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191
Handlungsstrategien im Umgang
mit Anti-Genderismus und
Anti-Feminismus in der Lehre:
Praxisorientiere Antwort-Möglichkeiten
am Beispiel ausgewählter Fälle
Sabine Klinger
1 Einleitung
Eigentlich kann es überall passieren. In der Freizeit, bei Familienfeiern, beim
Einkaufen, beim Sport oder in der Arbeit, bei Besprechungen, bei Konferenzen,
in der Lehre. Abwertungen und diffamierende Bemerkungen, anti-genderistische
und anti-feministische Anfeindungen sind ein globales Phänomen (Akbaba
2022 in diesem Band). Sie begrenzen sich nicht auf einen bestimmten Raum,
auf eine bestimmte Zeit oder ein bestimmtes Setting. Viele Lehrende kennen
desinteressierte oder abwertende Wortmeldungen, wenn Genderthemen in den
akademischen Lern- und Forschungsraum eingeführt werden (Klinger et al.
2019). Deshalb fokussiert dieser Beitrag auf Lehrsettings und stellt die Frage,
wie Lehrende auf anti-genderistische oder anti-feministische Wortmeldungen
reagieren könnten. Lehr-Lern-Settings finden in keinem neutralen diskursiven
Raum statt, sondern sind neben gesellschaftlichen Differenz- und Machtver-
hältnissen auch von der Kontextualisierung durch das akademische Universum
und feldinterne Kräfteverhältnisse geprägt (Klinger 2014; Rieger-Ladich 2009).
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden
GmbH, ein Teil von Springer Nature 2022
Y. Akbaba et al. (Hrsg.), Lehren und Lernen in Differenzverhältnissen,
Pädagogische Professionalität und Migrationsdiskurse,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-37328-3_9
S. Klinger (*)
Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft, Universität Graz, Graz, Österreich
E-Mail: sabine.klinger@uni-graz.at
192 S. Klinger
Studentische Abwehrhaltungen gegenüber Genderthemen, diese Zurschau-
stellungen eines vermeintlichen Nicht-mehr-nötig-Habens beziehungsweise die
Annahme des Zu-weit-Gehens feministischer Politik (Fegter 2012) sind keine
partikularen und individuellen Phänomene oder gar das individuelle Problem
von einzelnen Lehrpersonen, sondern diese Reaktionen sind Teil aktueller
gesellschaftlicher Verhältnisse (Klinger 2014). Die paradoxe Situation, die
wir, die Studierende, heute vorfinden ist, dass auf der Ebene der Praxis soziale
Ungleichheiten fortbestehen und auf der Ebene der Diskurse aber eine Gleich-
heitsrhetorik vorherrscht. Das macht es schwierig, Machtverhältnisse zwischen
den Geschlechtern zu thematisieren. Denn diese erscheinen den Akteur*innen
selbst als Leerstelle, welche dem Blick entzogen werden (Klinger 2014).
„Das Verschwinden der Ungleichheit aus den Diskursen, die um Gleichberechtigung
und Selbstverwirklichung kreisen, das Insistieren darauf, dass nicht normativ-
geschlechtstypische Standards und tradierte Leitbilder, sondern die eigenen Ent-
scheidungen das Handeln bestimmen, verdeckt wesentliche Aspekte der sozialen
Wirklichkeit. Die De-thematisierung der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern
und zunehmend auch zwischen Frauen schafft die Ungleichheit nicht aus der Welt,
sondern entzieht und schützt sie vor Kritik, und das ist nicht zuletzt in politischer
Hinsicht prekär und problematisch.” (Wetterer 2003, S. 314)
Diese rhetorische Modernisierung (Wetterer 2003; Akbaba 2022 in diesem
Band) ist Ausdruck einer Situation, in der sich vorerst nur das alltagsweltliche
Differenzwissen von der Stelle bewegt hat und die herkömmlichen Geschlechter-
arrangements ihr strukturbildendes Potenzial jedoch noch nicht verloren haben,
sondern ein Stück weit optional geworden sind (Wetterer 2003, S. 315). Auch
Maria Bitzan, Heide Funk und Barbara Stauber konstatieren, dass moderne Dis-
kurse, z. B. zur Modernisierung von Weiblichkeitsbildern und Männlichkeits-
bildern bzw. deren Thematisierungsformen, die realen strukturellen Probleme
(z. B. geschlechtsbezogene Ungleichheit, Hierarchie und Benachteiligung) ver-
decken (Tübinger Institut für frauenpolitische Sozialforschung e. V. 2000,)
und eine Entöffentlichung geschlechtshierarchischer Widersprüche zur
Etablierung einer Gleichberechtigungsnorm geführt hat (Bitzan 2000, S. 340).
