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Mit Highspeed auf das Feld - Ethernet auf Landmaschinen

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Abstract

Auf vielen Landmaschinen wird der CAN-Bus zur Übertragung von Daten zwischen Sensoren, Aktoren und Steuergeräten genutzt. Anwendungen wie Rückfahrkameras und Bird-ViewAnzeigen erfordern in der Regel zusätzliche, breitbandige Kommunikationskanäle. Dieser Beitrag untersucht, inwieweit ein gemeinschaftliches Kommunikationsmedium auf Basis von Ethernet zur Realisierung aktueller und zukünftiger Anwendungen auf Landmaschinen genutzt werden kann. Zusätzlich wird der Einsatz aktueller Technologien wie Audio/Video Bridging, Time-Sensitive Networking und Wifi auf einem Landmaschinengespann untersucht und bewertet.
A. Meyer-Aurich et al.: Informations- und Kommunikationstechnologien in kritischen Zeiten,
Lecture Notes in Informatics (LNI), Gesellschaft für Informatik, Bonn 2021 235
Mit Highspeed auf das Feld – Ethernet auf Landmaschinen
Frank Nordemann1, Anas Bin Muslim1 und Ralf Tönjes1
Abstract:
Auf vielen Landmaschinen wird der CAN-Bus zur Übertragung von Daten zwischen Sensoren,
Aktoren und Steuergeräten genutzt. Anwendungen wie Rückfahrkameras und Bird-View-
Anzeigen erfordern in der Regel zusätzliche, breitbandige Kommunikationskanäle. Dieser Beitrag
untersucht, inwieweit ein gemeinschaftliches Kommunikationsmedium auf Basis von Ethernet zur
Realisierung aktueller und zukünftiger Anwendungen auf Landmaschinen genutzt werden kann.
Zusätzlich wird der Einsatz aktueller Technologien wie Audio/Video Bridging, Time-Sensitive
Networking und Wifi auf einem Landmaschinengespann untersucht und bewertet.
Keywords: Landmaschinenkommunikation, Ethernet, IEEE 802.1Q, AVB/TSN, Wifi
1 Motivation und Problemstellung
Die Menge der auf modernen Landmaschinen zu übertragenden Daten nimmt kontinuier-
lich zu. Die Nutzung von digitalen Kameras für Ansichten von Rückwärtsfahren, Bird-
View-Anzeigen und für Prozessbeobachtungen verlangt nach hohen Bandbreiten und
geringen Latenzzeiten. Gleichzeitig soll der weitere Datenverkehr, insbesondere zeitkri-
tische Sicherheits-, Fehler- und Sensordaten, nicht durch die Videodaten behindert wer-
den. Landmaschinen verfügen in der Regel über ein auf dem CAN-Bus nach SAE J1939
[SA20] basierendes Kommunikationsnetz, wie es bei vielen Maschinenbussen der Her-
steller und beim ISOBUS [IS07] der Fall ist. Die dadurch ermöglichte Datenrate ist in
der Regel auf 250 kbps bei einer Leitungslänge von 40 m limitiert. Weder die Datenrate
noch die Leitungslänge reichen für moderne Anwendungen aus, weshalb oftmals mehre-
re CAN-Busse und zusätzliche Übertragungsmedien für Videodaten installiert werden.
Die Nutzung von Ethernet ist in vielen verschiedenen Anwendungsbereichen erfolgreich
erprobt. Auch die Industrie greift in Fabriken und deren Maschinen auf Ethernet zurück.
Da insbesondere für zeitkritische Funktionen wie ein Notaus einer Maschine determinis-
tische Übertragungszeiten von hoher Bedeutung sind, werden oftmals Industrial-
Ethernet-Varianten verwendet, die den fehlenden Determinismus über zeitschlitzbasierte
Verfahren umsetzen. Allerdings ist eine Landmaschine wie ein Traktorgespann nicht mit
Industriemaschinen und auch nicht mit Automobilen zu vergleichen: Bei Landmaschinen
werden gewöhnlich Maschinen verschiedener Hersteller je nach Anwendungsfall dyna-
misch gekoppelt. Bei den Industrial-Ethernet-Varianten ist es notwendig, den auftreten-
1 Hochschule Osnabrück, Fakultät Ingenieurwissenschaften und Informatik, Albrechtstr. 30, 49076 Osnabrück,
{f.nordemann; a.bin-muslim; r.toenjes}@hs-osnabrueck.de
Published in: 41. GIL-Jahrestagung, Gesellschaft für Informatik in der Land-, Forst-, und
Ernährungswirtschaft, Potsdam, März 2021.
