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Leitthema
Bundesgesundheitsbl 2022 · 65:784–794
https://doi.org/10.1007/s00103-022-03548-5
Eingegangen: 29. Dezember 2021
Angenommen: 3. Mai 2022
Online publiziert: 2. Juni 2022
© Der/die Autor(en) 2022
Kevin Dadaczynski1,2,3 · Katharina Rathmann1,2 · Julia Schricker4·
Ludwig Bilz5·GordenSudeck
6,7 · Saskia M. Fischer5· Oliver Janiczek8·
Eike Quilling9
1Fachbereich Gesundheitswissenschaften,Hochschule Fulda, Fulda, Deutschland
2Public Health Zentrum (PHZF), Hochschule Fulda, Fulda, Deutschland
3Zentrum für Angewandte Gesundheitswissenschaften, Leuphana Universität Lüneburg, Lüneburg,
Deutschland
4Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln – Universität Witten/Herdecke,Datteln, Deutschland
5Fakultät für Soziale Arbeit, Gesundheit und Musik, Brandenburgische Technische Universität Cottbus-
Senftenberg, Cottbus, Deutschland
6Institut für Sportwissenschaft, Eberhard Karls Universität Tübingen, Tübingen, Deutschland
7Interfakultäres Forschungsinstitutfür Sport und körperliche Aktivität, Eberhard Karls Universität
Tübingen, Tübingen, Deutschland
8Hessische Arbeitsgeme inschaft für Gesundheitsförderung e. V., Frankfurt am Main, Deutschland
9Department für Angewandte Gesundheitswissenschaften, Hochschule für Gesundheit , Bochum,
Deutschland
Digitale Gesundheitskompetenz
von Schülerinnen und Schülern.
Ausprägung und Assoziationen
mit dem Bewegungs- und
Ernährungsverhalten
Einleitung
Auch wenn der Begriff „Digital Natives“
u.a. aufgrund seiner mangelnden em-
pirischen Fundierung durchaus Gegen-
stand der kritischen Diskussion ist [1],
düre unstrittig sein, dass junge Men-
schen in hohem Maß mit digitalen Medi-
en und Informationsangebote n aufwach-
sen. Die Ergebnisse der vom Medienpäd-
agogischen Forschungsverbund Südwest
durchgeführten Studie „Jugend, Infor-
mation, Medien“ (JIM) weisen für die
Altersgruppe der 12- bis 19-Jährigen auf
eine hohe Verfügbarkeit von digitalen
Endgeräten hin, die für Smartphones und
Computer/Laptops im Jahr 2019 annäh-
rend 100% betrug [2]. Dass digitale Me-
dien nicht nur für freizeitbezogene Ak-
tivitäten (Streaming, Musikhören, Spie-
len), sondern auch für gesundheitsbezo-
gene Informationsanliegen genutzt wer-
den, zeigen verschiedene Untersuchun-
gen und Reviews [3–5].
In ihrer systematischen Übersichts-
arbeit zur gesundheitsbezogenen Inter-
netnutzung konnten Park und Kwon
[3] 19 Studien mit insgesamt fast 11.000
Teilnehmenden (Alter bis 24 Jahre) iden-
tifizieren. Die Ergebnisse weisen darauf
hin, dass ein Großteil das Internet schon
einmal für gesundheitsbezogene Zwe-
cke genutzt hat, wobei der PC/Laptop
(65 %) sowie das Smartphone und an-
dere mobile Endgeräte (42%) häufig zur
gesundheitsbezogenen Informationsre-
cherche eingesetzt wurden. Besonders
bedeutsam waren hierbei alltagsnahe
Gesundheitsthemen (z. B. Sportverlet-
zungen, Fitness, Erkältung), körperli-
ches Wohlbefinden, sexuelle Gesund-
heit, psychische Gesundheit oder soziale
Probleme. Unterschiede in der gesund-
heitsbezogenen Internetnutzung ließen
sich für das Alter (häufigere Nutzung mit
zunehmendem Alter) und Geschlecht
(häufigere Nutzung bei Mädchen, vor al-
lem mit Blick auf das Hilfesuchverhalten)
identifizieren. In einer Zusammenfas-
sung der aktuellen Studienlage finden
sich Hinweise für eine häufigereNutzung
klassischer Internetseiten und Suchma-
schinen, während gesundheitsbezogene
Apps und sogenannte Wearables deut-
lich seltener eingesetzt werden [4]. Eine
zunehmende Bedeutung lässt sich hinge-
gen für Social-Media-Plattformen (z. B.
Youtube, Instagram) feststellen, die – wie
eine Studie aus dem Vereinigten König-
reich zeigt – häufig für Informationen
zum ema Körperbild, körperliche
Aktivität und Fitness sowie Ernährung
genutzt werden [5].
Wenn digitale Medienzunehmend für
die gesundheitsbezogene Informations-
recherche zum Einsatz kommen, rückt
die Frage nach der digitalen Gesund-
heitskompetenz (GK) im Jugendalter in
den Vordergrund. Unter dem Begriff
Gesundheitskompetenz wird grundle-
gend die Fähigkeit des Findens, Ver-
stehens, der kritischen Bewertung und
Anwendung gesundheitsbezogener In-
formationen zur Bewahrung, Förderung
784 Bundesgesundheitsblatt - Gesund heitsforschung - Gesundheitsschutz 7–8 · 2022
oder Wiederherstellung der Gesundheit
und des Wohlbefindens verstanden [6].
Für den Bereich der digitalen GK (im
Englischen auch als E-Health Literacy
oder Digital Health Literacy bezeichnet)
liegt bislang keine einheitliche Defi-
nition vor, was unter anderem darauf
zurückzuführen ist, dass unterschied-
liche Konzepte wie das der GK mit
weiteren Ansätzen wie der Medien-
und Digitalkompetenz verbunden wer-
den. Während „Digitalkompetenz“ als
die Fähigkeit der angemessenen Nutzung
von Medien- und Kommunikationstech-
nologien beschrieben wird, kann unter
„digitaler Gesundheitskompetenz“ die
Fähigkeit der angemessenen Nutzung
von digitalen Informationstechnologi-
en zur Erschließung und Verarbeitung
gesundheitsbezogener Informationen
verstanden werden [7]. Als diskursbe-
stimmend galt dabei lange Zeit ein von
Norman und Skinner vorgelegtes Mo-
dell, das 6 Fähigkeiten definiert, die sich
einem analytischen Kompetenzbereich
(Traditional Literacy, Information Media
Literacy) und einem kontextspezifischen
Fähigkeitsbereich (Computer Literacy,
Science Literacy, Health Literacy) zu-
ordnen lassen [8].
Trotz der Popularität, die das Modell
sowie das von den Autoren entwickelte
eHEALS-Instrument [9]erfahrenhaben,
sind in den vergangenen Jahren u.a. die
individuelle Fokussierung und die feh-
lende Berücksichtigung der sozialen Ein-
bettung von Techniknutzung kritisiert
worden [10]. Gerade mit Blick auf die
zunehmende Bedeutung sozialer Medi-
en als „user-generated platforms“ (d.h.
Plattformen, in denen Nutzerinnen und
Nutzer eigene Inhalte generieren kön-
nen) sind (junge) Menschen nicht nur
passive Rezipienten von gesundheitsbe-
zogenen Informationen, sondern tragen
durch eigene Inhalte oder durch Inter-
aktion mit bestehenden Inhalten (Likes,
Teilen und Kommentieren von Beiträ-
gen) aktiv zum Informations- und Kom-
munikationsgeschehen bei.
