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Soteria - Ein unterschätztes Behandlungsmodell für Menschen mit Psychosen

Authors:
  • Centre for Psychiatry Reichenau, Germany

Abstract

Die Soteria wird seit über fünfzig Jahren vornehmlich als milieutherapeutische Alternative zur Behandlung akuter Psychosen verstanden. In diesem Beitrag wird das Potenzial der Soteria als Versorgungsmodell beleuchtet, das Menschen mit Psychosen auch längerfristig eine recoveryorientierte und leitliniengerechte Behandlung bietet. Wir zeigen auf, dass Soteria viele Probleme der konventionellen Versorgungspraxis umgeht und deshalb zu Recht von der UN als gelungenes Praxisbeispiel eines personenzentrierten und menschenrechtsbasierten Ansatzes empfohlen wird.
sozialpsychiatrische
informationen
1/2022 – 52. Jahrgang
ISSN 0171 - 4538
Verlag: Psychiatrie Verlag GmbH, Ursulaplatz 1,
50668 Köln, Tel. 0221 167989-11, Fax 0221 167989-20
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Maike Wagenaar, Hannover;
Sonderdruck
Soteria
Ein unterschätztes Behandlungsmodell für
Menschen mit Psychosen
Zusammenfassung Die Soteria wird seit über fünfzig Jahren vornehmlich als milieutherapeutische
Alternative zur Behandlung akuter Psychosen verstanden. In diesem Beitrag wird das Potenzial
der Soteria als Versorgungsmodell beleuchtet, das Menschen mit Psychosen auch längerfristig
eine recoveryorientierte und leitliniengerechte Behandlung bietet. Wir zeigen auf, dass Soteria
viele Probleme der konventionellen Versorgungspraxis umgeht und deshalb zu Recht von der UN
als gelungenes Praxisbeispiel eines personenzentrierten und menschenrechtsbasierten Ansatzes
empfohlen wird.
Autoren:
Daniel Nischk,
Walter Gekle
Seite 9 – 13
Schizophrenien – Konzepte, Bilder und Realitäten
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Korrespondenzadresse
Moritz E. Wigand
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Parkstraße 11
89073 Ulm
moritz.wigand@uni-ulm.de
Autoren:
Daniel Nischk1, Walter Gekle2, 3
Soteria
Ein unterschätztes Behandlungsmodell für
Menschen mit Psychosen
Zusammenfassung Die Soteria wird seit über fünfzig Jahren vornehmlich als milieuthera-
peutische Alternative zur Behandlung akuter Psychosen verstanden. In diesem Beitrag
wird das Potenzial der Soteria als Versorgungsmodell beleuchtet, das Menschen mit
Psychosen auch längerfristig eine recoveryorientierte und leitliniengerechte Behandlung
bietet. Wir zeigen auf, dass Soteria viele Probleme der konventionellen Versorgungspra-
xis umgeht und deshalb zu Recht von der UN als gelungenes Praxisbeispiel eines perso-
nenzentrierten und menschenrechtsbasierten Ansatzes empfohlen wird.
Soteria war ursprünglich als Gegenentwurf
zur Verwahrpsychiatrie der 1960er-Jahre ge-
dacht. Loren Mosher (2011) gründete deshalb
1972 die erste Soteria nicht als Station inner-
halb eines Krankenhauses, sondern nutzte
ein Wohnhaus innerhalb der Gemeinde.
Statt auf antipsychotische Medikation setzte
Mosher auf »Being-With« – die haltende,
fürsorgliche Begleitung durch Zeiten akuter
Psychose. An die Stelle psychiatrischer Klas-
sifikation trat mit Being-with eine Form der
»interpersonellen Phänomenologie«, d. h. ein
schrittweises gemeinsames Verstehen und
Integrieren der psychotischen Erfahrung in
die eigene Geschichte. An die Stelle formaler
Therapie rückte »Doing-With«, d. h. die ge-
meinsame Tagesgestaltung innerhalb eines
tragenden therapeutischen Milieus.
Die historische Entwicklung, die Wirkfak-
toren und Erfahrungen sind seither vielfältig
analysiert und beschrieben worden (Ciompi
u. a. 2011): Durch Soteria kann demnach eine
ähnliche psychische Stabilisierung erwartet
werden wie durch eine konventionelle Kran-
kenhausbehandlung, jedoch mit deutlich
geringerer Medikation und höherer Behand-
lungszufriedenheit (Calton u. a. 2008; Hurtz,
Brieger 2017). Das Soteria-Verständnis hat
sich im Laufe der Zeit verändert: Die heu-
tigen Soterien sind integraler Bestandteil
des psychiatrischen Versorgungssystems
(Gekle 2020), die sich u. a. auch zu einer leit-
liniengerechten Therapie mit niedrigdosier-
ten Neuroleptika bekennen (AWMF 2019).
Die Kernprinzipien wurden in Form der So-
teria Fidelity Scale (SFS) der internationalen
Arbeitsgemeinschaft Soteria (2019) präzi-
siert, die zur Qualitätskontrolle und als Ori-
Nischk, Gekle: Soteria
10 sozialpsychiatrische informationen 52. Jahrgang 1/2022
entierung zum Aufbau neuer Soterien dient
oder, wie es nun an verschiedenen Orten
geschieht, zur Etablierung von »Stationen
mit Soteria-Elementen« innerhalb konven-
tioneller psychia trischer Kliniken. All diese
Entwicklungen haben dazu beigetragen,
dass der Soteria-Ansatz noch immer ein
wichtiger Takt- und Ideengeber in der aktu-
ellen Diskussion über die Fortentwicklung
der Schizophreniebehandlung (Nelson u. a.
