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Die institutionelle Produktion von
„Armutszuwanderern“: Kommunaler
Antiziganismus und die Neuerndung
des Jobcenters als wohlfahrtsstaatliche
Grenzsicherungsbehörde
Tobias Neuburger und Christian Hinrichs
Zusammenfassung
This chapter contributes to research on institutional Antigypsyism and
(welfare) bordering within the European Union. As previous case studies
from different EU member states indicate, institutional Antigypsyism and
new, racialised bordering practices have emerged in the context of European
integration and EU enlargement, especially in the local and municipal sphere.
Following up on these findings, we examined municipal practices, strategies
of exclusion and welfare bordering in a large West German city. On the
basis of extensive research and fieldwork, we demonstrate how local welfare
authorities are being gradually transformed into agencies of EU internal
border control. Taking the social welfare authorities of a German city as an
example, we examine a process in which welfare provisions have increasingly
been withdrawn from a group of people (precarious EU citizens) designated
and stigmatised as undeserving and work-shy ‘Roma’.
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden
GmbH, ein Teil von Springer Nature 2022
L. Supik et al. (Hrsg.), Gender, Race and Inclusive Citizenship,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-36391-8_8
T. Neuburger (*)
Technische Universität Berlin, Berlin, Deutschland
E-Mail: neuburger@idd.uni-hannover.de
C. Hinrichs
Georg-August-Universität Göttingen, Göttingen, Deutschland
E-Mail: christian.hinrichs@uni-goettingen.de
196 T. Neuburger und C. Hinrichs
1 Einleitung
Die migrationspolitischen Debatten seit der sogenannten EU-Südosterweiterung
verweisen auf ein aus der Geschichte altbekanntes und beunruhigendes Muster.
Das Feindbild „Roma“1 steht wieder hoch im Kurs und der Antiziganismus über-
nimmt erneut eine „negative Schlüsselrolle“, die historisch „hinlänglich als
‚Bekämpfung des Zigeunerunwesens‘“ (Heuß 1996, S. 112 f.) überliefert ist2 –
und in unterschiedlichen historisch-politischen Konstellationen der institutionellen
„Abwehr und Bekämpfung“ von angeblichen „Asozialen, Wirtschaftsflücht-
lingen und Scheinasylanten“ (Heuß 1996, S. 113) diente. Der Antiziganismus
ist, um es in den Worten Étienne Balibars (1992, S. 53) auszudrücken, „keine
lineare, sondern ‚eine singuläre Geschichte‘“ mit „Wendepunkten“, „Latenz-
phasen“ und „Explosionen“, die einerseits unterschiedliche historisch-
politische Konstellationen miteinander verbindet und andererseits „von ihnen
wiederum beeinflußt wird“. Unter den veränderten Bedingungen der erweiterten
Europäischen Union stellt der Antiziganismus – als Ausdruck eines wahrhaftig
innereuropäischen Rassismus – erneut sein Macht- und Gewaltpotenzial unter
Beweis und strukturiert institutionelle Verhaltensweisen.
Lokale Fallstudien aus unterschiedlichen EU-Mitgliedsstaaten (vgl. exemplarisch
Matras 2015; Picker 2017; Persdotter 2019) verweisen auf einen im kommunalen
Raum ausgeprägten institutionellen Antiziganismus, der sich im Kontext von
europäischer Integration und EU-Osterweiterung herausgebildet hat: Die Bewegungs-
und Niederlassungsfreiheit von als „Roma“ gelabelten Unionsbürger:innen wird
hierbei als beispiellose Gefahr für die öffentliche Ordnung und sozialpolitische
Herausforderung problematisiert (vgl. van Baar 2011). Auch im bundesdeutschen
Mediendiskurs wurde bereits unmittelbar nach den EU-Beitritten Rumäniens und
1 Sofern in diesem Beitrag nicht von Subjekten, sondern von Zuschreibungsprozessen die
Rede ist, setzen wir die entsprechenden Stigma-Kategorien in Anführungsanzeichen.
2 Die Signifikanten zur institutionellen Benennung des antiziganistischen Feindbildes haben
sich im Verlaufe der Geschichte immer wieder verändert. So wurde beispielsweise die 1899
bei der bayerischen Polizei eingerichtete „Zigeunerzentrale“, die im Nationalsozialismus
zur „Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens“ ausgebaut wurde, nach dem
Zweiten Weltkrieg als „Landfahrerstelle“ wiedergegründet. Dass es sich hierbei ledig-
lich um ein antiziganistisches Sprachversteckspiel handelt, war selbst zeitgenössischen
Beobachter:innen bewusst. In einem Zeitungsbericht der Süddeutschen Zeitung wurde ent-
sprechend kommentiert: „Aus den Zigeunern sind die ‚Landfahrer‘ geworden […]“ (o. V.,
1952). Vergleichbare semantische Strategien, offen antiziganistische Ausdrücke durch
assoziierte Begriffe zu ersetzen, prägen den Antiziganismus bis heute. Siehe hierzu auch
Abschn. 3 dieses Beitrages.
197Die institutionelle Produktion von ‚Armutszuwanderern‘ …
Bulgariens und unter Schlagwörtern wie „Armutszuwanderung aus Südosteuropa“
in einer geradezu unheimlichen Selbstverständlichkeit auf die projektiven Wissens-
bestände des Antiziganismus zurückgegriffen (vgl. End 2014). Diese Wissens-
bestände zirkulierten aber nicht nur in Leitartikeln und Kommentarspalten, sondern
fanden auch Eingang in die politische Sphäre im engeren Sinne: In vielen deutschen
Städten wurden frühzeitig restriktive Handlungskonzepte etabliert, die in erster Linie
dazu dienten „Roma den Aufenthalt so unangenehm“ (Matter 2015, S. 29) wie mög-
lich zu machen.
Diese kommunalen Abwehrpolitiken wurden durch die Einschränkung der
Arbeitnehmerfreizügigkeit rumänischer und bulgarischer Unionsbürger:innen in
einer Übergangsfrist von 2007 bis 2013 sowie anschließend durch schrittweise
Verschärfungen aufenthaltsrechtlicher Regelungen, die Aushöhlung der mit der
Unionsbürgerschaft verknüpften sozialen Rechte und eine „Renationalisierung
des Sozialstaats“ (Voigt 2017, S. 3) abgesichert. Einflussreicher Stichwortgeber
war hierbei nicht zuletzt der Deutsche Städtetag. Dieser großstädtische Spitzen-
verband führte damit eine eigene Tradition fort: Bereits in den 1950er-Jahren
wurde in dessen Gremien ernsthaft darüber diskutiert, ob die in ihre Heimat-
gemeinden zurückkehrenden Überlebenden des Völkermordes, nach preußischem
Vorbild des 19. Jahrhunderts in sogenannten „Zigeunersiedlungen“ zu landwirt-
schaftlicher Arbeit erzogen werden sollten (vgl. Margalit 1997, S. 580 f.).
In einem viel beachteten Positionspapier, das von einer Arbeitsgruppe aus über
20 deutschen Großstädten erarbeitet wurde, problematisierte der Deutsche Städte-
tag Anfang 2013 – ein Jahr vor Ende der genannten Übergangsfrist – eine angeb-
lich unmittelbar drohende Völkerwanderung sogenannter „Armutszuwanderer“
(Deutscher Städtetag 2013, S. 6 ff.), die nicht nur als kommunale Belastung,
sondern vielmehr als Gefahr für den „Erhalt des sozialen Friedens in der Stadt-
gesellschaft“ (Deutscher Städtetag 2013, S. 4) definiert wurden. Dass die Wort-
schöpfung „Armutszuwanderer“ ein Euphemismus für das Stigma „Roma“
ist, ergibt sich aus der Erläuterung der Autor:innen, dass es sich hierbei um
„Menschen“ handele, „die in Bulgarien und Rumänien unter Benachteiligungen“
leiden, „dort nach wie vor unter teilweise prekären Bedingungen“ leben, „ethnische
Diskriminierung“ und „offene rassistische Gewalt“ erfahren sowie „von weiten
Teilen gesellschaftlicher Teilhabe praktisch ausgeschlossen“ (Deutscher Städtetag
2013, S. 2) sind.
Von den hier skizzierten Abwehrpolitiken sind nach wie vor in erheblichem
Maße EU-osteuropäische Rom:nja betroffen, die nicht nur überproportional
unter den Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise zu leiden hatten,
sondern überdies zu den größten Transformationsverlierer:innen der neoliberalen
Reintegration osteuropäischer Märkte zählen (vgl. Themelis 2016). Trotz der
198 T. Neuburger und C. Hinrichs
massiven Abwehrrhetoriken und restriktiven Praktiken, denen sich dieses als
unproduktiv stigmatisierte „migrant austeriat“ (Meši und Woolfson 2015, S. 39)
ausgesetzt sieht, ist es allerdings sehr wohl in gewisse Bereiche und Branchen der
städtischen Arbeitsmärkte eingebunden (vgl. Bukow 2015, S. 109). Darauf muss
mit Nachdruck verwiesen werden, denn die Diffamierung dieser Migrant:innen
als unproduktive und den sozialen Frieden gefährdende „Armutszuwanderer“
ist eine groteske Verzerrung der sozialen Realität. Tatsächlich kann von einer
massenhaften „Armutszuwanderung“ in den deutschen Sozialstaat keine Rede
sein. Im Gegenteil verweisen Berichte aus der Beratungspraxis darauf, dass derart
stigmatisierte Migrant:innen strukturell in faktisch entrechtete Beschäftigungs-
verhältnisse abgedrängt werden, die kaum die Existenz sichern oder gesellschaft-
liche Teilhabe gewährleisten (vgl. Der Paritätische 2013, S. 2 f.).
Das Analyseparadigma des institutionellen Antiziganismus (vgl. Neuburger
und Hinrichs 2021a, S. 13 ff.) erweist sich bei der Einordnung dieser Situation der
sozialen Entrechtung bei gleichzeitiger ökonomischer Ausbeutung von unschätz-
barem Wert. Antiziganistische Wissensbestände und institutionelle Macht- und
Ausschlusspraktiken begründen und legitimieren sich wechselseitig. Daraus folgt
für eine antiziganismuskritische Forschungsstrategie die Notwendigkeit, nicht
bei der Analyse von eingeschliffenen Wahrnehmungsmustern stehen zu bleiben,
sondern den Antiziganismus – im Sinne eines Dispositivs (vgl. Foucault 2003,
S. 392) – als eine Einheit von Wissen und Macht zu begreifen. Dieser Wissen-
Macht-Komplex produziert beharrlich „Effekte der Ungleichheit“ (Gomolla und
Radtke 2007, S. 89), die institutionelle Akteur:innen antiziganistische Wissens-
bestände nach dem Muster sich selbst erfüllender Prophezeiungen immer wieder
neu und wie selbstverständlich für sich entdecken lassen.
In diesem Beitrag beleuchten wir einen solchen Wissen-Macht-Komplex
am Beispiel der kommunalen Praxis des Jobcenters einer westdeutschen
Großstadt. Das empirische Material stammt aus einem Forschungsprojekt für die
Unabhängige Kommission Antiziganismus (vgl. Neuburger und Hinrichs 2021a).
