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Autoaggression des Immunsystems

Authors:
  • MVZ Ganzimmun GmbH

Abstract

Die Aufgaben des Immunsystems sind vielfältig und komplex. Der Schutz vor Infektionen mit pathogenen Fremdorganismen (Viren, Bakterien, Pilze, Parasiten) erfordert eine leistungsfähige Aktivierung von Immunzellen, damit die eindringenden Mikroben effizient abgetötet werden. Gleichsam muss das Immunsystem sicherstellen, dass veränderte körpereigene Zellen wie z.B. maligne oder virusinfizierte Zellen aufgespürt und eliminiert werden, um die Entstehung von Tumoren zu verhindern und Virusinfektionen zu bekämpfen. Dem Immunsystem stehen zu diesen Zwecken humorale Komponenten wie das Komplementsystem, antimikrobielle Akute-Phase-Proteine und nicht zuletzt die Antikörper als effiziente Effektormoleküle sowie geeignete zelluläre Abwehrmechanismen wie Phagozytose oder Zytotoxizität zur Verfügung. Sowohl in der immunologischen Homöostase als auch nach Stimulation darf sich die Aktivität des Immunsystems aber keinesfalls gegen körpereigene Gewebe und Organe richten, damit unerwünschte selbstzerstörerische Prozesse vermieden werden. Aus diesem Grund haben sich in der Evolution des Immunsystems diverse Kontrollmechanismen entwickelt, die eine Toleranz gegenüber vom Immunsystem als ungefährlich eingestuften körpereigenen Zellen oder Fremdantigenen gewährleisten. Im Fall einer Dysregulation dieser Kontrollmechanismen und einem Durchbruch der immunologischen Toleranz kann es zu autoaggressiven immunologischen Prozessen kommen, an denen selbstreaktive Zellen des angeborenen Immunsystems (Autoinflammation) und/oder des adaptiven Immunsystems (Autoimmunität) ursächlich beteiligt sind und die teilweise schwerwiegende Erkrankungen zur Folge haben können.
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Die immunologischen Mechanismen, die die Toleranz
vermitteln, unterscheiden sich allerdings für das ange-
borene und das adaptive Immunsystem grundlegend.
Die Zellen des angeborenen (natürlichen) Immunsys-
tems besitzen keine ausgeprägte intrinsische Fähig-
keit der Unterscheidung zwischen körpereigenen
und körperfremden Antigenen. Die Aktivierung der
Phagozyten (Fresszellen, z. B. Monozyten, Makropha-
gen, neutrophile Granulozyten), die als erste Verteidi-
gungslinie des Immunsystems in den Grenzflächen
zur Außenwelt (Haut, Schleimhäute) lokalisiert sind,
erfolgt über die Erkennung von Gefahrensignalen
in Form von Molekülen, die von Rezeptoren auf der
Membranoberfläche oder im Zytoplasma der Immun-
zellen gebunden werden. Die Folge der Stimulation ist
die Produktion und Sekretion von spezifischen Media-
toren des Immunsystems, den proinflammatorischen
Zytokinen wie z. B. Interleukin-(IL-)1β, IL-6 oder Tumor-
Nekrosefaktor α (TNF-α, die eine veritable Entzün-
dungsreaktion in Gang setzen (Abb. 1). Dabei ist es
für die Reaktivität der Zellen irrelevant, ob sie wie bei
bakteriellen oder viralen Infektionen durch exogene,
körperfremde Faktoren (Pathogen-associated mole-
cular patterns, PAMPs) stimuliert werden oder durch
endogene Moleküle, die vom Organismus selbst
freigesetzt werden (Danger-associated molecular
patterns, DAMPs) [1]. Das Phänomen der Immuntole-
ranz lässt sich demnach in Bezug auf die angeborene
Immunität als Abwesenheit von aktivierenden mole-
kularen Gefahrensignalen definieren.
Das Ausmaß der Reaktivität der zellulären Kompo-
nenten des adaptiven (erworbenen) Immunsystems,
den T- und B-Lymphozyten, auf Fremdantigene wird
vorrangig durch die Diversität im Repertoire der jewei-
ligen Antigenrezeptoren bestimmt (T-Zellen: T-Zell-
Rezeptor; B-Zellen: membranständige Immunglo-
buline). Da dieser Rezeptor als Zufallsprodukt eines
somatischen Gen-Rekombinationsprozesses für jede
T- und B-Zelle individuell gebildet wird, bedeutet
dies auch, dass die Antigenspezifität jedes neu ent-
stehenden Lymphozyten nicht vorhersehbar ist und
dieser somit potenziell Autoreaktivität erlangen kann.
Damit die B- und T-Zellen in der Zirkulation trotzdem
nur auf von außen eindringende Fremdantigene, nicht
aber auf körpereigene Selbstantigene (Autoantigene)
reagieren, und somit die immunologische Toleranz
gewährleistet bleibt, sind im Rahmen der Differenzie-
rung der T- und B-Lymphozyten verschiedene Kontroll-
mechanismen im Hinblick auf die Diskriminierung und
Akzeptanz körpereigener Strukturen installiert.
B-Zellen werden während ihrer Entwicklung im Kno-
chenmark im Zuge des Rearrangements der Immun-
globulin-Gene auf eine mögliche Interaktion des
Autoaggression des Immunsystems
Einleitung
Die Aufgaben des Immunsystems sind vielfäl-
tig und komplex. Der Schutz vor Infektionen mit
pathogenen Fremdorganismen (Viren, Bakterien,
Pilze, Parasiten) erfordert eine leistungsfähige
Aktivierung von Immunzellen, damit die eindrin-
genden Mikroben effizient abgetötet werden.