2020; Hirjak u. a. 2021) und auch als gelun-
genes Beispiel für eine personenzentrierte
und menschenrechtsorientierte Behandlung
psychisch kranker Menschen gilt (WHO-Gui-
dance Report 2021).
In diesem Beitrag wollen wir die Soteria als
Versorgungsinstrument der sozialpsychia-
trischen Angebotsstruktur neu verorten
und aufzeigen, dass Soteria viele Probleme
des hiesigen nach Sektoren- und Kostenträ-
gern segmentierten psychiatrischen Versor-
gungssystems umgeht und exemplarisch
die zeitgemäßen Konzepte der Personenzen-
trierung, der therapeutischen Kontinuität,
des Recovery und des Empowerments im
Einklang mit vielen der gegenwärtigen Be-
handlungsleitlinien umsetzt.
Probleme der gegenwärtigen
Versorgungspraxis von Menschen
mit Psychosen
Psychiatrische Therapie basiert auf einer
ausführlichen multimodalen Diagnostik.
Die daraus abgeleiteten Erkenntnisse mün-
den dann in entsprechende Therapiever-
fahren, z. B. Medikamente, psychologische
Gespräche, Ergo- und Arbeitstherapie, ko-
gnitives Training oder Familiengespräche,
deren Effekte regelmäßig kontrolliert und
angepasst werden. Dieses sinnvolle Grund-
prinzip hat die Qualität der psychiatrischen
Versorgung erheblich verbessert und zu
einer Professionalisierung vieler therapeu-
tischer Disziplinen geführt. Es darf aber
nicht übersehen werden, dass die mit dieser
Entwicklung einhergehende Segmentierung
psychiatrischer Leistungen zu vielen syste-
mischen Problemen im psychiatrischen Ver-
sorgungssystem beiträgt: So wird eine Pati-
entin oder ein Patient in der Regel von einer
Vielzahl von therapeutisch Tätigen aus ganz
unterschiedlichen Fachrichtungen betreut,
die den Betroffenen jedoch in erster Linie in
den für ihre Tätigkeit wichtigen Ausschnit-
ten kennen. Zur Koordination dieser Fülle
von Maßnahmen werden z. B. Visiten oder
Fallbesprechungen abgehalten, in denen
die bruchstückhafte Kenntnis der Einzel-
therapeuten wieder zusammengeführt und
zu Behandlungsempfehlungen verarbeitet
wird. Es liegt auf der Hand, dass man sich
hierbei in erster Linie auf scheinbar objek-
tivierbare Phänomene und weniger auf die
Person als Ganzes mit ihrer speziellen Ge-
schichte, ihren Befürchtungen, Wünschen
und Präferenzen beziehen kann. Eine trag-
fähige therapeutische Beziehung kann da-
durch nur schwer entstehen. Vielmehr be-
steht die Gefahr, dass die Betroffenen von
einem therapeutisch Tätigen zum nächsten
geschickt werden, ohne das Vertrauen ent-
wickeln zu können, in ihrem »So-Geworden-
Sein« auf Augenhöhe wahrgenommen zu
werden. Diese Segmentierung wird häufig
als Grundlage einer professionellen und evi-
denzgestützten multimodalen Therapie dar-
gestellt. Dabei wird jedoch übersehen, dass
die üblichen Verfahren, u. a. Psychoedukati-
on, kognitives und metakognitives Training
oder soziales Kompetenztraining, zwar eine
empirisch begründete Wirksamkeit für sich
beanspruchen können, ihre Effekte jedoch
insgesamt klein und wenig nachhaltig sind
(z. B. Nischk u. a. 2014). Inwieweit die übliche
Kombination vieler Verfahren überhaupt
eine synergistische Wirkung entfaltet, ohne
die Patienten zu überfordern, ist derzeit völ-
lig unklar. Hinzu kommt, dass die Verfahren,
die vergleichsweise starke Effekte erwarten
lassen, wie z. B. das Supported Employment
oder Familieninterventionen, nur sehr sel-
ten angewendet werden (Schuster u. a.
2021).
Im psychiatrischen Alltag potenzieren sich
die Probleme häufig, u. a. durch hohes Pati-
entinnen- und Patientenaufkommen, hohe
Personalfluktuation und -knappheit, vielen
unerfahrenen Mitarbeitenden, hohem Do-
kumentationsaufwand sowie Verwaltungs-
und Abrechnungszwängen. In der Routi-
neversorgung fühlen sich die Betroffenen
dann oft nicht mehr als gleichberechtigte
Partner einer individualisierten Behand-
lung, sondern eher ohnmächtig einer Stan-
dardbehandlung unterworfen. Die als be-
sonders hilfreich erlebten persönlichen Kon-
takte mit dem Personal werden unter diesen
Bedingungen notwendig auf ein Minimum
beschränkt (Thibeault u. a. 2010). Eine ei-
gene unveröffentlichte Erhebung auf einer
beschützenden Akutstation ergab, dass die
fallführenden Ärztinnen und Psychologen
außerhalb von Visiten und Gruppenangebo-
ten im Mittel täglich lediglich 6,5 Minuten
pro Person für einen persönlichen Kontakt
aufwenden konnten.