Dort haben wir mehrere miteinander verschränkte Subsysteme (Wohnen, Arbeit,
Bildung und Gesundheit) untersucht und einen Prozess des institutionellen
Antiziganismus sichtbar gemacht. Grundlage waren Interviews mit kommunalen
Akteur:innen und die Auswertung prozessgenerierter Daten (behördeninterne
Strategiepapiere, städtische Drucksachen und mediale Berichterstattung). Aus-
gehend von einer Darstellung der Verdrängungsprozesse in prekarisierte und
informalisierte Arbeit (Abschn. 2) beschreiben wir in diesem Beitrag eine in
Leistungsbehörden etablierte antiziganistische Verdachtskultur (Abschn. 3),
die Praktiken der Abwehr von Leistungsanträgen von „Roma“ strukturiert
(Abschn. 4) und schließlich zu einer Neuerfindung dieser Behörden als wohl-
199Die institutionelle Produktion von ‚Armutszuwanderern‘ …
fahrtsstaatliche und mit polizeilichen Taktiken operierende Grenzschutzbehörden
führt (Abschn. 5). Abschließend (Abschn. 6) ordnen wir unsere Befunde noch-
mals theoretisch ein und leiten hieraus Forschungsdesiderata einer macht-
kritischen Antiziganismusforschung ab.
2 Strukturelle Verdrängung in prekarisierte und
informalisierte Arbeitsverhältnisse
Wie der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags erläutert,
bezweckte die bereits zuvor angesprochene Maßnahme der übergangsweisen
Einschränkung des Zugangs zum deutschen Arbeitsmarkt für rumänische und
bulgarische Unionsbürger:innen den „Schutz der heimischen Arbeitsmärkte“
und die Sicherstellung der „Stabilität der innerstaatlichen Sozialversicherungs-
systeme“ (Deutscher Bundestag 2020, S. 4). Um einer Erwerbstätigkeit nachzu-
gehen, benötigten die neuen EU-Bürger:innen in diesem Zeitraum von 2007 bis
2013 eine offizielle Arbeitserlaubnis, und der Familiennachzug wurde beschränkt
(vgl. Brücker et al. 2013, S. 2 ff.). Auch wenn nur wenige ökonomische Sektoren
ohne Restriktionen zugänglich waren, verweisen Arbeitsmarktstatistiken darauf,
dass der Anteil rumänischer und bulgarischer Arbeitskräfte auch in diesen ersten
Jahren kontinuierlich gestiegen ist (vgl. Hanganu et al. 2014, S. 5).
Dennoch war Deutschland keineswegs ein bevorzugtes Zielland. Dies waren
bis zum Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise in erster Linie südeuropäische
EU-Mitgliedsstaaten wie Italien oder Spanien. Die volkswirtschaftlichen Lang-
zeitfolgen dieser Krise und der europäischen Austeritätspolitik bewirkten nicht
nur extreme Ausprägungen von Massenarbeitslosigkeit, sondern ebenfalls neue
binneneuropäische Migrationsbewegungen (vgl. Bertoli et al. 2013, S. 6, 33). Wie
uns ein Mitarbeiter einer gewerkschaftsnahen Beratungsstelle für europäische
Wanderarbeiter:innen berichtet, können seine Klient:innen vielfach auf
Migrationsbiografien zurückblicken, die sie erst über Spanien und Italien nach
Deutschland geführt haben: „weil [sie dort] schon arbeiten [durften] […] und die
Sprache leichter lernen [konnten]“ (Interview B103, Z. 159 f.).
Wie die Skandalisierung gesundheitsgefährdender Arbeitsverhältnisse
insbesondere in der deutschen Fleischindustrie nach Ausbruch der Covid-
19-Pandemie erneut verdeutlichte, haben sich in bestimmten Sektoren des
deutschen Arbeitsmarktes extreme Ausbeutungsstrukturen von osteuropäischen
Arbeitskräften etabliert (vgl. Birke 2021). Anwendung findet hier ein Werk-
vertragssystem, das auf der Entsendung von Arbeitskräften zu den Arbeits- und
Sozialbedingungen ihrer Herkunftsländer beruht und diesen weder sozialrecht-
200 T. Neuburger und C. Hinrichs
liche Absicherung noch Krankenversicherung oder Arbeitsschutz in Aussicht
stellt – während im Gegenzug unbezahlte Überstunden und Niedriglöhne an
der Tagesordnung sind (vgl. Geiges et al. 2017, S. 96 ff.). Vergleichbare Aus-
beutungsstrukturen sind auch in der landwirtschaftlichen Saisonarbeit, im Bau-
und Reinigungsgewerbe sowie in der Pflege ausgeprägt (vgl. Freitag 2020). Das
Deutsche Institut für Menschenrechte (2018, S. 43) beschreibt die Verdrängungs-
prozesse in prekarisierte und informalisierte Arbeitsverhältnisse als einen Kreis-
lauf der schweren Arbeitsausbeutung, „in dem die Betroffenen zum Teil ‚keine
andere Wahl‘ zu haben glauben, als das nächste ausbeuterische Beschäftigungs-
verhältnis einzugehen“.
Der Ausgangspunkt dieses Kreislaufes sind Lebensbedingungen, die allzu oft
mit Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen im Bereich schulischer (und
beruflicher) Bildung und Arbeit einhergehen. Migrationspolitische Rahmen-
setzungen, wie die Beschränkung des Arbeitsmarktzugangs in Verbindung mit
sozialrechtlichen Ausschlüssen für nicht erwerbstätige EU-Binnenmigrant:innen
führen im Effekt zur Entrechtung auch von gemeinschaftsrechtlich gleichgestellten
Unionsbürger:innen. Zudem verstärken branchenspezifische Merkmale wie Iso-
lation am Arbeits- und Wohnort (beispielsweise durch von Arbeitgeber:innen
gestellte Massenunterkünfte in der Peripherie in Verbindung mit Diskriminierung
am Wohnungsmarkt), unzureichende Dokumentation von Arbeitsverhältnissen
und mitunter ausbleibende Lohnzahlungen sowie fehlende Angebote der Weiter-
qualifizierung oder des Sprachenerwerbs nicht nur die massiven Abhängigkeits-
verhältnisse von einzelnen Arbeitgebern, sondern halten darüber hinaus nachhaltig
diese Kreislaufsysteme der Arbeitsausbeutung im Gang (vgl. Deutsches Institut für
Menschenrechte 2018, S. 44).
Als Resultat aus der mehrjährigen Einschränkung des Arbeitsmarktzugangs bei
gleichzeitiger EU-Freizügigkeit und einer schrittweisen Einschränkung der
sozialen Rechte von Unionsbürger:innen kann eine Verdrängung an die Ränder
des Arbeitsmarktes und in selbstständige Tätigkeiten diagnostiziert werden. Die
Ungleichheitseffekte dieses Verdrängungsprozess wirken bis heute nach, werden
durch die kommunalen Akteur:innen der untersuchten Großstadt aber unter Rück-
griff auf antiziganistische Wissensbestände als Ausdruck von kulturell bedingten
Integrationsdefiziten betrügerischer „Armutszuwanderer“ gedeutet. So wird
behauptet, dass diese „Armutszuwanderer“ mithilfe von Scheintätigkeiten lediglich
die Absicht verfolgen würden, einen Arbeitnehmer:innenstatus zu erschleichen, um
aufstockende Sozialleistungen „abgreifen“ zu können. In einem städtischen Hand-
lungskatalog zur „Zuwanderung aus den Staaten Südosteuropas“ der untersuchten
Großstadt wird entsprechend ohne Ausweis überprüfbarer Belege die Klage
geführt, rumänische und bulgarische Unionsbürger:innen würden massenhaft
201Die institutionelle Produktion von ‚Armutszuwanderern‘ …
Gewerbe anmelden, um unrechtmäßig ihre „Freizügigkeit abzusichern bzw. auch
Zugang zu Sozialleistungen zu erreichen“ (Baudezernat 2013, S. 7). Dies wird von
Arbeitsmarktforscher:innen des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufs-
forschung (IAB) entschieden verneint und im Gegensatz argumentiert, dass es für
diese Behauptung keineswegs belastbare statistische Hinweise gibt (vgl. Brücker
et al. 2013, S. 5).
Auffällig ist bei der Problematisierung sozialrechtlicher Leistungsansprüche –
auch in der kommunalen Praxis – eine fragwürdige Interpretation statistischer
Kennzahlen. So wird in dem erwähnten Handlungskatalog berichtet, dass Ende
2013 laut Informationen des kommunalen Jobcenters „rund 500 Personen aus
dem Kreis der Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien Leistungen beantragt“
hätten, wobei die Leistungsbehörde zudem davon ausgehe, „dass Zugewanderte
aus Rumänien/Bulgarien in aller Regel die Voraussetzungen eines Leistungs-
bezuges nicht erfüllen“ (Baudezernat 2013, S. 10) würden. Diese für einen
großstädtischen Kontext letztlich überschaubare Anzahl von SGB-II-Leistungs-
anträgen wird durch die Autor:innen mit dem Hinweis eingeleitet, „dass sich
die Zahl der Eintragungen im Gewerberegister durch rumänische bzw. durch
bulgarische Gewerbetreibende“ in den vergangenen Jahren „deutlich erhöht
hat“ (Baudezernat 2013, S. 19). So entsteht der Eindruck, dass diese Leistungs-
anträge in erster Linie mit Gewerbeanmeldungen in Verbindung stehen würden.
Gewerbeanmeldungen werden in diesem handlungsanleitenden Dokument aber
nicht als Ausdruck wirtschaftlicher Tätigkeit, sondern vielmehr im Sinne einer
antiziganistisch begründeten Verdachtskultur gedeutet. Erst vor diesem Hinter-
grund erschließt sich der ergänzende Hinweis, dass „eine bloße Gewerbe-
anmeldung nicht zur Leistungsbegründung ausreicht“, sondern „vielmehr […]
eine tatsächliche und ernsthafte unternehmerische Tätigkeit“ (Baudezernat
2013, S. 7) vorliegen müsse. Bedeutungstragend sind in dieser Beschreibung die
unscheinbaren Adjektive „tatsächlich“ und „ernsthaft“. Sie verweisen darauf,
dass Gewerbeanmeldungen durch die genannten Migrant:innen lediglich der Vor-
spiegelung wirtschaftlicher Tätigkeit dienen würden, um in Deutschland sozial-
rechtlich anspruchsberechtigt zu werden.
