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übersichtsarbeit
Psychotherapie Forum
https://doi.org/10.1007/s00729-021-00183-4
Zoom-Fatigue managen
Die Belastungen des psychotherapeutischen Online-Video-Settings erkennen
und einen achtsamen Umgang mit der eigenen Gesundheit pflegen
Andrea Legerer-Bratengeyer
Angenommen: 28. Oktober 2021
© Der/die Autor(en) 2021
Zusammenfassung Im März 2020, bedingt durch die
Corona-Pandemie, hat sich die Berufsgruppe der Psy-
chotherapeut_innen flexibel und spontan auf die An-
forderung des Online-Settings als Behandlungsformat
eingelassen. Es galt die Versorgung der Klient_innen
unbedingt aufrecht zu halten und einen Anteil an der
Gesamtgesundheit der Bevölkerung zu leisten. Durch
digitale Kommunikation im Online-Video-Setting er-
geben sich für Psychotherapeut_innen bisher wenig
beachtete, zusätzliche Belastungen. Insbesondere Ar-
beitsplatzsicherheit (Bildschirmarbeitsverordnung),
Achtsamkeit und Sorgsamkeit für Augen, Binokular-
system, Rücken, Schultern und Nacken sowie der
Umgang mit einer neuen Form der Erschöpfung,
der Zoom-Fatigue, sind von Bedeutung. Die Arbeits-
welt 4.0 hat Einzug in die psychotherapeutischen
Praxen gehalten und bringt neue Aspekte und Anfor-
derungen an Selbstfürsorge und Psychohygiene.
Schlüsselwörter Arbeitsplatzsicherheit ·
Belastungen · Bildschirmarbeitsplatz ·
Gesundheitskompetenz · Videosetting ·
Selbstfürsorge · Zoom-Fatigue
Managing Zoom-Fatigue
How psychotherapists can recognise the strain
within the framework of the video call and cultivate
a mindful relationship with their own health
Summary In March 2020 owing to the Covid-19 pan-
demic psychotherapists responded spontaneously
and flexibly to the demands of the video call as treat-
ment format. The continuing provision of the clients
care was deemed essential as was contributing to the
A. Legerer-Bratengeyer ()
Beatrixgasse 3/21, 1030 Wien, Österreich
andrea@legerer.net
general health of the population. Little observed until
now, the strain experienced due to the increased us-
age of video sessions has grown. This article focuses
particularly on job security (VDU work regulation),
mindfulness of and care for the eyes, the binocu-
lar system, back, shoulders and neck. The dealing
with Zoom Fatigue, a new form of exhaustion, is of
relevance too when considering physical health. The
Workplace 4.0 has found its way into psychotherapeu-
tic practices and brings new aspects and challenges
to self-care and mental hygiene.
Keywords Job security · Workplace 4.0 · Strain · VDU
work · Video calls · Self-care · Zoom-fatigue
Im März 2020 erzwang die Corona-Pandemie eine ra-
dikale Veränderung unserer Kommunikation. Um mit
anderen Menschen in Kontakt bleiben zu können und
gleichzeitig eine visuelle Wahrnehmung des anderen
zu erfahren, steigt die Anzahl der Videokontakte ra-
sant. Unterschiedliche Videokonferenzsysteme kom-
men hierfür zum Einsatz. Ein Anbieter eines Vide-
odienstes ist das Unternehmen Zoom, welches zum
Namensgeber der Zoom-Fatigue geworden ist – ei-
nem Erschöpfungszustand, der unmittelbar nach ei-
nem virtuellen Meeting auftritt.
Betroffene fühlen sich müde, gereizt und frus-
triert. Körperliche Symptome wie Verspannungen
im Nacken- und Schulterbereich sowie Augen- und
Kopfschmerzen sind häufige Kennzeichen der Er-
schöpfung (Lehmann-Willenbrock 2021).