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den Datenverkehr vorab über Werkzeuge zu planen und die Konfiguration auf die betei-
ligten Komponenten zu transferieren. Beides ist aufgrund der Dynamik und Heterogeni-
tät im Landmaschinenbereich nicht möglich.
Basierend auf dem zweijährigen Forschungsprojekt NeGIS wird in diesem Beitrag unter-
sucht, ob durch die Nutzung der weit verbreiteten Fast-Ethernet-Technologie [FE95] die
Kommunikationsanforderungen moderner Landmaschinen und deren Anwendungen
erfüllt werden können. Weiterhin wird untersucht, welche Möglichkeiten sich durch die
Integration neuartiger Technologien wie Audio/Video-Bridging (AVB, [AV20]) und
Time-Sensitive-Networking (TSN, [TS20]) ergeben.
2 Kommunikationssimulation eines Traktorgespanns
Die Grundlage der Untersuchungen ist ein Traktorgespann mit insgesamt drei Anbauge-
räten. Auf dem Gespann sind Kameras, Sensoren und Bediengeräte an unterschiedlichen
Positionen untergebracht (siehe Abb. 1). Als Simulationssoftware wird ein erweitertes
OMNeT++ genutzt, Übertragungsmedium ist ein Fast-Ethernet-Netzwerk mit 100 Mbps.
Front-
Cam Tractor-
Cam
Process-
Cam1
Process-
Cam2
Rear-Cam
Tractor-
Switch
Front-
Switch
ECU 1 ECU 2
Ext1-Switch
ECU 3
Ext2-Switch
InCab-
Switch
Terminal
Abb. 1: Simulationsszenario bestehend aus einem Traktorgespann mit drei Anbaugeräten
Die Netzlast setzt sich aus Daten verschiedener Anwendungskategorien zusammen: Auf
dem Maschinengespann befinden sich fünf Kameras zur Unterstützung von Bird-View-
Anzeigen, Rückwärtsfahren und zur Prozessbeobachtung. Bei 15 Mbps pro Kamera
entsteht ein gesamter Videoverkehr in Summe von 75 Mbps. Weiterhin befinden sich auf
den Anbaugeräten insgesamt drei Electronic Control Units (ECU). Die ECU versenden
zum einen Safety-Nachrichten (Paketgröße 42 Byte), welche beispielsweise Notaus-
Nachrichten repräsentieren. Durch den kontinuierlichen Versand mit 56 kbps kann deren
Latenz und Verlustrate identifiziert werden. Zum anderen generieren die ECU Hinter-
grunddatenverkehr, der zum Beispiel Prozesszustände, Sensor- oder Logdaten repräsen-
tiert. Diese Nachrichten füllen mit einer Größe von 1500 Byte ein gesamtes Ethernet-
Paket und werden zur Steigerung der Netzlast genutzt. Sie können nach IEEE 802.1Q
[VB98] in Prioritäten unterteilt werden oder zusammen als Best-Effort-Verkehr bezeich-
net werden. Als Scheduling-Mechanismus wird Strict-Priority-Scheduling eingesetzt, bei
dem eine höhere Priorität absoluten Vorrang vor einer niederwertigen Priorität hat. Das
Ziel des gesamten Netzverkehrs sind Bediengeräte in der Traktorkabine. Entsprechend
ist mit Überlastungen des Netzwerkes im Bereich des Traktors zu rechnen.
Mit Highspeed auf das Feld – Ethernet auf Landmaschinen 237
3 Ergebnisse der Kommunikationssimulationen
Nachfolgend werden die Latenzzeiten und Paketverluste dreier unterschiedlicher Konfi-
gurationen des Simulationsszenarios dargestellt.