Mit Blick auf aktuelle Befunde re-
präsentativer Studien variiert der Anteil
der Erwachsenen (18+) aus Deutsch-
land mit eingeschränkter digitaler GK
von 52–75,8% [11,12]. Dabei berichten
Befragte mit niedrigem Bildungs- sowie
Sozialstatus, höherem Alter (65+) und
geringer funktionaler Literalität deut-
lich häufiger von Schwierigkeiten der
Beschaffung und des Umgangs mit di-
gitalen Gesundheitsinformationen. Für
das Kindes- und Jugendalter ist die
empirische Datenlage bislang deutlich
eingeschränkter. Während für die all-
gemeine GK mittlerweile verschiedene
alters- und entwicklungsspezifische In-
strumente und erste Studienbefunde
vorliegen [13–16], existieren für den
Bereich der digitalen GK national und
international bisher kaum Studien. Im
Rahmen der deutschen Übersetzung und
psychometrischen Testung des eHEALS-
Instruments wurden Jugendliche der
gymnasialen Oberstufe (n= 326) zur
digitalen GK befragt [17]. Dabei be-
richteten die Befragten am häufigsten
von Schwierigkeiten, gesundheitsbezo-
gene Entscheidungen auf Basis der im
Internet gefundenen Informationen zu
treffen (31,6%) oder zu wissen, wel-
che Quellen für gesundheitsbezogene
Informationen im Internet verfügbar
sind (20,2%). In einer etwas älteren US-
amerikanischen Untersuchung mit Ju-
gendlichen der Klassenstufen 9 bis 12 ließ
sich eine tendenziell hohe digitale GK
(eHEALS-Score: 30,6 von 40) feststellen
[18]. Unterschiede fanden sich hierbei
zugunstenvonälterenJugendlichenund
Befragten mit Erfahrung in der online-
und offlinebezogenen Recherche nach
Gesundheitsinformationen.
In Hinblick auf gesundheitliche Indi-
katoren ließen sich in einer türkischen
Studie mit 14- bis 19-Jährigenunter Kon-
trolle von Geschlecht und Bildungsstand
derElternBelegefürpositiveZusammen-
hänge zwischen digitaler GK (ebenfalls
erfasst über den eHEALS) und dem Er-
nährungsverhalten,der sportlichen Akti-
vität und dem Stressmanagement ermit-
teln [19]. Levin-Zamir et al. berichten
zudem die Ergebnisse einer israelischen
Studie mit Schülerinnen und Schülern
der Klassenstufen 7, 9 und 11, bei der
ein eigenentwickeltes Instrument zu Me-
dia Health Literacy mit 4 Dimensionen
zum Einsatz kam (Erkennen von Ge-
sundheitsbotschaen in digitalen Medi-
en; Einfluss von Medienbotschaen auf
das eigene Verhalten; kritische Bewer-
tung der Med ienbotscha en; persön liche
Handlungen als Folge der Medienbot-
schaen; [20]). Mädchen und Jugendli-
che aus Familien mit höherem mütterli-
chen Bildungsstand wiesen eine höhere
digitale GK auf. Adjustiert für beide Va-
riablen ließen sich positive Zusammen-
hänge zwischen der digitalen GK und
dem gesundheitsförderlichen Verhalten
absichern. Eine weitere Studie mit 12-
bis 16-jährigen Jugendlichen aus China
konnte zudem zeigen, dass die Fähigkeit
der onlinebezogenen Beschaffung von
Gesundheitsinformationen mit einer hö-
heren Intention gesundheitsförderlichen
Verhaltens assoziiert ist [21].
Für den deutschsprachigen Raum
mangelt es bi slang an Erkenntniss en zum
Zusammenhang von digitaler GK und
dem Gesundheitsverhalten. In einer vom
Robert Koch-Institut durchgeführten
repräsentativen Studie zur allgemeinen
Gesundheitskompetenz von Jugendli-
chen zwischen 14 bis 17 Jahren wiesen
Befragte mit geringen Ausprägungen
in allen GK-Dimensionen eine höhere
Wahrscheinlichkeit des nichttäglichen
Obst- und Gemüsekonsums auf [14].
Auch ließen sich Zusammenhänge zwi-
schen einer eingeschränkten Fähigkeit
der Kommunikation und Interaktion
sowie dem Rauchverhalten und einer
geringen körperlichen Aktivität absi-
chern.
Vor dem Hintergrund der begrenzten
Studienlage zielt der vorliegende Beitrag
darauf ab, erste Befunde zur digitalen GK
beiJugendlicheninDeutschlandvorzu-
stellen.Entsprechendder internationalen
Studienlage gehen wir von geschlechts-,
alters- und sozioökonomischen Unter-
schieden der digitalen Gesundheitskom-
petenz aus. Auch wird angenommen, dass
sich die für die allgemeine GK [14]und
digitale GK [19–21]identifiziertenZu-
sammenhänge mit dem Gesundheitsver-
halten auch für Jugendliche aus Deutsch-
land nachweisen lassen. Aufgrund der
unverändert hohen Prävalenz von Über-
gewicht und Adipositas im Jugendalter
[22]stehenimFolgendendiekörperliche
Aktivität und Aspekte des Ernährungs-
verhaltens als Indikatoren des Gesund-
heitsverhaltens im Vordergrund.
Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 7–8 · 2022 785
Zusammenfassung · Abstract
Bundesgesundheitsbl 2022 · 65:784–794 https://doi.org/10.1007/s00103-022-03548-5
© Der/die Autor(en) 2022
K.Dadaczynski·K.Rathmann·J.Schricker·L.Bilz·G.Sudeck·S.M.Fischer·O.Janiczek·E.Quilling
Digitale Gesundheitskompetenz von Schülerinnen und Schülern. Ausprägung und Assoziationen mit
dem Bewegungs- und Ernährungsverhalten
Zusammenfassung
Hintergrund. Während vermehrt
Studienbefunde zur allgemeinen Gesund-
heitskompetenz (GK) vorliegen, mangel t es an
Erkenntnissen zur digitalen GK im Jugendalter
und deren Assoziationen mit Indikatoren des
Gesundheitsverhaltens.
Methodik. Empirische Basis bildet eine von
Oktober 2019 bis Februar 2020 im Bundesland
Hessen durchgeführte Querschnittstudie
mit 490 Schülerinnen und Schülern der
Klassenstufe 8 und 9. Die digitale GK wurde
mithilfe von 5 Subskalen des Digital Health
Literacy Instrument (DHLI) erfasst, während
der Verzehr von Obst, Gemüse und Softdrinks
sowie die körperliche Aktivität als Indikatoren
des Gesundheitsverhaltens herangezogen
wurden. Als soziales Merkmal wurde neben
dem Geschlecht und der Klassenstufe der
subjektive Sozialstatus (SSS) berücksichtigt.
Die Datenauswertung erfolgte uni-, bi-
und multivariat, wobei binärlogistische
Regressionen für das Geschlecht und den SSS
adjustiert wurden.
Ergebnisse. Über alle Items hinweg berichten
15,3–37,5% der befragten Jugendlichen
Schwierigkeiten bei der Beschaffung von und
im Umgang mit digitalen Informationen.
Differenziert nach sozialen Merk malen finden
sich für 2 Dimensionen der digitalen GK
Unterschiede zuungunsten der Mädchen
sowie durchgehend ein sozialer Gradient
zuungunsten von Befragten mit niedrigem
SSS. Jugendliche mit mittlerer und geringer
digitaler GK weisen ein höheres Maß an
geringer körperlicher Aktivität, nichttäglichem
Obstverzehr und täglichem Konsum von
zuckerhaltigen Getränken auf.
Diskussion. Die Befunde weisen auf einen
Interventionsbedarf zur Förderung der
digitalen GK insbesondere bei Jugendlichen
mit geringem SSS hin. Die differenziellen
Zusammenhangsmuster mit de m Gesund-
heitsverhalten bieten Ansatzpunkte für die
Entwicklung spezifischer Interventionen.
Als Lehr- und Lernort stellt die Schule u.a.
aufgrund der Passung mit verpflichtenden
Strategien der schulischen Medienkom-
petenzbildung ein geeignetes Setting
dar.
