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Gazing AnOther. Die Konstruktion postfeministischer Blickperspektive in Phoebe Waller-Bridges 'Fleabag'.

Authors:

Abstract

Meine Hausarbeit untersucht die formalen Konventionen des ,weiblichen Blicks’, um die symbolische Dimension des »Blickes« und seine Inszenierung in den visuellen Medien und den Geschlechterperspektiven zu hinterfragen: Was wird von wem wie gesehen? Wie unterscheidet sich der ,weibliche Blick’ vom ,männlichen’ und welche formalen Elemente definieren seine visuelle Sprache? Wie bestimmen Kameraführung, Kadrierung, Blickachsen etc. die visuelle Wahrnehmung des Publikums? Warum und für wen wird ein Blick geschlechtlich konstruiert? Wessen Ideologien verkörpern sich in solchen Blickkonstruktionen und was ändert dies an unserer Erfahrung als Zuseher*in?
Gazing AnOther
Die Konstruktion postfeministischer
Blickperspektive in Phoebe Waller-Bridges
Fleabag
WS20|21
Verfasserin: Teresa Steiner
Matrikelnr.: 902973
Betreuerin: Prof.in Dr. phil. habil. Petra Maria Meyer
Muthesius Kunsthochschule Kiel
M.A. Spatial Strategies / M.F.A. Film & Time-based Media
Index
+ Abstract
1. Der »Blick«. Eine Begrisklärung.
2. Privileg Blick
2.1. Der ,männliche Blick’ nach Laura Mulvey
2.2. ‚Männliche Schaulust’ und ihre politische (Aus)nutzung
2.3. ‘Is the Gaze Male?’ Bewusste Blickführung und Bildproduktion
2.4. Der ,weibliche Blick’. Was ist der Female Gaze ?
3. Die Phänomenologie des »Blicks«
3.1. Das ‚Blickregime’ nach Kaja Silverman
3.2. Identikation durch spectatorial pleasure
4. Blickkonstruktion und female gaze in
Phoebe Waller-Bridges Fleabag
4.1. Die Frau: Fleabag
4.2. A Feminist's Gaze? Der Blick nach Postfeminismus in Fleabag
4.3. Female Pleasure. Zeitgenössische Inszenierung weiblicher Sexualität
4.4. Die Blickbeziehung zwischen Fleabag und Betrachter*in
4.5. Empathie und Maskerade als spectatorial pleasure.
Fleabags Beziehung zur Kamera selbst
+ Fazit
+ Quellenverzeichnis
+ Abbildungsverzeichnis
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¹ Laura Mulvey, *1941, ist eine britische Filmtheoretikerin,
Professorin für Film- und Medienwissenschaft am Birkbeck
College der Universität London, Autorin und Feministin.
² Kaja Silverman, *1947, ist eine US-amerikanische Filmkri-
tikerin, Kunsthistorikerin, Autorin und Feministin.
³ Jacques Lacan, 1908−1981, war ein französischer Psychiater
und Psychoanalytiker.
 Jean-Paul Sartre, 1905−1980, war ein französischer Roman-
cier, Dramatiker, Philosoph, Religionskritiker und Publizist.
Er gilt als Vordenker und Hauptvertreter des Existentialis-
mus.
Abstract
Wie bestimmen sozialer Status und Geschlecht unsere visuelle Wahrnehmung? Welche Politik
manifestiert sich in unseren kulturellen Produkten und durch wessen Filter betrachten wir die
Welt? Der sogenannte ,männliche Blick’ gilt bislang als eine vorherrschende Perspektive in Film
und visuellen Medien, durch welche Bilder konstruiert werden. Dies liegt wohl oder übel an
der Tatsache, dass Männer seit Anbeginn der Filmgeschichte die Führungspositionen besetzen.
Seit 1980 hat jedoch eine kleine Anzahl weiblicher, auf Frauen ausgerichteter Filme und Fern-
sehsendungen Diskurse über die Darstellung weiblicher Perspektive ausgelöst. Der Medienjour-
nalismus nennt dieses Phänomen den female gaze. Im Gegensatz zu Laura Mulveys etablierter
eorie des male gaze steckt jene zwar noch in den Kinderschuhen, dennoch erlebt der Begri,
besonders in den letzten Jahren eine Hochkonjunktur. Er wurde etabliert, um kinematographi-
sche Werke zu beschreiben, die der dominanten ,männlichen’ Blickperspektive den Spiegel zu
entziehen versuchen. Meine Hausarbeit untersucht die formalen Konventionen des ,weiblichen
Blicks’, um die symbolische Dimension des »Blickes« und seine Inszenierung in den visuellen
Medien und den Geschlechterperspektiven zu hinterfragen: Was wird von wem wie gesehen?
Wie unterscheidet sich der ,weibliche Blick’ vom ,männlichen’ und welche formalen Elemente
denieren seine visuelle Sprache? Wie bestimmen Kameraführung, Kadrierung, Blickachsen
etc. die visuelle Wahrnehmung des Publikums? Warum und für wen wird ein Blick geschlecht-
lich konstruiert? Wessen Ideologien verkörpern sich in solchen Blickkonstruktionen und was
ändert dies an unserer Erfahrung als Zuseher*in?