3.1 Ethernet mit Prioritätsklassen
Ethernet mit Prioritäten nach IEEE 801.Q ist Grundlage der ersten Simulation. Dabei
wird der Netzverkehr überwiegend durch die drei ECU generiert und in sechs Prioritäts-
klassen eingeteilt (Prio0 bis Prio5). Zusätzlich werden die Prioritätsklassen sechs und
sieben genutzt, um Videodaten und Safety-Nachrichten zu versenden. Abb. 2 stellt die
Latenzen der unterschiedlichen Prioritätsklassen mit Video/Prio6 und Safety/Prio7 dar.
Deutlich erkennbar sind hierarchische Unterschiede in den Latenzen der Prioritäten. Die
niedrigste Priorität Prio0 enthält die höchsten maximalen Latenzen, zugleich steigen die
Latenzwerte deutlich bei einer Überlastung des Netzwerkes an, was sich versetzt auch
auf die weiteren Prioritäten überträgt. Allerdings bleiben die Latenzen für Safety- (Prio7)
und Videodaten (Prio6) auch bei einer deutlichen Netzüberlastung von 160 Mbps stabil
in einem Bereich von 1 ms. Dies liegt neben dem eingesetzten Strict-Priority-Scheduling
auch an der geringeren Datengröße von Safety- und Videopaketen im Vergleich zu den
1500 Byte großen Datenpaketen der verbleibenden Prioritäten. Der Boxplot in Abb. 3
zeigt die Verteilung der Latenzen bei einer Netzlast von 98 Mbps. Auch hier werden die
hierarchischen Unterschiede zwischen den Prioritäten ersichtlich. In Verbindung mit der
kumulativen Latenzverteilung in Abb. 4 wird deutlich, dass sich die Verzögerungszeiten,
je nach Priorität, in einem Bereich von 0 bis 10 ms befinden. Bedeutend ist, dass ab einer
Netzlast von ca. 85 Mbps mit Paketverlusten bei niedrig priorisierten Daten gerechnet
werden muss (siehe Abb. 5). Abschließend ist eine Realisierung der Beispielanwendun-
gen aus Kameraansichten, Safety- und Best-Effort-Daten in dieser Szenariokonfiguration
möglich, wenn die verwendeten Prioritäten mit Bedacht gewählt werden.
Abb. 2: Max. Latenzwerte der Prioritäten Abb. 3: Latenzwerte bei 98 Mbps Netzlast
238 Frank Nordemann et al.
Abb. 4: Kumulative Verteilung (98 Mbps) Abb. 5: Paketverluste nach Priorität
3.2 Ethernet mit Prioritätsklassen und Audio/Video Bridging (AVB)
In der zweiten Simulationskonfiguration wird mit der Nutzung von AVB ein determinis-
tisches Übertragungsverfahren für Videodaten integriert. AVB verwendet zur Übertra-
gung die Prioritätsklassen fünf und sechs und wird vor jeglichem anderem Datenverkehr
verarbeitet. Dadurch werden auch Safety-Nachrichten, die sich auf der eigentlich höher
priorisierten Stufe sieben befinden, erst im Anschluss an den AVB-Verkehr behandelt.
Die Latenzzeiten in Abb. 6 und Abb. 7 legen dar, dass für die Videodaten Verzögerun-
gen von unter 1 ms auch bei steigender Netzlast garantiert werden können. Die kumula-
tive Latenzverteilung in Abb. 8 veranschaulicht die zu erwartenden Latenzen bei einer
Netzlast von 95 Mbps (aufgrund der Best-Effort-Konfiguration nicht 98 Mbps).
Abb. 6: Latenzwerte inkl. AVB-Videodaten Abb. 7: Latenzwerte bei 95 Mbps Netzlast
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Abb. 8: Kumulative Verteilung (95 Mbps) Abb. 9: Paketverluste nach Priorität
Die Latenzwerte für die Übertragung von Safety-Nachrichten liegen in geringem Rah-
men über den Werten der Videodaten, weisen jedoch höhere Schwankungen auf. Einzig
die als Best-Effort zusammengefassten weiteren Prioritäten lassen mit einer Überlastung
des Netzwerkes deutlich steigende Latenzzeiten erkennen, bei denen gleichzeitig auch
Paketverluste (siehe Abb. 9) zu erkennen sind.