Frustration wird eng verknüpft mit mangelhafter
Medienkompetenz (Brown Epstein 2020). Die neuen
Anforderungen der Technik verunsichern, beanspru-
chen Energie und lenken leicht vom eigentlichen
Auftrag der Begegnung im virtuellen Raum ab. Kenn-
zeichen von Zoom-Fatigue treten bei Menschen auf,
KZoom-Fatigue managen
übersichtsarbeit
die unvorbereitet und mit einem zu hohen Anspruch
(Workload) Videokonferenzsysteme in das Arbeitsle-
ben integriert haben (Hacker et al. 2020).
Zusätzlich verursacht der Einsatz von technischen
Hilfsmitteln nicht zu vernachlässigende Kosten. Vie-
le Menschen verwenden kleine Endgeräte wie Lap-
tops und Notebooks oder alte Computer, die unge-
eignet für den Einsatz des Video-Settings sind. Eine
neue Ausrüstung, die möglicherweise nach der Coro-
na-Pandemie nicht mehr gebraucht wird, stellt einen
zusätzlichen Kostenfaktor dar, der Stress verursachen
kann (Reinach Wolf 2020).
Psychotherapeut_innen erleben derzeit eine nie da-
gewesen Doppelbelastung. Als Menschen sind sie von
den globalen Geschehnissen und Maßnahmen Betrof-
fene, im professionellen Berufsvollzug sorgen sie für
Stabilität und halten die psychotherapeutische Versor-
gung aufrecht. Diejenigen, die sich auf das Online-
Video-Setting eingelassen haben, sind zusätzlich mit
den Anforderungen und Belastungen durch die ver-
mehrte Bildschirmaktivität konfrontiert.
Eine weitere mögliche Stressquelle stellt die Kon-
zeption der Online-Video-Sitzung dar. Während das
eigentliche (online) Gespräch dem Gespräch im Pra-
xisraum sehr ähnlich ist unterscheiden sich das „Mit-
einander in Kontakt kommen“ sowie der Gesprächs-
abschluss deutlich vom Präsenzsetting. Der Einstieg
in die gemeinsame Arbeit ist durch das Zuschalten
der Teilnehmenden sehr abrupt und das Ende ist ge-
kennzeichnet durch einen Klick. Entsprechend dieser
spezifischen Anforderung des Online-Video-Settings
muss ein Übergang in und aus der Videosequenz für
Klient_innen gestaltet werden (Engelhardt und Engels
2021; Sümmerer 2020).
Sümmerer (2020) berichtet von Hinweisen da-
rauf, dass sich Psychotherapeut_innen verantwortlich
fühlen für die Internetverbindung. Bei technischen
Schwierigkeiten entstehen Schuldgefühle und ver-
schieden Mechanismen der Kompensation kommen
zur Anwendung – z. B. Verantwortungszuweisung oder
besonders intensive Aufmerksamkeit.
Die Zoom-Fatigue hat weniger mit dem Inhalt des
Gespräches zu tun, sondern bezieht sich auf die be-
sonderen Rahmenbedingungen des Settings.
Ursachen der Zoom-Fatigue
Bailenson (2021) hat vier mögliche Ursachen der
Zoom-Fatigue ausfindig gemacht.
Langanhaltende Bildfixierung auf kurze Distanz
Der Bildausschnitt in einer Videokonferenz ist, be-
dingt durch die Größe des Bildschirms, stark einge-
schränkt. Meist ist der Körper des Gegenübers nur
von den Schultern aufwärts zu sehen. Eine ganzheit-
liche nonverbale Kommunikation kann nicht stattfin-
den und die Resonanz ist auf Mimik und paraverbale
Elemente, wie z.B. Atmung, Tonlage und Tonstärke,
beschränkt. Oftmals sind diese Rückmeldungen zu-
sätzlich durch schlechte Bild- und Tonqualität beein-
trächtigt, was aktives Zuhören erschwert (Lehmann-
Willenbrock 2021). Um den Blickkontakt zum/zur Ge-
sprächspartner_in aufrecht zu halten ist es notwendig,
direkt in die Kamera zu schauen, meist ist es ein klei-
ner Punkt am oberen Bildschirmrand und die Augen
möglichst wenig zu bewegen. Diese Anforderung ist
nicht nur für uns als soziale Wesen ungewohnt, son-
dern auch für das Sehsystem unnatürlich und sehr
anstrengend.