Vorwiegend von einem emanzipatorischen Erkenntnisinteresse geleitet, möchte ich anhand
lm-theoretischer Essays von Laura Mulvey¹ und Kaja Silverman², der Psychoanalyse von Jacques
Lacan³ sowie der soziologischen Phänomenologie von Jean-Paul Sartre das Konzept des Blickes
erläutern, und dabei die Begrie des female gaze und female pleasure in den Vordergrund stellen.
Mein emanzipatorisches Erkenntnisinteresse bildet sich gewissermaßen aus einem Dilemma
zwischen eigener ,Schaulust’ und einer kritisch-feministischen Positionierung gegenüber dem
Gesehenen heraus.
2
Fleabag (2016; 2019), 2 Staeln in 12 Episoden, je 23-28
Min. Prod.: Two Brothers Pictures, [Erstausstrahlung: 21.
Juli 2016 auf BBC ree (UK)].
 Phoebe Waller-Bridge, *1985, ist eine britische Schauspie-
lerin, Dramatikerin und Drehbuchautorin.
Auf den Grundlagen von Mulveys Visual Pleasure and Narrative Cinema (1975) in Kapitel 2
und Silvermans e reshold of the Visible World (1996) in Kapitel 3 wird vor allem beleuchtet,
wie die Zuschauerschaft ,visuelles Vergnügen’ (visual pleasure) erfährt und einen Identikati-
onprozess mit dem Gesehenen erlebt. Ich werde dabei eng mit den englischen Originalbegrien
wie gaze, look, pleasure arbeiten, die in Mulveys und Silvermans Publikationen ihre Verwen-
dung nden, da ihre deutschen Übersetzungen teilweise nicht präzise genug sind. Dies gilt
gleichfalls für die französischen Begrie wie le regard und un-donné-à-voir in den Werken von
Lacan und Sartre. Meine Analyse der Serie Fleabag von Phoebe Waller-Bridge und der dar-
in enthaltenen Blickkonstruktion in Kapitel 4, werden meine ese unterstützen, dass Blicke
und narrative Techniken, wie das Brechen der Vierten Wand und die Adressierung des Pub-
likums, die übliche (passive) Beziehung zwischen Dargestellten und Betrachter*in verändern
und eine neue Art der Empathie für den screen surrogate schaen. Abschließend veranschau-
licht das Fazit die Herausforderungen wie die Chancen, denen der female gaze als Blickkonzept
gegenübersteht.
Da meine Hausarbeit versucht patriarchale Machtstrukturen zu entlarven, kann sie gerne als
feministisch gelesen werden.
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1. Der »Blick«. Eine Begrisklärung.
“Vision is the sense best adapted to express this dehumanization: it works at a distance
and need not be reciprocal, it provides a great deal of easily categorized information, it
enables the perceiver accurately to locate (pin down) the object, and it provides the gaze,
a way of making the visual object aware that she is a visual object. Vision is political, as
is visual art, whatever (else) it may be about.“
Naomi Scheman, 1993.
Es sind die Blicke, die neben Gestik und Mimik den wichtigsten Teil nonverbaler Kommu-
nikation ausmachen und dabei ist ein »Blick« nicht gleich ein »Blick«. Auch im Wortkosmos
der deutschen Sprache wird zwischen Arten des Blickens (sehen, schauen, beobachten, starren
etc.) unterschieden. Die deutsche Übersetzung des gaze als ,Blick’ oder ,starrer Blick’ ist nicht
präzise genug, da er metaphorisch als ,die Lust am Schauen’ gilt; Kaja Silverman differenziert
zwischen ,Blick’ (look) und ,Blickregime’ (gaze). Auch bei Lacan und Sartre wird le regard oft
mit ,Blick’ und l'oeil mit ,Auge’ übersetzt − was an diesen Schreibweisen unbefriedigend bleibt,
ist die Verhaftung an der Physiologie des Sinnesorgans und dem Ausbleiben der strukturellen
Dimension des gaze.¹ Innerhalb der visuellen Kultur- und Medienwissenschaften ist der Be-
gri von großer Bedeutung, da er über eine rein-theoretische Bezeichnung hinaus geht, und
vielmehr ein Blickkonzept behandelt, das sich damit beschäftigt, wie ein Publikum visualisier-
te Darstellungen von Personen wie Mann und Frau wahrnimmt. Die verschiedenen Arten des
Blickens sind dabei kategorisiert, je nachdem wer blickt. Oftmals wird gaze daher auch als das
Sehen der Kamera oder der Blick des Zusehenden interpretiert. Philosophin Naomi Scheman
erklärt ihn zu einem entmenschlichenden Akt im Blickverhältnis zweier Personen. Anhand
dieser Definition macht Scheman deutlich, dass durch Blicke auch Macht und Gewalt ausge-
übt werden können, indem Person B durch Blicke von Person A den Status eines Objekt über-
mittelt bekommt.¹¹ Diese Interpretation basiert auf der Phänomenologie von Jean-Paul Sartre
und seiner sozio-philosophischen Konstruktion des Blicks. Im Werk Das Sein und das Nichts
(1943) beschreibt er wie Blicke des einen Menschen einen subjektiven Machtunterschied auf
einen anderen Menschen ausüben, indem die betrachtete Person als Objekt und nicht als Sub-
jekt wahrgenommen wird.¹² Lacan verweist in seiner Psychoanalyse dabei auf die Konstruktion:
Das Privileg des Blicks – aber auch der Grund, weshalb [sich] das Subjekt so lange in dieser
Abhängigkeit verkennen konnte – liegt in der Struktur des Blicks selbst.“¹³
 Scheman, Naomi: inking about Quality in Women’s Vi-
sual Art. Engenderings: Constructions of Knowledge, Authority,
and Privilege. New York: Routledge, 1993. S.159.
