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Gesundheitsrisiko Mobilfunkstrahlung? Was ändert sich mit 5G?
Health Risk Mobile Phone Radiation?
What Will Change with 5G?
Autoren
Martin Röösli1, 2 , Omar Hahad3, 4 , Stefan Dongus1, 2 , Nicolas Loizeau1, 2 , Andreas Daiber3, 4 , Thomas Münzel3, 4 ,
Marloes Eeftens1, 2
Institute
1 Schweizerisches Tropen- und Public Health-Institut, Basel,
Schweiz
2 Universität Basel, Basel, Schweiz
3 Zentrum für Kardiologie, Kardiologie I, Universitätsmedizin
der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Mainz,
Deutschland
4 Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK),
Standort Rhein-Main, Mainz, Deutschland
Schlüsselwörter
5G, Mobilfunk, Tumor, elektromagnetische Hypersensibilität,
Exposition
Key words
5G, mobile phone, tumour, electromagnetic hypersensitivity,
exposure
Bibliografie
Aktuel Kardiol 2021; 10: 531–536
DOI 10.1055/a-1545-0875
ISSN 2193-5203
© 2021. The Author(s).
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Georg Thieme Verlag KG, Rüdigerstraße 14,
70469 Stuttgart, Germany
Korrespondenzadresse
Prof. Martin Röösli
Epidemiology and Public Health
Schweizerisches Tropen- und Public Health-Institut
P. O. Box
CH-4002 Basel, Schweiz
martin.roosli@swisstph.ch
ZUSAMMENFASSUNG
Die Exposition der Bevölkerung durch hochfrequente elektro-
magnetische Felder (HF-EMF) wird durch die körpernahe Nut-
zung von drahtlosen Kommunikationsgeräten dominiert. Die
Exposition durch körperferne Sendeanlagen liegt im Durch-
schnitt mehrere Größenordnungen unterhalb der internatio-
nalen Richtwerte. Mit der zunehmenden mobilen Datennut-
zung und der damit verbundenen Nutzung von höheren Fre-
quenzen für 5G ist mit einer Verdichtung des Mobilfunknetzes
zu rechnen. Damit steigt aber nicht notgedrungen die HF-
EMF-Gesamtexposition der Bevölkerung, da Mobiltelefone bei
besserer Signalqualität weniger stark emittieren. 5G ist eine
technologische Weiterentwicklung der bisherigen Mobilfunk-
technologie mit gleichen biophysikalischen Eigenschaften. Bis-
her konnten keine gesundheitlichen Auswirkungen unterhalb
der Richtwerte konsistent nachgewiesen werden. Beobachtete
biologische Effekte wie beispielsweise auf die elektrische Akti-
vität des Gehirns oder auf das oxidative Gleichgewicht bei ho-
her lokaler Exposition im Bereich der Expositionsrichtwerte
stellen nach heutigem Kenntnisstand kein Gesundheitsrisiko
dar.
ABSTRACT
Exposure of the population to radiofrequency electromagnetic
fields (RF-EMF) is dominated by the use of wireless communi-
cation devices close to the body. Exposure from transmitters
far from the body is on average several orders of magnitude
below the international guideline values. With increasing mo-
bile data usage and the associated use of higher frequencies
for 5G, a densification of the mobile network is to be ex-
pected. However, this will not necessarily increase the overall
RF-EMF exposure of the population, as mobile phones emit
less with better signal quality. 5G is a technological advance-
ment of the previous mobile radio technology with the same
biophysical properties. So far, no health effects below the
guideline limits have been consistently demonstrated for RF-
EMF. Biological effects such as changes of the electrical activity
of the brain or the oxidative balance were observed for high
local exposure in the range of the exposure guideline limits.
According to current knowledge, they do not represent a
health risk.
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Kurzübersicht
Online publiziert: 02.12.2021
Glossar
HF-EMF hochfrequente elektromagnetische Felder
ICNIRP International Commission on Non-Ionizing Radiation
Protection
ROS reaktive Sauerstoffspezies
SAR spezifische Absorptionsrate
WAS IST WICHTIG?
▪Die Exposition der Bevölkerung gegenüber hochfrequen-
ten elektromagnetischen Feldern (HF-EMF) wird haupt-
sächlich durch die eigene Nutzung von drahtlosen Kom-
munikationsgeräten bestimmt.
▪5G ist eine Weiterentwicklung der bestehenden Mobil-
funktechnologie. Es gibt keine substanziellen Hinweise,
dass 5G andere biologische Wirkungen hat als bisher ver-
wendete Mobilfunktechnologien.