Wie wenig diese Art der Versorgung auf
die zahlreichen Störungen im Selbst- und
Welterleben (Parnas u. a. 2005), die kogni-
tiven und metakognitiven Defizite (Lysaker
u. a. 2011) und die Durchlässigkeit der Ich-
Grenzen (Stanghellini, Mancini 2017) von
Menschen mit Psychosen abgestimmt ist,
zeigt u. a. ein aktuelles Review von 43 Stu-
dien über die Sicht der Patienten auf die
Akut behandlung (Schmidt, Uman 2020). Die
Autoren kommen zu dem ernüchternden Er-
gebnis, dass Betroffene die Behandlung auf
Akutstationen fast durchweg als wenig indi-
vidualisiert, das Personal als überbeschäftigt
und die Atmosphäre als unruhig, gehetzt
oder sogar als furchteinflößend erleben.
Was Patientinnen und Patienten von ihrer
Behandlung erwarten, ist durch viele Unter-
suchungen recht gut bekannt (z. B. O’Keeffe
u. a. 2018; Wyder u. a. 2013): Als »ganze
Person«, d. h. als Mensch mit Geschichte, in
sozialen Rollen, mit Wünschen und Zielen,
wahrgenommen und behandelt und eben
nicht auf eine Erkrankung reduziert zu wer-
den. Das bedeutet u. a. Kontakt auf Augen-
höhe, gemeinsame Entscheidungsfindung
und wertfreier Umgang mit Symptomen.
Diese Bedürfnisse werden innerhalb einer
tragfähigen und idealerweise auch langfris-
tigen therapeutischen Beziehung erfüllt
(Davidson, Chan 2014), deren Potenzial aber
durch diese Versorgungsstruktur torpediert
wird.
Soteria als zeitgemäße Alternative zur
Behandlung von psychotischen Menschen
Beziehung: Die Praxis der Soteria fußt ganz
zentral auf Beziehungsarbeit. Being-with
meint ein den individuellen Bedürfnissen
und Möglichkeiten der Betroffenen ange-
passtes Beziehungsangebot, das haltend,
stützend und wertschätzend ist. Vor dem
Hintergrund der fragilen psychischen Gren-
zen psychotischer Menschen soll die Bezie-
hung einerseits Individualität und anderer-
seits auch Halt, Schutz und Sicherheit erlau-
ben. Für die Zeit der akuten Symptome steht
eine reizabgeschirmte Umgebung, zumeist
auch ein »weiches Zimmer«, zur Verfügung.
In diesem Setting kann – bei gegebener Indi-
kation und Einverständnis der Betroffenen –
eine intensive 1:1-Begleitung durchgeführt
werden, die in Bern durch jeweils eine Be-
treuungsperson über 24 Stunden aufrechter-
halten wird und in anderen Soterien entspre-
chend der jeweils geltenden Dienstzeiten
stattfindet. Während dieser Intensivbehand-
lung begleitet die Betreuungsperson die
betroffene Person auf eine nicht-intrusive,
Schizophrenien – Konzepte, Bilder und Realitäten
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aber haltende, schützende Weise, ohne da-
bei in eine Verschmelzung zu geraten. Diese
Beziehung zu einem Begleiter dient auch als
Bezugspunkt für die weitere Stabilisierung
und auch als beginnende Hinwendung zur
sozialen Lebenswelt innerhalb und später
auch außerhalb der Soteria. Auf Basis dieser
Beziehung wird das zunächst nur subjektiv
empfundene psychotische Weltverständnis
schrittweise dem Begleiter zugänglich. Es
entsteht ein gemeinsames oder intersub-
jektives Verständnis, das schließlich auch
perspektivisch im »Ich-und-Du« versprach-
licht werden kann und dadurch in seiner
perspektivischen Begrenztheit auch prinzi-
piell hinterfragbar wird (Nischk u. a. 2015).
Der Begleiter unterstützt den Betroffenen –
technisch ausgedrückt – bei metakognitiven
Akten, indem er u. a. hilft, diffuses Erleben zu
versprachlichen, Fremdes von Eigenem zu
unterscheiden, Fantasien, Erinnerungen und
Befürchtungen zu trennen, Befindlichkeiten
zeitlich und örtlich zu kontextualisieren
und dadurch die oft massiven Ängste rela-
tiviert. Mit der Restitution metakognitiver
Fähigkeiten wird dann zunehmend auch das
Abwägen von Behandlungsoptionen aus un-
terschiedlichen Blickwinkeln, u. a. der Neu-
rowissenschaft, der evidenzbasierten Medi-
zin oder auch aus existenzieller Perspektive,
oder Zielrichtungen möglich. Shared – oder
besser: Supported Decision Making – ist
deshalb kein Grundsatz, der unmittelbar
Anwendung finden kann, er wird erst auf
Basis der o. g. Beziehungsgestaltung möglich
(Davidson, Chan 2014). Wesentlicher Be-
standteil in der ersten Begegnung während
der Aufnahmeuntersuchung ist neben der
leitliniengestützten Diagnostik deshalb das
persönliche Kennenlernen der Person als
Ganzes, ihrer Geschichte, Schwierigkeiten,
persönlichen Deutungen und Ziele. Falls
dies – wie häufig in Akutsituationen – nicht
möglich ist, findet dieses Kennenlernen im
Verlauf statt, wird dann zunehmend mit den
Perspektiven der Angehörigen und Mitar-
beitenden abgeglichen und dadurch in rele-
vante, erreichbare Ziele transformiert. The-
rapeutische Entscheidungen, etwa in Bezug
auf Medikation, Anschlussbehandlung oder
weiterer Planung werden vom Betroffenen
getroffen und verantwortet; den Mitarbei-
tenden obliegt eine Beratung und ggf. Unter-
stützung beim Abwägen und Entscheiden.