 Vgl. Web. https://www.linguee.de/search?query=Gaze,
aufgerufen am 05. Januar 2021.
 Vgl. Silverman, Kaja: Dem Blickregime begegnen. In:
Kravagna, Christian (Hg.): Privileg Blick. Kritik der visuellen
Kultur. Berlin: Rotation Vertrieb, Edition ID – Archiv,
1997. S.41−64.
¹ Vgl. Kravagna, Christian (Hg.): Privileg Blick. Kritik der
visuellen Kultur. Berlin: Rotation Vertrieb, Edition ID –
Archiv, 1997. S.62.
¹¹ Vgl. Scheman, Naomi: inking about Quality in Women’s
Visual Art. Engenderings: Constructions of Knowledge, Authori-
ty, and Privilege. New York: Routledge, 1993. S.159.
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2. Privileg Blick
2.1. Der ,männliche Blick’ nach Laura Mulvey
Seit Jahrzehnten werden in den Kultur- und Medienwissenschaften Blickverhältnisse unter-
sucht, die im Kontext mit partriachalen Machtverhätnissen und Heterosexismus stehen.
Ein Begriff, der vor allem in der feministischen Filmtheorie von herausragender Bedeutung
ist, ist der so genannte male gaze. Dieser bezeichnet die Art und Weise wie in der bildende
Kunst, im Film aber auch in der Literatur, Frauen aus männlicher Sicht dargestellt werden.
Der ,männliche Blick’ konstituiert sich dabei aus den Darstellungen heraus, die Frauen als
Objekte ,männlicher Schaulust’ (male pleasure) bestimmen und die Sichtweise einer vorangig
heterosexuellen, männlichen Bildbetrachtung bekräftigen. Die Einführung des male gaze kann
auf die Filmtheoretikerin und -schaffende Laura Mulvey und ihren Aufsatz Visual Pleasure and
Narrative Cinema (1975) zurückgeführt werden. Laut Mulvey handelt es sich um eine bewuss-
te Bildproduktion, die im Rahmen einer partriachalen Ordnung erzeugt und in den visuellen
und ästhetischen Darstellungen des Erzählkinos durch drei Perspektiven bestimmt wird: (1)
die Perspektive der Person hinter der Kamera, (2) die des Charakters innerhalb der filmischen
Darstellung; und (3) die des Zuschauers, der betrachtet.¹ Die freudianischen und lacanschen
Konzepte sind für Mulveys Theorie dabei grundlegend; da sie die Analyse des male gaze mit
psychoanalytischen Verhaltensbegriffen wie Voyeurismus (Vergnügen beim Betrachten Ande-
rer), Skopophilie (Vergnügen beim Schauen) und Narzissmus (Vergnügen beim Betrachten des
eigenen Selbst) in Zusammenhang bringt. In ihrem Essay wird das Phänomen des ,männlichen
Blicks’ als Ausdruck einer Machtasymmetrie zwischen männlichem Blick (aktiv) und weiblicher
Angeblickten (passiv) im Film deutlich. Mulvey kritisiert an dieser Blickkonstruktion vor allem,
dass Frauen als das Objekt des Blickes betrachtet werden, anstatt als Blickende selbst aktiv zu
werden. Zudem werde das Kamerabild und die damit einhergehende Blickführung unter der
Annahme gestaltet, dass das Zielpublikum vorrangig aus Cis-Männern¹ bestehe. Hierbei steht
das visual pleasure der männlichen Zuschauerschaft (und der Autorenschaft) im Vordergrund.
Das ,visuelle Vergnügen’ fungiert dabei als Motor einer narrative machine (Belton, 1993), deren
Ziel es ist, die Erzählung „spontan in die Gegenwart der Zuschauer und für deren unmittelba-
ren Konsum und Genuss”¹ zu verorten. Die subtilen, visuellen Manipulationstechniken des
Kinos ermöglichen dem Betrachter schließlich ein ,visuelles Vergnügen’ − sei es ästhetisch, emo-
tional, pathologisch oder sexuell − sobald sich jener auf das Leben der Bildschirmwelt einlässt.
¹² Vgl. Sartre, Jean-Paul: Das Sein und das Nichts. Versuch
einer phänomenologischen Ontologie. Reinbek bei Hamburg,
1994. S.459.
¹³ Lacan, Jacques: Die vier Grundbegrie der Psychoanalyse.
