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2
Nachhaltigkeit
MUSEUMSKUNDE
FACHZEITSCHRIFT FÜR DIE MUSEUMSWELT
Die Fachzeitschrift Museumskunde bietet vertiefende,
vielseitige Positionen zu aktuellen museumsspezischen
emen. Die Zeitschrift wurde 1905 als Ausdruck der
Zusammengehörigkeit von Museumsfachleuten gegrün-
det und setzt sich seitdem mit relevanten emen für das
Museumswesen auseinander. Die Museumskunde wird
seit 1917 vom Deutschen Museumsbund herausgegeben.
www.museumsbund.de
ISSN 0027- 4178
MUSEUMSKUNDE Band 86 1/2021 NACHHALTIGKEIT
3
Bildungsplattform Museum
MUSEUMSKUNDE
FACHZEITSCHRIFT FÜR DIE MUSEUMSWELT
1/2021
MUSEUMSKUNDE Band 86 1/2021 NACHHALTIGKEIT
Die Soziale
Dimension
der Nachhaltigkeit
Umwelt- und
Klimaschutz
ABB.1
—
Nach der Lokalisierung einer geeigneten wasserführenden Schicht durch Geoelektrik, wurde an dieser Stelle nach lokaler
Methode in Handarbeit ein Brunnen gegraben. Danach wird der Brunnen auf ausreichenden Wassernachuss getestet und das Wasser
auf Schadstoe analysiert. Foto: Natascha Bagherpour Kashani.
Die SalzmännerDie Salzmänner
von Iranvon Iran
KULTURERHALT ALS TREIBER UND ERMÖGLICHER
EINER NACHHALTIGEN ENTWICKLUNG
Von NATASCHA BAGHERPOUR KASHANI, MARUCHI YOSHIDA und THOMAS STÖLLNER
Nachhaltigkeit
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35
Soziale Dimensionen der Nachhaltigkeit
1. DAS KULTURELLE ERBE GEHÖRT DEN MENSCHEN
—
DIE UN
-
AGENDA 2030 UND EIN IRANISCH-DEUTSCHES PROGRAMM
Im Herbst 2015 einigten sich die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen
einstimmig auf die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung.1 Damit hat sich
die Weltgemeinschaft 17 Ziele (Sustainable Development Goals (SDGs)) für
eine sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Entwicklung gesetzt.
Zum Gipfeltreen 2019 hielt UN-Generalsekretär António Guterres dazu an,
innerstaatliche Maßnahmen zu ergreifen, um dort etwas zu bewirken, wo es
im Leben der Menschen wichtig ist. Er rief die Zivilgesellschaft, Basisorganisa-
tionen, Medien, den privaten Sektor, Gewerkschaften und die Wissenschaft
auf, Partnerschaften wie nie zuvor zu mobilisieren.2
In diesem Beitrag stellen die Autor*innen ein Programm aus drei deutsch-
iranischen Projekten und einer Ausstellung vor, das dem Aufruf Guterres’ folgt
und Beiträge zu hochwertiger Bildung (Ziel 4), sauberem Trinkwasser (Ziel 6),
Museumsarbeit und Kulturerbe erhalt
können zur Erreichung der in der Agenda
2030 festgeschriebenen Ziele für nach-
haltige Entwicklung beitragen. Die
Heraus forderung, Museen ökologisch
und sozial zu gestalten oder Museen als
kulturelle und nachhaltige Bildungsorte zu
etablieren, ist in Ländern, wie in unserem
Beispiel Iran, umso größer, je mehr eine
Gesellschaft unter sozialen Spannungen
und wirtschaftlichen Sanktionen zu leiden
hat. Mit den laufenden Projekten ver-
folgt das Autor*innen-Team das Ziel, die
Partner museen und deren Träger behörden
in Iran dabei zu unterstützen, einen
wirksamen Beitrag zur menschlichen und
sozio ökonomischen Entwicklung, zu hoch-
wertiger Bildung und sozialer In klu sion,
zur ökologischen Nachhaltigkeit und zu
friedlichen Gesellschaften zu leisten.