▪Im Bereich der Grenzwerte für körpernah betriebene Ge-
räte wurden biologische Auswirkungen beobachtet.
Nach heutigem Kenntnisstand sind damit keine gesund-
heitlichen Risiken verbunden. Die Exposition durch Mo-
bilfunkbasisstationen ist im Allgemeinen deutlich gerin-
ger als bei körpernah betriebenen Endgeräten, und da-
mit auch eventuelle gesundheitliche Risiken.
Grenzwerte für körpernahe
und körperferne Quellen
Drahtlose Kommunikationsgeräte emittieren hochfrequente elek-
tromagnetische Felder (HF-EMF). Bei der Regulierung und Charak-
terisierung der HF-EMF-Exposition der Bevölkerung wird zwischen
körpernah betriebenen Quellen (z.B. Mobil- und Schnurlostelefo-
ne, Laptops) und körperfernen HF-EMF-Quellen (z.B. Mobilfunk-
basisstationen, Radio- und Fernsehantennen, Mobiltelefone ande-
rer Personen) unterschieden. Bei körpernah betriebenen Geräten
findet eine lokale Exposition statt und die spezifische Absorptions-
rate (SAR), gemittelt über 10 Gramm Gewebe, ist die maßgebliche
Expositionsgröße (Einheit: W/kg). Unter Berücksichtigung eines Si-
cherheitsfaktors von 10 betragen die Expositionsrichtwerte der
ICNIRP (International Commission on Non-Ionizing Radiation Pro-
tection) für lokale Absorption im Frequenzbereich von 100 kHz bis
6 GHz für die allgemeine Bevölkerung 2 W/kg (Rumpf und Kopf)
und 4 W/kg (Gliedmaßen) [1]. Für berufliche Expositionen sind die
Richtwerte jeweils 5-mal höher (▶Abb. 1). Diese Grenzwerte gel-
ten für alle europäischen Länder.
Bei körperfernen Quellen ist der ganze Körper einem mehr oder
weniger homogenen Feld ausgesetzt, was mit der Ganzkörper-SAR
charakterisiert wird. Der Richtwert für die Allgemeinbevölkerung
beinhaltet einen Sicherheitsfaktor von 50 und beträgt 0,08 W/kg.
Da die SAR nicht direkt messbar ist, wird für die Regulierung die
Ganzkörper-SAR frequenzabhängig in eine elektrische Feldstärke
(in V/m) oder in eine Leistungsflussdichte (in W/m²) umgerechnet.
Die Expositionsrichtwerte der ICNIRP [1], welche die Grundlagen
für die Festsetzung der Grenzwerte in europäischen Ländern bil-
den, liegen bei den gegenwärtig genutzten Mobilfunkfrequenzen
zwischen 36 und 61 V/m. Oberhalb von 6 GHz wird HF-EMF nur
oberflächlich absorbiert und daher empfiehlt die ICNIRP als Richt-
wert für die Ganzkörperexposition eine Leistungsflussdichte von
10 W/m² (statt eine SAR) [1].
KURZGEFASST
Bei der Festlegung der Expositionsrichtwerte für körpernahe
Endgeräte (z.B. Mobiltelefone) wurde ein Sicherheitsfaktor
von 10 berücksichtigt und für körperferne Sender (z. B. Mo-
bilfunkbasisstationen bzw. Sendemasten) ein Sicherheitsfak-
tor von 50. Für Letztere gelten also tiefere Grenzwerte.
Exposition der Bevölkerung durch
hochfrequente elektromagnetische Felder
Persönliche Messungen mit tragbaren Geräten haben sich be-
währt, um die typische Exposition gegenüber körperfernen Quel-
len im Alltag zu erfassen. In der EU-Studie GERONIMO wurden sol-
che Messungen bei 529 Kindern im Alter von 8 bis 18 Jahren aus
Dänemark, Holland, Schweiz, Slowenien und Spanien zwischen
2014 und 2016 durchgeführt. Die mittlere Exposition lag bei
0,17 V/m, also Größenordnungen tiefer als die Expositionsricht-
werte für körperferne Quellen. Ähnliche Werte wurden auch in an-
deren Ländern und bei Erwachsenen beobachtet [2]. Werte über
1 V/m sind selten (▶Abb. 1). Beispielsweise lagen bei persönlichen
Messungen von zufällig ausgewählten Personen aus dem Kanton
Zürich (Schweiz) im Jahr 2015 weniger als 1% aller Messwerte
oberhalb von 1 V/m [3]. Ein Wert von 1 V/m entspricht einem
Ganzkörper-SAR-Wert von etwa 0,01 mW/kg und einer maximalen
lokalen SAR von etwa 0,25 mW/kg [1]. Bei einem Mobiltelefon
können im ungünstigsten Fall rund 1000-mal stärkere lokale SAR-
Werte auftreten (2 W/kg).