Das Seminar Buch XI. Weinheim/Berlin: Quadriga Verlag,
1996. S.89.
¹ Anm.: Hier wird absichtlich nicht gegendert, da Mulvey
stark von einem männlichen Kameramann, einem männli-
chen Helden (Protagonisten) und einem männlichen Zu-
schauer ausgeht.
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Die gesehenen, konsumierbaren Bilder sind somit das Ergebnis einer erfolgreichen Manipula-
tion des Publikums und in diesem Sinne nicht objektiv, da sie einer bewussten Konstruktion
unterliegen:
[…] Bilder bilden nicht einfach ab, im Gegenteil: sie produzieren Wissen und erzeugen
Wirklichkeiten, sie sind, in einer foucaultianischen Perspektive, Teil gouvernementaler
Regierungstechnologien. Das heißt, sie konstituieren Sichtbarkeit und Evidenz, sie kon-
struieren Wahrscheinlichkeiten, sie geben das Eine dem Blick frei und machen im selben
Atemzug das Andere unsichtbar.“¹
Wie wir bereits wissen, findet der Begriff des male gaze seinen Ursprung in der feministischen
Filmtheorie. Das Konzept des ,männlichen Blicks’ beruht jedoch auf John Bergers Studie über
europäische Kunst der Post-Renaissance (Berger, 1972), und wurde von Mulvey und ande-
ren Theoretiker*innen übernommen (Mulvey, 1975) und vertiefend untersucht (Mulvey 1989;
Bartky 1990). Das unausgewogene Machtverhältnis des gaze deutet vor allem auf eine kultu-
rell-basierte Ungleichheit der Geschlechter, und der kunstgeschaffene »Blick« fällt jener Dys-
balance zum Opfer, in der das Frauenbild bzw. die Sexualisierung der Frau weiterhin zentral
bleibt. Die Bilder des male gaze gelten demnach als Beweis für patriarchale Strukturen, „versi-
chern Männern ihre sexuelle Macht und verweigern gleichzeitig weibliche Sexualität außerhalb
des männlichen Konstruktes.“¹ Dieses Konzept ist gängig und findet sich auch in anderen
Medienformaten wieder: In der Werbung wird die Frau vergleichsweise mehr als nur zu einem
angestarrten Objekt − sie wird zu dem, was verkauft und gekauft wird, während die Botschaft
dahinter gleich bleibt: „Sex sells“ oder „‚Kauf das Image, ‚bekomme‘ die Frau“¹. In beiden
Fällen degradiert der male gaze Frauen zu Gebrauchsartikeln, die dazu beitragen sollen, ein Pro-
dukt “an den Mann zu bringen”. Dieses Konzept erinnert auch an das traditionelle Bildthema
des weiblichen Aktes in der Renaissance, in dem Frauen zum sexualisierten Objekt werden, das
in den Besitz des Auftraggebers übergeht.
“Woman […] stands in patriarchal culture as a signifier for the male other, bound by a
symbolic order in which man can live out his fantasies and obsessions through linguistic
command by imposing them on the silent image of woman still tied to her place as bearer,
not maker, of meaning.”²
¹ Als Cis-Mann/Cis-Frau werden diejenigen bezeichnet, de-
ren Geschlechtsidentität dem Geschlecht entspricht, das ih-
nen bei der Geburt zugewiesen wurde.
¹ Vgl. Belton, John: American Cinema/American Culture.
O.A.: McGraw Hill Higher Education, 1993. S.22. Im Eng-
lischen Original: “the narrative is delivered so eortlessly and
eciently to the audience that it appears to have no source,
[…] spontaneously creating itself in the presence of the spec-
tators […] for their immediate consumption and pleasure”.
Übersetzt von Teresa Steiner.
¹ McRobbie, Angela: Top Girls. Feminismus und der Aufstieg
des neoliberalen Geschlechterregimes. Wiesbaden: VS Verlag
für Sozialwissenschaften. Springer Fachmedien Wiesbaden
GmbH. 2010. S.8.
¹ Wykes, Maggie and Gunter, Barrie: e Media and Body
Image (eBook, PDF). If Looks Could Kill. SAGE Publications,
2005. S.38−39. (Berger, 1972:64) Übersetzt von T. Steiner.
¹ Ebd. Ders. S.41.
