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Ethische Überlegungen zur Forschung mit vulnerablen Gruppen. Ein Leitfaden für Forscher*innen und Praktiker*innen

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Abstract

Dieser Beitrag gibt einen Überblick über ethische Überlegungen sowie eine praxisorientierte Anleitung zu den Herausforderungen, die in der Forschung mit vulnerablen Gruppen eine Rolle spielen. Diese Herausforderungen, denen sowohl Forscher*innen als auch Praktiker*innen gegenüber stehen, beziehen sich insbesondere auf den Umgang mit personenbezogenen Daten, d.h. dem Abwägen ethischer Risiken, die mit der Erhebung von Daten schutzbedürftiger Personen in einer informationsreichen Umgebung mit vielen Kanälen untrennbar verbunden sind. Nach einer Zusammenfassung grundlegender rechtlicher und ethischer Fragen wird in diesem Beitrag ein Leitfaden zur Identifizierung, Bewertung und Abschwächung ethischer Risiken zur Gestaltung solider Datenerhebungsverfahren und -instrumente vorgestellt. Besonderes Augenmerk wird auf diejenigen Risiken gelegt, die in bestimmten Ethik-Leitlinien der EU-Institutionen zwar genannt, aber nicht ausreichend erläutert werden: zufällige Funde (‚Incidental Findings‘), Datentransfer zwischen EU und Nicht-EU Ländern und das Kriterium der Relevanz für Zielgemeinschaften.
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Ethische Überlegungen zur Forschung mit
vulnerablen Gruppen
Ein Leitfaden für Forscher*innen und Praktiker*innen
James Edwards, Sinus Markt- und Sozialforschung GmbH, Heidelberg
Diotima Bertel, SYNYO GmbH, Wien
Fiona Seiger, Erasmus Universität Rotterdam, Rotterdam
Jochen Resch, Sinus Markt- und Sozialforschung GmbH, Heidelberg
Abstract
Dieser Beitrag gibt einen Überblick über ethische Überlegungen sowie eine praxisorien-
tierte Anleitung zu den Herausforderungen, die in der Forschung mit vulnerablen Grup-
pen eine Rolle spielen. Diese Herausforderungen, denen sowohl Forscher*innen als auch
Praktiker*innen gegenüber stehen, beziehen sich insbesondere auf den Umgang mit per-
sonenbezogenen Daten, d.h. dem Abwägen ethischer Risiken, die mit der Erhebung von
Daten schutzbedürftiger Personen in einer informationsreichen Umgebung mit vielen Ka-
nälen untrennbar verbunden sind. Nach einer Zusammenfassung grundlegender rechtlicher
und ethischer Fragen wird in diesem Beitrag ein Leitfaden zur Identizierung, Bewertung
und Abschwächung ethischer Risiken zur Gestaltung solider Datenerhebungsverfahren und
-instrumente vorgestellt. Besonderes Augenmerk wird auf diejenigen Risiken gelegt, die in
bestimmten Ethik-Leitlinien der EU-Institutionen zwar genannt, aber nicht ausreichend
erläutert werden: zufällige Funde (‚Incidental Findings‘), Datentransfer zwischen EU und
Nicht-EU Ländern und das Kriterium der Relevanz für Zielgemeinschaften.
Das Sammeln von Daten vulnerabler Per-
sonen wie Migrant*innen birgt gewisse
rechtliche und ethische Risiken, sowohl für
Forschungssteilnehmer*innen als auch für For-
schende. Dies gilt insbesondere für Forschungs-
vorhaben, die sich mehrerer Datenquellen be-
dienen, z.B. Sekundärdaten, Daten aus sozialen
Medien und Primärdaten, die durch traditio-
nelle und/oder Online-Feldarbeit erhoben wer-
den. In diesem Beitrag werden Strategien zur
Erkennung und Abmilderung solcher Risiken
vorgestellt. Nach einem Überblick über die
rechtliche Grundlage der Datenerhebung und
ethischen Überlegungen zu den Kernthemen
Gefährdung, informierte Zustimmung und
Vertraulichkeit bietet dieser Beitrag eine Anlei-
tung zu einem ethisch reektierenden Vorgehen
in den verschiedenen Phasen des Forschungs-
prozesses: vom Beginn eines Forschungsvorha-
ben über die Vorbereitung und Durchführung
der Datenerhebung bis zur Phase nach der Da-
tenerhebung.
Grundlegende Konzepte
Jede Datenerhebung muss sich nicht nur der
Einhaltung von Gesetzen verpichten, son-
dern auch mit dem Bewusstsein für wichtige
ethische Fragen durchgeführt werden. Solche
Überlegungen beinhalten etwa die Bedürfnisse
vulnerabler Personen(-gruppen), das Recht auf
Autonomie, das sich in der informierten Ein-
willigung ausdrückt, sowie das Recht auf Pri-
vatsphäre und Vertraulichkeit.
Rechtsgrundlage der Datenerhebung
Jede sozialwissenschaftliche Forschung muss
internationale Konventionen und Erklärungen
in ihrer jeweils neusten Fassung sowie die Ge-
setze und Vorschriften an den Forschungsstand-
Keywords: Forschungsethik, Einhaltung von Gesetzen, Datenschutz, vulnerable Personen,
Migration
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orten einhalten. Forschung, die innerhalb der
EU durchgeführt wird, ist an die Datenschutz-
grundverordnung (DSVGO) gebunden, die als
Rechtsgrundlage dient (DSVGO Verordnung
2016/679 2016). Dabei ist zu berücksichtigen,
dass sich relevante Gesetze zu Datenerhebung
und -transfer zwischen den einzelnen Staaten
und Regionen unterscheiden. Forscher*innen
unterliegen der rechtlichen Sorgfaltspicht,
d.h. sie müssen sicherstellen, dass das gesamte
Projektteam mit denjenigen Gesetzen vertraut
ist, die sich auf die Datenerhebung auswirken.
Darüber hinaus müssen sie die allgemeine sozio-
rechtliche Situation an den Forschungsstandor-
ten kennen. In manchen Fällen kann es daher
erforderlich sein, Rechtsexpert*innen zu konsul-
tieren; beispielsweise können Gesetze bezüglich
der Oenlegung von Zufallsfunden mehrdeutig
und die Strafen empndlich hoch sein.
Vulnerable Personen
Das Europäische Lehrbuch für Ethik in der For-
schung nennt zwei Kriterien der Vulnerabilität,
nämlich die Unfähigkeit, die eigenen Interessen
schützen zu können, und die Gefahr, Schaden zu
erleiden (European Commission, 2010). Im Fol-
genden fokussieren wir auf Migrant*innen als
ein Beispiel für eine besonders vulnerable Grup-
pe im Fokus sozialwissenschaftlicher Forschung.
Migrant*innen sind oft aus unterschiedlichen
Gründen vulnerabel: Sie können während ih-
rer Migrationsreise traumatischen Erlebnis-
sen ausgesetzt sein, ihnen können die gesetz-
lichen Rechte fehlen, die zum Schutz ihrer
eigenen Interessen erforderlich sind, und sie
können Gewalt, Diskriminierung, schlechten
Lebensbedingungen oder anderem Leid aus-
gesetzt sein (Mackenzie et al., 2007; Krause,
2017). Auch andere Akteur*innen in der Mi-
grationsinfrastruktur können anfällig für psy-
chischer Belastung, sozialen Druck, Repressa-
lien, Verhaftungen oder Gewalt sein; dies gilt
insbesondere für ‚irreguläre‘ Akteur*innen
wie Menschenhändler*innen, aber in einigen
Fällen auch für ‚reguläre‘ Akteur*innen wie
Helfer*innen oder Beamt*innen.1
Informierte Einwilligung
Systematische Verfahren zur informierten Ein-
willigung (‚informed consent‘) sind ein wesent-
liches Mittel, um Forschungsteilnehmer*innen
vor Schaden, Zwang und Ausbeutung zu be-
wahren. Die informierte Einwilligung ist der-
jenige Prozess, bei dem Teilnehmer*innen über
das Forschungsvorhaben, an dem sie teilneh-
men sollen, informiert und über ihre Rechte
aufgeklärt werden, über ihre Teilnehme ent-
scheiden, sowie auf weitere Rechte hingewiesen
werden (siehe beispielsweise Erwägungsgrün-
de 32–33 und 42–3 sowie Kapitel 3 DSVGO
(DSVGO Verordnung 2016/679, 2016). In der
Praxis basiert die Einholung von informierter
Einwilligung auf den drei Grundprinzipien
ethischer Forschung: Wahrung der Autonomie
und der Würde des Menschen, sowie Respekt
gegenüber den Studienteilnehmer*Innen (Eu-
ropean Commission, 2010). Diese Prinzipien
verlangen, dass Forschungsteilnehmer*innen,
soweit sie dazu in der Lage sind, die Möglich-
keit gegeben wird, selbst zu entscheiden, was
mit ihnen im Verlauf der Forschung geschehen
soll oder nicht. Die Einholung von informierter
Einwilligung einer Person zur Teilnahme an der
Forschung spiegelt das Recht auf Selbstbestim-
mung, Freiheit von physischen und psychi-
schen Eingrien und auf die Kontrolle ihrer
personenbezogenen Daten wider. Daher ist für
die Erhebung bestimmter Kategorien perso-
nenbezogener Daten eine ausdrückliche Ein-
willigung erforderlich (Art. 9, DSVGO Verord-
nung 2016/679, 2016).