Schlüsselwörter
Gesundheitsinformationen · Digital Public
Health · Jugendgesundheit · Obst- und
Gemüsekonsum · Körperliche Aktivität
Digital health literacy of pupils. Level and associations with physical activity and dietary behavior
Abstract
Background. While there are increasing
empirical findings on general health literacy
(HL), there is a lack of evidence on digital HL
in adolescence and its association with health
behavior.
Methods. A cross-sectional study of 490
students from grade eight and nine from
the federal state of Hesse was conducted
from October 2019 to February 2020. Digital
HL was assessed using five subscales of the
Digital Health Literacy Instrument (DHLI),
while consumption of fruits, vegetables,
andsoftdrinksaswellasweeklyphysical
activity were used as indicators of health
behavior. In addition to gender and grade
level, subjective social status (SSS) was used
as a social characteristic. Univariate, bivariate,
and multivariate analyses were performed,
with binary-logistic regression adjusted for
gender and SSS.
Results. Across all items, 15.3 to 37.5% of
adolescents reported difficulties in acquiring
and dealing with digital health information.
Stratified by social charac teristics, gender
and socioeconomic differences were found
with girls and respondents reporting a lower
SSS more often showed a limited digital HL.
Adolescents with moderate and low digital
HL reported higher levels of low physical
activity and non-daily fruit and daily soft drink
consumption.
Discussion. The findings suggest a need
for interventions to promote digital HL
among adolescents, particularly for those
of low SSS. In this context, the differential
relationship patterns with health behaviors
provide an avenue for the development of
specific interventions. The school as a place
of teaching and learning is a suitable setting
because, among other things, of its fit with
the mandatory strategy of media literacy
educationinschools.
Keywords
Health information · Digital public health ·
Adolescent health · Fruit and vegetable
consumption · Physical activity
Methodik
Studiendesign und Stichprobe
Um empirische Aussagen zur digitalen
GK bei Jugendlichen treffen und Zu-
sammenhänge mit sozialen Merkmalen
und dem Gesundheitsverhalten prüfen
zu können, wurde eine vom Hessischen
Ministerium für Wissenscha und Kunst
(HMWK) geförderte Mixed-Methods-
Studie an hessischen allgemeinbilden-
den Schulen durchgeführt. Diese bestand
einerseits aus einer schrilichen Befra-
gung von Schülerinnen und Schülern
der Sekundarstufe I sowie von Schul-
leitungen zu den Rahmenbedingungen
an den jeweiligen Schulen (quantita-
tiverArm).Darüberhinauswurden
leitfadengestützte Einzelinterviews mit
Lehrkräen in den für die schriliche
Befragung rekrutierten Schulen zu den
Erfahrungen mit dem ema GK im
Kontext der Medienbildung durchge-
führt (qualitativer Arm). Gegenstand
des vorliegenden Beitrags ist der quanti-
tative Teil der Studie, der auf einer Paper-
Pencil-Befragung von Schülerinnen und
Schülern im Zeitraum von Oktober 2019
bis Februar 2020 basiert.
Innerhalb der Landkreise Fulda und
Wiesbaden wurden mit Ausnahme von
Förderschulen alle vorhandenen Regel-
schulformen der Sekundarstufe I (Klas-
senstufe 8 und 9) zur Studienteilnahme
eingeladen (N= 49). Die Einladung er-
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folgte zunächst per E-Mail mit einem
Informationsschreiben, welches über die
Ziele, emen und die geplante Um-
setzung der Studie Auskun gab. Dem
folgten nach 2 Wochen ein Erinnerungs-
schreiben per E-Mail und eine telefoni-
sche Nachfassung. Da nach Abschluss
der Rekrutierung die Anzahl positiver
Zusagen gering war (n= 10), wurden
die Einzugsgebiete auf die angrenzen-
den Landkreise ausgeweitet (N= 100).
Hierdurch konnten 6 weitere Schulen
gewonnen werden, womit die Rück-
laufquote insgesamt 10,7 % beträgt. Mit
Einverständnis zur Studienteilnahme
wurden den teilnehmenden Schulen die
notwendigen Unterlagen (Fragebögen,
Informationsschreiben, Einverständnis-
erklärungen, Instruktionen) postalisch
zugesandt. Die Befragung fand im Klas-
senkontext statt und wurde von einer
zuvor instruierten Lehrkra innerhalb
einer Schulstunde durchgeführt. Voraus-
setzung der Befragungsteilnahme war
das Vorliegen einer schrilichen Einver-
ständniserklärung der Schülerinnen und
Schüler sowie der Erziehungsberechtig-
ten bei Minderjährigkeit.
Instrument
Zur Erfassung der digitalen Gesundheits-
kompetenz wurde das Digital Health
Literacy Instrument (DHLI) von Van
der Vaart und Drossaert [23] verwendet,
zu dem bereits erste deutsche Anwen-
dungserfahrungen vorliegen [11,24].
Hierbei handelt es sich um ein Selbstbe-
urteilungsverfahren, welches verschie-
dene Facetten der digitalen GK erfasst.
Von den im Rahmen der Original-
version vorgeschlagenen 7 Subskalen
wurden innerhalb der vorliegenden Stu-
die 5 Dimensionen eingesetzt: (1) Su-
chen und Finden von Informationen
(z.B. richtige Suchanfragen verwenden),
(2) Beitragen eigener Inhalte (z. B. eigene
gesundheitliche Anliegen klar formulie-
ren), (3) Bewer tung d er Qua lität (z. B.
mögliches kommerzielles Interesse von
Gesundheitsinformationen erkennen),
(4) Bestimmung der Alltagsrelevanz
(z. B. Anwend ung der Information im
Alltag)und(5)SchutzderPrivatsphäre
(z.B. Teilen privater Informationen).
Ausgeschlossen wurden hingegen die
Subskalen „operative Fähigkeiten“ und
„navigationale Fähigkeiten“, da diese
aufgrund der eher technischen Ausrich-
tung ( z. B. Fähig keit zur Verwen dung
einer Tastatur) für Jugendliche als we-
niger relevant eingestu wurden. Jede
Subskala umfasst 3 Items, die auf einer
vierstufigen Skala (1 = sehr schwierig,
2=schwierig, 3=einfach, 4=sehr ein-
fach bzw. für die Skala zum Schutz der
Privatsphäre 1 = häufig, 2 = manchmal,
3 = selten, 4 = nie) beantwortet werden
konnten (Items siehe .Ta b. 2).
Das englischsprachige Instrument
wurde in einem Übersetzungs-Rück-
übersetzungs-Verfahren in die deutsche
Sprache überführt, wobei stellenweise
minimale Anpassungen vorgenommen
wurden, um die Verständlichkeit für
Jugendliche zu verbessern. Vor dem
Einsatz wurde das Instrument in einem
Pretest mit Jugendlichen auf Verständ-
lichkeit hin erprobt. Mit einer Ausnah-
me erreichte die interne Konsistenz der
eingesetzten Skalen zufriedenstellende
Werte (0,65 < α < 0,75). Aufgrund der
geringen Reliabilität (α = 0,29) wurde
die Skala „Schutz der Privatsphäre“ aus
den bi- und multivariaten Analysen
ausgeschlossen.
Bisher existieren keine Grenzwerte
zur Definition unterschiedlicher Kom-
petenzlevel, weshalb vorliegend eine
inhaltlich begründete Kategorisierung
vorgenommen wurde. In einem ersten
Schritt wurde für jede Dimension ein
Summenwert aller Items berechnet, wo-
raus sich eine Spannweite von 3 (geringe
digitale GK) bis 12 (hohe digitale GK)
ergibt. Die anschließend vorgenommene
Kategorisierung erfolgte unter der An-
nahme, dass Summenwerte von 3 bis 6
indizieren, dass die Befragten die jewei-
ligen Items als „schwierig“ oder „sehr
schwierig“ bewerten (d.h. „niedrige di-
gitale GK“). Hingegen wurde bei Werten
von 9 bis 12 von einer Bewertung „sehr
einfach“ und „einfach“ ausgegangen (d.h.
hohe digitale GK). Summenwerte von 7
und 8 wurden entsprechend als „mittlere
digitale GK“ kategorisiert.
