In der soziologischen, philosophischen, kulturwissenschaftlichen und erziehungswissenschaftlichen Forschung ist in den letzten Jahrzehnten ein starkes Interesse für Aufmerksamkeit zu verzeichnen, eine gestiegene Aufmerksamkeit für Aufmerksamkeit, die sich nicht zuletzt in einer steigenden Zahl von empirischen Studien, insbesondere im Schulunterricht, niederschlägt. Mithilfe der pädagogisch-phänomenologischen Videographie geht die vorliegende Arbeit mit ihrem Anspruch allerdings über eine empirisch-videographische Studie zur Aufmerksamkeit hinaus. Sie bietet zudem eine Reflexion darauf, wie unterrichtliche Aufmerksamkeit als nicht unmittelbar sichtbare pädagogische Erfahrung und Praxis sowie als pädagogisches Phänomen methodisch angemessen und gehaltvoll beschrieben, tentativ angenähert und zugänglich gemacht, produktiv interpretiert und analysiert werden kann, ohne diese auf Verhalten zu reduzieren; denn die pädagogisch-phänomenologische Videographie setzt die pädagogische Erfahrung, genauer gesagt die leibliche, intersubjektive, vor-sprachliche, vor-reflexive, vor-prädikative Aufmerksamkeitserfahrung der Lernenden und Lehrenden in den Mittelpunkt. Außerdem bietet diese Arbeit in Anlehnung an die Theorien der Aufmerksamkeit von Waldenfels und Meyer-Drawe eine phänomenologische Theorie der Aufmerksamkeit, die sich historisch orientiert, mit unterschiedlichen Diskursen auseinandersetzt und diese pädagogisch konkretisiert. Diese Theorie geht über die kognitive Perspektive heraus und bezeichnet Aufmerksamkeit als ein Zwischengeschehen, das weder eindeutig auf das Subjekt noch eindeutig auf das Objekt zurückgeführt. Nicht zuletzt liefert die Arbeit noch eine interkulturelle Perspektive auf chinesischen und deutschen Schulunterricht, mit der Aufmerksamkeit interkulturell beschrieben und in unterschiedlichen Praxen verglichen werden.