Datenschutz und Vertraulichkeit
Die Wahrung der Privatsphäre und Vertraulich-
keit von Forschungsteilnehmer*innen ist eine
rechtliche und ethische Verpichtung sozial-
wissenschaftlicher Forschung. In der EU wird
diese Verpichtung durch die Datenschutz-
grundverordnung (DSVGO) in Kraft gesetzt.
Die Forschung in einigen Nicht-EU-Ländern
kann durch Angemessenheitsbeschlüsse ge-
bunden sein, während andere unterschiedliche
Standards beinhalten. Instrumente wie die
DSVGO bieten jedoch nur einen Mindeststan-
dard, keine Best-Practice-Richtlinie (European
1 Zu informellen Akteur*innen in Migrationsinfrastruk-
turen siehe z.B. Boyed und Bales (2016, 183–184) über
Versklavte als verletzliche Subjekte. Den Autor*innen die-
ses Beitrags sind keine Studien bekannt, die sich auf die
Vulnerabilität von Praktiker*innen oder Beamt*innen be-
ziehen, aber die Literatur zu Forschung in Krisengebieten
und in ‚weniger demokratischen Kontexten‘ kann als Maß-
stab herangezogen werden (Campbell 2017; Sluka 2015;
Wackenhut 2018; Wood 2006).
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Commission, 2018a). Insbesondere in Fällen,
in denen besonders vulnerable Personen und/
oder spezische Kategorien personenbezogener
Daten betroen sind, können Verstöße gegen
die Vertraulichkeit zu spürbaren Schäden füh-
ren (Breen-Smyth, 2020). Ein Beispiel hierfür
ist die unzureichende Anonymisierung von
Forschungsteilnehmern, auch im Zusammen-
hang mit wortwörtlichen Zitaten, und etwaige
Folgen. In solchen Fällen ist die Beachtung von
Best Practices wie z.B. Data-Protection-By-
Design-And-Default zwingend erforderlich.
Ethikverfahren im Forschungsprozess
Jede Phase im Forschungsprozess erfordert
spezische ethische Verfahren. Im Folgenden
geben die Autor*innen einen Überblick sowie
eine Schritt-für-Schritt-Anleitung.
Bei Projektstart
Zu Beginn eines Forschungsvorhabens müssen
Forscher*innen grundlegende ethische Prin-
zipien festlegen und eine Richtline für den Da-
tenschutz denieren.
Etablierung grundlegender ethischer
Prinzipien
Grundlegende ethische Prinzipien müssen zu
Beginn eines Forschungsvorhabens von allen
beteiligten Personen anerkannt werden. Dies
sollten zumindest das Folgende beinhalten,
aber je nach Forschungsvorhaben darüber hi-
naus gehen (European Commission, 2010):
t Achtung der Autonomie: die Verpichtung,
die Entscheidungsfähigkeit autonomer Per-
sonen zu respektieren;
t Schadensvermeidung: Non-Malezienz
die Verpichtung, keinen Schaden zu verur-
sachen;
t Fürsorge: Benezienz – die Verpichtung,
Nutzen zu stiften und Nutzen gegen Risiken
abzuwägen;
t Gerechtigkeit: die Verpichtung zur Fairness
bei der Verteilung von Nutzen und Risiken.
Diese Grundsätze sollten schriftlich festgehalten
werden und müssen eine allgemeine Richtlinie
der Einhaltung der einschlägigen Gesetze, Vor-
schriften und Richtlinien ergänzen. In einigen
Fällen kann es ratsam sein, Einhaltungserklä-
rungen für Forscher*innen zu verfassen. Dies
wird in Fällen empfohlen, in denen keine spezi-
sche institutionelle oder nationale Behörde für
die Überwachung der Forschung zuständig ist.
Datenschutz, Anonymisierung und
Pseudonymisierung
Alle im Rahmen eines Forschungsvorhabens
erhobenen Daten sollten anonymisiert oder
pseudonymisiert werden. Dies schwächt ethi-
sche Bedenken ab, indem sichergestellt wird,
dass Forschungsdaten nicht mehr zu identi-
zierbaren Personen zurückverfolgt werden kön-
nen. Pseudonymisierung von Daten bedeutet
die Ersetzung von personenbezogenen Daten
durch einen beliebigen eindeutigen Identi-
kator (unter Verwendung von Techniken wie
Kodierung oder Hashing) und/oder die Erstel-
lung aggregierter Daten (European Commissi-
on, 2018a). Alle Identikatoren, die verwendet
werden könnten, um die Identität einer betrof-
fenen Person zu triangulieren, sollten ersetzt
oder entfernt werden. Darüber hinaus sollten
Grundsätze festgelegt werden, wie personenbe-
zogene Daten von Forschungsdaten getrennt
werden können (Van Liempt & Bilger, 2012).
Außerdem ist es ratsam, eine Datenschutzricht-
linie zu erstellen, die die folgenden Bereiche
umfasst (European Commission, 2018a):
t rechtmäßige, faire und transparente Verarbei-
tung personenbezogener Daten;
t Zweckgebundenheit der Verarbeitung;
t Datenminimierung;
t Genauigkeit;
t Speicherbegrenzung;
t Prinzipien ‚Findable, Accessible, Interopera-
ble and Reusable“ (FAIR).
Vor der Datenerhebung
Vor jeder Datenerhebung müssen
Forscher*innen Risiken identizieren und das
Forschungsdesign entsprechend anpassen, Ver-
fahren zur informierten Einwilligung festlegen
und eine Richtlinie für Zufallsfunde denieren.
Erkennen von Risiken und Anpassen des
Forschungsdesigns
Die Wahl der Forschungsfragen, der Standorte,
der Teilnehmer*innen und der Methoden sollte
unter rechtlichen und ethischen Gesichtspunk-
ten überprüft werden. Die meisten Instituti-
onen und Programme haben formale Verfahren
für diesen Prozess eingerichtet. Unabhängigen
Forscher*innen wird empfohlen, Leitfäden zur
Selbstbewertung zu nutzen wie etwa den Leit-
faden „How to complete your ethics self-asses-
sement“ der EU Grants (2021). Forscher*innen
ohne einen institutionellen Prüfungsausschuss
sollten auch bestätigen, ob eine zuständige
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nationale Ethikkommission existiert (Europe-
an Network of Research Ethics Committees,
2021).
Bewertung von Forschungsfragen: Forscher*innen
können realistischerweise bestimmte Fragen an
bestimmte Bevölkerungsgruppen nicht stellen,
ohne sie einem Risiko auszusetzen. In einigen
Gerichtsbarkeiten können beispielsweise Da-
ten zum Aufenthaltsstatus von Migrant*innen
Gegenstand einer Vorladung sein (ORG,
2019). Ebenso können bestimmte Fragen
Forscher*innen selbst in Gefahr bringen (Ja-
mieson, 2000). Ein Beispiel für ein gefährliches
Forschungsvorhaben rund um ein heikles For-
schungsthema ist Yamagishi Reiko‘s Studie zu
sogenannten Host-Clubs in Tokyo, in den fü-
hen 2000er Jahren. Die im Rotlichtmilieu an-
gesiedelten Clubs werden meist von illegalen
Netzwerken, unter anderem der Japanischen
Maa, geführt. Durch mangelnde Kenntnis
der Netzwerke und der Hierarchien hatte sich
die Forschende in Lebensgefahr gebracht und
musste ihre Feldforschung unterbrechen um
einen Monat lang unterzutauchen (Yamagishi
2009, 26; 35–36). Forschungsfragen sollten da-
her sorgfältig auf diese Risiken hin überprüft
werden, auch durch externe Expert*innen mit
Erfahrung in der Untersuchung der betroenen
Bevölkerungsgruppen und Standorte.
Bewertung von Standorten: Unabhängig da-
von, ob es sich um physische oder online For-
schung handelt, bergen manche Forschungs-
standorte reale Gefahren für Forscher*innen
und/oder Teilnehmer*innen. Ein potenzieller
Forschungsstandort sollte entsprechend dann
ausgeschlossen werden, wenn die folgenden
Punkte nicht gewährleistet werden können:
t Der Datenschutz und die Vertraulichkeit der
Datenerfassung;
t Die Sicherheit der Forscher*innen und
Forschungsteilnehmer*innen;
t Zugang zu Hilfe in Notfällen.
Auch Online-Forschungsstandorte sollten
nicht standardmäßig als sicher angesehen wer-
den: Einige Benutzer*innen von Dark-Web-
Foren, beispielsweise, verfügen über Tools, mit
denen sie andere Benutzer*innen identizieren
können.
Bewertung der Teilnehmer*innen: Außer unter au-
ßergewöhnlichen Umständen sollten keine Daten
von Personen erhoben werden, die eine Gefahr
für sich selbst oder andere darstellen, oder von
Personen, die nicht in der Lage sind, eine infor-
mierte Zustimmung zu geben (aufgrund von Al-
ter, extremer Unsicherheit, etc.). Es sollten auch
keine Daten von Personen erhoben werden, deren
Teilnahme an der Forschung zu einem Schaden
führen könnte. Im Fall von Migrant*innen kann
dies Personen umfassen, die
t von Strafverfolgungsbehörden inhaftiert sind
oder von Inhaftierung oder Abschiebung be-
droht sind;
t Gewalt ausgesetzt waren, Zeuge von Gewalt
waren oder diese ausgeübt haben; oder
t an grenzüberschreitenden Aktivitäten (Men-
schenhandel usw.) teilgenommen haben, die
sie im Falle einer Oenlegung dem Risiko
von Schaden oder Verfahrung aussetzt.
