in ihrer Beteiligung an sozialen Medien
widerspiegeln können. MuseumsbetreiberInnen betonen, dass bei der Vorbereitung eines Besuchs
das Wissen, die Meinungen, die Zweifel und die Neugier der BesucherInnen in Bezug auf die zu
behandelnden Themen und Erfahrungen in der Regel im Voraus ausgelotet werden sollten. Im
Allgemeinen bereiten sich die MuseumsmitarbeiterInnen auf die Schülergruppe vor, die sie treen
werden, und stützen sich dabei auf das, was ihnen von den LehrerInnen mitgeteilt oder berichtet
wurde. So wichtig diese Darstellung auch sein mag, die Begegnung mit der Geschichte und den
damit verbundenen menschlichen Problemen im Zusammenhang mit dem Holocaust muss als
Lernprozess konsolidiert werden. Für die PraktikerInnen ist es wichtig, ein klares, artikuliertes Gefühl
dafür zu bekommen, was SchülerInnen denken und wissen. Pädagogische Überlegungen haben
gezeigt, dass Wissen, auch disziplinäres und humanistisches Wissen, eine Konstruktion ist, die in
vielen Kontexten außerhalb des schulischen Umfelds gebildet wird (Coleman, 1990). Insbesondere
nden Begegnungen mit Themen zur Geschichte des Holocausts, mit Fakten, Erlebnissen, politischen
Maßnahmen usw. in vielen Informations- und Kommunikationskontexten und zunehmend auch
in virtuellen und sozialen Kontexten statt, in denen Fake News und Verzerrungen präsent sind,
ob absichtlich oder nicht. Bei der Konstruktion von Wissen und Vorurteilen ist “soziales Kapital”
entscheidend für individuelle Entscheidungen, so dass in den letzten Jahren die Rolle, die kleinere
Beziehungskonstellationen, persönliche Beziehungen, lokale Kulturen und virtuelle Gruppen bei der
Begünstigung/Behinderung des Funktionierens sozialer Systeme spielen, die durch unpersönliche
Normen geregelt zu sein scheinen, immer mehr Beachtung gefunden hat (Luciano, 2003). Daher ist es
wichtig zu ermitteln, welche Instrumente am besten geeignet sind, um eine erste Brücke zwischen den
Wissensbedürfnissen der SchülerInnen und den von den Museen durchgeführten Bildungsinitiativen
zu schlagen. Plattformen der sozialen Medien können daher genutzt werden, um mit SchülerInnen in
Kontakt zu treten, indem sie z.B. um Antworten auf Fragen gebeten werden, die während des Besuchs
behandelt werden. Sich auf die Meinungen der SchülerInnen zu beziehen und ihren Standpunkt
aufzugreifen, schat Engagement, größeres Interesse und erönet Wege, um falsches oder verzerrtes
Wissen oder in der Gesellschaft weit verbreitete Vorurteile zu dekonstruieren. In diesem Sinne sollten
Museen und Gedenkstätten neugierig auf Meinungen aus der Gesellschaft bleiben und überlegen,
welche Formen der Erzählung und Ansichten in den sozialen Medien bereits sichtbar sind und wo
man in einen echten Dialog treten könnte.
BEREITSTELLUNG VON EMPFEHLUNGEN UND BEISPIELEN FÜR LEGITIME ANALOGIEN ODER
VERGLEICHE
Obwohl Analogien zum Holocaust und Vergleiche von PädagogInnen, die sich “nur” dazu verpichten,
korrekte Inhalte und faktenbasiertes Material zu vermitteln, in der Regel als gefährlich empfunden
werden, bleibt das “Lernen mit Beispielen” ein wertvoller pädagogischer Ansatz (Atkinson et al., 2000;
Renkl, 1997). Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, dass Menschen von ihren politischen GegnerInnen als
Nazis, Hitler, Gestapo oder Göring bezeichnet werden, oder dass PolitikerInnen aus dem gesamten
ideologischen Spektrum, einussreiche MedienvertreterInnen und einfache Menschen in den
sozialen Medien die Holocaust-Terminologie beiläug verwenden, um jemanden oder eine Politik zu
beschimpfen, mit der sie nicht einverstanden sind. In Anbetracht all dessen ist es wichtig, “akzeptable”
Analogien oder Vergleiche anzustellen, um über eine allzu vereinfachte Herangehensweise an
die komplexe Geschichte hinauszukommen. Historische Parallelen zur aktuellen Situation oder
zu Ereignissen nach dem Holocaust zu ziehen, bedeutet immer, Ähnlichkeiten und Unterschiede
39
zwischen zwei Ereignissen aufzuzeigen. Gerade bei der Identizierung von legitimen Beispielen ist
es möglich, durch Kontextualisierung auch auf tiefgreifende Unterschiede hinzuweisen, um so klare
Hinweise auf die Legitimität von Vergleichen zu geben. Eine proaktive Vorgehensweise hat in diesem
Fall den unbestreitbaren Vorteil, dass sie akzeptable “Koordinaten” liefert, die von ExpertInnen und
PraktikerInnen bestätigt werden. Ein mögliches Ergebnis könnte beispielsweise ein Dekalog sein, der
darauf abzielt, den Fehler der Verleugnung und der Geschichtsmanipulation zu vermeiden, ähnlich
wie der Dekalog für eine nicht feindselige Kommunikation, der in einigen Ländern verabschiedet
wurde.
UNTERSTÜTZUNG BEI DER ERKENNUNG VON FAKE NEWS UND BEI DER ENTWICKLUNG KRITISCHER
DIGITALER KOMPETENZ FÜR NUTZER_INNEN
Fake News, (Falsch-)Informationen und eine postfaktische Kultur sind allesamt gesellschaftliche
Entwicklungen, die durch die zunehmende Nutzung und den Einuss sozialer Medien auf unser
tägliches Leben angeheizt wurden (Mihailidis & Viotty, 2017). Während diese Phänomene in fast
allen Arten von Inhaltsbereichen zu nden sind, sind ihre Auswirkungen auf die Erinnerung und
das Gedenken an den Holocaust unumstritten. Der “COVID-19 Yellow Star” ist ein Beispiel dafür, wie
Einzelpersonen soziale Medien nutzen, um falsche Informationen zu verbreiten und das Gedenken an
den Holocaust für ihre eigenen Zwecke zu missbrauchen3. Ausgehend von diesen Entwicklungen kann
argumentiert werden, dass Holocaust-Gedenkstätten und -Museen wertvolle Beiträge leisten können,
um der Verbreitung dieser Art von Informationen entgegenzuwirken, indem sie nicht nur sachlich
korrekte Informationen anbieten, sondern auch zur Entwicklung einer kritischen digitalen Kompetenz
bei den NutzerInnen beitragen. Digitale Kompetenz ist eine Variante der Medienkompetenz und kann
in i) funktionale und ii) kritische, digitale Kompetenz unterteilt werden (Polizzi, 2020). Während es
bei der funktionalen, digitalen Kompetenz um praktische Fähigkeiten geht, z. B. wie man sich an
Online-Diskussionen beteiligt, geht es bei der kritischen, digitalen Kompetenz um das Verständnis der
NutzerInnen für gesellschaftliche Entwicklungen und Umstände. Sie erfordert von den NutzerInnen,
dass sie darüber nachdenken und verstehen, wie sich die sozialen Medien auf die Demokratie und die
bürgerliche und politische Beteiligung auswirken (Fry, 2014). Um auf das Beispiel des “Gelben Sterns
von COVID-19” zurückzukommen, haben WissenschaftlerInnen wie u.a. Salzani (2021) diese Art von
Vergleich als “triviali[zing] and dishonor[ing] the memory of those who suered true persecution: it
amounts to a banalization of both Nazism and its persecution of the Jews, diluting the truth of their
horror and obscuring the comprehension of their historical reality and meaning” (S. 2) referenziert.
