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UNIVERSIT ¨
AT ROSTOCK |FAKULT ¨
AT F ¨
UR INFORMATIK UND ELEKTROTECHNIK
Institut f¨
ur Informatik |Praktische Informatik
Albert-Einstein-Straße 22, 18059 Rostock |
Wissenschaftliche Abschlussarbeit
Prozessmodellierung f¨
ur
digitales Beschwerdemanagement
Vorgelegt von:
Torben Bjarne Wolff
Matrikel-Nr.: 212200067
Studiengang:
Lehramt an Gymnasien in den F¨
achern
Chemie, Informatik und Beifach Mathematik
Eingereicht am:
01. Februar 2019
Betreuer:
Prof.in Dr.in Alke Martens
Dr. Lutz Hellmig
i
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis ii
Tabellenverzeichnis iii
1 Einleitung 1
2 Grundlagen des Beschwerdemanagements 4
2.1 Grundbegriffe ................................ 4
2.1.1 Beschwerde ............................. 4
2.1.2 Management............................. 6
2.1.3 Abgrenzung Hochschule von Unternehmen . . . . . . . . . . . . 7
2.2 Beschwerdemanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
2.2.1 Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
2.2.2 Ziele des Beschwerdemanagements . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
2.2.3 Aufgaben des Beschwerdemanagements . . . . . . . . . . . . . . 12
2.2.4 Arten des Beschwerdemanagements . . . . . . . . . . . . . . . . 24
2.2.5 Beschwerdemanagement an Hochschulen . . . . . . . . . . . . . 26
3 Digitales Beschwerdemanagement an der Universit¨at Rostock 29
3.1 Beschwerden ¨
uber Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
3.1.1 Konzept von ROLEFF/WIMMER . . . . . . . . . . . . . . . . 30
3.1.2 Beispiel: Anerkennung von Pr¨
ufungs- und Studienleistungen . . 32
3.1.3 Zwischenfazit1 ........................... 34
3.2 Prozessmodell: Wechsel zum Lehramt und innerhalb des Lehramts . . . 35
3.2.1 Subprozess: Immatrikulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
3.2.2 Subprozess: Anerkennungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 39
3.2.3 Zwischenfazit2 ........................... 41
3.3 Digitales Beschwerdemanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
3.3.1 Begr¨
undung f¨
ur ein digitales Beschwerdemanagements . . . . . . 43
3.3.2 Prozessmodell............................ 46
3.3.3 Zwischenfazit3 ........................... 53
4 Zusammenfassung und Ausblick 54
4.1 Zentrale Erkenntnisse aus den theoretischen Grundlagen . . . . . . . . 54
4.2 Zentrale Erkenntnisse ¨
uber ein digitales Beschwerdemanagement . . . . 56
4.3 DiskussionundFazit ............................ 57
Literaturverzeichnis I
ii
Abbildungsverzeichnis
1.1 Die grundlegenden Funktionen des Computers (Grafik nach [Doe17]) . . . 1
1.2 Ausl¨
oser, Konsequenzen und Herausforderungen (Grafik nach [Doe17]) . . 2
1.3 Beschwerde-Eisberg nach Ramsauer/Walser [RW10, S. 27] . . . . . . . 3
2.1 Aufgabenbereiche nach Riemer im Vergleich mit TARP, angelehnt an
[Wim85, S. 233] und [Hof91, S. 17] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
2.2 Aufgabenbereiche nach Stauss/Seidel [SS07, S. 82] . . . . . . . . . . . . 17
2.3 Prozessmodell nach Sch¨
ober [Sch97,S.92] ................. 20
2.4 Prozessmodell nach Ramsauer/Walser [RW10, S. 14] . . . . . . . . . . 24
2.5 Prozessmodell der Anregungs- und Beschwerdestelle der Universit¨
at zu K¨
oln
[Uni15] ..................................... 28
3.1 Dienstleistungsphasen mit Ursachen f¨
ur Kundenunzufriedenheit [WR01, S.
322] ....................................... 30
3.2 Gesamtprozess Wechsel zum Lehramt und innerhalb des Lehramts . . . . . 35
3.3 Entscheidungsprozess des Bewerbers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
3.4 Verfahren f¨
ur zulassungsfreie Studieng¨
ange.................. 36
3.5 Verfahren f¨
ur zulassungsbeschr¨
ankte Studieng¨
ange.............. 38
3.6 Subprozess Anerkennungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
3.7 Hauptprozess Verlauf eines Anliegens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
3.8 Online-Umfrage: Kommunikationskan¨
ale bei Kundenbeschwerden [min11] 47
3.9 TeilprozessAufnahme ............................. 48
3.10 Teilprozess Erfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
3.11 Teilprozess Bearbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
3.12 Hauptprozess Informationsgewinnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
iii
Tabellenverzeichnis
2.1 Konkretisierung der Fachw¨
orter von Hoffmann [Hof91, vgl. S. 2ff.] . . . . 5
2.2 Konkretisierung der Fachw¨
orter von Stauss/Seidel [SS07, vgl. S. 49ff.] . 5
2.3 Ziele eines Beschwerdemanagements nach Sch¨
ober [Sch97, S. 28] . . . . . 10
2.4 Ziele des Beschwerdemanagements nach Stauss/Seidel [SS07, S.79] . . . 10
2.5 Ziele des Beschwerdemanagements nach Hansen [Han96, S. 12] . . . . . . 11
2.6 Complaint Handling Functions von TARP [TAR79]............. 13
2.7 Legende zum Prozessmodell der Anregungs- und Beschwerdestelle der Uni-
versit¨
at zu K¨
oln................................. 28
1
1 Einleitung
”Durch die Nutzung von EDV-Systemen zur Kanalisierung von Beschwerden ergeben
sich Flexibilit¨
atsspielr¨
aume f¨
ur die organisatorische Gestaltung.“ [Sch97, S.109]
”Eine EDV-technische Erleichterung des Informationszugriffs und eine Verbesserung
der Informationsverarbeitungskapazit¨
aten ist [sic!] f¨
ur die Auswertung von Beschwer-
deinformationen und die Marktforschung erforderlich.“ [Sch97, S. 213]
Diese Hypothesen stammen aus der Dissertation von Sch¨
ober aus dem Jahr 1997.
Sch¨
ober l¨
age damit in unserer gegenw¨
artigen Zeit voll im Trend, wenn man die Wort-
gruppierung EDV-... mit dem Schlagwort Digitalisierung austauschen w¨
urde. Jedoch
muss man an dieser Stelle die unterschiedlichen Bedeutungen des Begriffs Digitalisie-
rung voneinander trennen. Digitalisierung im eigentlichen Sinne beschreibt den Sach-
verhalt, ”dass analoge Daten zunehmend in die digitale Form ¨
uberf¨
uhrt werden oder
Daten direkt digital erfasst werden.“ [Doe17, S. 16] Das gesellschaftliche Ph¨
anomen
Digitalisierung dr¨
uckt noch viel mehr aus, n¨
amlich die allt¨
agliche Nutzung von Com-
putern und mobilen Endger¨
aten sowie die Optimierung unseres Alltags mithilfe derer.
Die grundlegende Funktion eines Computer ist nicht nur das Erfassen digitaler Inhalte.
Abbildung 1.1: Die grundlegenden Funktionen des Computers (Grafik nach [Doe17])
Wie aus der Abbildung zu erkennen ist, ist die Erfassung und Speicherung der Da-
ten (Digitalisierung) nur eine grundlegende Funktion des Computers. Hinzu kommen
die Automatisierung sowie die Vernetzung von elektronischen Daten. Diese Funktionen
sorgen im Zuge der Globalisierung f¨
ur einen technischen Fortschritt und gesellschaft-
liche Herausforderungen, die beide ann¨
ahernd exponentiell verlaufen. Auf der einen
Seite erhalten wir Chancen, beispielsweise große Erleichterungen im Alltagsgesch¨
aft zu
schaffen. Die Menschen k¨
onnen sich erm¨
oglichen, Antr¨
age zum Beispiel f¨
ur einen neu-
en Personalausweis an die Stadtverwaltung bequem von Zuhause aus unabh¨
angig von
den ¨
Offnungszeiten zu stellen oder in Sekundenschnelle allen Vereinsmitgliedern die
Einladung zur Mitgliederversammlung zu versenden, ohne Postwege miteinkalkulieren
zu m¨
ussen. Auf der anderen Seite ist f¨
ur viele Menschen nicht absehbar, was diese
Ver¨
anderungen mit sich bringen. Zwar erhalten wir die Einladung zur Mitgliederver-
sammlung jedoch dazu fast t¨
aglich hunderte Werbe-, Junk- oder Spammails. Die Leute
1 Einleitung 2
geben auf der Webseite der Stadtverwaltung ihre pers¨
onlichen Daten ein und verlieren
dadurch die Kontrolle im Umgang mit ihren zu sch¨
utzenden Daten. Allgemein betrach-
tet, geschieht durch das gesellschaftliche Ph¨
anomen Digitalisierung eine tiefgreifende
Ver¨
anderung in (fast) allen Lebensbereichen.
Abbildung 1.2: Ausl¨
oser, Konsequenzen und Herausforderungen (Grafik nach [Doe17])
Der Mensch r¨
uckt damit unweigerlich in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Ph¨
ano-
mens Digitalisierung. Daher sollte der Grundsatz lauten, dass Hard- oder Software-
l¨
osungen f¨
ur die Menschen angefertigt werden sollen. Die Notwendigkeit und Konzep-
tion f¨
ur die Menschheit steht dabei im Fokus. In diesem Spannungsfeld bewegt sich
auch meine wissenschaftliche Abschlussarbeit, und geht der Frage nach, wie ein di-
gitales Beschwerdemanagement f¨
ur die Lehramtsstudenten der Universit¨
at Rostock
aussehen sollte.
Beschwerdemanagement gibt es schon seit den 1970er Jahren [TAR79]. Es wurde
fr¨
uher in Deutschland als Beschwerdepolitik bezeichnet. Daher ist es verwunderlich,
dass viele Universit¨
aten nur im geringen Maße ¨
uber ein solches Beschwerdemanagement
verf¨
ugen. Als Gegenargument wird oft vorgebracht, die Studenten seien zufrieden, da
eine geringe Zahl von Beschwerden eingehen. [SS07, vgl. S. 52] Aus dieser Korrela-
tion eine Kausalit¨
at zu schlussfolgern, ist dennoch falsch. Wie der Unterabschnitt 3.3.1
Begr¨
undung f¨
ur ein digitales Beschwerdemanagements zeigen wird, besitzen gerade
Hochschulen beziehungsweise ¨
offentliche Einrichtungen generell Beschwerdebarrieren,
die von ihren Kunden (B¨
urgern, Studenten, und so weiter) als sehr hoch eingesch¨
atzt
werden. Ein anderer Grund f¨
ur die Korrelation kann sein, dass sehr viele Kunden sich
schon ein resigniertes Verhalten angew¨
ohnt haben, wodurch es zur keiner Beschwerde
mehr kommt, da sie keinen Chancen auf Ver¨
anderung oder Verbesserung sehen. Ein
letztes Argument zur obigen Aussage ist der sogenannte blinde Fleck der ¨
offentlichen
Einrichtung. Es werden ”kritische ¨
Außerungen von Kunden gar nicht als Beschwerde an-
gesehen oder erfasst, weil sie m¨
undlich vorgetragen werden.“ [SS07, S. 52] Daher ist ein
Schl¨
usselelement des Beschwerdemanagements die Kommunikation. Sinnbildlich steht
hierf¨
ur die Eisbergtheorie aus der Psychologie beziehungsweise Kommunikationswissen-
schaft. Schon Wimmer nutzte in den 1980er Jahren diese Metapher und ¨
außerte, dass
1 Einleitung 3
”Beschwerden in aller Regel nur die Spitze des Eisberges an Unzufriedenheit sichtbar
werden lassen.“ [Wim85, S. 230] Stauss/Seidel verfeinerten den Beschwerde-Eisberg
und kommen zum Schluss, dass ein großer Teil des Eisbergs durch interne Maßnahmen
zur Verbesserung der Beschwerdebearbeitung sichtbar wird. [SS07, vgl. S. 311]
Abbildung 1.3: Beschwerde-Eisberg nach Ramsauer/Walser [RW10, S. 27]
Somit braucht das Beschwerdemanagement unbedingt eine Renaissance mithilfe der
gegenw¨
artigen informatischen M¨
oglichkeiten in all seinen Bereichen. Die Leitung und
F¨
uhrung von Organisationen oder Unternehmen ¨
andert sich im Zuge der Digitalisie-
rung durch die informatischen Hilfsmittel. Damit dies aber gelingt, braucht es zuerst
eine Prozessanalyse beziehungsweise -modellierung, um an den richtigen Stellschrauben
zu drehen. Die vielen Prozessmodelle ¨
uber Beschwerdemanagements wurden eben nicht
unter dem Gesichtspunkt des gesellschaftlichen Ph¨
anomens Digitalisierung bewertet.
Daher ist ein Ziel dieser Arbeit mithilfe des informatischen Werk- und R¨
ustzeugs ein in-
formatisches Prozessmodell eines digitalen Beschwerdemanagements f¨
ur die Universit¨
at
Rostock zu entwickeln. Dieses Prozessmodell beruht auf einer Analyse von bestehen-
den Systemen sowie von Prozessen innerhalb der universit¨
aren Verwaltungseinheiten
und wird in der informatischen Modellierungssprache Business Process Modells and
Notation erstellt. Diese Arbeit beleuchtet, wo und wie menschliche T¨
atigkeiten durch
informatische Hilfsmittel unterst¨
utzt oder alleine umgesetzt werden k¨
onnen. Um dies zu
schaffen, er¨
ortere ich im Kapitel 2 Grundlagen des Beschwerdemanagements Grund-
begriffe sowie das Beschwerdemanagement an sich mit Zielen, Aufgaben, Arten und
den gegenw¨
artigen Forschungsstand an Hochschulen. Im Kapitel 3 Digitales Beschwer-
demanagement an der Universit¨
at Rostock gehe ich zuerst auf die Besonderheit von
Dienstleitungsprodukten ein, da diese fast ausschließlich das Endprodukt an Hochschu-
len sind. Danach analysiere ich einen markanten Prozess f¨
ur Lehramtsstudenten und
begr¨
unde damit den Bedarf eines digitalen Beschwerdemanagements. Im Anschluss le-
ge ich mein Prozessmodell eines m¨
oglichen digitalen Beschwerdemanagements f¨
ur die
Universit¨
at Rostock dar und schließe mit einer Zusammenfassung und einem Aus-
blick ab (Kapitel 4 Zusammenfassung und Ausblick). An dieser Stelle weise ich darauf
hin: Ich verzichte aus Gr¨
unden der besseren Lesbarkeit auf eine geschlechtsneutrale
Schreibweise und meine in meiner Wortwahl immer alle m¨
oglichen Geschlechtsformen.
Ich unterscheide aufgrund des gegebenen Kontextes nicht zwischen Universit¨
at und
Fachhochschule und subsumiere alle Formen unter dem Begriff Hochschule.
4
2 Grundlagen des
Beschwerdemanagements
Dieses Kapitel dient dazu, ein einheitliches, theoretisches Basiswissen ¨
uber das Kon-
zept des Beschwerdemanagements zu schaffen. Zuerst wird die Komposition in ihre
Teilw¨
orter zerlegt, um einen ¨
Uberblick zu gewinnen und deren Bedeutung nachzu-
vollziehen. Im weiteren Verlauf ist es in Bezug auf den universit¨
aren Kontext im Sinne
der Organisationsentwicklung unabdingbar, eine Differenzierung von Unternehmen und
Organisation vorzunehmen. Abschließend wird das Beschwerdemanagement in seiner
Ausf¨
uhrlichkeit behandelt. Der Begriff wird erkl¨
art, Ziele, Aufgaben und Arten werden
er¨
ortert und abschließend der gegenw¨
artige Forschungsstand des Beschwerdemanage-
ments an Hochschulen dargelegt.