6
2.2. ‚Männliche Schaulust’ und ihre politische (Aus)nutzung
Wie wir nun wissen, wird das Konzept des ,männlichen Blicks’ von Mulveys Essay Visual Plea-
sure and Narrative Cinema (1975) zur Schlüsselidee der feministischen Filmtheorie. Mulvey
übernimmt darin nicht nur den von Berger geprägten Begriff, sondern auch die Sprache der
männlich-geprägten Psychoanalyse von Freud und Lacan, und argumentiert, dass traditionelle
Hollywood-Filme auf einen tiefsitzenden Trieb abzielen, der als »Skopophilie« (med. ,krankhaf-
te Neugier’)²¹ bezeichnet werden kann. Dabei betont sie, dass in Hollywood, vor allem in der
goldenen Ära, eine bewusste Blickkonstruktion verfolgt wird, die einzig und allein male pleasure
anvisiert und ,männliche’ Skopophilie befriedigen soll. Mulvey argumentiert, dass sich die Frau
im Film vor allem durch ihre ,Betrachtbarkeit’ (to-be-looked-at-ness) auszeichnet und Filme, die
primär auf den ,männlichen’ Voyeurismus reagieren, dazu neigten, Frauen für einen heterosexu-
ellen Betrachter zu sexualisieren:
“In a world ordered by sexual imbalance, pleasure in looking has been split between ac-
tive/male and passive/female. The determining male gaze projects its phantasy on to the
female figure which is styled accordingly. In their traditional exhibitionist role women
are simultaneously looked at and displayed, with their appearance coded for strong visual
and erotic impact so that they can be said to connote to-be-looked-at-ness.”²²
Im Zuge dessen werde die Frau zum spectacle und der Mann zum ,Träger des Blicks’ (bearer of
the look). Mulvey benennt diese Ungleichheit der Geschlechterbeziehung als kontrollierende
Kraft im narrativ-repräsentativen Film, welcher zum ,Vergnügen des männlichen Zuschauers’
(male pleasure) konstruiert wird und einer grundlegenden Machtasymmetrie zwischen männ-
lichem Betrachter (aktiv) und weiblicher Betrachteten (passiv) aufsitzt. Sie schließt auf eine
bewusste Bildproduktion, die in hegemonialer Ideologien wurzelt und im Rahmen einer pat-
riarchalen Ordnung − von Männern für Männer − geschieht. Das klassische Hollywood-Kino
produziere dabei zwei Perspektiven, die auf dem Freudschen Konzept der Skopophilie beruhen:
Den Blick des Voyeurs (voyeuristic) und den Blick des Fetischisten (fetishistic)²³. Zur Erklärung:
Der Voyeur sieht die Frau als Sexualobjekt, während der fetischisierende Blick sie als “Heilige”
betrachtet. In der Inszenierung der “Heiligen”, die auch als “mütterlich”, “rein”, “unschuldig
präsentiert wird, wird die Frau asexualisiert, also ungeschlechtlich gemacht. Diese Abmahnung
des weiblichen Geschlechts kommt der Frau schon fast zugute, da sie zu einem gewissen Grad
respektiert bleibt. Die “Hure“ hingegen − eine aus männlicher Perspektive konstruierte sexu-
alisierte Form der Frau − wird auf den Körper reduziert und vor allem durch ihre betonte
² Mulvey, Laura: 'Visual Pleasure and Narrative Cinema'. In:
ornham, Susan: Feminist Film eory. A Reader. Edinburgh:
Edinburgh University Press, 1999. S.59.
²¹ Der Begri kann auch mit ,Schaulust’ übersetzt werden,
oder als ,sexuelles Vergnügen beim Schauen’. https://de.lan-
genscheidt.com/fremdwoerterbuch/skopophilie, aufgerufen am
05.01.2021
²² Mulvey, Laura: 'Visual Pleasure and Narrative Cinema'. In:
ornham, Susan: Feminist Film eory. A Reader. Edinburgh:
Edinburgh University Press, 1999. S.62−63.
²³ Vgl. Ebd. Ders. S.62−63.
7
Verfügbarkeit zum passiven Objekt. Filmregisseur Joey Soloway² bezeichnet dieses Phänomen
auch als divided feminine. “Men dividing storylines to tell stories about women to other men:
the Madonna and the whore. The one I wanna marry and the one I wanna fuck.”² Innerhalb
dieser geschaenen Filmphantasie tritt der Mann, dessen aktiver Blick die Frau zum passiven
Gegenüber degradiert, als dominante Kraft hervor − wir erinnern uns an die soziologische
Blickkonstruktion von Sartre. Für Mulvey konzipiert der male gaze einen Blick, der die Frau
als sexualisiertes Objekt konsumierbar macht, anstatt eine Wahrnehmung von ihr als Subjekt
zu ermöglichen. Frauen werden, so Mulvey, lediglich in Filme eingefügt, um der männlichen
Rolle die Last der sexuellen Objektivierung (bearing the burden of sexual objectication) ab-
zunehmen: “What counts is what the heroine provokes, or rather what she represents. She is
the one […] who makes [the male protagonist] act the way he does. In herself the woman has
not the slightest importance.”² Der male gaze spricht Frauen demnach jegliche menschliche
Identität ab und versetzt sie bewusst in den Status eines Objekts. Diese Objektivierung von
Frauen durch den ,männlichen Blick’ steht auch in Verbindung mit der lacanschen eorie der
sozialen Entfremdung und der psychologischen Spaltung: Die Person, die dem Blick ausgesetzt
ist − in diesem Fall die Frau − hat mit dem Verlust der eigenen Autonomie zu rechnen, sobald
sie sich ihres Status des (angeblickten) Objekts bewusst wird.
2.3. ‘Is the Gaze Male?’ Bewusste Blickführung & Bildproduktion
Statistisch betrachtet, halten nach wie vor mehr Männer die Führungspositionen in Film- und
Fernsehproduktionen, sodass die ,männliche’ Perspektive den Markt weiterhin übersättigt.
