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Freitag, 10. Dezember 2021 Nummer 49 · Holz-Zentralblatt · Seite 881
Musikinstrumente
Von Volker Haag
1
, Valentina Zemke
1
, Swati Tamantini
1
und
Panagiotis Poulopoulos
2
, Hamburg/München
n Rom, etwa 1500 m Luftlinie vom
berühmten Amphitheatrum No-
vum, besser bekannt als „das Kolos-
seum“, befindet sich der Palazzo Barbe-
rini. Der Barockpalast einer der ein-
flussreichsten Florentiner Kaufmanns-
familien ihrer Zeit wurde in den Jahren
1625 bis 1638 erbaut und vermittelt ein-
drucksvoll den Reichtum und Wohl-
stand, in dem die Barberinis dieser Zeit
gelebt haben – und lässt die Geltung
dieser Familie auf das Weltgeschehen
ihrer Zeit erahnen. Von 1623 bis 1644
war beispielsweise Maffeo Barberini
I
Wissenschaftler des Thünen-Instituts für Holzforschung in
Hamburg untersuchten eine berühmte, fast 400 Jahre alte Har-
fe mit neu entwickelten, zerstörungsfreien Methoden der Holz-
artenidentifizerung. Die Untersuchung ist Teil eines groß ange-
legten, interdisziplinären Forschungsprojektes mit dem Ziel ei-
ner Rekonstruktion dieses einzigartigen Instruments.
Untersuchungen an einem Meisterwerk aus dem Jahr 1630
Das Barberini-Harfen-Projekt
(1568 bis 1644) als Urban der VIII.
Papst der katholischen Kirche und so-
mit einer der mächtigsten Männer Eu-
ropas.
Auf einem Gemälde von Giovanni
Lanfranco, die Allegoria della Musica
(~1630), im Palazzo Barberini wird die
römische Göttin Venus an einer reich
verzierten, dreireihigen Harfe darge-
stellt. Die opulente goldene Säule der
Harfe wird von einer Krone aus Bienen
geschmückt – eine Referenz an das Fa-
milienwappen der Barberinis (Abbil-
dungen 1 und 10).
Das Original dieser Harfe, die Lan-
franco seinerzeit künstlerisch verewig-
te, existiert heute noch und ist der Stolz
des Museo Nazionale degli Strumenti
Musicali in Rom. In der Kunst- und Mu-
sikwelt ist sie vor allem als Barberini-
Harfe bekannt. Da weltweit kein ver-
gleichbares erhaltenes Exemplar einer
italienischen Barockharfe existiert, gilt
sie nicht nur als das schönste, sondern
in ihrer Einzigartigkeit auch das interes-
santeste Modell.
Sie wurde von den Barberinis in Auf-
trag gegeben, von Girolamo Acciari et-
wa um das Jahr 1630 gebaut und von
den berühmtesten Harfenisten ihrer
Zeit gespielt (Granata 2015). Die Ein-
zigartigkeit der Barberini-Harfe zeigt
auf eindrucksvolle Weise eine Symbio-
se aus künstlerischem, plastischem und
musikalischem Können, welches bei
ihrem Bau Umsetzung fand: ein Zu-
sammenwirken verschiedener Diszipli-
nen.
Projekt Barberini-Harfe
Aufgrund der Besonderheit des In-
struments hat die international renom-
mierte Harfenistin Margret Köll 2016
das „Projekt Barberini-Harfe“ ins Le-
ben gerufen. „Das umfangreiche Projekt
basiert auf einem groß angelegten inter-
disziplinären Forschungsprojekt sowie
der Zusammenarbeit von Musikern,
Theoretikern, Künstlern und Wissen-
schaftlern. Das Projekt umfasst ein
Symposium, die Recherche für eine
mögliche Rekonstruktion des Musikin-
strumentes, eine digitale Publikation so-
wie ein Filmprojekt. Das Symposium
wurde 2016 von Margret Köll und dem
Österreichisch Historischen Institut in
Rom organisiert, als Reaktion auf die
Arbeit von Adam Lowe und seinem
Team von Factum Arte (Madrid), wel-
che die Barberini-Harfe mittels Photo-
grammetrie in höchster Auflösung ge-
scannt haben (2016). Mit einer digitalen
Publikation und der Kombination von
Kunst, Wissenschaft und Technologie
ist das Projekt darauf angelegt, umfas-
sende Kenntnisse über die Barockharfe
im Hinblick auf ihre Geschichte, ihre
Auffassung und Interpretation zu lie-
fern.“ (Köll, 2021)
Ziel der Photogrammetrie war es,
möglichst viele Bilder der Harfe aus al-
len Blickwinkeln und mit einer Über-
lappung von 90 % aufzunehmen, die
dann verarbeitet und durch Software
übersetzt werden, um ein genaues 3D-
Modell der Harfe zu erstellen. Gold be-
reitet bei fotografischen Aufnahmen
Probleme, und so wurde das Instrument
mit kreuzpolarisierten Filtern aufge-
nommen.