Gleichsam muss das Immunsystem sicherstellen,
dass veränderte körpereigene Zellen wie z. B. mali-
gne oder virusinfizierte Zellen aufgespürt und eli-
miniert werden, um die Entstehung von Tumoren
zu verhindern und Virusinfektionen zu bekämpfen.
Dem Immunsystem stehen zu diesen Zwecken
humorale Komponenten wie das Komplement-
system, antimikrobielle Akute-Phase-Proteine und
nicht zuletzt die Antikörper als effiziente Effektor-
moleküle sowie geeignete zelluläre Abwehrme-
chanismen wie Phagozytose oder Zytotoxizität
zur Verfügung. Sowohl in der immunologischen
Homöostase als auch nach Stimulation darf sich
die Aktivität des Immunsystems aber keinesfalls
gegen körpereigene Gewebe und Organe rich-
ten, damit unerwünschte selbstzerstörerische
Prozesse vermieden werden. Aus diesem Grund
haben sich in der Evolution des Immunsystems
diverse Kontrollmechanismen entwickelt, die eine
Toleranz gegenüber vom Immunsystem als unge-
fährlich eingestuften körpereigenen Zellen oder
Fremdantigenen gewährleisten. Im Fall einer Dys-
regulation dieser Kontrollmechanismen und einem
Durchbruch der immunologischen Toleranz kann
es zu autoaggressiven immunologischen Prozes-
sen kommen, an denen selbstreaktive Zellen des
angeborenen Immunsystems (Autoinflammation)
und/oder des adaptiven Immunsystems (Autoim-
munität) ursächlich beteiligt sind und die teilweise
schwerwiegende Erkrankungen zur Folge haben
können.
Immuntoleranz
Das Immunsystem stellt ein hocheffizientes Abwehr-
system gegen die kontinuierliche mikrobielle Bedro-
hung des Organismus dar. Eine grundlegende
Eigenschaft des Immunsystems ist seine Fähigkeit,
potenziell gefährdende Mikroorganismen anhand
molekularer Muster oder spezifischer Proteinfrag-
mente (Antigene) zu erkennen und gegen diese vor-
zugehen, ohne dabei Schaden am eigenen Körperge-
webe zu verursachen. Die immunologische Akzeptanz
von körpereigenen Zellen und als nicht gefährlich ein-
gestuften Fremdstrukturen wird durch einen Prozess
gewährleistet, der als Immuntoleranz bezeichnet wird.
PD Dr. rer. nat. et med.
habil. Stephan Sudowe
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B-Zell-Rezeptors mit Autoantigenen überprüft. Eine
starke Reaktion von B-Zellen auf Autoantigene wäh-
rend dieses Stadiums der Differenzierung führt zur
Inaktivierung oder Elimination (Apoptose) der Zellen,
sodass die B-Zell-Population in der Gesamtheit gegen-
über körpereigenen Antigenen tolerant wird (zentrale
Toleranz). Auch während der abschließenden B-Zell-
Reifung in den peripheren lymphatischen Organen
können potenziell autoreaktive B-Zellen, die der zen-
tralen Toleranz entgangen sind, aus dem Repertoire
entfernt werden (periphere Toleranz) [2].
Die Kontrolle von T-Zellen hinsichtlich einer poten-
ziellen Selbstreaktivität unterliegt ebenfalls einem
zentralen sowie einem peripheren Toleranzprozess.
Im Thymus vollziehen unreife T-Zellen (Thymozyten)
einen negativen Selektionsschritt, bei dem solche
Zellen durch Apoptose eliminiert werden, die mittels
ihres T-Zell-Rezeptors eine hohe Affinität zu im Thy-
musgewebe exprimierten Autoantigenen aufweisen
[3]. Darüber hinaus werden die aus dem Thymus in die
Blutzirkulation entlassenen reifen T-Lymphozyten in
den peripheren Organen von regulatorischen T-Zellen
(Treg) überwacht und können von diesen bei Autore-
aktivität an ihrer Aktivierung gehindert werden. Man
unterscheidet zwei verschiedene Hauptgruppen der
Treg: Während die als separate Entwicklungslinie im
Thymus entstehenden natürlichen Treg (nTreg) kons-
titutiv eine regulatorische Funktion hinsichtlich einer
Selbstreaktivität besitzen, gehen die induzierbaren
oder adaptiven Treg (iTreg) im Laufe einer antigenspe-
zifischen Immunantwort in Abhängigkeit vom vorherr-
schenden immunologischen Milieu, insbesondere in
Abhängigkeit von der Wirkung antiinflammatorischer
Zytokine wie IL-10 oder Transforming-Growth-Factor-β
(TGF-β), aus naiven T-Zellen hervor [4].
Autoimmunität
Bei Störungen eines der beschriebenen Prozesse der
Toleranzinduktion im adaptiven Immunsystem kann
es zur Aktivierung von T- und B-Lymphozyten kom-
men, die potenziell gegen körpereigene Antigene
gerichtet sind und die somit für die Entstehung von
Autoimmunität prädisponieren. Die Differenzierung
solcher B-Zellen führt zur Produktion autoreaktiver
Antikörper (Autoantikörper), deren mögliche Patho-
genität durch verschiedene Mechanismen vermittelt
werden kann [5]. Autoaggressive Effektor-T-Zellen
können Gewebe und Organe attackieren und zerstö-
ren oder ein proinflammatorisches Milieu schaffen.