2.1 Grundbegriffe
2.1.1 Beschwerde
2.1.1.1 Etymologische Bedeutung
Der deutsche Begriff Beschwerde ist schon seit dem 14. Jahrhundert gebr¨
auchlich und
bedeutete zun¨
achst M¨
uhe, Anstrengung oder auch k¨
orperliche Leiden, Schmerzen. Es
leitet sich vom althochdeutschen Verb bisw¯aren aus dem 10. Jahrhundert ab, was mit
bedr¨
ucken, belasten ¨
ubersetzt wird. Wenn man beschwert, dann beklagt man sich nach
der Wortherkunft ¨
uber etwas Dr¨
uckendes. Somit ist die Beschwerde etymologisch be-
trachtet das Beklagen ¨
uber etwas Dr¨
uckendes. [Pfe05]
2.1.1.2 Begriffsbestimmung
In der deutschsprachigen wissenschaftlichen Literatur wird der Beschwerdebegriff seit
den 1980er Jahren verwendet. Die Anf¨
ange hat Wimmer im Jahre 1985 geliefert. Er
definiert Beschwerde als ”eine Form der Unzufriedenheitsartikulation von Konsumen-
ten beziehungsweise Kunden eines Unternehmen/einer Institution, die darauf gerichtet
ist, die Unzufriedenheit zu beseitigen, das zugrunde liegende Problem zu l¨
osen.“
[Wim85, S. 226] Der zentrale Aspekt seiner Definition ist die Unzufriedenheitsartiku-
lation von Kunden, den auch Riemer in seiner Definition besitzt. ”Beschwerden sind
zun¨
achst individuelle Unzufriedenheits¨
außerungen von Kunden, die mit irgendeiner
Leistung des Unternehmens nicht einverstanden waren.“ [Rie86, S. 22] Dieser Fokus
l¨
asst sich zum einen durch die anglo-amerikanische Literatur erkl¨
aren. Dort wurden
schon in der 1960er und 1970er Jahren Forschungen ¨
uber Beschwerde (complaint) so-
wie den Nichtbeschwerer (unvoiced complainers) betrieben. Dadurch bezogen sich die
ersten Begriffsbestimmungen auf Personen aus dem anglo-amerikanischen Bereich, wie
zum Beispiel Fornell [For82] oder TARP [TAR79]. Zum anderen wurde in den 1980er
und 1990er Jahren in Deutschland die Beschwerdepolitik fast ausschließlich von Han-
sen und ihrer Arbeitsgruppe wissenschaftlich erforscht. In dieser Zeit wurde die Be-
2 Grundlagen des Beschwerdemanagements 5
schwerdepolitik in der Wirtschaft vermieden, da es als wertvolles Zeichen galt, wenn
das Unternehmen kaum Beschwerden erhielt. Im Kapitel 1 Einleitung wurde bereits
erl¨
autert, dass dies ein falscher R¨
uckschluss ist. Dadurch hat vor allem der Lehrstuhl
von Hansen das Gebiet der Beschwerdepolitik erforscht, was anhand der vielen Pu-
blikationen auszugsweise mit Blick auf den Begriff Beschwerde dargestellt wird.
F¨
ur Hoffmann sind Beschwerden: ”Alle unternehmensgerichteten Kundenartiku-
lationen nach dem Kauf von Produkten oder Dienstleistungen, die darauf abzielen,
subjektiv wahrgenommene Kundenprobleme, die in direktem Zusammenhang mit dem
Kauf und/oder der Nutzung der Produkte oder Dienstleistung stehen, zu beseiti-
gen.“ [Hof91, S. 2] Dabei konkretisiert er die folgenden Fachw¨
orter:
Fachwort Erkl¨
arung
Kundenartikulation verbale und schriftliche Kommunikationsbem¨
uhungen
unternehmens-
gerichtet
direkte Wege an das Unternehmen und nicht an Dritte
nach dem Kauf Einschr¨
ankung der Phase
Tabelle 2.1: Konkretisierung der Fachw¨
orter von Hoffmann [Hof91, vgl. S. 2ff.]
Stauss/Seidel definieren den Beschwerdebegriff als ”Artikulationen von Unzufrie-
denheit, die gegen¨
uber Unternehmen oder auch Drittinstitutionen mit dem Zweck
ge¨
außert werden, auf ein subjektiv als sch¨
adigend empfundenes Verhalten eines An-
bieters aufmerksam zu machen, Wiedergutmachung f¨
ur erlittene Beeintr¨
achtigungen
zu erreichen und/oder eine ¨
Anderung des kritisierten Verhaltens zu bewirken.“
[SS07, S. 49] Diese breite Definition konkretisiert er weiterhin, indem er einzelne W¨
orter
n¨
aher beschreibt.
Fachwort Erkl¨
arung
Artikulation verbale oder schriftliche ¨
Außerungen
Unzufriedenheit nicht vollst¨
andig erf¨
ullte Kundenerwartungen (zum
Beispiel Mangel, Werbung, gesellschaftspolitisches
Verhalten)
¨
Außernde Kunden, unternehmerische Anspruchsgruppen,
Individuen, Institutionen
¨
Außerung
gegen¨
uber dem
Unternehmen
auf direktem oder indirektem (Drittinstitution) Weg
Tabelle 2.2: Konkretisierung der Fachw¨
orter von Stauss/Seidel [SS07, vgl. S. 49ff.]
Schließlich sieht Sch¨
ober die ”Unzufriedenheit als Ausgangspunkt von Beschwer-
den“ [Sch97, S. 12] und versteht unter Kundenbeschwerden,”eine Form des Wider-
spruchs [...], die an ein Unternehmen beziehungsweise eine Drittinstitution mit der
Absicht gerichtet sind,
2 Grundlagen des Beschwerdemanagements 6
•auf ein kritikw¨
urdiges Verhalten der Unternehmung aufmerksam zu machen,
•eine ¨
Anderung des kritikw¨
urdigen Verhaltens zu bewirken,
•das zugrundeliegende Problem zu l¨
osen,
•Wiedergutmachung f¨
ur erlittene Beeintr¨
achtigungen zu erreichen und/oder
•Zufriedenheit wieder herzustellen.“ [Sch97, S. 16]
Die verschiedenen Definitionen unterscheiden sich nur in Feinheiten, setzen andere
Schwerpunkte oder stellen andere Aspekte voran. Der Dreh- und Angelpunkt ist im-
mer die Unzufriedenheitsartikulation von Kunden geblieben. Dadurch hat sich bis dato
der Beschwerdebegriff nur evolution¨
ar weiterentwickelt. Die Wortherkunft des Begriffs
Beschwerde als das Beklagen ¨
uber etwas Dr¨
uckendes findet sich auch in unserer ge-
genw¨
artigen wissenschaftlichen Ausdrucksweise wieder. Die Forschungsliteratur fasst
den Begriff Beschwerde grundlegend als das Aussprechen von Unzufriedenheit von et-
was auf.
2.1.1.3 Sonderfall Reklamation
Die Reklamation ist eine Teilmenge von Beschwerden, wenn ”kaufrechtliche Anspr¨
uche
bez¨
uglich eines Produktes oder einer Dienstleistung besteht.“ [Han90, S. 449] Daher
k¨
onnen Reklamationen nur in der Nachkaufphase beziehungsweise Nachleistungspha-
se gestellt werden. Es handelt sich um eine gesetzliche Regelung, die sich im §437
des b¨
urgerlichen Gesetzbuches wiederfindet. Wenn eine Sache mangelhaft ist, hat der
K¨
aufer das Recht, nach Nacherf¨
ullung zu verlangen, vom Vertrag zur¨
ucktreten oder den
Kaufpreis zu mindern sowie Schadensersatz oder Ersatz vergeblicher Aufwendungen zu
verlangen.
2.1.2 Management
Das Wort Management stammt aus dem anglo-amerikanischen Sprachgebrauch und
wird mit Leitung oder Gesch¨
aftsf¨
uhrung ¨
ubersetzt. Mit dem Begriff verbindet sich
sowohl eine funktionale Perspektive als T¨
atigkeit der Unternehmensf¨
uhrung als auch
eine institutionelle Perspektive als gesch¨
aftsf¨
uhrendes Organ. [Har18, vgl. S. 1] Mit der
erstgenannten Perspektive werden alle Aktivit¨
aten bezeichnet, die ”F¨
uhrungskr¨
aften
in allen Bereichen der Unternehmung in Erf¨
ullung ihrer F¨
uhrungsaufgabe zu erbrin-
gen“ [Wie13, S. 229] haben. Der andere Aspekt ¨
uber das Management setzt dagegen
den Fokus auf, ”alle diejenigen, die in der Unternehmung leitende Aufgaben erf¨
ullen.“
[Wie13, ebd.] Beispielweise wird deshalb das Management als Interessenvertretung des
Unternehmens gegen¨
uber den Arbeitnehmern bezeichnet. [Wie13, vgl. ebd.] F¨
ur die
vorliegende Arbeit sind beide Blickwinkel zu beachten. Auf der einen Seite wird die
T¨
atigkeit eines Beschwerdemanagements erl¨
autert und im digitalen Kontext gesetzt.
Auf der anderen Seite muss man ¨
uber ein Personalkonzept beziehungsweise die betrof-
fenen Personen sprechen, wenn man sich beispielsweise mit der Fragestellung der orga-
nisatorischen Gestaltung (zentral versus dezentral) auseinandersetzt. Diesen ¨
Uberblick
erh¨
alt man im Unterabschnitt 2.2.4 Arten des Beschwerdemanagements. Der Schwer-
punkt ist aber aufgrund der Prozessmodellierung eindeutig auf die funktionale Per-
spektive gelegt.
2 Grundlagen des Beschwerdemanagements 7
2.1.3 Abgrenzung Hochschule von Unternehmen
Die vorhandene wissenschaftliche Literatur behandelt Beschwerdemanagement vor al-
lem aus einer unternehmerischen Perspektive. Nur vereinzelte Artikel besch¨
aftigen sich
mit einem Beschwerdemanagement im ¨
offentlichen Sektor. [Han96] Beispielsweise zie-
len die Forschungsarbeiten darauf ab, Kunden besser zu binden [Rie86] oder Mund-
zu-Mund-Werbung zu vermeiden [Wim85]. Diese Punkte treten jedoch im hochschuli-
schen Kontext nur in einem geringen Maße auf. Deswegen muss man eine Abgrenzung
von Hochschulen gegen¨
uber Unternehmen vornehmen, da eine Hochschule kein Unter-
nehmen sondern eine Organisation ist. Eine Organisation ist grundlegend ein sozia-
les System, ”das durch eine besondere Zweckorientierung, geregelte Arbeitsteilung und
festgelegte Zust¨
andigkeiten charakterisiert ist.“ [Wie14, S. 417] Weiterhin existieren un-
terschiedliche Ansichten bez¨
uglich des Organisationsbegriffs. Im anglo-amerikanischen
Bereich ist ein Unternehmen eine Organisation. ”Die verschiedenartigsten arbeitstei-
ligen Institutionen, zum Beispiel Beh¨
orden, Krankenh¨
auser, Unternehmungen, Hoch-
schulen, werden insgesamt als Organisationen verstanden.“ [Wie13, S. 267]
Im deutschsprachigen Raum hat ein Unternehmen eine Organisation. Diese innere Or-
ganisation regelt das gemeinsame Miteinander durch eine m¨
oglichst funktionale Auf-
gabenverteilung. [Gab18, vgl. S. 1] Im Gegensatz zu Organisationen haben Unterneh-
men aber ein erwerbswirtschaftliches Prinzip. Sie sind eine ”wirtschaftlich und
rechtlich selbstst¨
andige Einheit.“ [Wie14, S. 565] Sie produzieren G¨
uter oder bieten
Dienstleistungen an, um Gewinne zu maximieren und eine Wertsteigerung zu erzielen.
Hochschulen m¨
ussen dagegen keine gewinnorientierte Leistungen erbringen und stellen
in der Regel nur Dienstleistungen bereit.
2 Grundlagen des Beschwerdemanagements 8
2.2 Beschwerdemanagement
2.2.1 Begriffsbestimmung
Grunds¨
atzlich sind in der deutschsprachigen wissenschaftlichen Literatur fast alle vor-
handenen Definitionen beziehungsweise Begriffsbestimmungen bez¨
uglich des Wortes
Beschwerdemanagement Leerformeln. Sie benutzen alle das Wort Beschwerde als Er-
kl¨
arung. Hierzu einige Beispiele:
•”Ganz allgemein hat es wohl Beschwerdepolitik mit der Planung, Durchf¨
uhrung
und Kontrolle aller Maßnahmen zu tun, die ein Unternehmen im Zusammenspiel
mit Beschwerden ergreift.“ [Wim85, S. 233]
•”Ein System von Handlungsanweisungen, Strukturen und Mitteln f¨
ur den Um-
gang mit Beschwerden [...] l¨
asst sich als Beschwerdemanagement bezeichnen.“
[Rie86, S. 28]
•”Unter Beschwerdepolitik soll die Marktbildung und -beeinflussung durch den
aktiven Umgang mit Konsumentenbeschwerden verstanden werden.“
[Han90, S. 449]
•”Beschwerdemanagement kann als planvollen und zielorientierten unternehme-
rischen Umgang mit Kundenbeschwerden umrissen werden [...]. Der Begriff Be-
schwerdemanagement kennzeichnet damit eine unternehmerische T¨
atigkeit (Auf-
gabe, Funktion) im Hinblick auf Beschwerden.“ [Hof91, S. 8]
•”Das Beschwerdemanagement einer Unternehmung wird als aktiver Umgang mit
Beschwerden f¨
ur eine zielgerichtete Gestaltung der Marktbeziehungen verstan-
den.“ [HJS95, S. 77]
•”Beschwerdemanagement umfaßt [sic!] die Planung, Durchf¨
uhrung und Kontrol-
le aller Maßnahmen, die ein Unternehmen im Zusammenhang mit Beschwerden
ergreift.“ [Sch97, S. 21]
•”Beschwerdemanagement beinhaltet einen komplexen unternehmerischen Hand-
lungsbereich. Es umfasst die Planung, Durchf¨
uhrung und Kontrolle aller Maß-
nahmen, die ein Unternehmen im Zusammenhang mit Beschwerden ergreift.“
[SS07, S. 79]
•”Die unternehmensseitige Reaktion auf Kundenbeschwerden wird unter dem Be-
griff des Beschwerdemanagements subsumiert.“ [Bro09, S. 19]
Es ist dabei anzumerken, dass die W¨
orter Beschwerdepolitik und Beschwerdemanage-
ment gleichzusetzen sind. Den Begriff Beschwerdepolitik w¨
ahlte die Forschungsgruppe
um Hansen. Dieser wurde aber ab den 1990er Jahren vor allem durch die B¨
ucher von
Stauss,Bruhn,Meffert und Seidel durch das Beschwerdemanagement ersetzt,
welcher heutzutage fast ausschließlich verwendet wird. Gr¨
unde hierf¨
ur k¨
onnen die An-
passung der deutschen Sprachkultur an die englische Sprache, umgangssprachlich auch
als denglisch bezeichnet, oder die Ver¨
anderung ¨
uber die Gedankenvorstellung des Be-
griffs sein. Diese Ver¨
anderung soll ausdr¨
ucken, dass es nicht mehr eine reine Unterneh-
menspolitik sein soll, sondern st¨
arker eine Aufgabe der F¨
uhrungs- und Leitungsebene
in einem Unternehmen ist. Des Weiteren wird deutlich, dass alle aufgef¨
uhrten Defi-
nitionen beziehungsweise Begriffsbestimmungen den Fokus auf Unternehmen haben.
Das bedeutet, dass mithilfe eines Beschwerdemanagements eine Gewinnmaximierung
2 Grundlagen des Beschwerdemanagements 9
oder eine Wertsteigerung eines Unternehmens erzielt werden soll. Zwar werden die
psychischen Aspekte beachtet und in die jeweiligen Forschungsarbeiten miteinbezogen,
dennoch steht immer im Vordergrund, ein Unternehmen voranzubringen, indem man
eine hohe Kundenzufriedenheit erzeugt.