36
Nachhaltigkeit
Wirtschaftswachstum (Ziel 8) und Partnerschaften zur
Erreichung der Ziele (Ziel 17) leistet. Auf einer lokalen
Ebene arbeiten internationale Teams deshalb zusammen
am Erhalt von Kulturerbe, an der Verbesserung der Trink-
wasserversorgung und an der Strukturentwicklung. Ihre
gemeinsamen Ziele und Grundlagen sind:
—
Wissen zu teilen und die Maßnahmen der Kultur-
guterhaltung an die lokalen Gegebenheiten anzupas-
sen,
—
Kulturerbeforschung für ein breiteres Publikum
sichtbar und zugänglich zu machen und Wertschät-
zung und Unterstützung für die Pege des kulturellen
Erbes zu aktivieren, und
—
in die Selbsthilfekapazitäten zu investieren und An-
reize für die lokale Bevölkerung zu schaen, sich am
Erhalt des kulturellen Erbes zu beteiligen, dabei Ver-
walter und zugleich Nutznießer der kulturellen Stät-
ten zu werden.
Das kulturelle Erbe gehört den Menschen. Dessen Erhal-
tung ist daher eine Angelegenheit von öentlichem Interes-
se. In Zeiten politischer Spannungen, einer durch Sanktio-
nen verursachten Wirtschaftskrise und globaler Pandemie
steht der Erhalt des kulturellen Erbes in Iran auf dem Prüf-
stand der öentlichen Finanzierung. Angesichts dieser
gesellschaftlichen Herausforderungen muss der Politik
vermittelt werden, dass das kulturelle Erbe einen wichtigen
Beitrag zum sozialen Zusammenhalt leistet und die Resi-
lienz einer Gesellschaft in Krisenzeiten stärken kann.
2. VOM ZUFALLSFUND ZUR FORSCHUNG
2.1 DAS ERBE DER SALZMÄNNER
Im Jahr 1993 wurde unerwartet im Salzbergwerk von
Chehrābad ein mumizierter Kopf eines bärtigen Mannes
gefunden, der einen goldenen Ohrring antiken Stils trug.3
In 2004 wurden im Zuge einer Rettungsgrabung weitere
mumizierte Körper entdeckt. Bis heute konnten acht
Individuen identiziert werden.4 Oensichtlich starben
diese Salzarbeiter bei verschiedenen Grubenunfällen, die
sich vor circa 2.400 und 1.400 Jahren, in achämeni discher
und sasanidischer Zeit, ereigneten.
2.2 BEWAHRUNG
DES UNBEWEGLICHEN KULTURELLEN ERBES
Das Salzbergwerk von Chehrābad, in der lokalen Turk-
sprache auch Douzlākh (deutsch: Ort des Salzes) ge-
nannt, ist eine wertvolle Stätte für die weitere Forschung
und den wissenschaftlichen Diskurs.5 Deshalb müssen
Ausgrabungen mit entsprechenden Denkmalschutz-
maßnahmen einhergehen. Einmal aus dem schützenden
Medium unter Tage freigelegt, sind Funde und Befunde
äußeren Einüssen ausgesetzt und der Wettlauf gegen
den Verfallsprozess beginnt.
In Chehrābad ereigneten sich mehrere tödliche Unfälle,
deren Opfer nun Jahrhunderte später von Archäologen
als Mumien entdeckt wurden.6 Die eingestürzten Firste
aus diesen alten Ereignissen haben auch zur Folge, dass
die Gruben heute unter freiem Himmel liegen und der
direkten Witterung ausgesetzt sind. Zum Schutz vor Re-
gen und Erosion, aber auch als Sicherungsmaßnahme
gegen Steinschlag wurde über dem gesamten Areal ein
Schutzdach errichtet. Zudem werden nach jeder Saison
die Grabungsschnitte sorgfältig mit großen LKW-Planen
abgedeckt, um sie vor Ver witterung und anderen physika-
lischen Einüssen zu schützen.