Im Kontext der Projektorganisation
wurde Margret Köll mit Blick auf eine
authentische Rekonstruktion des In-
struments auf eine Reihe von Studien
des Thünen-Instituts für Holzforschung
in Hamburg aufmerksam. Dort beschäf-
tigen sich aktuelle Untersuchungen mit
einer 3D-basierten und zerstörungsfrei-
en Mikroskopie-Methode zur Identifi-
zierung der Holzarten. Im Rahmen der
hier beschriebenen Methode wurden
bereits im Jahr 2017 historische Instru-
mente im berühmten Museu de la Músi-
ca in Barcelona (Spanien) untersucht
(Abbildung 3). Zu den Untersuchungs-
objekten gehörten hier u. a. drei origina-
le „Torres-Gitarren“, die vom berühm-
ten Designer der ersten Akustikgitarren,
wie wir sie heute kennen, Antonio de
Torres (1817 bis 1892), von Hand gefer-
tigt wurden.
Holzart zerstörungsfrei
bestimmen
Für die Untersuchung der Barberini-
Harfe gaben die Thünen-Forscher eben-
falls ihre Zusage und reisten für die Un-
tersuchung mit ihrem umfassenden
Equipment nach Rom. Auf dem Weg
dorthin erhielten die Hamburger Wis-
senschaftler Unterstützung vom Deut-
schen Museum in München, um ihre
mikroskopische Untersuchungsmetho-
de dort erstmalig an einer Harfe anzu-
wenden – unter geschützten Bedingun-
gen in Räumen, die nicht für die Muse-
umsöffentlichkeit zugänglich sind. In
München wurden sie von Dr. Panagio-
tis Poulopoulos, einem erfahrenen Ex-
perten im Feld historischer Harfen, bei
der Untersuchung der Érard-Harfe (Er-
ard, London, 1818, Seriennummer:
2631 Deutsches Museum München,
Inv. Nr.: 16147) unterstützt und tech-
nisch beraten.
Eine auf 3D-Technologie basierende
Untersuchung wie bei den Gitarren in
Barcelona ist nur dann möglich, wenn
die Oberflächen der Instrumente eine
Untersuchung an farbfreien Komponen-
ten ermöglichen. Häufig finden sich sol-
che Stellen an Oberflächen, die durch
intensive Nutzung oder Körperkontakt
entstehen, beispielsweise am Hals einer
Gitarre oder Geige. Bei der Érard-Harfe
in München bot sich eine solche geeig-
nete Position am sogenannten „Knie“
(Abbildung 4) an, d. h. dem Bereich zwi-
schen Hals und Korpus, der bei Harfen-
spielern am Hals abgelegt wird.
In Rom angekommen, wurde die
Oberfläche der Barberini-Harfe zu-
nächst im Rahmen einer Voruntersu-
chung vollständig auf geeignete Flächen
untersucht, die ähnlich wie beim „Knie“
der Érard-Harfe eine mikroskopische
Untersuchung erlaubten. Bei der Barbe-
rini-Harfe war der erste Eindruck je-
Abbildung 2 Bereits kurz nach Bau der Barberini-Harfe verewigte der italienische
Maler Giovanni Lanfranco das Instrument in einer Darstellung mit der römischen
Göttin Venus. Foto: Armin Linke
Abbildung 3 Untersuchung von historischen Gitarren in
Barcelona
Die Autoren sind Mitarbeiter des Thü-
nen-Instituts für Holzforschung in Ham-
burg.
Dr. Panagiotis Poulopoulos arbeitet am
Forschungsinstitut für Technik- und Wis-
senschaftsgeschichte am Deutschen Mu-
seum in München.