Als Indikatoren des Gesundheitsver-
haltenswurden das Ernährungsverhalten
sowie die körperliche Aktivität in Anleh-
nung an die Health Behavior in School-
aged Children (HBSC)-Studie erhoben.
Das Ernährungsverhalten wurde über
die wöchentliche Verzehrhäufigkeit von
Obst, Gemüse und Sodrinks auf ei-
ner siebenstufigen Skala (1 = nie bis
7 = jeden Tag mehrmals) erfasst [25].
In Anlehnung an bestehende Ernäh-
rungsempfehlungen wurden die Items
dichotomisiert, sodass der Anteil der-
jenigen Befragten mit nichttäglichem
Konsum von Obst und Gemüse bzw.
mit täglichem Konsum von Sodrinks
ermittelt werden konnte. Zur Erfassung
der körperlichen Aktivität wurden die
Jugendlichen um eine Einschätzung ge-
beten, an wie vielen der letzten 7 Tage sie
sich für mindestens 60 min körperlich
angestrengt haben. Für die Auswertung
wurde der Anteil der Befragten kate-
gorisiert, die an weniger als 3 Tagen
für mindestens 60 min körperlich aktiv
waren (Kategorie „geringe körperliche
Aktivität“; [25]). Insgesamt folgte die
Kategorienbildung der Indikatoren des
Ernährungs- und Bewegungsverhaltens
mit dem Ziel der Vergleichbarkeit den
HBSC-Berichterstattungsstandards [26].
Als soziodemografische Variablen
wurden neben dem Geschlecht (männ-
lich, weiblich, anderes Geschlecht) die
Klassenstufe und die Schulform (be-
reits vorerfasst über die Codierung des
Fragebogens) berücksichtigt. Zudem
erfolgte die Messung des subjektiven
Sozialstatus (SSS) mithilfe der deutsch-
sprachigen Version der MacArthur-Scale
[27]. Mittels einer 10-stufigen Skala (vi-
sualisiert in Form einer Leiter) wurden
die Befragten gebeten, ihre Stellung in-
nerhalb der Gesellscha im Vergleich zu
anderen Familien anzugeben. Für wei-
tergehende Analysen wurden aus den in
vorhergehenden Studien angewendeten
Grenzwerten 3 Gruppen gebildet: nied-
riger SSS (1 bis 4), mittlerer SSS (5 bis 7)
und hoher SSS (8 bis 10; [24]).
Statistische Analysen
Zur Erfassung systematischer Ausfälle
auf Itemebene wurde zunächst der Anteil
fehlender Werte für alle Items der digita-
len GK er mittelt. Mit eine m prozentualen
Anteil von 2,2–4,3 % ließen sich keine be-
sonderen Muster feststellen. Die univa-
riate Auswertung der Daten zur digitalen
GK und zum Gesundheitsverhalten er-
Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 7–8 · 2022 787
Leitthema
Tab. 1 Beschreibung der Stichprobe
und zentraler Untersuchungsmerkmale
(n= 490)
n%
Geschlecht
Männlich 251 51,2
Weiblich 231 47,1
Anderes Geschlecht 81,6
Klassenstufe
Klasse 8 235 48,0
Klasse 9 255 52,0
Schulform
Realschule 113 23,1
Gesamtschule 172 35,1
Gymnasium 205 41,8
Subjektiver Sozialstatus
Hoch 148 30,9
Mittel 308 64,3
Niedrig 23 4,8
Körperliche Aktivität
< 3 Tage für jeweils
mind. 60min
159 32,7
≥ 3 Tage für jeweils
mind. 60min
327 67,3
Verzehr von Obst
Täglic h 206 42,4
Nicht täglich 280 57,6
Verzehr von Gemüse
Täglic h 166 34,2
Nicht täglich 319 65,8
Verzehr von zuckerhaltigen Getränken
Täglic h 61 12,6
Nicht täglich 423 87,4
Gesamt 490 100
folgte unter Zuhilfenahme von absoluten
und relativen Häufigkeiten. Um Unter-
schiede der digitalen GK in Abhängigkeit
von soziodemografischen Merkmalen zu
untersuchen, wurden in einem zweiten
Schritt Kreuztabellen mit angeschlosse-
nem Chi-Quadrat-Test (χ2) berechnet. In
Fällen mit Zellbesetzungen unter n=5
wurde auf den exakten Test nach Fisher
(FET) zurückgegriffen. Für die χ2-Un-
abhängigkeitstests und den exakten Test
nach Fisher wurde ein Signifikanzniveau
von p< 0,050 festgelegt. In einem letzten
analytischen Schritt wurden binärlogisti-
sche Regressionsmodelle berechnet, um
Assoziationen zwischen den Dimensio-
nen der digitalen GK und den Indikato-
ren des Gesundheitsverhaltens zu ermit-
teln (getrennte Modelle für die einzel-
nen Indikatoren des Gesundheitsverhal-
tens). Als Referenzkategorie diente ei-
ne hohe Ausprägung der digitalen GK
in den jeweiligen Dimensionen. Dabei
wurde für das Geschlecht und den SSS
adjustiert, da sich diese Variablen in den
bivariaten Analysen für die Ausprägung
der digitalen GK als statistisch bedeut-
sam erwiesen. Ausgewiesen werden die
OddsRatios(OR)als Chancenverhältnis-
se sowie die dazugehörigen Konfidenzin-
tervalle (95 %-KI). Signifikante Assozia-
tionen wurden entlang der Signifikanz-
niveaus (p< 0,050 bis p< 0,001) berich-
tet. Alle Berechnungen wurden mit der
Statistiksoware IBM SPSS Statistics 25
(IBM Corp., Armonk, NY, USA) vorge-
nommen.
Ergebnisse
Beschreibung der Stichprobe
und Verteilung zentraler
Untersuchungsmerkmale
Von den 16 rekrutierten Schulen konn-
te die Befragung in 3 Schulen aufgrund
zeitlicher Restriktionen nicht umgesetzt
werden. Auch eine Nacherhebung war
aufgrund der beginnenden COVID-19-
Pandemie nicht möglich. Nach Plausibi-
litätskontrolle und Bereinigung der Da-
ten umfasst die finale Stichprobe 490
Schülerinnen und Schüler aus 13 Schu-
len. Mit einem Anteil männlicher Bef rag-
ten von 51,2% und weiblicher Befragten
von 47,1% erweist sich die Geschlech-
terverteilung als ausgeglichen (.Tab. 1).
Ein ähnliches Bild zeigt sich hinsichtlich
derVerteilungüberdieKlassenstufen8
(48,0%) und 9 (52,0 %). 41,8% der Be-
fragten besuchen das Gymnasium, wäh-
rend ein weiteres Drittel (35,1%) die Ge-
samtschule und ein Viertel (23,1 %) die
Realschule besucht. Ihren SSS bewerten
4,8% der Schülerinnen und Schüler als
gering und 30,9 % als hoch. Bezüglich
der Indikatoren des Gesundheitsverhal-
tens ist ein Drittel in einem geringen Aus-
maß körperlich aktiv. Während die tägli-
che Verzehrhäufigkeit von Obst und Ge-
müse bei 42,4% bzw. 34,2% liegt, geben
12,6% der Befragten an, täglich zucker-
haltige Getränke wie Cola zu konsumie-
ren. Die vollständige Beschreibung der
Stichprobe und der zentralen Untersu-
chungsmerkmale findet sich in .Tab. 1.