Das sehr reine Salz des Berges ist begehrt und archäolo-
gische Stätten regen die Menschen immer wieder zum
„Goldschürfen“ an. Die Bedürfnisse und die Neugier der
Menschen stellen also ebenfalls ein Risiko für das Kultur-
erbe dar. Deshalb hat die iranische Kulturbehörde den
Vorsteher des benachbarten Dorfes Hamzehloo zum
Wächter der Stätte ernannt. Er und die Dorfbewohner*in-
nen wachen zwischen den wissenschaftlichen Kampag-
nen über die Unberührtheit „ihres“ Bergs. Angesichts der
örtlichen Gegebenheiten, der wirtschaftlichen Situa tion
und der Einzigartigkeit der Funde erweist sich ein lang-
fristiger Erhalt dieses kulturellen Erbes als eine große
Herausforderung für alle Beteiligten.7
2.3 KONSERVIERUNG
DES BEWEGLICHEN ERBES IM MUSEUM
Die Mumien und die organischen Funde, die sich im
Bergwerk extrem gut erhalten haben und im Zuge der
Ausgrabungen geborgen wurden, sind wichtige Daten-
quellen, die vielschichtige technologische, soziologische
und kulturelle Informationen enthalten.8 Sie werden nun
im Zanjān Saltmen and Archaeological Museum auf-
bewahrt und präsentiert .
Vor allem die organischen Funde bedürfen einer beson-
deren konservatorischen Pege, da sie anfällig für mikro-
biologischen Verfall sowie Schädlingsbefall sind und
empndlich auf Klimaveränderungen reagieren. Erste
Initiativen zur Verbesserung der Ausstellungs- und Lage-
37
Soziale Dimensionen der Nachhaltigkeit
ABB.4
—
Das Salz, das seit Jahr-
tausenden aus dem Berg Douzlakh (auch
Chehrabad genannt) gefördert wurde, ist
von hoher Reinheit und für den mensch-
lichen Verzehr sehr gut geeignet.
Foto: Natascha Bagherpour Kashani.
ABB.2
—
Die Grabung ist mit einem Wellblech vollständig überdacht. Es schützt vor Regen, Wind und kleinen herabfallenden Steinen.
Vor jeder Grabung müssen oberhalb am Berg jedoch entsprechende Sicherungsmaßnahmen vorgenommen werden, denn das Dach kann
große Felsbrocken nicht aufhalten. Foto: Deutsches Bergbau-Museum.
ABB.3
—
Die erste Salzmumie, der
sogenannte Salzmann 1, wurde um 1994
zufällig gefunden. Der Verstorbene trägt
einen wertvollen Ohrring.
Foto: Deutsches Bergbau-Museum.
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Nachhaltigkeit
rungsbedingungen führten 2018 zu einem von der deut-
schen Gerda Henkel Stiftung geförderten Projekt, mit
dessen Hilfe zuerst die Lagerräume für die Funde aus der
Douzlākh-Grabung überarbeitet wurden. In den Vitrinen
wurden Datenlogger zur Überwachung der Klimabedin-
gungen angebracht und in den Depots Insektenfallen
verteilt, um mit dem integrierten Schädlingsmanage-
ment (Integrated Pest Management (IPM)) zu beginnen.
Gleichzeitig wurden erste Entwürfe zur Neugestaltung der
Dauer ausstellung entwickelt, um die Mumien auch im
Kontext ihrer Arbeits- und Lebenswelt zu präsentieren.
Der Langzeiterhalt ist eine Herausforderung, weil fundier-
te Erfahrungen und Kenntnisse über die richtige Behand-
lung von in Salz konservierten menschlichen Überresten
fehlen, da diese Mumien zu den wenigen ihrer Art welt-
weit gehören.