Abbildung 4 Untersuchung der Érard-
Harfe in München
Abbildung 7 Aufnahme der Rückseite vom Harfenkorpus mit stark vergrößerten
Detailaufnahmen, die Lackabplatzungen zeigen. Eine Restaurierung bzw. erneute
Lackierungen verhindern die direkte Observation der Holzoberfläche.
Abbildung 8 Mikroskopischer Querschnitt der Holzoberfläche, die an der Säule
der Barberini-Harfe untersucht werden konnte (links). Rechts dazu im Vergleich ei-
ne schematische Darstellung, in der die halbringporige Verteilung der Gefäße in-
nerhalb eines Jahrrings (siehe Pfeile) deutlich wird.
Abbildung 1 Ein Meisterwerk des
Musikinstrumentenbaus aus dem Jahr
1630 – die Barberini-Harfe von Girola-
mo Acciari Fotos: Thünen-Institut
Abbildung 5 Mikroskopische Untersuchung der Oberfläche
der Barberini-Harfe mit einem abnehmbaren Objektiv des
3D-Auflichtmikroskops
Abbildung 6 Makroskopische Unter-
suchung der Barberini-Harfe mit Hand-
lupe nach geeigneten Positionen für die
Holzartenbestimmung
Fortsetzung auf Seite 882
Seite 882 · Nummer 49 · Holz-Zentralblatt Freitag, 10. Dezember 2021
Musikinstrumente
Die Barberini-Harfe
Fortsetzung von Seite 881
doch ernüchternd. Offenbar hatten Ge-
nerationen von Restauratoren in den
vergangenen 400 Jahren die Harfe im
sorgsamsten Sinne bester Instandhal-
tung an den meisten Oberflächen regel-
mäßig mit diversen Farbschichten er-
neuert. Abbildung 7 zeigt deutlich, wie
die verantwortlichen Restauratoren
durch Abplatzungen entstandene farb-
freie Bereiche mit Farbe wieder abge-
deckt haben. Insgesamt wurde daher
nur eine geringe Anzahl geeigneter Po-
sitionen detektiert, an denen die auf-
lichtmikroskopische 3D-Methode ein-
gesetzt werden konnte.
Insgesamt bestehen Harfen aus einer
Vielzahl unterschiedlichster Bauteile
und gleichermaßen aus verschiedensten
Holzarten. Die Wahl der Holzarten er-
gibt sich dabei meist aus dem Anwen-
dungsbereich der jeweiligen Bauteile.
Beispielsweise werden für die Reso-
nanzdecken und den Korpus häufig
leichte Nadelhölzer ausgewählt, um de-
ren klangverstärkende Eigenschaften zu
nutzen. Für den Hals und die Säule
kommen hingegen stabile Laubhölzer
wie Ahorn und Walnuss zum Einsatz
(Droysen-Reber 1999).
Im Fokus der Untersuchung standen
vor allem die Konstruktionshölzer von
Hals, Knie und der aufwendig ge-
schnitzten und mit Blattgold verzierten
Säule der Barberini-Harfe.
An einem geschnitzten Fragment an
der Säule des Instruments (Abbildung
9) konnten abgenutzte (winzige) Flä-
chen detektiert werden, die eine Holz-
artenbestimmung zuließen. In Abbil-
dung 8 wird eine stark vergrößerte Flä-
che dargestellt, auf der eine deutliche
halbringporige Struktur erkennbar ist.
Ergänzend hierzu konnten in anderen
Flächen sogenannte „netzförmige“
Strukturen identifiziert werden, die im
Zusammenspiel von axialem Speicher-
gewebe und den Holzstrahlen entste-
hen und ähnlich wie die halbringporige
Struktur, beispielsweise für Walnuss-
holz, typisch sind. Darüber hinaus glei-
chen die „freipolierten“ Flächen Wal-
nussholz auch in ihrer typisch dunklen
Färbung.
Zur Überraschung des Forscherteams
aus Hamburg erschien im Jahr 2020 ein
wissenschaftlicher Artikel einer Gruppe
von Wissenschaftlern aus Italien im
Journal „Rendiconti Lincei. Scienze Fi-
siche e Naturali“ mit dem Titel „Diag-
nostic investigations on the Barberini
harp“ (Bruni et al. 2021).
Zum damaligen Zeitpunkt waren die
Thünen-Wissenschaftler nicht darüber
informiert worden, dass bereits ein ita-
lienisches Forschungsteam ebenfalls
Holzartenuntersuchungen an der Bar-
berini-Harfe vorgenommen hatte. Inte-
ressanterweise kamen die Wissenschaft-
ler jedoch zu einem anderen Ergebnis
als die Hamburger und erklärten in ih-
rer Publikation, dass die Harfe aus
Ahorn-Holz gebaut sei.
