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Abstract

Der Klimawandel ist in Mitteleuropa längt angekommen ¬ mit bereits deutlich spürbaren Auswirkungen auf den Weinbau. Hinweise darauf, wie die Entwicklung weitergeht und worauf die Winzer sich einstellen müssen, können bereits jetzt messbare Trends geben. Dr. Daniel Molitor und Dr. Jürgen Junk vom Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST) haben daher gemeinsam mit Mareike Schultz vom Institut Viti-vinicole in Remich (Luxemburg) vom Weinbauinstitut Remich systematisch aufgezeichnete Wetterdaten aus den letzten fünf Jahrzehnten analysiert und mit Blick auf den Weinbau in Luxemburg bewertet. Den ersten Teil ihrer Ergebnisse, der sicherlich auch als repräsentativ für die rheinland-pfälzischen Anbaugebiete angesehen werden kann, gibt der folgende Beitrag wieder.
Weinbau
Die Winzer-Zeitschrift Januar 2022
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Der Klimawandel ist in Mitteleuropa längt ange-
kommen ¬ mit bereits deutlich spürbaren Auswir-
kungen auf den Weinbau. Hinweise darauf, wie
die Entwicklung weitergeht und worauf die Win-
zer sich einstellen müssen, können bereits jetzt
messbare Trends geben. Dr. Daniel Molitor und
Dr. Jürgen Schunk vom Luxembourg Institute of
Science and Technology (LIST) haben daher
gemeinsam mit Mareike Schultz vom Institut
Viti-vinicole in Remich (Luxemburg) vom Wein-
bauinstitut Remich systematisch aufgezeichnete
Wetterdaten aus den letzten fünf Jahrzehnten
analysiert und mit Blick auf den Weinbau in
Luxemburg bewertet. Den ersten Teil ihrer Ergeb-
nisse, der sicherlich auch als repräsentativ für
die rheinland-pfälzischen Anbaugebiete ange-
sehen werden kann, gibt der folgende Beitrag
wieder.
Die Entwicklung der Weinreben wird von den
klimatischen Bedingungen bestimmt – in
besonderen Maße von der Lufttemperatur.
Bereits geringe Änderungen der Temperatur-
bedingungen in der Vegetationsperiode wirken
sich daher direkt auf die wärmeliebenden Reben
und ihre Entwicklung aus. Entsprechend waren
in den letzten Jahren in den Weinbergen des
luxemburgischen Weinbaugebiets (Moseltal
zwischen Schengen und Wasserbillig) die Folgen
des Klimawandels bereits deutlich wahrnehm-
bar.
Für den Standort Remich liegen seit 1970 ununter-
brochene, systematische Wetteraufzeichnungen
der inzwischen von der Administration des ser-
vices techniques de l’agriculture (ASTA) betriebe-
nen Wetterstation am Weinbauinstitut vor. Darü-
ber hinaus berichtet seit mindestens 50 Jahren
(teilweise deutlich weiter zurückreichend) das
jährlich erscheinende «Weinjahr» (online abrufbar
unter https://agriculture.public.lu/de/weinbau-
oenologie/publikationen/online-archiv.html)
umfassende statistische Daten zum Luxemburger
Weinbau hinsichtlich Rebphänologie, Erträgen,
Erntemostgewichten und vielem mehr. Der aktu-
elle Eintritt in die dritte Dekade des 21. Jahrhun-
derts bietet also eine ideale Gelegenheit, sich die
klimatischen Veränderungen der letzten fünf Jahr-
zehnte und deren Auswirkungen auf den Weinbau
in Luxemburg genauer anzusehen.
Die Datengrundlage für die Analysen bilden die:
Tagestemperaturmaxima, -minima und -mittel-
werte sowie Tagesniederschlagssummen am
Standort Remich in den Jahren 1970-2020.
Beobachtungen der Lokalbeobachter zum Ein-
treten der phänologischen Entwicklungssta-
dien Austrieb (BBCH 09), Blütebeginn (25% der
Blütenkäppchen abgeworfen) und Reifebeginn
(BBCH 81) in mittelfrühen Lagen des luxembur-
gischen Weinbaugebietes bei der Rebsorte
Rivaner in den Jahren 1972 bis 2020.