2.4 PRÄVENTIVE KONSERVIERUNG
ALS NACHHALTIGE ERHALTUNGSSTRATEGIE
Im Jahr 2019 wurden die Projektaktivitäten mit dem
Fokus auf die präventive Konservierung der Sammlung
fortgesetzt. Es war allen Projektmitgliedern klar, dass die
Neuorganisation des Depots und die Neugestaltung der
Ausstellung auf einer nachhaltigen Präventionsstrategie
basieren müssen, um die Sammlung langfristig zu be-
wahren und auch einen sicheren Ort für Besucher*innen
und Mitarbeiter*innen zu bieten.
Präventive Konservierung ist, auch wenn der Begri den
Eindruck erwecken mag, nicht ausschließlich im Aufga-
benbereich von Restaurator*innen zu sehen. Die Präven-
tionskonzepte entfalten ihre Stärke in der interdisziplinä-
ren Zusammenarbeit und gemeinsamen Verantwortung.
Im Museum von Zanjān wurde eine interdisziplinäre
Workshop-Reihe organisiert, bei der Archäolog*innen,
Architekt*innen, Restaurator*innen und Ingenieur*innen
aus verschiedenen Kultur- und Forschungseinrichtun-
gen zusammenkamen, um die relevanten Aspekte der
präventiven Konservierung zu diskutieren und sich auf
Prioritäten zu einigen. Demnach wurden Klimastabilität
und Schädlingsbekämpfung als vordringliche emen
identi ziert, aber auch Brandschutz und Lichtschutz
wurden auf die Agenda für eine sukzessive Verbesserung
gesetzt. Da sich das Museum selbst in einem Baudenkmal
aus der Qajaren-Zeit (1779–1924) bendet, können bau-
liche Eingrie nur behutsam vorgenommen werden, um
die historische Bausubstanz zu schonen.
Das Ergebnis der ersten Workshop-Reihe war vor allem
die Schaung eines gemeinsamen Verständnisses darü-
ber, was eine sichere Umgebung im Museum ausmacht,
und damit die Fokussierung auf Monitoring- und Inspek-
tionsmaßnahmen, um die Dynamik von Klimaschwan-
kungen und Schädlingspopulationen zu verstehen.
Monitoring- und Inspektionspläne wurden gemeinsam
ABB.5
—
Mumienraum: Die Salzmumien 2, 4 und 5 sind
im Zanjan Saltmen and Archaeological Museum ausge-
stellt. Ein Wissenschaftler*innen-, Museums- und Konser-
vator*innen-Team entwickelt ein Konservierungskonzept
für deren langfristigen Erhalt. Foto: Natascha Bagherpour
Kashani.
ABB.6, 7
—
Zum Gesamtkonzept der Ausstellung gehören
auch die Präsentation und die Vermittlung der emen
rund um das Salzbergwerk und seine organischen Hinter-
lassenschaften. Foto: Zanjan Saltmen and Archaeological
Museum.
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Soziale Dimensionen der Nachhaltigkeit
entwickelt und im Museumsalltag erprobt. Auf der Basis
dieser Daten und ihrer Interpretation werden Verbesse-
rungsmaßnahmen entwickelt und schrittweise umge-
setzt. Als Nebeneekt führten die Erkenntnisse aus der
gemeinsamen Begehung im Museum auch zu der Mög-
lichkeit, mithilfe des Prince Claus Funds for Culture and
Development9 die veraltete und als großes Brandrisiko
bewertete Elektrik im Museumsgebäude zu erneuern.
3. SOZIALES BEWUSSTSEIN UND AKTIVIERUNG
DER GEMEINSCHAFT ALS TEIL EINER
ERHALTUNGSSTRATEGIE
Kulturelles Erbe sollte eine Verbindung zu allen Men-
schen herstellen und nicht nur zu einer ausgewählten
Gruppe kulturell gebildeter Personen. Letztlich sind es
nicht Technik und Wissenschaft, die das kulturelle Erbe
bewahren, sondern die Menschen, ihre Wertschätzung
und ihr Wille. Ein ganzheitliches Erhaltungskonzept muss
daher den Menschen in den Mittelpunkt stellen und ihn
auf verschiedenen Ebenen ansprechen und aktivieren.