Angela McRobbie entwickelt das Konzept der Desartikulation, um verstehen
zu können, wie die institutionellen Erfolge, die der Feminismus in den ver-
gangenen 30 Jahren errungen hat, „gegenwärtig ausgehöhlt und unterminiert
werden” (McRobbie 2010, S. 47). Sie zeigt, dass die Desartikulation zum
machtstrategischen Kalkül eines neuen Gender-Diskurses gehört (Klinger 2014;
Akbaba 2022 in diesem Band).
193Handlungsstrategien im Umgang mit Anti-Genderismus …
Wie sich Anti-Genderismus und Anti-Feminismus in der Lehre zeigen kann
und welche Herausforderungen damit verbunden sind, führt Yalız Akbaba in
diesem Band aus. In ihrem Beitrag „Lehre über Gender unter Bedingungen
von Gender“ rekonstruiert sie, wie Studierende auf reaktionäre Weise
geschlechterreflektierende Ansätze herausfordern. Zudem wird deutlich, dass
anti-genderistische oder anti-feministische Wortmeldungen sehr heterogen und
vielfältig sind, dass sich diese nicht immer sofort erkennen lassen und sich immer
wieder in ausgesprochen bürgerlicher Manier präsentieren. In ihren Fallbeispielen
analysiert Akbaba nicht nur anti-genderistische Argumentationslogik und setzt
sich als Dozentin selbst dazu ins Verhältnis, sondern gibt den Lesenden in ihren
autoethnografischen Ausführungen auch Einblick in ihre Handlungsstrategien
im Umgang mit reaktionären Wortmeldungen. Die Ausführungen von Akbaba in
diesem Band bilden den Ausgangspunkt für diesen Beitrag.1 Einerseits schließe
ich an den von Akbaba skizzierten Forschungsstand zu den Herausforderungen
für die Lehre über Gender an (Akbaba 2022 in diesem Band, Abschn. 2).
Andererseits dienen die analysierten Erfahrungen, die genannten Fallbeispiele
sowie die beschriebenen Handlungsstrategien im Umgang mit Anti-Genderismus
und Anti-Feminismus in der Lehre als Grundlage für die Rekonstruktion weiterer
praxisorientierter Antwort-Möglichkeiten. Hierfür werden die Fallbeispiele von
Akbaba aufgegriffen und weitere praxis- und handlungsorientierte Strategien und
Reaktionen auf diese anti-feministischen oder anti-genderistischen Kommentare
entwickelt. Ziel ist es mit diesem Beitrag Lehrenden Handlungsoptionen aufzu-
zeigen, so dass sie diesen Wortmeldungen nicht fassungslos, stumm oder per-
plex gegenüberstehen, sondern selbstbewusst und machtvoll agieren können.
Es wird jedoch kein Rezeptwissen präsentiert und auch keine einfachen Wenn-
dann-Kausalitäten impliziert. Es soll ein Potpourri an Möglichkeiten angeboten
werden, die zum Weiterdenken und zum Ausprobieren anregen sollen. Dabei geht
es nicht darum zu bewerten, welche Reaktionen sinnvoll oder sinnlos sind oder
welche richtig oder falsch sind. In der Kommunikation gibt es eine Vielzahl von
Ansätzen, um mit verschiedenen Situationen umzugehen. Welche Reaktionen als
passend erscheinen, ist abhängig von der sie anwendenden Person. Zudem kann
jede*r Lesende selbst entscheiden was davon praktikabel erscheint. Im besten
1 Ich danke Yalız Akbaba (Johannes Gutenberg-Universität Mainz) für die spannenden Dis-
kussionen und dafür, dass ich auf ihre Fallbeispiele und Erfahrungen zurückgreifen konnte,
um Strategien und Antwort-Möglichkeiten im Umgang mit Anti-Genderismus und Anti-
Feminismus in der Lehre zu exemplifizieren.