Zur Aufklärung wurden den Thünen-
Wissenschaftlern nun Massivholzpro-
ben der italienischen Arbeitsgruppe zur
Verfügung gestellt, die in Hamburg auf-
wendig präpariert wurden und zur
Wahrheitsfindung beitragen können.
Die Ergebnisse dieser Studie sowie die
Details der umfangreichen Untersu-
chungen in Rom werden in Kürze erst-
malig im „IAWA-Journal“ (Internatio-
nal Association of Wood Anatomists)
publiziert und vorgestellt.
Harfenlabor
Die digitale Publikation des Projektes
Barberini-Harfe ist für Ende dieses Jah-
res geplant und soll auf der Internet-
Plattform www.harfenlabor.com er-
scheinen. Neben Beiträgen der Teilneh-
mer des Symposiums in Rom (ÖHI,
2016) werden weitere Recherche-Akti-
vitäten des Harfenlabors veröffentlicht,
unter anderem zwei Kurzfilme von Ar-
min Linke:
◆„Die Barberini-Harfe und ihre
Holzarten“, gedreht während der Un-
tersuchungen des Thünen-Instituts
Hamburg in Rom und bei einem Besuch
am Institut in Hamburg.
◆„Soria‘s Skizze“, Marzia Faetti
präsentiert eine wertvolle Zeichnung
(17. Jahrhundert) aus dem Archiv der
Uffizien in Florenz, wahrscheinlich ent-
standen zur Projektentwicklung einer
verzierten Säule der Barberini-Harfe.
Die Gründerin des Harfenlabors
(2018) ist Margret Köll. Sie versteht den
Internetauftritt als interdisziplinäre
Plattform für historische und zeitgenös-
sische Aufführungspraxis auf histori-
schen Harfen, die Anstöße zum kriti-
schen Diskurs geben und Impulsgeber
für neue performative und interpretati-
ve Ansätze sein soll. Der Schwerpunkt
liegt auf dem Transfer von Wissen zu
harfenspezifischen Themen in Form
von Workshops oder Symposien. (No-
vember 2021 „Haydn’s Folk Harp“, 1.
Fest der historischen Harfe, Haus der
Musik Innsbruck)
„Durch die rasante Entwicklung der
Untersuchungstechnologien, werden
immer mehr Erkenntnisse zu offenen
Fragen für einen möglichen Nachbau
der Barberini-Harfe möglich sein. Mein
Wunsch ist es, ein geeignetes Partner-
team für einen Nachbau der Harfe zu
identifizieren, die als Rechercheinstru-
ment mit einem öffentlichen Programm
zur Verfügung stehen soll, in der Ver-
bindung von neuesten Technologien
und Handwerkskunst.“ (Köll 2021)
Literatur
Bruni S, Gessi A, Lazzaroni F, Marzo A, Marg-
hella G, Moioli P, Seccaroni C, Suatoni S,
Tognacci A (2020) Diagnostic investigations
on the Barberini harp. Rendiconti Lincei.
Scienze Fisiche e Naturali (2020)
31:455–460 ttps://doi.org/10.1007/s12210-
020-00894-x
Droysen-Reber, Dagmar, Harfen des Berliner
Musikinstrumenten-Museums (Berlin: Staat-
liches Institut für Musikforschung Preußi-
scher Kulturbesitz, 1999
Granata C, (2015) Un’arpa grande tutta intaglia-
ta e dorata”. New documents on the Barbe-
rini harp,” Recercare XXVII (2015): 139-
164, and Dario Pontiggia, “Barberini Harp.
Datasheet,” Recercare XXVII (2015)
Haag V, Kirsch S, Zemke V, Kaschuro S, Koch
G (2018A) Auf den Spuren von Torres und
Stradivari: Hamburger Thünen-Institut un-
tersucht historische Musikinstrumente mit
neuen zerstörungsfreien Prüfmethoden.
Holz Zentralbl 144(19):454-455.
Haag V, Kirsch S, Koch G, Zemke V, Richter
H-G, Kaschuro S (2018B) Non-destructive
investigation of historical instruments based
on 3D-reflected-light microscopy and high
resolution µ-X-ray CT. In: Wooden musical
instruments - different forms of knowledge,
book of end of WoodMusICK, COST Action
FP1302. Seite 143-156.