Im Falle von Strafverfolgungsbehörden und an-
deren Akteur*innen im Bereich von Migration
kann dies auch Personen betreen
t deren politische Einstellung sie bei Oenle-
gung in Gefahr bringen könnte;
t die andere Interessengruppen und/oder an-
dere Studienteilnehmer*innen nachteilig
beeinussen könnten, falls im Verlauf der
Datenerhebung Konikte auftreten; oder
t die wahrscheinlich Verbrechen nach interna-
tionalem Recht begangen haben.
Wenn ein*e Forscher*in erfährt oder vermutet,
dass ein*e Teilnehmer*in in eine dieser Kate-
gorien fallen könnte, sollte er*sie in Erwägung
ziehen, die Datenerhebung höich zu beenden,
sobald dies sicher möglich ist.
Unterstützung von Forschungsteilnehmer*innen
und Forscher*innen: Migrationsforscher*innen
sind manchmal mit Forschungsteilnehmer*innen
konfrontiert, die rechtliche, medizinische oder
psychosoziale Unterstützung benötigen; vor
Beginn der Feldarbeit sollte daher eine Liste
von Organisationen erstellt werden, die Un-
terstützung anbieten können (European Com-
mission, 2020). In einigen Fällen sollte vor
Beginn der Forschung Kontakt zu diesen Or-
ganisationen aufgenommen werden. Forschung
an bzw. mit gefährdeten Gruppen kann auch
für die Forscher*innen selbst psychologisch he-
rausfordernd sein; Projektleiter*innen sollten
ihre Teams daher ermutigen, solche Heraus-
forderungen ernst zu nehmen und Hilfe zu
suchen, wenn sie sich überfordert fühlen (Pe-
terson, 2000).
Konkretes Beispiel: Unterstützung von
Forschungsteilnehmer*innen und Forscher*innen
Eine von einer deutschen Stiftung in Auftrag
gegebene Studie des SINUS-Instituts zur Bil-
dungs- und Berufsorientierung von jugend-
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lichen Flüchtlingen und Asylwerber*innen
aus dem Jahr 2018 zeigt, wie wichtig es ist,
Organisationen zu identizieren, die den
Forschungsteilnehmer*innen Unterstützung
bieten können, bevor die Forschung beginnt
(Calmbach & Edwards, 2018). Die ist selbst in
Fällen, in denen sich die Forschung nicht direkt
mit sensiblen emen befasst, wichtig. Während
eines Interviewabschnitts zu Berufswünschen
erwähnte ein junger Teilnehmer beiläug, dass
Freunde ihm gesagt hätten, er solle nicht als
Elektriker arbeiten. Auf die Frage des Intervie-
wers, warum, antwortete er, dass er häug unter
Depressionen leide und seine Freunde scherzten,
dass er von einem Strommast springen könnte.
Der Interviewer vermied es, aus dieser Aussage
eine „große Sache“ zu machen, vermerkte sie
aber im Feldnotizbuch. Nachdem das Interview
beendet und das Aufnahmegerät ausgeschaltet
war, fragte der Interviewer den Forschungsteil-
nehmer diskret, ob er wegen seiner Depression
in Behandlung sei. In diesem Fall lautete die
Antwort „Ja“. Dennoch verwies der Intervie-
wer auf eine psychologische Hilfsorganisation
und bot an, den Kontakt zu vermitteln. Diese
Episode veranschaulicht, wie frühere Traumata
jeden Aspekt des Lebens prägen können und wie
Forschungsteilnehmer dringende Bedürfnisse
(medizinisch, psychologisch oder sozial) eher
implizit als explizit äußern können.
Informierte Einwilligung
Die Europäische Kommission (2010) legt fest,
dass die informierte Einwilligung zur Daten-
erhebung freiwillig, kompetent und auf der
Grundlage angemessener Informationen erfol-
gen muss. Vor Beginn der Datenerhebung muss
das Forschungsteam ein Verfahren einrichten,
das sicherstellt, dass diese Kriterien erfüllt wer-
den. Dies kann die Erstellung von Materialen
erfordern, die für verschiedene Zielgruppen ge-
eignet sind, sowie die Festlegung unterschied-
licher Verfahren für schriftliche und mündliche
Einwilligung.
Allgemeine Grundsätze: Ein Verfahren zur in-
formierten Einwilligung erfordert eine Reihe
von standardisierten Materialien: ein umfas-
sendes Informationsblatt, ein Formular, auf
dem der*die Forschungsteilnehmer*in sein*ihr
Einverständnis zur Datenbereitstellung und
-weitergabe erklärt, eine Tabelle, in der der
Status der Teilnehmer*innen erfasst werden
kann sowie einen schriftlichen Leitfaden für die
Forscher*innen. Es setzt auch eine Möglichkeit
voraus, pseudonymisierte Forschungsdaten von
personenbezogenen Daten zu trennen: Oft wird
das Formular mit der pseudonymen ID des*der
Teilnehmer*in gekennzeichnet und dient als
einzige Verbindung zwischen dieser ID und den
personenbezogenen Daten des*der Befragten.
Eine Möglichkeit zur Trennung der Daten be-
steht darin, die Formulare nur in Papierform in
einem verschlossenen Schrank getrennt von den
Forschungsdaten aufzubewahren.
Zielgruppengerechte Materialien und Verfahren:
Die informierte Einwilligung muss auf Infor-
mationen beruhen, die nicht nur angemessen,
sondern für die Forschungsteilnehmer*innen
zum Zeitpunkt ihrer Bereitstellung verständ-
lich sind. Daraus folgt, dass Materialien folgen-
dermaßen gestaltet sein sollten:
t in einer Sprache geschrieben, die die
Teilnehmer*innen verstehen können;
t in einem Format zur Verfügung gestellt, auf
das die Teilnehmer*innen zugreifen, es spei-
chern und wieder aufrufen können.
Zudem sollte nicht nur nach der allgemeinen
Zustimmung zur Bereitstellung von Daten,
sondern auch nach der expliziten Zustimmung
zu wichtigen Punkten gefragt werden durch Ja/
Nein-Kontrollkästchen für:
t Erfassung besonderer Kategorien personen-
bezogener Daten;
t Verbreitung oder Verwertung der Daten für
bestimmte Zwecke.
Damit die informierte Einwilligung als freiwil-
lig und kompetent gilt, darf das Verfahren die
Teilnehmer*innen nicht einschüchtern oder
überfordern. Dementsprechend sollten die
Forscher*innen
t den Teilnehmer*innen angemessene Privat-
sphäre gewähren;
t sicherstellen, dass Teilnehmer*innen frei von
Nötigung oder unzulässiger Beeinussung
sind;
t sicherstellen, dass Verfahren zur infor-
mierten Einwilligung und Datenerfassung
für die Teilnehmer*innen sicher und kom-
fortabel sind;
t den Teilnehmer*innen die Möglichkeit ein-
räumen, die Projektinformationen zu prü-
fen, Fragen zu stellen und eine freie und in-
formierte Entscheidung zu treen;
t während der Datenerfassung zwischendurch
bestätigen, dass die Teilnehmer*innen im-
mer noch damit einverstanden sind, an der
Forschung teilzunehmen.
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Die Durchführung von Forschungsvorhaben
mit Migrant*innen kann in vielen der oben
genannten Punkte Herausforderungen mit sich
bringen. Beispielsweise können hinsichtlich
der Materialien mehrere Formate erforderlich
sein. Was das Verfahren selbst betrit, kann
es schwierig sein, Privatsphäre und Freiheit
von Zwang zu gewährleisten, wenn Forschung
etwa in Gemeinschaftsunterkünften, in öf-
fentlichen Bereichen, online oder am Telefon
durchgeführt wird. Dementsprechend sollten
Forscher*innen
t sicherstellen, dass Dokumente in den
Sprachen verfügbar sind, mit denen die
Teilnehmer*innen am besten vertraut sind,
und zwar sowohl in gedruckter als auch in mo-
biltelefonfreundlicher elektronischer Version;
t die Verwendung eines „Häug gestellte
Fragen-Formats“, das die in Artikel 12 der
DSGVO genannten sowie andere wich-
tige Punkte abdeckt (DSVGO Verordnung
2016/679, 2016), erwägen;
t das Forschungsdesign anpassen, wenn die
Privatsphäre und die Freiheit von Zwang
nicht gewährleistet oder festgestellt werden
kann.
Schriftliche und mündliche Einwilligung: Die
Erfordernis Formulare zu unterschreiben,
kann sich für einige Zielgruppen als Barri-
ere für die Forschungsteilnahme erweisen.
Teilnehmer*innen, die verfolgt wurden oder
Opfer von Korruption waren, können besonders
zögerlich sein, solche Formulare zu unterschrei-
ben. Außerdem können Teilnehmer*innen mit
geringen Lese- und Schreibkenntnissen Schwie-
rigkeiten haben, Informationsblätter und For-
mulare zu verstehen.