Einen vergleichbaren Verdacht hatte auch der Deutsche Städtetag bereits
wenige Monate zuvor in seinem Positionspapier ausgedrückt, indem er behauptete
„[d]ie Einreise erfolgt offiziell üblicherweise zum Zwecke der Arbeitssuche“
(Deutscher Städtetag 2013, S. 3). Auch hier ist das Wörtchen „offiziell“ keines-
wegs beiläufig, sondern vielmehr Hinweis, dass die Problematisierung der EU-
Binnenmigration durch antiziganistische Wissensbestände strukturiert wird. Dass
sozialversicherungspflichtige und lohnabhängige Arbeitsverhältnisse vielfach
nicht zustande kamen, erklärt sich aber nicht in diesem Sinne durch unproduktive
202 T. Neuburger und C. Hinrichs
„Armutszuwanderer“, die Erwerbsabsicht lediglich vortäuschen würden, sondern
vielmehr dadurch, dass der Arbeitsmarktzugang äußerst wirksam eingedämmt
wurde. Daher stellte die Gewerbeanmeldung, so beschreibt ein Sozialarbeiter
aus einer community-basierten Beratungsstelle den entscheidenden Wirkungs-
zusammenhang, eine der wenigen Möglichkeiten dar, wirtschaftlich Fuß fassen zu
können:
„Die Leute kommen, um hier zu arbeiten und ein besseres Leben für sich aufzu-
bauen. Und damals tatsächlich, eine Beschäftigung war nicht so möglich wie heute.
[…] die Menschen waren gezwungen, selbstständig zu arbeiten […] Viele haben
sich selbstständig gemacht und […] die untersten Jobs erledigt.“ (Interview B158,
Z. 1020–1031)
3 Behördliche Verdachtskultur des
„bandenmäßigen Sozialleistungsmissbrauchs“
Einer „blame-the-victim“-Logik folgend werden die dargestellten Ungleich-
heitsverhältnisse innerhalb der Leistungsbehörden durch antiziganistische
Wissensbestände strukturiert und projektiv in ihr Gegenteil verkehrt. In dem
von uns erhobenen empirischen Material fiel uns immer wieder eine zunächst
paradox erscheinende Verweigerungshaltung auf, rumänische und bulgarische
Unionsbürger:innen überhaupt als Arbeitskräfte wahrzunehmen. Diese Ver-
weigerungshaltung wird von antiziganistischen Wissensbeständen getragen,
wonach diese Migrant:innen keineswegs „eine tatsächliche und ernsthafte unter-
nehmerische Tätigkeit“ (Baudezernat 2013, S. 7) im Sinn hätten und ihre Ein-
reise lediglich „offiziell […] zum Zwecke der Arbeitssuche“ (Deutscher Städtetag
2013, S. 3) stattfinde. Dieses pauschalisierende Verdachtsmoment wirkt, wie aus
einer behördeninternen und ausschließlich für den vertraulichen Dienstgebrauch
gedachten „Arbeitshilfe Bekämpfung von bandenmäßigen Leistungsmissbrauch
durch EU-Bürger“ der Bundesagentur für Arbeit (2019) hervorgeht, auch inner-
halb der Sozialleistungsbehörden. Mit dieser Arbeitshilfe – von der mittlerweile
unterschiedliche Fassungen bekannt geworden sind3 – hat die Nürnberger Bundes-
agentur den bundesweit 407 Jobcentern ein ausgefeiltes Handlungskonzept zur
Identifikation von „bandenmäßigem Sozialleistungsmissbrauch“ an die Hand
3 Titel und Text der Arbeitshilfe wurden im Zuge von Überarbeitungen mehrmals
„rhetorisch etwas entschärft und besonders offen diskriminierende Formulierungen […]
geändert“ (GGUA Flüchtlingshilfe et al. 2020, S. 2).
203Die institutionelle Produktion von ‚Armutszuwanderern‘ …
gegeben. Hierunter versteht die Bundesagentur die gezielte Umgehung rechts-
gültiger Sozialleistungsausschlüsse nicht erwerbstätiger Unionsbürger:innen durch
die Vorspiegelung falscher Tatsachen: „Dieses Ausschlusskriterium umgehen
die am (bandenmäßigen) Leistungsmissbrauch beteiligten Personen und Banden
dadurch, dass sie den für den Leistungsbezug erforderlichen Arbeitnehmerstatus
oder eine selbstständige Tätigkeit mittels falscher Bescheinigungen vorspiegeln“
(Bundesagentur für Arbeit 2019, S. 2).
Eine von uns interviewte Jobcenter-Führungskraft, die sich uns als bundes-
weite Expertin für Sozialleistungsmissbrauch vorstellt, argumentiert vergleich-
bar. Sie erkennt in den Antragsstellungen rumänischer und bulgarischer
EU-Binnenmigrant:innen auf ALG-II-Leistungen einen organisierten Betrug und
behauptet, dass die vorgebrachten Notlagen wie auch prekäre Arbeitsverhältnisse
geschickt fingierte Missbrauchskonstellationen darstellen würden:
„Da kommt jemand und holt eben 50, äh, Rumänien oder Bulgarien [sic] aus deren
Dorf ab, bringt die nach Deutschland, bringt die quasi in irgendwelchen Bruchbuden
unter und, äh, sorgt dafür, dass die Arbeitsverträge vorlegen können im Jobcenter
mit genau dem Betrag, den man braucht, um aufstockend Leistungen zu bekommen.
‚Ergänzend‘ sagt man dazu. Ähm, und dann ist das Ding organisiert. So. Und dann
kommen die Leute und es ist gep/geplant und beplant, dass das so aufgeht. […] Also
das ist immer so ein/Das ist/muss man, finde ich, immer in so einer Gesamtschau
sehen. Wir sagen dann: ‚Oh Gott, oh Gott, oh Gott, oh Gott: prekär und bla.‘ […]
Und, ähm, auch für den, der wirklich arbeitet (lacht etwas), ist es relativ einfach,
ergänzend Leistungen zu bekommen.“ (Interview B161, Z. 381–396)
Ausbeuterische Beschäftigungsverhältnisse werden in den Ausführungen der
Jobcenter-Führungskraft infrage gestellt. Sie distanziert sich zunächst spöttisch
von einer empathischen Haltung gegenüber diesen Klient:innen („Oh Gott, oh
Gott, oh Gott, oh Gott: prekär und bla.“) und überführt die Erzählung in einen
Gefahrendiskurs über eine organisierte Ausplünderung des deutschen Sozial-
staates. Inwiefern diese Wirklichkeitsinterpretation nicht nur latent, sondern
manifest mit antiziganistischen Wissensbeständen verknüpft ist, verdeut-
licht ein als Tabubruch inszenierter Bericht aus dem behördlichen Alltag.
Tatsächlich hätten die Leistungsbehörden innerhalb der „Gruppierung“ antrag-
stellender rumänischer und bulgarischer Unionsbürger:innen mit „bestimmten
Gruppierungen“ zu tun, die von ihr als „Sinti und Roma“ (Interview B161,
Z. 800–801) bezeichnet werden. Bei „dieser Gruppierung“, so führt sie weiter
aus, „da machen wir uns nichts vor: also da ist Hopfen und Malz verloren, und
zwar auf jeglicher Ebene“ (Interview B161, Z. 814–815). „Sinti und Roma“
204 T. Neuburger und C. Hinrichs
beschreibt sie unter Rückgriff auf überlieferte antiziganistische Projektions-
bestände als gesetzlos und verschlagen:
„Also […] wenn Sie da mal, ähm, ein halbes Jahr im Jobcenter gesessen haben […],
dann haben Sie keine Fragen mehr. Sie haben deswegen keine Fragen mehr, weil
keinerlei, kein Stück, nicht so viel Respekt vor irgendeiner Behörde oder einer für
die Behörde handelnde Person gegenüber […] Also tatsächlich, die haben so ein
eigenes Wertesystem, muss man schon fast sagen. […] Und treten halt auch sehr,
ähm, dominant auf, ähm, sehr fordernd, große Anspruchshaltung, äh, wissen ja
auch, dass ähm, bestimmte Dinge gut funktionieren. […] Viel, ähm, viel Missbrauch
in diesen Konstellationen, viel/Also da würde ich mich auch sehr weit aus dem
Fenster lehnen, zu sagen, dass wenn Sie da überprüfen würden, tatsächlich, wenn
sich das mal einer politisch trauen würde, das zu tun/Das ist ein Politikum. Da bin
ich mir ganz klar. Wenn sich das einer trauen würde, da mal genau hinzugucken und
die, genau die, äh, zu überprüfen, da würden sie wahrscheinlich 90 % Missbrauchs-
quote aufdecken. […] Das war also immer, immer ein Lügengerüst, immer ein
Konstruieren von Konstellationen, damit eben so viel wie möglich Sozialleistungen
in Anspruch genommen werden konnten. Also da mache ich tatsächlich keinen Hehl
draus, dass ich da auch also entromantisiert bin (lacht etwas).“ (Interview B161,
Z. 815–839)
Die sprachlichen Zeichen, die dazu dienen, Ressentiments zu kommunizieren,
können sich verändern, die zugrunde liegenden Konzepte samt Bedeutungs-
gehalt in neuen Worten oder Umschreibungen dennoch erhalten bleiben
(vgl. Guillaumin 2000, S. 36 f.). Während die antiziganistischen Bedeutungs-
gehalte in den von uns geführten Interviews mit kommunalen Akteur:innen viel-
fach offen artikuliert und teilweise lustvoll als Tabubruch inszeniert werden – so
fordert uns die Jobcenter-Expertin lachend auf: „Und sie dürfen mich da auch
zitieren (lacht)“ (Interview B161, Z. 815) –, trifft dies auf die behördlichen
Dokumente in dieser Form nicht zu.
Da die verschriftlichte Sprache behördlicher Dokumente einem bürokratischen
Prozess der Kodifizierung unterworfen und stark normiert ist, artikulieren sich
in ihrem Fall auch die antiziganistischen Bedeutungsgehalte unterschiedlich.
Wie die Interpretation der Jobcenter-internen Arbeitshilfe verdeutlicht, macht
dieser Formwandel allerdings zugleich die Beweisführung herausfordernder.