Köll M, (2018) Das Projekt Barberini-Harfe.
Projektvorschlag. In Zusammenarbeit mit
dem Museo Nazionale degli Strumenti Mu-
sicali, dem Istituto Storico Austriaco, der
Deutschen Botschaft in Rom.
Abbildung 9 Mittelsäule mit stark ab-
genutzten Flächen in den Kantenberei-
chen der Schnitzung mit Gesichtern
Abbildung 10 Kunstvoll verzierter
und mit Blattgold veredelter Kopf der
Harfensäule mit einer Krone aus Bienen
Historisch-musikalischer Blick auf drei Instrumentenbauregionen
Die wechselvolle Geschichte der böh-
misch-sächsischen Musikinstrumen-
tenbauregion um Schönbach/Luby
und Markneukirchen sowie des dazu-
gekommenen fränkischen Bubenreuth
reicht bis weit ins 17. Jahrhundert zu-
rück. Zwei der renommiertesten His-
toriker dieser Orte, der Bubenreuther
Dr. Christian Hoyer und der Mark-
neukirchner Stadtmusikdirektor Dr.
Enrico Weller, beschäftigen sich seit
Jahren mit diesen Zusammenhängen
und haben nun das Buch „Verbunden
durch Musik und Geschichte“ im Rah-
men der Markneukirchner Museums-
reihe „Meisterleistungen deutscher In-
strumentenbaukunst“ herausgegeben.
Das Ziel der Verfasser ist, die engen
Verbindungen zwischen den Orten
Schönbach (Luby), Markneukirchen
und Bubenreuth zu dokumentieren.
Mit der Geschichte und den Geschich-
ten zwischen Markneukirchen und
Schönbach und den neuen Zusammen-
hängen nach Bubenreuth beschäftigte
sich der Vorsitzende des Fördervereins
Bubenreutheum Christian Hoyer. Hoy-
er geht sehr ausführlich auf die gewach-
senen Verbindungen der drei Orte ein.
Er schweift durch die Heiratskrisen,
vergleicht die Familiennamen mit glei-
cher Wurzel, berichtet über die Exulan-
ten welche in der zweiten Hälfte des 17.
Jahrhunderts ins Obere Vogtland ka-
men und geht auf die Migration von
Böhmen nach Sachsen ein. Diese Zu-
sammenhänge gehen zurück bis zu den
Ursprüngen des Geigenbaus in Graslitz,
der zweiten wichtigen Stadt im böhmi-
schen Musikwinkel. Es sind familiäre
Verbunden durch die Musik
Verbindungen zwischen Böhmen und
Sachsen, die heute noch in mancher
lnstrumentenmacherwerkstatt nachwir-
ken. Ein großes Kapitel ist der Vertrei-
bung aus dem Musikwinkel gewidmet,
welches überleitet zu dem Thema:
„Neuschönbach wird auch die Heimat
für Vogtländer“. Mit zahlreichen Bil-
dern und Berichten widmet sich der Au-
tor dem heutigen Zusammenschluss der
Instrumentenbauer bis hin zur Partner-
schaftsverbindung von Schönbach/Lu-
by und Bubenreuth.
Weller hat eine Professur an der west-
sächsischen Hochschule Zwickau am
Studiengang Musikinstrumentenkunde.
Sein Beitrag sind die Wechselbeziehun-
gen im vogtländisch-westböhmischen
Musikinstrumentenbau. Von der Mitte
des 19. Jahrhunderts bis 1945 bildeten
Markneukirchen und Schönbach die
Achse des Geigenbaus im internationa-
len Maßstab. An diesen Orten kam kei-
ner vorbei, der mit einem Streichinstru-
ment handelte, darauf spielte oder ein-
fach dem Geigenklang lauschte. Vogt-
ländische Handwerker verarbeiteten
Bestandteile, vor allem Geigenschach-
teln und Hälse aus Schönbach und Um-
gebung. Der große Teil von dem, was in
Schönbach in starker Arbeitsteilung an
Einzelteilen und fertigen Instrumenten
gebaut wurde, kam über Markneukirch-
ner Fortschicker in den weltweiten
Handel. In Schönbach herrschte da-
durch für lange Zeit eine gute Beschäfti-
gungslage – jedoch bei mäßigem Ein-
kommen, während Markneukirchen
von dieser Verbindung in besonderem
Maße profitierte.