Soteria praktiziert in diesem Sinn einen kon-
sequent personenzentrierten Ansatz, der die
persönlichen Wahrnehmungen und Wün-
sche mit denen der therapeutisch Tätigen
und wissenschaftlicher Erkenntnis zu einem
holistischen Verständnis einer Genesung/
Recovery verbindet.
Handlungsvollzüge, dem Verlust von Mein-
haftigkeit und des inneren Kernes sowie der
Leiblichkeit manifestieren können.
Evidenzbasierte Medizin: Mit der Grün-
dung der Soteria Bern 1984 ist die Soteria-
Idee aus dem antipsychiatrischen Raum in
ein sozial- und gemeindepsychiatrisches
Umfeld eingetreten. Dies erfolgte einer-
seits in der Absicht, eine alternative Be-
handlungsoption für Menschen mit akuten
psychotischen Krisen im Rahmen der allge-
meinen Krankenversicherung anzubieten,
andererseits aber auch mit der Intention, die
konventionelle Psychiatrie zur Übernahme
von Soteria-Elementen zu stimulieren. In
den heutigen Soteria Einrichtungen finden
fast alle Empfehlungen der S3-Leitlinien
(AWMF 2019), u. a. abwartende Haltung,
niedrigdosierte Behandlung, Einbezug von
Angehörigen, Information über Psychosen
und Rückfallprophylaxe ihren Platz, jedoch
nicht in standardisierter, sondern stets in in-
dividualisierter Form. Darüber hinaus wer-
den in den Soterien z. T. auch spezifische Ver-
sorgungsmodelle und auch Therapien ange-
boten: In Bern wird der Open-Dialogue und
das »Experience Focused Counselling« um-
gesetzt, in Reichenau wird Körpertherapie
und auch narrative Expositionstherapie für
Menschen mit Traumaerfahrungen angebo-
ten. Was die Soteria von konventio neller Be-
handlung jedoch nachhaltig unterscheidet
ist die Gewichtung: All diese Behandlungs-
formen sind eingebettet in das allgemeine
therapeutische Milieu, spezifische Behand-
lungen sind diesem Milieu nach- und unter-
geordnet, denn nur so können ausgewählte
Verfahren und Interventio nen wirksam
werden.
Langfristige und sektorübergreifende Be-
handlung: Die Soterien haben sich in der
Regel aus kleinen lokalen Initiativen ent-
wickelt, die sich schrittweise in die sozial-
psychiatrische Angebotsstruktur der jewei-
ligen Versorgungsregion integriert haben.
Es handelt sich also keinesfalls um eine
»Elfenbein«-Psychiatrie für eine privilegier-
te Klientel, sondern für alle Betroffenen,
die in eine Behandlung in diesem Rahmen
annehmen können. Alle Soterien nehmen
einen Versorgungsauftrag wahr, der ne-
ben der Akutbehandlung auch die länger-
fristige Betreuung bis zur psychosozialen
Verselbstständigung beinhaltet. In allen
Soterien können Betroffene auch ambulant
nachbetreut werden, in der Regel durch ihre
Bezugstherapeutinnen und -therapeuten.
Die Soteria Bern ist mit dem lokalen Früh-
erkennungsangebot sowie mit dem Sup-
Weiches Zimmer in der Soteria Bern
Alltagsnähe: Soteria bedeutet eine Abkehr
von den artifiziellen Behandlungskontexten
des psychiatrischen Krankenhauses. Man
kann nicht in einem Rahmen außerhalb der
Normalität, wie es der Alltag in einer psy-
chiatrischen Klinik darstellt, zur Normalität
zurückfinden. Beeinträchtigte Fähigkeiten
sollen sich im sozialen Miteinander zurück-
bilden und nicht in artifiziellen Therapie-
»Räumen«. Die Soteria bietet den sozialen
Kontext einer Wohngemeinschaft, der durch
aufeinander bezogene Rollen, Verpflich-
tungen und verschiedene Alltagstätigkeiten
zum Erhalt dieser Struktur definiert wird.