3.1 DAS BEWUSSTSEIN FÜR DEN KULTURELLEN WERT
AUF INTERNATIONALER EBENE SCHÄRFEN
Als vor 2.500 Jahren der 15-jährige Bergmann seinen
Arbeitstag im Salzbergwerk Chehrābad begann, wuss-
te er noch nicht, dass es sein letzter sein würde. Seine
Geschichte formt das Narrativ der aktuellen Ausstellung
Tod im Salz im Deutschen Bergbau-Museum Bochum, die
auf der Grundlage der archäologischen Untersuchungen
versucht, die letzten Tage im Leben des Salzmanns zu re-
konstruieren. Eine Graphic Novel hilft dabei, die archäo-
logischen Inhalte einem breiten Publikum zu vermitteln
und lädt die Betrachter*innen ein, sich die Objekte im
Kontext einer antiken Welt vorzustellen und sich emo-
tional mit dem jungen Bergmann zu verbinden.10
Die Ausstellung bietet den Besucher*innen einen Ein-
blick in die „detektivische Arbeit“ der Forscher*innen, die
jede noch so kleine Information zusammentragen, um sie
zu einem großen Bild des Salzbergwerks und der antiken
Lebenswelten zusammenzusetzen. Dabei zeigt die Schau
auch die moderne Form der Archäologie, die verschiede-
ne Disziplinen wie Geologie, Medizin, Parasitologie und
Archäobotanik einbezieht und dabei eher einem Tatort
bei „CSI“ (US-Krimiserie) ähnelt als dem allgegenwär-
tigen Bild der Archäologen-Filmgur „Indiana Jones“.
Durch die Ansprache des Publikums auf verschiedenen
Ebenen und die facettenreiche Aufbereitung des emas
werden zielgruppengerechte Interessen bedient. Damit
wird eine hohe Sichtbarkeit der Salzmänner und ihres
Erbes für alle Gesellschaftsschichten erreicht und somit
auch das gesellschaftliche Bewusstsein für den Wert die-
ses kulturellen Erbes erhöht.11
3.2 SALZMÄNNER IM OPEN LAB
FÜR EIN DIVERSES PUBLIKUM
Im Sommer 2020, mitten in der Pandemie, erhielt das
Salzmannprojekt eine Förderung durch das Auswärtige
Amt. Unter dem Titel Konservierung der Salzmänner von
Zanjan in Iran konnte die Restaurierung und Erforschung
der Salzmänner fortgesetzt werden.
Das Labor für diese Arbeiten wurde in der Ausstellungs-
halle als so genanntes OPEN LAB eingerichtet. Wegen der
Pandemie waren aber auch in Iran die Museen geschlos-
sen. Das Team gewährte dem interessierten Publikum je-
ABB.8
—
Die Konservato-
rin Maruchi Yoshida führte
mehrere Workshops mit den
Kollegen in Iran durch, um
die Maßnahmen zu Konser-
vierung und IPM gemeinsam
zu planen. Foto: Natascha
Bagherpour Kashani.
ABB.9
—
Begehung auf dem
Dachboden zur Bewertung
der bauphysikalischen
Eigen schaften. Foto:
Maruchi Yoshida (kurecon).
40
Nachhaltigkeit
doch Zugang zum Labor über die sozialen Medien. Inner-
halb von nur vier Monaten erreichte das Prol Saltmen of
Iran (Instagram: @saltmen_of_iran) über 900 Follower
auf der ganzen Welt, vor allem aber in Iran, was das große
Interesse der jungen iranischen Community an ihrem
kulturellen Erbe zeigt.
Zu diesem Projekt gehört auch die Produktion eines
Jugendbuchs, das, basierend auf archäologischen Fak-
ten, eine ktive Geschichte eines jungen Bergmanns
erzählt. Für Aktivitäten mit Kindern wurden Malspiele
und Puzzles entwickelt, die bereits mit Kindergarten- und
Schulkindern ausprobiert wurden. Aktuell entsteht ein
Puppenspiel mit Marionetten — ebenfalls ein kulturel-
les Erbe, das mehr und mehr aus der modernen Gesell-
schaft zu verschwinden droht. Die „Salzmumien“ in der
Ausstellung mögen auf Kinder und junge Erwachsene
faszinierend und vielleicht sogar gruselig wirken. Aber
eine Geschichte über einen jungen Salzbergmann zu er-
zählen, ihm ein freundliches Gesicht und eine „Stimme“
zu geben, kann die jungen Leute mit dem Salzmann als
Mensch und als „Vorfahre“ verbinden.