Aufzeichnungen zum Lesebeginn sowie zu den
durchschnittlichen Mostgewichten und Ge-
samtsäuregehalten (als Weinsäure) der am
Weinbauinstitut analysierten Moste der Reb-
sorte Rivaner in den Jahren 1972 bis 2020.
Wärmegenuss und Anbaueignung
Die Anbau- und Sorteneignung eines Weinbauge-
biets wird häufig durch den heliothermischen In-
dex nach Huglin (1978) (auch Huglin-Wärmesum-
menindex oder kurz Huglin-Index) beschrieben.
Dieser berechnet die Summe der effektiven Tages-
temperaturen [(Tagesmitteltemperatur + Tages-
maximum)/2] über einer Temperaturschwelle
von 10 °C für jeden Tag zwischen dem 1. April
und dem 30. September eines Jahres. Per Defini-
tion wird der Indexwert eines Tages auf 0 gesetzt,
wenn dieser einen negativen Tageswert auf-
weist (Baciocco et al., 2014). Die berechnete
Summe wird mit einem Faktor für Tageslänge
(zunehmende Tageslänge in den Sommermonaten
mit steigender geographischer Breite) multi-
pliziert. Im Bereich zwischen dem 48. und 50.
Breitengrad, also in den Breiten des Luxemburger
Weinbaus (Remich: 49.54° nördlicher Breite) be-
trägt dieser Faktor 1,06 (Huglin, 1978).
Gemäß Huglin (1978) ist
die für einen langfris-
tig erfolgreichen Anbau
(Erreichen oder Über-
schreiten eines Mostge-
wichts von ca. 70 bis
ca. 80 °Oechsle) benötig-
te Wärmesumme reb-
sortenabhängig. Huglin
(1978) schlägt daher
eine Einteilung der Reb-
sorten nach ihrem mini-
mal benötigten Wärme-
bedarf vor. Das untere
Limit für die erfolgreiche
Kultivierung von Reben
sieht Huglin (1978) bei
einem Index-Wert von
1.500, was dem der Reb-
sorte Müller-Thurgau
(syn. Rivaner) entspricht.
Die Werte des Huglin-
Wärmesummenindex für
den Standort Remich
(mittlere Lagengüte) in
den letzten fünf Dekaden
zeigen, dass in den
1970er und 1980er Jah-
ren die Wärmesummen
häufig unterhalb der
Grenzwerte für die Reb-
sorte Müller-Thurgau,
der meist angebauten
Sorte im Luxemburger
Weinbaugebiet, lagen. Wärmesummen, wie sie
für einen erfolgreichen Anbau der Qualitätssorten
Pinot blanc oder Pinot gris notwendig sind,
wurden nur in wenigen Jahren mit günstigen
klimatischen Bedingungen, wie den Jahrgängen
1975, 1982 und dem Jahrhundertjahrgang 1976
erreicht. Dies bedeutet, dass die Trauben in den
1970er und 1980er Jahren häufig nicht zur Vollreife
gelangten, bzw. dies nur in den klimatischen
Gunstlagen, wie den südexponierten Steillagen in
Flussnähe oder nur durch besondere Anstrengun-
gen der Winzer (Kulturmaßnahmen, Ertragsbe-
grenzung, späte Lese) möglich war. Auffallend
niedrige Werte des Huglin-Indexes (< 1.300) wur-
den in den Jahren 1972, 1977, 1978, 1980 und 1984
erzielt – allesamt Jahrgänge, die durch geringere
Qualitäten in die Weinchroniken eingegangen
sind.