Augenbeschwerden, ausgelöst durch eine übermä-
ßige Anstrengung, wie sie die Bildschirmtätigkeit dar-
stellt sind schon sehr lange bekannt und können in
dem Begriff der Asthenopie zusammengefasst werden.
Asthenope Beschwerden sind ein Symptomkomplex,
bestehend aus Kopfschmerzen, Augenschmerzen und
geröteten Augen, verschwommenem Sehen, Doppel-
bilder, rasche Ermüdung und Muskelverspannungen,
die zu geringerer Leistungsfähigkeit im Laufe des Ta-
ges führen (Orthoptik Austria 2021). Die normale Lid-
schlagfrequenz während des Sprechens ist mit ca. 15
Lidschlägen pro Minute angesetzt. Bei der Bildschirm-
tätigkeit ist die Lidschlagfrequenz signifikant auf ca. 4
Lidschläge pro Minute reduziert und die Befeuchtung
der Augen ist nicht mehr gewährleistet. Spürbar wird
der Mangel an Tränenflüssigkeit an der Oberfläche des
Auges, das sogenannte Sicca-Syndrom,durchschmer-
zende, trockene und gerötete Augen (Messmer 2015).
Erhöhte kognitive Anforderungen
Die Nutzung von Videokonferenzsystemen erfordert
eine Reflexion des eigenen Verhaltens. Bei der Inter-
aktion von Angesicht zu Angesicht läuft die nonver-
bale Kommunikation natürlich und fließend – Psy-
chotherapeut_innen haben in umfassenden Selbst-
erfahrungsprozessen ausführliche Erfahrungen über
sich und den eigenen Körper gemacht. Diese Selbst-
erfahrung fehlt beim Einsatz des Online-Video-Set-
tings und die zuvor jahrelang erfolgreich eingesetzte
Kommunikation muss adaptiert werden. Die Anpas-
sung an die neuen Bedingungen ist fordernd, benö-
tigt Aufmerksamkeit und „automatische Reaktionen“
(Bailenson 2021) auf nonverbale Hinweise müssen
überwunden werden.
Im Online-Video-Setting finden häufiger Unterbre-
chungen statt. Schon ein Blick zur Seite hat eine so-
ziale Bedeutung und Benutzer_innen erhalten stän-
dig nonverbale Hinweise, die im Face-to-Face Kontext
eine bestimmte Bedeutung hätten, im Online-Video-
Setting allerdings anders decodiert werden müssen
(Bailenson 2021).
Erscheint die Videoübertragung im ersten Blick
als synchron, ist bei näherer Betrachtung eine klei-
ne Zeitverzögerung vorhanden und das menschliche
Gehirn ist veranlasst, diese auszugleichen. Auch diese
Anstrengung kann einen kognitiven Belastungsfaktor
darstellen (Wiederhold 2020).
Zoom-Fatigue managen K
übersichtsarbeit
Lehmann-Willenbrock (2021) diskutiert eine mög-
licherweise reduzierte Ausschüttung von Dopamin
während eines Videogesprächs. Unser Gehirn sucht
nach sozialen Signalen des Gegenübers (Interpre-
tation von Körpersprache) und schüttelt daraufhin
Dopamin aus, welches uns dabei unterstützt, wach,
konzentriert und aufmerksam zu sein. Fehlen diese
Reize oder erfahren wir verwirrende Informationen,
entsteht Stress und Adrenalin und Noradrenalin wer-
den ausgeschüttet. Ein hoher Energieverbrauch setzt
ein, der in Müdigkeit und Erschöpfung endet.