Da sich ein gewisses Maß an Autoimmunität in Form
autoreaktiver T- und B-Zellen bei jedem Menschen
findet, ist die Grundlage für den Übergang zu einer
Abb. 1 Molekulare Gefahrensignale aktivieren über spezifische Rezeptoren die Zellen des angeborenen Immunsystems. Die induzierte Bildung und
Freisetzung von proinflammatorischen Botenstoffen führt zu einer generalisierten Entzündungsreaktion mit Fieber und der Produktion von Akute-
Phase-Proteinen. Die Zytokine unterstützen zudem die Induktion inflammatorischer TH17-Zellen und unterdrücken die Differenzierung und Funktion
regulatorischer T-Zellen (Treg).
Tumor-Nekrosefaktor a (TNFa), die eine veritable Entzündungsreaktion in Gang setzen
(Abb. 1). Dabei ist es für die Reaktivität der Zellen irrelevant, ob sie wie bei bakteriellen oder
viralen Infektionen durch exogene, körperfremde Faktoren (Pathogen-associated molecular
patterns, PAMPs) stimuliert werden oder durch endogene Moleküle, die vom Organismus
selbst freigesetzt werden (Danger-associated molecular patterns, DAMPs) [1]. Das
Phänomen der Immuntoleranz lässt sich demnach in Bezug auf die angeborene Immunität
als Abwesenheit von aktivierenden molekularen Gefahrensignalen definieren.
Abb. 1: Molekulare Gefahrensignale aktivieren über spezifische Rezeptoren die Zellen des
angeborenen Immunsystems. Die induzierte Bildung und Freisetzung von
proinflammatorischen Botenstoffen führt zu einer generalisierten Entzündungsreaktion mit
Fieber und der Produktion von Akute-Phase-Proteinen. Die Zytokine unterstützen zudem die
Induktion inflammatorischer TH17-Zellen und unterdrücken die Differenzierung und Funktion
regulatorischer T-Zellen (Treg).
Das Ausmaß der Reaktivität der zellulären Komponenten des adaptiven (erworbenen)
Immunsystems, den T- und B-Lymphozyten, auf Fremdantigene wird vorrangig durch die
Diversität im Repertoire der jeweiligen Antigenrezeptoren bestimmt (T-Zellen: T-Zell-
Rezeptor; B-Zellen: membranständige Immunglobuline). Da dieser Rezeptor als
Zufallsprodukt eines somatischen Gen-Rekombinationsprozesses für jede T- und B-Zelle
individuell gebildet wird, bedeutet dies auch, dass die Antigenspezifität jedes neu
entstehenden Lymphozyten nicht vorhersehbar ist und dieser somit potenziell Autoreaktivität
erlangen kann. Damit die B- und T-Zellen in der Zirkulation trotzdem nur auf von außen
eindringende Fremdantigene, nicht aber auf körpereigene Selbstantigene (Autoantigene)
reagieren, und somit die immunologische Toleranz gewährleistet bleibt, sind im Rahmen der
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Autoimmunerkrankung der weitgehende Verlust der
Kontrolle ihrer Aktivität durch die physiologischen
Toleranzmechanismen und die daraus resultierende
Zerstörung des körpereigenen Gewebes (Tab. 1). Der
Symptombeginn dieser Entitäten variiert vom Kindes-
alter bis ins hohe Alter mit einem Erkrankungspeak im
frühen Erwachsenenalter.
Abgesehen von sehr seltenen monogenetischen
Formen sind die meisten klassischen Autoimmuner-
krankungen multifaktoriell bedingt. Für einige Autoim-
munerkrankungen konnten Gene identifiziert werden,
die die angeborene Suszeptibilität erhöhen. Häufig
sind allerdings die Faktoren, die für den Übergang
von Autoimmunität in eine Autoimmunerkrankung
verantwortlich sind, nicht eindeutig identifizierbar.
Ereignisse, durch die Antigene freigesetzt werden,
mit denen die Immunzellen normalerweise nicht in
Kontakt kommen, wie z. B. Infektionen oder Gewe-
beschädigungen bei Trauma und Ischämie, können
Autoimmunphänomene induzieren, die gewöhnlich
selbstlimitierend sind, sich bei Persistenz aber auch
pathologisch auswirken können. Alternativ wird auch
die molekulare Mimikry oder eine Kreuzreaktivität
aufgrund struktureller Gemeinsamkeiten zwischen
einem mikrobiellen Erreger und einem Selbstantigen
als ursächlich für die Aktivierung autoreaktiver Lym-
phozyten diskutiert. Infektiöse Erreger können die
Selbsttoleranz durchbrechen, weil sie PAMPs aufwei-
sen, die einen Adjuvans-ähnlichen Effekt auf Zellen
des Immunsystems haben und somit die Immunoge-
nität und die immunstimulatorische Kompetenz erhö-
hen. Möglicherweise werden auf diese Weise zuvor
ruhende Lymphozyten aktiviert, die sowohl den Mik-
roorganismus als auch die Selbstantigene erkennen.