Ausprägung der digitalen
Gesundheitskompetenz
In .Tab. 2sind die prozentualen Häufig-
keiten der jeweils geringen Ausprägun-
gen der Einzelitems des DHLI darge-
stellt (Antwortangaben „schwierig/sehr
schwierig“ bzw. „manchmal/häufig“).
Dabei reicht die Spannweite der Ju-
gendlichen, die über Schwierigkeiten
berichten, von 15,3–37,5%. Innerhalb
der Dimension „Suchen und Finden von
Informationen“ berichten die Jugend-
lichen mit 31,4% die größten Schwie-
rigkeiten im Finden der richtigen In-
formationen, während die Verwendung
passender Begriffe oder Suchanfragen
von 17,4% als (sehr) schwierig bewer-
tet wird. Für die Dimension „Beitragen
eigener Inhalte“ erweist sich das schri-
liche Ausdrücken der eigenen Meinung,
Gefühle und Gedanken für annähernd
ein Viertel der Befragten (24,5%) als
(sehr) schwierig, während innerhalb der
Dimension „Bewertung der Qualität“
das Erkennen kommerzieller Interessen
oder einer qualitativ hochwertigen Ge-
sundheitsinformation von jeweils 32,3 %
als (sehr) schwierig bewertet wird. Auch
berichten jeweils 30,2% der Jugendli-
chen über Schwierigkeiten, anhand der
Informationen eine Entscheidung für
die eigene Gesundheit treffen zu kön-
nen oder diese im Alltag anzuwenden
(Dimension „Bestimmung der Alltags-
relevanz“). Schließlich findet sich für die
Dimension „Schutz der Privatsphäre“ die
am häufigsten berichtete Schwierigkeit
in der Beurteilung, wer die Informati-
onseingaben der Jugendlichen mitlesen
kann (37,5%).
Stratifiziert nach sozialen Merkma-
len finden sich für das Geschlecht und
den SSS Unterschiede in der Ausprä-
gung der digitalen GK (.Tab. 3). Dabei
weisen Schüler im Vergleich zu ihren
Mitschülerinnen häufiger eine stärker
ausgeprägte Fähigkeit des Suchens und
Findens von Informationen (χ2(1) = 9,07,
p< 0,050), des Beitragens eigener Inhalte
(χ2(1) = 6,73, p< 0,050) und der Bewer-
tung der Qualität von digitalen Gesund-
heitsinformationen auf (χ2(1) = 9,37,
788 Bundesgesundheitsblatt - Gesund heitsforschung - Gesundheitsschutz 7–8 · 2022
Tab. 2 Häufigkeit der Einzelitems zur digitalen Gesundheitskompetenz für (n=460–478)
Nr. Frage %
(95 %-KI)
Informationssuche: Wenn du im Internet nach Informationen zum Thema Gesundheit suchst, wie
einfach oder schwierigist es für dich, . ..
31,41.. . genau die richtigen Informationen zu
finden, die du suchst? (27,2–35,7)
24,92. .. eine Auswahl aus allen Informationen zu
treffen, die du findest? (21,1–28,8)
17,43... die passenden Begriffe oder Suchanfragen
zu verwenden, um die gesuchten Informatio-
nen zu finden? (14,0–20,8)
Beitragen eigener Inhalte: Wenn du eine Nachricht schreibst (z.B. in einem Forum oder in sozialen
Netzwerken wie Facebook oder Twitter), wie einfach oder schwierig ist es für dich, .. .
24,54. .. deine M einungen, Gedanken und Gefühle
schriftlich auszudrücken? (20,7–28,4)
21,55. .. deine Nachri cht so zu schreiben, dass
andere Menschen genau verstehen, was du
meinst? (18,0–25,0)
17,16. .. de ine Frage oder gesundhe itliches Anlie-
gen klar zu formulieren? (13,3–20,7)
Zuverlässigkeit bewerten: Wenn du im Internet nach Informationen zum Thema Gesundheit
suchst, wie einfachoder schwierig istes für dich, .. .
32,37. .. zu entscheiden, ob eine Information von
hoher Qualität ist? (28,2–36,5)
32,18. .. zu entscheiden, ob eine Information mit fi-
nanziellen Interessen geschriebenworden ist
(z. B. von Personen, die ein Produkt verkaufen
möchten)?
(28,1–36,7)
15,39. .. verschiedene Internetseiten zu überprü-
fen, um zu sehen, ob sie die gleichen Informa-
tionen bereitstellen? (12,1–18,7)
Bestimmung der Relevanz: Wenn du im Internet nach Informationen zum Thema Gesundheit
suchst, wie einfachoder schwierig istes für dich, .. .
30,210 ... die Informationen, die du gefunden hast,
in deinem Alltag anzuwenden? (26,0–34,3)
29,111 ... die Informationen zu nutzen, die du ge -
funden hast, um Entscheidungen übe r deine
Gesundheit zu treffen (z. B. Ernährung, Sport)? (24,8–33,5)
19,112 . .. zu entscheiden, ob die Informa tionen, die
du gefunden hast, auf dich zutreffen? (15,7–22,8)
Schutz der Privatsphäre: Wenn du eine Nachricht in einem Forum oder in den sozialenNetzwer-
ken postest, w ie oft . ..
37,513 . .. findest du es schwierig zu beurteilen, wer
mitlesen kann, was du schreibst? (33,3–41,8)
19,914 . .. teilst du (absichtlich oder unabsichtlich)
private Informationen über dic h (z. B. Name
oder Adresse)? (16,4–23,6)
16,715 . .. teilst du (absichtlich oder unabsichtlich)
private Informationen einer anderen Person? (13,5–20,2)
Dargestellt sind die prozentualen Häugkeiten der Antwortoptionen „schwierig/sehr schwierig“ bzw.
(für die Skala „Schutz der Privatsphäre“) „manchmal/häug“
KI Kondenzintervall
p< 0,010). Während sich differenziert
nach Klassenstufe und Schulform keine
Unterschiedestatistisch absichernlassen,
erweist sich der SSS für die Ausprägung
der digitalen GK als relevant. Über al-
le Subdimensionen hinweg berichten
Jugendliche mit einem geringen SSS
häufiger von Schwierigkeiten im Suchen
und Finden (FET= 9,94, p< 0,050), im
Beitragen eigener Inhalte (FET= 12,81,
p< 0,010), in der Bewertung der Qualität
(FET = 15,88, p< 0,001) und der Bestim-
mung der Alltagsrelevanz (χ2(2) = 19,14,
p< 0,010) von digitalen Gesundheitsin-
formationen.
Zusammenhänge der digitalen
Gesundheitskompetenz mit dem
Gesundheitsverhalten
Die in .Tab. 4dargestellten Ergebnisse
der binärlogistischen Regressionen zei-
gen zusammenfassend, dass das Gesund-
heitsverhalten in Abhängigkeit von der
Ausprägung einzelner Dimensionen der
digitalen GK variiert. Für eine gerin-
ge körperliche Aktivität erweisen sich
eine mittlere und eine geringe Fähig-
keit der Bestimmung der Alltagsrelevanz
digitaler Gesundheitsinformationen als
statistisch bedeutsam (mittlere digitale
GK: OR = 1,74, p< 0,050; geringe digi-
tale GK: OR = 2,37, p< 0,050). Hinge-
gen geht eine mittlere Fähigkeit des Su-
chens und Findens von digitalen Ge-
sundheitsinformationen auch nach Kon-
trolle von Geschlecht und SSS mit ei-
ner erhöhten Wahrscheinlichkeit eines
nichttäglichen Obstkonsums (OR = 1,63,
p< 0,050) einher. Während der nichttäg-
liche Verzehr von Gemüse mit keiner
DimensionderdigitalenGKassoziiert
ist, finden sich für den täglichen Kon-
sumvonzuckerhaltigenGetränkensigni-
fikante Zusammenhänge mit einer mitt-
leren Fähigkeit des Beitragens eigener In-
halte (OR = 2,45, p< 0,010).