Persönliche Messstudien erfassen die Strahlenabsorption durch
körpernah betriebene Quellen nicht adäquat. Für kumulative Ab-
schätzungen der HF-EMF-Absorption braucht es daher dosimetri-
sche Berechnungen, wie sie in der EU-Studie GERONIMO für 1755
Personen aus Frankreich, Holland, Schweiz und Spanien anhand ih-
rer mobilen Nutzungsdaten durchgeführt wurden [4]. Die mittlere
kumulative absorbierte Ganzkörper- bzw. Gehirndosis betrug
290 mJ/kg/d und 819 mJ/kg/d. Wie aus ▶Abb. 2 ersichtlich, sind
Mobiltelefonanrufe die Hauptquelle für die Gehirndosis (83 %). Kör-
perferne Quellen tragen nur 7,7 % zur kumulativen Gehirndosis bei
(Mobilfunkbasisstationen: 4,1%). Zur Ganzkörperdosis tragen
ebenfalls hauptsächlich körpernahe Quellen bei (68 %). Neben Mo-
biltelefonanrufen sind der mobile Datenverkehr und die Nutzung
von Tablets eine wichtige Ursache. Mobilfunkbasisstationen ma-
chen 8,3% der Ganzkörperdosis aus und alle Fernfeldquellen zu-
sammen 20%.
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Kurzübersicht
KURZGEFASST
Die eigene (körpernahe) Nutzung von drahtlosen Kommuni-
kationsgeräten macht den Hauptanteil der kumulativen HF-
EMF-Exposition in der Bevölkerung aus. Die Exposition durch
körperferne Quellen ist im Durchschnitt mehrere Größen-
ordnungen kleiner als der Expositionsrichtwert.
Was ändert sich mit 5G?
5G (New Radio) ist eine Weiterentwicklung der vorherigen Mobil-
funkstandards 2G (GSM), 3G (UMTS) und 4G (LTE) mit dem Ziel,
eine größere Datenrate zu erreichen, welche mit geringerer Ver-
zögerung (Latenz) übertragen werden kann. Damit sollen neue
Anwendungen möglich gemacht werden. Das Modulationsverfah-
ren ist ähnlich wie bei 4G und WLAN (v. a. Orthogonal Frequency-
Division Multiplexing). 5G kann theoretisch auf allen bisherigen
Mobilfunkfrequenzen betrieben werden. Zusätzlich werden im
Vergleich zu den heutigen Mobilfunkfrequenzen sowohl tiefere
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0,01 mW/kg 0,1 mW/kg 1 mW/kg 0,01 W/kg 0,1 W/kg 1 W/kg 10 W/kg
1 V/m 10 V/m 36–61 V/m
0,01 W/m2
ICNIRP-Richtlinien
Ganzkörperexposition
ICNIRP-Richtlinien
lokale Exposition
0,1 W/m21W/m
210 W/m2
SAR
E-Feld
Leistungs-
flussdichte
0,4 W/kg**
** beruflich
10/20 W/kg**0,08 W/kg* 2/4 W/kg*
* Öffentlichkeit
lokale Exposition durch körpernahe Quellen
Ganzkörperexposition
durch körperferne Quellen
▶Abb. 1 Überblick über die Einheiten, ICNIRP-Expositionsrichtwerte für HF-EMF im Frequenzbereich 100 kHz bis 6 GHz sowie typische Expositions-
werte im Alltag durch körperferne und körpernahe Quellen. Die dargestellte Äquivalenz von SAR und E-Feld (elektrische Feldstärke in V/m) bzw.