Tab. 1 Immunologische Charakteristika ausgewählter Autoimmunerkrankungen
AChR = Anti-Acetylcholinrezeptor-Antikörper; AGBM = Antibasalmembran-Antikörper; ANA = Antinukleäre Antikörper; ANCA = Antineutrophile
zytoplasmatische Antikörper; aTG = Anti-Transglutaminase-Antikörper; GADA = Anti-Glutamat-Decarboxylase-Antikörper; IAA = Insulin-
Autoantikörper; ICA = Inselzell-Autoantikörper; ICSA = Interzellularsubstanz-Autoantikörper; MAK = Mikrosomale Antikörper; RF = Rheumafaktor;
SMA = Autoantikörper gegen glatte Muskulatur, TAK = Anti-Thyreoglobulin-Antikörper; TPO-AK = Anti-Thyreoidperoxidase-Antikörper; TRAK = Anti-
TSH-Rezeptor-Antikörper
Krankheit Effektor Immun-mechanismus Spezifität Autoantigen
Systemischer Lupus
erythematodes
Autoantikörper (ANA,
SMA)
Immunkomplex-Bildung systemisch Doppelstrang-DNA, Nuk-
leus, Glatte Muskulatur
Hashimoto-Thyreoiditis Autoantikörper (TPO-AK,
MAK, TAK)
Antikörper-vermittelte
Zytotoxizität
organspezifisch
(Schilddrüse)
Thyreoidperoxidase,
Thyreoglobulin
Myasthenia gravis Autoantikörper (AChR) Blockierung, Inaktivierung organspezifisch
(Muskulatur)
α-Kette des nikotinergen
Acetylcholinrezeptors
Morbus Basedow Autoantikörper (TRAK) Stimulation organspezifisch
(Schilddrüse)
TSH-Rezeptor
Pemphigus vulgaris Autoantikörper (ICSA) Stimulation organspezifisch
(Haut)
Desmoglein-III,
Plakoglobin
Goodpasture-Syndrom
(Glomerulonephritis)
Autoantikörper (AGBM) Komplementaktivierung organspezifisch
(Lunge, Niere)
α3-Kette von Kollagen IV
Gafäßentzündungen
(Vaskulitiden)
Autoantikörper (ANCA) Antikörper-vermittelte
Neutrophilenaktivierung
systemisch (Blutgefäße) PR3 und Myeloperoxida-
se auf Neutrophilen
Rheumatoide Arthritis Autoantikörper (RF, ANA) Immunkomplex-Bildung systemisch (Gelenke) Immunglobuline,
Doppelstrang-DNA
Rheumatoide Arthritis T-Lymphozyten Zytokinproduktion
(Inflammation)
systemisch nicht bekannt
Zöliakie Autoantikörper (aTG) Antikörper-vermittelte
Zytotoxizität
organspezifisch
(Dünndarm)
Transglutaminase,
Endomysium
Multiple Sklerose T-Lymphozyten Zytokinproduktion
(Inflammation)
organspezifisch (ZNS) nicht bekannt
Diabetes mellitus Typ 1 T-Lymphozyten Zytotoxizität organspezifisch (Betazel-
len der Bauchspeichel-
drüse)
nicht bekannt
Diabetes mellitus Typ 1 Autoantikörper (IAA, ICA,
GADA)
Blockierung, Antikörper-
vermittelte Zytotoxizität
organspezifisch (Bauch-
speicheldrüse)
Insulin, Pankreas-Insel-
zellen, Glutamat-Decar-
boxylase
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dungsreaktion in den betroffenen Gelenken. Beim
Diabetes mellitus Typ 2 ist es der hohe Blutzucker-
spiegel, der das angeborene Immunsystem aktiviert.
Auch Morbus Crohn sowie manche rheumatische
Erkrankung wie die Systemische juvenile idiopathi-
sche Arthritis (Morbus Still) werden den autoinflamm-
atorischen Erkrankungen zugeordnet, wobei bislang
nicht bekannt ist, welche Auslöser zur Aktivierung der
Immunzellen führen.
Autoimmunität und Autoinflammation:
ein fließender Übergang
Der Übergang zwischen Autoimmunreaktion und Auto-
inflammation scheint fließend zu sein. Die Rheumato-
ide Arthritis ist beispielweise eine klassische Autoim-
munerkrankung mit Autoantikörpern und autoreaktiven
T-Lymphozyten, die eine Schädigung der Gelenke zur
Folge hat. Das Ausmaß der Gewebezerstörung im Ver-
lauf der Erkrankung hängt allerdings von gewebespezi-
fischen Faktoren ab, da aufgrund des Gewebeschadens
vorliegende Alarmine nachfolgende autoinflammatori-
sche Kaskaden auslösen, die den Entzündungsgrad im
Gelenk determinieren. Diese Faktoren können zudem
den Autoimmunprozess aufrechterhalten und verstär-
ken, indem sie als immunstimulatorisch wirksame
Moleküle die Aktivierung von zuvor ruhenden, autore-
aktiven Lymphozyten begünstigen.
Im umgekehrten Fall kann als Folge einer Autoinflam-
mation eine Autoantikörperbildung dann auftreten,
wenn Zell- und Gewebeschäden zur Freisetzung intra-
zellulärer Autoantigene geführt haben, welche physio-
logischerweise nicht für das Immunsystem exponiert
sind (z. B. DNA, Nukleosomen etc.). Darüber hinaus
kann die Freisetzung entzündungsfördernder Boten-
stoffe des Immunsystems im Verlauf eines autoin-
flammatorischen Prozesses die Toleranz durchbre-
chen, indem das proinflammatorische Zytokinmilieu
die Differenzierung von Effektor-T-Zellen fördert und
die Entstehung von iTreg hemmt.