Diese insgesamt unbefriedigende Suche nach einer akzeptablen Definition l¨
ost sich
durch die Begriffsbestimmung von G¨
unther auf. F¨
ur ihn ist ein Beschwerdemana-
gement ”in einem weiten Verst¨
andnis die Behandlung der ge¨
außerten und der nicht
ge¨
außerten (’versteckte Beschwerden’, ’unvoiced complaints’) Unzufriedenheit von Kun-
den durch einen Anbieter.“ [G¨
un08, S. 338] Diese Vorstellung eines Beschwerdemana-
gements teile ich und w¨
ahle sie f¨
ur die vorliegende Arbeit als Begriffserkl¨
arung aus.
Abgesehen von den formal erf¨
ullten Anspr¨
uchen einer Begriffsbestimmung liegt hier
kein unternehmerischer Schwerpunkt vor. Der Anbieter kann weitgefasst die gesam-
te Hochschule oder enggefasst eine einzelne Organisation (zum Beispiel Stabsstelle,
landesweites Zentrum f¨
ur Lehrerbildung und Bildungsforschung oder Student-Service-
Center) sein. Somit bleibt an diesem Punkt die Frage offen, wo und in welcher Form
ein Beschwerdemanagement im hochschulischen Kontext angegliedert werden soll. Auf
diese Fragestellung wird im Kapitel 4 Zusammenfassung und Ausblick eingegangen.
Hinzu kommt, dass auf eine wirtschaftswissenschaftliche oder marktbezogene Spra-
che verzichtet wird. Man bel¨
asst es bei Fachw¨
ortern wie Kunde oder Anbieter und
verwendet keine im Kontext Hochschule sinnfreien Termini wie ”Marktbildung und -
beeinflussung“ [Han90, S. 449] oder ”unternehmensseitige Reaktion.“ [Bro09, S. 19]
Abschließend m¨
ochte ich den Aspekt der ”Behandlung der ge¨
außerten und der nicht
ge¨
außerten Unzufriedenheit“ [G¨
un08, S. 338] hervorheben. Gerade im Bereich Hoch-
schule liegt eine ¨
außerst diffuse Menge von Beschwerden in unbekannter Gr¨
oße vor, die
fast ausschließlich Einzelf¨
alle beinhaltet. Es ¨
ahnelt stark einem Besuch beim Arzt, wo
dieser Doktor am Anfang eine Diagnose aufstellt. Er bestimmt zuerst die wahrschein-
liche, k¨
orperliche oder psychische Krankheit, um dann entsprechende Maßnahmen ein-
zuleiten. Dies ist auch f¨
ur handelnde Personen in einem Beschwerdemanagement von
bedeutender Rolle. Hier muss zuerst die Beschwerde erfasst und bestimmt werden, um
dann in geeigneter Art und Weise vorzugehen. Der psychologische Aspekt, der bei ei-
ner Beschwerde vom besonderen Belang ist, wird mit dieser Begriffsbestimmung stark
betont.
2.2.2 Ziele des Beschwerdemanagements
Mit den ersten wissenschaftlichen Artikeln ¨
uber Beschwerdemanagements wurden im
jeweils gleichen Atemzug konkrete Ziele und Aufgaben erforscht. Diese wurden ¨
uber
die Jahrzehnte verfeinert, ¨
uberarbeitet sowie systematisiert. Wimmer hat als Erster
zwischen ¨
okonomischen/monet¨
aren und kommunikativen/psychografischen Zielen un-
terschieden. [Wim85, vgl. S. 234ff.] Die kommunikativen/psychografischen Ziele teilt er
weiter in unternehmens- und marktbezogene ein und hebt sie als ”Voraussetzung [...] f¨
ur
die Realisation ¨
okonomischer Marketingziele“ [Wim85, vgl. S. 239] hervor. Sch¨
ober
hat in Anlehnung an Hoffmann die in der Forschung weiterentwickelten Ziele eines
Beschwerdemanagements tabellarisch wie folgt zusammengefasst:
2 Grundlagen des Beschwerdemanagements 10
¨
okonomische/monet¨
are kommunikative/psychographische
- Gewinn
- Umsatz
- Marktanteil
- Wiederkaufrate
marktbezogene:
- Bekanntheitsgrad der Beschwerdestellen
- F¨
orderung des Dialogs mit Kunden
- Steigerung der Beschwerderate zur Verringerung der
unvoiced complainers
- Vermeidung von Abwanderung
- Beschwerdezufriedenheit erreichen
- Zufriedenheit wiederherstellen
- negative Mundwerbung verhindern
- positive Mundwerbung stimulieren
- positive Einstellungen und Images bilden
- Wiederkaufbereitschaft steigern
- Akquisitorische Effekte schaffen (Cross Selling)
- Unzufriedenheit vorbeugen
- staatlichen Eingriffen vorbeugen
unternehmensbezogene:
- Informationsgewinnung zur Identifizierung von
Schwachstellen
- Entdeckung von Marktchancen
- Verbesserung der Qualit¨
at
- Empfang von Fr¨
uhwarnsignalen
- Erzielung von Wettbewerbsvorteilen
Tabelle 2.3: Ziele eines Beschwerdemanagements nach Sch¨
ober [Sch97, S. 28]
Mit ¨
okonomischen/monet¨
aren Zielen sind allgemeine Marketingziele gemeint, die
nicht aus dem Beschwerdemanagement abgeleitet sind. Die marktbezogenen kommu-
nikativen Ziele sollen vor allem das Beschwerdemanagement bekannt(er) machen und
soziale Distanzen zu diesem abbauen. Durch die unternehmensbezogenen kommunika-
tiven Ziele sollen betriebliche Schw¨
achen erkannt werden. [Sch97, vgl. S.27f.]
Stauss/Seidel weichen von dieser Darstellung ab und formulieren folgende Ziele f¨
ur
ein Beschwerdemanagement:
Globalziel - Erh¨
ohung von Gewinn und Wettbewerbsf¨
ahigkeit
Kundenbeziehungsrelevante
Teilziele
- Stabilisierung gef¨
ahrdeter Kundenbeziehungen beziehungsweise
Vermeidung von Kundenverlusten durch Herstellung von
(Beschwerde-)Zufriedenheit
- Erzielung von Mehrk¨
aufen durch Erh¨
ohung von Kaufintensit¨
at
und Kauffrequenz sowie F¨
orderung des Cross-Buying-Verhaltens
- F¨
orderung eines kundenorientierten Unternehmensimages
- Schaffung zus¨
atzlicher werblicher Effekte mittels Beeinflussung
der Mundkommunikation
Qualit¨
atsrelevante Teilzeile - Verbesserung der Qualit¨
at von Produkten und Dienstleistungen
durch Nutzung der in Beschwerden enthaltenen Informationen
- Vermeidung externer Fehlerkosten
- Vermeidung interner Fehlerkosten
Produktivit¨
atsrelevantes
Teilziel
- Effiziente Aufgabenerf¨
ullung
Tabelle 2.4: Ziele des Beschwerdemanagements nach Stauss/Seidel [SS07, S.79]
2 Grundlagen des Beschwerdemanagements 11
In beiden Darstellungen ist erkennbar, dass sie von einem unternehmerischen Aus-
gangspunkt gedacht sind. Sowohl f¨
ur Sch¨
ober als auch f¨
ur Stauss/Seidel ist der
Hauptpunkt das erwerbswirtschaftliche Prinzip, um in einem Unternehmen Gewinn-
maximierung und Wertsteigerung zu erzielen. Dennoch unterscheiden sie sich in dem
Punkt, dass Stauss/Seidel dies als Globalziel betrachtet und so alle Teilzeile darauf
ausrichtet. Sch¨
ober hingegen sieht zuerst die Umsetzung der kommunikativen/psy-
chographischen Ziele, um eine Erh¨
ohung von erwerbswirtschaftlichen Faktoren zu er-
reichen. Die theoretischen ¨
Uberlegungen der Ziele eines Beschwerdemanagements von
Stauss/Seidel sind mit dem Verweis auf den Unterabschnitt 2.1.3 Abgrenzung Hoch-
schule von Unternehmen f¨
ur Hochschulen daher ungeeignet. Das Konzept der Unter-
scheidung von ¨
okonomischen/monet¨
aren und kommunikativen/psychografischen Zielen
hat Hansen f¨
ur den ¨
offentlichen Bereich aufgegriffen. Sie folgert grundlegend, dass im
¨
offentlichen Bereich f¨
ur das Beschwerdemanagement eine besondere Bedeutung in der
Erf¨
ullung kommunikativer beziehungsweise psychographischer Zielsetzungen resultiert.
[Han96, vgl. S. 12]
kommunikative Ziele - Unterst¨
utzung eines kundenorientierten Image
- Erzeugung positiver Mundwerbung
- Nutzung des Informationswertes von
Kundenbeschwerden
- Wiederherstellen von Kundenzufriedenheit und
- Vorbeugung zuk¨
unftiger Unzufriedenheit
- Vermeidung anderer Reaktionsformen
¨
okonomische Ziele - v. a. Kostenziele
Tabelle 2.5: Ziele des Beschwerdemanagements nach Hansen [Han96, S. 12]
Alle in der Tabelle erw¨
ahnten Punkte haben f¨
ur Hansen eine besondere Bedeutung.
Beispielsweise sieht sie in der Nutzung des Informationswertes von Kundenbeschwer-
den eine informatorische R¨
uckkopplung f¨
ur den ¨
offentlichen Bereich oder mit der Ver-
meidung anderer Reaktionsformen eine Kanalisierung der Unzufriedenheitsursachen, so
dass eine Artikulation an anderer Stelle (Verbraucherorganisation, B¨
urgerbeauftragter,
und so weiter) verhindert wird. [Han96, vgl. S. 13] In der j¨
ungeren Literatur nutzt man
das Konzept von Stauss/Seidel mit Global- und Teilzielen oder bel¨
asst es bei einer
Formulierung eines globalen Ziels. (zum Beispiel [Bro09, S. 20])
Somit l¨
asst sich zusammenfassen, dass mit der Grundidee von Wimmer, der Unter-
scheidung von ¨
okonomischen/monet¨
aren und kommunikativen/psychografischen Zie-
len, sich ein besseres Verst¨
andnis ¨
uber ein Beschwerdemanagement entwickeln l¨
asst.
Die vertiefte Zielformulierung von Sch¨
ober bildet dadurch eine solide Grundlage, die
man aber in den Kontext einer Hochschule setzen muss. Es gilt zu beachten, dass die
kommunikativen/psychographischen Ziele die wesentliche Rolle spielen. Daher sollten
Hochschulen vor allem die erw¨
ahnten Ziele von Hansen f¨
ur ein Beschwerdemanage-
ment ber¨
ucksichtigen.
2 Grundlagen des Beschwerdemanagements 12
2.2.3 Aufgaben des Beschwerdemanagements
Ein Beschwerdemanagement ben¨
otigt nicht nur Ziele, sondern auch Aufgaben, damit
die Ziele erf¨
ullt werden k¨
onnen. Jedoch sind diese Aufgaben nicht klar voneinander
abtrennbar und stehen in wechselseitiger Abh¨
angigkeit. ”So erf¨
ullen einige Aufgaben
Doppelfunktionen, sind Voraussetzungen f¨
ur nachgelagerte Aufgaben oder stehen in
gegenseitiger Abh¨
angigkeit. Die Interdependenzen zwischen den Beschwerdeaufgaben
sind Determinanten f¨
ur die organisatorische Gestaltung von Beschwerdemanagement-
Systemen.“ [Sch97, S. 163] Nach Ramsauer/Walser sollte man dies in der Planung,
Durchf¨
uhrung und Kontrolle der Beschwerdeaufgaben beachten sowie Koordinations-
maßnahmen bedenken. Andernfalls kann es zur ¨
Uberlastung der Ressourcen oder Kon-
flikten in der Aufgabenausf¨
uhrung kommen, wodurch ein Beschwerdemanagement an
Effizienz und Effektivit¨
at verliert. [RW10, S. 6f.]
In der gegenw¨
artigen Forschungsliteratur gibt es eine Vielzahl an Varianten der Auf-
gabenverteilung und -bestimmung. Die wichtigsten Ans¨
atze werden im Folgenden dar-
gelegt. Zuerst wird das Konzept von TARP vorgestellt, dass aus der Geschichte heraus
das erste Modell f¨
ur Aufgaben des Beschwerdemanagements war. Die deutsche Litera-
tur bezog sich in den 1980er Jahren darauf und Riemer sowie Hansen entwickelten
daraus ihre Modelle, die sich den deutschen Verh¨
altnissen anpassten. Stauss/Sei-
del und Sch¨
ober bauten die Ans¨
atze von Riemer und Hansen in unterschiedliche
Richtungen aus. Stauss/Seidel konzentrierten sich auf acht wesentliche Aufgaben-
bereiche. Ihr Konzept wurde der meist zitierte Ansatz f¨
ur Beschwerdemanagements
in der deutschsprachigen Literatur. Sch¨
ober hingehen schl¨
agt in seiner Dissertation
ein Prozessmodell vor. Mit dem Ansatz von Ramsauer/Walser schließe ich ab, der
einen Verbesserungsvorschlag aus den Kritiken ¨
uber die Ans¨
atze von Stauss/Seidel
und Sch¨
ober unterbreitet. Alle Ans¨
atze spiegeln jedoch nur den gegenw¨
artigen For-
schungsstand f¨
ur Unternehmen wider. Der Unterunterabschnitt 2.2.3.2 Ans¨
atze von
RIEMER und HANSEN ber¨
ucksichtigt in wenigen Z¨
ugen auch ¨
offentliche Einrichtun-
gen, wobei die Ergebnisse von den Unternehmen auf ¨
offentliche (wirtschaftliche) Ein-
richtungen umgem¨
unzt werden.
Zuletzt m¨
ochte ich darauf hinweisen, dass ich die Begriffe Beschwerdemanagement-
Funktion, Beschwerdemanagement-Aktivit¨
aten, Beschwerdemanagement-Aufgaben,
Beschwerdemanagement-Prozess beziehungsweise Beschwerdefunktionen, Beschwerde-
aktivit¨
aten, Beschwerdeaufgaben und Beschwerdeprozess als Synonyme betrachte, die
ich unter der ¨
Uberschrift Aufgaben subsumiere. Nach der Durchsicht der Forschungslite-
ratur wird vom jeweiligen Wissenschaftler ein anderer Fachterminus gew¨
ahlt. Dennoch
fassen alle ihre inhaltlichen Erkenntnisse diesbez¨
uglich unter der ¨
Uberschrift Aufga-
ben des Beschwerdemanagements zusammen. Daher verwende ich im jeweiligen Teil-
abschnitt die Fachw¨
orter, sehe aber alles als Aufgaben des Beschwerdemanagements
an.
2 Grundlagen des Beschwerdemanagements 13
2.2.3.1 Ansatz von TARP
Den historisch ersten Ansatz entwickelte das TARP-Institut im Jahre 1979. In ihrer
Studie Consumer Complaint Handling in America untersuchten sie 100 Unternehmen
nach ihren beschwerdebearbeitenden Aktivit¨
aten. [Hof91, vgl. S. 15] TARP steht f¨
ur
Technical Assistance Research Programs Inc. und war ein amerikanisches Forschungs-
institut, welches sich schwerpunktm¨
aßig mit dem Thema Beschwerdemanagement aus-
einandersetzte. TARP unterteilte grundlegend in operative (operations functions) und
unterst¨
utzende (support functions) Beschwerdemangement-Funktionen.
