Conrad Schmidt oder die Anfänge einer wissenschaftlichen Ökonomie im Marxismus Michael Krätke Friedrich Engels hielt groβe Stücke auf ihn. Er sah in Conrad Schmidt ein Talent, einen jungen Wissenschaftler, der imstande sein würde, die Arbeit fortzusetzen, die er und Marx angefangen, aber nicht zu Ende gebracht hatten. Engels wusste, dass nicht nur die politische Ökonomie im Marxschen Sinne erst
... [Show full abstract] noch zu machen war, sondern dass selbst der Teil davon, den Marx hinterlassen hatte, die Theorie des Kapitalismus, in wesentlichen Teilen unvollendet geblieben war. Also brauchte der Marxismus, dessen Ideen gerade die sozialistischen Massenbewegungen Europas eroberten, frische Mitarbeiter, selbständige Köpfe, die etwas dazu beitragen konnten, aus dem Sozialismus eine Wissenschaft zu machen. Conrad Schmidt war einer dieser Hoffnungsträger. Frisch promoviert, hatte er 1887 einige Monate in London verbracht und dort Engels' Bekanntschaft gemacht. Etwa drei Monate lang verkehrte er regelmäβig in Engels' Haus. 1 Er stammte aus einer gut bildungsbürgerlichen Familie-die Malerin und Bildhauerin Käthe Kollwitz war seine jüngere Schwester. In Königsberg und Berlin studierte er Nationalökonomie, Philosophie und Staatswissenschaften, 1886 promovierte er mit einer Arbeit über klassische und sozialistische Lohntheorien. 2 Einem sozialdemokratischen Intellektuellen blieb im kaiserlichen Deutschland die akademische Karriere verwehrt, jedoch in der Schweiz konnte er immerhin Privatdozent werden und einige Jahre an der Züricher Universität lehren. Als Privatdozent verdiente man nichts, Schmidt arbeitete daher als Journalist, schrieb für die Vossische Zeitung und die sozialdemokratische Berliner Volks-Tribüne, und in Zürich konnte er bei der demokratischen Zürcher Post als Wirtschaftsjournalist sein Brot verdienen; 1895 wurde er Redakteur des Vorwärts in Berlin. In der Neuen Zeit und in den Sozialistischen Monatsheften publizierte er zahlreiche Aufsätze und Rezensionen. Engels und Kautsky hätten ihn liebend gern als Redakteur für die Neue Zeit gewonnen. Engels wollte ihn sogar als Mitarbeiter für die Herausgabe der nachgelassenen ökonomischen Manuskripte von Marx heranziehen. 3 Erst spät, nach der Novemberrevolution, wurde er 1919 zum Professor für Theorie und Geschichte des Sozialismus an der Technischen Universität Berlin ernannt. Da war er schon ein kranker Mann, 1932 starb er in Berlin. 4 Das Rätsel der Durchschnittsprofitrate und die Marxsche Werttheorie 1 Vgl. Conrad Schmidt, Erinnerungen an Friedrich Engels, in: Mohr und General. Erinnerungen an Marx und Engels, Berlin: Dietz Verlag 1983 [1964], S. 526-529. Geschrieben wurden diese Erinnerungen nach Engels Tod im Jahre 1895, 1896 zuerst veröffentlicht. 2 Siehe Conrad Schmidt, Der natürliche Arbeitslohn, Jena: Verlag Gustav Fischer 1887. 3 Vgl. Friedrich Engels, Brief an Conrad Schmidt vom 12. April 1890, in: MEW Bd. 37, S. 383f. Daraus wurde leider nichts. 4 Es gibt bislang nur eine Monographie über Conrad Schmidt (vgl. Dimitrij Owetschkin, Conrad Schmidt, der Revisionismus und die sozialdemokratische Theorie, Essen: Klartext Verlag 2003).