Konfrontation mit der eigenen Erscheinung am
Bildschirm
Als problematischer wird die Funktion der Selbstan-
sicht von Zoom angeführt. Benutzer_innen sehen sich
während eines Gesprächs dauerhaft mit dem eige-
nen Bild konfrontiert. Die Wahrnehmung des eigenen
Spiegelbildes kann zum einen zu prosozialem Verhal-
ten führen, zum andren ist die ständige Selbstein-
schätzung über ein Echtzeit-Feed sehr stressig (Bai-
lenson 2021).
Bennett et al. (2021) messen diesem Aspekt weniger
Bedeutung bei und empfehlen weiterführende Studi-
en mit einem Videokonferenzprogramm, das die Ein-
stellung „hide self“ anbietet.
Einschränkung der körperlichen Mobilität
Bedingt durch die Möglichkeiten der Kamera bietet
sich nur ein sehr eingeschränkter Bewegungsraum an.
Einmal „online“ gegangen ist der physische Raum für
Benutzer_innen von Videokonferenzsystemen sehr
dezimiert und entspricht der Form eines Kegels. Im
Wesentlichen bedeutet das, dass die Sitzhaltung starr
ist und der Blick immer geradeaus nach vorne gerich-
tet ist (Bailenson 2021).
Die Dauer der Nutzung hat Einfluss auf musku-
läre Überbelastung im Nacken-, Schulter- und Lum-
balbereich und die bewegungsarme Zeit wird als Ri-
sikofaktor für Zivilisationserkrankungen erkannt. Bei
gleichzeitiger Anwesenheit im realen Raum findet zwi-
schen Gesprächspartner_innen deutlich mehr Bewe-
gung statt (Gotzmann 2019).
Genderbedingte Faktoren
Fauville et al. (2021) ergänzen einen fünften Risi-
kofaktor. Untersucht wurde anhand der ZEF Scale
(Zoom Exhaustion & Fatigue Scale), ob Persönlich-
keit, Alter, Geschlecht und Ethnie einen Prädiktor
darstellen. Häufiger betroffen und stärker ausgeprägt
ist die Zoom-Fatigue bei Frauen. Stärker betroffen
sind introvertierte und jüngere Menschen.
Arbeit 4.0 in der psychotherapeutischen Praxis
Spätestens durch den Einsatz von Videokonferenzsys-
temen in der therapeutischen Arbeit ist die digitale
Transformation in den Praxen der Berufsgruppe an-
gekommen. Die Arbeitswelt 4.0 hat Einzug gehalten.
Der Begriff Arbeit 4.0 leitet sich von Industrie 4.0
ab und beschreibt die Nutzung und Anwendung digi-
taler Kompetenzen im Rahmen von Arbeit. Im Ober-
begriff 4.0 finden sich auch Konzepte und Bezeich-
nungen wie New Work oder agile Arbeit (Lindner et al.
2018). Digitalisierung verursacht Stress und konfron-
tiert die Person mit Volatilität, Unsicherheit, Komple-
xität und Ambiguität – den sogenannten VUKA-Bedin-
gungen, die in keinem anderen Bereich rasanter fort-
schreiten als im Gesundheitswesen (Mierke und van
Amern 2018;Knapeetal.2020;Unkrig2020).
Die Notwendigkeit, sich mit den Anforderungen der
Digitalisierung im eigenen Berufsfeld auseinanderzu-
setzen, ist schon lange keine Willensfrage mehr, son-
dern eine Bedingung für eine moderne und klienten-
orientierte Praxisführung. Neben den vielen positiven
Aspekten der Online-Video-Settings wie z.B.: größere
Lebensnähe zu Klient_innen und ein höheres Maß an
Autonomie für Klient_innen im therapeutischen Pro-
zess (Engelhardt und Engels 2021) braucht es einen
klaren Blick auf mögliche gesundheitliche Risiken.