OPERATIONS FUNCTIONS SUPPORT FUNCTIONS
INPUT
Screening
Logging
Classification
RESPONSE
Response Investigation
Response Formulation
Response Production
OUTPUT
Distribution
Storage and Retrieval
CONTROL
Internal Follow-up
Referral Follow-up
MANAGEMENT
Statistical Generation
Policy Analysis
Input into Policy
Evaluation
Planning
Accountability
Incentives
Staff Selection and Training
PUBLIC AWARENESS
Creation of Public Awareness
Tabelle 2.6: Complaint Handling Functions von TARP [TAR79]
Die operativen Funktionen gliedern sich in INPUT,RESPONSE und OUTPUT.
Die INPUT-Funktion beinhaltet Screening,Logging und Classification. Beim Scree-
ning werden alle Beschwerden an die zust¨
andige Stelle geleitet und im Logging werden
die Daten zentral erfasst. Damit sind aber nur Daten bez¨
uglich des Anliegens des Kun-
den gemeint, weitere Beschwerdedaten k¨
onnen in jeder Phasen aufgenommen werden.
Nach der Datenerfassung werden diese nach einem festgelegten Schema kategorisiert
beziehungsweise kodiert. Diese Teilfunktion wird als Classification bezeichnet und ist
als Teil des Loggings anzusehen.
Zu RESPONSE z¨
ahlen die Teilfunktionen Response Investigation,Response For-
mulation und Response Production. Generell erfolgen alle Teilfunktionen w¨
ahrend der
Aufnahme der Beschwerde. Die Ermittlung der Ursachen des Kundenproblems und
das Sammeln der ben¨
otigten Informationen f¨
ur den Beschwerdefall erfolgen in der Teil-
funktion Response Investigation. Die Probleml¨
osung erfolgt dann mithilfe der erhobe-
nen Daten sowie den zu beachtenden Entscheidungsrichtlinien in der Response For-
2 Grundlagen des Beschwerdemanagements 14
mulation. In der Response Production wird dann ein Antwortschreiben formuliert und
¨
ubermittelt.
OUTPUT schließt Distribution als Versenden der endg¨
ultigen Antwort und Storage
and Retrieval als Speichern und Wiederabrufen der erhobenen Daten ein.
Die unterst¨
utzenden Beschwerdemanagement-Funktionen lauten CONTROL,MA-
NAGEMENT und PUBLIC AWARENESS. Im Abschnitt CONTROL geht es
um die ¨
Uberpr¨
ufung der Beschwerdebearbeitung. Im Internal Follow-up wird die Qua-
lit¨
at unternehmensintern evaluiert und beim Referral Follow-up erfolgt die ¨
Uberpr¨
ufung
der externen Bearbeitungsstellen.
Das MANAGEMENT umfasst eine Vielzahl von Aufgaben. Im ersten großen Teil-
gebiet geht es um die Beschwerdedaten. Von der Sammlung aller vorhandenen Be-
schwerdedaten (Statistical Generation), ¨
uber deren Interpretation (Policy Analysis)
bis hin zu einer m¨
undlichen oder schriftlichen Berichtslegung an die Gesch¨
aftsf¨
uhrung
(Input Into Policy) erfolgt dies in diesem Teilgebiet. Die Teilfunktionen beziehen sich
auf die operativen (operations functions) und die unterst¨
utzenden (support functions)
Beschwerdemanagement-Funktionen. Hierbei geht es zum einen um die Beurteilung der
jeweiligen Funktionen und zum anderen zeitbezogene Vorgaben wie zum Beispiel Er-
gebnisse der Beschwerdestelle. Das letzte Teilgebiet im MANAGEMENT betrifft das
Personalwesen. In Accountability werden die unterschiedlichen Verantwortungsbereiche
f¨
ur die operativen (operations functions) als auch unterst¨
utzenden (support functions)
Beschwerdemanagement-Funktionen zugewiesen. Mit der Steuerung des Mitarbeiter-
verhaltens durch Anreize oder Sanktionen befasst sich die Teilfunktion Incentives. Zu-
letzt wird im Staff Selection and Training die Personalauswahl und -ausbildung bear-
beitet.
Im Abschnitt PUBLIC AWARENESS geht es um die Beschwerdestimulierung,
die Gewinnung m¨
oglicher Beschwerden.
2.2.3.2 Ans¨atze von RIEMER und HANSEN
Der erste deutschsprachige Ansatz gliedert die Aufgaben in drei Hauptbereiche. Je
nach Autor sind die drei Hauptfunktionen entweder im Vergleich mit den operativen
Funktionen (operations functions) von TARP anzusehen, wobei die RESPONSE-
Funktion jetzt VERARBEITUNGS-Funktion heißt, oder unter Ber¨
ucksichtigung
der Zielen des Beschwerdemanagements (Zufriedenheit wiederherstellen und Unzu-
friedenheit vorbeugen) als die Input-Funktion, die Falll¨
osungs-Funktion und die
Informationsgewinnungs-Funktion. [Rie86, vgl. S. 121 ff.] Ich benutze die zweite
Nomenklatur, um anschließend den Vergleich mit den operativen Funktionen (operati-
ons functions) von TARP zu ziehen.
Die Input-Funktion soll beide Ziele erf¨
ullen und enth¨
alt die Aufgaben der Be-
schwerdestimulierung, die Entgegennahme der Beschwerde sowie die Weitergabe an die
entsprechende Stelle.
2 Grundlagen des Beschwerdemanagements 15
In der Falll¨
osungs-Funktion wird das Ziel Zufriedenheit wiederherstel len verfolgt.
Daher beinhaltet sie Aufgaben wie die Pr¨
ufung und L¨
osung der Beschwerde sowie die
Kommunikation mit dem Beschwerdef¨
uhrer. Diese unterliegen gewissen Standards wie
zum Beispiel maximalen Zeitspannen bis zur n¨
achsten Kommunikation mit dem Be-
schwerdef¨
uhrer oder Durchf¨
uhrungsrichtlinien in Entscheidungssituationen.
Das Ziel Unzufriedenheit vorbeugen wird von der Informationsgewinnungs-
Funktion ¨
ubernommen. Hier werden Daten erfasst, ausgewertet, interpretiert sowie
den Entscheidungstr¨
agern vorgelegt. Dazu wird auf die Nutzung der Beschwerdedaten
f¨
ur die zu erf¨
ullenden Kriterien hingewiesen. Gegen¨
uber dem Ansatz von TARP sind
hier die Beschwerdeaufgaben anders geordnet und systematisiert.
Es wird bei diesem Ansatz nicht zwischen den operativen (operations functions) und
unterst¨
utzenden (support functions) Beschwerdemangement-Funktionen unterschieden.
Auch verschiedene Teilfunktionen, beispielsweise Public Awareness oder Screening, sind
in die Input-Funktion integriert. In der Falll¨
osungs-Funktion sind Teilfunktio-
nen wie RESPONSE oder OUTPUT enthalten. Die Informationsgewinnungs-
Funktion schließt Aufgaben wie Logging,Storage and Retrieval und Statistical Gene-
ration ein. Die Funktionen Evaluation und Planning sowie CONTROL werden gar
nicht oder nur in Teilen ber¨
ucksichtigt.
Abbildung 2.1: Aufgabenbereiche nach Riemer im Vergleich mit TARP, angelehnt
an [Wim85, S. 233] und [Hof91, S. 17]
2 Grundlagen des Beschwerdemanagements 16
Hansen griff den Ansatz von Riemer in den 1980er Jahren auf und entwickel-
te diesen in den 1990er Jahren weiter. [HJS95] Sie f¨
ugte eine vierte Funktion, die
Feedback-Funktion, hinzu. Die bem¨
angelten fehlenden Funktionen Evaluation und
Planning sowie CONTROL aus dem Ansatz von Riemer hat Hansen aufgenommen.
”Im Rahmen der Feedback-Funktion wird die Qualit¨
at der Beschwerdef¨
uhrung und de-
ren Ergebnis durch aktive Erfragung der Kundenurteile ¨
uberpr¨
uft, sichergestellt und
verbessert. Die Kunden werden von Mitarbeitern ¨
uber ihre Zufriedenheit mit dem Ver-
lauf sowie dem Ergebnis der Beschwerdebearbeitung auf pers¨
onlichem, telefonischem
oder schriftlichem Weg befragt.“ [HJS95, S. 82]
Weiterhin liefert Hansen in ihrem Lehr- und Forschungsbericht zum Beschwerde-
management im ¨
offentlichen Bereich erste ¨
Uberlegungen, wie man die konzipierten
Ans¨
atze f¨
ur Unternehmen auf ¨
offentliche Einrichtungen wie etwa einer Hochschule an-
wenden kann. Die Input-Funktion beinhaltet hierbei ”die Beschwerdestimulierung
und die Kanalisierung der Beschwerden an die zust¨
andigen Stellen.“ [Han96, S. 10] Nach
Hansen ist die Beschwerdestimulierung einer der wichtigsten Aufgaben, da m¨
oglichst
viele Kunden sich gegen¨
uber der Verwaltung beschweren sollen. [Han96, vgl. ebd.]
Aufgaben der Beschwerdestimulierung sind dabei einfache Beschwerdewege oder die
Motivierung eine Beschwerde zu t¨
atigen. Dies h¨
angt vor allem damit zusammen, dass
¨
offentliche Organisationen Dienstleistungen und keine Produkte anbieten. Die Hinter-
gr¨
unde der Problematik im Dienstleistungsfall werden im Abschnitt 3.1 Beschwerden
¨
uber Dienstleistungen er¨
ortert.
In der Fallbearbeitungs-Funktion ist vor allem das Ziel, die Kundenzufriedenheit
wiederherzustellen und die Beschwerden zu l¨
osen. Dies gelingt mithilfe allgemeiner
Standards beziehungsweise Verfahrensregeln, die unter anderem die Beschwerdeentge-
gennahme und Falll¨
osung regulieren. Hier spielen die Mitarbeiter eine besondere Rolle,
da an sie zum Beispiel hohe Anforderungen im Umgang von Kritik gestellt werden.
Daher ist eine weitere Aufgabe die Schulung der Mitarbeiter in den Bereichen Kon-
fliktmanagement, Serviceorientierung und Kommunikation mit Kollegen.
Die Evaluierung mit der kundenseitigen Zufriedenheit des Verlaufs und des Ergebnis-
ses der Beschwerdebearbeitung ist die Hauptaufgabe der Feedback-Funktion. Hier-
mit soll verhindert werden, dass es ”nicht zu Beschwerden ¨
uber das Beschwerdemana-
gement kommt,“ [Han96, S. 13] da auch in der Beschwerdebearbeitung eine Kunden-
orientierung vorherrschen soll.
In der Informationsgewinnungs-Funktion werden vor allem die Daten der Be-
schwerden ausgewertet, analysiert und f¨
ur die jeweiligen Personengruppen aufbereitet.
2 Grundlagen des Beschwerdemanagements 17
2.2.3.3 Ansatz von STAUSS/SEIDEL
Eine Weiterentwicklung der Ans¨
atze von Riemer und Hansen erfolgte durch Stauss
/Seidel, die zwischen acht wesentlichen Aufgabenbereichen unterscheiden und die-
se in direkte und indirekte Beschwerdemanagementprozesse unterteilen. Bei den di-
rekten Beschwerdemanagementprozessen ist immer der Kunden involviert oder be-
teiligt. Dagegen ist der Kunde bei den indirekten Beschwerdemanagementprozessen
nicht immer Teil des Prozesses. Weiterhin ber¨
ucksichtigen Stauss/Seidel personal-
politische, organisatorische und technologische Aspekte des Beschwerdemanagements
in ihren Ausf¨
uhrungen.
Abbildung 2.2: Aufgabenbereiche nach Stauss/Seidel [SS07, S. 82]
Wie in der Grafik zu erkennen ist, beinhaltet der direkte Beschwerdemanagement-
prozess die Aufgaben Beschwerdestimulierung,Beschwerdeannahme,Beschwerdebear-
beitung und Beschwerdereaktion. Wie in den Ans¨
atzen von Riemer und Hansen soll
auch hier in der Beschwerdestimulierung erreicht werden, dass sich eine maximale An-
zahl von Kunden gegen¨
uber dem Unternehmen beschweren.
Stauss/Seidel verfeinern die Beschwerdestimulierung in drei Teilaufgaben.
Als erstes muss eine Klarheit der Beschwerdekan¨
ale erreicht werden, das heißt, in wel-
cher Art und Weise (m¨
undlich, telefonisch, schriftlich oder elektronisch) sich die Kun-
den beschweren sollen. Damit der ausgew¨
ahlte Kanal auch generell von einer Vielzahl
an Kunden genutzt wird, muss als zweites eine aktive Kommunikation des Beschwer-
dewegs seitens des Unternehmens stattfinden. Als letzte Teilaufgabe muss man die Er-
reichbarkeit der entsprechenden Beschwerdestellen (dauerhaft) gew¨
ahrleisten k¨
onnen.
Die Aufgaben im Prozess der Beschwerdeannahme sind die Organisation des
Beschwerdeeingangs und die Erfassung der Beschwerdeinformationen. Abh¨
angig vom
Beschwerdekanal erf¨
ahrt der Kunde im Erstkontakt eine Reaktion auf die Beschwerde.
Da die Kundenwahrnehmung auf die Reaktion seitens des Unternehmens immens wich-
tig ist, braucht es bei der Beschwerdeannahme klare Verantwortungsstrukturen und eine
2 Grundlagen des Beschwerdemanagements 18
unmissverst¨
andliche Organisation des Beschwerdeeingangs. In der zweiten Teilaufgabe
der Beschwerdeerfassung ist ein systematischer Ansatz von enormer Bedeutung.
Die grundlegenden Erfassungsinhalte sind dabei die Beschwerdeinhalts-Informationen
(Informationen ¨
uber den Beschwerdef¨
uhrer, das Beschwerdeproblem und das Beschwer-
deobjekt) sowie die Beschwerdeabwicklungs-Informationen (Informationen zur Beschwer-
deannahme, Beschwerdebearbeitung und Beschwerdereaktion). [SS07, vgl. S. 84] Hier-
bei sollte ein Kategoriensystem angewendet werden.
In der Beschwerdebearbeitung geht es vor allem um eine geregelte Abwicklung der
Beschwerde. Hierbei m¨
ussen Verantwortlichkeiten, ¨
Uberwachungs- und Einhaltungs-
praktiken zum Beispiel f¨
ur Termine, Kommunikationsregeln oder Dokumentationsricht-
linien gekl¨
art werden.
Das letzte Aufgabenfeld der Beschwerdereaktion gliedert sich in drei Teile. Zuerst
sollte es Leitlinien beziehungsweise Verhaltensregeln geben, die unter anderem kl¨
aren,
wie man eine L¨
osung f¨
ur den Kunden erreichen kann oder wie man in welchen Si-
tuationen mit dem Kunden interagiert. Des Weiteren sind die Findung von Entschei-
dungsm¨
oglichkeiten und die Umsetzung eines Entscheidungsweges die zentralen
Teilaufgaben in der Beschwerdereaktion. Entscheidungsm¨
oglichkeiten reichen von fi-
nanziellen, ¨
uber materiellen bis hin zu immateriellen Angeboten. Zuletzt umfasst die
Beschwerdereaktion auch den kommunikativen und zeitlichen weiteren Verlauf des Ge-
spr¨
achs nach dem Beschwerdeeingang. Hier ist zu kl¨
aren, inwiefern R¨
uckmeldungen
stattfinden sollen sowie wie lange man bis zur n¨
achsten R¨
uckmeldung wartet.
Beschwerdeauswertung,Beschwerdemanagement-Control ling,Beschwerdereporting
und Beschwerdeinformationsnutzung sind die Aufgaben des indirekten Beschwerdema-
nagementprozesses, die allesamt ohne Einbindung des Kunden stattfinden. Das An-
liegen dabei ist, die konkreten Hinweise aus den Beschwerden auf unternehmerische
Schw¨
achen bei der Planung, Produktion und Vermarktung von Produkten und Dienst-
leistungen sowie auf ¨
Anderungen in Kundenpr¨
aferenzen oder Marktchancen f¨
ur das
Unternehmen zu nutzen. [SS07, vgl. S. 85]
Daher ist das Aufgabenfeld Beschwerdeauswertung die quantitative und qualitati-
ve Analyse der Daten und Information aus den Beschwerden. Quantitativ werden die
Daten ausgewertet, um die Umf¨
ange von Beschwerden zu kontrollieren, das Beschwer-
deaufkommen zu verteilen und gegebenenfalls die Kundenbeschwerden einzustufen.