Doing-With – der gemeinsame Vollzug von
Alltagstätigkeiten zum Erhalt der Gemein-
schaft – trainiert oder restituiert Fähigkei-
ten, die für das selbstständige Leben in der
Gemeinde wesentlich sind, u. a. Einkaufen,
Kochen, Saubermachen. Doing-With ist
aber auch lebensweltliche Therapie, in der
sich Aufmerksamkeitsprozesse spezifizieren,
Handlungsvollzüge automatisieren, soziale
Konventionen und Fähigkeiten sich schritt-
weise wieder aufbauen, sodass wieder eine
natürliche Selbstverständlichkeit der sozia-
len und alltagspraktischen Lebensvollzüge
entstehen kann (Nischk, Rusch 2019). In
diesem Sinn schließt der Alltag der Soteria
passgenau an die z. T. tiefgreifenden Stö-
rungen im Selbst- und Welterleben der Be-
troffenen an, die sich u. a. in einer Fragmen-
tierung der Wahrnehmung, der Denk- und
Gebäude der Soteria Bern
Nischk, Gekle: Soteria
12 sozialpsychiatrische informationen 52. Jahrgang 1/2022
ported Employment vernetzt und verfügt
über ein Angebot von Hometreatment und
Supported Housing. Ähnlich ist in Reiche-
nau aus dem Soteria-Angebot eine zusätz-
liche diagnostische Sprechstunde sowie ein
Supported Employment-Angebot hervorge-
gangen, welche konzeptuell und personell
verknüpft sind. Auf diese Weise haben sich
Soterien zu gemeindepsychiatrisch gut ver-
netzten Einheiten entwickelt, die eine sek-
torübergreifende Begleitung von Menschen
mit Psychosen unter personeller Kontinuität
erlauben.
Recoveryorientierung: Die Menschen, die
in einer Soteria behandelt werden, nehmen
diese Behandlung meist mehrmals im Lauf
ihrer Verselbstständigung in Anspruch. Da-
durch können sich im Lauf der Jahre enge,
tragfähige und vertrauensvolle persönliche
Beziehungen entwickeln. Betroffene binden
sich an spezifische Mitarbeitende, auf die
sie bei Krisen zurückgreifen können, da sie
sich in ihrer individuellen Persönlichkeit mit
den ihnen eigenen Schwierigkeiten auf dem
Hintergrund ihrer Biografie, ihren Werten
und Zielen wahrgenommen fühlen. Erst auf
der Basis dieser persönlichen Kenntnis ge-
raten dann die tiefgreifenden persönlichen
Themen, etwa nach der Erreichbarkeit be-
ruflicher und persönlicher Ziele angesichts
psychischer Probleme in den Blickpunkt und
überschreiten eine einseitige, auf die Kon-
trolle der Symptome gerichtete Sicht- und
Handlungsweise. Natürlich ist auch diese
persönliche Bezogenheit nicht ohne Pro-
bleme – sie bedarf hoher persönlicher wie
professioneller Kompetenz, um dem Betrof-
fenen ein mitfühlender, unterstützender,
jedoch auch neutraler Begleiter zu sein. Un-
erlässlich erscheint uns im Rahmen der Reco-
veryorientierung der Soterien die Anstellung
von Genesungsbegleitenden, die eine große
Bereicherung im Alltag darstellen, einen an-
deren Zugang zu den Betroffenen haben und
die professionellen Mitarbeitenden auf kon-
struktive Weise hinterfragen und ergänzen.
Zusammenfassung und Fazit
Wir haben in diesem Beitrag aufgezeigt,
dass Soteria nicht nur eine alternative Be-
handlung akuter Psychosen bietet, sondern
in der Praxis auch ein integriertes gemein-
denahes Versorgungsmodell darstellt, das
personale Kontinuität, Vernetzung mit kom-
plementären sozialpsychiatrischen Ange-
boten und eine weitreichende Umsetzung
des Recoverygedankens unter Einbezug der
Behandlungsleitlinien ermöglicht. Im Ver-
gleich zur konventionellen stationären und
ambulanten psychiatrischen Praxis kann
Soteria viele der systemimmanenten Be-
treuungsprobleme abfedern. Die Gründe
hierfür liegen vor allem darin, dass es sich
bei den Soterien um kleine, gewachsene
Einrichtungen handelt, aus denen sich je
nach lokalen Erfordernissen zusätzliche An-
gebote und Vernetzungen ergeben haben.
Zwar sind die Soterien als Teil des jeweiligen
Gesundheitssystems denselben Abrech-
nungs-, Hygiene- und Verwaltungsregulari-
en unterworfen wie alle anderen Anbieter,
jedoch gibt es in dem kleinen überschau-
baren Milieu mehr Möglichkeiten, über me-
dizinische Tatsachen hinaus die Betroffenen
personenzentriert in ihrer Genesung/Reco-
very zu unterstützen. Soterien sind kleine
Systeme, die allein schon deshalb weniger
Gefahr laufen, die unterschiedlichen Anlie-
gen/Erfordernisse der Nutzenden aufgrund
struktureller Gegebenheiten zu stark zu seg-
mentieren oder gar zu reglementieren. Dies
bedeutet keine Abkehr von Professionalität
und Expertentum, sondern eine enorme
Bereicherung der Erfahrungsmöglichkeiten
und auch Zuwachs an Arbeitszufriedenheit
der Mitarbeitenden, was angesichts des
überall herrschenden Fachkräftemangels
sehr wichtig erscheint. Da Soterien ent-
sprechend ihrer Grundhaltung über flache
Hierarchien verfügen und eine weitgehen-
de Gleichberechtigung der Mitarbeitenden
und deren Funktionen leben, werden viel
mehr Aufgaben in der Betreuung transpro-
fessionell wahrgenommen. Menschen mit
Psychosen werden von Anfang bis Ende
von ihren Bezugspersonen begleitet. Gerade
diese Rückkehr aus den Tiefen überstarker
Institutionalisierung zu einer personenbe-
zogenen, alltagsorientierten und respekt-
vollen Unterstützung in einer lebensnahen
Umgebung scheint Psychoseerfahrenen die
Möglichkeit zu eröffnen, die eigene Proble-
matik nicht nur biografisch, psychologisch
oder auch existenziell zu betrachten, son-
dern eben auch als möglichen Ausdruck ei-
ner Störung im Gehirn.