Schaff (2019) berichtet von einem starken Anstieg
von psychischer Belastung, chronischer Überforde-
rung, Ermüdung, Stress und Krankmeldungen und
fordert, Präventionsfaktoren in den Veränderungs-
prozess aufzunehmen. Hardering (2020)setztsich
mit dem Sinnerleben in der Arbeit 4.0 auseinander
und identifiziert die Digitalisierung als Treiber von
Fragmentierung und Beschleunigung: „[...]die inder
Arbeitswelt zu schwachen bzw. fehlenden Resonanzbe-
ziehungen führen und damit Gefühle der Entfremdung
forcieren können.“
Was bedeutet das nun für die Gestaltung des
Arbeitsplatzes für Psychotherapeut_innen?
Eine digitale Praxis, ergänzend zum Präsenzsetting zu
führen, kann eine wunderbare und sinnstiftende Ar-
beitswelt für Psychotherapeut_innen sein.
Lange Zeit war es, bedingt durch die österreichi-
sche Internetrichtlinie, schwierig in den unterschied-
lichen Online-Settings zu arbeiten und jene Psycho-
therapeut_innen, die es wagten, haben sich in einem
rechtlichen Graubereich bewegt. Humer et al. publi-
zierten 2020 als ein Ergebnis einer Onlinebefragung
von 1547 Psychotherapeut_innen, dass der Weg in die
digitale Praxis, bedingt durch die Corona-Pandemie,
als unproblematisch erlebt wurde. Österreichische
Psychotherapeut_innen konnten den neuen Bereich
„Psychotherapie via Internet“ rasch annehmen und
umsetzten, erlebten Psychotherapie auf Distanz aber
nicht ident mit Psychotherapie im face-to-face-Set-
ting. Einzig in Bezug auf Sicherheit und Datenschutz
KZoom-Fatigue managen
übersichtsarbeit
wünschten sich die Teilnehmer_innen der Studie
mehr Informationen (Humer et al. 2020).
Die Anforderungen des Online-Video-Settings an
Gesundheitskompetenz, Selbstfürsorge und Psycho-
hygiene verlangen allerdings eine Anpassung an die
neuen, digitalen, Bedingungen. Genauso wie sich das
Präsenzsetting nicht einfach 1:1 in das Online-Video-
Setting übertragen lässt, sondern es einer klaren Kon-
zeption der Online-Praxis bedarf, müssen auch die
bewährten Mechanismen von Selbstfürsorge und Psy-
chohygiene nachgerüstet oder ergänzt werden.
Die besonderen Rahmenbedingungen des psycho-
therapeutischen Praxisalltags stellen zumindest eine
solide Basis dar, um die Zoom-Fatigue managen zu
können. In der Studie „Zoom-Fatigue“ (n= 422) des
Instituts für Beschäftigung und Employability Lud-
wigshafen (Rump und Brandt 2020)gabenrund60%
der Teilnehmer_innen an, Zoom-Fatigue zu spüren.
Ausgehend von dieser Gruppe (n= 251) empfinden
77,7% der Befragten eine Begrenzung der Meeting-
zeit als hilfreich. Für 72,2 % ist eine Pause von 10 min
zwischen den Meetings wirkungsvoll. Für 40,2 % ist
es förderlich, wenn die Teilnehmeranzahl eines Mee-
tings begrenzt wäre. 55,7% wünschten sich humor-
volle Meetings und 45,0% der Befragten wollten in
das Meeting miteinbezogen werden.
Psychotherapiesitzungen sind klar begrenzte Zeit-
einheiten, geben absolute Transparenz bezüglich der
Teilnehmeranzahl und üblicherweise findet zwischen
den Sitzungen eine Pause von ca. 10min statt. Aus
dem Punkt „humorvolle Meetings“ und dem Wunsch
miteinbezogen zu werden lässt sich schließen, dass
Emotionalität und das Bedürfnis wahrgenommen zu
werden auch auf Distanz vorhanden ist und die Qua-
lität einer menschlichen Begegnung ausmachen.