Diskussion
Infolge der zunehmenden Verfügbarkeit
und Nutzung digitaler Endgeräte hat
auch die Bedeutung digitaler Gesund-
heitsinformationen spürbar zugenom-
men. Deren Relevanz düre im Zuge
der COVID-19-Pandemie noch einmal
Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 7–8 · 2022 789
Leitthema
Tab. 3 Digitale Ge sundheitskompetenz differenziert nach sozialen Merkmalen
Informationssuche Beitragen eigener Inhalte Zuverlässigkeit bewerten Bestimmung der Relevanz
Hoch
%(n)
Mittel
%(n)
Gering
%(n)
Hoch
%(n)
Mittel
%(n)
Gering
%(n)
Hoch
%(n)
Mittel
%(n)
Gering
%(n)
Hoch
%(n)
Mittel
%(n)
Gering
%(n)
Geschlecht χ2 = 9,07 (1),p<0,05 χ2 = 6,73 (1),p<0,05 χ2 = 9,37 (1),p<0,01 n. s.
Männlich 63,3 %
(155)
31,4%
(77)
5,3%
(13)
68,9%
(162)
26,4%
(62)
4,7%
(11)
62,8%
(150)
30,5%
(73)
6,7%
(16)
57,2%
(135)
33,9%
(80)
8,9%
(21)
Weiblich 50,2%
(113)
40,0%
(90)
9,8%
(22)
61,9%
(135)
27,1%
(59)
11,0%
(24)
48,9%
(109)
43,5%
(97)
7,6%
(17)
50,5%
(109)
41,2%
(89)
8,3%
(18)
Klassenstufe n. s. n. s. n. s. n.s.
Klasse 8 59,7%
(136)
35,5%
(81)
4,8%
(11)
69,2%
(150)
25,3%
(55)
5,5%
(12)
54,7%
(123)
37,7%
(85)
7,6%
(17)
53,4%
(118)
38,9%
(86)
7,7%
(17)
Klasse 9 56,0%
(140)
34,4%
(86)
9,6%
(24)
63,1%
(154)
27,5%
(67)
9,4%
(23)
58,4%
(143)
35,1%
(86)
6,5%
(16)
55,7%
(133)
34,7%
(83)
9,6%
(23)
Schulform n.s. n. s. n. s. n.s.
Realschule 58,2 %
(64)
31,8%
(35)
10,0%
(11)
59,8%
(64)
28,1%
(30)
12,1%
(13)
55,5%
(60)
38,0%
(41)
6,5 % (7) 51,8 %
(56)
38,0%
(41)
10,2%
(11)
Gesamtschule 51,8%
(86)
41,6%
(69)
6,6%
(11)
68,1%
(111)
25,8%
(42)
6,1%
(10)
52,5%
(85)
38,9%
(63)
8,6%
(14)
59,8%
(95)
32,7%
(52)
7,5%
(12)
Gymnasium 62,4 %
(126)
31,2%
(63)
6,4%
(13)
67,5%
(129)
26,2%
(50)
6,3%
(12)
60,5%
(121)
33,5%
(67)
6,0%
(12)
51,8%
(100)
39,4%
(76)
8,8%
(17)
Subjektiver
Sozialstatus
FET = 9,94, p<0,05 FET = 12,81,p<0,01 FET = 15,88,p<0,01 χ2 = 19,14 (2),p< 0,001
Hoch 66,6%
(96)
29,2%
(42)
4,2 % (6) 75,4 %
(104)
17,4%
(24)
72 % (10) 68,8 %
(95)
26,9%
(37)
4,3 % (6) 65,2 %
(90)
29,0%
(40)
5,8 % (8)
Mittel 54,8 %
(165)
36,6%
(110)
8,6%
(26)
63,5%
(186)
29,0%
(85)
7,5%
(22)
51,8%
(156)
40,9%
(123)
7,3%
(22)
50,9%
(149)
40,6%
(119)
8,5%
(25)
Niedrig 40,9 % (9) 45,5%
(10)
13,6%
(3)
42,9 % (9) 42,9% (9) 14,2 %
(3)
57,2%
(12)
23,8 % (5) 19,0%
(4)
38,1 % (8) 33,3% (7) 28,6 %
(6)
Gesamt 57,8%
(276)
34,9%
(176)
7,3%
(35)
65,9%
(304)
26,5%
(122)
7,6%
(35)
56,6%
(266)
36,4%
(171)
7,0%
(33)
54,6%
(251)
36,7%
(169)
8,7%
(40)
Einteilung in hohe, mittlere und geringe digitale GK anhand des Summenscores (hohe dGK : 9–12, mittlere dGK: 7–8, geringe dGK: 3–6), Dimension „Schutz
der Privatsphäre“ aufgrund von geringer interner Konsistenz aus der Analyse ausgeschlossen
nHäugkeit, n. s. nicht signikant, χ2Chi-Quadrat, FET exakter Test nach Fisher
deutlich gestiegen sein, wobei die Infor-
mationsmenge insbesondere in sozialen
Medien auch mit einer Zunahme von
gesundheitsbezogenen Miss- und Desin-
formationen einhergeht [28]. Aufgrund
dieses auch als „Infodemie“ bezeichne-
ten Phänomens bedarf es umso mehr
der Fähigkeit, geeignete gesundheitsbe-
zogene Informationen in den hochkom-
plexen und -dynamischen (digitalen)
Informationswelten zu beschaffen und
angemessen zu nutzen [29].
Bewertung der Qualität von digita-
len Gesundheitsinformationen
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie
liefern erste Erkenntnisse zur digitalen
GKvonJugendlichenderKlassenstufen8
und 9. Über alle Items hinweg berich-
ten Jugendliche tendenziell die meisten
Schwierigkeiten in der Bewertung der
Qualität sowie der Bestimmung der All-
tagsrelevanz von digitalen Gesundheits-
informationen. Diese Ergebnisse decken
sich mit den Befunden einer vorange-
gangenen repräsentativen Studie mit Er-
wachsenen, bei der ebenfalls das DHLI
zum Einsatz kam [12]. Auch erwies sich
die Fähigkeit der Qualitätsbewertung in
einer frühen Phase der COVID-19-Pan-
demie bei mehr als einem Drittel der in
der COVID-HL-Studiebe fragtenStudie-
renden als eingeschränkt [24]. Vor dem
Hintergrund der zunehmenden digitalen
Informationsvielfalt ist dieser Studienbe-
fund wenig überraschend, aber umso re-
levanter.
ErgebnisseeinervonderVodafone
StiungDeutschland imJahr2020 durch-
geführten Studie zeigen, dass drei Viertel
der 14- bis 24-Jährigen mindestens wö-
chentlich Kontakt mit Falschnachrichten
haben, was gegenüber dem Jahr 2018 ei-
ner Zunahme von etwa 25 % entspricht
[30]. Dabei gab etwa ein Drittel der Be-
fragten an, dass es ihnen schwerfällt,
glaubwürdige von unglaubwürdigen In-
formationen zu unterscheiden. Die vor-
liegenden Befunde zur Fähigkeit Jugend-
licher, die Qualitätvon digitalen Ge sund-
heitsinformationen zu bewerten, ordnen
sich konsistent in diese Befundlage ein.