Die DSVGO (Verordnung 2016/679, 2016)
und die Leitlinie 05/2020 zur Einwilligung
nach Verordnung 2016/679 (Europäischer
Datenschutzausschuss, 2020) erlauben unter
bestimmten Bedingungen eine mündliche Ein-
willigung. Einige Leitlinien, die speziell auf die
Forschung mit vulnerablen Gruppen ausgerich-
tet sind, stimmen damit überein, nämlich der
Leitfaden der Europäischen Kommission für
die Forschung mit Flüchtlingen, Asylsuchen-
den und Migrant*innen (2020). Bei münd-
licher Einwilligung sollten Forscher*innen
t sicherstellen, dass das Informationsblatt und
das Formular verständlich und gut vorlesbar
sind; möglicherweise sind separate Doku-
mente zu erstellen und testen;
t sicherstellen, dass das Informationsblatt
und das Formular dem*der Teilnehmer*in
von jemandem vorgelesen wird, der*die die
Sprache, in der sie verfasst sind, ießend be-
herrscht;
t bestätigen, dass der*die Teilnehmer*in da-
mit einverstanden ist, dass der Vorgang
selbst aufgezeichnet wird;
t bestätigen, dass der*die Teilnehmer*in die
Materialien im Allgemeinen und jeden der
Punkte in Artikel 13 DSVGO und andere
wichtige Punkte verstanden hat;
t um eine eindeutige „Ja“ oder „Nein“-Ant-
wort auf jeden Punkt des Formulars bitten.
Die Europäische Kommission (2020) legt
fest, dass mündliche Einwilligungsverfahren
unabhängig bezeugt werden sollten. Obwohl
dies in nicht EU-nanzierter Forschung nicht
erforderlich sein mag, wird es als gute Praxis
empfohlen. Wie bei schriftlichen Einwilli-
gungsverfahren ist auch bei mündlichen eine
Möglichkeit erforderlich, pseudonymisierte
Forschungsdaten von personenbezogenen Da-
ten zu trennen: in diesem Fall die Audio- oder
Videoaufzeichnung des Einwilligungsverfah-
rens selbst.
Konkretes Beispiel: Informiertes Einverständnis
Im Rahmen einer Studie zu der Wahrneh-
mung Europas durch Migrant*innen und je-
nen Menschen die eine Migration nach Eu-
ropa in Betracht ziehen, wurden Interviews
mit Asylantragsteller*innen und anerkannten
Flüchtlingen in Griechenland geführt. Durch
die Covid-19 Pandemie war es den Forschen-
den aufgrund der anfangs verhängten Grenz-
schließungen unmöglich nach Griechenland zu
reisen um die Interviews in Person zu führen.
Daher musste sich das Forschungsteam auf die
Zusammenarbeit mit einem lokalen Partner, ei-
ner international vertretenen NGO, verlassen
um die Interviews per Videokonferenzsoftware
durchzuführen. Der lokale Partner sollte hier-
bei bei der Identizierung und Rekrutierung
von nach forschungs- und ethischen Kriterien
qualizierten Teilnehmer*innen Unterstüt-
zung leisten. Teil dieser Aufgabe war auch die
Teilnehmer*innen vorab über das Forschungs-
vorhaben aufzuklären und eine informierte
Einwilligung einzuholen, welche dann von der
leitenden Forscherin vor dem Interview noch-
mals mit den Teilnehmer*innen abgeklärt wur-
de. Die Formulare wurden auf Englisch, Ara-
bisch und Griechisch zur Verfügung gestellt.
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Es wurde ausdrücklich darum gebeten auf die
sprachlichen Kenntnisse der Teilnehmer*innen
zu achten und wenn notwendig einen Dolmet-
scher einzusetzen. Probleme traten auf als die
leitende Forscherin bei einem der Interviews
merkte, dass die Teilnehmerin die notwendi-
gen Sprachkenntnisse für das Interview nicht
besaß, dies jedoch von dem lokalen Partner
vorab nicht kommuniziert wurde. Dieser Um-
stand konnte nur deshalb bewältigt werden, in-
dem durch einen glücklichen Zufall ein für die
Partnerorganisation arbeitender und mit dem
ema vertrauter Dolmetschers in der Nähe
anwesend war.
Nach dem Interview fragte die leitende For-
scherin den Dolmetscher nach seiner Verfüg-
barkeit und bat ihn für die an demselben Tag
folgenden Interviews anwesend zu sein (diese
wurden alle mit Menschen derselben Sprach-
gruppe durchgeführt). Gemeinsam mit dem
Dolmetscher und den Teilnehmer*innen ging
die Forscherin das Informationsblatt durch,
beantwortete etwaige Fragen, und holte so das
informierte Einverständnis ein. Der Einsatz des
Dolmetschers an dem Tag zeigte, dass weitere
Teilnehmer*innen, die gegenüber den Sozialar-
beitern der NGO ihr Einverständnis gegeben
hatten, die Information zu der Studie nicht
begrien hatten und daher für eine Teilnahme
unzulänglich informiert gewesen wären.
Zufallsfunde
Die Europäische Kommission (2018b) de-
niert Zufallsfunde (‚incidental ndings‘) als
Befunde außerhalb der Forschungsfragen, die
die Forscher*innen zu Maßnahmen zwingen
können. Ein Beispiel: Zu Zufallsfunden, die
in der Migrationsforschung auftreten können,
gehören unter anderem Menschenrechtsverlet-
zungen (an oder durch die Teilnehmer*innen),
Menschen- und Sexualhandel, häusliche Ge-
walt, Zwangsheirat, weibliche Genitalverstüm-
melung, Handel mit menschlichen Organen
und Kinderpornograe (European Commissi-
on, 2020, 3).
Gesetz des Landes vs. Ethik-Zuerst: Unter nor-
malen Umständen sollte ein*e Forscher*in
Daten, die unter der Erwartung der Vertrau-
lichkeit erhoben wurden, nicht oenlegen – es
sei denn, die betroene Person gibt ihr Ein-
verständnis dazu. Einige Zufallsfunde können
diese Maxime jedoch in Frage stellen: So gab
es Fälle, in denen Behörden vertrauliche Ergeb-
nisse gegen den Willen der Forscher*innen vor-
geladen haben (Caroll & Knerr, 1975; Lowman
& Palys, 2000; Breen-Smyth, 2020). Die Mei-
nungen unter Forscher*innen gehen auseinan-
der, ob man einen „Law of the Land“-Ansatz,
bei dem die Forscher*innen die Ergebnisse in
jedem Fall, in dem sie gesetzlich dazu verpich-
tet sind, oenlegen, oder einen „Ethics rst“-
Ansatz, der besagt, dass Forscher*innen sich
jeder Oenlegung von Ergebnissen widersetzen
sollen, die die Interessen der Teilnehmer*innen
gefährden können, folgen sollte (Palys & Low-
mann, 2012).
Die Standards für angemessenes Verhalten kön-
nen je nach Situation und Bedürfnissen be-
stimmter gefährdeter Gruppen in bestimmten
Kontexten unterschiedlich sein. Zum Beispiel
ist die Europäische Kommission (2018b, 14)
in Bezug auf Zufallsfunde, die Migrant*innen
betreen, zweideutig und stellt fest, dass es an-
gemessener sein kann, NGOs oder Agenturen
mit entsprechender Expertise zu kontaktie-
ren anstelle der Behörden. Die Kommission
(2020,3) stellt außerdem fest, dass EU-nan-
zierte Forschung keinen Einuss auf Verfahren
zur Unterbringung, Neuansiedelung, Umsiede-
lung oder Statusbestimmung haben sollte, was
die Oenlegung einziger zufälliger Erkennt-
nisse über Migrant*innen gegenüber Strafver-
folgungsbehörden ausschließen würde.
Eine strukturierte Richtlinie für Zufalls-
funde: Letztlich muss die Entscheidung, wel-
cher dieser Ansätze gewählt wird, vom For-
schungsteam selbst getroen werden. Dies
erfordert eine Abwägung der Interessen von
Forschungsteilnehmer*innen und Dritten so-
wie von den Forscher*innen selbst, da das
Verschweigen von Straftaten selbst illegal sein
kann.2 Unabhängig davon, welcher Ansatz
gewählt wird, ist ein strukturiertes Vorgehen
erforderlich. Wie von der Europäischen Kom-
2 In Deutschland beispielsweise sieht das Strafgesetzbuch
in § 138 vor, dass Personen, die es „leichtfertig“ unterlas-
sen, „glaubwürdige Informationen“ über die Planung oder
Begehung einer Straftat zu melden, mit einer Geldstrafe
und einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr bzw. bei
bestimmten schweren Straftaten von bis zu fünf Jahren be-
straft werden können, sofern es sich nicht um Rechtsan-
wälte oder medizinische/psychotherapeutische Fachkräfte
handelt.
m&z 3/2021
45
mission (2018b; 2020) angegeben, sollten
Forscher*innen:
t evaluieren, welche Zufallsfunde auftreten
können, und diese ggfs. in einem Katalog
vermerken;
t eine Sorgfaltsprüfung hinsichtlich der ge-
setzlichen Verpichtungen zur Meldung
bestimmter Arten von Zufallsfunden durch-
führen;
t eine Schritt-für-Schritt-Richtlinie für das
Erkennen und Reagieren auf bestimmte Ar-
ten von Zufallsfunden erstellen, etwa Infor-
mationen über
›Unmittelbare Bedrohungen für Forschungs-
teilnehmer*innen, Forscher*innen oder an-
dere;
›Handlungen, die keine unmittelbare Bedro-
hung darstellen, die aber nach dem Gesetz
oengelegt werden müssen; und
Handlungen, die nach dem Gesetz nicht of-
fengelegt werden müssen, die aber mögliche
Schäden für Forschungsteilnehmer*innen
oder andere mit sich ziehen können.
t die Teilnehmer*innen über die Grenzen der
Vertraulichkeit, die angeboten werden kann,
sowie über die Arten von Zufallsfunden und
Antworten, die unter die Richtlinie fallen in-
formieren;
t eine Struktur für die Diskussion solcher
Ergebnisse innerhalb des Forschungsteams
bzw. der Organisation erstellen, die Faktoren
wie Dringlichkeit, Glaubwürdigkeit, recht-
liche Bedeutung, ethische Bedeutung und
Handlungsfähigkeit berücksichtig.