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Fall regen die entwickelten Optionen im Umgang mit Widerstand zum Weiter-
denken und zum freudvollen Experimentieren an.
Bevor im 3. Abschnitt praxisorientiere Strategien und Antwort-Möglichkeiten
im Umgang mit Anti-Genderismus und Anti-Feminismus in der Lehre erläutert
werden, werde ich im 2. Abschnitt darlegen, wie meine feministische Lehr-
haltung, mein Wissen und meine Erfahrungen in der feministischen Selbstver-
teidigung diese Überlegungen geprägt haben. Im Resümee (Abschn. 4) werden
abschließende Hinweise zum Ausprobieren und zum Experimentieren vor-
geschlagen.
2 Handlungsstrategien vor dem Hintergrund einer
feministischen Lehrhaltung und feministischer
Selbstverteidigung
Die im folgenden dargelegten Strategien – rund um die Frage nach Handlungs-
optionen und „Kontra-Antworten“ (Berckhan 2001) – sind nicht im biographie-
und erfahrungsfreien Raum entstanden. Sie speisen sich einerseits aus meinem
Wissen und meinen Erfahrungen als feministische Lehrende und Forschende,
andererseits aber auch aus meinen zusätzlichen Interessen bzw. Ausbildungen
als Selbsterfahrungstrainerin und als Coachin. Meine Überlegungen oszillieren
zwischen folgenden Bereichen, die komplementär zueinander stehen: Auf der
einen Seite steht eine feministische (Lehr-)Haltung, die ermächtigen soll, die
es Lernenden und Lehrenden ermöglicht, sich kritisch mit der sie umgebenden
Welt auseinanderzusetzen und diese im nächsten Schritt zu verändern (hooks
2010). Neben der Vermittlung grundlegender Inhalte geht es auch immer darum
den Lernenden (Reflexions-)Räume und Möglichkeiten zu bieten, um über
Hierarchien nachzudenken, diese gegebenenfalls zu brechen, und somit als
Lehrende auch immer Lernende zu bleiben (hooks 2010). Auf der anderen Seite
steht das Anliegen als Selbstverteidigungstrainerin und Coachin, Lehrende im
Umgang mit Anti-Genderismus und Anti-Feminismus in der Lehre zu stärken
und zu unterstützen. Wenn Lehrende Genderthemen ansprechen, machen sie
sich angreifbar (Klinger et al. 2019). Eine wichtige strategische Grundhaltung,
um mögliche Perspektiven zu bieten und um handlungsfähig zu bleiben stellt
für mich das Konzept „Strategischer Essentialismus“ (Spivak 1996) dar. Dabei
geht es Spivak darum, dass es politisch notwendig sein kann, sich in Identi-
täten hineinzudenken, aus strategischer Perspektive, um diese Identitäten auf
ihren Konstruktionscharakter hinzuweisen. „Das Prinzip ist also folgendes: Die
195Handlungsstrategien im Umgang mit Anti-Genderismus …
Problematik essentialistischer Kategorien wird erkannt, doch aus strategischen
Gründen – und das Wort Strategie ist hierbei für Spivak zentral – können sie in
bestimmten Kontexten verwendet werden, um die politische und soziale Welt zu
verstehen und in ihr zu agieren“ (Kempf 2016, S. 68). Das reflektierte Handeln
ist hier oberste Prämisse. D. h. wie es bereits Akbaba in ihrem Beitrag gemacht
hat, geht es darum das Gegenüber zu verstehen und die eigene Position und das
eigene Ziel trotzdem im Blick zu behalten. Ein weiterer Hintergrund ist für mich
eine weiterentwickelte Form von Gagafeminismus. Denn Gagafeminismus ist „a
scavenger feminism that borrows promiscuously, steals from everywhere, and
inhabits the ground of stereotype and cliche all at the same time“ (Halberstam
2012, S. 5). In einem gagafeministischen Rahmen können wir ‚spielen‘, aus-
probieren, Fehler machen und experimentieren, denn „[g]aga feminism (…) is
a form of political expression that masquerades as naive nonsense but actually
participates in big and meaningful forms of critique“ (Halberstam 2012, xxv zit.
n. Klinger et al. 2019).