Gerade unter solchen Umständen können Holocaust-Gedenkstätten und -Museen eine wichtige Rolle
bei der Förderung der kritischen, digitalen Kompetenz der Menschen spielen, indem sie z.B. über die
Bedeutung des gelben Sterns während des NS-Regimes informieren, die wesentlichen Unterschiede
zwischen den Situationen hervorheben und diese Diskussion um relevante Perspektiven erweitern.
Dies könnte dann einen Reexionsprozess bei den Menschen auslösen und möglicherweise einen
kritischeren, vorsichtigeren Konsum von Informationen aus den sozialen Medien fördern.
3 Vgl. https://www.againstholocaustdistortion.org/news/debunking-inappropriate-holocaust-com-
parisons-the-covid-19-yellow-star, zuletzt abgerufen am 10.6.2022.
40
FÖRDERUNG UND AUSBAU DER DIGITALEN ERINNERUNGSKULTUR
Die Erinnerungskultur ist in den neuen Medien seit langem präsent. Die Frage, wie man sich
erinnern soll, steht im Mittelpunkt des öentlichen und wissenschaftlichen Diskurses und bildet eine
fortwährende Diskussion. Walden (2021a) spricht von einer “immer noch erheblichen Spannung”
zwischen oziellen und nicht-fachlichen Interpretationen der Erinnerungskultur. Neue Wege zur
Stärkung der Erinnerungskultur bestehen darin, neue Zielgruppen anzusprechen und auch bestehende
AkteurInnen im Erinnerungskontext zu vernetzen. Dabei sollten lokale Erinnerungspraktiken auch
mit digitalen Erinnerungsformaten verknüpft werden. Live-Touren sind ein gutes Beispiel für eine
synchrone Verbindung zwischen dem Erinnerungsort und dem digitalen Erinnerungsort (Ebbrecht-
Hartmann, 2021). Digitales Gedenken ermöglicht die Überwindung von Grenzen, wodurch die
Distanz zwischen den TeilnehmerInnen und dem Erinnerungsort an Relevanz verliert. Die Technologie
der sozialen Medien erönet auch neue Formen der Interaktion mit den Teilnehmern. Das “Liken” und
Kommentieren könnte, so die eigene Erinnerung gemeinsam mit anderen Formen des Erinnerns zum
Ausdruck bringen. Angesichts der abnehmenden Zahl von ZeitzeugInnen sind digitale Formate mit
persönlichen Erinnerungen besonders wichtig (Hogervorst, 2020; Shandler, 2017).
KENNEN UND ANSPRECHEN VON JÜNGEREN ZIELGRUPPEN
Eine kürzlich durchgeführte Umfrage hat ergeben, dass 80 % der Jugendlichen vor einer pädagogischen
Behandlung vom Holocaust gehört hatten, wobei fast die Hälfte von ihnen in den sozialen Medien
über den Holocaust gelesen hatte. Sie seien auch von Leugnungen des Holocausts beeinusst: Ein
Drittel der Befragten ist der Meinung, dass die Zahl der getöteten Juden übertrieben worden sei, oder
bezweifelt, dass der Holocaust überhaupt stattgefunden habe (Lerner, 2021). Wie bereits erwähnt, ist
die junge Generation häuger mit falschen Vorstellungen oder einem allgemeinen Mangel an Wissen
über den Holocaust konfrontiert. Daher können Holocaust-Museen einen wichtigen Beitrag zum
Kampf gegen Verzerrungen und Fehlinformationen leisten, indem sie sich in ihren Bemühungen direkt
an die jüngere Generation wenden. Soziale Medienkanäle können bei der Erreichung dieses Ziels eine
wichtige Rolle spielen, da jüngere Generationen einen großen Teil ihrer Nutzerschaft ausmachen. Es
reicht jedoch nicht aus, die gleichen Informationen auf verschiedenen Plattformen zu teilen und zu
verbreiten. Holocaust-Museen sollten anerkennen, dass jüngere Generationen in den sozialen Medien
eher “snackable content” (Axelrod, 2022) erwarten oder dass “there is still substantial tension between
ocially accepted memory discourse as acknowledged and practised by Holocaust institutions and
promoted by transnational organisations such as the International Holocaust Remembrance Alliance
(the IHRA), and other forms of non-expert productions that become increasingly visible in digital
spaces” (Walden, 2021a, S. 6). Darüber hinaus muss jede geteilte Information auch der Sprache dieser
zeitgenössischen Kommunikationskanäle entsprechen (Jonsson, Årman, & Milani, 2019). Mit anderen
Worten: Wenn Museen mit jüngeren Generationen in Kontakt treten möchten, müssen sie sich dessen
bewusst und auch in der Lage sein, “ihre Sprache zu sprechen” und sich in den für sie relevanten
sozialen Medien zu engagieren (Walden, 2021a). Bekannte Beispiele sind unter anderem das Projekt
Eva Stories auf Instagram (Henig & Ebbrecht-Hartmann, 2022), das Projekt #Uploading_Holocaust auf
YouTube (Ebbrecht-Hartmann & Henig, 2021) und die verstärkte Nutzung von TikTok durch Holocaust-
Museen (Divon & Ebbrecht-Hartmann, 2022).
