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M. Gandorfer et al.: Digitalisierung für Mensch, Umwelt und Tier,
Lecture Notes in Informatics (LNI), Gesellschaft für Informatik, Bonn 2020 217
Digitale Agrarprozesse für eine nachhaltige und verord-
nungskonforme Landwirtschaft am Beispiel einer koopera-
tiven Flüssigmistausbringung
Frank Nordemann1, Thorben Iggena1, Franz Kraatz1, Maik Fruhner1, Heiko Tapken1 und
Ralf Tönjes1
Abstract: Eine zunehmende Anzahl von Agrarprozessen wird in Kooperation verschiedener Ak-
teure bearbeitet. Eine Silomaisernte verlangt nach einem optimierten Zusammenspiel von Ernte-
maschine, abfahrenden Traktorgespannen, Waage und Siloverdichtung. Bei einer teilflächenspezi-
fischen Flüssigmistausbringung müssen Ausbringwagen, Zubringer, Analysewerkzeuge sowie
Applikationskartenberechnung, Maschinenauftragserstellung und Nährstoffdokumentation aufei-
nander abgestimmt werden. In der Praxis fehlt es an ganzheitlich digitalisierten Agrarprozessen,
die kooperierende Akteure in ihren Tätigkeiten unterstützen. Dieser Beitrag veranschaulicht an den
Ergebnissen des dreijährigen Forschungsprojektes OPeRAte, wie durch teilautomatisierte und
medienbruchfrei umgesetzte Prozesse Anwender in ihren Tätigkeiten unterstützt werden können.
Ganzheitlich digitalisierte Agrarprozesse begünstigen Umweltaspekte beispielsweise durch die
Einhaltung von gesetzlichen Verordnungen, die Bereitstellung automatisierter Dokumentationen
und die Durchführung von Optimierungsanalysen für ein effizientes Nährstoffmanagement.
Keywords: Kooperative Agrarprozesse, Prozessmodellierung, Prozesssteuerung, integrierte Da-
tenhaltung, automatisierte Dokumentation, BPMN, MQTT, ISOXML, ISOBUS, OPeRAte
1 Motivation und Problemstellung
Die Digitalisierung hat in der Agrartechnik zu Effizienzsteigerungen bei der Produktion
landwirtschaftlicher Güter geführt. Allerdings sind die erhofften Erleichterungen und
Verbesserungen für die ausführenden Menschen und die Umwelt vielfach nicht eingetre-
ten: Aufgrund fehlender oder inkompatibler Daten und Formate, nicht medienbruchfreier
und aufwendiger Prozessabläufe sowie komplexer Bediensoftware werden IT-Systeme
oftmals nicht als unterstützende Werkzeuge, sondern als Hindernisse von den Anwen-
dern wahrgenommen. Zusätzlich erschweren ausgeprägte rechtliche Verordnungen,
deren Einhaltung und deren Dokumentation den Arbeitsprozess, wie dies beispielsweise
novellierte Vorschriften zur Reduzierung der Nitratbelastung des Grundwassers verlan-
gen. Vielfach kann die tatsächliche Ausführung der Arbeiten diesen Ansprüchen nicht
genügen – mit negativen Folgen für den verantwortlichen Landwirt und die Umwelt.
Auf Basis der Ergebnisse des dreijährigen BMEL-Forschungsprojektes OPeRAte [OP19]
wird nachfolgend veranschaulicht, wie die Digitalisierung den Menschen bei der Bear-
1 Hochschule Osnabrück, Fakultät Ingenieurwissenschaften und Informatik, Albrechtstr. 30, 49076 Osnabrück,
{f.nordemann;t.iggena;f.kraatz;m.fruhner;h.tapken;r.toenjes}@hs-osnabrueck.de
Published in: 40. GIL-Jahrestagung, Gesellschaft für Informatik in der Land-, Forst-, und
Ernährungswirtschaft, Weihenstephan, Februar 2020.
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beitung und Dokumentation von kooperativen Agrarprozessen unterstützen und gleich-
zeitig negative Belastungen für die Umwelt reduzieren kann.
2 Kooperative Agrarprozesse
Stellvertretend für kooperative Agrarprozesse wird nachfolgend ein Prozess zur Flüs-
sigmistausbringung genutzt, um die Herausforderungen und Potenziale der Digitalisie-
rung von kooperativen Prozessen darzustellen.