Die folgenden vorgeschlagenen Strategien und Reaktionen, fußen zudem auf
Ansatzpunkte der feministischen Selbstverteidigung (Klinger 2007). Weiters
spielen verschiedene Kommunikationsstrategien (Berckhan 2001) eine zentrale
Rolle. Diese haben das tiefgreifende Ziel, Selbstvertrauen und ein subjektives
Sicherheitsgefühl zu vermitteln, zu stärken und Strategien zu sammeln, die zur
Bewahrung der eigenen Integrität beitragen. Der ‚erfolgreiche‘ Umgang mit einer
Konfrontation besteht nicht darin schlagfertig zu sein und als Gewinner*in die
Situation zu beenden, sondern sich nicht provozieren zu lassen und bei sich zu
bleiben (Klinger 2007). Im besten Fall können Lehrende die Aktionen und Wort-
meldungen mühelos an sich vorbeileiten, ohne (immer wieder) viel Zeit und
Energie dafür aufzuwenden außer, wenn sie sich dazu entscheiden. Auch wenn
in diesem Beitrag Lehrende und deren Antwort-Möglichkeiten bzw. Reaktionen
im Zentrum stehen, soll es nicht darum gehen deren Verhalten zu optimieren oder
zu ‚bearbeiten‘. Weiters soll nicht der Eindruck entstehen, dass es nur in der Ver-
antwortung der Lehrenden liegt eine Situation ‚richtig‘ zu beurteilen bzw. sich
adäquat zu verhalten. Auch Studierende tragen Verantwortung und sind selbst-
verantwortlich für ihre Wortmeldungen. Deshalb kann es auch eine sein, das Ver-
halten der Kommentierenden zu enttarnen und als übergriffig oder als unpassende
zu markieren. Vor diesem Hintergrund werden im folgenden Kontra-Antworten/
Strategien im Umgang mit Abwertungen und diffamierenden Bemerkungen, anti-
genderistischen und anti-feministischen Anfeindungen vorgeschlagen.
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3 Praxisorientiere Strategien und Antwort-
Möglichkeiten im Umgang mit Anti-Genderismus
und Anti-Feminismus in der Lehre
Wie es auch Akbaba in diesem Band beschrieben hat, kann eine überraschende
oder unerwartete anti-genderistische oder anti-feministische Wortmeldung
vom eigentlichen Inhalt und Ziel der Seminareinheiten ablenken. In solchen
Situationen erhält oftmals der*/die* Student*in viel Aufmerksamkeit und das
raubt Kraft. Um dieses Überraschungsmoment zu durchbrechen, ist es hilf-
reich, wenn die Aufmerksamkeit von der Wortmeldung abgezogen wird und
wieder zur Lehrenden zurückkehrt. Es wäre wichtig, zur inneren Mitte zurück zu
kommen, zum inneren Ort, von dem aus konzentrierte und gesammelte Haltungen
gesetzt werden können. Gleichzeitig geht es darum lange Diskussionen um anti-
genderistische oder anti-feministische Wortmeldungen zu vermeiden. Diese
Diskussionen können zu Machtspielen und Zeitfressern werden und sind kein
ehrlicher Meinungsaustausch. Den im Folgenden präsentierten Strategien und
Antwort-Möglichkeiten liegen Ausführungen von Barbara Berckhan (2001)
zu Grunde. In dem Buch Die intelligentere Art, sich gegen dumme Sprüche zu
wehren bietet Berckhan Kontra-Antworten auf alltäglich verbale Konfrontationen.
Ich greife diese Überlegungen auf, entwickle sie weiter und transferiere dies in
den Kontext eines Lehrsettings. Auch wenn Strategien und Antwort-Möglich-
keiten an den Beispielen von Akbaba exemplifiziert werden, so sind diese auch in
anderen Situationen anwendbar. Das grundlegende Prinzip für Antwort-Möglich-
keiten lautet: die Wortmeldung abwehren, aktiv handeln, die eigene Stimme
erheben und dem Gegenüber ein sachliches Gespräch anbieten, bei gleichzeitiger
Freude am Experimentieren.