3.3 Ethernet und Wifi mit Prioritätsklassen
Die Steckverbindungen zwischen Traktor und Anbaugeräten erhöhen die Leitungslänge,
den Kopplungsaufwand und die physische Fehleranfälligkeit (z. B. durch Kabelbruch,
Kabelstauchung und Verschmutzung). In einer dritten Simulation mit insgesamt vier
Kameras werden diese Verbindungen durch Wifi nach IEEE 802.11g ersetzt, um den
Einfluss einer Funktechnologie auf Latenzwerte und Paketverluste zu untersuchen.
Abb. 10: Latenzwerte mit Wifi Abb. 11: Paketverluste nach Priorität mit Wifi
240 Frank Nordemann et al.
Ab einer Netzlast von 80 Mbps erfolgt ein Anstieg von Latenzen und Paketverlusten.
Diese konzentrieren sich auf die niederpriorisierten Datenklassen, die als Best-Effort
zusammengefasst sind. Die durchschnittlichen Latenzwerte in Abb. 10 liegen etwas
höher als bei den kabelgebundenen Untersuchungen, befinden sich aber vor allem für
Video- und Safetydaten mit 1 bis 3 ms durchgehend in einem guten Bereich. Beide Da-
tentypen erfahren zudem nur geringe Paketverluste (siehe Abb. 11).
4 Zusammenfassung
Die mittels Simulationen durchgeführten Untersuchungen legen dar, dass bei bedachter
Einteilung der zu übertragenden Daten in Prioritätsklassen die Anforderungen moderner
Anwendungen auf Landmaschinen erfüllt werden können. Die notwendigen Datenraten
und Latenzen können bereits durch Fast-Ethernet mit Priorisierung nach IEEE 802.1Q
auch in Netzüberlastsituationen bereitgestellt werden. Mit Gigabit-Ethernet steht zudem
eine Kommunikationstechnologie zur Verfügung, mit der die Möglichkeit von Netzüber-
lastungen für typische Anwendungsfälle deutlich reduziert werden kann.
Für die deterministische Übertragung von Videodaten kann zusätzlich AVB integriert
werden, wodurch Verzögerungszeiten von unter 1 ms garantiert werden können. Basie-
rend auf AVB kann der Nachfolgestandard TSN eine Möglichkeit darstellen, neben
Videodaten auch andere Daten deterministisch (z. B. mittels Time-Aware-Shaping) zu
übertragen. Dabei müssen Übertragungszeitschlitze auf einem dynamisch zusammenge-
setzten Maschinengespann unterschiedlicher Hersteller ausgehandelt werden.
Werden Datentypen sinnvoll priorisiert und Überlastungen im Netz konfigurationsseitig
verhindert, können die Verbindungen zwischen Traktor und Anbaugeräten drahtlos reali-
siert werden. Obwohl die auftretenden Latenzen oberhalb der kabelgebundenen Konfigu-
rationen liegen, erfüllen sie die Anforderungen gängiger Anwendungen. Weitere Ver-
besserungen des Datendurchsatzes sind mit zukünftigen Wifi-Standards zu erwarten.
Literaturverzeichnis
[FE95] IEEE Std. 802.3u-1995, Fast-Ethernet, IEEE, 1995.
[VB98] IEEE Std. 802.1Q-1998, Virtual Bridged Local Area Networks, IEEE, 1998.
[AV20] IEEE 802.1BA, Audio/Video Bridging (AVB) Systems, Task Group,
http://www.ieee802.org/1/pages/802.1ba.html, Stand: 13.10.2020.
[TS20] IEEE Time-Sensitive Networking, Task Group,
http://www.ieee802.org/1/pages/tsn.html, Stand: 13.10.2020.
[IS07] ISO 11783 Part 1-14, Tractors and machinery for agriculture and forestry - Serial
control and communications data network, Beuth Verlag, 2007.
[SA20] SAE J1939 Standards Collection,
https://www.sae.org/standardsdev/groundvehicle/j1939a.htm, Stand: 13.10.2020.
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1Q-1998, Virtual Bridged Local Area Networks
  • Ieee Std
IEEE Std. 802.1Q-1998, Virtual Bridged Local Area Networks, IEEE, 1998.