Mehr als ein Drittel der Befragten (34,9 %) maßen
der Anpassung des Arbeitsplatzes eine Bedeutung bei.
Dieser Punkt ist für die Umsetzung des Online-Video-
Settings in der psychotherapeutischen Praxis relevant,
da eine zeitgemäße technische Ausstattung und ein
Schreibtischarbeitsplatz bisher im Berufsalltag weni-
ger zum Einsatz kamen.
Gesundheitskompetenz und Arbeitsplatz-
gestaltung
Gesundheitskompetenz in Bezug auf Arbeit bedeu-
tet, sich mit den Besonderheiten des Online-Video-
Settings hinsichtlich des eigenen Körpers und Psyche
auseinanderzusetzen und entsprechende Maßnah-
men zu setzen. Die neue Arbeitsumgebung ist nun
ein Schreibtisch mit einem Bildschirm, an dem oft
stundenlang und nahezu unbewegt gesessen wird.
Um sich unter diesen Bedingungen möglichst lange
wohl zu fühlen, braucht es einen Raum mit ange-
nehmer Temperatur, wenig Lärm und einem guten
Klima. Schreibtisch und Sessel bilden eine Einheit
und sollten in der Höhe anpassbar sein. Speziell
der Sessel garantiert Standsicherheit, im Optimalfall
durch ein fünfarmiges Fußkreuz und einer Lordosen-
stütze. Besonderes Augenmerk ist auf die Ausrichtung
des Bildschirms zu legen. Es sollten weder auf dem
Bildschirm noch auf dem Gesicht der User_in Blen-
dungen oder Reflexionen entstehen. Demnach sollten
Lichtquellen, unabhängig davon, ob es natürliches
oder künstliches Licht ist, niemals von vorne di-
rekt in das Gesicht leuchten, sondern ausnahmslos
immer von der Seite kommen. Die Allgemeine Un-
fallversicherungsanstalt (AUVA) ist eine seriöse Quelle
für Arbeitsplatzsicherheit und bietet im Merkblatt
M026-Bildschirmarbeitsplätze ausreichend Informati-
on (AUVA 2021).
Oftmals arbeiten Psychotherapeut_innen als Ein-
Personen-Unternehmer_innen (EPU) und können die
Verantwortung der Arbeitsplatzgestaltung nicht an
einen Arbeitgeber delegieren. Selbstverantwortung
und sorgsamer Umgang mit den eigenen Ressour-
cenliegendannausschließlich in der eigenen Hand.
Diese Unternehmensform hat den Vorteil eines ho-
hen Grades an Selbstbestimmung, allerdings fallen
EPUs bei klassischen Präventions- und betrieblichen
Gesundheitsmaßnahmen durch den Raster. Nur ein
persönliches Gesundheitsmanagement kann die eige-
ne Arbeitskraft schützen (Janneck et al. 2019).
Selbstfürsorge und Psychohygiene
Die Unverzichtbarkeit von Selbstfürsorge und Psy-
chohygiene ist längst im Bewusstsein der Psychothe-
rapeut_innen fest verankert und stellt ein Merkmal
der Qualitätssicherung dar. Reddemann (2003)erklärt
Selbstfürsorge folgend: „Ich verstehe darunter einen
liebevollen, wertschätzenden, achtsamen und mitfüh-
lenden Umgang mit mir selbst und Ernstnehmen der
eigenen Bedürfnisse.“
Zentrales Element von Selbstfürsorge ist es, mit sich
selbst in einer guten Beziehung zu stehen, die Signale
der eigenen Seele wahrzunehmen und diesen sorg-
sam und achtsam zu begegnen. Es existieren viele
unterschiedliche Zugänge, um sich etwas Gutes tun.