Erst in den 1990er Jahren überschritt der heliother-
mische Index in 9 von 10 Jahren den Schwellenwert
für den erfolgreichen Anbau für Müller-Thurgau
und erreichte im Durchschnitt des Jahrzehnts die
Schwelle zum Anbau der weißen Pinot-Sorten –
welche sich inzwischen als Leitsorten für das
Luxemburger Weinbaugebiet etabliert haben. Seit
der Jahrtausendwende wurde in allen 20 Jahren
die Schwelle für den Müller-Thurgau-Anbau über-
schritten. Nur in 3 Jahren seit 2001 wurde die
1.600er Schwelle für den erfolgreichen Pinot
blanc-Anbau nicht erreicht. Im Dekadenmittel der
2000er und 2010er Jahre lag der heliothermische
Index jeweils mehr als 100 Punkte über dem
Schwellenwert für die Rebsorten Riesling und
Klimawandel im Luxemburger
Weinbau – Teil 1
Abbildung 1: Entwicklung des heliothermischen Index nach Huglin
(1978) in den vergangenen fünf Dekaden am Standort
Remich (Boxplots) sowie die Rebsorteneignung (farbige
Balken). Die Boxplots stellen die Mediane sowie die 25%-
und 75%-Perzentilen des jeweiligen Jahrzehnts dar; die
Whiskers beschreiben die jeweiligen absoluten minimalen
und maximalen Werte.
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Pinot noir. In den Jahrgängen 2003 und 2018 wäre
auch in Luxemburg die erfolgreiche Kultivierung
wärmeliebender Rebsorten wie Grenache oder
Syrah möglich gewesen. Die letzten sieben Jahr-
gänge in Folge (2014 bis 2020) erreichten jeweils
Index-Werte über dem des (damals als solchen
empfundenen) Jahrhundertjahrgangs 1976 (Ab-
bildung 1).
Niederschläge und
deren Verteilung
Beim Blick auf die Jahresniederschlagssummen ist
der Einfluss des Klimawandels weniger direkt ab-
zulesen als beim Wärmegenuss. Lag die Jahresnie-
derschlagssumme in den 1970er Jahren bei durch-
schnittlich 722 mm wurden im vergangenen Jahr-
zehnt eine durchschnittliche Jahresniederschlags-
summe von 708 mm gemessen. D. h. die Summe
des Jahresniederschlags hat sich nicht grundle-
gend verändert.
Auffällig ist jedoch, dass zwischen den 1970er
und den 2010er Jahren in den Sommermonaten
Juli bis September ein Rückgang von durch-
schnittlich 194 mm auf durchschnittlich 155 mm
festzustellen ist. Dahingegen blieben die Nieder-
schlagssummen in den anderen Jahreszeiten in
etwa gleich oder stiegen leicht an. Die geringeren
Sommerniederschläge in Kombination mit höhe-
ren Verdunstungsgraden aufgrund der höheren
Temperaturen hat gerade zu Ende des vergan-
genen Jahrzehnts häufig in jüngeren Weinbergen
und/oder auf flachgründigen Standorten zu teil-
weise deutlich sichtbaren und für Ertrag und Wein-
qualität abträglichen Trockenstresssituationen
geführt.
Regionale Klimaprojektionen für das Luxemburger
Weinbaugebiet lassen auch in der Zukunft einer
weitere Veränderung der Niederschlagsverteilung
im Laufe des Jahres sowie ein verstärktes Auftre-
ten von extremen Niederschlagsereignissen und
längeren Trockenphasen erwarten (Goergen et
al., 2013). Gerade Extremniederschlagsereignisse
und Hagel stellen eine besondere Gefährdung für
den Weinbau dar – durch direkte Schädigung der
Trauben oder Erosion des fruchtbaren Ober-
bodens. Weiterhin führen Extremniederschlags-
ereignisse zu einem starken oberflächigen Ab-
fluss (besonders in hängigem Gelände), so dass
(trotz vergleichbarer Niederschlagssummen) die
Wassermenge, welche die Rebwurzeln erreicht,
geringer ist als bei Landregenereignissen mit einer
kontinuierlichen Wasserzufuhr über einen länge-
ren Zeitraum.
Die zunehmende Unsicherheit und der Trend zu
extremen Wetterkonstellationen zeigt sich beim
Blick auf die Niederschlagssummen des Monats
Juli der letzten 4 Jahre. Wurden in Remich in den
trockenen Jahren 2018, 2019 und 2020 nur 5,6,
17,3 bzw. 10,4 mm im Monat Juli erfasst, lag die
Niederschlagssumme im Juli 2021 mit 206,5 mm
um jeweils mehr als das 10-fache höher als in den
drei vorangegangenen Jahren und markierte die
höchste Juli-Niederschlagssumme seit Messbe-
ginn.