Die Soteria-Behandlung ist sicher nicht pas-
send für jede Person. Der Vorwurf jedoch,
dass Soteria nur für besonders einsichtige
und angepasste Betroffene geeignet sei, ist
unzutreffend. Von der persönlichen Beglei-
tung in Akutphasen können sehr viele Men-
schen profitieren. An Grenzen stößt diese Art
der Begleitung lediglich bei Menschen, die
in ihren Krisen persönliche Begleitung nicht
tolerieren oder zu Gewalt neigen. Die Frage,
wer auf der Soteria betreut werden kann,
scheint deshalb zuallererst eine Frage des
Vertrauens zu sein, u. a. des psychiatri schen
Umfelds in die Wirkung der Soteria, des Be-
gleiters in die Tragfähigkeit der Beziehung
sowie Betroffenen darin, dass ihm oder ihr in
der Soteria geholfen werden kann.
Insgesamt sollte Soteria als Möglichkeit der
Psychosebehandlung viel mehr Betroffenen
in jeder Versorgungsregion eröffnet werden.
Die organisatorisch und politisch Verant-
wortlichen haben nun mit der vorliegenden
WHO-Handlungsanweisung (WHO-Guidance
2021), welche die Soteria ausdrücklich als
gelungenes Beispiel einer personenzentrier-
ten und menschenrechtsbasierten Behand-
lung benennt, ein Instrument in der Hand,
das sie ermächtigt, Soteria-Angebote für alle
Menschen, die an Psychosen leiden, zur Ver-
fügung zu stellen.
Anmerkungen
1 Zentrum für Psychiatrie Reichenau
2 Soteria Bern
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Schizophrenien – Konzepte, Bilder und Realitäten
13sozialpsychiatrische informationen 52. Jahrgang 1/2022
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Korrespondenzadresse
Dr. Daniel Nischk
Zentrum für Psychiatrie Reichenau
Feursteinstr. 55
78479 Reichenau
d.nischk@zfp-reichenau.de
Autorin: Ilse Eichenbrenner Schizophrenie im Spielfilm
Zusammenfassung Der Beitrag gibt einen groben Überblick über Spielfilme von den
Siebzigern bis heute, in denen Menschen mit Schizophrenie eine wesentliche Rolle
spielen. Dabei interessiert besonders die Frage, wie das Medium Film die Symptome
darstellt oder gar einfühlbar macht: Optische und akustische Halluzinationen, Reali-
tätsverlust und auffälliges Verhalten kennzeichnen die Störung und tauchen in den
angesprochenen, zum Teil populären Produktionen auf. Einige Filme interessieren sich
im Sinne der Sozialpsychiatrie für die Lebenswelt Betroffener. Zuletzt wird ein Blick auf
aktuellere Formate wie z. B. den »Tatort« geworfen.
Zunächst einmal: Es ist nicht die Aufgabe von
Spielfilmen, über psychische Störungen zu
informieren und Verständnis für Betroffene
und ihre Angehörigen zu wecken. Spielfilme
wollen und sollen vor allem »unterhalten,
fesseln und bei höheren Ansprüchen auch
ästhetischen Genuss ermöglichen (...)« (Ment-
zos 2006). Sie müssen den Zuschauer ins Kino
(oder vor ein Display) locken, ihre Produkti-
onskosten einspielen und sich verkaufen.
Nachdem dies eindeutig geklärt ist soll nun
trotzdem aus sozialpsychiatrischer Perspek-
tive ein Blick auf Filme geworfen werden, in
denen die Schizophrenie eine Rolle spielt. Es
gibt unzählige Produktionen, von denen ich
hier nur einige ansprechen möchte.
So fing es an
Spannt man den Bogen etwas breiter, also
über die Schizophrenie hinaus, dann ist »Ei-
ner flog über das Kuckucksnest« sehr häufig
der erste Film, der zum Thema »Psycho«
genannt wird. Jack Nicholson verkörpert
hier allerdings eher einen Soziopathen, so-
dass dieser herausragende Film in unserer
Sammlung nichts zu suchen hat. Er ist aber
der prominenteste Vertreter des psychiatrie-
kritischen Films. Bis in die Achtzigerjahre
hinein stand das Grauen in den »Schock-
Korridoren« im Fokus der Spiel- und Do-
kumentarfilme, und das war gut so. Erst
allmählich widmeten sich die Drehbücher,
häufig nach literarischen Vorlagen, einzel-
nen Krankheitsbildern, also auch der schizo-
phrenen Psychose.