Besonderes Augenmerk sollte auf Zufallsfunde
gelegte werden, die in der Online-Forschung
auftreten können, wie etwa Kommentare oder
Medien, die in nicht als Forschungsstandorte
spezizierten Foren oder währen Chat-Sit-
zungen gepostet werden und daher nicht durch
Zufallsfund-Verfahren abgedeckt sind.3
Konkretes Beispiel: Zufallsfunde
Ein Fund, der als Zufallsfund bezeichnet
werden kann, ergab sich während der bereits
oben angesprochenen Ferninterviews mit
Teilnehmer*innen in Griechenland. Eine jun-
ge Frau nahm an der Studie teil, nachdem die
lokale Partnerorganisation sie als mögliche
Studienteilnehmerin identiziert und eingela-
den hatte. Nach dem Einholen ihres Einver-
ständnisses auf Englisch wurde das Interview
in derselben Sprache weitergeführt. Nach ein
paar Minuten ergri die junge Frau die Initi-
ative und meinte sie würde der Forschenden
nun ihre Geschichte erzählen. Die Studienteil-
nehmerin war vorbereitet, sie hatte einen Text
verfasst in Englischer Sprache den sie vorlas.
Sie schien sich so sicherer zu fühlen in einer
Fremdsprache zu kommunizieren. Der Text,
ihre Geschichte, beinhaltete Schilderungen von
sexuellen Gewalterfahrungen die sie während
ihrer Reise als irreguläre Migrantin machte.
Während des Lesens war die Emotion und ihre
Belastung durch diese Ereignisse in ihrer Stim-
me deutlich zu hören. Die leitende Forscherin
war sich zunächst unsicher wie sie reagieren
sollte, entschied sich jedoch dazu die Frau ih-
ren Text zu Ende lesen zu lassen und ihr dann
für die Geschichte zu danken, ihr Trost und
Empathie zu vermitteln. Die Forschende fragte
auch ob sie Hilfe gesucht hatte und derzeit Un-
terstützung bekomme, Fragen die die Frau be-
jahte. Gleichzeitig machte sich jedoch ein Ge-
fühl der Hilosigkeit bei der Forschenden breit,
da sie aufgrund der Distanz und der schlechten
Internetverbindung nur begrenzt fähig war -in
einer für sie selbst zufriedenstellenden Art- auf
die Studienteilnehmerin einzugehen. Da die
Frau bereits bei einer NGO in Betreuung war
und laut eigener Auskunft Hilfe erhielt, sah die
Forschende in diesem Hinblick keine weitere
Notwendigkeit auf Hilfedienste zu verweisen.
Das Interview jedoch wurde nicht in die Da-
tensammlung mitaufgenommen.
Während der Datenerfassung
Die Datenerhebungsverfahren selbst müssen
kontinuierlich überwacht werden, um die Ein-
haltung der Vorschriften zu gewährleisten: Dies
ist insbesondere dann der Fall, wenn mehrere
Datenquellen kombiniert werden, z.B. Feldfor-
schung, Sekundärdaten und Daten aus sozialen
Medien.
Feldforschung
Die Prinzipien des Respekts, der Schadensver-
meidung, der Fürsorge und der Gerechtigkeit
3 Die Autor*innen dieses Beitrags werden in einer weiteren
Veröentlichung Zufallsfunde, ein systematisches Verfahren
sowie einen Entscheidungsbaum detaillierter behandeln.
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46
wirken sich direkt auf die Praxis der qualita-
tiven und quantitativen Feldarbeit und die
Qualität der erhobenen Daten aus.4
Gestaltung der Feldarbeit. Die Fallauswahl, das
Sampling und die Einrichtung von Forschungs-
standorten können Auswirkungen darauf ha-
ben, wer an der Forschung teilnimmt, was sich
entsprechend auf die sozialen Auswirkungen
und die Verwendung der Daten auswirkt (Barg-
lowski, 2018). Bei der Gestaltung der Feldfor-
schung sollten Forscher*innen:
t die Struktur der Zielgruppengemeinschaft
kennenlernen (Fedyuk & Zentai, 2018);
t mögliche Zugangsbarrieren für die
Teilnehmer*innen identizieren und ver-
suchen, diese abzumildern, z.B. durch die
Auswahl von Orten, die physisch und infra-
strukturell zugänglich sind, durch die Bereit-
stellung von Kinderbetreuung usw. (George
et al., 2014);
t die für Teilnehmer*innen entstandenen
Kosten sollten sorgfältig reektiert werden
sowie sollten Überlegungen angestellt wer-
den, ob Entschädigungen angeboten werden
– je nach Forschungskontext (Fry & Dwyer,
2001; Head, 2009; Russell et al., 2000; Sin-
ger & Kulka, 2002).
Umfragen und Interviews: Anstelle von blo-
ßen Datenerhebungsinstrumenten sollten
Forscher*innen Fragebögen und Diskussi-
onsleitfäden als Einladungen zur ‚Wissens-
Koproduktion‘ behandeln: Dies bedeutet, Re-
spekt zu zeigen, die Klarheit zu maximieren
und bei qualitativen Diskussionsleitfäden den
Teilnehmer*innen genügend Freiheit zu lassen,
um die Richtung der Untersuchung zu gestal-
ten, anstatt einer starren, von Interviewer vor-
geschlagenen Struktur zu folgen (Fedyuk &
Zentai, 2018, 175). In erster Linie sollte die
Feldforschung von Forscher*innen geleitet wer-
den, die in den verwendeten (quantitativen und/
oder qualitativen) Methoden geschult und er-
fahren sind. Qualitative Interviews und Diskus-
sionsgruppen sollten von entsprechend geschul-
ten Feldforschern durchgeführt bzw. moderiert
werden, und für Feldforschungsassistent*innen
und Dolmetscher*innen sollten spezielle Schu-
lungen und ethische Compliance-Erklärungen
in Betracht gezogen werden. Bei interdiszipli-
nären Forschungsteams sollten Forscher*innen,
die verschiedene Disziplinen vertreten, oen
über Unterschiede im theoretischen und me-
thodischen Hintergrund diskutieren: In eini-
gen Fällen können diese erheblich sein, z. B. im
Hinblick auf die Praxis, in der psychologischen
und biomedizinischen Forschung monetäre
Anreize zu bieten, im Gegensatz zur klassischen
Soziologie und Anthropologie. Multidiszipli-
näre Teams sollten auf einen gemeinsamen An-
satz hinarbeiten, der auf einem transparenten
Konsens und nicht auf Annahmen beruht.
In qualitativer Forschung zu Informations- und
Kommunikationstechnologien (IKT), die Me-
thoden wie Walkthroughs und Social-Media-
Scrollbacks beinhaltet, sollten Forscher*innen
die Teilnehmer*innen daran erinnern, dass sie
die Entscheidungsgewalt darüber haben, wel-
che IKT-Praktiken sie demonstrieren und wel-
che Narrative sie durchlaufen (Moller & Ro-
bards, 2019, 102).
Ethisch wichtige Momente: Auf der Grundlage
ihrer Forschung mit vulnerablen Migranten
unterscheidet Tomkinson (2015) zwischen
„Verfahrensethik“, d.h. den formalen Regeln,
die das Forschungsdesign leiten, und „Alltag-
sethik“, d.h. den Standards der situativen Be-
urteilung, die die Feldarbeit leiten. Die „All-
tagsethik“ erfordert von den Forscher*innen
eine Reexion der Forschungssituation wie
auch ihrer eigenen Position. Konkret empeh-
lt Tomkinson, ethisch wichtige Momente zu
dokumentieren, die während der Feldarbeit
auftreten. Dies umfasst nicht nur Kategorien,
die im Forschungsdesign abgedeckt sind – wie
z.B. Zufallsfunde –, sondern auch Momente,
in denen sich der*die Forscher*in und/oder
Teilnehmer*in einfach unwohl, bewegt, provo-
ziert, etc. fühlt. Das Nachdenken über solche
Momente kann Forscher*innen dabei helfen,
sich komplexen emen wie der wohltätigen
aber auch unheilvollen Verwendung von Da-
ten zu nähern. In der Forschungsstation selbst
sollte der*die Forschende darauf eingehen. Ein
Beispiel: Im Fall eines*einer unsicheren oder
verängstigtsten Teilnehmer*in kann der*die
Forscher*in etwa darauf hinweisen, dass der
Raum jederzeit verlassen und das Interview ab-
gebrochen werden kann.