Spätfrost-Gefährdung
Der Temperaturanstieg verfrüht im Mittel den Aus-
triebstermin der Reben. Dies lässt auf den ersten
Blick eine höhere Wahrscheinlichkeit von Froster-
eignissen und entsprechenden -schäden nach
dem Austrieb vermuten. Ein Blick auf die Statistik
zeigt allerdings, dass sich – bedingt durch die ins-
gesamt höheren Temperaturen im Frühjahr – auch
der Termin des letzten Frühjahrsfrostereignisses
tendenziell in Richtung des Jahresbeginns ver-
schoben hat (Abbildung 2). Während das letzte
Frostereignis im Frühjahr in den 1970er Jahren im
Mittel am 108. Tag des Jahres beobachtet wurde,
fand dieses in der ersten Dekade des neuen Jahr-
tausends im Mittel 13 Tage früher statt (Abbildung
3). Vergleicht man diese Verfrühung (13 Tage) mit
der Verfrühung des Austriebs für die gleichen Zeit-
räume (10 Tage) so wird deutlich, dass sich die zeit-
liche Distanz zwischen dem letzten Frostereignis
und dem Austrieb im Mittel zwischen den 1970er
und den 2000er Jahren vergrößert (Molitor and
Junk, 2011).
Leider brachten die 2010er Jahre eine deutliche
Abkehr von diesem Trend zu reduzierter Spätfrost-
gefährdung. Lagen in den 2000er Jahren zwischen
dem letzten Frostereignis und dem Austrieb im
Mittel 22 Tage und in keinem Jahr wurden Tempe-
raturen unter 0 °C am Standort Remich nach dem
Austrieb registriert, verringerte sich das Zeitfens-
ter zwischen letztem Frost und Austrieb auf durch-
schnittlich vier Tage; in vier der zehn 2010er Jahre
wurde Frost nach dem Austrieb registriert (Abbil-
dung 3). Diese Zahlen spiegeln die Beobachtung
in der Praxis mit teilweise dramatischen Spätfrost-
schäden, z. B. im Jahre 2019 und den daraus fol-
genden deutlich reduzierten Erträgen wider. Nicht
so massiv und flächendeckend wie 2019, jedoch
kleinräumig waren im 2010er Jahrzehnt fast in
jedem Jahr zumindest in den bekannten „Frostlö-
chern“ des Gebiets Spätfrostschäden verschieden
starker Ausprägung zu beobachten. Projektionen
basierend auf regionalen Klimamodellen deuten
dagegen mittel- und langfristig eine abnehmende
Spätfrostneigung in den kommenden Jahrzehnten
an (Molitor and Junk, 2014). Es bleibt also zu hof-
fen, dass das 2010er Jahrzehnt hinsichtlich der
Spätfrostgefährdung eine Ausnahme darstellt
und sich das projizierte abnehmende Spätfrost-
risiko bewahrheitet.
In der nächsten Ausgabe der DWZ erscheint Teil 2
des Berichts, der sich mit den Auswirkungen des
Klimawandels auf die phänologische Entwicklung
der Reben, auf die Sonnenbrandgefährdung und
auf die Weinqualität beschäftigt.
Abbildung 2: Tage des Jahres des Austriebs der Rebsorte Rivaner (grüne
Fläche) im Luxemburger Weinbaugebiet und des Auf-
tretens des letzten Frostereignisses (rote Linie) in Remich
in den Jahren 1972 bis 2020. Jahre in den denen das letzte
Frostereignis nach dem Austrieb erfasst wurde, sind mit
ihrer Jahreszahl in der Abbildung ersichtlich.
Abbildung 3: Termine des Austriebs im Luxemburger Weinbaugebiet
sowie des letzten Frostereignisses am Standort Remich im
Frühjahr in den letzten fünf Dekaden. Die Boxplots stellen
die Mediane sowie die 25%- und 75%-Perzentile dar, die
Whiskers beschreiben die jeweiligen absoluten minimalen
und maximalen Werte.
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