Mithilfe der qualitativen Beschwerdeauswertung sollen die Ursachen der Beschwerden
erforscht werden, um Verbesserungsm¨
oglichkeiten zu entwerfen.
Das Beschwerdemanagement-Controlling gliedert sich in drei Teilaufgaben. Im
Evidenz-Controlling geht es um das Ausmaß der unbekannten Beschwerden. Hierbei soll
erfasst werden, wie groß die Anzahl der nicht get¨
atigten Beschwerden sowie die Anzahl
der nicht zur Kenntnis genommenen Beschwerden innerhalb des Unternehmens ist. Die
Erf¨
ullung der Aufgaben des Beschwerdemanagements wird im Aufgaben-Controlling,
der zweiten Teilaufgabe des Beschwerdemanagement-Controlling,¨
uberwacht. Es sind
2 Grundlagen des Beschwerdemanagements 19
dabei Qualit¨
atsindikatoren und -standards sowie Produktivit¨
atsindikatoren und
-standards festzulegen. Diese k¨
onnen objektiver Natur sein (Kennzahlen oder zeitli-
che Vorgaben), an Zufriedenheitswerten orientiert sein oder mittels einer Befragung
¨
uberpr¨
uft werden. Die dritte Teilaufgabe ist das Kosten-Nutzen-Controlling, welches
Kosten- und Nutzeneffekte eines Beschwerdemanagementsystems abw¨
agt. Hier werden
die Kosten, die zum Beispiel bei der Annahme oder Bearbeitung anfallen, mit dem
Nutzen, der etwa aus m¨
oglichen Informationen oder wahrscheinlichen Wiederk¨
aufen
bestehen kann, gegen¨
ubergestellt.
Die ermittelten Informationen aus der Beschwerdeauswertung und dem Beschwerde-
management-Controlling werden im Beschwerdereportings zusammengefasst und f¨
ur
die entsprechenden Zielgruppen aufbereitet. Neben der regelm¨
aßigen Berichtsauslegung
ist es von Bedeutung, aus den Beschwerdeinformationen Maßnahmen abzuleiten.
Dies passiert in der Beschwerdeinformationsnutzung, die das Qualit¨
atsmanagement
des Unternehmens unterst¨
utzt. Dazu werden die Beschwerdeinformationen in die Arbeit
von Qualit¨
atsverbesserungsteams einbezogen und das Ideenpotenzial von Beschwer-
def¨
uhrern f¨
ur das Unternehmen nutzbar gemacht. [SS07, vgl. S. 87]
2.2.3.4 Ansatz von SCH ¨
OBER
Sch¨
ober befasste sich in seiner Doktorarbeit mit der organisatorischen Gestaltung von
Beschwerdemanagement-Systemen. Nach seiner Darstellung fand zuvor kaum Ber¨
uck-
sichtigung, dass ”sich die Beschwerdebearbeitung als eine interaktive Kommunikation
zwischen dem Beschwerdef¨
uhrer und dem Kundenkontaktpersonal gestaltet.“
[Sch97, S. 1] An diesem von ihm wahrgenommenen Mangel setzte er an und untersuchte
quali- und quantitativ, ”welche Prozesse und Strukturen des Beschwerdemanagements
in der Praxis zu erkennen sind.“ [Sch97, S. 2] Daraus entwickelte Sch¨
ober dann sein
Prozessmodell, in das er konflikt- und organisationstheoretische Gesichtspunkte sowie
die Forschungsergebnisse von Riemer und dem TARP-Institut miteinbezog.
Grunds¨
atzlich unterscheidet Sch¨
ober zwischen operativen,dispositiven und un-
terst¨
utzenden Beschwerdeprozessen. Operative Beschwerdeprozesse sind jene Abl¨
aufe,
”die im direkten Kontakt mit dem Beschwerdef¨
uhrer sowie den dabei anfallenden In-
formationen erfolgen.“ [Sch97, S. 65] Die dispositiven Beschwerdeprozesse sind alle
”Planungs-, Steuerungs- und Kontrollprozesse “ [Sch97, ebd.] und die unterst¨
utzenden
Beschwerdeprozesse umfassen die Beschwerdeinfrastruktur und die daf¨
ur ben¨
otigten
Ressourcen. [Sch97, vgl. ebd.]
Er nimmt an, dass durch die Differenzierung zwischen operativen, dispositiven und
unterst¨
utzenden Prozessen die Beschwerdeaufgaben deutlicher getrennt werden k¨
onnen.
[Sch97, vgl. ebd.]
2 Grundlagen des Beschwerdemanagements 20
Abbildung 2.3: Prozessmodell nach Sch¨
ober [Sch97, S. 92]
Die Aufgaben der operativen Beschwerdeprozesse sind analog zum Ansatz von
Hansen zu betrachten. Sie unterteilen sich ebenso in die Input-,Fal lbearbeitungs-,
Feedback- und Informationsgewinnungs-Funktion. Eine detaillierte Beschreibung der
Funktionen ist im Unterunterabschnitt 2.2.3.2 Ans¨
atze von RIEMER und HANSEN
zu finden.
Die dispositiven Beschwerdeprozesse umfassen Planung und Kontrolle,Personal-
f¨
uhrung und Anreizgestaltung. Die Aufgaben werden als Unterst¨
utzungsm¨
oglichkeiten
f¨
ur die Lenkung und F¨
uhrung eines Unternehmens verstanden. Planung und Kontrolle
k¨
onnen nach Potential-, Prozess- und Ergebnisdimension unterschieden werden sowie
mittels Kennziffern ¨
uberpr¨
uft werden. [Sch97, vgl. S. 141] Im Aufgabengebiet der Per-
sonalf¨
uhrung ist darauf zu achten, einen F¨
uhrungsstil zwischen Aufgaben- und Bezie-
hungsorientierung auszu¨
uben. Bei der Anreizgestaltung sollten eher soziale Kontakte
als monet¨
are Mittel Beachtung finden, da diesen mehr Bedeutung bemessen wird.
Die unterst¨
utzenden Prozesse des Beschwerdemanagements ”dienen der Entwick-
lung und Pflege der Unternehmensinfrastruktur sowie der Bereitstellung von Ressour-
cen, die f¨
ur die effiziente Beschwerdeabwicklung erforderlich sind.“ [Sch97, S. 142]
Sch¨
ober bestimmte Personalauswahl und -schulung,Bereitstellung von Beschwerdein-
formationen und Marktforschung als Aufgaben der unterst¨
utzenden Beschwerdepro-
zessen. Im Bereich der Personalauswahl und -schulung hat Sch¨
ober herausgefunden,
2 Grundlagen des Beschwerdemanagements 21
dass die kommunikativen F¨
ahigkeiten und pers¨
onlichen Einstellungen des Mitarbeiters
eine Schl¨
usselrolle spielen, die im Bewerbungsprozess als bedeutende Kriterien behan-
delt beziehungsweise in Seminaren besonders fort- und weitergebildet werden sollten.
Das Aufgabenfeld der Bereitstellung von Beschwerdeinformationen soll vor allem in den
operativen Beschwerdeprozessen mitwirken. Hierf¨
ur werden f¨
ur die Fal lbearbeitungs-
Funktion Datenbanken als Informationstr¨
ager vorgeschlagen. [Sch97, vgl. S. 147] Die
Marktforschung teilt sich in einen internen und externen Prozess. Die interne Markt-
forschung soll Fehler im eigenen Beschwerdeprozess herausfinden. Die externe Markt-
forschung soll die Kundenzufriedenheit ermitteln sowie Schw¨
achen der Vollst¨
andigkeit
und der Repr¨
asentativit¨
at von Beschwerdeinformationen verringern.
2.2.3.5 Ansatz von RAMSAUER/WALSER
Ramsauer/Walser haben in ihrem Arbeitsbericht ein neues Prozessmodell vorge-
stellt, da sie in der Analyse der Literatur zur Erkenntnis gelangt sind, dass die bisheri-
gen Modelle nicht das abbilden, was die Autoren der bisherigen Modelle inhaltlich dazu
schreiben. Neben den folgenden Kritikpunkten h¨
atten die Ans¨
atze von Stauss/Seidel
und Sch¨
ober Vorteile, wie ”die intensive Diskussion einer Vielzahl von Beschwerde-
aktivit¨
aten,“ [RW10, S. 13] die Ramsauer/Walser f¨
ur ihr Modell nutzen.
An dem Ansatz von Stauss/Seidel bem¨
angeln die beiden Autoren, dass ”die Viel-
zahl der Teilaufgaben [...] unzureichend systematisiert“ [RW10, S. 8] sei. Dar¨
uber hinaus
sprechen Stauss/Seidel die Interdependenzen der Aufgaben des Beschwerdemanage-
ments an, stellen sie visuell nicht dar. In einer fr¨
uheren anderen Variante der Abbil-
dung 2.2 Aufgabenbereiche nach Stauss/Seidel [SS07, S. 82] existieren Pfeile, die
man als Interdependenzen deuten k¨
onne. Eine Erkl¨
arung der Pfeile seitens Stauss/
Seidel gibt es nicht.
An der Abbildung 2.3 Prozessmodell nach Sch¨
ober [Sch97, S. 92] k¨
onnen Ramsau-
er/Walser die Bedeutung der d¨
unnen Pfeilen nicht nachvollziehen. Ihre Vermutung
lautet, ”dass mit diesen Pfeilen die Informationsfl¨
usse aufgezeigt werden sollen.“
[RW10, S. 10] Aus ihrer Sicht ist dies aber unvollst¨
andig, da die Pfeile sich nur auf
die operativen Prozesse und Kundenkontakte konzentrieren. Weiterhin ¨
außerten sie
große Vorbehalte gegen¨
uber den dispositiven Beschwerdeprozessen. Ramsauer/Wal-
ser sind der Auffassung, dass eine umfassende Kosten-Nutzen-Analyse des Beschwer-
demanagements fehlt. [RW10, ebd.] F¨
ur beide Autoren ist dies aber von zentraler Be-
deutung. Schließlich attestieren sie dem Modell eine Realit¨
atsferne, da es immer noch
auf dem Stand der 1990er Jahre sei. Jedoch haben sich beispielsweise Informations-
und Kommunikationstechnologien so stark ver¨
andert, dass sie eine bessere Gestaltung
eines Beschwerdemanagements erm¨
oglichen. Sie schlagen daher ein anderes Prozessmo-
dell vor, welches sich auf Seite 24 befindet.
Grunds¨
atzlich unterscheiden Ramsauer/Walser nach Input,Output und Be-
schwerdeaktivit¨
aten. Als Input werden alle ”durch den Kunden direkt artikulier-
te [sic!] oder durch das Unternehmen beim Kunden initiierte [sic!] Kundenbeschwer-
den“ [RW10, ebd.] verstanden. Die Beschwerdeabschl¨
usse, die den Beschwerdemanage-
2 Grundlagen des Beschwerdemanagements 22
ment-Zielen entsprechenden, werden als Output angesehen. Die Beschwerdeakti-
vit¨
aten werden in operative Prozesse,Managementprozesse und Supportprozesse in
Anlehnung an Griese/Siebert unterteilt.
Wie in allen anderen Ans¨
atzen sind die Aufgaben im operativen Prozess, jene die
im direkten Kontakt mit dem Kunden stehen. Die Teilaufgaben lauten Beschwerde-
stimulierung, Beschwerdeeingang, Informationserfassung, Fall-Bearbeitung, Follow-up
und Informationsgewinnung.
Die Beschwerdestimulierung hat vier konkrete Aufgaben. Als Erstes sind Beschwer-
dekan¨
alen einzurichten. Konkret ist der Aufbau pers¨
onlicher, schriftlicher, telefonischer
oder elektronischer Beschwerdewege sowie die Zuweisung organisatorischer Einheiten
gemeint. Des Weiteren erfolgt hier eine aktive Kommunikation, indem Kunden zur Be-
schwerdeartikulation aufgefordert werden oder sich ¨
uber die Beschwerdekan¨
ale infor-
mieren k¨
onnen. Weiterhin sollen hier Produkt-, Service- sowie Zufriedenheitsgarantien
zugesichert werden und zuletzt Probleml¨
osungsprozesse durch den Verzicht auf um-
fangreiche Beweispflichten oder der Vermeidung komplexer Pr¨
ufverfahren vereinfacht
werden.
Der Beschwerdeeingang unterteilt sich in Annahme und Weiterleitung der Beschwer-
de.
Wichtig in der Erfassung der Beschwerdeinformationen ist die Arbeit mit einem Kate-
goriensystem beziehungsweise die Entwicklung eines solchen. Dieses sollte hierarchisch
gegliedert und an die Unternehmens- sowie Kundenstruktur angepasst sein. Weiterhin
ist in der Informationserfassung die unternehmerische und kundenseitige Beschwerde-
erfassung elementar. Eine unternehmerische Beschwerdeerfassung kann ¨
uber Formulare
oder Software-L¨
osungen gelingen und die kundenseitige Beschwerdeerfassung mit Mei-
nungskarten oder einer Beschwerdeseite.
Die Fall-Bearbeitung teilt sich in Fall-Pr¨
ufung und Fall-L¨
osung ein. In der Fall-
Pr¨
ufung werden Unzufriedenheitsursachen ermittelt, die Beschwerdeberechtigung ge-
pr¨
uft, die Intensit¨
at und Dringlichkeit der Bearbeitung beurteilt und die Beschwerde-
informationen fallbezogen gesammelt. Anschließend wird in der Fall-L¨
osung die Reak-
tionsform gew¨
ahlt und die L¨
osung an den Beschwerdef¨
uhrer kommuniziert.
Im Anschluss der Fall-Bearbeitung erfolgt der Follow-Up. Hier wird zum einen der
Beschwerdef¨
uhrer ¨
uber die Qualit¨
at und das Ergebnis der Beschwerdebearbeitung be-
fragt und zum anderen werden zufriedengestellte Kunden weitere unternehmerische
Leistungen offeriert. [RW10, vgl. S. 22]
Die letzte Teilaufgabe im operativen Prozess ist die Informationsgewinnung. Hier
werden die Beschwerdeinformationen ausgewertet und an die entsprechenden internen
wie externen Personengruppierungen weitergeleitet.
2 Grundlagen des Beschwerdemanagements 23
Die Managementprozesse dienen dazu, die operativen Prozesse und die Supportpro-
zesse zu lenken und beinhalten die Teilaufgaben Beschwerdemanagement-Controlling,
organisatorische Gestaltung sowie Personalmanagement.
Das Beschwerdemanagement-Controlling unterteilt sich in Evidenz-Controlling,
Aufgaben-Controlling und Kosten-Nutzen-Controlling. Im Evidenz-Controlling sollen
die nicht artikulierten Beschwerden unzufriedener Kunden sowie die artikulierten aber
nicht registrierten Beschwerden identifiziert werden. Die Festlegung und ¨
Uberwachung
von Qualit¨
ats- und Produktivit¨
atsstandards und Qualit¨
ats- und Produktivit¨
atskenn-
ziffern erfolgt im Aufgaben-Controlling. Im Kosten-Nutzen-Controlling werden die er-
mittelten Kosten den quantifizierten Nutzenkomponenten gegen¨
uber entgegengestellt.
Die organisatorische Gestaltung umfasst die Aufgabenverteilung, die Gew¨
ahrung und
¨
Ubertragung von Kompetenzen zum Beispiel der Entscheidungs- oder Antragskompe-
tenz, die Festlegung der Verantwortlichkeiten sowie deren Einbettung in die Unterneh-
mensstruktur.