4 Ausführlichere Überlegungen dazu nden sich z.B. im
American Anthropological Association Statement on Ethics
(2012).
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47
Sekundäre Daten
Bemerkenswert schwere Verstöße gegen Ethik-
standards betrafen die Wiederverwendung von
Daten, die zuvor für einen anderen Zweck erho-
ben wurden (European Commission, 2018a).
Forscher*innen sollten immer den Kontext der
ursprünglichen Datenerhebung evaluieren.
Öentlich verfügbare Daten: Es sollten nur Da-
ten verwendet werden, die öentlich zugäng-
lich sind oder vom Datensubjekt öentlich
gemacht wurden. Diese öentliche Verfügbar-
keit allein bedeutet jedoch nicht, dass es kei-
ne Grenzen für die Nutzung eines Datensatzes
gibt: Es muss sichergestellt werden, dass jede
Datenverarbeitung gegenüber der betroenen
Person fair ist und dass ihre Rechte bei allen
Datenverarbeitungsaktivitäten respektiert wer-
den. Forscher*innen müssen sicherstellen, dass
Informationen über die Daten oen und öf-
fentlich zugänglich sind und dass sie für For-
schungszwecke verwendet werden dürfen. Die-
ser Schritt sollte auch eine Bewertung der Art
und Beschaenheit der Daten beinhalten, ins-
besondere wenn sensible Daten enthalten sind.
Relevanz und Kontext der ursprünglichen Da-
tenerfassung: Wenn personenbezogene Da-
ten zuvor in einem anderen Kontext erhoben
wurden, sollten Details zu den ursprünglichen
Datenerhebungszwecken, der Methodik und
der informierten Einwilligung untersucht wer-
den. Die Erlaubnis der Eigentümer*innen/
Verwalter*innen des Datensatzes/der Daten-
sätze zur Verwendung der Daten oder die Ein-
haltung ihrer Bedingungen sollte eingeholt
werden. Die Relevanz für die Forschungsthe-
men und eine klare Verbindung zwischen dem
ursprünglichen und dem neuen Zweck müssen
hergestellt werden (European Commission,
2018a).
Rechtliche Überlegungen und Sicherheitsvorkeh-
rungen: Wenn die Verarbeitung sekundärer Daten
durch ein Gesetz und/oder ein übergeordnetes
öentliches Interesse genehmigt ist, sollte das
Gesetz oder die Richtlinie, die die Forschung ge-
nehmigt, angegeben werden. Wenn die Verwen-
dung von Daten auf den berechtigten Interessen
des für die Datenverarbeitung Verantwortlichen
beruht, sollten Einzelheiten über die Art und den
Zweck des Datensatzes zusammen mit den Ga-
rantien (z.B. Anonymisierungs- bzw. Pseudony-
misierungstechniken, Verschlüsselung), die seine
Verwendung rechtfertigen, hinzugefügt werden
(European Commission, 2018a).
Daten aus sozialen Medien
Die Nutzung von Social-Media-Daten für die
Forschung erfordert spezische ethische Er-
gungen, einschließlich (aber nicht beschränkt
auf) den Zugri auf öentliche Daten, die
Erstellung von Prolen und Rückschlüsse auf
Merkmale von Personen wie Alter, Ethnie, re-
ligiöse Überzeugungen, die Wahrung von An-
onymität und die Achtung der Privatsphäre
sowie Missbrauch von Forschungsergebnissen
(European Commission, 2018a; Towsend &
Wallace, 2016).
Erhebung und Verarbeitung von Daten in
Nicht-EU-Ländern
Wenn Daten in die EU importiert bzw. aus
der EU exportiert werden, müssen spezische
Richtlinien aufgestellt werden, insbesondere
dann, wenn kein Angemessenheitsbeschluss der
DSGVO vorliegt. In solchen Fällen erfordert
die Datenverarbeitung ein spezielles Verfahren.
Vor jeder Datenerfassungsaktivität sollten die
Arten von Daten, die importiert oder expor-
tiert werden sollen, identiziert werden und
die Einhaltung der Gesetzte des Landes, in dem
die Daten erfasst wurden, sichergestellt werden.
Abbildung 1 (s. S. 48) zeigt den Umgang mit
Daten in Nicht-EU-Forschungsstandorten am
Beispiel des PERCEPTIONS-Projektes, in dem
die Autor*innen als Teil eines interdisziplinären
Teams forschen. Das PERCEPTIONS-Projekt
umfasste qualitative Feldforschung mit (vulne-
rablen) Migranten, quantitative und qualitative
Feldforschung mit Migrationsakteur*innen
und politischen Entscheidungsträger*innen
sowie die Sammlung und Analyse von Sekun-
därdaten und Daten aus klassischen und sozi-
alen Medien. Es wurden drei Sicherheitsstufen
festgelegt:
t Sicherheitsstufe 1: Nicht-personenbezogene
Daten wie Projektberichte oder Publikati-
onen werden zwischen EU- und Nicht-EU-
Partnern in einer Cloud-Lösung ausgetauscht.
t Sicherheitsstufe 2: Nicht-personenbezogene
Daten wie Stakeholder-Sammlungen, Se-
kundärdaten, Umfragedaten, Transkripte,
Feldforschungsnotizen oder verpixelte Fotos
werden in die EU importiert, aber nicht in
Nicht-EU-Länder exportiert.
t Sicherheitsstufe 3: Personenbezogene Daten
wie Formulare der informierten Einverständ-
nis oder Audioaufnahmen von Interviews
werden nicht zwischen EU und Nicht-EU-
Ländern ausgetauscht.
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48
Konkretes Beispiel: Verarbeitung von Daten in
Nicht-EU-Ländern
Im Rahmen von EU-nanzierten Forschungs-
projekten werden fallweise Strafverfolgungs-
behörden miteinbezogen. In solchen Fällen ist
es ratsam, zu spezizieren, auf welche Daten
diese Partner Zugri haben (und beispielsweise
Zugri auf personenbezogene Daten bestimm-
ter schutzbedürftiger Gruppen einschränken,
deren Interessen mit denen des Staates kol-
lidieren, wie z. B. irreguläre Migrant*innen,
Sexarbeiter*innen usw.).
Nach der Datenerhebung
Die möglichen Folgen der Verarbeitung von
Daten und der Berichterstattung darüber
sollten berücksichtig werden. Forscher*innen
sollten sich fragen, ob die Daten in einer Wei-
se verwendet oder interpretiert werden kön-
nen, die den betroenen Personen nützt, oder
umgekehrt in einer Weise, die ihnen schadet.
Idealerweise ndet dies in Austausch mit den
Forschungsteilnehmer*innen statt.
Wohltätige und bösartige Verwendung
von Daten
Van Liempt und Bilger (2012, 454) stellen fest,
dass in der Auftragsforschung eine Katego-
rie, die viele Studien über vulnerable Gruppen
umfasst – die Weltsicht und Interessen der
politischen Entscheidungsträger*innen und
sogenannten „Stakeholder“ gegenüber den
Weltsichten und Interessen der vulnerablen
Gruppen überbetont werden. Bestimmte Ver-
wendungen von Daten über Migrant*innen
können die asymmetrische Machtdynamik zwi-
schen diesen Gruppen noch verschärfen. Dem-
entsprechend ist es für Forscher*innen und
Praktiker*innen, die mit der Datenerhebung
befasst sind, von entscheidender Bedeutung,
die potenzielle Verwendung der von ihnen er-
hobenen Daten zu hinterfragen. Van Liempt
und Bilger (2012, 453) empfehlen, zwischen
drei Kategorien von Daten zu unterscheiden:
t Informationen, die zu Vorteilen für die
Teilnehmer*innen führen können;
t Informationen, die möglicherweise ne-
gative Auswirkungen auf das Leben der
Teilnehmer*innen (oder der Gruppe, der die
Teilnehmer*innen angehören) haben kön-
nen;
t Informationen, die von den Teilnehmer*innen
als ‚neutral‘ angesehen werden können.
Während einige Daten eindeutig in die eine
oder andere Kategorie fallen, können andere
in mehrere Kategorien fallen. Das PERCEP-
TIONS-Projekt beispielsweise untersucht die
Beziehung zwischen Fehlinformationen (über
die Bedingungen in Europa, Migrationsrouten
usw.) und wahrgenommene ‚Bedrohungen‘ für
verschiedene Bezugsobjekte (Migrant*innen,
Aufnahmegesellschaften usw.). Einerseits hot
das Projektteam, dass die Ergebnisse dazu ge-
nutzt werden, Informationskampagnen zu ver-
bessern und dadurch Migrant*innen zu helfen,
sichere Entscheidungen zu treen. Andererseits
ist es möglich, dass die Ergebnisse als Recht-
fertigung für Kampagnen verwendet werden,
Secure electronic storage
Secure physical storage
Security level 1
Security level 2
Security level 3
Data such as
! Stakeholder collection
! Secondary data
! Survey data (pseudonymised)
! Transcripts (pseudonymised)
! Fieldwork memos (pseudonymised)
! Photos (pixelated)
! Social media datasets (pseudonymised)
No LEA
access
Informed consent documents
and/or audio recordings
Informed consent documents and/or
audio recordings
Interview transcripts (pseudonymised)
Fieldwork memos (pseudonymised)
Non-personal project-related data
(e.g., deliverables, publications, etc.)