In zwei getrennten Aufsätzen be-
schreibt Hoyer sehr wissenschaftlich
die Archtop-Gitarre im Mitteleuropa
der 1930er-Jahre und ihren fast verges-
senen Erbauer und Weller den Geigen-
bauer Johann Adam Pöpel – das Enfant
perdu der Markneukirchner Geigenma-
cher-Innung. Zugleich enthält das Buch
den Katalog der Markneukirchner Son-
derausstellung „Verbunden durch Mu-
sik und Geschichte“. Es handelt sich
hierbei um eine Auswahl an Saitenin-
strumenten und Sachzeugen aus allen
drei Orten, darunter die drei ältesten
Streichinstrumente der Region. Ohne
Bogen würde eine Geige nicht klingen,
deshalb wurde
auch Wert da-
raufgelegt, dass
der Bogenbau
im Vogtland auf
eine fast ebenso
lange Handwerkstradition zurückbli-
cken kann.
Zwei weitere sehr interessante Beiträ-
ge verfasste der ehrenamtliche Denk-
malpfleger Werner Pöllmann. Zum The-
ma 700 Jahre Stadtrecht in Schönbach/
Luby ging Pöllmann auf die Entste-
hungsgeschichte, die Namensgebung,
das Wappen bis hin zu den Poststem-
peln ein, welche von 1870 bis 2018 die
Namenszusätze von Schönbach ver-
deutlichen. Sein zweiter Bericht han-
delt über die Zollstraße in Wernitzgrün.
Darin beschreibt Pöllmann Handel und
Wandel über die Grenze zwischen den
Musikstädten Schönbach und Mar-
kneukirchen. Klaus Martius war Res-
taurator für Musikinstrumente am Ger-
manischen Nationalmuseum in Nürn-
berg. Er beschreibt die Bratschen von
Johann Adam Pöpel und Johann Adam
Kurzendörfer. Seine detaillierte Analyse
wird mit Bildern und Röntgenaufnah-
men unterlegt. Der in Graslitz geborene
Jirí Pátek ist Leiter der Schönbacher
Geigenbauschule und ein Kenner von
Schönbach, wie es einmal war. Er be-
richtet über den langen Weg zu einer
Sammlung zeitgeschichtlicher Gegen-
stände und Fotografien des Egerländer
Musikinstrumentenbaus.
Das Buch Schönbach-Markneukir-
chen-Bubenreuth wird viel Beachtung
finden. Die Verbindung von Musik und
Geschichte, so Hoyer, macht die drei
Orte einzigartig und es wird ein ganzes
Saiteninstrumentenbauzentrum doku-
mentiert, dessen Werdegang im Lauf
der Zeit den böhmischen Musikwinkel
mit dem fränkischen Geigenbauerort
zusammen wachsen ließ.
Bei dem Buch handelt es sich um die
erste Ausgabe in deutscher und tsche-
chischer Sprache. Die Übersetzung
übernahm Dr. Alfred Neudörfer, Sohn
eines bis 1968 in Schönbach lebenden
Geigenbauers. Sehr von Vorteil ist das
Namensverzeichnis mit über 400 Perso-
nen, die sich seitengenau im Buch fin-
den lassen. Heinz Reiß
Das Buch „Verbunden durch Musik und
Geschichte: Schönbach/Luby – Markneu-
kirchen – Bubenreuth“ von Christian
Hoyer und Enrico Weller mit Beiträgen
von Klaus Martius, Alfred Neudörfer, Jirí
Pátek und Werner Pöllmann erscheint mit
Unterstützung des Deutsch-Tsche-
chischen Zukunftsfonds. Es hat 280 Sei-
ten in Größe A4 mit Softcoverumschlag,
rund 300 Abbildungen und ist zweispra-
chig in Deutsch und Tschechisch. Es ist
über den Online-Shop: www.verein-mu-
sikinstrumentenmuseum.de zum Preis
von 29 Euro plus Versand erhältlich
(ISBN 978-3-9819816-3-6)
Unter den Besten der Besten
Bundeswettbewerb im Geigenbau entschieden
hr/fi. 3 000 sind es mittlerweile jähr-
lich, die sich am Leistungswettbewerb
der deutschen Handwerksjugend mes-
sen. Rund 800 von ihnen haben die
Gelegenheit, als Landessieger auf
Bundesebene um den Bundessieg zu
kämpfen. Am 13. November fiel die
Entscheidung im Ausbildungsberuf
Geigenbau. Die ersten beiden Plätze
belegten zwei Frauen, Pia Kristin
Sahmkow, die für Sachsen antrat, und
Hannah Lobe aus Bubenreuth, Lan-
dessiegerin in Bayern.