2.1 Gängiger Prozess zur Flüssigmistausbringung
An der Ausbringung von Flüssigmist sind neben dem Landwirt (LW) oftmals weitere
Akteure beteiligt: Precision-Farming-Anbieter erstellen Applikationskarten für eine
teilflächen- und nährstoffspezifische Düngung, digitale Dienste wandeln Applikations-
karten in Maschinenaufträge um, Lohnunternehmer (LU) führen die Düngung durch,
Behörden nehmen die Dokumentation entgegen (vgl. Abb. 1). Die Koordination der
Akteure erfolgt telefonisch, mittels E-Mails oder in Briefform. Aufgrund der Diversität
der Informationskoordination und der zeitlichen Abstände zwischen den Prozessschrit-
ten, die sich über ein ganzes Anbaujahr hinziehen können, entspricht die Düngedoku-
mentation nicht immer den an sie gestellten Ansprüchen. Auch die komplexer werdende
Ausführung unter Einhaltung der Düngeverordnung bietet Fehlerpotenziale. Abb. 1 fasst
mögliche Fehlerpotenziale in den Prozessschritten grafisch zusammen.
LW plant
Düngeaus-
bringung
LU plant
Auftrag
Fahrer
konfiguriert
Maschine
Düngeaus-
bringung
LU stellt
Rechnung (ggf.
mit Ausbring-
menge)
LW erstellt
Dokumentation
Behörde prüft
Stoffstrombilanz
ab ab
Fehlerpotentiale
Fahrer schließt
Auftrag ab
Abb. 1: Heute gängiger Prozess zur Düngeausbringung ohne durchgehende Digitalisierung
Die Digitalisierung hat bereits einzelne Prozessabschnitte erreicht, wie z. B. die steigen-
de Verwendung von Farmmanagementsystemen zeigt. Herausfordernd bleibt, die einzel-
nen Prozessschritte nicht mit Insellösungen zu bedienen, sondern durchgehende und
akteurübergreifende Lösungen für kooperative Prozesse bereitzustellen.
2.2 Ganzheitlich digitalisierter Prozess zur Flüssigmistausbringung
Eine Steigerung des Nutzens der Digitalisierung für die Anwender und die Umwelt kann
durch eine Optimierung kooperativer Prozessabläufe erreicht werden. Dabei sollen An-
wender durch eine geführte Teilautomation in ihren Arbeiten unterstützt und geleitet
Digitale Agrarprozesse für eine nachhaltige und verordnungskonforme Landwirtschaft 219
werden. Ein ganzheitlicher, medienbruchfreier Flüssigmistprozess mit automatisierter
Dokumentation ist in Abb. 2 darstellt. Er basiert auf den Forschungsergebnissen des
OPeRAte-Projektes.
LW pl ant
Düng eaus-
bring ung
LU pl ant
Auftrag
PF-D L errechnet
Applikationskarte
OPeRA te erste llt
Masc hinena uftra g
Düng eaus-
bring ung LU erstellt
Rechnung
LW erstellt
Dokumentation
Behörde prüft
Stof fstro mbila nz
Maschi ne erhält
Konfiguration
OPeRA te analys iert
Datenbestände
Automatisierte OPeRAte Operation OPeRAte Anwender-
unterstützung
Automatisierte OPeRAte Über tragung
Abb. 2: Ganzheitlich digitalisierter Düngeprozess mit automatisierter Dokumentation in OPeRAte
Der Prozess umfasst neben einem beauftragenden Landwirt einen Precision-Farming-
Dienstleister (PF-DL), einen ausführenden Lohnunternehmer, Dienste zur Datenverar-
beitung und Dokumentation sowie eine Behörde. Bei der Prozessausführung wird der
Anwender durch automatisierte Abläufe entlastet, was die Fehleranfälligkeit der Ausfüh-
rung und Dokumentation reduziert. Auf manuelle Eingaben von Auftragsdaten und Kon-
figurationen wird verzichtet. Automatisierte Prozessabläufe unterstützen bei der Daten-
erfassung, Datenbereitstellung, Prozessvisualisierung und Prozessüberwachung. Mittels
einer ISOBUS-basierten Maschinenbeschreibung [IS07] können Agrarprozesse bei der
Maschinenkopplung erkannt werden, ohne dass eine vorherige Detailplanung zwingend
notwendig ist. Durch die Aufnahme und Verarbeitung von Prozessdaten können Berichte
für Behörden automatisiert und verordnungskonform erstellt und später auch digital
übertragen werden (z. B. in Niedersachsen mittels ENNI, vgl. [LN19]). Die in OPeRAte
unter Einbeziehung des Datenschutzes erstellte Datenarchitektur ermöglicht es dem
Anwender, seine Aufträge mit zugehörigen Daten für andere Akteure digital bereitzu-
stellen. Dies ermöglicht neben einem vereinfachten Ablauf auch die Durchführung von
ökologischen und ökonomischen Optimierungsanalysen zum Nährstoffeinsatz.