An wenigen Stellen werden die scheinbar neutrale Sprache dieses behördlichen
Dokuments brüchig und ethnisierende Kategorien eingeführt: So wird aus-
geführt, dass im Zusammenhang des Sozialleistungsmissbrauchs „insbesondere
rumänische und bulgarische Staatsangehörige zu nennen“ sind, die „in ihrem
Heimatland türkischsprachigen Minderheiten an[gehören]“ (Bundesagentur
für Arbeit 2019, S. 3). Mit diesen Andeutungen verbunden, fungiert darüber
205Die institutionelle Produktion von ‚Armutszuwanderern‘ …
hinaus das kriminologische Konzept der „Bande“ als scheinbarer neutraler
Begriffscontainer, durch den explizit ethnisierende Bezeichnungen wie „Roma“
oder „Roma-Clans“ vermieden werden. Obwohl im Text dieses amtlichen
Dokuments offensiv eine kriminalistische Fachterminologie, wie „Tatmuster“
oder „Erkennungsmerkmale“ (Bundesagentur für Arbeitshilfe 2019, S. 3 ff.),
verwendet wird, finden sich in ihm an keiner Stelle empirisch valide Hinweise,
die auf dieser Basis den behaupteten massenhaften Leistungsmissbrauch auch
nur in Ansätzen belegen könnten. Das ist aber auch gar nicht notwendig. Denn
bereits das Konzept der „Bande“ verweist auf ein als allgemeine Gewissheit in
der Institution eingeschriebenes Wissen, das gerade auch deshalb unbestimmt
und vage formuliert werden kann.4 Dieses institutionelle Wissen steht auch in der
Tradition eines jahrhundertealten antiziganistischen Diskurses über gesetzlose,
örtlich ungebundene und daher schwer überführbare „Räuber- und Zigeuner-
banden“ (Bogdal 2011, S. 116 ff.), das in unterschiedlichen politisch-historischen
Konstellationen restriktives staatliches Handeln strukturierte. An die Sinn-
konstruktionen dieses Gefahrendiskurses knüpft die behördeninterne Arbeitshilfe
an, indem ein feingesponnenes und arbeitsteiliges Bandennetzwerk unterstellt
wird: „Häufig bestehen personelle Verflechtungen zwischen Arbeitgebern und
Vermietern, gelegentlich sind beide identisch oder firmieren bzw. wohnen unter
derselben Anschrift. Auch Dolmetscher und Betreuer können Teil der kriminellen
Banden sein“ (Bundesagentur für Arbeit 2019, S. 4). Das antiziganistisch
begründete Verdachtsmoment des „bandenmäßigen Sozialleistungsmissbrauchs“
führt im behördlichen Alltagshandeln letztlich dazu, dass alle Personen, die
im Zuge der Beantragung von Jobcenter-Leistungen in Erscheinung treten, zu
prospektiven Bandenmitgliedern werden können. Wie uns ein Mitarbeiter einer
community-basierten Beratungsstelle berichtet, gerät in diesem Zusammenhang
selbst sozialarbeiterisches Personal in den Verdacht, bandenmäßig am Betrug mit-
zuwirken, wenn „die Anträge supergut ausgefüllt“ (Interview B158, Z. 373–374)
sind.
Durch die hier dargestellte behördliche Wirklichkeitsinterpretation werden
ethnisierte EU-Binnenmigrant:innen in ein betrügerisches und hinterlistiges
Bandenkollektiv verwandelt. Unter Rückgriff auf solche Wissensbestände haben
sich in den kommunalen Leistungsbehörden restriktive Praktiken etabliert, die
4 Paradigmatisch drückt sich dies bereits im ersten Satz der Arbeitshilfe aus: „Einige Job-
center beobachten seit längerer Zeit eine Zunahme bandenmäßigen Leistungsmissbrauchs
durch EU-Bürger in überwiegend städtischen Ballungsgebieten“ (Bundesagentur für Arbeit
2019, S. 2).
206 T. Neuburger und C. Hinrichs
den pauschalen Leistungsausschluss bezwecken. Diese Praktiken knüpfen – im
Sinne einer „past-in-present-discrimination“ (Feagin und Booher Feagin 1978,
S. 32 f.) – an bereits bestehende Ausprägungen struktureller Diskriminierung auf
dem Arbeitsmarkt an, „weil es nämlich […] diejenigen besonders trifft“, wie uns
ein Sozialarbeiter aus einer Beratungseinrichtung berichtet, „die einen unsicheren
Arbeitsvertrag haben oder gar keinen Arbeitsvertrag haben. Die können nämlich
nicht nachweisen, dass sie am Arbeitsmarkt teilhaben.“ (Interview B156, Z. 368–
371) Auf diese Weise „tragen die Jobcenter indirekt sogar dazu bei, derartige aus-
beuterische Beschäftigungsverhältnisse zu stabilisieren, statt sie zu überwinden“
(Tießler-Marenda et al. 2021, S. 15).
4 Abwehr und Unterlassung: Praktiken der
Verhinderung von Leistungsanträgen
Die dargestellte behördliche Verdachtskultur ist programmatisch in der erwähnten
Arbeitshilfe „Bekämpfung von bandenmäßigem Leistungsmissbrauch durch
EU-Bürger“ der Nürnberger Bundesagentur für Arbeit (2019) kodifiziert.
Diese Arbeitshilfe systematisiert aber nicht nur den behördlichen Deutungs-
rahmen, sondern gibt den Jobcentern eine Vielzahl an Handlungsempfehlungen
zum „Umgang mit Antragsstellern“ (Bundesagentur für Arbeit 2019, S. 1) im
Behördenalltag an die Hand: im Einzelnen restriktive Strategien zur „Prüfung
von Anspruchsvoraussetzungen“ oder der Aufdeckung „vorgespiegelte[r] selb-
ständige[r] Tätigkeit“, der „Überprüfung der Unterkunft“ bis zum „Umgang mit
Leistungsbeziehern nach Leistungsbewilligung“ (Bundesagentur für Arbeit 2019,
S. 1). So kann diese Arbeitshilfe also als Ausdruck einer praktischen Einheit von
Wissen und Macht (vgl. Terkessidis 1998, S. 109 ff.) begriffen werden – als Ein-
heit einer antiziganistisch begründeten Verdachtskultur mit zugehörigen behörd-
lichen Praktiken, Routinen und Strategien. Gegenstand dieses Kapitels ist hieran
anknüpfend die Darstellung, wie die Verdachtskultur im Jobcenter der unter-
suchten Großstadt praktische Wirkung entfaltet.
Eine Sozialarbeiterin des Jugendamts schildert uns, dass sie als Begleitung
von rumänischen und bulgarischen Unionsbürger:innen immer wieder bereits
beim Betreten der Behörde erfahren musste, „wie unfreundlich die Menschen
behandelt wurden vom Security-Dienst bis zur Verwaltungsangestellten, bis zu
den Vorgesetzten. Was auch ab und zu damit endete, dass, äh, das Jobcenter […]
mich einschließlich der Familie vor die Tür setzte“ (Interview B129, Z. 469–472).
Bereits im Eingangsbereich der Amtsgebäude müssen die Betroffenen hohe
Hürden überwinden und sich einen Zugang geradezu erkämpfen, um überhaupt
207Die institutionelle Produktion von ‚Armutszuwanderern‘ …
ihre Anliegen vortragen zu können. Eine Leitungskraft aus der städtischen Sozial-
verwaltung berichtet:
„Da gibt es [im Jobcenter] […] Empfangstresen/Und dann standen da halt Leute,
haben sie angeguckt, und haben gesagt: ‚Du hast eh keinen Anspruch. Du kriegst
keinen Antrag!‘ So, da kann man jetzt sagen, das war diskriminierend, weil der
Mensch aussah, wie er aussah oder weil der Mensch hinterm Tresen einfach keine
Ahnung hatte, dass EU-Bürger durchaus Anspruch haben können. Oder weil er
einfach dumm war und nicht weiß, dass jeder erst mal einen Antrag stellen DARF
und wie der dann entschieden wird, eine ganz andere Frage ist.“ (Interview B102,
Z. 1126–1133)
Bereits im Eingangsbereich der Sozialleistungsbehörden werden demnach
pauschalisierend („Du hast eh keinen Anspruch. Du kriegst keinen Antrag!“)
die Verfahrensrechte von antragstellenden Unionsbürger:innen verletzt. Eine
andere Sozialarbeiterin, die ebenfalls bei Behördengängen unterstützend tätig ist,
berichtet davon, dass sich die Abwehrhaltung nicht nur verbal, sondern auch non-
verbal in Mimik und Gestik ausdrücken kann. Die Ausführungen dieser Fachkraft,
die in einer sogenannten „Roma-Unterkunft“5 arbeitet, verweisen darüber hinaus
auf ein im Jobcenter ausgeprägtes antiziganistisches Wissen über das äußere
Erscheinungsbild dieser Personengruppe: „Und dann heißt es eben: ‚Ach, die
Rockfrauen kommen!‘ Also schon so leicht abwertend oder besser gesagt, Insider:
‚Aha, (.) Rumänen!‘ Oder ‚Roma in Sicht!‘“ (Interview B132, Z. 1164–1165)
Noch bevor es zur eigentlichen Interaktion zwischen Behördenmitarbeiter:innen
und antragsstellenden Unionsbürger:innen kommt, werden auf Grundlage visueller
Marker antiziganistische Zuschreibungen wirksam und handlungsleitend. Diese
Zuschreibungen strukturieren in weiterer Folge die Interaktionssituation zwischen
Personal und Auskunftssuchenden und führen zur Verweigerung des Zutritts, der
Herausgabe von Antragsformularen oder der Annahme von Dokumenten (siehe
auch Amaro Foro 2019).
Durchgehend wird in den Interviews auf den Einsatz von Sprache als
strukturelle Barriere im Behördenalltag hingewiesen. Das führt dazu, wie ein
Sozialarbeiter einer Migrationsberatungsstelle hervorhebt, dass die Rechts-
ansprüche derjenigen, „die Sprachschwierigkeiten haben“ und „die das
5 In der von uns untersuchten Stadt hat der zuständige Fachbereich der Stadtverwaltung
segregierte Obdachlosenunterkünfte in der urbanen Peripherie eingerichtet, die im
städtischen Diskurs als „Roma-Unterkünfte“ bezeichnet werden (siehe ausführlich Neu-
burger und Hinrichs 2021b).
208 T. Neuburger und C. Hinrichs
Rechtsystem […] und [die] Sozialsysteme hier nicht so kennen“ (Interview
B156, Z. 1164–1167), beschnitten werden. Eine andere Sozialarbeiterin berichtet,
dass obwohl Behörden verpflichtet sind, Sprachbarrieren durch den Einsatz von
Dolmetscher- und Übersetzungsdiensten abzubauen, ihren „Klienten“ diese
professionellen Dienstleistungen vor allem dann verwehrt werden, wenn sie ohne
Begleitung „alleine zum Jobcenter“ (Interview B141b, Z. 447–448) geschickt
werden. Dort werden ihre Klient:innen und deren Leistungsanträge, so führt sie
weiter aus, dann einfach „abgespeist und abgelehnt“ (Interview B141b, Z. 449–
450). Solche Praktiken, die darauf abzielen, eine Antragsstellung von vornherein
zu unterbinden, hebeln die Grundsätze eines gerechten Verwaltungsverfahrens
aus. Der zuvor erwähnte Sozialarbeiter führt diesbezüglich aus:
„Die versuchen sozusagen schon im Vorfeld […] zu verhindern, dass überhaupt
ein Antrag gestellt wird, weil wenn der Antrag erst mal da ist, muss er bearbeitet
werden, muss er gegebenenfalls abgelehnt und begründet werden und so weiter.“
(Interview B156, Z. 246–249)
Wenn ein Leistungsantrag angenommen und damit verbunden auch ein Ver-
waltungsverfahren eingeleitet wird, das berichten übereinstimmend mehrere
Sozialarbeiter:innen, gehen eingereichte Unterlagen innerhalb des Jobcenters
immer wieder verloren oder werden nicht an zuständige Stellen weitergeleitet.
Auch hier wirken sich Sprachbarrieren zum Nachteil der antragstellenden
Unionsbürger:innen aus, weil sie sich „auch mit minimalem Deutsch eben gar
nicht durchsetzen können und dann gesagt kriegen: ‚Nein, nein, das ist sicher,
wenn du es hier abgibst bei uns. Das kommt definitiv an.‘ Und dann im Endeffekt
das böse Erwachen“ (Interview B132, Z. 1140–1142).