Weitere Einblicke in die Fähigkeit der
Qualitätsbewertung von onlinebasierten
Gesundheitsinformationen bei 13- bis
18-Jährigen geben Freeman et al. [31]
in ihrer systematischen Übersichtsar-
beit. Anhand der einbezogenen Studien
ließen sich 4 übergeordnete Bewertungs-
kategorien identifizieren: (1) Bewertung
anhandder BezeichnungderWebsiteund
deren Reputation (z. B. höhere Glaub-
würdigkeit bei Domainendungen wie
.org oder .edu), (2) Bewertung anhand
der ersten Eindrücke beim Besuch der
790 Bundesgesundheitsblatt - Gesund heitsforschung - Gesundheitsschutz 7–8 · 2022
Tab. 4 Zusammenhänge der digitalen Gesundheitskompetenz mitdem Ernährungs- und Bewegungsverhalten
Geringe körperliche
Aktivität
Nichttäglicher Verzehr von
Obst
Nichttäglicher Verzehr von
Gemüse
Täglicher Verzehr von zuckerhaltigen
Getränken
%OR (95 %-KI) %OR (95 %-KI) %OR (95 %-KI) %OR (95 %-KI)
Suchen und Finden
Hoch
(Ref.)
31,1 1,00 51,6 1,00 65,2 1,00 10,9 1,00
Mittel 34,3 1,02
(0,62–1,69)
65,7 1,63
(1,01–2,63)*
65,7 0,91
(0,56–1,50)
14,0 0,84 (0,42–1,69)
Gering 40,0 1,48
(0,61–3,61)
71,4 1,99
(0,80–5,01)
67,6 0,69
(0,28–1,71)
23,5 1,70 (0,60–4,86)
Beitragen eigener Inhalte
Hoch
(Ref.)
33,6 1,00 54,6 1,00 62,3 1,00 8,6 1,00
Mittel 28,7 0,61
(0,36–1,03)
59,8 0,92
(0,56–1,50)
70,2 1,44
(0,86–2,41)
23,3 2,45 (1,29–4,65)**
Gering 34,3 0,63
(0,28–1,44)
68,6 1,47
(0,65–3,34)
74,3 2,07
(0,87–4,91)
17,1 1,42 (0,47–4,33)
Bewertung der Qualität
Hoch
(Ref.)
32,6 1,00 54,3 1,00 64,2 1,00 9,1 1,00
Mittel 34,5 0,86
(0,52–1,43)
61,2 1,06
(0,65–1,72)
64,1 0,89
(0,54–1,47)
18,8 1,85 (0,93–3,70)
Gering 21,2 0,41
(0,15–1,12)
66,7 1,24
(0,50–3,09)
75,0 1,48
(0,55–3,98)
15,6 1,35 (0,39–4,64)
Bestimmung der Relevanz
Hoch
(Ref.)
27,6 1,00 52,0 1,00 61,6 1,00 11,2 1,00
Mittel 39,3 1,74
(1,05–2,86)*
62,7 1,23
(0,76–1,98)
72,0 1,45
(0,88–2,40)
15,5 1,08 (0,55–2,14)
Gering 45,0 2,37
(1,02–5,50)*
74,4 1,88
(0,76–4,62)
64,1 0,89
(0,38–2,08)
15,4 1,12 (0,36–3,42)
OR adjustiert nach Geschlecht und subjektiven Sozialstatus (SSS), Einteilung in hohe, mittlere und geringe digitale GK anhand des Summenscores (hohe dGK:
9–12, mittlere dGK: 7–8, geringe dGK: 3–6), Dimension „Schutz der Privatsphäre“ aufgrund von geringer interner Konsistenz aus der Analyse ausgeschlossen
OR Odds Ratio, KI Kondenzintervall, Ref. Referenzgruppe
*p< 0,05, **p<0,01
Website (z.B. gut strukturiert, prägnant,
klar, gut verständlich), (3) Bewertung
der Inhalte einer Website (z. B. durch Ab-
gleich mit Inhalten anderer Webseiten)
und (4) Fehlen einer systematischen
Bewertung (z.B. nach Gefühl, unter
Rückgriff der ersten Treffer in Such-
maschinen). Diese Erkenntnisse bieten
sinnvolle Erklärungen, die im Rahmen
vonMaßnahmenzurStärkungderFähig-
keit der Qualitätsbewertung einfließen
können.
Anwendung von digitalen
Gesundheitsinformationen
Bei der Interpretation der Ergebnisse zur
Bestimmung der Alltagsrelevanz ist zu
berücksichtigen, dass die Anwendung
onlinebezogener Gesundheitsinforma-
tionen eine nicht zu unterschätzende
Herausforderung darstellt. So setzt der
Handlungstransfer voraus, dass zuvor
geeignete Informationen gefunden und
verstanden sowie für die eigene Lebens-
situation als relevant bewertet werden.
Selbst wenn diese Voraussetzungen er-
füllt sind, ist die Übersetzung von Wissen
und Intentionen in tatsächliches Verhal-
ten von zahlreichen weiteren (individu-
ellen und umweltbezogenen) Faktoren
abhängig [32–34].
Konsistent mit den Befunden zur all-
gemeinen GK [11,12,15] ließ sich in der
vorliegenden Studie erstmals auch für die
digitale GK über alle erfassten Dimensio-
nen ein sozialer Gradient zuungunsten
von Jugendlichen mit geringem SSS iden-
tifizieren. Aufgrund ihrer Bedeutung für
das gesundheitliche Verhalten und wei-
tere Gesundheitsoutcomes ist in weite-
ren Längsschnittstudien zu prüfen, ob
die Förderung der digitalen GK einen
Beitrag zur Reduzierung sozialbedingter
Ungleichheiten von Gesundheit leisten
kann.
Hingegen fällt die geschlechtsspezifi-
sche Befundlage in der Literatur deutlich
heterogener aus. Während sich sowohl in
den Ergebnissen der HBSC-Studie für 3
der 10 untersuchten Länder [15]sowie
in einer israelischen Studie [20]Unter-
schiede in der (digitalen) GK zuguns-
ten der Mädchen ergaben, ließen sich
in 2 im Bundesland Nordrhein-Westfa-
len durchgeführten Surveys keine Ge-
schlechtsunterschiedefeststellen[35,36].
Ob die in der vorliegenden Studie zuun-
gunstenderMädchenidentifiziertenUn-
terschiede generalisiert werden können,
Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 7–8 · 2022 791
Leitthema
ist in größeren und repräsentativ ange-
legten Untersuchungen zu überprüfen.
Ebenfalls konntenentgegenderin vor-
herigen Studien [18,20] festgestellten
Unterschiede zugunsten älterer Jugendli-
cher vorliegend keine Unterschiede fest-
gestellt werden. Dabei ist zu berücksich-
tigen, dass das Alter in dieser Studie über
die Klassenstufe operationalisiert wurde.
Zum einen ist das Alter innerhalb einer
Klassenstufe heterogen und zum anderen
ist die gesamte über die Klassenstufe 8
und 9 abgebildete Altersspanne mögli-
cherweise zu gering, um Unterschiede
erfassen zu können.
Assoziationen von Gesundheits-
kompetenz mit dem Ernährungs-
und Bewegungsverhalten
Schließlich ließen sich in dieser Unter-
suchung unter Kontrolle von Geschlecht
und SSS signifikante Assoziationen zwi-
schendenDimensionenderdigitalenGK
und dem Ernährungs- und Bewegungs-
verhalten Jugendlicher feststellen. Damit
bestätigen die Befunde die bereits für
die allgemeine GK beobachteten Zusam-
menhänge mit Indikatoren des Gesund-
heitsverhaltens [14,35,37]. Dabei weisen
die vorliegenden Befunde auf differenzi-
elle Muster hin. Während die körperliche
Aktivitätsignifikant mit der Fähigkeit der
Relevanzbestimmung assoziiert war, er-
wiesen sich zur Vorhersage des Konsums
von Obst und zuckerhaltigen Getränken
die Fähigkeiten des Suchens und Findens
sowie der Kommunikation (Beitragen ei-
gener Inhalte) als bedeutsam. Hingegen
ließen sich für den Gemüsekonsum keine
signifikanten Zusammenhänge mit den
untersuchten Dimensionen der digitalen
GK absichern.