Leistungsflussdichte gilt näherungsweise für den Mobilfunkfrequenzbereich. ICNIRP: International Commission on Non-Ionizing Radiation Protec-
tion, SAR: spezifische Absorptionsrate
mittlere Ganzkörperdosis mittlere Gehirndosis
30,2%
16,0%
14,7%
7,1%
0,7%
0,3%
9,7%
1,0% 5,5 %
8,3%
6,6%
82,6%
1,0%4,1%2,7%1,7%
1,6%
0,3%
1,6%
1,5%
3,0%
Mobilfunkanrufe
Mobiltelefondaten
Schnurlostelefon-
anrufe
Tab let
Laptop
Schnurlostelefon-
basisstation
WLAN-Router
divers
Mobiltelefone von
anderen Leuten
Mobilfunkbasis-
stationen
TV- und Radiosender
▶Abb. 2 Überblick über die Beiträge von verschiedenen HF-EMF-Quellen zur kumulativen Ganzkörper- (links) und Gehirndosis (rechts) gemäß van
Wel u. Mitarb. 2021 [4]. Körpernahe Quellen sind in roten und orangefarbenenTönen gefärbt, körperferne Quellen in Grüntönen und gemischte
Quellen in Blautönen.
Frequenzen um 700 MHz –bisher für Fernsehsignalübertragungen
genutzt –wie auch höhere Frequenzen um 3,5 GHz eingesetzt
(bisher WiMAX). In Zukunft ist geplant, für 5G auch das Frequenz-
spektrum oberhalb von 24 GHz zu nutzen. Je höher die Frequenz,
desto höher ist die Übertragungsdämpfung und desto geringer ist
die Eindringtiefe in den Körper. So führt bei gleicher Sendeleistung
ein Mobiltelefonat bei 3,5 GHz zu einer 6- bzw. 2-mal geringeren
Strahlenabsorption des Gehirns im Vergleich zu den gegenwärtig
genutzten Frequenzen um 1 bzw. 2 GHz [5].
Wie sich die Einführung von 5G gesamthaft auf die Exposition
der Bevölkerung auswirken wird, hängt von den zukünftigen Appli-
kationen ab, die zurzeit noch weitgehend unbekannt sind. So war
bei der Einführung von 2G auch nicht vorhersehbar, dass Text-
nachrichten eine wichtige Anwendung dieser Technologie sein
würden. Danach schaffte der 3G-Standard die Voraussetzungen
für die Nutzung von Smartphones, welche einige Jahre später ent-
wickelt wurden.
Grundsätzlich führt, unabhängig von 5G, die zunehmende mo-
bile Datennutzung zu einem erhöhten Bedarf an Mobilfunkbasis-
stationen. 5G ist effizienter als bisherige Mobilfunktechnologien,
und damit nehmen die Emissionen pro übermittelte Datenmenge
ab [6]. Eine weitere Neuerung von 5G sind adaptive Antennen.
Das bedeutet, dass gezielt in die Richtung der Datennutzung ge-
sendet wird. Je höher die Frequenz, desto gezielter kann die Sen-
derichtung eingestellt werden. Bei den 5G-Frequenzen um
3,5 GHz kann der Sendewinkel auf etwa 10° reduziert werden,
während konventionelle Antennen typischerweise einen Sende-
winkel von 60 bis 120° besitzen. Mit diesem sogenannten „Beam-
forming“kann zeitlich begrenzt die Exposition am Ort von starker
Datennutzung ansteigen. Jedoch nimmt sie in allen anderen Ge-
bieten ab. Simulationsstudien kommen zum Schluss, dass die
durchschnittliche Exposition bei adaptiven 5G-Antennen bei glei-
cher übermittelter Datenmenge rund 2- bis 5-mal geringer ist als
mit den heutigen Technologien [5, 7]. Zudem sind die Emissionen
von 5G-Mobilfunkbasisstationen im Stand-by-Betrieb geringer als
bei älteren Technologien.
Die zunehmende mobile Datennutzung und die damit verbun-
dene Nutzung von höheren Frequenzen für 5G wird zu einer Zu-
nahme von Mobilfunkbasisstationen führen. Das muss aber nicht
notwendigerweise eine Zunahme der Bevölkerungsexposition ge-
genüber HF-EMF nach sich ziehen. So kam eine Simulationsstudie
für die Schweiz zum Schluss, dass mehr Mobilfunkbasisstationen,
d.h. eine Reduktion des Zellenradius, zu einer Verringerung der
Gesamtexposition von Mobilfunknutzenden um einen Faktor 2–10
führen [5]. Der Hauptgrund liegt darin, dass in einem dichteren
Netz die Signalqualität besser ist und damit die Sendeleistung des
eigenen Mobiltelefons geringer ausfällt. Je nach Art der Technolo-
gie und Art der Nutzung kann der Unterschied durch diese Leis-
tungsregelung einen Faktor von 100000 oder mehr ausmachen
[8].