Die Abwehrpraktiken betreffen aber nicht nur die pauschale Verhinderung von
Leistungsanträgen oder die mangelhafte Weiterbearbeitung von eingereichten
Dokumenten, die bereits für sich genommen ein fragwürdiges Licht auf die büro-
kratischen Prozesse werfen. Die behördliche Entscheidungsfindung ist im Falle
von Leistungsanträgen der als „Roma“ gelabelten Unionsbürger:innen darüber
hinaus durch besonders restriktive Überprüfungspraktiken geprägt. Diese bestehen
darin, dass „ganz streng und zwar viel strenger als für Deutsche und für andere
ausländische Staatsangehörige“ geprüft wird, „ob da wirklich ein Anspruch
besteht“ (Interview B156, Z. 347–349). Bei diesen Überprüfungspraktiken wird
die zu beachtende Rechtsprechung, durch das Jobcenter systematisch zum Nach-
teil der antragsstellenden Unionsbürger:innen ausgelegt. Dies drückt sich bei-
spielsweise in der behördlichen Bewertung des Arbeitnehmerstatus aus, der
im Fall von Unionsbürger:innen konditional sozialrechtlichen Ein- oder Aus-
209Die institutionelle Produktion von ‚Armutszuwanderern‘ …
schluss begründet. Obwohl den Kriterien für die Anerkennung dieses Status nach
richterlicher Rechtsprechung eine weite Auslegung zugrunde zu legen ist, legen
viele Jobcenter ihrer Entscheidungsfindung über Leistungsanträge allerdings
eine engere Definition zugrunde und fordern vergleichsweise hohe monatliche
Verdienstgrenzen, die durch prekarisierte Arbeit unerreichbar sind und somit
faktisch den Ausschluss von (aufstockenden) Sozialleistungsbezügen bewirken
(vgl. Tießler-Marenda 2018, S. 5 f.; Tießler-Marenda et al. 2021, S. 13 f.). Diese
behördliche Praxis wurde in der jüngeren Vergangenheit mehrfach auf dem
Rechtsweg durch Sozialgerichte als rechtswidriger Sozialrechtsausschluss von
Unionsbürger:innen eingestuft (vgl. Voi g t 2021).
Die restriktive Auslegungspraxis des Arbeitnehmerstatus, die dazu dient,
Sozialrechtsansprüche von Unionsbürger:innen abzuwehren, ist mit einer inner-
halb der Behörde gelebten antiziganistischen Verdachtskultur verbunden.
Dass sich die Abwehrpraktiken faktisch gegen migrantische Rom:nja richten,
die gemäß der behördlichen Wirklichkeitsinterpretation einfach nicht als
produktive und rechtschaffene Subjekte vorstellbar sind, erläutert die Expertin
des kommunalen Jobcenters. „Ich muss mal kurz überlegen, was die eigent-
lich waren“, berichtet sie zunächst zögernd aus ihrer Berufspraxis, um dann
explizit „Roma“ (Interview B161, Z. 871–872) als die problematische Klientel
zu bezeichnen. Bei denen handele es sich um mehrere Generationen umfassende
„sehr große Familienkonzerne“ (Interview B161, Z. 874), die Erwerbsabsicht
und Beschäftigung lediglich vortäuschen, um aus dem Sozialleistungsbezug ein
Geschäft zu machen. Dass solche Wissensbestände die Entscheidungsroutinen
des kommunalen Jobcenters strukturieren, berichtet auch eine Leitungskraft
der städtischen Sozialverwaltung. Sie berichtet mit einer das gesamte Gespräch
prägenden bürokratischen Gleichgültigkeit, dass „man halt“ versucht, „wirklich
jede Form von Sozialleistungen einzustellen“ (Interview B119, Z. 157–158).
Eine weitere behördliche Strategie, die zur Eindämmung von Sozialleistungs-
bezug genutzt wird und ebenfalls mit der erwähnten besonders strengen Über-
prüfungspraxis verbunden ist, beruht auf einem Kalkül mit dem Faktor Zeit.
Immer wieder wurde uns aus der Beratungspraxis berichtet, dass im Behörden-
alltag irrelevante Dokumente und Nachweispflichten für sehr lange Zeiträume
eingefordert werden.6 Mitunter werden diese vonseiten der Leistungsbehörden
sogar „[d]oppelt, dreifach angefordert […], weil sie angeblich nicht angekommen
6 Dieser Zeitraum kann bis zu fünf Jahren umfassen (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2019,
S. 19).
210 T. Neuburger und C. Hinrichs
seien“ (Interview B132, Z. 1045). Die institutionelle Mechanik dieser Strategien,
die wir als institutionelles Unterlassungshandeln (vgl. Neuburger und Hinrichs
2021a, S. 85 ff.) bezeichnen, resultiert auf fortwährenden Verzögerungen in
behördlichen Entscheidungsprozessen in Wechselwirkung mit aufenthalts-
rechtlichen Bestimmungen der EU-Freizügigkeitsregelungen. Das Zeitregime
dieser aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen wurde noch im selben Jahr, als die
vollumfängliche Arbeitnehmerfreizügigkeit für rumänische und bulgarische
Unionsbürger:innen in Kraft getreten war, durch den deutschen Gesetzgeber
novelliert und eingeschränkt (vgl. Farahat 2015). Hierdurch wurde geregelt, dass
EU-Binnenmigrant:innen, die innerhalb einer Frist von sechs Monaten den amt-
lichen Nachweis eines Arbeitnehmerstatus nicht führen können, ausreisepflichtig
werden – und spätestens nach Ablauf dieses Zeitraumes auch sozialrechtlich
ausgeschlossen werden können. Die Jobcenter-Expertin rekapituliert diese ent-
scheidende Gesetzesverschärfung:
„Also da hat der Gesetzgeber, der deutsche Gesetzgeber schon eingeschritten […]
und hatte da schon gesagt: (Laut des Abwägens) ‚Sicher ist sicher!‘ (lacht) ‚Wir
dämmen jetzt mal diesen Zeitraum ein.‘ […] und da wurde es schon mal, zack, ein-
gedämmt, dass sie sagen: ‚Okay, was immer jetzt hier hinten rauskommt, zur Not
müssten wir quasi für sechs Monate leisten.‘“ (Interview B161, Z. 1434–1443)
Die Ausführungen eines ehemaligen Mitarbeiters des kommunalen Jobcenters
verweisen ebenfalls auf die institutionelle Exklusionsmechanik, die mit der
erwähnten gesetzgeberischen Einschränkung des EU-Freizügigkeitsrechts
Wirkung entfalten konnte. Er berichtet nicht nur davon, dass Anträge oder
Dokumente „zwecks Arbeitserleichterung“ (Interview B103, Z. 686) innerhalb
der Leistungsbehörde immer wieder „verloren“ gehen, sondern dass die Ver-
waltungsverfahren bei Leistungsanträgen von Unionsbürger:innen vielfach länger
als sechs Monate dauern:
„Und dann kann es auch sein, dass, ähm, der eine Kollege, aus dem Jobcenter
Leistungsabteilung, das meldet zum Bürgeramt. Und dann kommt tatsächlich
die Anweisung: ‚Bitte verlassen Sie das Land, weil sie nicht arbeiten seit sechs
Monaten.‘“ (Interview B103, Z. 574–577)
Die behördlichen Verzögerungspraktiken betreffen Unionsbürger:innen in prekären
Lebenslagen zudem dahin gehend, dass sie gezwungen sind, monatelange Warte-
zeiten finanziell zu überbrücken. Dies kann einen Kreislauf der Verschuldung aus-
lösen, der früher oder später zu einem „Berg Schulden“ (Interview B156, Z. 624)
führt und Notlagen immer weiter verschärft.
211Die institutionelle Produktion von ‚Armutszuwanderern‘ …
Unterlassungs- und Verzögerungspraktiken verweisen darüber hinaus auf die
enormen Gestaltungsspielräume bei der restriktiven Ausgestaltung kommunaler
Migrations- und Grenzregimes. Dieser Handlungsspielraum wird in der von
uns untersuchten Großstadt auch am Beispiel der (Nicht-)Gewährung von
Kindergeld für rumänische und bulgarische Unionsbürger:innen sichtbar. Die
Beantragung von Kindergeld wird durch die Anforderung von Dokumenten und
Bescheinigungen erschwert, die für die Beurteilung des rechtmäßigen Anspruchs
unerheblich sind (vgl. Almurtada und Barth 2019, S. 6 f.). So wird von der
Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit beispielsweise im Antragsprozess
eine Schulbescheinigung verlangt, die von der zuständigen Schule auszustellen
ist. Durch die leistungsbehördliche Anforderung der Schulbescheinigung ent-
steht auf kommunaler Ebene ein interinstitutioneller Wirkungszusammenhang,
der in der untersuchten Großstadt die faktische Abwehr des Rechtsanspruchs auf
Kindergeldleistungen von rumänischen und bulgarischen Unionsbürger:innen
bewirkt. Eine Mitarbeiterin aus der städtischen Schulverwaltung, die neu ein-
gewanderte Familien bei der Schulplatzsuche unterstützt, ist allerdings davon
überzeugt, dass der „Kreis der bulgarischen und rumänischen Großfamilien“
(Interview B148, Z. 99–100) ihre Kinder nicht deshalb in der Schule anmeldet,
damit sie dort mit Bildung in Berührung kämen. Vielmehr behauptet sie, dass
Eltern und Kinder den Schulbesuch lediglich vortäuschen, damit die für den
Kindergeldantrag benötigte Schulbescheinigung ausgestellt wird:
„Es ist ganz häufig so, dass diese Familien, wenn sie dann einen Schulplatz haben,
am ersten Tag im Sekretariat stehen und um eine Schulbescheinigung bitten. Weil
wenn sie diese haben, bekommen sie Bezüge, Kindergeld. Häufig ist es dann so,
dass sie/die Kinder nach zwei Wochen gar nicht mehr zur Schule gehen. Aber sie
haben eben diese Bescheinigung und, ähm, kriegen dadurch Bezüge.“ (Interview
B148, Z. 123–127)
Dieses Verdachtsmoment, so können wir ihrer weiteren Schilderung des Sachver-
halts entnehmen, strukturiert in der Folge neue institutionelle Praktiken wie die
verzögerte Ausstellung von Schulbescheinigungen:
„Das hat jetzt bei manchen Schulen schon zu einer anderen Praxis, äh, geführt,
dass eben diese Schulbescheinigungen nicht sofort ausgegeben werden, sondern
dass man sagt: ‚So, jetzt schauen wir mal. Die gibt es nach vier Wochen, nach acht
Wochen oder vielleicht auch erst nach drei Monaten.‘ Um sowas zu verhindern. […]
Also es ist eben insgesamt so, dass, ja, dass Bildung einfach nicht diese Priorität
hat.“ (Interview B148, Z. 127–132)
212 T. Neuburger und C. Hinrichs
Am Beispiel dieser schulischen Praxis wird deutlich, inwiefern Ausschluss-
mechanismen ihre Wirkung interinstitutionell entfalten können. Während
eine nicht ausgestellte Schulbescheinigung im System Schule zunächst ein
Disziplinar- und Kontrollinstrument darstellt, das den Schulbesuch sicherstellen
soll, kann dieses schulische Unterlassungshandeln zudem die leistungsbehörd-
liche Verweigerung des Kindergeldbezugs bewirken.