3.1 Das offensichtliche Ansprechen
Niemand kann kommunizieren, ohne auch von sich selbst etwas preiszu-
geben (Satir 1999). Dies gilt auch für anti-feministische und anti-genderistische
Kommentare. Aus dieser Überlegung lässt sich eine wirksame Reaktion ent-
falten. Die grundlegende Frage dabei lautet: Was zeigt das Gegenüber durch den
Kommentar von sich bzw. was tut das Gegenüber mit der Wortmeldung? Die
daraus gezogene Vermutung kann in eine sachliche Feststellung münden ohne
diese zur erläutern (Berckhan 2001). Wenn also ein*e Lehramtsstudierende*r
die Aufgaben von Lehrkräften mit einem provozierend sarkastischen Ton
197Handlungsstrategien im Umgang mit Anti-Genderismus …
kommentiert und sagt: „Und als nächstes wollen Sie wohl sagen, dass Männer
stillen können oder was?“ (Akbaba 2022 in diesem Band), kann die Antwort
ganz unspektakulär das widerspiegeln, was die Person von sich preisgibt:
„Sie sind irritiert von den Aufgaben die von Ihnen als Lehrkraft erwartet
werden, geschlechtersensible Pädagogik ist State-of-the-Art und ist deshalb
im bayerischen Schulgesetz verankert“. Bei einer sachlichen Feststellung ist es
wichtig, sich auf den offensichtlichen Zustand oder Meinung des Gegenübers
zu konzentrieren, nicht auf die genauen Worte (Berckhan 2001). Sachliche Fest-
stellungen zum Zustand des Gegenübers könnten lauten: „Sie sind anscheinend
anderer Meinung.“ Oder „Sie wirken aufgebracht.“ Oder „Das Gesagte scheint
Sie zu irritieren.“ Wichtig ist, dass keine langen Erklärungen oder Ratschläge
folgen, sondern anschließend sofort ein Punkt gesetzt wird. Es kann jedoch sinn-
voll sein, dem*/der* Studiereden nach der sachlichen Feststellung einen Arbeits-
auftrag zum Thema zu erteilen (siehe auch Akbaba 2022 in diesem Band). Zudem
kann es hilfreich sein, eine nüchterne Diagnose zu stellen, um dann zurück
zum Thema zu kommen und den eigenen Faden wieder aufzunehmen. Hier ein
weiteres Beispiel „Mit ihrem Kommentar verlieren Sie den Bezug zum Thema, es
geht um die gesetzlichen Rahmenbedingungen von geschlechtssensiblem Unter-
richt.“ Oder „Sie machen sich Gedanken über die Ernährung von Babys. Ich
möchte noch einmal den Kern geschlechtssensiblen Unterrichts aufgreifen usw.“
Diese Form der Kontra-Antwort zeichnet sich durch eine vollkommen ruhige,
kurze und nüchterne Feststellung oder Diagnose aus. Ziel der sachlichen Fest-
stellung ist es, nicht das Gegenüber zu überzeugen, oder ihn*/sie* zur Einsicht
zu bringen, sondern lange Diskussionen zu vermeiden, um mit den Inhalten des
Seminars fortzufahren. Trotz einer distanzierten Haltung können Lehrende jeder-
zeit wieder in einen Dialog und eine Diskussion mit den Studierenden gehen.
3.2 Die Umleitung
In der Kommunikation mit anderen ist es wichtig in Resonanz mit dem
Gegenüber zu sein (Satir 1999). Das bedeutet auch das Gegenüber verstehen
zu wollen. Im Umgang mit diffamierenden anti-genderistischen und anti-
feministischen Bemerkungen erscheint es sinnvoll dieses Grundprinzip der
Kommunikation absichtlich zu verletzen. Das kann z. B. bedeuten auf ein ein-
gebrachtes Gesprächsthema nicht zu reagieren oder unpassende Antworten zu
geben. Wenn das Gegenüber keine passende Antwort bekommt, bleibt die Wort-
meldung ohne Resonanz, ohne Echo. Ziel dieser Reaktion ist es das ‚angebotene‘
Thema ganz deutlich umzuleiten. Dies gelingt indem von den Lehrenden ein
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neues Thema direkt – mit oder ohne Überleitung – zur Sprache gebracht wird.