3 Technische Realisierung digitaler Agrarprozesse
Die in OPeRAte erarbeitenden Methoden und Lösungskonzepte basieren auf freien,
nicht proprietären Technologien, die von allen Akteuren eingesetzt werden können.
Während die Schnittstellen zwischen den Akteuren eindeutig definiert werden, verblei-
ben sie frei in der Ausgestaltung der einzelnen Prozessschritte und den dazu eingesetzten
Technologien und Vorgehensweisen.
3.1 Akteurübergreifende Prozessdefinition und -steuerung
Auf Basis der Modellierungssprache Business Process Model and Notation 2.0 (BPMN,
[OM11]) werden Abläufe strukturiert und Medienbrüche vermieden, ohne dass die Ak-
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teure Details ihrer Arbeitsweise und IT-Struktur offenlegen müssen. Das Prozessmodell
integriert den Informationsaustausch zwischen IT-Diensten (z.B. mittels REST) und die
Anbindung von Agrarmaschinen (mittels MQTT, [OA19]). Aus den einzelnen Prozess-
schritten ergibt sich ein gemeinsames Prozessmodell, das Abb. 3 aus Sicht eines koordi-
nierenden OPeRAte-Prozessmanagements darstellt. Das Prozessmodell beschreibt die
Kooperation der Akteure sowie einzelne Prozessschritte und kann mit BPMN Runtime
Engines zur Ausführung erweitert werden.
Abb. 3: Gemeinsame BPMN-Prozesssicht verschiedener Akteure auf einen Flüssigmistprozess
Innerhalb des OPeRAte-Projektes wurde eine BPMN-Erweiterung konzeptioniert, um
auch bei unterbrechungsbehafteter Kommunikation eine robuste Prozessausführung
gewährleisten zu können. Mit Hilfe des Microservice-Architekturstils [SN15] können in
sich gekapselte, verschiebbare Funktionseinheiten entworfen werden, die Prozessschritte
lokal auf der Maschine fortsetzen, wenn externe Akteure durch Kommunikationsunter-
brechungen nicht erreichbar sind [NTP20].
Ein BPMN-Modell bildet die Basis für den kooperativen Prozess. Der Landwirt und der
Lohnunternehmer mit seinen beteiligten Mitarbeitern steuern und überwachen den Pro-
zess über benutzerfreundliche Oberflächen, ohne technische Details von Modell und
Implementierung kennen zu müssen. Auf der ausführenden Landmaschine steht dem
Anwender ein Landmaschinenterminal zur Verfügung, das ihn bei der verordnungskon-
formen Durchführung beispielsweise durch Einblendung von Abstands- und Sperrflä-
chen unterstützt.
3.2 Datenschutzkonforme Integration von Prozessdaten
Ein wichtiger Bestandteil zur digitalen Unterstützung von Agrarprozessen ist die Daten-
haltung und deren Integration in den Prozess bei gleichzeitiger Einhaltung des Daten-
schutzes. Durch die Nutzung von Technologien wie Row-Level-Security [Po19] und
Privacy-by-Design-Ansätzen im Datenbankmanagementsystem ist dies im OPeRAte-
Projekt gegeben. Die Rechte an den Daten verbleiben beim jeweiligen Nutzer und sind
nur von diesem einsehbar. Gezielte Freigaben während eines Prozessablaufs ermögli-
Digitale Agrarprozesse für eine nachhaltige und verordnungskonforme Landwirtschaft 221
chen die benötigte Kommunikation zwischen den verschiedenen Akteuren, wie z. B.
Landwirt und Lohnunternehmer.
Neben den manuell eingegebenen Daten und den bei der Durchführung generierten Sen-
sor- und Statusdaten werden externe Daten zur Anreicherung bestehender Datensätze
kontinuierlich importiert. Die Datenhaltung ist z. B. darauf ausgelegt, historische Wet-
terdaten des Deutschen Wetterdienstes und multispektrale Satellitenbilder des Sentinel-
2-Programms der ESA [ES19] aus öffentlichen Schnittstellen zu integrieren. Diese kön-
nen durch geo-temporale Metadaten mit den in der Datenbank vorhandenen Auftragsda-
ten verknüpft werden. Dadurch bieten sich neue Möglichkeiten, wie etwa Big-Data-
Analysen zur Optimierung von ähnlichen Prozessabläufen in der kommenden Saison.