Diagnostische und therapeutische
Relevanz
Labordiagnostik:
Autoantikörper
Für den Kliniker ist die Einteilung von entzündlichen
Erkrankungen in autoinflammatorische oder autoim-
mune Prozesse hinsichtlich Immundiagnostik und
Therapie von großer praktischer Bedeutung. Im
Rahmen der Diagnostik muss zwischen zwei grund-
legenden Strategien unterschieden werden. Auf der
einen Seite gilt es spezifische pathologische Effek-
tormechanismen zu identifizieren. Hier steht der
Nachweis von Autoantikörpern an erster Stelle. Auch
wenn ihre pathogenetische Bedeutung häufig unklar
ist, können Autoantikörper als allgemeiner Marker für
Autoimmun erkrankungen fungieren (Tab. 1).
Autoimmunität kann auch durch Störung der immun-
regulatorischen Homöostase verursacht werden. Die
beeinträchtigte Entwicklung oder Funktion regulato-
rischer T-Lymphozyten in einem inflammatorischen
Mikromilieu kann die Entstehung von Autoimmuner-
krankungen begünstigen. Zudem spielt bei einigen
Autoimmunerkrankungen eine dysregulierte Zytokin-
produktion von T-Helfer-(TH)-Zellen eine pathogene-
tische Rolle. Man nimmt beispielsweise im Fall von
Rheumatoider Arthritis oder Multipler Sklerose an,
dass sich der überwiegende Teil der autoreaktiven
T-Lymphozyten in inflammatorisch wirkende TH1-
Zellen (vorrangige Produktion von Interferon-γ [IFN-γ])
und/oder TH17-Zellen (vorrangige Produktion von
IL-17 und IL-22) differenziert, die auf diese Weise an
der resultierenden Organ- und Gewebeschädigung
beteiligt sind [6].
Autoinflammation
Eine auf einer Fehlaktivierung des angeborenen
Immunsystems basierende, überschießende Immun-
reaktion, die mit einer erheblichen Produktion pro-
inflammatorischer Mediatoren einhergeht, wird als
Autoinflammation bezeichnet (Horror autoinflamma-
ticus). Der Begriff wurde im engeren Sinne erstmals
für einen Formenkreis von sehr seltenen vererblichen
Erkrankungen geprägt, die durch periodisch wieder-
kehrende Fieberschübe gekennzeichnet sind (periodi-
sche Fiebersyndrome) [7]. Die Ursache für die gestei-
gerten Entzündungsreaktionen stellen Defekte in
den Genen dar, die für die Regulation der Produktion
der proinflammatorischen Zytokine durch Zellen der
angeborenen Immunität verantwortlich sind [8]. Cha-
rakteristisch für solche autoinflammatorischen Erkran-
kungen sind systemische Entzündungsvorgänge des
Körpers ohne Anhalt für zugrunde liegende Infekte,
Allergien oder Immundefekte. Im Gegensatz zu den
klassischen Autoimmunerkrankungen findet man bei
autoinflammatorischen Erkrankungen keine spezifi-
schen Autoantikörper oder autoreaktiven T-Zellen. Die
betroffenen Patienten leiden vielfach unter kontinuier-
lichen oder wiederkehrenden Hautausschlägen sowie
Gelenk- oder Kopfschmerzen.
Darüber hinaus gibt es nach neuesten Erkenntnissen
eine Reihe weiterer vererbbarer sowie erworbener
Erkrankungen, die zur Gruppe der autoinflammatori-
schen Erkrankungen gezählt werden müssen bzw. bei
denen autoinflammatorische Prozesse eine entschei-
dende Rolle bei einer Organ- und Gewebsschädigung
einnehmen [9, 10]. Als Gefahrensignale, die das ange-
borene Immunsystem stimulieren, fungieren dabei
körpereigene Moleküle, die lokal von gestressten
oder geschädigten Körperzellen freigesetzt werden
und aufgrund ihrer stimulierenden Wirkung als Alar-
mine bezeichnet werden [11]. So induzieren beispiels-
weise bei der Gicht Harnsäurekristalle eine Entzün-
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In der praktischen Labordiagnostik wird zum Nach-
weis der Autoreaktivität von Antikörpern in der Regel
die Methode der indirekten Immunfluoreszenz (IIFT)
verwendet (Abb. 2). Hierzu werden die zu untersu-
chenden Seren auf Objektträger oder Biochips mit
fixierten Gewebeschnitten oder antigenexprimie-
renden Kulturzellen aufgetragen. An Selbstantigene
bindende potenzielle Autoantikörper werden im
Anschluss durch einen Fluoreszenzfarbstoff-gekop-
pelten Antikörper, der gegen humanes Immunglobulin
gerichtet ist, mikroskopisch sichtbar gemacht. Meist
ergibt sich bei einem positiven Befund ein charak-
teristisches Fluoreszenz-Muster, das Rückschlüsse
auf die Spezifität der Autoantikörper zulässt und das
zusammen mit der eingesetzten Serumverdünnung
eine Interpretation hinsichtlich einer möglicherweise
vorliegenden Autoimmunerkrankung zulässt.
Interessanterweise zeigen retrospektive Studien bei
verschiedenen Autoimmunerkrankungen, dass diag-
nostisch relevante Autoantikörper bereits Jahre vor
einer manifesten Symptomatik und der endgültigen
Diagnose der Erkrankung vorlagen. Allerdings können
Autoantikörper häufig auch bei klinisch Gesunden
nachgewiesen werden, die keine offensichtlichen
gesundheitlichen Beschwerden oder Anzeichen einer
Autoimmunreaktion aufweisen oder nachfolgend ent-
wickeln, sodass das Screening von Autoantikörpern
im Sinne einer Früherkennung von Autoimmunerkran-
kungen nicht geeignet ist.