Bleiben wir beim Beispiel von Akbaba in diesem Band. Hier wird beschrieben,
wie ein Student geschlechtersensible Inhalte aus dem bayerischen Schulgesetz
kommentiert, und das Thema in einen anderen Rahmen (Bundeswehr) setzt und
kommentiert: „Er [der Student] äußert in einem etwas empörten Ton, er müsse
jetzt aber mal sagen, dass er das schon ein Ding fände, bei der Bundeswehr sei
es ja so, dass die Frauen sich da aussuchen wollten, welche Aufgaben sie über-
nehmen, und kämpfen wollten sie zum Beispiel ja gar nicht.“ (Akbaba 2022 in
diesem Band). Bei diesem studentischen Kommentar wendet übrigens auch der
Student die Methode der Umleitung an, er wechselt unvermittelt das Thema
bzw. setzt es in einen anderen Rahmen. Dieses Mittel steht natürlich auch allen
Lehrenden zur Verfügung. Eine Umleitung von Seiten der Lehrenden könnte
lauten: „Apropos Bundeswehr, in Österreich wird das Bundesministerium für
Landesverteidigung von einer Frau geführt und Österreich grenzt direkt an
Bayern.“ Oder „Wissen Sie, mir gehen ganz andere Sachen durch den Kopf:
Warum melden sich mehr Studenten als Studentinnen in der Vorlesung zu
Wort.“ Oder „Da fällt mir gerade etwas ganz anderes ein, und zwar die Unter-
lagen zur heutigen Sitzung finden Sie auch auf der Lernplattform xxy“. Bei
dieser Strategie ist es wichtig zu bedenken, dass Lehrende die Wahl haben, ob
sie auf die/den Gesprächspartner*in eingehen oder nicht. Falls sie sich dagegen
entscheiden, braucht diese Umleitung auch keine Begründung, sie muss auch
nicht elegant oder raffiniert sein. Auch wenn das Gegenüber anmerkt, dass das
Thema gewechselt wurde, reicht eine Anmerkung wie: „Ja, ich habe das Thema
gewechselt“ oder „Zu dem was sie gesagt haben, möchte ich nichts sagen bzw.
möchte ich darüber nicht diskutieren.“ Ein weiteres Beispiel ist „die Bundeswehr
ist nicht Teil des Syllabus“. Es ist das gute Recht einer Lehrkraft das Thema zu
wechseln, ohne das eigene Verhalten zu erklären, selbst wenn das Gegenüber sich
darüber wundert. Es ist jederzeit möglich zu dem zurückzukehren, was eigent-
lich in der Lehrveranstaltungseinheit oder im Seminar thematisiert werden soll
und Teil des Syllabus ist. Nicht jede anti-feministische oder anti-genderistische
Wortmeldung muss im Seminar diskutiert werden. Eine Wortmeldung oder ein
Kommentar kann auch ignoriert werden, indem die Lehrkraft einfach weiter-
redet. Natürlich ist es auch Aufgabe von Lehrenden Studierenden Wissen und
Argumentationslogiken zu vermitteln. Jedoch ist es die Entscheidung der Lehr-
kraft, auf welche Wortmeldungen er*/sie* sich einlässt und auf welche nicht.
199Handlungsstrategien im Umgang mit Anti-Genderismus …
3.3 Die Gegenfrage
Nachfragen sind wichtige und wertvolle Mittel einer funktionierenden
Kommunikation. Gleichzeitig können Gegen- oder Nachfragen nicht nur als ein
Zeichen von Interesse verstanden werden. Wer fragt, führt, und durch Nachfragen
kann die Kontrolle einer Situation bewahrt werden (Kampitsch 2019). Mit einer
Gegenfrage wird das Gegenüber aufgefordert, das Gesagte zu erklären. Dadurch
wird der Gesprächspartnerin*/dem Gesprächspartner* zugleich die Möglich-
keit gegeben sachlich zu werden (oder zu bleiben) und ein potenzielles Missver-
ständnis aufzuklären. Zudem gewinnt die Lehrkraft Zeit, die eigenen Gedanken
zu sortieren. Während sich die*/der* Gesprächspartner*in erklärt, kann die*/
der* Lehrende darüber nachdenken, wie sie sich verhalten möchte und wie die
Situation einzuordnen ist (Berckhan 2001). Yalız Akbaba beschreibt in ihrem
Beitrag in diesem Band sehr anschaulich ein Gespräch mit einem Studenten
nach einer Seminareinheit. Hier wird deutlich wie viel Zeit und Energie in eine
„anstrengende Seminarerfahrung“ (Akbaba 2022 dieser Band) fließen kann.