Mulveys eorie untermauert daher auch, wie Frauen seit den Anfängen des Kinos gezwungen
sind, Filme fast ausschließlich durch einen ,männlichen Blick’ zu erfahren: Die Kamerafüh-
rung, die den Blick des männlichen, heterosexuellen Zuschauers dabei wiederholt positioniert,
um den weiblichen Körper zu betrachten. Da die lmische Perspektive der Sichtlinie der Ka-
mera gleich gesetzt werden kann, wird ihre Blickrichtung zum gaze des Zusehenden, es sind in
diesem Fall seine “Augen”, die über die Dargestellte gelenkt werden. Diese gezielte Blicksteue-
rung ruft daher auch eine sexuelle Politik des »Blicks« hervor, da sich das Blickkonzept des male
gaze oensichtlich in eine patriarchale Ordnung einfügt, die die sexualisierte Perspektivierung
der Männer befähigt, indem die dargestellten Frauen für den male pleasure umrahmt (framed)
werden, und die Frauen dadurch entwanet.
² Joey Soloway, *1965 (ehemals Jill Soloway) ist ein US-ame-
rikanischer Showrunner, Regisseur und Autor, bekannt für die
Amazon-Originalserie Transparent.
² 'Jill Soloway on e Female Gaze.' MASTERCLASS, TIFF
2016. 00:32:00', Web. https://www.youtube.com/watch?-
v=pnBvppooD9I, aufgerufen am 05.01.2021
² Das Originalzitat stammt von Budd Boetticher, US-ameri-
kanischer Filmregisseur von low-budget Western der 1950er
Jahre. Mulvey, Laura: 'Visual Pleasure and Narrative Cinema'.
In: ornham, Susan: Feminist Film eory. A Reader. Edinbur-
gh: Edinburgh University Press, 1999. S.63.
² Vgl. Kaplan, E. Anne: Is the Gaze Male? In: Snitow A.,
Stansell C., & ompson S. (Hrsg.), Powers of Desire: e
Politics of Sexuality, 1983. S.309−327. Orig.: "the gaze is not
necessarily male (literally), but to own and activate the gaze,
given our language and the structure of the unconsciousness,
is to be in the masculine position". Übersetzt von T. Steiner.
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“men do not simply look; their gaze carries with it power of action and possession which
is lacking in the female gaze. […] the gaze is not necessarily male (literally), but to own
and activate the gaze, given our language and the structure of the unconsciousness, is to
be in the masculine position.”²
Dies verdeutlicht umso mehr die Präsenz patriarchaler Ideologien, die unsere gesellschaftlich-
politischen und soziologischen Kontexte bis heute dominieren. Seit 1975 und dem Erscheinen
von Visual Pleasure and Narrative Cinema haben eoretiker*innen Mulveys Behauptung aber
auch kritisiert, da jene den female gaze ausblende (vgl. Kaplan, 1983) und sich das Kino nicht
ausschließlich nur an männliche Zuschauer richte, da z.B. seit den 1980er Jahren eine sexua-
lisierte Darstellung des männlichen Körpers zu beobachten sei (Neale, 1983/1993). Trotz der
Tatsache, dass Mulvey selbst einige ihrer Ideen überdacht und Jahre später in Afterthoughts on
‘Visual Pleasure and Narrative Cinema (1989) überarbeitet hat, bleibt die Frage dennoch oen,
wie ,visuelles Vergnügen’ für die weibliche Zuschauerschaft konstruiert wird.
2.4. Der ,weibliche Blick’. Was ist der female gaze ?
“We are devided by the male gaze but we want our subjectivity back. The female gaze is
political protagonism, not afraid to ask “What is toxic masculinity? And, when are going
to be done with it?” The female gaze is more than a camera or a shooting style. It is an
empathy generator.“²
Das Konzept des female gaze wird dem ,männlichen Blick’ oft fälschlicherweise gegenüberge-
stellt, dabei handelt es sich nicht um eine gegenteilige Position, sondern vielmehr um eine Er-
weiterung im narrativen Blickspektrum. Die Analyse der stilistischen und narrativen Techniken,
die den female gaze erzeugen, ist dabei komplexer als jene des male gaze. Dieser verfolgt schließ-
lich ein deutliches Ziel das Ausleben des male pleasure durch Befriedigung männlicher Sko-
pophilie und reflektiert zugleich die Sichtweise des weißen, heterosexuellen Mannes sowie der
patriarchalen Gesellschaft. Während der Begriff des male gaze zudem wissenschaftlich etabliert
ist, argumentieren einige Autor*innen, dass der ,weibliche Blick’ schier nicht existiert oder gar
existieren kann. Doch sehen wir uns das genauer an. Autorin Caetlin Benson-Allott kontextua-
lisiert den female gaze im zeitgenössischen Fernsehen: “a recent explosion of original content is
opening more doors for female writers and directors, which has resulted in more shows 'turning
women into the subject of action rather than the object of desire'”². Meredith Blake erklärt
² 'Jill Soloway on e Female Gaze.' MASTERCLASS, TIFF
2016. 00:36:20'. https://www.youtube.com/watch?v=pnBvp-
pooD9I, aufgerufen am 05.01.2021
² Benson-Allott, Caetlin: 'On Platforms: No Such Thing Not
Yet'. In: Questioning Television's Female Gaze. Film Quar-
terly 71.2 (2017), 65–71. Web. https://doi.org/10.1525/
fq.2017.71.2.65, aufgerufen am 23.03.2021 Anm.: Neben
dem umfangreichen Pool an lmischen Werken, die seit Ende
des 19. Jahrhunderts von Männern produziert wurden, ist ein
klares Dezit an von Frauen produzierten Inhalten innerhalb
der Filmgeschichte zu erkennen. Seit den 1980er Jahren ist
zwar ein Wandel spürbar, dennoch lässt sich ein allgemeines
Ungleichgewicht an weiblichen Führungspositionen im Film
(Produzentinnen, Regisseurinnen, Autorinnen etc.) durch
strukturelle Unterdrückung erkennen.