41
AKTIVE EINBINDUNG DER FOLLOWER_INNEN/FANGEMEINDE
Die stärkere Konzentration auf die Aktivierung der NutzerInnen und die Schaung einer Gemeinschaft
bringt denjenigen, die Social-Media-Seiten verwalten, eine Reihe von Vorteilen. Die NutzerInnen
erhalten nicht nur eine stärkere Anerkennung für die auf diesen Seiten verbrachte Zeit, sondern die
Webseiten selbst können als wertvolle Ressource zur Verringerung von Verzerrungen wahrgenommen
werden. Denn innerhalb einer Gruppe oder einer Gemeinschaft werden die Normen für angemessenes
Verhalten kollektiv ausgehandelt: NutzerInnen setzen die Grenzen für einen angemessenen
Diskurs und ein angemessenes Verhalten durch eine Reihe sozialer Sanktionen, Belohnungen und
Bestrafungen, die typischerweise in Form von “Likes”, “Reshares”/”Retweets” oder negativen Emojis
und scharfen Kommentaren ausgedrückt werden, oder durch die Meldung von Inhalten an den/
die Moderator/in der Gemeinschaft oder der Plattform. Außerdem können NutzerInnen sozialer
Medien die Wahrnehmung anderer auf einer Plattform beeinussen: Untersuchungen zeigen, dass
nutzergenerierte “soziale Korrekturen”, wie Kommentare, die falschen Behauptungen widersprechen,
wirksam zur Verringerung von Fehlwahrnehmungen beitragen, insbesondere wenn die Kommentare
von einer glaubwürdigen Quelle begleitet werden. Andererseits erfordern eine aktive Beteiligung
der FollowerInnen und die Schaung einer Nutzergemeinschaft die Gewährleistung der Sicherheit
für die NutzerInnen, die das Gefühl haben sollten, dass sie sich frei äußern können und sowohl von
Gleichaltrigen als auch von den AdministratorInnen/ModeratorInnen der sozialen Seite oder des
Prols unterstützt werden. Eine zusätzliche Maßnahme könnte z. B. darin bestehen, die NutzerInnen
gelegentlich einzuladen, bestimmte Fragen in sozialen Foren zu diskutieren und zu erörtern. Das
Empowerment der Erinnerungsgemeinschaft zielt auch darauf ab, die Gemeinschaft selbst zu stärken,
damit sie die Erinnerungskultur und die Arbeit der Gedenkstätten als wichtig empndet. Sie müssen in
ihrer Meinung und ihrem Wissen unterstützt werden und auch einen angemessenen Raum erhalten.
EINBINDUNG VON INFLUENCER_INNEN ZUR STEIGERUNG DER BEKANNTHEIT
InuencerInnen sind in der Regel Personen, die auf ihren Social-Media-Accounts eine große Anzahl
von AnhängerInnen haben und diese Popularität nutzen, um diese Anhängerschaft zu beeinussen
oder zum Kauf bestimmter Produkte oder Dienstleistungen zu anzuregen. Im Zusammenhang mit
der Erinnerung an den Holocaust und der Aufklärung kann der Einsatz von InuencerInnen eine
gute Strategie sein, um das Bewusstsein für das Problem zu schärfen und die Unkenntnis über
historische Fakten zu verringern. InuencerInnen können den Bekanntheitsgrad von Inhalten
erhöhen und ein größeres Publikum erreichen, die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen verbessern
und die Inhaltsstrategie durch Personalisierung und Storytelling bereichern. Der Einsatz eine/s
Inuencers/in zum Start einer Social-Media-Kampagne ist eine beliebte Strategie, um Social-Media-
NutzerInnen anzusprechen und den Weg einer Seite zu einem größeren Publikum zu beschleunigen.
Die sorgfältige Auswahl potenzieller InuencerInnen hat den zusätzlichen Vorteil, dass sich die
Reichweite, Authentizität und Persönlichkeit von Personen zunutze gemacht werden kann, die sich
in einer bestimmten Nische mit einer bestimmten Zielgruppe eine eigene Anhängerschaft aufgebaut
haben.
42
ZUSAMMENARBEIT UND KOOPERATION ZUR STEIGERUNG DER WIRKUNG UND ZUM
INFORMATIONSAUSTAUSCH
Untersuchungen haben gezeigt, dass sich viele Museen bereits gegenseitig folgen (Manca, 2021b;
Rehm, Manca, & Haake, 2020), aber eine stärkere Zusammenarbeit, z. B. im Rahmen von Gedenktagen
oder gemeinsamen Aktionen, könnte weitere Möglichkeiten erönen. Die Zusammenarbeit mit
größeren Museen würde es “kleineren” Museen ermöglichen, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen
und mehr NutzerInnen zu erreichen. Kampagnen und Veranstaltungen können gemeinsam geplant
und durchgeführt werden4. Die zunehmende Präsenz und Aktivität von Museen in sozialen Medien
macht es sinnvoll, sich auszutauschen und stärker zu vernetzen, zum Beispiel in speziellen (digitalen)
Arbeitsgruppen. Auf diese Weise könnten allgemeine Probleme und neue Entwicklungen diskutiert
und Strategien koordiniert werden.
REAKTIVE MASSNAHMEN
BEREITSTELLUNG VON MATERIALIEN ODER RESSOURCEN FÜR WEITERE STUDIEN AUF DER
GRUNDLAGE EINES VERZERRENDEN EREIGNISSES
Die Bereitstellung von vertiefenden Materialien oder Ressourcen auf Anfrage oder im Falle von
verzerrenden Kommentaren/Beiträgen ist eine reaktive Maßnahme, die den unbestreitbaren
Vorteil hat, dass sie die NutzerInnen direkt anspricht und ihnen Handlungsmöglichkeiten in der
Interaktion gibt. Die Bereitstellung von zusätzlichem Material, um Ungenauigkeiten “korrigieren” oder
Wissenslücken zu schließen, kann entweder öentlich erfolgen, so dass auch andere NutzerInnen
davon protieren können, oder privat, z.B. wenn man die betreende Person nicht öentlich
herabsetzen möchte.
BLOCKIEREN ODER ENTFERNEN VON BEITRÄGEN/KOMMENTAREN, WENN DIE ABSICHT EINDEUTIG
PROVOKATIV IST ODER EINEN SELBSTZWECK DARSTELLT
Wenn festgestellt wird, dass andere, positivere Maßnahmen nicht ergrien werden können, bleibt
manchmal nur die Sperrung oder das “Blocken” des/der Nutzers/in, der/die sich mit Hassrede oder eines
eindeutig verzerrenden Verhaltens geäußert hat, oder das Löschen der beleidigenden Kommentare
oder Beiträge. Auch wenn dies eine extreme Maßnahme ist, die nicht überstrapaziert werden sollte,
so ist sie doch ein wichtiges Instrument in den Händen von AdministratorInnen und ModeratorInnen,
die ansonsten nicht in der Lage sind, die Online- und Fernkommunikation zu steuern, bei der es an
paraverbaler und nonverbaler Kommunikation mangelt.
4 Ein aktuelles Beispiel für eine plattformübergreifende Social-Media-Kampagne, die von mehreren
Institutionen gemeinsam durchgeführt wurde, ist #75liberation / #75befreiung.
43
RESSOURCEN ZUR ÜBERPRÜFUNG DER FAKTEN: USHMM, YAD VASHEM,
GEDENKSTÄTTE UND MUSEUM AUSCHWITZBIRKENAU
Ein kurzer Blick auf die Geschichte der Nutzung sozialer Medien durch die drei größten
Institutionen auf internationaler Ebene - das United States Holocaust Memorial Museum, Yad
Vashem und die Gedenkstätte und das Museum Auschwitz-Birkenau - zeigt, dass sie alle 2008-
2009 mit der Nutzung von Facebook, 2007-2012 mit der Nutzung von Twitter und 2007-2012
mit der Nutzung von Instagram begonnen haben. Bei der Untersuchung ihrer Aktivitätsmuster
in den drei sozialen Medien wurde festgestellt, dass sie auf Twitter aktiver sind als auf Facebook
und Instagram, wobei die Gedenkstätte und das Museum Auschwitz-Birkenau auf Twitter
eine herausragende Stellung einnehmen (Manca, 2021). Auf Facebook zeigt das United States
Holocaust Memorial Museum mehr Interaktivität mit seiner Fangemeinde als die beiden anderen,
während das Auschwitz-Birkenau Museum auf Twitter ein höheres Maß an Interaktivität aufweist.