Diese Ergebnisse sind aus verschie-
denen Gründen bedeutsam: Während in
bisherigen Studien vor allem ein überge-
ordneter Globalfaktor der GK betrachtet
wurde, le gen die vorliegen den Ergebnisse
die Notwendigkeit eines differenzierten
Blicks auf einzelne Dimensionen von
(digitaler) GK nahe. So sind das di-
mensionale Binnenverhältnis der GK
und ihre Bedeutung für gesundheitliche
Indikatoren mit einigen Ausnahmen
[14,38] bislang kaum Gegenstand der
Forschung. Eine solche Differenzierung
wäre aber für die Entwicklung möglichst
spezifischer Interventionen nötig. Zum
anderenweisendieErgebnissezumindest
partiell auf die Relevanz der Fähigkeit
des Beitragens eigener Inhalte und damit
auf die notwendige Erweiterung beste-
hender GK-Konzepte um Interaktions-
und Kommunikationskompetenzen hin
[11,14]. Ob die Stärkung der digitalen
Gesundheitskompetenz im Jugendalter
zu einer Förderung des Bewegungs- und
Ernährungsverhaltens beitragen kann,
ist zukünig im Rahmen von Inter-
ventions- und Längsschnittstudien zu
untersuchen. In einer systematischen
Übersichtsarbeit von Interventionen zur
Förderung der Gesundheitskompetenz
im Erwachsenenalter ließ sich für die
Mehrheit der Studien (7/8) eine Ver-
besserung von Indikatoren des Gesund-
heitsverhaltens im Prä-Post-Vergleich
feststellen [39].
Stärken und Limitation
Die vorliegende Studie liefert erste Be-
funde zur digitalen GK bei Jugendlichen
in Deutschland und leistet somit einen
Beitrag zur Schließung einer bislang be-
stehenden Forschungslücke. Dabei kam
mit dem DHLIein neuartiges Instrument
zum Einsatz, welches die Dimension des
Findens, Verstehens, der kritischen Be-
wertung und Anwendung um eine kom-
munikative und datenschutzbezogene
Perspektive erweitert. Einschränkend ist
anzumerken, dass im Rahmen der Über-
setzung lediglich minimale sprachliche
Anpassung vorgenommen und Jugendli-
che in diesen Prozess nicht systematisch
einbezogen wurden. Jüngste Ergebnisse
einer qualitativen Studie mit 34 Jugend-
lichen im Alter von 10 bis 18 Jahren
erbrachten verschiedene sprachliche
Anpassungsbedarfe [40]. Diese Befunde
bieten sinnvolle Anknüpfungspunkte für
die weitere Adaptierung des DHLI an
die Zielgruppe der Jugendlichen.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass
zur Kategorisierung der digitalen GK
nicht auf etablierte Grenzwerte zurück-
gegriffen werden konnte. Entgegen einer
datengeleiteten Dichotomisierung, die
u. a. mit dem Risiko des Informationsver-
lusts einhergeht [41], wurde vorliegend
eine inhaltlich begründete Einteilung
in 3 Gruppen (hohe, mittlere und ge-
ringe digitale GK) vorgenommen. Eine
Überprüfung und Weiterentwicklung
dieser Kategorisierung ist in künigen
Studien anzustreben. Darüber hinaus ist
auf das Querschnittsdesign der Studie
hinzuweisen, womit die Ergebnisse keine
kausalen Rückschlüsse erlauben. Neben
Längsschnittstudien wären in Zukun
repräsentative Untersuchungen zur digi-
talen GK bei Jugendlichen anzustreben.
Wünschenswert wären dabei auch grö-
ßere Stichproben, welche insbesondere
bei multivariaten Berechnungen Ergeb-
nisse besser absichern könnten und
Kategorisierungen seltener erforder-
lich machen. Dabei sollte in künigen
Studien auch der hierarchischen Daten-
struktur (Schüler*innen, Klasse, Schule)
stärker Rechnung getragen werden, was
die Erfassung der Gruppenzugehörigkeit
und eine entsprechend große Fallzahl
voraussetzt. Aufgrund der vergleichs-
weise geringen Stichprobengröße in der
vorliegenden Studie kam es zum Teil zu
geringen Gruppengrößen, was bei der
Interpretation der Ergebnisse berück-
sichtigt werden muss.
Hiermit einhergehend ist auf den ver-
gleichsweise geringen Rücklauf hinzu-
weisen, was das Potenzial vonVerzerrun-
gen durch systematische Ausfälle erhöht.
Zwar wurden verschiedene Maßnahmen
zur Erhöhung der Ausschöpfung unter-
nommen(VariationinderKontaktart,
wiederholte Kontaktierung, kostenfreier
Rückversand),jedoch ist zuberücksichti-
gen, dass der Aufwand für Schulen durch
die Teilnahme an der schrilichen Be-
fragungunddenEinzelinterviewsver-
gleichsweise hoch ausfiel.
Fazit und Implikationen
Zusammenfassend lässt sich anhand der
Ergebnisse dieser Studie ein Handlungs-
bedarfinsbesonderefür die Dimensionen
der Qualitätsbewertung und der Anwen-
dung von digit alen Gesundheitsinforma-
tionen ableiten. Dabei sind Interventio-
nen auf die Bedürfnisse von jungen Men-
schen mit geringem sozioökonomischen
Status auszurichten und in den zentra-
len Lebenswelten von Jugendlichen zu
verorten. Die Schule ist als Lehr- und
Lernort ein zentrales Setting zur Förde-
792 Bundesgesundheitsblatt - Gesund heitsforschung - Gesundheitsschutz 7–8 · 2022
rung von (digitaler) GK, dies auch des-
halb, da Medien- und Digitalkompeten-
zen eine zentrale Strategie der Kultusmi-
nisterkonferenz darstellen, die auf Ebene
der Bundesländer in Medienkompetenz-
rahmen überführt wurden. Dabei weisen
beide Konzepte eine große Passung auf,
d.h., digitale GK ließe sich leicht in be-
stehende Medienkompetenzrahmen in-
tegrieren [42]. Dabei ist im Sinne der
relationalen Ausrichtung zu berücksich-
tigen, dass die individuelle digitale GK
von den systemischen Strukturen und
Rahmenbedingungen determiniert wird.
Auf Ebene von Schule zu nennen sind
die digitale Medieninfrastruktur sowie
die Vermittlungskompetenzen von Lehr-
kräen.Dazugehörtauch,dassdigitale
Informationsanbieter (z. B. soziale Medi-
en) Bedingungen schaffen, unter denen
Jugendliche gesundheitsbezogene Infor-
mationen gut finden und hinsichtlich ih-
rerQualitätbewertenkönnen (z. B.durch
Markierungfehlerhaer oderirreführen-
der Informationen).
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. Kevin Dadaczynski
Fachbereich Gesundheitswissenschaften,
Hochschule Fulda
Leipziger Str. 123, 36037 Fulda, Deutschland
kevin.dadaczynski@pg.hs-fulda.de
Funding . Open Access funding enabled and organi-
zed by Projekt DEAL.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt. K. Dadaczynski,K. Rathmann,
J. Schricker,L. Bilz, G. Sudeck, S.M. Fischer, O.Janiczek
und E. Quilling geben an, dass kein Interessenkonflikt
besteht.
Alle beschriebenen Untersuchungen amMenschen
wurden mit Zustimmung der zuständigen Ethik-
Kommission (HochschuleFulda, Az. 3.1.9.2), des Hes-
sischen Kultusministeriums(GWU 875) im Einklang
mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration
vonHelsinki von1975(inderaktuellen,überarbeiteten
Fassung)durchgeführt. Von allen beteiligtenPersonen
liegt eine Einverständniserklärung vor.
Open Access. Dieser Artikel wird unter der Creative
Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz
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men wurden.
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dungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das be-
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terials die Einwilligung des jeweiligenRechteinhabers
einzuholen.
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licenses/by/4.0/deed.de.
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