TH1-TH2-TH17-Zytokinprofil
Die Charakterisierung des TH-Zell-Repertoires kann
Hinweise auf eine verstärkte Aktivierung von TH1-
oder TH17-Zellen liefern und somit den Verdacht
auf eine möglicherweise vorliegende Autoimmun-
erkrankung unterstützen. Durch die Erstellung des
TH1-TH2-TH17-Zytokinprofils können die aktuell
bestehende TH-Zell-Balance untersucht und selektive
TH-Zell-Hyperreaktivitäten oder -Dominanzen, wie sie
häufig bei Autoimmunprozessen zu finden sind, ermit-
telt werden. Dazu werden die sich im Blut befinden-
den T-Lymphozyten unter standardisierten Zellkultur-
bedingungen in vitro stimuliert. Im Anschluss wird die
Freisetzung von Markerzytokinen, die exklusiv durch
TH1-Zellen (IFN-γ), TH2-Zellen (IL-4) oder TH17-Zellen
(IL-17) sezerniert werden, in den Kulturüberstand
ermittelt. Anhand des Musters der sezernierten Zyto-
kine kann dann auf eine ausgewogene oder auffällige
Verteilung oder eine Polarisation innerhalb der TH-Zell-
Subpopulationen zurückgeschlossen werden.
Die Messung der induzierten Zytokinfreisetzung in
vitro zum Zwecke der Erfassung des TH1-TH2-TH17-
Zytokinstatus eines Patienten weist im Vergleich
zu der Bestimmung der Zytokinspiegel im Blut eine
Reihe von Vorteilen auf: Aufgrund der geringen Halb-
wertszeit der Zytokine, die in der Regel einen Trans-
port von gefrorenem Serum erforderlich macht, den
niedrigen Blutspiegeln und der phasenhaften Freiset-
zung der Zytokine in vivo ist die direkte Methode nur
ungenügend für die zuverlässige Bewertung der TH-
Zell-Balance geeignet.
Entzündungsindikatoren
Bei Fehlen von Indizien für eine Autoimmunerkran-
kung kann eine allgemeine Charakterisierung und
Bewertung des Entzündungsstatus eines betroffenen
Patienten helfen, generelle inflammatorische Dys-
regulationen des Immunsystems festzustellen und
mögliche autoinflammatorische Prozesse aufzude-
cken.
Für die Diagnose einer Autoinflammation sind klas-
sische Laborparameter nur begrenzt aussagekräf-
tig. Die eindeutigste Diagnostik für alle akuten und
chronischen Entzündungszustände bietet die direkte
Bestimmung der „Schlüsselzytokine“ TNF-α, IL-6 und
IL-1β im Blut. Aufgrund der geringen Stabilität der
Proteine muss eine geeignete Serumprobe allerdings
durchgängig tiefgefroren, bestenfalls bei -20°C gela-
gert und transportiert werden [12]. Diese besonderen
Anforderungen erhöhen das Risiko verfälschter Mess-
werte, weshalb alternative Laborparameter zu bevor-
zugen sind.
Die Produktion von Akute-Phase-Proteinen wie dem
C-reaktiven Protein (CRP) durch Hepatozyten der
Leber ist eine direkte Konsequenz der Produktion pro-
inflammatorischer Zytokine im Verlauf einer Entzün-
dungsreaktion. Die quantitative Bestimmung des CRP
im Serum stellt aufgrund der Stabilität des Proteins
eine Laboranalyse dar, die zur Diagnose akuter bak-
terieller Infektionen, aber auch von Gewebeschäden,
Prozessen der Autoinflammation oder systemischen
Abb. 2 Nachweis Antineutrophiler zytoplasmatischer Antikörper (ANCA) mittels indirekter
Immunfluoreszenz
Autoantikörpern an erster Stelle. Auch wenn ihre pathogenetische Bedeutung häufig unklar
ist, können Autoantikörper als allgemeiner Marker für Autoimmunerkrankungen fungieren
(Tab. 1).
Abb. 2: Nachweis Antineutrophiler zytoplasmatischer Antikörper (ANCA) mittels indirekter
Immunfluoreszenz
In der praktischen Labordiagnostik wird zum Nachweis der Autoreaktivität von Antikörpern in
der Regel die Methode der indirekten Immunfluoreszenz (IIFT) verwendet (Abb. 2). Hierzu
werden die zu untersuchenden Seren auf Objektträger oder Biochips mit fixierten
Gewebeschnitten oder antigenexprimierenden Kulturzellen aufgetragen. An Selbstantigene
bindende potenzielle Autoantikörper werden im Anschluss durch einen Fluoreszenzfarbstoff-
gekoppelten Antikörper, der gegen humanes Immunglobulin gerichtet ist, mikroskopisch
sichtbar gemacht. Meist ergibt sich bei einem positiven Befund ein charakteristisches
Fluoreszenz-Muster, das Rückschlüsse auf die Spezifität der Autoantikörper zulässt und das
zusammen mit der eingesetzten Serumverdünnung eine Interpretation hinsichtlich einer
möglicherweise vorliegenden Autoimmunerkrankung zulässt.
Interessanterweise zeigen retrospektive Studien bei verschiedenen
Autoimmunerkrankungen, dass diagnostisch relevante Autoantikörper bereits Jahre vor einer
manifesten Symptomatik und der endgültigen Diagnose der Erkrankung vorlagen. Allerdings
können Autoantikörper häufig auch bei klinisch Gesunden nachgewiesen werden, die keine
offensichtlichen gesundheitlichen Beschwerden oder Anzeichen einer Autoimmunreaktion
aufweisen oder nachfolgend entwickeln, sodass das Screening von Autoantikörpern im
Sinne einer Früherkennung von Autoimmunerkrankungen nicht geeignet ist.