KURZGEFASST
5G ist eine Weiterentwicklung der gegenwärtigen Mobil-
funktechnologie mit praktisch gleichen biophysikalischen
Eigenschaften. Aus Sicht der HF-EMF-Exposition bietet 5G
eine Möglichkeit, die zunehmende mobile Datennutzung
ganz oder zumindest teilweise mit höherer technologischer
Effizienz zu kompensieren. Zudem dringen höhere Frequen-
zen weniger tief in den Körper ein.
Bewertung der gesundheitlichen Risiken
Unbestritten ist, dass HF-EMF eine thermische Wirkung haben.
Beim Expositionsrichtwert der ICNIRP für die Allgemeinbevölke-
rung beträgt die maximale Erwärmung der Körperkerntemperatur
bei Ganzkörperexposition 0,02 °C und die lokale Erwärmung
0,2 °C (Kopf und Rumpf) bzw. 0,5 °C (Gliedmaßen). Dies kann po-
tenziell das Herz-Kreislauf-System beeinflussen. Ein niederländi-
sches Expertengremium kommt jedoch, basierend auf 3 epi-
demiologischen Studien und 24 humanexperimentellen Studien,
zum Schluss, dass HF-EMF unterhalb der Richtwerte keinen Ein-
fluss auf das kardiovaskuläre und vegetative Nervensystem haben
[9]. Mehr Evidenz gibt es zum Einfluss von hohen lokalen HF-EMF-
Expositionen im Bereich des Richtwerts auf die elektrische Aktivi-
tät des Gehirns im wachen Ruhezustand und im Schlaf [6]. In der
Mehrzahl der randomisierten Humanstudien wurden dabei Verän-
derungen im Alpha-Frequenzbereich beobachtet, obwohl in eini-
gen Studien kein Effekt gefunden wurde oder andere Frequenz-
bereiche betroffen waren. Die beobachteten Veränderungen lie-
gen im Schwankungsbereich der normalen Werte. Sie wirkten sich
nicht auf die kognitive Leistungsfähigkeit oder die subjektive
Schlafqualität aus, und in der großen Mehrheit der Studien war die
Makrostruktur des Schlafes, d.h. die Verteilung der Schlafphasen,
nicht beeinflusst [6].
In In-vitro- und In-vivo-Studien wurden bei unterschiedlichsten
Expositionsbedingungen Einflüsse von HF-EMF auf die Bildung von
reaktiven Sauerstoffspezies (ROS) beobachtet [10]. Möglicherwei-
se ist zumindest ein Teil dieser Resultate auf die thermische Wir-
kung von HF-EMF zurückzuführen, wie es auch für Infrarotstrah-
lung beobachtet wird. Die Produktion von ROS könnte theoretisch
aber auch ein Indiz für längerfristige schädliche Auswirkungen
sein. Epidemiologische Studien zu bösartigen Hirntumoren im Zu-
sammenhang mit Mobiltelefonnutzung zeigen jedoch mehrheit-
lich kein erhöhtes Erkrankungsrisiko [11]. Vereinzelt beobachtete
erhöhte Risiken in Fallkontrollstudien sind wahrscheinlich metho-
disch bedingt und auf eine systematische Überschätzung der re-
trospektiv erhobenen Telefonnutzungsdauer von Hirntumorpa-
tienten im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen zurückzufüh-
ren. Da mittlerweile der größte Teil der Bevölkerung ein Mobiltele-
fon nutzt, müsste sich ein relevant erhöhtes Tumorrisiko in einem
Anstieg der Hirntumorerkrankungen in den letzten Jahren geäu-
ßert haben. Zeittrendanalysen in mehreren Ländern ergaben je-
doch keine Hinweise, dass die Inzidenz von Tumoren im Kopf-
bereich mit einer gewissen Verzögerung ansteigt, nachdem die
Mehrheit der Bevölkerung in den entsprechenden Ländern begon-
nen hat, Mobiltelefone zu benutzen. Vereinzelte Beobachtungen
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Kurzübersicht
von einer Zunahme der Glioblastome können plausibel auf eine
Änderung in der diagnostischen Kodierungspraxis zurückgeführt
werden, da gleichzeitig andere Arten von Hirntumoren abgenom-
men haben, jedoch die Gesamtzahl konstant blieb. In 4 Fallkon-
trollstudien aus Südkorea, Großbritannien, Deutschland und der
Schweiz wurden keine konsistenten Zusammenhänge zwischen
Kinderleukämien und HF-EMF-Exposition durch körperferne Quel-
len beobachtet [6].