Im Personalmanagement werden Personalbedarfe ermittelt, neues Personal rekru-
tiert, Personal stellenbezogen oder bildungsbezogen fort- und weitergebildet sowie Mit-
arbeiterbeurteilungen geschrieben und Anreize f¨
ur die Mitarbeiter entwickelt.
Durch die Supportprozesse sollen die operativen Prozesse und die Managementpro-
zesse ohne Schwierigkeiten funktionieren. Daher umfasst diese Teilaktivit¨
at die Teilauf-
gaben der Unterst¨
utzung durch Informations- und Kommunikationstechnologien und
die Marketingforschung.
Der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien dient zur Unter-
st¨
utzung der Beschwerdemanagement-Aufgaben. Daher m¨
ussen zuerst die Bedarfe von
Informations- und Kommunikationstechnologien ermittelt werden, um dann diese ex-
wie intern zu erf¨
ullen. Die Informations- und Kommunikationstechnologien m¨
ussen
dabei die Rahmenbedingungen und die Ausrichtung an Mitarbeiter- und Kunden-
bed¨
urfnisse beachten.
Die Marketingforschung soll Schwachstellen im Beschwerdeprozess feststellen (intern)
und Kundenbefragungen systematisch planen, durchf¨
uhren und auswerten (extern).
Schlussendlich erkl¨
aren Ramsauer/Walser, dass die bidirektionalen Pfeile die In-
terdependenzen zwischen den Beschwerdeprozessen aller Ebenen verdeutlichen sowie
sich gegenseitig bedingen k¨
onnen. [RW10, vgl. S. 14]
2 Grundlagen des Beschwerdemanagements 24
Abbildung 2.4: Prozessmodell nach Ramsauer/Walser [RW10, S. 14]
2.2.4 Arten des Beschwerdemanagements
Neben den Zielen und Aufgaben des Beschwerdemanagements hat sich die Wissen-
schaft mit der Klassifizierung organisatorischer Gestaltung besch¨
aftigt. Grundlegend
unterscheidet man zwischen zentralen, dezentralen und gemischten Systemen.
([Sch97, vgl. S. 38], [Sch97, vgl. S. 234f.] oder [Jes05, vgl. S. 34f.])
Das zentralisierte Beschwerdemanagement zeichnet sich dadurch aus, dass ein ”Un-
ternehmen ihre Produkte/Dienstleistungen direkt vertreiben, Kontakte mit dem Kun-
den vorrangig zentral erfolgen und die gleichen Kundenprobleme immer wieder auf-
treten.“ [Jes05, S. 34f.] Eine m¨
ogliche organisatorische Gestaltungsform ist eine ei-
genst¨
andige zentrale Beschwerdeabteilung. Als Vorteile des zentralen Systems gelten
effiziente, standardisierte Bearbeitungsprozesse, die Qualifizierung hauptverantwortli-
2 Grundlagen des Beschwerdemanagements 25
cher Mitarbeiter und die Vermeidung von unterdr¨
uckten, unangenehmen Kundenin-
formationen. Als Nachteil werden die Abteilungs- beziehungsweise Bereichskonflikte
angesehen. [Jes05, vgl. ebd.]
Beim dezentralen System findet die Beschwerdebearbeitung in verschiedenen Unter-
nehmensbereichen statt und sollte dann in Betrachtung gezogen werden, ”wenn Unter-
nehmungen ihre Produkte mehrstufig ¨
uber vertraglich gebundene oder freie Vertriebs-
organisationen vertreiben, Kundenkontakt dezentral vor Ort erfolgen und die Kunden-
beschwerden sehr unterschiedlich beziehungsweise wenig vorhersagbar sind.“
[Jes05, ebd.] Die direkte, schnelle und verursachungsgem¨
aße Problembeseitigung vor
Ort ist ein klarer Vorteil gegen¨
uber dem zentralen System. Nachteile sind die umfang-
reichen Informations- und Schulungsmaßnahmen fast aller Mitarbeiter des Unterneh-
mens und ein hoher Koordinations- und Informationsaufwand. [Jes05, vgl. ebd.] Zudem
ist problematisch, dass der Mitarbeiter die Beschwerde entgegennimmt, die er in der
Regel selbst verursacht hat. [Jes05, vgl. ebd.]
Aus der Gegen¨
uberstellung der Vor- und Nachteile des zentralen sowie dezentralen
Systems erkennt man, dass die Nachteile des einen Systems die Vorteile des anderen
Systems sind und umgekehrt. Aus diesen Grund wurden gemischte Systeme entwi-
ckelt. Diese werden in der Literatur auch als duale Systeme bezeichnet und nutzen die
Vorteile des zentralen und dezentralen Systems aus. In der Regel findet die Beschwer-
deannahme, -bearbeitung und -l¨
osung vor Ort statt. Dazu wird der Mitarbeiter von
einer zentralen Stelle unterst¨
utzt. Diese koordiniert die Bearbeitung und L¨
osung der
auftretenden Beschwerde. Falls die Beschwerde zentral adressiert ist, sich als vor Ort
nicht l¨
osbar herausstellt oder es zu einer Eskalation kommt, ¨
ubernimmt die zentrale
Stelle die Beschwerde in G¨
anze. [Jes05, vgl. ebd.]
Die erw¨
ahnten Systeme haben vor allem eine aufbauorganisatorische Perspektive auf
das Unternehmen. Daneben kann man eine ablauforganisatorische Perspektive einneh-
men. Diese betrachtet die Differenzierung der Aufgabenfolge nach einzelnen Bearbei-
tungsstufen, deren Zuordnung auf verschiedene Stellen sowie die Frage der Kompe-
tenzverteilung zwischen beteiligten Mitarbeitern. [Jes05, vgl. ebd.] ”Jeder Mitarbeiter,
der eine Kundenbeschwerde entgegennimmt, tr¨
agt die Verantwortung f¨
ur diese Be-
schwerde bis zu ihrer endg¨
ultigen L¨
osung beziehungsweise der Zufriedenstellung des
Kunden.“ [Jes05, S. 37] Es gibt also eine gesamte Prozessverantwortung, eine fallbe-
zogene Beschwerdeverantwortung sowie spezifische Aufgabenverantwortungen, die bis
zur Ebene der Mitarbeiterverantwortlichkeit exakt festgelegt ist. [Jes05, vgl. ebd.]
Mit Blick auf die Hochschule sollte man die organisatorische Gestaltung dieser Hoch-
schule an sich mit der organisatorischen Gestaltung eines Beschwerdemanagements in
Verbindung bringen. Es ist nicht die Frage zu beantworten, welches System braucht
die Hochschule. Man sollte eher die Punkte ”Aufteilung der Beschwerdebearbeitung in
Teilaufgaben und deren Verteilung auf verschiedene Stellen sowie die Zuweisung von
Kompetenzen und die Festlegung des Zentralisierungsgrades in den einzelnen Aufga-
benbereichen“ [Han96, S. 14] bestimmen beziehungsweise mit allen Akteuren abkl¨
aren.
2 Grundlagen des Beschwerdemanagements 26
2.2.5 Beschwerdemanagement an Hochschulen
In der gegenw¨
artigen wissenschaftlichen Literatur gibt es fast keine Artikel, Mono-
graphien, oder ¨
Ahnliches ¨
uber ein Beschwerdemanagement an Hochschulen, die frei
zug¨
anglich sind. Auch die Hochschulrektorenkonferenz hat wenig in dieser Richtung
publiziert. [EFLTD10] Recherchiert man jedoch im Internet mittels gebr¨
auchlicher
Suchmaschinen, erh¨
alt man eine Liste von Hochschulen, die ¨
uber ein Beschwerdema-
nagement verf¨
ugen.1Aufgrund der genannten Faktoren ist kein Gesamt¨
uberblick ¨
uber
Beschwerdemanagements an Hochschulen m¨
oglich. Daher erfolgt in diesem Kapitel nur
eine exemplarische Vorstellung der Anregungs- und Beschwerdestelle der Universit¨
at
zu K¨
oln. Das Prozessmodell der Anregungs- und Beschwerdestelle der Universit¨
at zu
K¨
oln stammt aus dem Jahr 2015 und enth¨
alt Prozesse, die in dieser Form nicht mehr
existieren. F¨
ur die Grafik ist keine Legende oder Erkl¨
arung der Bausteine vorhanden.
Jedoch konnte ich in einem Telefonat mit der Leiterin der Anregungs- und Beschwerde-
stelle Frau Helene Hucho Fragen bez¨
uglich der Grafik und dem Prozessmodell stellen.
Mithilfe ihrer Antworten habe ich eine Erkl¨
arungshilfe angefertigt. Das Prozessmodell
und die Legende ist auf der Seite 28 einzusehen.
Die Anregungs- und Beschwerdestelle, kurz ABS, wird ¨
uber drei Wege kontaktiert.
Entweder schreibt der Student eine E-Mail beziehungsweise nutzt daf¨
ur das Kontaktfor-
mular (erster Weg) oder erreicht die Stelle telefonisch beziehungsweise im pers¨
onlichen
Gespr¨
ach (zweiter Weg). Der dritte Weg, die CampusApp, ist nicht mehr m¨
oglich.
Die Kontaktaufnahme wird zuerst als Meldung erfasst und entsprechend in die Da-
tenbank eingegeben. Wenn eine elektronische Daten¨
ubertragung genutzt wird, erfolgt
nach M¨
oglichkeit eine automatische Eintragung in die Datenbank. Jede Meldung kann
im zweiten Schritt als Anliegen anonymisiert und kategorisiert werden. In allen an-
deren F¨
allen passiert dies manuell durch den entsprechenden Mitarbeiter. Sofern es
zu Unklarheiten in der Meldung kommt, sind diese auszur¨
aumen beziehungsweise das
Anliegen ist zu konkretisieren. Wenn es mehrere Meldungen zu einem Anliegen oder
mehrere Anliegen in einer Meldung gibt, wir dies in der Anregungs- und Beschwer-
destelle ber¨
ucksichtigt. Die gesammelten Anliegen werden nach ihrer Art kategorisiert
und in Beschwerde oder Frage unterteilt. In der Kategorie Frage werden die Anregungen
ausgewertet und entsprechend weitergegeben, wenn es sich um keine Fragestellung han-
delt. Falls eine Erkundigung vorliegt, sollte auf den BeratungsFinder verwiesen werden.
Diese Suchmaschine existiert jedoch nicht mehr. Daher wird zurzeit auf die verantwort-
liche Stelle hingewiesen. Beispielsweise werden in Bewerbungsfragen die Studenten an
das Studierendensekretariat weitergeleitet. Wenn eine Beschwerde die Anregungs- und
Beschwerdestelle erreicht, wird der Kontakt zur betroffenen Stellen aufgenommen, in
manchen F¨
allen an die geeignete Stelle anonymisiert weitergeleitet oder erkannt, dass
die Beschwerde zurzeit nicht gel¨
ost werden kann. Im letzten Fall werden die wieder-
kehrenden nicht l¨
osbaren Probleme in einer Datenbank gesammelt und bei einer Es-
kalation des Problems an eine h¨
ohere Stelle ¨
ubergeben. Dies ist zum Beispiel der Fall,
1TU Darmstadt: http://t1p.de/bhf2, Zugriff am 29.01.2019
Uni G¨
ottingen: http://t1p.de/76g5, Zugriff am 29.01.2019
Uni Flensburg: http://t1p.de/ks7w, Zugriff am 29.01.2019
Uni Hannover: http://t1p.de/8nu5, Zugriff am 29.01.2019
2 Grundlagen des Beschwerdemanagements 27
wenn es formale Widerspr¨
uche in der Notengebung einer Pr¨
ufungsleistung gibt. Bei der
anonymisierten Weiterleitung erfolgt die Bearbeitung an anderer Stelle, die dann der
Anregungs- und Beschwerdestelle eine R¨
uckmeldung sendet. Sowohl in diesem Prozess
als auch in der eigenst¨
andigen Kontaktaufnahme der Anregungs- und Beschwerdestelle
werden Zwischenst¨
ande oder Ergebnisse dem Studenten mitgeteilt beziehungsweise ein
Dialog mit ihm gef¨
uhrt. Die Beschwerde wird dann entweder gel¨
ost oder nicht gel¨
ost.
Wenn es zu keiner L¨
osung gekommen ist, wird im Mediationsprozess die Beschwerde
entweder als nicht l¨
osbar eingestuft oder Kontakt mit dem Studenten beziehungsweise
mit der betroffenen Stelle aufgenommen. Der Mediationsprozess startet erneut. Ist eine
L¨
osung erreicht worden, wird der Vorgang abgeschlossen und archiviert. Dies wird in
der Datenbank vermerkt. Die im Laufe des Jahres angefallenen Daten werden statis-
tisch ausgewertet und daraus Berichte und Empfehlungen f¨
ur das Rektorat erstellt.
Weiterhin ist angedacht, ein Board of Voting zu initiieren, dass Erfolgsmeldungen oder
zugetragene Stimmungsbilder durch die Anregungs- und Beschwerdestelle nach au-
ßen hin kommuniziert. Das Board of Voting ist als digitaler Aushang zu verstehen.
M¨
ogliche Erfolge sind die Ver¨
anderung des Kulturtickets oder die Verbesserung der
Buskapazit¨
aten, um zwei Beispiele zu nennen. Das Board of Voting ist in dieser Form
nicht vorhanden. Gegenw¨
artig geschieht dies ¨
uber Pressemitteilungen.
Diese Prozessmodellierung beinhaltet zwei unterschiedliche Aspekte eines Beschwer-
devorgangs. Zum einen werden die technischen Unterst¨
utzungssysteme - zum Teil -
angezeigt und zum anderen wird die Vielf¨
altigkeit und damit verbundene Schwierigkeit
der inhaltlichen L¨
osung des Beschwerdevorgangs dargestellt. Dies erkennt man unter
anderem an der Klassifizierung des Beschwerdemanagements und der Beschwerdestel-
le. Aus Huchos Sichtweise ist das Beschwerdemanagement gr¨
oßtenteils die technische
Komponente, wie die Datenbank, Auswertungsm¨
oglichkeiten oder die Webseite mit
den Erfolgsmeldungen (Board of Voting). Diese Bestandteile sind die rot markierten
Ellipsen. Mittels diesem technischen Unterst¨
utzungssystems gelingt es der Universit¨
at
zu K¨
oln, einen ¨
Uberblick ¨
uber die Gesamtheit aller Beschwerdevorg¨
ange zu gewin-
nen sowie f¨
ur jeden einzelnen Beschwerdefall den gleichen Ablauf zu gew¨
ahrleisten.
Diametral steht dem die Beschwerdestelle gegen¨
uber. Diese verdeutlicht das fallbe-
zogene Arbeiten und den einzelnen Beschwerdevorgang an sich. Die Analyse, ob es
¨
uberhaupt eine Beschwerde oder etwas anderes (zum Beispiel: Frage oder Anregung)
ist sowie welche Abl¨
aufe empfehlenswert beziehungsweise sinnvoll sind, ben¨
otigt einen
Moderations- und gegebenenfalls einen Mediationsprozess zwischen dem Studenten,
dem Mitarbeiter der Anregungs- und Beschwerdestelle und der betroffenen Stelle. Die
Beschwerdestelle als solches hebt die Besonderheiten eines jeden Beschwerdevorgangs
hervor. Dies ist am Prozess der Nichtl¨
osungsfindung zu erkennen. Der rote dicke Pfeil
zeigt direkt auf das Rechteck R¨
ucksprache/Dialog mit dem/r Studierenden, teilt sich
aber zwei rote d¨
unne Pfeile in Richtung Problem/Beschwerde kann zurzeit nicht gel¨
ost
werden und Kontaktaufnahme zu der betroffenen Stel le. Dies soll dem Leser zeigen, dass
es sich hierbei um einen Mediationsprozess handelt mit der normalen Hauptrichtung,
aber auch m¨
oglichen weiteren Anwendungsoptionen. Daher wird ab dem Einpflegen
in die Datenbank und der Kl¨
arung, ob es eine Beschwerde ist, auf technische Un-
terst¨
utzungssysteme ¨
uberwiegend verzichtet. Ab diesem Mediationsprozess erfolgt alles
2 Grundlagen des Beschwerdemanagements 28
in der Regel m¨
undlich via Telefon oder im pers¨
onlichen Gespr¨
ach. E-Mails werden nur
genutzt, um einen Termin zum Gespr¨
ach zu finden oder dem Studenten Zwischenst¨
ande
beziehungsweise Ergebnisse mitzuteilen. Die Datenbank wird als Ged¨
achtnis jedes Be-
schwerdevorgangs genutzt, um Zwischenergebnisse zu sichern, weitere Zwischenschritte
zu planen oder die Mitarbeiter unter anderem an eine R¨
uckmeldung an den Studenten
zu erinnern.