TH1-TH2-TH17-Zytokinprofil
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Entzündungen unbekannter Genese („Silent Inflam-
mation“) geeignet ist. Die Bestimmung des CRP sollte
dabei aufgrund des insgesamt weiten Messbereiches
sowie der hohen Nachweisempfindlichkeit im unteren
Messbereich als wide-range CRP (wrCRP) oder hoch-
sensitives CRP (hsCRP) durchgeführt werden [13]. Lie-
gen die Messwerte für das CRP über einen längeren
Zeitraum nur mäßig erhöht bzw. im oberen Normbe-
reich vor, deutet dies auf eine schwelende Entzün-
dung hin. Es empfiehlt sich daher zur Charakterisie-
rung des Entzündungsgeschehens die wiederholte
Durchführung einer Verlaufskontrolle im Abstand von
mehreren Tagen/Wochen. Die CRP-Konzentration im
Blut unterliegt keiner zirkadianen Rhythmik und wird
nicht von der Nahrungsaufnahme beeinflusst.
Als weiterer Marker zur Charakterisierung chronischer
Entzündungsprozesse bietet sich aufgrund seiner
hohen Stabilität die Bestimmung von Calprotectin
(S100A8/A9) im Serum an. Das heterodimere Protein
Calprotectin ist konstitutiv intrazellulär in phagozytie-
renden Zellen des Immunsystems lokalisiert, wird
aber durch gestresste, nekrotische oder aktivierte
Neutrophile oder Monozyten/Makrophagen in großen
Mengen sezerniert. Das Molekül fungiert als Alarmin
und signalisiert dem Organismus eine endogene
Störung des immunologischen Gleichgewichtes [14].
Calprotectin unterstützt aufgrund seiner chemotakti-
schen Eigenschaften die Infiltration des Entzündungs-
herdes mit weiteren Immunzellen und induziert nach
Bindung an Immunrezeptoren die Sekretion entzün-
dungsfördernder Botenstoffe durch diese Zellen.
Die Bestimmung der Calprotectin-Konzentration im
Serum stellt eine valide Ergänzung bzw. Alternative zu
den herkömmlichen Laborparametern zur Bewertung
inflammatorischer Prozesse dar. Sowohl bei Kindern
als auch bei Erwachsenen wurden bei einer Vielzahl
von entzündungsassoziierten Erkrankungen gute
Korrelationen zwischen dem Krankheits- und Thera-
pieverlauf und der Höhe des Calprotectins im Serum
festgestellt, so auch bei einer Reihe von Autoimmun-
erkrankungen, insbesondere des rheumatischen For-
menkreises (z. B. Rheumatoide Arthritis, Morbus Still,
Systemischer Lupus erythematodes, ANCA-assozi-
ierte Vaskulitis und Glomerulonephritis) [15].
Individuelle proinflammatorische Prädisposition
Die Intensität der Reaktion aktivierter Phagozyten kann
in Abhängigkeit von genetischen Prädispositionsfak-
toren (z. B. Zytokingen-Polymorphismen) oder unter
dem Einfluss eines immunsuppressiven oder immun-
stimulatorischen Milieus individuell sehr variieren.
Eine verminderte Aktivierung und Zytokinfreisetzung
(Hyporeaktivität) hat eine reduzierte Entzündungsant-
wort zur Folge. Betroffene Personen (Low-Responder)
leiden aufgrund der abgeschwächten Immunabwehr
oftmals an schweren und wiederkehrenden Infekti-
onen. Personen, die hingegen mit einer verstärkten
Produktion proinflammatorischer Mediatoren reagie-
ren (High-Responder), neigen zu übersteigerten oder
chronischen Entzündungsreaktionen als Konsequenz
der Stimulation der Phagozyten (Hyperreaktivität) und
weisen ein erhöhtes Risiko für die Entstehung autoin-
flammatorischer Prozesse auf. Durch Erstellung eines
proinflammatorischen Zytokinstatus kann in vitro die
individuelle Kapazität von Phagozyten zur Produktion
entzündungsfördernder Mediatoren nach deren Akti-
vierung bestimmt werden. Die Analyse beruht auf der
Quantifizierung diverser Zytokine (u.a. IL-1β, IL-6, TNF-
α) im Zellkulturüberstand von Leukozytenkulturen, die
zum Zwecke der Aktivierung der Blutmonozyten mit
einem bakteriellen Stimulator inkubiert werden. Im
Fall einer signifikanten Erhöhung der Produktion von
mindestens zwei der drei entzündungsfördernden
Zytokine wird der Patient als „High-Responser“ klas-
sifiziert, gleichbedeutend mit einer individuell erhöh-
ten proinflammatorischen Prädisposition und einem
erhöhten Risiko für das Auftreten überschießender
oder chronischer Entzündungsreaktionen nach Akti-
vierung des Immunsystems [16].
Individuelle antientzündliche Therapie
(TNF-α-Hemmtest)
Die Unterscheidung autoimmuner und autoinflamm-
atorischer Prozesse ist auch hinsichtlich der Therapie
der Erkrankung von eminenter Wichtigkeit. Bei klas-
sischen Autoimmunerkrankungen kommen häufig
Therapien mit Biologika zum Einsatz, die direkt gegen
Lymphozyten gerichtet sind. Beispiele hierfür sind
der die B-Zellen depletierende Antikörper Rituximab,
der somit auch die Produktion von Autoantikörpern
stoppt, oder das chimäre Molekül Abatacept, das die
Aktivierung von T-Lymphozyten bremst.