9
³ Blake, Meredith: 'From 'e Handmaid's Tale' to 'I Love
Dick,' the female gaze is thriving on television.' In: Los Ange-
les Times, 05.05.2017. Web. https://www.latimes.com/enter-
tainment/tv/la-et-st-female-gaze-television-20170505-htm-
lstory.html, aufgerufen am 27.03.2021
³¹ 'Jill Soloway on e Female Gaze.' MASTERCLASS, TIFF
2016. https://www.youtube.com/watch?v=pnBvppooD9I,
aufgerufen am 05.01.2021
³² Ebd. 00:28:13', aufgerufen am 05.01.2021
³³ Vgl. Benson-Allott, Caetlin: 'On Platforms: No Such Thing
Not Yet'. In: Questioning Television's Female Gaze. Film Quar-
terly 71.2 (2017), 65–71. Web. https://doi.org/10.1525/
fq.2017.71.2.65, aufgerufen am 23.03.2021aufgerufen am
23.03.2021
³ Doane, Mary Ann: Film and the Masquerade: eorising the
Female Spectator. Screen, Vol.23, nos.3/4, September/Okto-
ber 1982, S.77.
³ Telfer, Tori: 'How Do We Dene e Female Gaze In
2018?' Vulture. 02.08.2018. Web. https://www.vulture.
com/2018/08/how-do-we-dene-the-female-gaze-in-2018.
html, aufgerufen am 27.03.2021
das Fernsehen des 21. Jahrhunderts sogar zum “birthplace of the female gaze”³. Joey Soloway,
Regisseur und Produzent hinter den Serien Transparent (Amazon, 2014–2019) und I Love Dick
(Amazon, 2017) definiert ihn als ,intersektionellen Blick’ (intersectional gaze) und als “socio-
political justice-demanding way of art making”³¹. Während die ,männliche Blickkonstruktion
zur Befriedigung ,männlichen Begehrens’ dient, unterscheidet sich die ,weibliche’ Perspektive
insofern, da sie Personen und deren Körper nicht zum Zweck des ,visuellen Vergnügens’ einsetzt
(=objektiviert). Der female gaze verstehe sich im Gegensatz zum male gaze als Möglichkeit, eine
emotionale Verbindung zur zentralen Figur zu erzeugen; dies geschieht vor allem anhand von
Nahaufnahmen. Seine bildliche Ästhetik wird von einigen Kamerafrauen z.B. als intim, einfühl-
sam und eng verbunden umschrieben (vgl. Blake, 2017 / Telfer, 2018).
“The female gaze is not a camera trick, but a privilege generator. It's storytelling to get
you on somebody's side. I want people to see the female gaze as a conscious effort to
create empathy as a political tool. It is a resting away, maybe even a wrestling away of
the point of view, of changing the way the world feels for women when they move their
bodies through the world, […] feeling themselves as the subject. Women, ladies, girls,
non-conforming people. […]”³²
Da der ,weibliche Blick’ vor allem als Gegenstimme zu Mulveys ,männlicher Blicktheorie’ funk-
tioniert, argumentiert Benson-Allott, dass der female gaze eher durch das definiert wird, was er
nicht ist, als durch das, was er ist³³. Seit dem 21. Jahrhundert wurde das filmische Blickspektrum
zwar um neue Begriffe und alternative Blickperspektiven (feminist gaze, queer gaze, intersectional
gaze, etc.) erweitert, dennoch besteht noch immer keine einheitliche Definition darüber, was
der female gaze ist und wie er produziert wird. Dies stellt den Zweck und die Funktionalität des
,weiblichen Blicks’ in Frage: Wird der female gaze dem ,männlichen Blick’ nur zum Ausgleich
entgegengesetzt, oder ist er mehr als ein alternatives Blickkonzept? Filmtheoretikerin Mary Ann
Doane stellt dabei jene Frage auf: “What is there to prevent [the woman] from reversing the
relation and appropriating the gaze for her own pleasure?“³ Doch, die Konstruktion des fe-
male gaze ist komplexer als eine simple Rollenumkehrung der Geschlechter und der Tausch
von Machtdynamiken³, denn dieses Konzept würde das vorherrschende System der sexuellen
Ungleichheit nur in seiner Subjekt-Objekt-Dichotomie bestärken. “spectatorial desire, in con-
temporary film theory, is generally delineated as either voyeurism or fetishism, as precisely a
10
pleasure in seeing what is prohibited in relation to the female body”³. Indem sie die Intention
des Filmschaffenden und des von ihm konstruierten Bildes mit dem Begehren der Zuschauer-