Inwiefern dieser interinstitutionelle Wirkungszusammenhang analytisch
keineswegs als Ausdruck unbeabsichtigter Folgen sozialen Handelns zu begreifen
ist, sondern selbst durch antiziganistischen Wissensbestände strukturiert wird,
verdeutlicht auch der in der kommunalen Praxis virulente Diskurs über „südost-
europäische Banden“ (Grüter 2019) und „Kindergeldbanden“ (Dowideit 2018),
die systematisch unter Vorspiegelung falscher Tatsachen bei der Familienkasse der
Bundesagentur für Arbeit Kindergeld erschleichen würden. Diese transnational
agierenden „Schlepperbanden“, so behauptete beispielsweise der Duisburger
Oberbürgermeister Sören Link, würden „vornehmlich Sinti und Roma“ anwerben,
von denen er zu wissen glaubt, dass sie „nicht wegen der Arbeit“ kommen,
„sondern um Sozialleistungen zu beziehen“ (Link zit. nach Biesel 2018) und die
öffentliche Hand auszuplündern. Mit dieser antiziganistischen Wirklichkeitsinter-
pretation begründet der Duisburger OB darüber hinaus seine programmatische
Forderung, diesen Unionsbürger:innen den Arbeitnehmerstatus und damit zugleich
auch den Rechtsanspruch auf unterstützende Sozialleistungen zu entziehen
(vgl. Biesel 2018).
Auch im städtischen Handlungskatalog der untersuchten Großstadt wurde
bereits 2013 kritisch angemerkt, dass die gesetzlichen „Voraussetzungen für den
Bezug von Kindergeld […] niedrig“ sind und bei „freizügigkeitsberechtigte[n]
Ausländer/-innen“ bereits „der gewöhnliche Aufenthalt im Inland“ (Bau-
dezernat 2013, S. 9) einen Rechtsanspruch begründet. Daher wird in diesem
handlungsanleitenden Dokument der Stadtverwaltung bereits vorgeschlagen,
eine „Anpassung für den Bezug von Kindergeld, z. B. durch Kopplung an einen
Schulbesuch oder den tatsächlichen Aufenthalt des Kindes in Deutschland“
vorzunehmen, wiewohl eingeräumt wird, dass „hiergegen europarechtliche
Bedenken“ (Baudezernat 2013, S. 16) bestehen.
Die Bundespolitik griff diesen Diskursstrang bereits frühzeitig auf und
bereitete noch in der 18. Legislaturperiode eine gesetzliche Einschränkung des
Rechtsanspruchs auf Kindergeld von Unionsbürger:innen vor, die eine Anpassung
der Bezugshöhe für im Ausland lebende Kinder an die dortigen Lebenshaltungs-
kosten vorsah und von der EU-Kommission als unvereinbar mit Unionsrecht
kritisiert wurde (vgl. Almurtada und Barth 2019, S. 3 f.). In der darauf folgenden
Wahlperiode wurde 2019 dann das „Gesetz gegen illegale Beschäftigung und
213Die institutionelle Produktion von ‚Armutszuwanderern‘ …
Sozialleistungsmissbrauch“ von den Regierungsfraktionen der CDU/CSU und
SPD – mit den Stimmen der AfD – im Deutschen Bundestag beschlossen. Neben
neuen polizeilichen Kontroll- und Überwachungsbefugnissen für den Zoll zur
Eindämmung von Schwarzarbeit und Scheinarbeitsverhältnissen beinhaltet das
Gesetz zudem den Ausschluss des Kindergeldbezugs für Unionsbürger:innen in
den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts in Deutschland. Somit reiht sich auch
dieses Gesetz in den Prozess einer schrittweisen Einschränkung der sozialen
Rechte von Unionsbürger:innen ein.7 In der Begründung des Gesetzesvorhabens
stellte das Bundesfinanzministerium „immer wieder einen Zusammenhang zur
EU-Osterweiterung“ (Künkel 2019, S. 21) her und stützte sich hierbei auch auf
die aus dem Armutszuwanderungsdiskurs entlehnte Figur des „bandenmäßigen
Sozialleistungsbetrugs“. Darüber hinaus steht die restriktive Kindergeldpraxis
selbst in einer auf Abwehr ausgerichteten migrationspolitischen Tradition:
Bereits nach dem Anwerbestopp der als „Gastarbeiter“ stigmatisierten Arbeits-
migration aus Spanien, Griechenland oder der Türkei war in den 1970er-Jahren
mit der öffentlichen Debatte über die Einschränkung des Kindergeldanspruchs
für sogenannte „Ausländerkinder“ der politische Willen verknüpft, Migrations-
anreize zu reduzieren und die Bedingungen für den Familiennachzug ökonomisch
unattraktiv zu gestalten (vgl. Bojadžijev 2008, S. 218 ff.).
5 Das Jobcenter als wohlfahrtsstaatliche
Grenzschutzbehörde
Mit dem 2007 vollzogenen EU-Erweiterungsprozess wurden rumänische und
bulgarische Staatsbürger:innen zu Rechtssubjekten des europäischen Gemein-
wesens. Die mit dem privilegierten Rechtsstatus der Unionsbürgerschaft
verbundenen Freizügigkeitsrechte beschneiden die nationalstaatlichen Zugriffs-
möglichkeiten, Zutritt und Niederlassung mit den Mitteln des Ausländer- und
Aufenthaltsrechts regulieren zu können. Wie wir im Folgenden argumentieren,
hat diese Entwicklung – als Ausdruck einer Gegenbewegung zum Rückbau
der territorialen Binnengrenzen im Zuge europäischer Integration und EU-
Erweiterung – zu einer Neuerfindung des Jobcenters als wohlfahrtsstaatliche und
mit polizeilichen Taktiken operierende Grenzschutzbehörde geführt.
7 Siehe hierzu ausführlich die Chronologie sozialrechtlicher Ausschlüsse für EU-
Bürger:innen in Deutschland seit den frühen 2000er-Jahren von Amaro Foro (2019, S. 52).
214 T. Neuburger und C. Hinrichs
Diese Neuerfindung des Jobcenters ist mit einem Prozess der schrittweisen
Einschränkung der sozialen Rechte von Unionsbürger:innen durch den deutschen
Gesetzgeber verknüpft, der bereits unmittelbar mit den EU-Beitritten Rumäniens
und Bulgariens einsetzte. Eine von uns interviewte Leitungskraft aus dem
kommunalen Jobcenter rekapituliert diesen Prozess folgendermaßen:
„Also man merkte schon, dass der Gesetzgeber eigentlich immer bei allem, was
er so an Änderungen vorgenommen hat, eigentlich immer im Blick hatte, den
Leistungsanspruch zu reduzieren. Aber auf gar keinen Fall zu öffnen in irgend-
einer Form, sondern immer quasi einzudämmen, […] was den Leistungsanspruch
anbelangt. Das war sehr deutlich.“ (Interview B161, Z. 1444–1448)
Diese Einschränkungen eröffnen den kommunalen Sozialleistungsbehörden
ein neues Instrumentarium, das sie für den Leistungsausschluss ungewünschter
Migrant:innen – im Sinne wohlfahrtsstaatlicher Grenzziehungen (zum Begriff
vgl. Guentner et al. 2016, S. 405) – anwenden können. Die Sozialleistungs-
behörden entwickeln sich, wie es ein Sozialarbeiter aus einer Beratungsstelle
ausdrückt, sukzessive zu einer „neuen Grenzpolizei“ (Interview B156, Z. 1298).
Dieser Wandel des Aufgabengebietes steht grundlegend mit dem Bedeutungs-
verlust der migrationspolitischen Steuerungsinstrumente des Ausländer- und
Aufenthaltsrechts aufgrund der Freizügigkeitsrechte von Unionsbürger:innen
in Verbindung. Entsprechend führt der Sozialarbeiter weitergehend aus, dass sie
„hier rechtmäßig“ einen Aufenthalt begründen können, ohne „irgendwen um
Erlaubnis fragen [zu] müssen“ und „mit der Ausländerbehörde nichts zu tun“
(Interview B156, Z. 1268–1270) haben. So haben sich die Steuerungsfunktionen
im Falle von freizügigkeitsberechtigter EU-Binnenmigration „ins Sozialrecht ver-
lagert“ (Interview B156, Z. 1272) und den Sozialleistungsbehörden ein neues
Aufgabenfeld eröffnet.
Dass es sich hierbei keineswegs um eine institutionenferne Diagnose handelt,
verdeutlichen auch die Ausführungen der interviewten Jobcenter-Führungs-
kraft. Ihr ist dieser Wandel des Aufgaben- und Rollenverständnisses der
Sozialverwaltung durchaus bewusst und am Beispiel der abgeschafften Frei-
zügigkeitsbescheinigung, die für rumänische und bulgarische Unionsbürger:innen
durch die Ausländerbehörde bis zum Auslaufen des bereits dargestellten Über-
gangszeitraums bis Ende 2013 ausgestellt werden musste, erläutert sie:
„Aus meiner Sicht war das eine Fehlentscheidung […]. Dadurch hat man jetzt quasi
den Sozialbehörden die Aufgabe übertragen, quasi hinterrücks zu prüfen, was der
Freizügigkeitszweck ist, weil die Sozialbehörden brauchen ja diese Information:
Was ist denn dein Freizügigkeitszweck? Bist du Arbeitnehmer, bist du arbeits-
suchend, bist du Familienangehöriger? Das brauchen die, um zu entscheiden, ob
215Die institutionelle Produktion von ‚Armutszuwanderern‘ …
derjenige leistungsberechtigt ist. […] Das heißt, hier wird eine Zuständigkeit ver-
lagert, ähm, in ein Rechtsgebiet, was eigentlich fremd ist, obwohl die zuständige
Behörde sehr wohl in der Lage wäre dies zu tun. […] Also man hätte diese Frei-
zügigkeitsbescheinigung aus meiner Sicht nicht abschaffen, sondern modifizieren
müssen. […] Also hier übernimmt jetzt quasi die Sozialbehörde, ob sie will oder
nicht, die Aufgabe, die eigentlich aus der Ausländerbehörde kommen müsste.“
(Interview B161, Z. 171–195)
Gegenstand ihrer hier vorgebrachten Kritik ist nicht die Übertragung eines neuen
Aufgabenfeldes der (indirekten) Migrationskontrolle, sondern vielmehr der
Umstand, dass ihrer Institution mit der abgeschafften und von der Ausländer-
behörde ausgestellten Freizügigkeitsbescheinigung ein bewährtes Instrument zur
Bewertung der Leistungsberechtigung abhandengekommen ist. Dies führt dazu,
dass die Sozialleistungsbehörden im Zuge der Überprüfung der sozialrechtlichen
Ansprüche antragstellender Unionsbürger:innen zugleich ursprünglich der Aus-
länderbehörde zufallende Aufgaben übernehmen müssen.