Eichenbrenner: Schizophrenie im Film
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Aim: The provision of acute care to persons with mental health problems is challenging due to difficulties in encountering this group and the vulnerability of these persons. Understanding this group's experiences with acute care is thus an important endeavor. The purpose of this review was to critically and systematically identify and assess previous research on experiences of acute care by persons with mental health problems, guided by Donabedian's structure-process-outcome framework (Prospero ID: CRD42019116652). Method and results: An integrative literature review was performed, resulting in the identification of 43 studies. The search was conducted using five electronic databases: Web of Science Core, PubMed, Medline, Cinahl, and PsycInfo. Discussion: The review revealed that patients experienced structure components such as setting, staff, and resources in a predominantly negative way. A predominately negative picture also emerged of the process components, where for example communication and interpersonal relations were represented by negative experiences, with limited positive experiences reported. The outcome components, related to patients' satisfaction and their well-being after discharge, were also negatively experienced. Implications for practice: Using Donabedian's framework of structure, process, and outcome allowed us to systematize the literature reviewed, to identify the research gaps, and to suggest ways forward for the field's development.
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Little is known about how recovery oriented policy and legislative changes influence service users’ perceptions of mental health care over time. Although the recovery approach is endorsed in many countries, qualitative research examining its impact on service use experiences has been lacking. This study aimed to explore this impact as well as experiences of service utilisation and suggestions for change with people diagnosed with a First Episode Psychosis between 1995 and 1999. Participants had used services during the 10 year period prior to, and 10 years post, policy and legislative shifts to the recovery approach. Semi-structured interviews were conducted with 10 participants who met criteria for ‘full functional recovery’ and 10 who did not. Data were analysed using Thematic Networks Analysis to develop Basic, Organising, and Global Themes. Over time, recovered participants perceived an improvement in service quality through the ‘humanising’ of treatment and non-recovered participants experienced their responsibility in recovery being recognised, but felt abandoned to the recovery approach. Findings suggest the importance of viewing service users as demonstrating personhood and having societal value; examining the personal meaning of psychotic experiences; and matching expectations with what services can feasibly provide. The implementation and the principal tenets of the recovery approach warrant further investigation.
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Streszczenie Skala EASE jest listą objawów do częściowo ustrukturalizowanego fenomenologicznego badania subiektywnych lub empirycznych nieprawidłowości (anomalii), które można uznać za zaburzenia podstawowej, „minimalnej” samoświadomości. EASE opracowana została na podstawie samoopisów otrzymanych od pacjentów chorujących na zaburzenia ze spektrum schizofrenii. Skala ma duże znaczenie dla opisu, diagnozy oraz diagnozy różnicowej zaburzeń ze spektrum schizofrenii. Prezentowana wersja zawiera istotne szczegółowe kwestie dotyczące zbierania wywiadu oraz opisy objawów psychopatologicznych (Podręcznik), arkusz wyników (Aneks A), listę pozostałych pozycji Skali stosowanych w czasie wywiadu (Aneks B) oraz porównawczą listę pozycji EASE/BSABS (
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Background: Phenomenological conceptualizations of schizophrenia regard the fundamental transformation of self-experience as the central feature of the schizophrenic state of mind. Recently, self-disorders as subtle, trait-like, merely subjective alterations of self-experience have received vast empirical attention. However, the question of how to address self-disorders psychotherapeutically has remained neglected. Methods: From phenomenologically inspired analyses of self-disorders we derive a therapeutic intervention that focuses on the following: (1) verbalizing diffuse changes in self-experiences and (2) conceptualizing these self-experiences in terms of aggravating and relieving factors in order to stimulate coping and derive targeted therapeutic interventions. Results: The clinical implementation is illustrated by two case studies. The feasibility of our approach is preliminarily supported by an exploratory study. Conclusions: This intervention seems promising in assisting patients to develop an embodied and enacted understanding of self-disorders.
Article
ZUSAMMENFASSUNG Ziele Die Einbeziehung von Angehörigen in die stationär-psychiatrische Behandlung wurde kaum durch repräsentative Studien untersucht. Ziel dieser Studie war es daher, die Einbeziehung von Angehörigen in die stationär-psychiatrische Routineversorgung anhand einer repräsentativen Stichprobe unter Beteiligung aller 3 Parteien (Patienten, Psychiater und Angehörige) zu untersuchen. Mit Hilfe von persönlich durchgeführten Interviews, bestehend aus geschlossenen und offenen Fragen, wollten wir ein tieferes Verständnis dafür gewinnen, wann Angehörige in die Behandlung einbezogen werden und welche Themen hauptsächlich zur Sprache kommen. Methoden In diese Querschnittsstudie wurden Patienten von 55 akut-psychiatrischen Stationen aus 10 psychiatrischen Kliniken, die behandelnden Psychiater und, wenn möglich, die zugehörigen Angehörigen einbezogen. Jeder Psychiater nannte zunächst 2–3 Patienten, die kurz vor der Entlassung standen, diese Patienten wurden um Studienteilnahme gebeten. Nachdem ein Patient in die Studienteilnahme eingewilligt hatte, wurde ein persönliches Interview durch einen Forscher durchgeführt. Zusätzlich