Der Umgang mit dem Salzmann als Mensch ist auch e-
ma eines ethischen Diskussionsforums mit dem Titel Von
unter Tage ins Rampenlicht — der Salzmann als Informa-
tionsträger und Geschichtenerzähler, das zugleich Teil des
OPEN LABS ist. Interdisziplinäre Expert*innen aus Iran
und Europa diskutieren über die Herausforderung und
Verantwortung menschliche Überreste respektvoll zu
behandeln und sie als kulturelles Erbe zu bewahren und
beleuchten dabei auch Kontroversen und Diskrepanzen
im Umgang mit mumizierten Körpern auf der einen
Seite und Skelettresten auf der anderen Seite. Das Format
des Diskussionsforums ermutigt das Publikum, seine
Meinungen zur „Funktion“ des Salzmanns als Geschich-
tenerzähler und kultureller „Inuencer“ in den sozialen
Medien mitzuteilen und auch Fragen an die Experten zu
stellen.
Die Erhaltung der Salzmänner geht also über die Unter-
suchung der physischen Materie und ihrer Umgebung
hinaus, berücksichtigt das gesellschaftliche Umfeld und
aktiviert eine breitere Gemeinschaft, sich mit den Salz-
männern und ihrem Erbe zu beschäftigen.
4. SAUBERES WASSER UND SICHERUNG DES
LEBENSUNTERHALTS FÜR DIE BEWAHRER*INNEN
DES KULTURELLEN ERBES
Das Salzbergwerk Douzlākh ist nachweislich eine wichti-
ge Lebensgrundlage für die lokale Bevölkerung, insbeson-
dere für die Bewohner*innen des nahe gelegenen Dorfes
Hamzehloo. Viele der Dorfbewohner*innen sind zwar in
die Städte gezogen, kehren aber regelmäßig für die saiso-
ABB.10
—
Im digitalen
OPEN LAB konnte die
interessierte Gemeinschaft,
die Restaurierungsarbeiten
an den Mumien aus dem
Salz verfolgen. Foto: Zanjan
Saltmen and Archaeological
Museum.
41
Soziale Dimensionen der Nachhaltigkeit
nalen Erntearbeiten aber auch für die Ausgrabungen zu-
rück. Die Ausgrabungen und die interessanten Funde, die
im Museum von Zanjan ausgestellt werden, stoßen nicht
nur auf lokales Interesse, sondern locken auch internati-
onale Forscher*innen und Gäste an, die sowohl das Mu-
seum als auch die Ausgrabungsstätte besuchen. Dabei
erweisen sich die Menschen aus Hamzehloo zunehmend
als Verwalter*innen und Bewacher*innen der archäologi-
schen Stätte. Das heißt, die Erhaltung funktioniert nur, so
lange das Dorf als Beschützer des Salzbergwerks erhalten
bleibt. Doch das Leben in der Region ist schwer, denn das
Salz — einerseits eine wichtige Lebensgrundlage — ist
andererseits der Grund für den hohen Chloridgehalt im
Wasser, der die Trinkwasserversorgung der Menschen
erschwert. Ein weiteres Projekt, Water, Education and
Tourism in the Rural Mahneshan Region/Iran“, das eben-
falls von der deutschen Gerda Henkel Stiftung gefördert
wird, zielt daher darauf ab, neue Wasserquellen zu nden,
Brunnen zu installieren und die Menschen vor Ort dabei
zu unterstützen, neue Wassermanagementkonzepte zu
entwickeln.