Mit der Verlagerung der migrationspolitischen Steuerungsinstrumente
vom Ausländer- und Aufenthaltsrecht in das Sozialrecht wird innerhalb der
Sozialleistungsbehörden allerdings die Ausbildung eines neuen behördlichen
Problembewusstseins notwendig. Ein ehemaliger Jobcenter-Mitarbeiter, der
mittlerweile für eine gewerkschaftsnahe Beratungsstelle arbeitet, berichtet uns
von entsprechenden jobcenterinternen Fortbildungsmaßnahmen. Dort wurden
die Behördenmitarbeiter:innen im Vorfeld der 2014 in Kraft tretenden EU-
Arbeitnehmerfreizügigkeit auf eine „Völkerwanderung zwecks […] Ausnutzung
der Sozialsysteme“ (Interview B103, Z. 735) und die Bekämpfung von „Netz-
werken“, die „in Deutschland Jobcenter-Leistungen“ (Interview B103, Z. 727)
erschleichen würden, vorbereitet. Auch die Jobcenter-Expertin berichtet von der
Herausforderung, die mit dem damals neuen behördlichen Wirkungskreis ver-
bunden war, und verweist ebenfalls auf entsprechende Schulungen:
„Oh, wir müssen jetzt was über Ausländerrecht lernen (lacht), damit wir das gut
wuppen können. Und dann sind wir in dieses Seminar gegangen […] von einem
Richter, der sehr spezialisiert auf Ausländerrecht war. Dummerweise gab es keine,
in keinster Weise eine Verknüpfung zum Sozialrecht.“ (Interview B161, Z. 35–39)
Diese hier angedeutete Transformation der Sozialbehörden zu einem Akteur
der wohlfahrtsstaatlichen Grenzsicherung ist auf unterschiedlichen Ebenen mit
antiziganistischen Wissensbeständen über die exzessive Mobilität von „Roma“
verknüpft. Besonders schwer aufzudecken erscheinen diese „Missbrauchs-
konstellationen“ (Interview B161, Z. 1212) deshalb, wie die Jobcenter-Expertin
216 T. Neuburger und C. Hinrichs
bezugnehmend auf diese Wissensbestände erläutert, weil rumänische und
bulgarische Unionsbürger:innen hierfür EU-Freizügigkeitsrechte missbrauchen
würden. Das Problem bestehe darin, „dass ich als Freizügigkeitsberechtigter ja
ein- und ausreisen kann, wie ich lustig bin“ (Interview B161, Z. 144–145) und
bei der Ausländerbehörde keine „Akten über den Unionsbürger“ (Interview B161,
Z. 154) geführt werden, die der Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs
dienen könnten.
In der jobcenterinternen Arbeitshilfe wird den Sachbearbeiter:innen daher eine
Reihe von Praktiken und Techniken der Fallbetreuung nahegelegt, die sich gegen
im Leistungsbezug befindliche rumänische und bulgarische Unionsbürger:innen
richten. So werden beispielsweise besondere Kontrollpraktiken vorgeschlagen, die
der Etablierung einer informellen Residenzpflicht entsprechen und sich von der
generellen Verpflichtung arbeitssuchender Leistungsbezieher:innen, ihre Abwesen-
heit vom Wohnort dem Jobcenter mitzuteilen, abheben. Da die Arbeitshilfe
ebenfalls von einer besonders ausgeprägten Mobilität der betreffenden Personen-
gruppe ausgeht – „Sie reisen wieder ein, sobald sie einen Vorsprachetermin
beim J[ob-]C[enter] haben“ (Bundesagentur für Arbeit 2019, S. 12) –, wird den
Fallmanager:innen die „Zuweisung zu Maßnahmen“ und hieran anschließend eine
„engmaschige Kontrolle der Teilnahme“ (Bundesagentur für Arbeit 2019, S. 11)
empfohlen. Hierfür sollen „Begründungen für die Ablehnung einer Teilnahme […]
ebenso kritisch geprüft werden, wie Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die zur
Entschuldigung von Fehlzeiten vorgelegt werden“ (Bundesagentur für Arbeit 2019,
S. 11).
Darüber hinaus wird vorgeschlagen, auch die Wohnverhältnisse dieser
Personengruppe regelmäßig einer eingehenden Überprüfung zu unter-
ziehen. Die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Überprüfung des Wohnraumes
knüpfen unmittelbar an den antiziganistisch konnotierten Schrottimmobilien-
und Problemhäuserdiskurs an, wonach „Roma“ sich in verwahrlosten und
devastierten Wohnverhältnissen einmieten, um mit einer deutschen Meldeadresse
unrechtmäßig Sozialleistungsbezüge zu erschleichen. Im Abschnitt „Vermieter
und Arbeitgeber – gemeinsames Handeln“ (Bundesagentur für Arbeit 2019,
S. 11 ff.) wird daher eine Definition von Wohnraum ausbuchstabiert. Aus dieser
Definition werden Kontrollpraktiken für die leistungsbehördliche Bewertung
abgeleitet, ob im Falle prekarisierter Wohnverhältnisse überhaupt ein eigen-
ständig geführter Haushalt vorliege: So sollen beispielsweise „die Strom- und/
oder Gaszähler näher geprüft werden (meistens existiert nur ein gemeinsamer
Zähler)“ und die getrennte Abrechnung der Heizkosten kontrolliert werden,
da „nach der Heizkostenverordnung grundsätzlich ein Zähler je Wohnung ver-
pflichtend vorgesehen ist“ (Bundesagentur für Arbeit 2019, S. 12). Darüber
217Die institutionelle Produktion von ‚Armutszuwanderern‘ …
hinaus wird „[i]n solchen Fällen“ die Einsicht in das Grundbuch empfohlen, da
für die rechtliche Trennung von Wohneinheiten eine „Teilungsgenehmigung der
Bauaufsicht“ (Bundesagentur für Arbeit 2019, S. 12) notwendig ist. So könne
eine baurechtlich „nicht zulässige“ Abtrennung und „zweifache Vermietung“
(Bundesagentur für Arbeit 2019, S. 12) von Wohneinheiten unterbunden werden.
Bis weit in die 1970er-Jahre folgte die Kommunalpolitik im Falle der Nieder-
lassung von Sint:ize und Rom:nja im jeweiligen Stadtgebiet einer ordnungs-
politischen Handlungsrationalität, wonach bereits ihre bloße Anwesenheit eine
Gefährdung des öffentlichen Gemeinwesens darstelle (vgl. Widmann 2007,
S. 514 f.). Mit ihrem Misstrauen gegenüber individuellen Freizügigkeitsrechten
und dem Generalverdacht, wonach bereits der „Zuzug von EU-Bürgern“ als
„Indiz für das Vorliegen bandenmäßigen Sozialleistungsmissbrauchs“ (Bundes-
agentur für Arbeit 2019, S. 4) anzusehen sei, bewegen sich die Sozialleistungs-
behörden in dieser kommunalpolitischen Tradition des Antiziganismus.
Bezugnehmend auf den „Umgang mit Leistungsbeziehern nach Leistungs-
bewilligung“ werden den Jobcentern in der behördeninternen Arbeitshilfe daher
polizeiliche Ermittlungsstrategien im Wohnumfeld empfohlen:
„Um festzustellen, ob sich Leistungsbezieher tatsächlich im Zuständigkeits-
bereich des JC aufhalten, eignen sich insbesondere regelmäßige Kontrollen u. a.
der Problemhäuser gemeinsam mit Zusammenarbeitsbehörden (siehe Kapitel 6 –
Zusammenarbeit). Diese Kontrollen können sehr effektiv sein, weil sie zu unmittel-
baren Abmeldungen aus dem Leistungsbezug führen, falls Leistungsbezieher nicht
mehr unter der dem JC bekannten Anschrift wohnen.“ (Bundesagentur für Arbeit
2019, S. 11)
Diese Exklusionspraxis knüpft an die aus der Geschichte der kommunalen
Armenfürsorge bekannte Frage „Wo gehört der Arme hin?“ (Simmel 1908,
S. 467) an. Mit der Einführung des modernen Armenfürsorgemodells des Unter-
stützungswohnsitzes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die Frage
kommunaler Zuständigkeit insbesondere durch das Kriterium des rechtmäßigen
Aufenthalts in der jeweiligen Kommune geregelt (vgl. Sachße und Tennstedt
1991). Dieses Modell entwickelte sich aber – komplementär zu der territorial nach
außen gerichteten Abwehrpolitik gegen „heimatlose Ausländer und Vagabunden“
(Gosewinkel 2001, S. 92) – zu einem innerhalb des eigenen Territoriums
wirkenden Instrument der Ausgrenzung und „gegen [die] Niederlassung nicht
genehmer Elemente“ (Simmel 1908, S. 467). So gesehen steht auch die Praxis,
durch „regelmäßige Kontrollen“ festzustellen, „ob sich Leistungsbezieher tatsäch-
lich im Zuständigkeitsbereich des JC aufhalten“, in dieser kommunalpolitischen
Tradition. Da die Städte und Kommunen mit der EU-Freizügigkeit ihr Abwehrrecht
218 T. Neuburger und C. Hinrichs
gegen die Niederlassung von Unionsbürger:innen weitgehend eingebüßt haben,
eröffnet die besonders engmaschige Überprüfung von Meldeadressen und Wohn-
verhältnissen einen behördlichen Handlungsspielraum, kommunale Zuständigkeit
abzuwehren.
Zu diesem Zweck muss das Jobcenter allerdings seinen angestammten
Wirkungskreis verlassen. Die neuen Formen ordnungs- und sicherheitsbehörd-
licher Ermittlungsarbeit im privaten Wohnumfeld von Leistungsbezieher:innen
erfordern, wie die Ausführungen der Jobcenter-Expertin verdeutlichen, die
Etablierung neuer Handlungsroutinen:
„Die [das Jobcenter, Anm. d. V.] haben dann irgendwann angefangen und haben,
ähm, quasi die ganzen Häuser, die ganzen Wohnhäuser in [Stadtname], die hatten
eine Liste da drüber. Die hatten eine Liste da drüber tatsächlich nach Hausnummern,
wer der Vermieter ist. Und immer, wenn quasi ein neuer Kunde aufgetaucht ist, der
in diesem Haus gewohnt hat, hat man geguckt, ähm, wie das zusammenhängt. […]
Das ist eine Fitzelarbeit, aber man hat dann einen [unverständlich, 00:46:39] identi-
fiziert. Irgendwann hat man dann Häuser identifiziert, wo immer dieselben Leute
untergebracht wurden. Und so funktionierte dann das System des Aufdeckens.“
(Interview B161, Z. 615–623)
Mit Strategien polizeilicher Ermittlungsarbeit, wie das Erstellen von Listen und
die wiederkehrende Überprüfung verdächtiger Meldeadressen, versuchen die Job-
center „Missbrauchskonstellationen“ (Interview B161, Z. 1212) aufzudecken,
Netzwerke auszuleuchten und „bandenmäßigen Sozialleistungsmissbrauch“
zu bekämpfen. Hierfür wird die verstärkte Kooperation mit anderen Behörden
gesucht: einerseits für gemeinsame Kontrollen vor Ort sowie andererseits für
die Intensivierung des zwischenbehördlichen Informationsaustauschs und des
Abgleichs von Datenbeständen.