In diesem Sinne gilt Facebook als Wahlplattform für eine detailliertere “Geschichtserzählung” mit
ausführlichen Beschreibungen von Ereignissen und Personen, während Instagram attraktiver
für Live-Veranstaltungen und das Teilen von Bildern, Geschichten und Filmen zu sein scheint,
die von Museumsbesuchern, wie im Fall des ehem. KZ Auschwitz (Dalziel, 2021), oder von den
Institutionen selbst aufgenommen wurden. Twitter wird bevorzugt, wenn es darum geht, mit
anderen Institutionen in Kontakt zu treten, aber auch, um Online-Ressourcen wie virtuelle
Rundgänge und Bildungsressourcen zu bewerben. Trotz dieser Unterschiede sind die sozialen
Seiten der Einrichtungen eine gute Quelle für Informationen zu einer Vielzahl von historischen
Themen. Links, die Zugang zu ihren Webseitens gewähren (von denen jede einen reichhaltigen
Abschnitt mit Informationen zu einer Vielzahl von Themen enthält), bieten denjenigen
NutzerInnen eine Möglichkeit sich weiter zu informieren, die sich nicht mit einer kurzen
Beschreibung in einem Post oder Tweet zufrieden geben: Die Holocaust-Enzyklopädie (https://
encyclopedia.ushmm.org/, zuletzt abgerufen am 10.6.2022), die digitalen Sammlungen von Yad
Vashem (https://www.yadvashem.org/collections.html, zuletzt abgerufen am 10.6.2022) mit der
Shoah Names Database (https://yvng.yadvashem.org/, zuletzt abgerufen am 10.6.2022) und der
Righteous Database (https://righteous.yadvashem.org/, zuletzt abgerufen am 10.6.2022) sowie
die Virtual Tour of Auschwitz-Birkenau (https://panorama.auschwitz.org/, zuletzt abgerufen am
10.6.2022) sind allesamt wertvolle Ressourcen für SchülerInnen und LehrerInnen. Jede dieser
Institutionen verfolgt einen anderen Ansatz und eine andere Philosophie in Bezug auf das
Gedenken an den Holocaust, was sich auch in der Auswahl der Inhalte in den sozialen Medien
widerspiegelt (siehe Dalziel, 2021): Das USHMM ist eher konfrontativ und aktuell, Yad Vashem
konzentriert sich mehr auf jüdische Themen im Zusammenhang mit der Shoah und das Museum
Auschwitz-Birkenau auf persönliche Geschichten der Opfer und das Schicksal einzelner Häftlinge.
44
DIE VIRTUELLE GEMEINSCHAFT DES MUSEUMS AUSCHWITZBIRKENAU
Die Gedenkstätte und das Museum Auschwitz-Birkenau ist ein Pionier bei der Nutzung sozialer
Medien durch Einrichtungen zur Erinnerung an den Holocaust. Das Museum nutzt soziale Medien,
um Bildungsprogramme und Gedenkveranstaltungen zu bewerben, indem es die Online-
Gemeinschaft über die alltägliche Geschichte des Lagers informiert und FollowerInnen und Fans
in Feierlichkeiten, Veranstaltungen und Jahrestage mit einbezieht. Auf Twitter veröentlicht das
Museum beispielsweise täglich eine kurze Notiz über einen Auschwitz-Häftling, die/der an diesem
Tag geboren wurde oder gestorben ist. Dies entspricht dem üblichen Ansatz für das Lehren und
Lernen über den Holocaust, der auf der “Humanisierung von Holocaust-Statistiken” beruht.
Twitter ist auch die Plattform der sozialen Medien, auf der das Museum mit über 1,3 Millionen
FollowerInnen die größte Anhängerschaft hat und auf der die Mission, gegen Formen der
Holocaust-Leugnung, Holocaust-Verzerrung, Fehlinformation und Verherrlichung zu kämpfen,
am deutlichsten wird. So haben beispielsweise die Twitter-Kampagnen des Museums gegen
Holocaust-Leugnung und Antisemitismus bei einigen Kampagnen gegen die Verharmlosung des
Holocausts durch junge NutzerInnen auf anderen sozialen Plattformen ein beachtliches Echo bei
den NutzerInnen der sozialen Medien hervorgerufen. Ein aktives Engagement im Kampf gegen
Formen der Verzerrung ist angesichts der jüngsten Angrie von polnischen rechtsgerichteten
Aktivisten und Politikern nicht ohne Risiken und Gefahren (Manikowska, 2020). Die Stärke des
Museums ist jedoch seine Online-Gemeinschaft von NutzerInnen, die verzerrende Tweets und
Tweets melden, die die Aufmerksamkeit des Museums verdienen, welches dazu bereit ist, darauf
zu reagieren. Die Validierung der NutzerInnenerfahrungen umfasst die direkte Kommunikation
mit einzelnen NutzerInnen oder die Weiterverbreitung von verizierten Inhalten, die von
Einzelpersonen auf Twitter und Instagram geteilt werden (Dalziel, 2021). Auf Twitter bittet das
Museum gelegentlich seine FollowerInnen um Feedback und Debatten zu Darstellungen des
ehemaligen Lagers, oder es retweetet ganz allgemein Inhalte von anderen NutzerInnen und
ermutigt andere, dem Account zu folgen. Erstaunlich für eine Institution dieser Größe und
angesichts der Intensität ihrer Social-Media-Aktivitäten werden die Accounts des Museums
(Facebook, Twitter und Instagram) von einer einzigen Person verwaltet, dem Pressesprecher und
ehemaligen Journalisten Paweł Sawicki, der fast vollständig für das Social-Media-Management
des Museums verantwortlich ist. Der Erfolg dieser intensiven Aktivität auf den verschiedenen
Social-Media-Kanälen kann also weniger in einem großen Personalbestand als vielmehr in der
aktiven Beteiligung der NutzerInnen liegen, die das Museum zu generieren vermochte. Im
Allgemeinen gibt es neben den vielen Vorteilen auch mögliche Herausforderungen, die kürzlich
analysiert wurden (Dalziel, 2021). Die Verwaltung verschiedener sozialer Kanäle durch einzelne
Personen birgt die Herausforderung, dass ein/e einzige/r ozielle/r Vertreter/in eines Museums
in den sozialen Medien dazu neigen kann, seine/ihre persönliche Sichtweise einzubringen,
sowohl bei der Bewertung von Fällen von Verzerrungen als auch bei der Stellungnahme
gegenüber bestimmten “unorthodoxen” Gedenkphänomenen. Darüber hinaus: “despite the
intention to reach as wide an audience as possible and create content that is universally relevant,
certain groups within this audience are sometimes the subject of criticism, and followers’
counterarguments to these denouncements are rejected or dismissed” (Dalziel, 2021, S. 180). Es
45
DER HOLOCAUST AUF TIKTOK EIN SCHMALER GRAT ZWISCHEN
AKTUALITÄT UND ABSURDITÄT
TikTok ist nach wie vor eines der am schnellsten wachsenden Social-Media-Netzwerke auf
globaler Ebene. Obwohl die NutzerInnen sehr unterschiedlich sind, wird TikTok hauptsächlich
von jüngeren Generationen genutzt. Es bietet daher eine wertvolle Gelegenheit für Holocaust-
Museen, mit diesen Generationen in Kontakt zu treten und einen Beitrag zur Bekämpfung von
Fehleinschätzungen, Fehlinformationen und Verzerrungen zu leisten. Die Notwendigkeit, auf
TikTok aktiver zu werden, wird umso deutlicher, wenn man die beträchtliche Zunahme von
Hassreden und die alarmierende Präsenz antisemitischer Nachrichten bedenkt (Weimann &
Masri, 2021). Da TikTok von der Jugendkultur dominiert wird, wird es auch ständig für Trends
und Herausforderungen genutzt. Im Zusammenhang mit dem vorliegenden Dokument ist
die #Holocaustchallenge eine der bemerkenswertesten. Diese Challenge hat unter Holocaust-
Überlebenden zu großer Verärgerung geführt, da Jugendliche traumatische Situationen
nachstellten, die oft zu Inhalten führten, die von Institutionen wie Yad Vashem und dem
USHMM als respektlos oder trivialisierend bezeichnet wurden1. Die Frage, ob und in welcher
Form Reenactment stattnden sollte, ist derzeit Gegenstand intensiver Debatten. Trotz
dieser Rückschläge und oensichtlichen Schwierigkeiten bei der Nutzung von TikTok für die
Auseinandersetzung mit dem Thema Holocaust-Erinnerung und -Gedenken gibt es jedoch
auch gute Beispiele für die Beteiligung junger Menschen an der Erinnerungskultur auf TikTok.