Symbol Bedeutung Symbol Bedeutung
bla bla Aktion der
Anregungs- und
Beschwerdestelle
bla bla
Verweis oder
Abzweigung
bla bla
Aktion einer
anderen Stelle
bla bla
Hinweise
Tabelle 2.7: Legende zum Prozessmodell der Anregungs- und Beschwerdestelle der
Universit¨
at zu K¨
oln
Abbildung 2.5: Prozessmodell der Anregungs- und Beschwerdestelle der Universit¨
at
zu K¨
oln [Uni15]
29
3 Digitales Beschwerdemanagement
an der Universit¨at Rostock
Das Kapitel betrachtet die gewonnenen Erkenntnisse aus dem Kapitel 2 Grundla-
gen des Beschwerdemanagements im hochschulischen Kontext. Dies erfolgt am Bei-
spiel der Universit¨
at Rostock. Es wird der Frage nachgegangen: Welche Schwierigkei-
ten gibt es bei Beschwerden an einer Hochschule? Hierbei steht vor allem der Student
im Fokus der Betrachtungen. Die Frage wird zuerst allgemein und anschließend bei-
spielhaft im Abschnitt 3.1 Beschwerden ¨
uber Dienstleistungen behandelt. Danach wird
im Abschnitt 3.2 Prozessmodell: Wechsel zum Lehramt und innerhalb des Lehramts
ein Prozess modelliert, in dem viele Beschwerden unentdeckt bleiben oder Studen-
ten nicht wissen, wo und wie sie sich beschweren k¨
onnen. Im Abschnitt 3.3 Digita-
les Beschwerdemanagement wird zun¨
achst die Notwendigkeit eines digitales Beschwer-
demanagements begr¨
undet. Abschließend wird ein Prozessmodell eines digitalen Be-
schwerdemanagements f¨
ur die Universit¨
at Rostock vorgestellt.
3.1 Beschwerden ¨uber Dienstleistungen
Die theoretischen Grundlagen aus dem vorangegangenen Kapitel haben vor allem
zwei pr¨
agnante Fokusse auf das Beschwerdemanagement gezeigt. Zum einen wird fast
ausschließlich der Blick auf Sachg¨
uter gerichtet und zum anderen sollen Beschwerde-
managements unter betriebswissenschaftlichen Gesichtspunkten in Firmen implemen-
tiert werden. Wie im Unterabschnitt 2.1.3 Abgrenzung Hochschule von Unternehmen
erl¨
autert, l¨
asst sich dies nicht so einfach auf Hochschulen umm¨
unzen. Hochschulen
bieten vorwiegend Dienstleistungen wie beispielsweise Kompetenzerwerb in Lehrveran-
staltungen und nur im geringe Maße Sachg¨
uter wie etwa Werbeartikel oder Textilien
mit dem Markenzeichen der Universit¨
at Rostock an.
Dienstleistungen kennzeichnen sich durch die Immaterialit¨
at, die simultane Bedarfs-
deckung durch die Leistungserstellung sowie die Integration eines externen Faktors aus.
[Han90, vgl. S. 455] Intangibilit¨
at und Immaterialit¨
at werden in der Literatur synonym
verwendet. Dazu unterscheiden einige Autoren zwischen personen- und sachbezogenen
Dienstleistungen. Diese Unterteilung spielt f¨
ur meine wissenschaftliche Abschlussarbeit
eine untergeordnete Rolle. Die drei Merkmale von Dienstleistungen sind zwar unter-
schiedlich stark bei personen- und sachbezogenen Dienstleistungen ausgepr¨
agt, jedoch
kommt jedes Merkmal vor und nimmt dementsprechend Einfluss auf das Beschwerde-
verhalten von Konsumenten. [Han90, vgl. S. 455]
Um die besondere Wirkung der drei Merkmale aufzuzeigen, werden diese erst allge-
mein mithilfe der Unterteilung des K¨
auferverhaltens nach Roleff/Wimmer erl¨
autert.
Im nachfolgenden Schritt wird das Konzept von Roleff/Wimmer am Beispiel der
Anerkennung von Pr¨
ufungs- und Studienleistungen konkretisiert. Der Abschnitt 3.1
Beschwerden ¨
uber Dienstleistungen schließt mit einem Zwischenfazit ab.
3 Digitales Beschwerdemanagement an der Universit¨
at Rostock 30
3.1.1 Konzept von ROLEFF/WIMMER
Abbildung 3.1: Dienstleistungsphasen mit Ursachen f¨
ur Kundenunzufriedenheit
[WR01, S. 322]
Roleff/Wimmer schlagen f¨
ur die Unterteilung des K¨
auferverhaltens von Dienst-
leistungen eine Dreiteilung in Vorleistungsphase,Leistungsphase und Nachleistungs-
phase vor. [WR01, vgl. S. 321ff.] In der Vorleistungsphase sucht der Kunde Informa-
tionen ¨
uber die Dienstleistung. Die Suche von Informationen ist, beginnend mit der
grundlegenden Kl¨
arung des potenziellen Nutzens bis hin zum Vergleich der Anbieter,
sehr vielf¨
altig. Charakteristisch f¨
ur diese Phase ist somit der Abgleich der Informa-
tionserwartungen mit den erhaltenen Informationsleistungen. Beschwerden entstehen
also durch die Nicht-Erf¨
ullung der Erwartungen des Kunden. Durch die Immateria-
lit¨
at ist f¨
ur den Kunden die Dienstleistung schwierig zu beurteilen, da er sich in die-
ser Phase keinen fundierten Eindruck vom voraussichtlichen Dienstleistungsergebnis
verschaffen kann. [WR01, vgl. S. 323] Er erlebt ein ”hohes Maß an Informationsun-
sicherheit“ [WR01, S. 323], da ”kaum ’search qualities’ (Sucheigenschaften) vorlie-
gen.“ [WR01, S. 323] Ersatzinformationen, die sich nicht auf die Dienstleistung an
sich beziehen, und die pers¨
onliche Kommunikation werden zur Entscheidungsfindung
des Kunden hinzugezogen. Aufgrund der Immaterialit¨
at beinhalten Dienstleistungen
besonders Informationsunsicherheiten, wodurch der Kunde erh¨
ohte und sehr spezifi-
sche Informationserwartungen besitzt. [WR01, vgl. S. 323]
3 Digitales Beschwerdemanagement an der Universit¨
at Rostock 31
Das Merkmal der simultanen Bedarfsdeckung durch die Leistungserstel lung tritt
durchg¨
angig in der Leistungsphase auf. Hier nimmt der Kunde die Dienstleistung sofort
in Anspruch, wodurch Leistungserstellung und Prozessergebnis nicht mehr sauber zu
trennen sind. Dies beruht auf dem uno actu-Prinzip, welches die Gleichzeitigkeit von
Produktion und Konsum ausdr¨
uckt. Die Wirkung kann vom Kunden jedoch erst er-
heblich sp¨
ater festgestellt werden. Die Leistungsphase kann man in einzelne Episoden
teilen. Dadurch kann sich zu unterschiedlichen Zeitpunkten beziehungsweise in unter-
schiedlichen Episoden Unzufriedenheit einstellen oder gar die Erwartung ¨
andern. Dies
gilt nat¨
urlich auch f¨
ur die einzelnen Phasen. Hinzu kommt, dass der Kunde besonders
bei personenbezogenen Dienstleistungen sich selbst einbringen muss. Das Merkmal der
Integration eines externen Faktors h¨
angt stark vom Interaktionsgrad zwischen Kunde
und Anbieter ab. An einer Hochschule wird in Seminaren eine aktive Mitgestaltung
beispielsweise in Form von Referaten verlangt, die dadurch einen hohen Interaktions-
grad besitzen. Hier stellt sich die Frage, wann es sich im Seminar noch um eine aktive
Mitgestaltung oder schon um eine Beschwerde handelt. Beispielsweise kritisiert der
Student eine Reihe von Referaten. Der Dozent kann dies als Feedback an die Referen-
ten verstehen und erkennt m¨
oglicherweise nicht die versteckte Kritik an seiner Planung
und Gestaltung des Seminars. Daher ist die Grenze zwischen aktiver Mitgestaltung
und Beschwerde nicht trennscharf. Um langfristig eine Deckung von Kundenerwar-
tung und Leistungsergebnis erreichen zu k¨
onnen, ist man auf die Artikulation etwaiger
Unzufriedenheit seitens des Kunden angewiesen. Jedoch geschieht dies nur bedingt ge-
gen¨
uber Experten oder Personen, von denen der Kunde in gewisser Hinsicht abh¨
angig
ist. Weiterhin hat die Kundenintegration eine beschwerdehemmende Wirkung, da f¨
ur
die Leistungserstellung der Kunde sowie der Anbieter verantwortlich ist. Diesen Sach-
verhalt beschreiben Roleff/Wimmer als Zuordnungsproblematik. Die Immaterialit¨
at
hat zur Folge, dass fast ausschließlich subjektive Maßst¨
abe und nur selten objekti-
ve Standards zur Beurteilung herangezogen werden. Dadurch haben Kunden generell
unsichere und individuelle Erwartungen an die Dienstleistung. In dieser Phase spielt
letztlich auch das tangible Umfeld eine zu beachtende Rolle, da Erwartungen sich etwa
an Personal, R¨
aume, Erreichbarkeit richten k¨
onnen. Diese Ersatzinformationen sind
wie in der Vorleistungsphase von Bedeutung.
Eine klare Trennung zwischen Leistungsphase und Nachleistungsphase existiert auf-
grund des beschriebenen uno actu-Prinzips nicht. F¨
ur den Kunden beginnt in der Regel
erst mit dem Ende des Dienstleistungsprozesses die Nachleistungsphase. Jedoch muss
man beachten, dass Teilergebnisse sich schon w¨
ahrend des Dienstleistungsprozesses
entwickeln k¨
onnen. Das vom Kunden festgestellte Endresultat wird in diese Phase
eingeordnet. Außerdem k¨
onnen Folgeproblematiken auftreten, wenn zum Beispiel der
Kunde einen erhaltenen Bescheid weiterreicht, jedoch die zust¨
andige Beh¨
orde aufgrund
von m¨
oglicher ¨
Uberlastung ihn nicht umsetzen kann. In der Nachleistungsphase h¨
angt
es vom Grad der Irreversibilit¨
at ab, ob dies ¨
uberhaupt noch m¨
oglich ist. Zudem treten
bei Folgeproblematiken Fragen ¨
uber Kausalit¨
at aufgrund der Kundenintegration in der
Leistungsphase als auch Nachleistungsphase auf. Roleff/Wimmer gehen daher da-
von aus, dass in der Nachleistungsphase eher mit Abwanderung des Kunden zu rechnen
ist. [WR01, vgl. S. 327]
3 Digitales Beschwerdemanagement an der Universit¨
at Rostock 32
3.1.2 Beispiel: Anerkennung von Pr¨ufungs- und Studienleistungen
Die Anerkennung von Pr¨
ufungs- und Studienleistungen ist ein h¨
aufiger Fall an Hoch-
schulen. Aufgrund der Vielzahl an M¨
oglichkeiten zur Berufsergreifung ist ein Wechsel
der Studien- oder Fachrichtung nicht un¨
ublich. Im Lehramt passiert dies sogar h¨
aufiger,
da man zum Beispiel bei der Erstbewerbung nicht seine gew¨
unschten F¨
acher oder nur
eines davon erhalten hat. Je nach Lage der rechtlichen Rahmenbedingungen und einer
in diesem Abschnitt vorausgesetzten erfolgreichen zweiten Bewerbung auf das Fach,
will der Student seine bisher erbrachten Pr¨
ufungs- und Studienleistungen anrechnen
lassen. Die Anerkennung ist somit ein Teil des Gesamtprozesses Wechsel zum Lehramt
und innerhalb des Lehramts und wird hier nach dem Konzept von Roleff/Wimmer
analysiert. Somit teilt sich die Anerkennung von Pr¨
ufungs- und Studienleistungen auch
in die Vorleistungsphase,Leistungsphase und Nachleistungsphase.
In der Vorleistungsphase m¨
ussen drei Punkte beachtet werden. Der erste ist der po-
tenzielle Nutzen f¨
ur den Studenten. Dieser ist klar erkenntlich, da der Student seine
Studienzeit verringern sowie gleiche Pr¨
ufungs- oder Studienleistungen nicht doppelt ab-
solvieren will. Der Vergleich von Anbietern als zweiten Punkt ist innerhalb einer Hoch-
schule nicht m¨
oglich. Somit verlaufen f¨
ur den Studenten die Dienstleistungen positiv
oder negativ in Abh¨
angigkeit, wie die Hochschule ihre Dienstleistungsprozesse gestal-
tet. Der letzte Punkt in der Phase ist die Informationssuche des Studenten, welche unter
anderem Aspekte wie Ansprechpartner und deren Erreichbarkeit, den Aufbau und Ab-
lauf des neuen Studiums oder den eigenen Abgleich von Modulen beinhaltet. Insgesamt
baut der Student hier seine Erwartungshaltung auf, die abh¨
angig vom vorangegangenen
Studium niedrig oder hoch ist. Zudem braucht der Student Aufkl¨
arung ¨
uber den Ver-
lauf der Anerkennung sowie ¨
uber die m¨
oglichen Ergebnisse, die in der n¨
achsten Phase
erfolgen. Wie der Unterabschnitt 3.1.1 Konzept von ROLEFF/WIMMER erkl¨
art, ist
die Vorleistungsphase vor allem von Unsicherheiten aufgrund der Immaterialit¨
at ge-
pr¨
agt. Der Student kann nicht einsch¨
atzen, ob er sofort die zust¨
andige Person antrifft,
wie ihm der Ansprechpartner gesonnen ist oder ob ¨
uberhaupt etwas beziehungsweise
wie viel seiner Pr¨
ufungs- und Studienleistungen angerechnet werden k¨
onnen.
Die Leistungsphase ist maßgeblich durch Informationsgewinnung sowie Gespr¨
achen
mit den entsprechenden Zust¨
andigkeiten gekennzeichnet, was aus Sicht des Studen-
ten in eine maximale Anerkennung seiner Pr¨
ufungs- und Studienleistungen m¨
unden
soll. Ein Student muss im kompliziertesten Fall mit ¨
uber acht Ansprechpartnern in
Kontakt treten. In der ersten Dienstleistungsepisode muss der Student seine Leistun-
gen von allen ben¨
otigten fachlichen Instituten einsch¨
atzen lassen. Dies k¨
onnen etwa
Studienfachberater, Pr¨
ufungsausschuss, Studienb¨
uro, Umlaufverfahren von Instituten,
Erasmusbeauftragte sein. Dabei wird sichtbar, dass die Dienstleistungsepisode Einho-
lung der fachlicher Einsch¨
atzungen in viele Unterepisoden aufgeteilt werden kann und die
Erf¨
ullung der Erwartungen des Studenten stark von der Interaktion des Zust¨
andigen
mit ihm abh¨
angt. Das Merkmal der Integration des externen Faktors ist dadurch das
vorherrschende Element an Hochschulen. Die Studenten sind f¨
ur sich selbst verantwort-
lich. Dies verdeutlicht den Dienstleistungscharakter von Hochschulen.