Obwohl es nicht in die originäre Zuständigkeit des Jobcenters fällt, sich mit
Fragen der baulichen Beschaffenheit der Wohnhäuser ihrer Kund:innen zu
befassen, wird dieser Aspekt in der Arbeitshilfe äußerst umfangreich behandelt.
So wird beispielsweise bei der Überprüfung der Wohnverhältnisse die Ein-
beziehung der örtlichen Bauaufsichtsbehörde empfohlen, „damit diese ggf. vor
Ort eine Nutzungsuntersagung der Immobilie zur Gefahrenabwehr aussprechen
kann“ (Bundesagentur für Arbeit 2019, S. 16). Sofern gemeinsame Kontrollen
nicht möglich seien, sollen Informationen über „gesundheits- und sicherheits-
relevante Umstände […] (z. B. unzulässige Nutzung von Mehrfachsteckdosen
und Stromverlängerungskabeln, Hygienemängel), die in den Aufsichts- und/
oder Aufgabenbereich anderer Behörden (z. B. Bauaufsicht, Feuerwehr) fallen“
(Bundesagentur für Arbeit 2019, S. 9), unverzüglich weitergeleitet werden.
219Die institutionelle Produktion von ‚Armutszuwanderern‘ …
Die territoriale Stigmatisierung (vgl. Wac qu an t 2007) von „Schrottimmobilien“
(einschließlich ihrer Bewohner:innen) begründet Kontrollpraktiken, die das
gewöhnliche Maß bei Weitem übersteigen. So wird auch ein intensiver Aus-
tausch mit den Einwohnermeldeämtern empfohlen, um auf Basis „statistische[r]
Auswertungen des Einwohnermeldeamtes (EMA) über den verstärkten Zuzug
von Rumänen und Bulgaren“ zugleich „erste Hinweise auf bandenmäßigen
Leistungsmissbrauch zu erhalten“ (Bundesagentur für Arbeit 2019, S. 15).
Diese statistischen Informationen sollen mithilfe sogenannter „Heatmaps“
(Bundesagentur für Arbeit 2019, S. 10) verarbeitet werden. Diese Technik ist
aus der Praxis des Predictive Policing bekannt und dient dort der räumlichen
Visualisierung von „Risikostufen“ und der „Erkennung von polizeilichen Risiken
und Gefahren“ (Djeffal 2020, S. 56). Sie wird zur effektiven Steuerung begrenzter
Ressourcen und „Planung von Streifenfahrten […] besonders gefährdete[r] Orte“
(Djeffal 2020, S. 56 f.) verwendet. In diesem Sinne wird auch in der behörden-
internen Arbeitshilfe ausgeführt:
„Heatmaps sollen die JC dabei unterstützen, Netzwerke zu erkennen. Eine Heatmap
dient als Grundlage für mögliche weitere Ermittlungen vor Ort. Durch die Filter-
kriterien in der Heatmap können beispielsweise auffällige Wohnanschriften ermittelt
werden. In Kombination mit den Vor-Ort-Kenntnissen des JC (Wohnung liegt z. B.
in einem ‚Brennpunktviertel‘) entscheidet dieses, ob eine Einzelfallprüfung not-
wendig und sinnvoll ist.“ (Bundesagentur für Arbeit 2019, S. 10)
Mit dieser aus der polizeilichen Praxis des Predictive Policing entlehnten Ana-
lysetechnik verknüpfen die Sozialleistungsbehörden sozialräumliche Daten
des Einwohnermeldeamtes mit der Verdachtskonstruktion, wonach bereits
der „Zuzug von EU-Bürgern“ als „Indiz für das Vorliegen bandenmäßigen
Leistungsmissbrauchs“ (Bundesagentur für Arbeit 2019, S. 4) zu bewerten sei.
Wie im Falle der polizeilichen Risikoeinstufung dienen diese Heatmaps der
Planung weitergehender Überwachung und Kontrolle gefährlicher Orte und ihrer
Bewohner:innen. Dieses Analyseverfahren nutzt Daten auf Basis getroffener Vor-
annahmen zur „Vorhersage des Verhaltens bestimmter Person“ (Djeffal 2020,
S. 57). Deutlicher kann sich die antiziganistische Einheit aus Wissen und Macht
kaum artikulieren: Behördliche Wissensbestände, wonach bereits die Nieder-
lassung und Wohnortwahl innerhalb des Stadtgebietes einen Generalverdacht
begründen, strukturieren die sich hieran anschließenden Kontroll- und Über-
wachungspraktiken des Verwaltungsapparates. Die falsche Wohnadresse wird so
zu einem statistischen Kriterium, das „weitere Ermittlungen“ begründet und die
behördliche Verdachtskonstruktion wie von selbst zu bestätigen scheint.
220 T. Neuburger und C. Hinrichs
6 Fazit – oder: Die institutionelle Produktion von
„Armutszuwanderern“
Am Beispiel von Praktiken der kommunalen Arbeits- und Sozialver-
waltung konnten wir einen Prozess des institutionellen Antiziganismus auf-
zeigen, der arbeitsteilig den sozialrechtlichen Ausschluss von ethnisierten
Unionsbürger:innen bewirkt und prekäre Lebensverhältnisse verschärft. In diesen
Ausgrenzungspraktiken werden antiziganistische Wissensbestände wirksam, die
diskursiv sowohl formalisiert durch amtliche Dokumente als auch informell durch
stereotype Situationsdeutungen kommunaler Akteur*innen vermittelt werden.
Dieser Wissen-Macht-Komplex produziert, was er vorgibt zu bekämpfen, indem
prekarisierten EU-Arbeitsmigrant:innen das Recht auf soziale Teilhabe und
Partizipation verwehrt wird. Dieser Prozess, der als eine institutionelle Produktion
von „Armutszuwanderern“ begriffen werden kann,8 verweist zudem auf die
erheblichen Handlungsspielräume, die im kommunalen Raum bestehen.
Während in der geschichtswissenschaftlich orientierten Antiziganismusforschung
kommunale Praktiken und lokale Ausgestaltung rechtlicher Regelungen bereits
Gegenstand eingehender Forschung geworden sind (vgl. exemplarisch Fings und
Sparing 2005), kann dies für die gegenwartsorientierte Forschung keineswegs in
vergleichbarer Weise konstatiert werden. Dies ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund
verwunderlich, dass der kommunale Raum und seine institutionellen Akteur:innen
spätestens seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert tragende Säulen in der sogenannten
„Bekämpfung des Zigeunerunwesens“ darstellen (vgl. Zimmermann 2007, S. 35 f.).
Wie Geschichte und Gegenwart des institutionellen Antiziganismus ver-
deutlichen, steht der nationalstaatlichen Exklusionsprogrammatik keineswegs
notwendigerweise eine stadtgesellschaftliche Inklusionsprogrammatik gegen-
über. Somit muss die in der jüngeren Stadtforschung forschungsleitende These,
wonach städtische Politiken in einer „Tradition der europäischen Stadtgesell-
schaften“ (Bukow 2015, S. 111) stehen und im Gegensatz zu nationalstaatlichen
Handlungsrationalitäten auf eine „konstruktive Einbeziehung“ von „Mobili-
tät und Diversität“ (Bukow 2015, S. 106) vor Ort ausgerichtet seien, infrage
gestellt werden. Im Kern verbinden sich im Falle der kommunalpolitischen
Abwehrpraktiken gegenüber der als Armutszuwanderung stigmatisierten EU-
Binnenmigration ökonomische Nützlichkeitserwägungen mit antiziganistischen
8 Mark Terkessidis (2004, S. 100) diagnostiziert bezugnehmend auf die Geschichte der
„Gastarbeiter“-Migration entsprechend eine „institutionelle[n] Produktion von ‚Aus-
ländern‘“.
221Die institutionelle Produktion von ‚Armutszuwanderern‘ …
Wissensbeständen, wonach „Roma“ nicht nur keinen produktiven Beitrag zum
städtischen Gemeinwesen beisteuern könnten, sondern vielmehr bereits ihre
Anwesenheit eine Gefahr für den sozialen Frieden darstelle.
Der Prozess des institutionellen Antiziganismus, wie er hier am Beispiel
der EU-Binnenmigration in eine westdeutsche Großstadt dargestellt wurde,
wirft nochmals ein anderes Licht auf die Frage der Stadtbürgerschaft (Urban
Citizenship), die „bisher vor allem auf ihre Inklusionsaspekte hin unter-
sucht“ (Riedner 2018, S. 175) wurde. Zu Recht wurde in der einschlägigen
Citizenship-Forschung darauf hingewiesen, dass Citizenship keineswegs auf die
Frage eines (Rechts-)Status reduziert werden sollte (vgl. Einleitung zu diesem
Band). Diese Beobachtung bewahrheitet sich paradoxerweise auch am Bei-
spiel des formal privilegierten Rechtsstatus von Unionsbürger:innen, denen aber
faktisch ihr Recht auf urbane Teilhabe verweigert wird. Dieses kommunale EU-
Binnengrenzregime, so lässt sich abschließend festhalten, folgt einem aus der
Geschichte des Antiziganismus wohlbekannten Muster: Werden Rom:nja, wie
im Falle der erweiterten Europäischen Union, zu Rechtssubjekten mit verbrieften
individuellen Freizügigkeitsrechten, formiert sich hiergegen im lokalen Raum
nicht nur Misstrauen, sondern seine Akteur:innen versuchen, die unerwünschten
Anderen als rechtlos zu definieren, und weiten die institutionelle Diskriminierung
aus.
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Interview B158. Leitungskraft einer community-basierten Beratungsstelle, 23.3.2020.
Interview B161. Leitungskraft des kommunalen Jobcenters, 16.7.2020.
Voigt, Claudius. 2021. Rechtsprechung der Sozialgerichte zum Ausschluss von
Unionsbürger*:innen seit 29. Dezember 2016 (nur halbwegs positive Entscheidungen).
GGUA Flüchtlingshilfe online. http://ggua.de/fileadmin/downloads/tabellen_und_
uebersichten/rechtsorechung_Unionsbuerger.pdf. Zugegriffen: 10. September 2021.
To bi as Ne u bu rg er is a sociologist, currently research associate at Leibniz University
Hannover and at Technische Universität Berlin. His research interests include Antigypsyism
and institutional racism, urban sociology, and social theory.
Christian Hinrichs, M.A. is a sociologist, currently PhD student and research assistant at
Georg-August-University Göttingen. His research interests are urban sociology, sociology
of conflict and violence, critical migration and border regime studies, racism, and the
explanation of homelessness through the interrelationship of structural, institutional and
individual factors.