Project shared space
non-EU research sites
Abb. 1. Arbeitsablauf für den Datenaustausch mit Nicht-EU-Forschungsstandorten
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49
die lediglich darauf abzielen, Migrant*innen
abzuschrecken. Während Forscher*innen nicht
immer kontrollieren können, wie die Daten
verwendet werden, können sie kontrollieren,
welche Daten gesammelt und verbreitet wer-
den. In manchen Fällen kann das Forschungs-
team entscheiden, dass die ethischen Risiken
die Vorteile in der Verbreitung bestimmter Da-
ten überwiegen.
Benefit-Sharing
Wohltätigkeit beinhaltet die ethische Ver-
pichtung, den möglichen Nutzen sowohl für
die Studienteilnehmer*innen als auch für grö-
ßere Gruppen von Individuen zu maximieren
(Ellsberg & Heise, 2002, 1601). Die meisten
Wissenschaftler*innen würden wohl zustim-
men, dass Forschung bis zu einem gewissen Grad
sowohl gegenüber ihren Zielgruppen als auch
gegenüber der Gesellschaft als Ganzes ‚rechen-
schaftspichtig‘ ist (European Commission,
2010). Die Europäische Kommission erkennt
diese Verpichtung in ihrem Leitfaden zu For-
schung mit Flüchtlingen, Asylbewerber*innen
und Migrant*innen (2020) konkret an. Darin
wird gefordert, dass von der EU geförderte Pro-
jekte zum ema Migration ein Strategiedoku-
ment darüber erstellen, wie sie ihre Relevanz
für ihre Zielgruppe sicherstellen werden. Ma-
ckenzie et al. (2007) gehen noch einen Schritt
weiter und stellen fest, dass Forschung mit
Flüchtlingen nur dann gerechtfertigt werden
kann, wenn sie eine Verpichtung zum gegen-
seitigen Nutzen für ihre Zielgemeinschaften
mit sich bringt. Dieser Standpunkt könnte de-
duktiv auf andere vulnerable Gruppen ausge-
dehnt werden. Wie bei der Entscheidung, wie
mit Zufallsfunden umgegangen werden soll,
muss die Entscheidung, wie die Wohltätigkeit
von Forschungsergebnissen zu bewerten ist, von
jedem Forschungsteam getroen werden. Nach
Ansicht der PERCEPTIONS-Forscher*innen
müssen zumindest die Perspektiven vulnerabler
Gruppen berücksichtig werden, damit die For-
schung über diese Gruppen nicht nur ethisch,
sondern auch methodisch fundiert ist (vgl.
Harrell-Bond & Voutira, 2007).
Fazit
Dieser Beitrag bietet eine Zusammenfassung
derjenigen ethischen und rechtlichen Fragen,
mit denen Forscher*innen und Praktiker*innen
konfrontiert sind, die mit gefährdeten Grup-
pen arbeiten. Konkrete Beispiele wurden aus
der Migrationsforschung übernommen. Tabelle
1 zeigt beispielhaft den Workow, der ein ethi-
sches Vorgehen garantiert. Weder dieser Beitrag
noch die Tabelle sind als Ersatz für eine sorgfäl-
tige Abwägung von Fragen gedacht, die für be-
stimmte Kontexte spezisch sind: Eine solche
Abwägung muss in den gesamten Forschungs-
prozess eingeochten werden und darf nicht als
eine „Tick-the-Box“-Übung behandelt werden.
In Anlehnung an Tomkinsons (2005) Unter-
scheidung zwischen „Verfahrens-“ und „Alltag-
sethik“ ist eine kontinuierliche Reexion der
Forscher*innen sowohl über die Forschungssi-
tuation als auch über ihre eigene Positionierung
entscheidend.
Funding Acknowledgement. is research is con-
ducted as part of the PERCEPTIONS H2020
project which has received funding from the Eu-
ropean Union’s H2020 research & innovation
programme under Grant Agreement No. 833870.
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50
Phase Schritt Massnahme
Bei Projektstart 1Etablierung grundlegender ethischer Prinzipien
2Identikation relevanter Gesetze, Vorschriften und
Richtlinien
3
Optional: Erstellung einer Erklärung zur Einhaltung ethi-
scher und rechtlicher Vorschriften auf der Grundlage der
Schritte 1 & 2
4 Etablierung grundlegender Datenschutzprinzipien
5Erstellung von Anonymisierungs- und Pseudonymisie-
rungsprotokollen
6
Etablierung eines System zur Trennung von anonymen/
pseudonymen Forschungsdaten von persönlich identizier-
baren Informationen
7Optional: Erstellung von Datenverarbeitungsverträgen
basierend auf den Schritten 4, 5 & 6
8Optional: Erstellung eines Verfahrens zur Datenschutz-
Folgenabschätzung basierend auf Schritt 4, 5 & 6
Vor der Datenerhebung 9Identizierung der zuständigen institutionellen und natio-
nalen Ethikbehörden
10 Durchführen einer Ethik-(Selbst-)Beurteilung
11 Identizierung potenzieller Gefahren für Forscher*innen
und Teilnehmer*innen
12 Festlegung von Ausschlusskriterien für Forschungsstand-
orte und Teilnehmer*innen
13 Identizierung von Ressourcen zur Unterstützung von
Forscher*innen und Teilnehmer*innen
14 Erstellen klarer und verständlicher Informationsblätter in
mehreren Sprachen und Formaten
15
Erstellung von detaillierten schriftlichen und/oder münd-
lichen Einwilligungserklärungen unter Berücksichtigung
insbesondere der Art. 9 und 13 GDPR
16 Erstellung einer Richtlinie für Zufallsfunde
Während der
Datenerhebung
17 Überwachung der Verwendung von Sekundärdaten
18 Überwachen der Nutzung von Social-Media-Daten
19 Überwachen der Feldarbeit (z. B. "ethisch wichtige Mo-
mente" aufzeichnen)
20 Überwachung der Datenverarbeitung und -übermittlung,
insbesondere in Drittländern
Nach der
Datenerhebung 21
Identizierung potenziell nützlicher und schädlicher Ver-
wendungen der gesammelten Daten, Berücksichtigung der
Auswirkungen der Verbreitung und Ergreifen von Maß-
nahmen zur Aufteilung des Nutzens, wo dies möglich ist
22 Einhalten von Verpichtungen gegenüber
Teilnehmer*innen/Stakeholdern
Tab. 1. Ethik-Checkliste
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51
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m&z 3/2021
53
James EDWARDS
PhD, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Berater am SINUS-Institut in Berlin. Nach seiner
Promotion in Systematischer Musikwissenschaft an der UCLA forschte er an der Okina-
wa International University und unterrichtete am Lewis & Clark College bevor er zu SINUS
wechselte. Dort konzentriert er sich auf die Entwicklung von Methodenkompetenzen. Sein
besonderes Interesse gilt quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden, soziotech-
nischen und sozioökologischen Systemen sowie der Entstehung und dem Wandel von
marktwirtschaftlichen Gesellschaften.
Diotima BERTEL
Mag.a., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektkoordinatorin bei SYNYO GmbH. Sie
studierte Kommunikationswissenschaft, Philosophie und vergleichende Literaturwissen-
schaft. In ihrer Forschung konzentriert sie sich auf die Überschneidung von Wissenschaft,
Gesellschaft und Technologie, die sozialen und gesellschaftlichen Auswirkungen von Tech-
nologie sowie die individuellen und gesellschaftlichen, ethischen und epistemologischen
Implikationen von Technologie. Sie forscht in nationalen und europäischen Forschungspro-
jekten, unter anderem den EU-geförderten H2020 Projekten PERCEPTIONS und COVINFORM.
Fiona SEIGER
PhD, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Erasmus Universität Rotterdam. Ausgebildet
als Soziologin an der National University of Singapore, beschäftigt sie sich seit mehr als
einem Jahrzehnt mit dem Thema der Migration. Nach vielen Jahren der Forschung und Lehre
in Singapur, Japan, und auf den Philippinen, kehrte Fiona 2016 nach Europa zurück und ist
seitdem in europäische Forschungsprojekte (CrossMigration, PERCEPTIONS) involviert.
Jochen RESCH
MA, studierte Ethnologie und Erziehungswissenschaft an der Ruprecht-Karls-Universität
in Heidelberg. Während seines Studiums absolvierte er eine Ausbildung als Fotograf, ge-
wann mit Fotograen einer Forschungsreise unter anderem den ersten Preis eines Foto-
wettbewerbs des GEO Magazins und stellte seine Bilder international aus. Vor seiner Zeit
bei SINUS war er freier Marktforscher im Bereich FMCG bei der Gesellschaft für innovative
Marktforschung in Heidelberg. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich ethnogra-
scher Lebensweltstudien im Kontext Flucht und Migration sowie bei den Themen soziale
Kohäsion, Wohnen und Energie. Seit 2021 ist er als stellvertretender Direktor des Instituts
insbesondere für die qualitative Methodik zuständig.