Darüber hinaus erönet TikTok auch die Möglichkeit, junge Menschen zu erreichen, z. B. indem
AugenzeugInnen selbst zu UrheberInnen werden. Eines der prominentesten, positiven Beispiele
ist der TikTok-Account von Lily Ebert2, einer 98-jährigen Holocaust-Überlebenden, die den
Account zusammen mit ihrem Urenkel Dov Forman betreibt. In ihren Beiträgen beantwortet sie
Fragen ihrer FollowerInnen, spricht über ihr heutiges Leben und die Schrecken, die sie während
ihrer Gefangenschaft in Auschwitz3 ertragen musste. Auch der Jüdische Weltkongress4, sowie
Gedenkstätten wie die KZ-Gedenkstätte Neuengamme5, die Gedenkstätte Bergen-Belsen6 und
die Gedenkstätte Mauthausen7 nutzen TikTok eektiv, um gegen verschiedene Formen von
Fehlinformationen vorzugehen, indem sie sachliche Informationen bereitstellen, um falsche
Vorstellungen zu korrigieren und Einblicke in die schrecklichen Umstände zu geben, unter
denen die Häftlinge in den Lagern gehalten wurden.
ist daher wünschenswert, dass Verbesserungen angestrebt werden, um die Online-NutzerInnen
stärker einzubeziehen, ihnen mehr Bedeutung zu verleihen und sie zu befähigen, indem einige
Formen der Autorität und mögliche ‘rhetorische’ Töne in der Kommunikationspraxis abgebaut
werden und weitere Rückmeldungen von den BesucherInnen eingeholt und individuelle
Interpretationen von Erinnerung und Reexion nach Möglichkeit anerkannt werden.
46
“EVA STORIES“: EINE NEUE UMSTRITTENE ART DES GEDENKENS
Wie bei TikTok hat die Erinnerung und das Gedenken an den Holocaust auf Instagram in den letzten
Jahren stark zugenommen. WissenschaftlerInnen haben dies auf einen Generationswechsel im
Gedenken zurückgeführt, bei dem jüngere Generationen “ihre” Plattformen nutzen, um des
Holocausts zu gedenken (Commane & Potton, 2019). Interessanterweise hat diese Generation
meist keine biograsche Verbindung zum Holocaust (Łysak, 2021), was zu Formen des Gedenkens
geführt hat, die von verschiedenen AkteurInnen ganz unterschiedlich wahrgenommen werden.
Ein solches Beispiel, das viel diskutiert wurde, ist das Projekt “Eva Stories”, eine private Initiative
des israelischen Medienunternehmers Mati Kochavi und seiner Tochter Maya8. Obwohl die
Debatte darüber noch im Gange ist, halten wir “Eva Stories” für ein positives Beispiel dafür,
wie die Möglichkeiten der sozialen Medien, in diesem Fall Instagram, genutzt werden können,
um jüngere Generationen zu erreichen und historische Informationen in die Gegenwart zu
übertragen, wobei eine moderne Sprache und Terminologie verwendet wird. In Anlehnung an
die Arbeit von Henig und Ebbrecht-Hartmann (2022) kann dies besonders wirkungsvoll sein,
da es immer weniger ZeitzeugInnen gibt, die über ihre Erlebnisse berichten können und daher
die Möglichkeiten, Fragen zum täglichen Leben auf eine nachvollziehbare Weise zu stellen,
abnehmen.
1 https://memoscape.net/the-holocaust-on-tiktok-the-importance-of-context/, zuletzt abgerufen am
10.6.2022.
2 https://www.tiktok.com/@lilyebert , zuletzt abgerufen am 10.6.2022.
3 Other Holocaust survivors who are using TikTok are Tova Friedman (https://www.tiktok.com/@
tovafriedman) and Gideon Lev (https://www.tiktok.com/@thetrueadventures) , zuletzt abgerufen am
10.6.2022.
4 https://www.tiktok.com/@worldjewishcongress, zuletzt abgerufen am 10.6.2022.
5 https://www.tiktok.com/@neuengamme.memorial , zuletzt abgerufen am 10.6.2022.
6 https://www.tiktok.com/@belsenmemorial, zuletzt abgerufen am 10.6.2022.
7 https://www.tiktok.com/@mauthausenmemorial, zuletzt abgerufen am 10.6.2022.
SCHLUSSFOLGERUNGEN UND
EMPFEHLUNGEN
MUSEO NAZIONALE DELL’EBRAISMO ITALIANO E DELLA SHOAH MEIS
49
DEN HOLOCAUST ALS EINZIGARTIGES ODER NOCH NIE DAGEWESENES EREIGNIS ZU
BETRACHTEN, OHNE SICH EINER BESTIMMTEN DENKSCHULE ZU VERSCHREIBEN
Oft im Licht gewisser Phänomene der Verzerrung oder Trivialisierung könnte die Idee aufkommen, die
Voraussetzung zu missachten, die den Holocaust als einzigartiges oder noch nie dagewesenes Ereignis
betrachtet. Diese beiden Positionen sind noch immer Gegenstand wissenschaftlicher Debatten,
und je nachdem, welche Position man einnimmt, können auf verschiedenen Ebenen Vergleiche
und Parallelen gezogen werden. Es ist wichtig zu erkennen, dass Menschen implizite oder explizite
Überzeugungen haben können, die sie dazu bringen, die eine Position der anderen vorzuziehen. Eine
gewisse Flexibilität im Umgang mit Verzerrungsphänomenen, die ein breites Spektrum von Positionen
und Nuancen innerhalb dieser verschiedenen Erkenntnistheorien widerspiegeln können, wird daher
empfohlen, ebenso wie die Anerkennung multidirektionaler Perspektiven und die Anerkennung von
Grauzonen und Grenzbereichen möglicher Verzerrung.