3 Digitales Beschwerdemanagement an der Universit¨
at Rostock 33
Die Integration des externen Faktors tr¨
agt aber auch zu Schwierigkeiten bei. Wenn
beispielsweise der Student sein Unverst¨
andnis ¨
uber eine getroffene Entscheidung von
einem Zust¨
andigen nicht ¨
außert oder entdeckte Fehler nicht anzeigt, dann ist dieser ein
Nichtbeschwerer. Daher k¨
onnen eine Menge an versteckten Beschwerden, sogenannte
unvoiced complaints, auftreten. Der Grund hierf¨
ur ist, dass f¨
ur den Studenten eine
ungleiche Rollenwertigkeit vorliegt, da zum Beispiel der Studienfachberater auch der
sp¨
atere Dozent oder Pr¨
ufer sein kann, bei dem der Student nicht negativ auffallen
m¨
ochte. Dieses Gef¨
uhl der Unterlegenheit des Kunden beziehungsweise Studenten f¨
uhrt
zu hohen subjektiven Beschwerdebarrieren, die Hansen f¨
ur den ¨
offentlichen Bereich
als besondere Herausforderung festgestellt hat. [Han96, vgl. S. 13] Der Student ¨
außert
eventuell seine Unzufriedenheit an anderer Stelle und zu anderer Zeit, bei der die Stel-
le das Problem aufgrund der Nichtzugeh¨
origkeit von sich weist oder es schon zu sp¨
at ist.
Wenn der Student alle Bescheinigungen gesammelt hat, reicht er diese beim Studie-
rendensekretariat ein. Der Student wird dann per Brief ¨
uber seine Einstufung infor-
miert. Der Dienstleistungsprozess an sich ist abgeschlossen und das Dienstleistungser-
gebnis steht. Es folgt im Sinne Roleff/Wimmer die Nachleistungsphase. Der Student
muss abschließend seine Bescheide nochmals beim Zentralen Pr¨
ufungs- und Studien-
amt f¨
ur die Lehr¨
amter einreichen. Die Mitarbeiter tragen nach einer verwaltungstech-
nischen ¨
Uberpr¨
ufung alle Pr¨
ufungs- und Studienleistungen im Pr¨
ufungsportal ein. F¨
ur
den Studenten ist erst mit eigenst¨
andigem Einsehen im Pr¨
ufungsportal der Dienstleis-
tungsfall abgeschlossen. Der ¨
Ubergang von der Leistungsphase zur Nachleistungsphase
ist auch in diesem Fall nicht eindeutig. Zum Beispiel absolviert der Student weitere
Leistungen nach dem Einreichen der Dokumente beim Studierendensekretariat, die da-
her noch nicht angerechnet werden konnten. Somit muss er einen ge¨
anderten Bescheid
dem Zentralen Pr¨
ufungs- und Studienamt f¨
ur die Lehr¨
amter abgeben. Zudem kann bei
der verwaltungstechnischen ¨
Uberpr¨
ufung des Zentralen Pr¨
ufungs- und Studienamt f¨
ur
die Lehr¨
amter Fehler entdeckt werden, die entweder verwaltungsintern oder ¨
uber die
aktive Mitgestaltung des Studenten gekl¨
art werden m¨
ussen. Diese k¨
onnen etwa nicht
ber¨
ucksichtigte oder doppelte Anerkennungen von Pr¨
ufungs- und Studienleistungen
sein.
3 Digitales Beschwerdemanagement an der Universit¨
at Rostock 34
3.1.3 Zwischenfazit 1
Insgesamt zeichnet sich ein paradoxes Bild beim Thema Beschwerden ¨
uber Dienst-
leistungen ab. Auf der einen Seiten haben die Merkmale von Dienstleistungen eine
ausgepr¨
agte beschwerdehemmende Wirkung. Die Immaterialit¨
at beziehungsweise In-
tangibilit¨
at sorgt f¨
ur Unsicherheiten beim Kunden ¨
uber die Dienstleistung in jeder
Phase. Aufgrund der simultanen Bedarfsdeckung durch die Leistungserstellung ist ei-
ne Trennung zwischen dem Dienstleistungsprozess und dem Dienstleistungsergebnis
nicht klar ersichtlich oder m¨
oglich. Die Integration eines externen Faktors verwischt
die Verantwortlichkeiten innerhalb des Dienstleistungsprozesses sowie beim Dienstleis-
tungsergebnis. Ein Student beansprucht nicht nur eine Dienstleistung einer Hochschule,
sondern ist ein Teil dessen.
Auf der anderen Seite k¨
onnen der Student sowie der Zust¨
andige w¨
ahrend der Interak-
tion miteinander Einfluss auf den Dienstleistungsprozess sowie auf das Dienstleistungs-
ergebnis nehmen. Ein markantes Beispiel im hochschulischen Kontext hierf¨
ur ist eine
h¨
aufig get¨
atigte Aussage von Beratungsinstitutionen, die Studenten k¨
amen oft viel zu
sp¨
at zu ihnen. Meist erscheint der Student, wenn er schon ein Modul endg¨
ultig nicht
bestanden hat, anstatt davor die Beratung aufzusuchen. Dadurch ist der Spielraum
an Unterst¨
utzungsm¨
oglichkeiten wesentlich geringer, als wenn der Student noch zwei
Pr¨
ufungsversuche f¨
ur das Modul besitzt.
Das Konzept von Roleff/Wimmer hilft f¨
ur einen ersten Entwurf, eine Dienstleis-
tung zu analysieren. Zum einen kann man sich an den Phasen und den dazugeh¨
origen
Eigenschaften orientieren. Zum anderen fokussiert man sich auf den Studenten, um sich
in ihn einzufinden und seine Schwierigkeiten oder Probleme zu ermitteln. Jedoch kann
man mit diesem Konzept weder Verantwortlichkeiten noch Prozesse klar darstellen,
was daher im n¨
achsten Abschnitt erfolgt.
3 Digitales Beschwerdemanagement an der Universit¨
at Rostock 35
3.2 Prozessmodell: Wechsel zum Lehramt und
innerhalb des Lehramts
Der Wechsel zum Lehramt und innerhalb des Lehramts beinhaltet mehrere unterschied-
liche F¨
alle. Grundlegend unterscheidet man zwischen Hochschulwechslern, die zur Uni-
versit¨
at Rostock wollen und internen Wechslern, die einen anderen Studiengang oder
ein anderes Fach innerhalb der Universit¨
at Rostock anstreben. Diese beiden Arten
k¨
onnen in gleich f¨
unf weitere Typen gegliedert werden.
1. Fachwechsler in der aktuellsten Studiengangsspezifischen Pr¨
ufungs- und
Studienordnung
2. Fachwechsler in anderer Studiengangsspezifischen Pr¨
ufungs- und Studienordnung
3. Lehramtswechsler in der aktuellsten Studiengangsspezifischen Pr¨
ufungs- und
Studienordnung
4. Lehramtswechsler in anderer Studiengangsspezifischen Pr¨
ufungs- und
Studienordnung
5. Wechsler von einem Nicht-Lehramtsstudiengang in einen Lehramtsstudiengang
Es ist ersichtlich, dass diese Vielzahl an M¨
oglichkeiten individuelle L¨
osungsstrategien
ben¨
otigen, wenn man dazu beachtet, dass die grundlegenden zehn Typen noch unter-
schiedliche Semesterlagen aufweisen k¨
onnen. Zudem gehe ich an dieser Stelle bewusst
auf die Kategorie des auslaufenden Lehramts nicht ein, da dieser Studiengang zum
Wintersemester 2018/19 endg¨
ultig geschlossen wurde.1Trotzdessen l¨
asst sich f¨
ur alle
diese Wechseltypen ein universeller Prozess modellieren, der im Folgenden allgemein
lautet: Ein Student bewirbt sich auf einen Studienplatz (Immatrikulation) und muss
zur Einstufung in ein h¨
oheres Fachsemester einen Antrag auf Anerkennung stellen
(Anerkennungsverfahren). Beide Subprozesse beginnen ann¨
ahernd zum gleichen Zeit-
punkt. Wenn der Student wechseln will, muss er sich zum einen f¨
ur das neue Fach
beziehungsweise den neuen Studiengang bewerben und zum anderen seine erbrachten
Leistungen anerkennen lassen.
Abbildung 3.2: Gesamtprozess Wechsel zum Lehramt und innerhalb des Lehramts
1http://t1p.de/7288, Zugriff am 23.01.2019
3 Digitales Beschwerdemanagement an der Universit¨
at Rostock 36
3.2.1 Subprozess: Immatrikulation
Im ersten Schritt muss der Fachwechsler wissen, ob er ein Fach oder mehrere F¨
acher
studieren will, die zulassungsbeschr¨
ankt sind oder ob er nur F¨
acher anstrebt, die zu-
lassungsfrei sind.
Abbildung 3.3: Entscheidungsprozess des Bewerbers
Der Student mit ausschließlich zulassungsfreien F¨
achern schreibt sich in seine F¨
acher
ein. Nach bestandener Pr¨
ufung der Unterlagen des Immatrikulationsantrags erh¨
alt er
die Immatrikulationsbest¨
atigung. Der Student dr¨
uckt seine Zusage der Einschreibung
mit der ¨
Uberweisung des Semesterbeitrags aus. Die Immatrikulation gilt dann mit der
Aush¨
andigung des Studierendenausweises als vollzogen.2Ein Wechsler mit ausschließ-
lich zulassungsfreien F¨
achern kann sich bis zum 30.09 des Jahres f¨
ur das Wintersemester
und bis zum 31.03 des Jahres f¨
ur das Sommersemester einschreiben. Zudem wird ihm
eine Nachreichfrist von einem Monat bei fehlenden Unterlagen stattgegeben.
Abbildung 3.4: Verfahren f¨
ur zulassungsfreie Studieng¨
ange
2Es gilt §1 Absatz 5 der Immatrikulationsordnung, siehe http://t1p.de/gawq, Zugriff am
23.01.2019
3 Digitales Beschwerdemanagement an der Universit¨
at Rostock 37
Sofern der Student ein zulassungsbeschr¨
anktes Fach oder mehrere zulassungsbe-
schr¨
ankte F¨
acher studieren will, muss er sich auf einen Studienplatz oder mehrere
Studienpl¨
atze bewerben. Wenn die Bewerbungsunterlagen frist- und formgerecht einge-
reicht sind, erh¨
alt der Student durch das Zulassungsverfahren entweder die Zulassung
zum Studium oder kommt ins Nachr¨
uckverfahren. Das Nachr¨
uckverfahren ist durch
das Gesetz ¨
uber die Zulassung zum Hochschulstudium in Mecklenburg-Vorpommern3
und die Satzung der Universit¨
at Rostock ¨
uber die Zulassung zum Studium4gere-
gelt. Diese rechtlichen Rahmenbedingungen umfassen etwa Nachteilsausgleiche, Ka-
pazit¨
atsermittlung und Festsetzung von Zulassungszahlen und Auswahlverfahren. Bei-
spielsweise erhalten Hochschulwechsler, die zur Universit¨
at Rostock wollen, den Vorzug
vor internen Wechslern. Bei Zulassung zum Studium wird der Student mittels dem
Zulassungsbescheid in Kenntnis gesetzt. Die nachfolgenden Ausf¨
uhrungen des Bewer-
bers sind analog zur Einschreibung. Er stellt einen Immatrikulationsantrag mit dem
erhaltenen Zulassungsbescheid und nach Pr¨
ufung aller Unterlagen wird ihm die Im-
matrikulationsbest¨
atigung zugesendet. Mit der ¨
Uberweisung des Semesterbeitrags und
der dann folgenden Aush¨
andigung des Studierendenausweises gilt die Immatrikulation
als vollzogen. Aufgrund des Nachr¨
uckverfahrens sind andere Fristen gesetzt. Auf zulas-
sungsbeschr¨
ankte F¨
acher kann man sich vom 01.06 des Jahres bis zum 15.07 des Jahres
f¨
ur das Wintersemester und vom 01.12 des Jahres bis zum 15.01 des n¨
achsten Jahres
f¨
ur das Sommersemester bewerben. Fehlenden Unterlagen k¨
onnen bis zum 10.09 des
Jahres f¨
ur das Wintersemester und bis zum 10.03. des Jahres f¨
ur das Sommersemester
nachgereicht werden. Das Prozessmodell ist auf der n¨
achsten Seite zu finden.
Abschließend ist beim Subprozess Immatrikulation mit Blick auf die Wechsler folgen-
des anzumerken. Nach §3 Absatz 6 der Rahmenpr¨
ufungsordnung f¨
ur die Lehramts-
studieng¨
ange der Universit¨
at Rostock5erfolgt beim Wechsel eine Einstufung f¨
ur das
gleichbleibende und das neue Fach ins erste Fachsemester sowie immer in die aktu-
ellste studiengangsspezifische Pr¨
ufungs- und Studienordnung. Die Bewerbung ins erste
Fachsemester f¨
ur das gew¨
unschte neue Fach erfolgt online.6Eine Bewerbung ins h¨
ohere
Fachsemester bei zulassungsbeschr¨
ankten Studieng¨
angen erfolgt per unterschriebenen
Antrag7. Diesem Antrag muss zudem die Anrechenbarkeitsbescheinigung beigelegt sein.
Die Einschreibung ins erste Fachsemester bei zulassungsfreien Studieng¨
angen erfolgt
auch online.8F¨
ur die Einschreibung ins h¨
ohere Fachsemester bei zulassungsfreien Stu-
dieng¨
angen ist ein anderer Antrag9in ausgedruckter und unterschriebener Form mit der
Anrechenbarkeitsbescheinigung dem Studierendensekretariat zuzusenden. Fachwechs-
ler in der aktuellsten Studiengangsspezifischen Pr¨
ufungs- und Studienordnung, die ein
anderes zulassungsfreies Fach studieren wollen, schreiben sich um. Das Verfahren und
der Antrag f¨
ur eine Umschreibung ist mit dem Einschreiben ins h¨
ohere Fachsemester
gleichzusetzen.
3http://t1p.de/f13i, Zugriff am 22.01.2019
4http://t1p.de/ky72, Zugriff am 22.01.2019
5Orginal: http://t1p.de/3rp8, 1. Satzungs¨
anderung: http://t1p.de/5d9n, Zugriff am 23.01.2019
6siehe hierzu http://t1p.de/056d, Zugriff am 23.01.2019
7http://t1p.de/0l1n, Zugriff am 22.01.2019
8http://t1p.de/aogy, Zugriff am 23.01.2019
9http://t1p.de/4j0r, Zugriff am 23.01.2019
3 Digitales Beschwerdemanagement an der Universit¨
at Rostock 38
Abbildung 3.5: Verfahren f¨
ur zulassungsbeschr¨
ankte Studieng¨
ange
3 Digitales Beschwerdemanagement an der Universit¨
at Rostock 39
3.2.2 Subprozess: Anerkennungsverfahren
Der Subprozess Anerkennungsverfahren kann f¨
ur alle Wechseltypen gleich aufgefasst
werden. Die Schwierigkeit f¨
ur den Wechsler besteht hierbei: Welchen Antrag er wann
welcher Zust¨
andigkeit vorlegen oder abgeben sowie wann er welcher Zust¨
andigkeit seine
erbrachten Leistungen vorzeigen muss. An dieser Stelle schreibe ich nur vom Anerkenn-
nungsverfahren, schließe aber damit das Anrechnungsverfahren von außerhochschulisch
erworbenen Qualifikationen mit ein. Zu diesem Thema ist auf der Seite 40 das Prozess-
modell.
Ein Wechsler muss im Zuge seiner Immatrikulation zuerst eine Anrechenbarkeitsbe-
scheinigung10 dem Studierendensekretariat zu senden. Hierzu geht der Student zu jeder
fachlichen Einrichtung, die f¨
ur seinen Fall zust¨
andig