Mittelfristig soll außerdem ein Begegnungs- und Bil-
dungszentrum die archäologische Stätte und die um-
gebende besondere Naturlandschaft mit dem Salzmumi-
enmuseum in der Stadt in einem touristischen Konzept
verbinden. Dort können Menschen mehr über kulturelles
und natürliches Ressourcenmanagement lernen, lokale
und internationale Treen organisieren, regionale Gäs-
te und internationale Touristen einladen, zur archäo-
logischen Stätte führen sowie Forscher*innen-Teams
beherbergen. So sollen für die Menschen in der Region
neue wirtschaftliche Möglichkeiten geschaen werden.
Entlang einer bereits vorhandenen Touristenroute soll
eine Kooperation zwischen dem Zanjān Saltmen and
Archaeological Museum, der iranischen Kultur- und
Tourismus behörde, dem Ministry of Cultural Heritage,
Handi craft, and Tourism (MCHT), und Reisebüros etab-
liert werden, um schulische, universitäre und touristische
Bildungstouren anzubieten. Eine weitere Möglichkeit
wird darin gesehen, dieses Begegnungs- und Bildungs-
zentrum in Hamzelooh in das iranische Zentrum für Berg-
bauarchäologie zu integrieren, das derzeit vom MCHT,
den Behörden in Zanjān und dem Iranischen Zentrum für
Archäologische Forschung ICAR geplant wird.
Diese Ideen und erste Initiativen führen dazu, dass die
Menschen bereits in ihr Dorf zurückkehren. Der Grund-
gedanke hinter diesem Projekt ist die Erkenntnis, dass
die nachhaltigste Erhaltungsstrategie darin besteht, die
Dorfbewohner zum Verbleib in der Region zu bewegen
und sie dabei zu unterstützen, ihre Lebensgrundlagen zu
sichern und neue Geschäftsmöglichkeiten zu entwickeln.
ABB.10
—
Das Dorf Hamzehloo
ist Nachbar und Beschützer des
Salz-Bergwerkes. Aufgrund der
Geologie gibt es in der Region kein
Trinkwasser, auch das Geschirr wird
in salzhaltigem Wasser abgespült.
Foto: Deutsches Bergbau-Museum.
42
Nachhaltigkeit
5. DIE SALZBERGWERKSPROJEKTE ALS TREIBER UND
ERMÖGLICHER EINER NACHHALTIGEN ENTWICKLUNG
Die Salzmänner und ihre Präsenz in den Museen sowie
ihre Verbindung zur archäologischen Stätte schaen
Räume für kulturellen Transfer und interkulturellen Dia-
log, sowohl auf lokaler als auch auf globaler Ebene. Die
Einbeziehung der Gesellschaft in die Bewahrung des Er-
bes der Salzmänner trägt dabei zur Bildung, zum sozialen
Zusammenhalt und zur nachhaltigen Entwicklung bei.
Die Teilhabe an den Ausgrabungen, den Konservierungs-
projekten und an der Entwicklung einer langfristigen
Erhaltungsstrategie schärft das öentliche Bewusstsein
für den Wert des kulturellen Erbes und das Verständnis
für die Verantwortung aller Bürger, zu dessen Pege und
Weitergabe beizutragen. Damit wird eine wichtige Forde-
rung der SDGs erfüllt, die in der SDG 11.4 das Ziel formu-
liert, „die Bemühungen zum Schutz und zur Bewahrung
des Kultur- und Naturerbes der Welt zu verstärken“. 12
Das Salzbergwerk von Chehrābad und das Erbe der Salz-
männer mögen noch nicht so berühmt wie die ägyp-
tischen Mumien oder wie der „Ötzi“ aus Südtirol sein,
sind jedoch „Motor und Ermöglicher für die Erreichung
der Agenda 2030“, und tragen aktiv zu „menschlicher und
sozio ökonomischer Entwicklung, hochwertiger Bildung,
sozialer Inklusion, nachhaltigen Städten, ökologischer
Nachhaltigkeit und friedlichen Gesellschaften“13 bei.