KONZENTRATION AUF NATIONALE ODER LOKALE BESONDERHEITEN DER HOLOCAUST
VERZERRUNG
Formen der Verzerrung können in verschiedenen Ländern oder sogar innerhalb desselben Landes
auftreten, insbesondere wenn die Erinnerung an den Holocaust politisiert oder ideologisiert wurde.
Es ist daher wichtig, sich der unterschiedlichen Vermächtnisse des Holocausts in verschiedenen
geograschen, kulturellen und sozialen Kontexten bewusst zu sein, um wirksame Maßnahmen
zur Eindämmung von Verzerrungen zu entwickeln. Ein größeres Risiko der Verzerrung besteht in
Not- oder Krisensituationen, da je nach historischer Erfahrung der betreenden Gemeinschaft oder
Gruppe Parallelen oder Vergleiche zwischen der Vergangenheit und einer aktuellen Situation (Krieg
oder drohender Konikt, Wirtschaftskrise, Gesundheitsnotstand usw.) gezogen werden. Unter den
dramatischen historischen Ereignissen des letzten Jahrhunderts ist jedoch nur die Erinnerung an den
Zweiten Weltkrieg als globaler und totaler Krieg in der öentlichen Vorstellung ständig präsent und
bietet eine Vielzahl möglicher Narrative und Erinnerungen. Und in diesem Szenario ist der Holocaust
auch achtzig Jahre danach noch für viele Menschen, auch für junge Menschen, ein fesselndes Thema,
gerade weil es ein Ereignis war, welches eine universelle, menschliche Bedeutung hat und auch heute
noch Auswirkungen auf alle Bereiche des individuellen und öentlichen Lebens hat (Herrschaft,
Umwälzung der Gesellschaft, Ideologie und Macht, Menschen in Momenten des geistigen Aufstiegs
und Niedergangs, Verlust und Zerstörung, ausgeklügelte Tötungsmechanismen und Kriege, die
jahrelang andauern und Opfer in unfassbarem Ausmaß fordern). Aber gerade deshalb eignet es
sich, im Gegensatz zu anderen dramatischen, historischen Ereignissen, mehr als andere dazu, auf
verschiedene Weise verzerrt oder trivialisiert zu werden.
ERKENNEN DES UNTERSCHIEDS ZWISCHEN ABSICHTLICHER VERZERRUNG UND VERZERRUNG
AUFGRUND MANGELNDER KENNTNISSE
Während einige Verzerrer, Verfälscher und Leugner Inhalte absichtlich für verschiedene Zwecke
missbrauchen (um Sichtbarkeit oder Konsens zu erlangen, um eine empörte oder beleidigte Reaktion
zu provozieren, um Hassreden oder antisemitisches Gedankengut zu verbreiten usw.), gibt es viele,
denen es an soliden historischen Kenntnissen oder den Kompetenzen fehlt, Parallelen und Vergleiche
zu ziehen. Andere sind vielleicht einfach eine “leichte Beute” für Reduktionismus (siehe z. B. die
“Reductio ad Hitlerum”, auch bekannt als das Ausspielen der “Nazi-Karte”, um den Standpunkt eines
50
anderen mit der Begründung zu entkräften, dass Adolf Hitler oder die Nazipartei dieselbe Ansicht
vertraten) oder andere Formen des Assoziationsfehlschlusses. Es ist wichtig, sich dieser Unterschiede
bewusst zu sein, auch wenn sie nicht immer leicht zu erkennen sind, und Abhilfemaßnahmen zu
ergreifen, damit der Teil der Bevölkerung, der nicht erreicht werden kann, blockiert wird, während
diejenigen, die vielleicht gute Absichten haben, aber schlecht informiert sind, angesprochen werden
können.
SORGFÄLTIGES GLEICHGEWICHT ZWISCHEN AKTIVER BETEILIGUNG DER NUTZER_INNEN UND
DEM VERBOT VON ‘TROUBLEMAKERS’
Eine zeitnahe, sorgfältige Moderation als Balanceakt zwischen aktivem Engagement und/oder dem
Blockieren/Löschen von Beiträgen ist ein Handwerk, das erlernt werden kann, vorausgesetzt, man
hat die dazu erforderlichen Fähigkeiten in digitaler Kommunikation und Sozialpsychologie erworben.
Das Gleichgewicht zwischen diesen beiden Strategien hängt natürlich von den Merkmalen der
Gemeinschaft und der Art der auf den verschiedenen Plattformen angesprochenen Zielgruppe
ab. Einige Plattformen lassen die eine Strategie leichter zu als die andere umsetzen, aber es sollte
nicht vergessen werden, dass die Ressourcen, die dem mit der Moderation betrauten Personal zur
Verfügung stehen, ebenfalls für die richtige Mischung ausschlaggebend sind. Je mehr Ressourcen zur
Verfügung stehen, desto eher ist eine konstruktive Interaktion und Reaktion möglich.
FRAGEN STELLEN UND NICHT SCHULDGEFÜHLE WECKEN
Vermeiden Sie schuldbeladene Töne, die bei denjenigen, die noch kein ausreichendes Bewusstsein
und keine Sensibilität für den Holocaust entwickelt haben, Ablehnung hervorrufen könnten. Der Ton
sollte nicht institutionell sein, und die Arbeit sollte den Dialog fördern und auch ggf. Fehler zugeben.
Es ist wichtig, einen Raum zu schaen, der den Dialog und das Verständnis fördert, und weniger einen
Ort, an dem andere angegrien und verurteilt werden, insbesondere bei denjenigen, die sich zum
ersten Mal mit dem Thema Holocaust auseinandersetzen. MitarbeiterInnen und Personen, die für die
Gestaltung von Inhalten und Interaktion zuständig sind, sollten sich als ZuhörerInnen präsentieren:
Wenn sie in der Form einer Autorität auftreten, die den Eindruck erweckt, vorzugeben, was zu sagen
ist, besteht die Gefahr, dass das Kommunikationsumfeld unattraktiv wird.
VERMEIDEN SIE RHETORISCHE ODER EMOTIONALE TÖNE
Es wird empfohlen, eine erzählende Sprache zu verwenden, die sich an das Publikum anpasst
und rhetorische oder emotionale Töne vermeidet. Manchmal kann Ironie eingesetzt werden, um
aufrührerische Töne zu dämpfen oder die Spannung in einer hitzigen Debatte abzubauen. Da ironische
Kommunikation ein wertendes Argument vorbringt, welches gegen kontextuelle Erwartungen
verstößt, und der/die Zuhörer/in erkennen soll, dass er/sie das wertende Argument absichtlich falsch
angewandt hat (Kaufer, 1981), kann sie auch dazu dienen, den Schwerpunkt auf die zu vermittelnde
Botschaft zu verlagern, ohne in einen herablassenden oder pädagogisch expliziten Diskurs zu
verfallen. Ein weiterer Vorschlag ist die Gegenüberstellung von Gegenwart und Vergangenheit und die
Erläuterung der Faktoren, die den Unterschied ausmachen, auf sehr einfache und informative Weise.