Dies kann durch einen körperlichen, mentalen, so-
zialen oder auch spirituellen Zugang erfolgen. Selbst-
und Zeitmanagement mag eine Rolle spielen, Super-
vision, Intervision oder ein einfacher Austausch mit
Kolleg_innen kann sehr wohltuend sein. Ebenso bie-
tet die Fähigkeit, berufliches und privates zu trennen
und Grenzen zwischen der Therapeut_in und dem pri-
vaten Ich zu etablieren Schutz vor dem Ausbrennen
(Gerhardinger 2020).
Anregungen zur Selbstreflexion
Sich auf ein neues, digitales Setting einzulassen, for-
dert die Selbstreflexion von Psychotherapeut_innen
besonders heraus.
Folgende Fragen dienen zur Reflexionsanregung:
Welche Schlüsselressourcen sind vorhanden? Reicht
meine Medienkompetenz aus? Ist mein PC leistungs-
Zoom-Fatigue managen K
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stark und die Internetverbindung stabil? Habe ich
eine, für das Gesundheitswesen zertifizierte Über-
tragungssoftware gewählt und kann dadurch Daten-
sicherheit gewährleisten? Wer kann mir hilfreiche
Rückmeldung zu meiner Bildschirmpräsenz geben?
Kann ich mich auf die neuen Bedingungen voll einlas-
sen oder dient das Setting zur Überbrückung? Fühle
ich mich in das Setting gedrängt, um existentiell nicht
den Boden zu verlieren und entsteht daraus Befan-
genheit? Kann ich es aushalten, dass ich das Setting
nicht mehr alleine gestalte, sondern auf die Vertrau-
lichkeit der Klient_in und des Videodienstanbieters
angewiesen bin? Erlebe ich im Online-Setting mög-
licherweise einen Kontrollverlust? Kann ich Krisen
im Online-Video-Setting managen? Wie geht es mir
mit dem Tempo im Online-Video-Setting? Mache ich
genug Pausen zwischen den Online-Video-Sitzungen?
WiefindeichkörperlichenAusgleich,umVerspan-
nungen im Rücken-, Schulter- und Nackenbereich
zu lösen? Welche Augenübungen helfen mir bei der
Entspannung des Binokularsystems? Könnte Medita-
tion dem kognitiven Stress entgegenwirken? Gibt es
analoge Beziehungen in meinem privaten Leben? –
zu Menschen, zur Natur oder zu Tieren?
Sich auf etwas Neues und Unerprobtes einzulassen
erfordert viel Mut. Mut, um es zu wagen, und Mut,
um Fehler zu machen. Die Besinnung auf die eige-
nen fachlichen Ressourcen und die Versöhnung mit
Sitzungen, die vielleicht nicht ganz perfekt gelaufen
sind, können entlastend wirken.
Ausblick
2005 forschten Reimer et al., was zur Verbesserung
der Lebensqualität von Psychotherapeut_innen füh-
ren könnte. Die Erkenntnis, dass neben psychohygie-
nischen Maßnahmen auch besser abgesicherte Be-
rufsperspektiven zu einer Steigerung der Lebensqua-
lität beitragen, ist derzeit aktueller denn je (Reimer,
Jurkat, Vetter 2005). Probst et al. konnten 2020 be-
legen, dass es zu einer Steigerung des Stress-Levels
bei österreichischen Psychotherapeut_innen kommt,
wenn in Krisenzeiten (Corona-Pandemie) die thera-
peutische Tätigkeit die einzige Einnahmequelle dar-
stellt (Probst et al. 2020).
Die bereits geforderte Ausbildung in Online-The-
rapie (Eichenberg 2021), eine rasche Umsetzung
konstruktiver Gesetze und zeitgemäßer Rahmenbe-
dingungen für synchrone und asynchrone Online-
Therapie sowie die Möglichkeit einer dauerhaften
Abrechnung der Online-Stunden durch die Sozialver-
sicherungen könnten zur Gesundheit, Motivation und
Entlastung der Berufsgruppe beitragen.
Interessenkonflikt A. Legerer-Bratengeyer gibt an, dass kein
Interessenkonflikt besteht.
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Zoom-Fatigue managen K