Ein Teil der Bevölkerung führt Befindlichkeits- und Gesundheits-
störungen auf die Belastung durch elektromagnetische Felder in
ihrem Wohn- oder Arbeitsumfeld zurück. Diese Selbstattribution,
für welche es keine messbaren diagnostischen Kriterien gibt, wird
als elektromagnetische Hypersensibilität bezeichnet. Eine Vielzahl
von experimentellen Doppelblindstudien, die teilweise auch elek-
tromagnetisch hypersensible Personen einschlossen, ergeben star-
ke Evidenz gegen die Auslösung unspezifischer Beschwerden
durch kurzfristige HF-EMF-Exposition [12]. Für langfristige HF-
EMF-Expositionen wurde in den meisten epidemiologischen Stu-
dien mit methodisch guter Expositionsabschätzung keine Beein-
trächtigung des Wohlbefindens durch Exposition gegenüber kör-
perfernen HF-EMF-Quellen am Wohnort beobachtet [6]. In Bezug
auf körpernahe Mobiltelefonnutzung fand eine große prospektive
Kohortenstudie aus Finnland und Schweden keine Zunahme von
Kopfschmerzen [13] oder Schlafproblemen [14] innerhalb von
4 Jahren.
Bis vor Kurzem gab es keine qualitativ genügende epidemiolo-
gische Studie zum Einfluss der Mobilfunkstrahlung auf die Sper-
mienqualität, obwohl das Thema öffentlich kontrovers diskutiert
wird. In einer kürzlich veröffentlichten prospektiven Kohortenstu-
die wurde bei rund 3000 Personen kein Einfluss von einem Mobil-
telefon in der vorderen Hosentasche auf die Spermienqualität und
die Zeitdauer bis zum Nachweis einer Schwangerschaft beobach-
tet [15].
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass unterhalb der Ex-
positionsrichtwerte keine gesundheitlichen Auswirkungen konsis-
tent nachgewiesen sind. In Bezug auf die zukünftige Nutzung von
höheren Frequenzen, die auf der Körperoberfläche absorbiert wer-
den, sind mögliche Auswirkungen auf die Haut und das Auge noch
vertieft zu untersuchen, auch wenn es keine substanziellen Hin-
weise gibt, dass dieser Frequenzbereich, welcher zwischen den ge-
genwärtig genutzten Mobilfunkfrequenzen und Infrarotstrahlung
liegt, andere, noch unbekannte biophysikalische Auswirkungen
hätte.
Fazit
Unterhalb der Expositionsrichtwerte konnten bisher keine gesund-
heitlichen Auswirkungen konsistent nachgewiesen werden. Biolo-
gische Auswirkungen im Bereich des Richtwerts für körpernah be-
triebene HF-EMF-Quellen stellen gemäß heutigem Kenntnisstand
kein Gesundheitsrisiko dar. Es gibt keine fundierten Hinweise, dass
5 G andere gesundheitliche Auswirkungen als die bisherigen draht-
losen Kommunikationstechnologien hat.
Interessenkonflikt
Die Forschung von Martin Röösli ist vollständig von öffentlichen oder ge-
meinnützigen Stiftungen finanziert. Martin Röösli ist und war als Berater
für eine Reihe von nationalen und internationalen öffentlichen Bera-
tungs- und Forschungslenkungsgruppen bezüglich der möglichen ge-
sundheitlichen Auswirkungen der Exposition gegenüber nichtionisieren-
der Strahlung tätig, darunter die Weltgesundheitsorganisation, die Inter-
national Agency for Research on Cancer (IARC), die Internationale Kom-
mission zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung (ICNIRP), die
Schweiz (Mitglied der Arbeitsgruppe "Mobilfunk und Strahlung" und Vor-
sitzender der Expertengruppe BERENIS), die deutsche Strahlenschutz-
kommission (Mitglied des Ausschusses Nichtionisierende Strahlung (A6)
und Mitglied der Arbeitsgruppe 5G (A630)) und die unabhängige Exper-
tengruppe der schwedischen Strahlenschutzbehörde. Von 2011 bis 2018
war M.R. unbezahltes Mitglied des Stiftungsrates der Schweizerischen
Forschungsstiftung Strom und Mobilkommunikation, einer gemeinnützi-
gen Forschungsstiftung an der ETH Zürich. Weder Industrie noch Nicht-
regierungsorganisationen sind im wissenschaftlichen Beirat der Stiftung
vertreten.
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