Es ist wichtig, objektiv zu sprechen, um eloquent zu sein, und die sehr verständliche Emotionalität, die
51
die Ernsthaftigkeit des Themas hervorrufen kann, unter Kontrolle zu halten.
PROBIEREN SIE NEUE DINGE AUS! NUTZEN SIE NEUE FORMEN DER SOZIALEN MEDIEN, UM IHRE
IDEEN AUSZUDRÜCKEN
Soziale Medien sind ein sehr dynamisches Feld, das immer neue Ausdrucksmöglichkeiten bietet,
z. B. 360°-Videos, Instagram-Stories oder TikTok-Clips. Daher ist es wichtig, grundsätzlich oen für
neue Formen des medialen Geschichtenerzählens und des digitalen Gedächtnisses zu sein und sich
mit Menschen auszutauschen, die bereits Erfahrungen in diesem Bereich gesammelt haben. Neues
auszuprobieren und zu reektieren, fördert die Diskussion über das Erinnern in der Gegenwart und
erönet Möglichkeiten, neue Zielgruppen zu erreichen und mit ihnen in Kontakt zu treten. Erkunden
Sie alternative Social-Media-Plattformen wie TikTok, um jüngere Generationen für Holocaust-Themen
zu begeistern: Sie hören Ihnen sicher gerne zu!
INVESTITIONEN IN DIE BERUFLICHE ENTWICKLUNG UND FORTBILDUNG DER MITARBEITER_INNEN
Fortbildungsangebote für MuseumsmitarbeiterInnen sind in der Regel so konzipiert, dass sie
Projekte unterstützen, die die transformative Kraft von Fortbildung und Training nutzen, um
systemische Veränderungen in Museen aller Arten und Größen zu bewirken. Im spezischen
Kontext der Entwicklung von Maßnahmen gegen die Verzerrung des Holocausts können solche
Programme dem Museumspersonal die Fähigkeiten vermitteln, digitale Technologien in den
Museumsbetrieb zu integrieren und sie dabei unterstützen, Menschen mit unterschiedlichem
geograschem, kulturellem und sozioökonomischem Hintergrund integrative Dienstleistungen
anzubieten, insbesondere durch den Erwerb von Fähigkeiten zum Umgang mit den verschiedenen
Aspekten im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Verzerrung des Holocausts. Das
Museumspersonal sollte ermutigt werden, an solchen Programmen teilzunehmen, die auch
Themen wie kritische, digitale Kompetenz und soziale Medienkompetenz mit Schwerpunkt auf
dem Erkennen von und dem Umgang mit Verzerrungen in sozialen Medien umfassen sollten.
SCHÜLER_INNEN DAZU BEFÄHIGEN, DIE ‘GEDÄCHTNISVERMITTLER’ VON MORGEN ZU SEIN
Soziale Medien sind zu einem unverzichtbaren Bestandteil des Alltags von SchülerInnen geworden.
Der Umgang mit Holocaust-Themen in sozialen Medien sollte Teil des Unterrichts sein, um die
SchülerInnen für Verzerrungen zu sensibilisieren und ihnen Werkzeuge an die Hand zu geben, die
sie zu starken VertreterInnen der Erinnerungskultur von morgen machen. SchülerInnen sollten in die
Lage versetzt werden, sich an Diskussionen zu beteiligen und Meinungen zu vertreten, aber auch
selbst zu GedächtnisstifterInnen zu werden und so am Aufbau des digitalen Erbes im kollektiven
Gedächtnis mitzuwirken. Es gibt nützliche Webseiten, die Leitlinien für die Nutzung sozialer Medien
in der Bildung bereitstellen, zum Beispiel: https://www.holocaustremembrance.com/resources/
educational-materials/using-social-media-holocaust-education und https://reframe.sussex.ac.uk/
digitalholocaustmemory/2021/09/08/the-holocaust-and-social-media/ (beide zuletzt abgerufen am
10.6.2022).
52
STÄRKERE INTEGRATION MIT DEN LOKALEN GEMEINSCHAFTEN
Wie Schulen sind auch Museen und Gedenkstätten Teil eines geograschen Kontexts, der
BesucherInnen kontinuierlich über die Vergangenheit und die Veränderungen in der Gegenwart
informiert und mit ihnen kommuniziert. Soziale Medien können Werkzeuge zur Verbindung und
Aktivierung von Netzwerken sein, vorausgesetzt, dass die Erkundung von Orten und die Entdeckung
dessen, was in Nachbarschaften, Straßen und Häusern geschehen ist, als konkrete prägende Erfahrung
vor Ort gestaltet wird (De Bartolomeis, 2018). Die Nutzung sozialer Medien in solchen Kontexten
stellt eine Möglichkeit der Beteiligung dar, die in der Lage ist, Bekanntes und Erkundetes in eine
Botschaft/ein Kommunikationsprodukt zu integrieren und den eigenen Standpunkt zu den erlernten
Inhalten auszudrücken (Schwartz, 1977). Ein wichtiger Beitrag zur Entwicklung dieser Synergien bei
Begegnungen, Austausch und Lernen kann durch die Methodik des “Service Learning” (Battistoni,
2002) geleistet werden, die die Arbeit an Lehrplaninhalten ermöglicht, indem die SchülerInnen in
die Identizierung von Problembereichen in Bezug auf Geschichte, Erinnerung, Dokumentation und
Zeugnisse einbezogen werden. Mit “Service Learning” ist es möglich, SchülerInnen in die Gestaltung
und Umsetzung eines Dienstes in Solidarität mit Museen, Gedenkstätten und der gesamten
Gemeinschaft einzubeziehen und gleichzeitig einen Lernpfad mit klar denierten disziplinären und
bereichsübergreifenden Zielen in Bezug auf den Holocaust und die richtige Nutzung sozialer Medien
zu implementieren.
STÄRKUNG DER INTERNATIONALEN ZUSAMMENARBEIT UND DES AUSTAUSCHS
Eine kontinuierliche Zusammenarbeit würde die Arbeit der Museen im Bereich der sozialen Medien
unterstützen. Dies könnte die Koordinierung gemeinsamer Aktionen und Initiativen beinhalten
(Kampagnen in den sozialen Medien, Bildungsaktivitäten mit SchülerInnen, Initiativen, die sich an die
erwachsene Öentlichkeit richten, usw.). Dies kann auch dazu beitragen, dauerhafte Infrastrukturen für die
Sammlung von Daten über festgestellte Verzerrungen zu schaen, die häuger geteilt werden. Der Eekt
des gegenseitigen Lernens sollte nicht unterschätzt werden. Gemeinsame Kampagnen verleihen den
vermittelten Inhalten mehr Gewicht und erreichen ein größeres Publikum. Es wäre sinnvoll, eine kollektive,
gleichzeitige Aktion zu starten, um zu zeigen, dass alle Museen oder alle Stiftungen zur gleichen Zeit präsent
sind, um ein solches gemeinsames Ziel zu verfolgen.