Akbaba stellt dar, dass der Student auf die Lehrende zukommt und meint: „ich
wollte nur nochmal generell sagen also wie toll ich das finde wie Sie das machen“
und dann ergänzt, dass ihm aufgefallen sei, die Lehrende würde Studierende, die
eine andere Ideologie vertreten als sie selbst „anders behandeln“. An diesem Bei-
spiel lässt sich zeigen, wie die Gegenfrage gewendet werden kann. Im Gegen-
satz zur Strategie Das offensichtliche Ansprechen fokussiert diese Strategie
auf die genauen Worte und greift diese in Form einer Gegenfrage auf. Im oben
beschriebenen Beispiel könnte die Gegenfrage lauten: „Was meinen Sie mit
‚Ideologie‘?“. Zu beachten ist, dass die Nachfragen souverän und ruhig wirken
sollen. Weitere Variationen könnten sein: „Interessant, was meinen Sie mit
‚anders behandeln‘“ oder „was meinen Sie mit ‚wie ich das mache‘“? „Was ver-
stehen Sie unter toll?“ oder „Wie definieren Sie Ideologie?“. Wenn die Lehrkraft
dem Gegenüber keinen Raum oder wertvolle Zeit geben möchten um sich aus-
zubreiten, ist diese Strategie jedoch nicht zu empfehlen, da die Gegenfrage dem
Gegenüber auch eine Bühne für weitere Ausführungen bieten kann. In einem
Vorlesungssetting oder auch bei Diskussionen ist die Strategie der Gegenfrage
eher mit Vorsicht anzuwenden. Stattdessen kann es manchmal sinnvoll sein, kein
Gegenargument einzubringen und sich nicht gegen Vorwürfe zu wehren, sondern
mit den ursprünglichen Inhalten fortzufahren und diese ggf. beharrlich zu wieder-
holen (Klinger 2007).
200 S. Klinger
3.4 Klartext sprechen und Spielregeln klären
Gemeinsame Kommunikations- und Verhaltensregeln sind die Grundlage für eine
gute Gesprächsbasis. Deshalb ist es sinnvoll am Beginn jeder Lehrveranstaltung
diese zu benennen. Darunter können fallen: das Einführen einer Redner*innen-
liste; Höflichkeit und Respekt im Umgang miteinander – also einander aus-
reden lassen und keine persönlichen Angriffe; sachliche und konstruktive
Wortmeldungen, d. h. Fragen und Kommentare sollen sich auf die Inhalte der
Lehrveranstaltung bzw. auf das jeweilige Thema beziehen. Diese sind ins-
besondere dann hilfreich, wenn Lehrende befürchten, dass die oben genannten
Strategien (3.1, 3.2, 3.3) das Gegenüber nicht stoppen oder diese nicht aus-
reichen. In diesem Fall ist es ratsam Klartext zu sprechen und die gemeinsamen
Spielregeln zu klären bzw. daran zu erinnern. Damit kann das Gespräch in
eine konstruktive Richtung gelenkt werden. Erinnern wir uns nochmals an die
Situation, in der ein Student die Lehrende fragt „Und als nächstes wollen Sie
wohl sagen, dass Männer stillen können oder was?“ (Akbaba 2022 in diesem
Band). Eine mögliche Reaktion ist es die Situation direkt anzusprechen und
die Spielregeln zu klären. Etwa so: „Ihre Wortmeldungen sind sarkastisch und
destruktiv. Sie wechseln zum wiederholten Male das Thema und kommentieren
die Seminarinhalte abwertend. Mir liegt viel daran, dass wir in der Lehrver-
anstaltung eine konstruktive Gesprächskultur haben. Meine dringende Bitte:
Bleiben Sie beim Thema und gestalten Sie Ihre Beiträge konstruktiv“. Wie
auch bei den oben genannten Strategien ist es auch hier grundlegend sachlich
und souverän zu bleiben. Denn Personen, die selbst unsachlich argumentieren,
reagieren auf unsachliche Kontra-Antworten sehr sensibel (Berckhan 2001).