wurde der behandelnde Psychiater und, wenn möglich, ein vom Patienten benannter Angehöriger befragt. Insgesamt konnten 247 Patienten und 247 Psychiater sowie 94 Angehörige in unsere Studie eingeschlossen werden. Ergebnisse Laut Patienten und Psychiater fand ein Kontakt zwischen Angehörigen und Psychiatern nur in einem Drittel der Fälle statt. Prädiktoren für den Arzt-Angehörigen-Kontakt waren die Diagnose des Patienten, die Anzahl der vorherigen stationär-psychiatrischen Aufenthalte und das behandelnde Krankenhaus. Nach Angaben der Psychiater wurden mit den Angehörigen am häufigsten therapeutische Fragestellungen besprochen sowie organisatorische und sozialpsychiatrische Themen geklärt. Patienten und Angehörige gaben dagegen an, dass die psychiatrische Behandlung und die diagnostische Einordnung der psychischen Erkrankung die häufigsten Gesprächsthemen waren. Die subjektive Wahrnehmung, dass die Einbeziehung eines Angehörigen in die Behandlung nicht notwendig ist, war der in allen Gruppen am häufigsten genannte Grund für eine ausbleibende Einbeziehung. Schlussfolgerung Ob ein Kontakt zwischen Angehörigen und Psychiatern stattfindet hängt stark vom zuständigen Krankenhaus ab. Daher könnte die Einbeziehung von Angehörigen in die stationär-psychiatrische Behandlung dadurch verbessert werden, dass bestehende Strukturen und Abläufe im Krankenhaus verändert werden. Auch ob Angehörige während eines stationären Aufenthaltes kontaktiert und einbezogen wurden, hing stark von der jeweiligen Klinik ab. Alle Parteien (Patienten, Angehörige und Psychiater) gaben zudem am häufigsten an, dass Angehörige nicht in die Behandlung einbezogen wurden, da dies unnötig sei. Dies steht im klaren Gegensatz zur existierenden Evidenz, welche zeigt, dass eine Angehörigeneinbeziehung einen positiven Einfluss auf den Behandlungsverlauf und das Wohlbefinden der Angehörigen selbst hat. Es ist daher notwendig, Wissen über die positiven Effekte der Angehörigeneinbeziehung zu vermitteln.
Article
More effective treatments for people with psychotic disorders are urgently required. Here, we make three suggestions for progress: 1. Targeting the disorders’ core phenomenological features (‘phenomenological phenotype’), 2. Addressing social disconnection, isolation and loneliness, and 3. Leveraging ‘hot’ cognitions and using symptom capture approaches that combine psychotherapy with advances in technology and neuroscience.
Article
In this paper, we discuss the philosophical and psychopathological background of Domain 3, Other persons, of the Examination of Anomalous World Experiences (EAWE). The EAWE interview aims to describe the manifold phenomena of the schizophrenic lifeworld in all of their concrete and distinctive features, thus complementing a more abstract, symptom-focused approach. Domain 3, Other persons, focuses specifically on subjectively experienced interpersonal disturbances that may be especially common in schizophrenia. The aim of this domain, as with the rest of the EAWE, is to provide clinicians and researchers with a systematic orientation toward, or knowledge of, patients' experiences, so that the experiential universe of schizophrenia can be clarified in terms of the particular feel, meaning, and value it has for the patient. To help provide a context for EAWE Domain 3, Other persons, we propose a definition of "intersubjectivity" (IS) and "dissociality." The former is the ability to understand other persons, that is, the basis of our capacity to experience people and social situations as meaningful. IS relies both on perceptive- intuitive as well as cognitive-computational resources. Dissociality addresses the core psychopathological nucleus characterizing the quality of abnormal IS in persons with schizophrenia and covers several dimensions, including disturbances of both perceptive-intuitive and cognitive-computational capacities. The most typical perceptive-intuitive abnormality is hypoattunement, that is, the lack of interpersonal resonance and difficulties in grasping or immediately understanding others' mental states. The most characteristic cognitive-computational anomaly is social hyperreflexivity, especially an algorithmic conception of sociality (an observational/ethological attitude aimed to develop an explicit, often rule-based personal method for participating in social transactions). Other anomalous interpersonal experiences, such as emotional and behavioral responses to others, are also discussed in relation to this core of dissociality.
Article
Research suggests that many with schizophrenia experience a range of deficits in metacognition including difficulties recognizing the emotions and intentions of others as well as reflecting upon and questioning their own thinking. Unclear, however, is the extent to which these deficits are stable over time, how closely related they are to one another and whether their associations with core aspects of the disorder such as disorganization symptoms are stable over time. To explore this issue, we administered three assessments of Theory of Mind (ToM), the Beck Cognitive Insight Scale (BCIS), and the Positive and Negative Syndrome Scale at baseline and 6 months to 36 participants with schizophrenia. Correlations revealed the ToM and BCIS scores were stable across the two test administrations and that the ToM tests were closely linked to each other but not to the BCIS. Poorer baseline performance on the ToM tests and the Self-Certainty scale of the BCIS were linked to greater cognitive symptoms at baseline and follow-up, while greater Self-Reflectivity on the BCIS was linked to greater levels of emotional distress at both baseline and 6-month follow-up. Results are consistent with assertions that deficits in metacognition are a stable feature of schizophrenia.
What makes Soteria work ? On the effect of a therapeutic milieu on self-disturbances in the schizophrenia syndrome
  • D Nischk
  • J Rusch
Nischk D, Rusch J (2019): What makes Soteria work ? On the effect of a therapeutic milieu on self-disturbances in the schizophrenia syndrome. Psychopathology; https://doi.org/10.1159/00050