Bei autoinflammatorischen Prozessen oder Autoim-
munreaktionen mit starker entzündlicher Komponente
stehen hingegen antiinflammatorisch wirksame The-
rapien im Vordergrund. Bei einer Reihe von Autoim-
munerkrankungen werden in diesem Sinne TNF-α-
Blocker eingesetzt. Es handelt sich um Präparate, die
entweder die Bindungsaffinität des löslichen TNF-α
an seinen Rezeptor auf der Zielzelle vermindern oder
den TNF-Rezeptor auf der Zielzelle kompetitiv blo-
ckieren. Die genannten Biologika senken aber nicht
die Freisetzung von TNF-α aus den Makrophagen.
Bis heute stehen dafür in der Praxis nur die bekann-
ten antientzündlichen Glukokortikoid-Wirkstoffe (z. B.
Hydrocortison, Prednisolon, Dexamethason) oder
nichtsteroidale Antirheumatika (z. B. Ibuprofen, ASS)
zur Verfügung, jedoch ist eine längerfristige Einnahme
derartiger Präparate aufgrund zahlreicher Nebenwir-
kungen problematisch. Für eine Modulation der Ent-
zündungsreaktion kann daher die Anwendung von
nebenwirkungsärmeren Wirkstoffen im Rahmen einer
147
Sonderheft Inflammatio
OM & Ernährung 2021 | SH23
komplementären antiinflammatorischen Therapie in
Betracht gezogen werden. Es stehen hierfür einige
Phytopharmaka, Naturstoffpräparate und Nahrungser-
gänzungsmittel mit antientzündlichen Eigenschaften
zur Verfügung. Hinsichtlich des individuellen Anspre-
chens auf diese Präparate zeigen sich allerdings
große Unterschiede.
Um ein geeignetes Präparat für solch eine ange-
strebte antientzündliche Therapie auf Grundlage der
individuellen Wirksamkeit auszuwählen, empfiehlt
sich aus labordiagnostischer Sicht eine Vortestung
im TNF-α-Hemmtest. In diesem Zellfunktionstest wird
in vitro individuell das Ausmaß der Hemmwirkung
ausgewählter Präparate auf die induzierte TNF-α-
Freisetzung durch Monozyten aus einer Blutprobe der
Testperson untersucht. Die jeweilige antiinflammatori-
sche Effektivität der Naturstoffpräparate wird anhand
des Vergleichs mit der Hemmwirkung, die wiederum
individuell für ein Glukokortikoid (Prednisolon) ermit-
telt wird, evaluiert (Abb. 3). Zu den potentiellen Kan-
didaten, die in experimentellen Studien eine vermin-
derte TNF-α-Freisetzung bewirkt haben, zählen u.a.
Curcumin, Weihrauchharze wie Boswellia (Boswellia
serrata, indischer Weihrauch) oder Boscari (Boswellia
carterii, afrikanischer Weihrauch), Bromelain, Querce-
tin oder Resveratrol.
Fazit
Bei klinischer Verdachtsdiagnose auf Vorliegen
einer autoaggressiven Erkrankung stehen dem
Therapeuten im Rahmen der serologischen und
zellulären Immundiagnostik eine Reihe sensitiver
und spezifischer Laboranalysen zur Verfügung,
um eine autoinflammatorische oder autoreaktive
Immunlage erkennen und gegebenenfalls eine
antientzündliche Therapie einleiten und kontrollie-
ren zu können.
Abb. 3 Individueller Musterbefund TNF-α-Hemmtest: Die Naturstoffpräparate Boswellia (Boswellia serrata, indischer Weihrauch) und Boscari (Boswellia
carterii, afrikanischer Weihrauch) hemmen in vitro die induzierte Freisetzung von TNF-α (TNF-alpha-Response) aus Blutmonozyten und haben somit
die höchste antiinflammatorische Aktivität der getesteten Präparate.
Abb. 3: Individueller Musterbefund TNF-
a
-Hemmtest: Die Naturstoffpräparate Boswellia
(Boswellia serrata, indischer Weihrauch) und Boscari (Boswellia carterii, afrikanischer
Weihrauch) hemmen in vitro die induzierte Freisetzung von TNF-
a
(TNF-alpha-Response) aus
Blutmonozyten und haben somit die höchste antiinflammatorische Aktivität der getesteten
Präparate.
Fazit
Bei klinischer Verdachtsdiagnose auf Vorliegen einer autoaggressiven Erkrankung stehen
dem Therapeuten im Rahmen der serologischen und zellulären Immundiagnostik eine Reihe
sensitiver und spezifischer Laboranalysen zur Verfügung, um eine autoinflammatorische
oder autoreaktive Immunlage erkennen und gegebenenfalls eine antientzündliche Therapie
einleiten und kontrollieren zu können.
Kontakt
Sudowe wie immer
Literatur
[1] Newton K, Dixit VM. 2012. Signaling in innate immunity and inflammation. Cold Spring
Harb Perspect Biol; 4(3): a006049.
148
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Sonderheft Inflammatio
PD Dr. rer. nat. et med. habil. Stephan Sudowe
Hans-Böckler-Straße 109
55129 Mainz | Deutschland
T +49 (0)6131.7205 150
F +49 (0)6131.7205 100
dr.sudowe@ganzimmun.de
www.ganzimmun.de
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