4 Prototypische Evaluierung
Prototypische Tests der OPeRAte-Werkzeuge zur Prozessplanung und -steuerung (vgl.
Abb. 4) belegen die Unterstützung der ausführenden Anwender und vermindern durch
die Einhaltung von Verordnungen negative Umwelteinflüsse. Langfristig sind durch
Datenanalysen vergangener Anbaujahre weitere Verbesserungen bei der nachhaltigen
Düngung zu erwarten.
Abb. 4: Prozessstatus a) im Web und b) auf der Landmaschine, c) OPeRAte-Flüssigmistwagen
5 Zusammenfassung und Ausblick
Ganzheitlich digitalisierte Agrarprozesse können durch Teilautomatisierung dem An-
wender fehlerbehaftete Arbeitsschritte abnehmen und Hilfestellung bei der verordnungs-
konformen Prozessausführung geben. Die Reduzierung negativer Umwelteinflüsse kann
durch kontinuierliche Optimierungsanalysen zum Nährstoffeinsatz auf Basis automati-
sierter Prozessdatenintegration und der Datenverarbeitung verschiedener Anbaujahre
unterstützt werden.
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Die Erfahrungen aus dem OPeRAte-Projekt zeigen, dass für eine Akzeptanz der entwi-
ckelten Konzepte eine hohe Benutzerfreundlichkeit hinsichtlich der Werkzeugbedienung
und der Nachvollziehbarkeit automatisierter Arbeitsschritte kritische Faktoren sind.
Weiterhin sind freie, nicht proprietäre Technologien wie BPMN, REST, MQTT,
ISOBUS / ISOXML von hoher Bedeutung, um einen durchgängigen, akteurübergreifen-
den Prozess modellieren und ausführen zu können. In diesem Hinblick sind insbesondere
die Standardisierungsbemühungen der AEF für ein einheitliches Format zur drahtlosen
Übertragung von Agrardaten (EFDI, [AI19]) positiv zu bewerten. Die Weiterentwick-
lung der in OPeRAte prototypisch evaluierten Konzepte und Werkzeuge zu einer markt-
reifen Produktlösung wird von den Projektpartnern in einem Folgeprojekt angestrebt.
Die Förderung des OPeRAte-Projektes erfolgt aus Mitteln des Bundesministeriums für
Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) aufgrund eines Beschlusses des deutschen Bun-
destages. Die Projektträgerschaft erfolgt über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und
Ernährung (BLE) im Rahmen des Programms zur Innovationsförderung.
Literaturverzeichnis
[AI19] Agricultural Industry Electronics Foundation (AEF): Extended FMIS Data Interface
(EFDI), Project Team 09, www.aef-online.org, Stand: 22.10.2019.
[ES19] European Space Agency (ESA): Copernicus Sentinel-2 Mission, http://sentinel.esa.int/
web/sentinel/missions/sentinel-2, Stand: 22.10.2019.
[IS07] ISO 11783 Part 1-14, Tractors and machinery for agriculture and forestry - Serial
control and communications data network, Beuth Verlag, 2007.
[LN19] Landwirtschaftskammer Niedersachsen, Elektronische Nährstoffmeldungen Nieder-
sachsen (ENNI), www.lwk-niedersachsen.de/index.cfm/portal/
meldeprogrammwirtschaftsduenger/nav/2378.html, Stand: 22.10.2019.
[NTP20] Nordemann, F., Tönjes, R., Pulvermüller, E.: Resilient BPMN – robust process model-
ing in unreliable communication environments, MODELSWARD, Malta, 2020.
[OA19] Organization for the Advancement of Structured Information Standards (OASIS),
Message Queuing Telemetry Transport (MQTT), www.oasis-open.org/committees/
tc_home.php?wg_abbrev=mqtt, Stand: 22.10.2019.
[OM11] Object Management Group (OMG), Business Process Model and Notation (BPMN)
v2.0 Spezifikation, 2011, www.bpmn.org, Stand: 22.10.2019.
[OP19] OPeRAte-Forschungsprojekt, Orchestrierung von Prozessketten für eine daten-
getriebene Ressourcenoptimierung in der Agrarwirtschaft und -technik,
www.operate.edvsz.hs-osnabrueck.de, Stand: 22.10.2019.
[Po19] PostgreSQL: Row Level Security, www.postgresql.org/docs/10/ddl-rowsecurity.html,
Stand: 22.10.2019.
[SN15] Sam Newman: Building Microservices, O’Reilly Media, Sebastopol, California, 2015.