Es kann schnell passieren, dass eine Lehrkraft plötzlich für ihre* oder seine*
(scheinbar) unsachliche oder emotionale Reaktion kritisiert wird. Auf diese Form
des Ablenkens kann reagiert werden, indem das Verhalten des Gegenübers erneut
direkt zum Thema gemacht wird. Zum Beispiel so: „Mit solchen Bemerkungen
kommen wir nicht weiter. Bitte lassen Sie uns bei der Sache bleiben.“ Klarheit
in der Kommunikation ist besonders wichtig, wenn eine langfristige Zusammen-
arbeit oder Kooperation angestrebt wird oder umgesetzt werden muss.
4 Resümee
Es gibt eine Vielzahl von Ansatzpunkten und Antwort-Möglichkeiten im Umgang
mit Anti-Genderismus und Anti-Feminismus in der Lehre und jede Person wird
eine andere persönliche Präferenz in der Anwendung dieser Strategien haben.
201Handlungsstrategien im Umgang mit Anti-Genderismus …
Allen Strategien liegt die Haltung zugrunde, die Kommentare nicht persönlich
zu nehmen. Berckhan spricht in diesem Zusammenhang von einer Unabhängig-
keitserklärung: „So lange unsere Stimmungen und Gefühle abhängig davon sind,
wie andere uns behandeln, sind wir von deren Reaktionen abhängig und lassen
uns von ihnen beurteilen, bewerten und abwerten“ (2001, S. 15). Übertragen
auf Lehrsettings bedeutet dies, sich unabhängig von dem Gedanken zu machen
andere überzeugen zu müssen oder vor anderen z. B. Studierenden gut da stehen
zu wollen, oder eine Auseinandersetzung gewinnen zu müssen. Der einzige
Gewinn, um den es geht, ist die eigene Gelassenheit und Souveränität. Wenig
hilfreich ist es sich unter (Erfolgs-)Druck zu setzen. Zudem gilt es zu bedenken,
dass eine Person nicht jeden Tag gleich reagieren kann, manchmal fällt es leicht
auf anti-genderistische und anti-feministische Anmerkungen zu kontern, es gibt
allerdings auch Situationen, in denen es schwerfällt. Abschließend soll betont
werden, dass es auch eine Handlungsstrategie sein kann stumm zu bleiben. Die ist
keineswegs ein Fehler, sondern in bestimmten Situationen womöglich die beste
Lösung für die Lehrkraft (Berckhan 2001). Auch mit der aktiven Entscheidung
nicht zu kontern kann eine Situation mitgestaltet werden.
Bei der Umsetzung der vorgeschlagenen Handlungsstrategien im Umgang
mit Anti-Genderismus und Anti-Feminismus in der Lehre, gilt es zu bedenken,
sich als Lehrende nicht zu überfordern. Deshalb möchte ich abschließend fünf
Gedanken nennen, welche im Umgang mit reaktionären Wortmeldungen unter-
stützen können: Ohne Fehler lernen wir nichts; Schwächen sind sympathisch
(Höfner und Schachtner 2008); Erfahrungsaustausch mit anderen Lehrenden kann
entlastend sein; in jeder Situation können neue Erfahrungen gemacht werden;
Lust am Experimentieren erhält die Freude am Lehren.
Literatur
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Mag.a. Dr. in. Sabine Klinger MA ist Universitätsassistentin am Arbeitsbereich Sozial-
pädagogik am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft der Karl-Franzens-Uni-
versität Graz. Sie wurde 2013 an der Phillips-Universität Marburg promoviert. Sie lehrt,
forscht und publiziert zu den Themen Diversität und Intersektionalität, Gender Studies,
feministische Hochschullehre, Digitalisierung und Soziale Arbeit sowie qualitative und
quantitative Sozialforschung.
Email: sabine.klinger@uni-graz.at