Bereits Ende Oktober wurden in Augs-
burg mit einer großen Feier die 110 Lan-
dessieger geehrt. Diese jungen Hand-
werker hatten sich auf bayerischer Ebe-
ne beim Leistungswettbewerb des Deut-
schen Handwerks in ihren Berufen
durchgesetzt und Platz 1 errungen. Da-
mit haben sie sich für die Bundesaus-
scheidung qualifiziert. Bayerns Minis-
terpräsident Markus Söder lobte:
„Herzlichen Glückwunsch an Bayerns
100 Beste! Wir sind stolz auf Sie!“
Mit dieser Auszeichnung in der Ta-
sche fand am 13. November der Bun-
desentscheid in Ludwigsburg nahe
Stuttgart statt. Bei der fünfstündigen
Prüfung in Ludwigsburg galt es, die
Vorderseite einer Geige mit den zwei
F-Löchern aus Fichte herzustellen, die
Innenwölbung zu formen sowie einen
Bassbalken zu hobeln und einzupassen.
Hannah Lobe erreicht dort den zwei-
ten Platz. Zu den ersten Gratulanten
zählte Bubenreuths Bürgermeister Nor-
bert Stumpf. „Es macht mich richtig
stolz“, so der Gemeindechef, „dass Bu-
benreuth auch eine Landes- und Bun-
dessiegerin vorweisen kann. Es ist eine
ausgezeichnete Leistung. Es freut mich
besonders, dass mit Hannah Lobe auch
eine Frau die höheren Weihen des böh-
misch-fränkischen Saiteninstrumenten-
baues erhalten hat.“
Stolz kann Stumpf unter dem Ge-
sichtspunkt auch auf die Nr. 1 in dem
Wettbewerb sein. Denn mit Pia Kristin
Sahmkow ist auch die Siegerin des
Wettbewerbs eine Frau. Die junge Frau
aus Schleswig-Holstein ist in Klingen-
thal in Sachsen in die Berufsschule ge-
gangen. Sie stammt aus einer musikali-
schen Familie, wie der „Vogtland-An-
zeiger“ schreibt: „Meine Mutter ist Mu-
siklehrerin, und ich habe als Kind Geige
und Cello gelernt. In einer Cello-Werk-
statt habe ich Lust bekommen, einen
Instrumentenmacherberuf zu lernen.“
Nach dem Abitur hatte sie sich für Gei-
genbau beworben und setzte sich gegen
zwei Dutzend andere Bewerber in Klin-
genthal durch, wo jedes Jahr sechs
Lehrlinge die dreijährige Ausbildung
beginnen. Sahmkow erreichte die bes-
ten Noten aller diesjährigen Gesellen in
Klingenthal – und war damit für den
Bundeswettbewerb qualifiziert.
Aktuell absolviert sie laut der Lokal-
zeitung ein Auslandspraktikum in
Stockholm. Gerne will sie noch ein wei-
teres Auslandspraktikum anschließen,
zum Beispiel in Italien. Aber auch jetzt
schon schreibe sie fleißig Bewerbungen
und hofft, „dass mein Sieg beim Bun-
deswettbewerb einige Türen öffnet“.
Und was plant die Zweitplatzierte Han-
nah Lobe? „Der Bau von Geigen ist
meine Profession geworden, als nächste
Hürde habe ich die Meisterprüfung im
Blickfeld.“
Hannah Lobe mit ihrem Gesellenstück,
der „Hubermann-Stradivari“, ein Nach-
bau der im Jahre 1713 von Antonio
Stradivari gebauten Violine, die den
Namen „Gibson ex Hubermann“ er-
hielt. Der Boden des Instruments ist ein
einteiliges Tonholz mit schöner Flam-
mung aus bosnischem Ahorn. Zargen
und Hals sind aus dem gleichem Holz
gebaut, und die Decke ist aus feinjähri-
ger italienischer Bergfichte. Rund 160
Arbeitsstunden hat Lobe unter der Auf-
sicht ihres Vaters in das Gesellenstück
investiert. Foto: Reiß