ISSN 0259-7446
EUR 6,50
Thema
Revolution und Medien
Alternative Medien und digitalisierte
Gegenöffentlichkeiten
Ricarda Drüeke & Elke Zobl
What was Guerrilla Media?
Michael Goddard
AUF und an.schläge,
Frauensolidarität, fiber und Co
Brigitte Geiger
Ethische Überlegungen zur Forschung
mit vulnerablen Gruppen
James Edwards, Diotima Bertel,
Fiona Seiger & Jochen Resch
HerausgeberInnen
Christina Krakovsky & Erik Bauer
medien
3/2021
3/2021
zeit
zeit
medien &
&
Kommunikation in Vergangenheit und Gegenwart
Jahrgang 36
Research
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https://www.perceptions.eu/supporting-ethical-migration-research/ This policy brief aims to provide funding bodies with practical tools to anticipate and mitigate the risks associated with international migration research projects that combine traditional social research methods with social media analytics. Since 2015, migration has become an increasingly popular topic of research, with many funding programmes aiming at increasing our understanding of migration phenomena to inform policymaking in this area. Funding programmes often build on international and multidisciplinary consortia and use mixed-methods approaches to better grasp this complex phenomenon. However, migration research is a highly political and sensitive area, which carries multiple ethical challenges that are not always fully anticipated when designing and monitoring funding programmes. Building on the European Commission-funded project PERCEPTIONS, this policy brief highlights key points of vigilance when it comes to funding such types of migration research programmes. Ethical challenges are first outlined in relation to incidental findings, informed consent, profiling, bias, data sharing, and ethical approval procedures. Concrete recommendations are then provided for establishing processes that ensure that ethical issues are addressed and mitigated in a way that does not limit the development of research projects.
Article
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Spatial metaphors have long been part of the way we make sense of media. From early conceptualizations of the internet, we have come to understand digital media as spaces that support, deny or are subject to different mobilities. With the availability of GPS data, somatic bodily movement has enjoyed significant attention in media geography, but recently innovations in digital ethnographic methods have paid attention to other, more ephemeral ways of moving and being with social media. In this article, we consider three case studies in qualitative, “small data” social media research methods: the walkthrough, the go-along and the scroll back methods. Each is centred on observing navigational flows through app infrastructures, fingers hovering across device surfaces and scrolling-and-remembering practices in social media archives. We advocate an ethnography of ephemeral media mobilities and suggest that small data approaches should analytically integrate four dimensions of mediated mobility: bodies and affect, media objects and environments, memory and narrative, and the overall research encounter.
Book
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Dieses Buch ist eine Open-Access-Publikation unter einer CC BY 4.0 Lizenz. Wie leben und erleben junge Geflüchtete ihren Alltag in Deutschland? Wie stehen sie zur Aufnahmegesellschaft und welche Zukunft sehen sie für sich, insbesondere mit Blick auf den Arbeitsmarkt? Diesen und weiteren Fragen geht die SINUS-Studie qualitativ-empirisch nach. Dabei lässt sie die Jugendlichen in Form von zahlreichen Zitaten zu Wort kommen. Der Inhalt Untersuchungsanlage und Auswertungsmethodik ● SINUS-Mindsets von jugendlichen Geflüchteten im Alter von 14 bis 17 Jahren ● Berufsorientierung jugendlicher Geflüchteter ● Bedeutung des Themas Berufsorientierung ● Berufswünsche ● Motive der Berufswahl ● Kenntnisse über das (Aus-)Bildungssystem ● Ansprechpartner und Informationsquellen ● Informationsbedarfe ● Erfahrungen und Kompetenzen ● Bewertung des Schulsystems und Unterstützung durch die Schule Die Autoren Dr. Marc Calmbach, Director Research & Consulting, SINUS Markt- und Sozialforschung GmbH. Dr. James Rhys Edwards, Research & Consulting, SINUS Markt- und Sozialforschung GmbH.
Chapter
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The interview in its various forms, applications and methods of analysing data remains a central tool in qualitative research. For migration studies, this method has proved indispensable, especially when researching vulnerable groups of people on the move, and collecting data about various aspects of irregularity, grey economic activities, and the autonomy and agency of mobile people. The interview is, however, being increasingly used in policy research, elite research, and to obtain expert opinion in various forms of qualitative research. Interviews are also essential to scholarly endeavours that pursue collaborative knowledge production and participant research. As a method, various forms of interview allow for the unveiling of knowledge which otherwise remains under the radar of formal surveys and other more standardized data collection forms. Additionally, forms such as biographical and life story interviews, or unstructured interviews, generate space for the respondent to actively direct the research inquiry, and for the researcher to map out areas not originally foreseen. Among the most contested aspects of the interview remains its interpretation through processing and presenting the data collected this way. Our chapter will therefore examine examples of exploring ways to present rich data collected through interviews, and discuss its potential for European migration studies.
Chapter
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In this chapter we present some of the challenges and issues that resulted out of several research projects involving migrants in vulnerable situations. We believe that the ‘lessons learned’ are suited to contribute to the design of new research that will have to deal with similar challenges.
Chapter
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Case selection, or sampling, is central for social scientific knowledge production, as the question of which people or incidents to include in a study largely influences the validity and generalization of results. In contrast to random methods of sampling, the purposive character of case selection in qualitative re-search requires researchers reflecting systematically on which cases to select for their research. Most importantly researchers need to constantly ask themselves: What is the case a case of? Qualitative methodology suggests different strategies to identifying cases which are appropriate for specific research topics, designs and theoretical perspectives. This chapter presents some guidance by cataloguing dif-ferent types of case selection, i.e. purposive sampling, snowball sampling, theoret-ical sampling, and matched sampling, and their application in selected empirical studies in migration research. Moreover, this chapter discusses the merits and dis-advantages of these methods, in particular in relation to the previously addressed critiques toward migration research, most importantly methodological nationalism and overemphasizing ethnicity.
Article
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How do we conduct ethically sound social research in less- or non-democratic settings? Here, the ‘ethical guidelines,’ or ‘codes of conduct’ outlined by our professional organizations provide some, albeit only insufficient guidance. In such contexts, issues like informed consent or the avoidance of harm to research participants have to be – based on a careful analysis of the situation on the ground – operationalized. What are, considering the particular social and political context in the field, the potential risks for interviewees and the researcher, and what can be done to eliminate or at least mitigate these risks? Reflecting on extensive fieldwork on the role of the prodemocracy movement during the Egyptian Uprising of 2011 in the wake of the so-called ‘Arab Spring,’ this study illustrates how rather abstract ethical considerations can be handled practically in an environment that is characterized by increasing levels of political repression and decreasing civil liberties. It is in such contexts that a failure to carefully consider such ethical questions entails a very real risk of endangering the livelihoods and even lives of research participants. Furthermore, it is shown that these and similar issues are not only of critical importance when designing a research project, but that they might have to be revisited and renegotiated at later stages of the research process – even after the conclusion of the data collection phase. Here, questions of data protection, anonymity of informants, and the associated ‘do no harm’ principle are particularly pertinent.
Article
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How do we carry out research with refugees? This paper provides reflections on some of the key ethical questions surrounding fieldwork on forced migration. The aim is to bring together multi-disciplinary debates on research ethics; in lieu of stating presumably neutral, objective and universally applicable answers, the paper critically discusses guiding principles and practical issues, and proposes ways forward in order to spark further discussions. For that, a paired view on research ethics is used, as a code of conduct for scholars as well as a framework for normative scrutiny of research in a broader sense. Subjects in this paper include harm in and due to fieldwork with a proposed Do No Harm analysis to minimise risks; relations and responsibilities of researchers to participants and among research teams with reflections on participatory approaches; transfer of results with scholars and humanitarian agencies but also with participants; and benefits of interdisciplinary platforms for exchange to openly address difficulties and opportunities in ‘the field’.
Article
Boston College’s Burns Library established a project in 2001 which archived over 200 interviews with two non-state armed groups in Northern Ireland in order to collect primary data on the Northern Ireland conflict before the death of some of the key armed actors. Interviews were confidential and embargoed till the death of the informants. Following the deaths of two of the interviewees, and a third interviewee revealing her participation to the press, the project director published a book and made a television documentary based on their interviews. Subsequently, the police in Northern Ireland requested access to the interviews under the United States-United Kingdom Mutual Legal Assistance Treaty (MLAT). Initial legal resistance by Boston College and protracted legal resistance by project director and researchers proved unsuccessful. Based on interviews handed over by Boston College to the authorities, one interviewee has been charged with soliciting a murder, and a second with two murders. A film based on videoed interviews with a third interviewee was released after her death. This article considers the implications of the Boston College project for academic research in times of conflict and the ethical, methodological and political implications for future research focused on non-state armed actors.
Chapter
This chapter examines the ethical and moral dilemmas present in conducting research within vulnerable populations. In particular, we explore the process of conducting interviews with trafficking victims that identify as transient minor sex workers. In light of the primary responsibility to ‘first, do no harm’, investigating the variety of unintended negative consequences implicit in data collection and presentation is a process that is both tedious and engaging. Experience and literature are employed in analysing the threats to the physical, social, and psychological integrity of all participants in this project, including the researcher, the subjects, the sponsoring institution(s), and the audiences.