Die Salzmänner, die vor einigen tausend Jahren ihr Leben
im Bergwerk verloren, haben uns ein Erbe hinterlassen,
das uns mit vergangenen Gesellschaften verbindet. Sie
önen uns die Augen für ihre kulturellen Errungenschaf-
ten und ihre enorme Widerstandsfähigkeit, die sich bis in
die heutige Gesellschaft übertragen hat und uns Respekt
vor der Natur und Demut gegenüber allen Lebewesen
lehrt. Die Ausgrabung, Erforschung und Bewahrung des
kulturellen Erbes von Chehrābad verbindet uns mit der
lokalen Bevölkerung von Hamzehloo als verantwortungs-
volle Partner*innen, um die Geschichte der Salzmänner
an zukünftige Generationen weiterzugeben.
Dr. Natascha Bagherpour Kashani
Kustodin
Archäologisches Museum
Karmelitergasse 1, 60311 Frankfurt am Main
n.bagherpour-kashani@stadt-frankfurt.de
Maruchi Yoshida
ICONYK GmbH München
Welserstraße 33, 81373 München
maruchi.yoshida@iconyk.de
Prof. Dr. omas Stöllner
Abteilungsleiter Forschung / stellvertretender Direktor
Deutsches Bergbaumuseum Bochum
Am Bergbaumuseum 28
44791 Bochum
omas.Stoellner@bergbaumuseum.de
Anmerkungen
1 United Nations (Hrsg.), Die Agenda 2030 für nachhaltige Ent-
wicklung / 2030 Agenda for Sustainable Development, o. O. 2015,
online unter: www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/
RES/70/1&Lang=E (letzter Aufruf am 6. April 2021).
2 www.un.org/sustainabledevelopment/development-agenda/
(letzter Aufruf am 6. April 2021).
3 Abolfazl Aali, omas Stöllner, Aydin Abar und Frank Rühli,
„e Salt Men of Iran: e Salt Mine of Douzlākh, Chehrābād“,
in: Archäologisches Korrespondenzblatt 42/1, 2012, 61–81, bes.
S. 61; Abolfazl Aali und omas Stöllner (Hrsg.), e Archaeo-
logy of the Salt Miners. Interdisciplinary Research 2010–2014,
Bochum 2015, S. 1–141; Abolfazl Aali und omas Stöllner,
„Die Salzmänner von Chehrābad: Eine Spurensuche“, in:
omas Stöllner u. a. (Hrsg.), Tod im Salz. Eine Archäologische
Ermittlung in Persien (Begleitbuch, Katalog und Graphic Novel),
Bochum 2020, S. 133–146, hier S. 133–137.
4 Ebd.
5 Aali u. Stöllner 2015 (wie Anmerkung 3); L.I.S.A. Gerda-Henkel-
Stiftung (Hrsg.), Das Salzmann-Projekt (8 Episoden) , 2018,
online unter: lisa.gerda-henkel-stiftung.de/das_ salzbergwerk_
von_zanjan?nav_id=7366&newsletter=1 (letzter Aufruf am
6. April 2021); Stöllner u. a. 2020 (wie Endnote 3).
6 Aali u. Stöllner 2020 (wie Endnote 3), S. 139–145; ebd.,
S. 126–128.
7 Natascha Bagherpour Kashani, „Herausforderungen,
Ent deckungen, Chancen“, in: Stöllner u. a. 2020
(wie Endnote 3), S. 225–234, hier S. 229.
8 Stöllner u. a. 2020 (wie Endnote 3), S. 54.
9 Siehe princeclausfund.org (letzter Aufruf am 22. April 2021).
10 Stöllner u. a. 2020 (wie Endnote 3), S. 356–368.
11 Ebd., S. 13–15.
12 United Nations 2015 (wie Endnote 1).
13 UNESCO (Hrsg.), UNESCO moving forward the 2030 Agenda for
Sustainable Development, 2017, 16, online unter: en.unesco.org/
creativity/sites/creativity/les/247785en.pdf (letzter Aufruf am
19. Mai 2021).
43
Bildungsplattform Museum
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