ANNEX. IHRAARBEITSDEFINITION
VON HOLOCAUSTDENIAL AND DISTORTION1
MEMORIALE DELLA SHOAH DI MILANO
55
Die IHRA-Mitgliedsländer haben die Arbeitsdenition von Holocaust-Leugnung und -Verfälschung
auf der IHRA-Vollversammlung in Toronto am 10. Oktober 2013 im Konsens angenommen.
Diese Arbeitsdenition wurde von IHRA-ExpertInnen im Ausschuss für Antisemitismus und
Holocaustleugnung in Zusammenarbeit mit den RegierungsvertreterInnen der IHRA als praktisches
Arbeitsinstrument entwickelt.
Die Arbeitsdenition von Holocaust-Leugnung und -Verzerrung hat die Grundlage für weitere
Ressourcen zur Erkennung und Bekämpfung von Holocaust-Leugnung und -Verzerrung
gelegt, darunter ein handlungsorientiertes Toolkit2, die #ProtectTheFacts Kampagne, politische
Empfehlungen4, ein Kurzlm5, eine Publikation6 und ein Paper7.
Sie hat auch Maßnahmen außerhalb der IHRA inspiriert. So hat die Generalversammlung der Vereinten
Nationen die Arbeitsdenition in ihrer Resolution A/76/L.308, verwendet, in der die Leugnung und
Verfälschung des Holocausts verurteilt und die Arbeit der IHRA gelobt wird. Die Resolution wurde am
20. Januar 2022, dem Jahrestag der Wannsee-Konferenz, verabschiedet.
DIE ARBEITSDEFINITION VON HOLOCAUSTLEUGNUNG UND VERFÄLSCHUNG
Die Denition ist Ausdruck des Bewusstseins, dass die Leugnung und Verzerrung des Holocausts
auf nationaler und internationaler Ebene angefochten und angeprangert werden muss und einer
Untersuchung auf globaler Ebene bedarf. Die IHRA nimmt hiermit die folgende rechtlich nicht
bindende Arbeitsdenition als Arbeitsinstrument an (vgl. https://www.holocaustremembrance.com/
resources/working-denitions-charters/working-denition-holocaust-denial-and-distortion, zuletzt
abgerufen am 10.6.2022):
1 https://www.holocaustremembrance.com/resources/working-denitions-charters/working-
denition-holocaust-denial-and-distortion, zuletzt abgerufen am 10.6.2022.
2 https://againstdistortiontoolkit.holocaustremembrance.com/, zuletzt abgerufen am 10.6.2022.
3 https://www.againstholocaustdistortion.org/, zuletzt abgerufen am 10.6.2022.
4 https://www.holocaustremembrance.com/resources/reports/recognizing-countering-holocaust-
distortion-recommendations, zuletzt abgerufen am 10.6.2022.
5 https://holocaustremembrance.com/resources/publications/holocaust-distortion-growing-threat-
lm, zuletzt abgerufen am 10.6.2022.
6 https://holocaustremembrance.com/resources/publications/understanding-holocaust-distortion-
contexts-inuences-examples, zuletzt abgerufen am 10.6.2022.
7 https://holocaustremembrance.com/sites/default/les/inline-les/Paper%20on%20Distortion_0.
pdf, zuletzt abgerufen am 10.6.2022.
8 https://documents-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/LTD/N22/230/12/PDF/N2223012.pdf?OpenElement
und https://documents-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/LTD/N22/230/32/PDF/N2223032.
pdf?OpenElement, beide zuletzt abgerufen am 10.6.2022.
56
Holocaust-Leugnung ist ein Diskurs und eine Propaganda, die die historische Realität und das
Ausmaß der Vernichtung der Juden durch die Nazis und ihre Komplizen während des Zweiten
Weltkriegs, bekannt als Holocaust oder Shoah, leugnen. Die Leugnung des Holocausts bezieht sich
insbesondere auf jeden Versuch zu behaupten, dass der Holocaust/die Shoah nicht stattgefunden
habe. Die Leugnung des Holocaust kann darin bestehen, dass öentlich der Einsatz der wichtigsten
Vernichtungsmechanismen (wie Gaskammern, Massenerschießungen, Verhungern und Folter) oder
die Absicht des Völkermords am jüdischen Volk geleugnet oder in Zweifel gezogen wird.
Die Leugnung des Holocausts in seinen verschiedenen Formen ist ein Ausdruck von Antisemitismus.
Der Versuch, den Völkermord an den Juden zu leugnen, ist ein Versuch, den Nationalsozialismus
und den Antisemitismus von der Schuld oder Verantwortung für den Völkermord am jüdischen
Volk freizusprechen. Zu den Formen der Holocaust-Leugnung gehört auch die Beschuldigung der
Juden, die Shoah entweder übertrieben oder aus politischen oder nanziellen Gründen geschaen
zu haben, als ob die Shoah selbst das Ergebnis einer von den Juden angezettelten Verschwörung
gewesen wäre. Ziel ist es, die jüdische Bevölkerung schuldig zu machen und den Antisemitismus
wieder zu legitimieren.
Die Ziele der Holocaust-Leugnung sind häug die Rehabilitierung eines ausdrücklichen Antisemitismus
und die Förderung politischer Ideologien und Bedingungen, die für das Auftreten eben jener Art von
Ereignissen geeignet sind, die sie leugnet.
DIE VERZERRUNG DES HOLOCAUSTS BEZIEHT SICH UNTER ANDEREM AUF:
1
Vorsätzliche Bemühungen, die Auswirkungen des Holocaust oder seiner wichtigsten
Elemente, einschließlich der Kollaborateure und Verbündeten Nazideutschlands, zu
entschuldigen oder zu minimieren;
2Grobe Minimierung der Zahl der Opfer des Holocausts im Widerspruch zu zuverlässigen
Quellen;
3Versuche, den Juden die Schuld für ihren eigenen Völkermord zu geben;
4
Aussagen, die den Holocaust als ein positives historisches Ereignis darstellen.
Diese Äußerungen sind keine Holocaust-Leugnung, stehen aber als radikale Form
des Antisemitismus in engem Zusammenhang mit dem Holocaust. Sie können
suggerieren, dass der Holocaust nicht weit genug ging, um sein Ziel der “Endlösung
der Judenfrage” zu erreichen;
5
Versuche, die Verantwortung für die Einrichtung von Konzentrations- und Todeslagern,
die von Nazi-Deutschland geplant und betrieben wurden, zu verbergen, indem die
Schuld anderen Nationen oder ethnischen Gruppen zugeschoben wird.
57
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Back cover: artistic installation von Dani Karavan, National Museum of Italian Judaism and the Shoah
(MEIS)
© 2022, Projekt “Countering Holocaust distortion on social media”
Diese Veröenlichung wurde ermöglicht durch die nanzielle Unterstützung der International Holocaust
Remembrance Alliance (IHRA Grant Strategy 2019-2023, line 2 “Countering distortion”, IHRA Grant #2020-
792).