schaft abgleicht, verdeutlicht Doane, dass die inszenierte Begehrlichkeit der darstellenden Frau
Auswirkungen auf die Betrachtung des*r Zusehenden hat und die Rezeption des Frauenbildes
stark beeinflusst. Bilder von Frauen orchestrieren immer noch einen gaze oder etwas, was Doane
als “limit that contains a pleasurable value”³ bezeichnet. Die Frau, oder die weibliche Figur,
bleibt viel eher mit einem Oberflächenbild verbunden als mit einer illusorischen Tiefe, welches
der Kritik am male gaze ähnelt: Auch hier wird die Kamera zur Erweiterung des Auges, die Sub-
jektperspektive limitiert sich somit auf die Perspektive der Kamera, der*die Zusehende erfährt
die Welt durch die Kameralinse und die von ihr vorgegebene Blickrichtung. Somit gleicht der
Blick des*r Zusehenden dem Blick des (männlichen) Betrachters innerhalb des Films, er eignet
sich sozusagen dessen Filmwelt-Perspektive an, welche von den (männlichen) Bildschöpfern
sorgfältig und bewusst konstruiert wurde. Die Darstellung von Frauen hat auf diese Weise einen
direkten Einfluss auf das Publikum, denn diese fungieren nicht nur als erotische Objekte für die
Charaktere innerhalb der filmischen Narrative (screen story), sondern auch als erotische Objekte
für die Zuschauenden außerhalb des kinematischen Raumes.³ Denken wir an die Schauspiele-
rin Rita Hayworth, die die Protagonistin in Gilda (1946) mimte, und danach mit viel Selbstiro-
nie feststellen durfte: “They go to bed with Gilda, they wake up with me”.
Die Untersuchung des gaze ist also entscheidend für das Verständnis filmischer Blickkonst-
ruktionen, da der ,männliche’ und der ,weibliche Blick’ die Zusehenden sowohl im Kinosaal
beeinflussen als auch in seinem sozialen Verhalten und in der Wahrnehmung der Welt per se.
„Entgegen der modernen Ideologie des »reinen Sehens«, die sich gerade auf eine Naturalisie-
rung der optischen Wahrnehmung gründete, müssen kritische eorien heute das Sehen jeweils
in Zusammenhängen ökonomischer, politischer und kultureller Machtverhältnisse verorten.“³
Gegenstand der Kritik bleibt daher die Verteilung von Macht innerhalb der Kunst- und Film-
welt; die sozialen Hierarchien, die durch normative Bilder konstruiert werden; und die Dichte
an kulturellen Darstellungsparametern, die zwischen Sehenden und Gesehenem wirksam wer-
den. Alljene manifestieren sich „in der visuellen Strukturierung ebenso wie in der libidinösen
Ökonomie des von Film und Medien inszenierte[n] Sehen[s].“
³ Doane, Mary Ann: Film and the Masquerade: eorising the
Female Spectator. e Feminism and Visual Culture Reader,
2003. S.133.
³ Vgl. Ebd. Dies. S.133.
³ Vgl. Mulvey, Laura: 'Visual Pleasure and Narrative Cinema'.
In: ornham, Susan: Feminist Film eory. A Reader. Edinbur-
gh: Edinburgh University Press, 1999. S.62.
³ Kravagna, Christian (Hg.): Privileg Blick. Kritik der visu-
ellen Kultur. Berlin: Rotation Vertrieb, Edition ID – Archiv,
1997. S. 8.
 Ebd. Dies. S.8.
11
3. Die Phänomenologie des »Blicks«
3.1. Das ‚Blickregime’ nach Kaja Silverman
„In unserem Verhältnis zu den Dingen, das konstituiert ist durch die Bahn des Sehens und
geordnet nach den Figuren der Vorstellung, gleitet, läuft und überträgt […] das, was Blick
heißt.“¹. Mit diesen Worten eröffnet Jacques Lacan sein Seminar Die Vier Grundbegriffe der
Psychoanalyse (1964) und übernimmt darin die Differenz zwischen Auge (l'oeil) und Blick (le
regard) von Jean-Paul Sartre und seinem Werk Das Sein und das Nichts (1943). Lacan rückt die
Umkehrung des Wahrnehmungsraums zwischen dem Sinnesapparat und dem Blick, als Zone
des spectatorial pleasure, ins Zentrum seiner Psychoanalyse: Die Pole, die dem Sehenden und
dem Gesehenen zugeteilt sind, bewegen sich dabei abwechselnd zwischen Blick und Sehen.²
Auch Kaja Silvermans ‚Blickregime(gaze) besteht − in Form der Kamera − aus zwei Ebenen, die
sich in einer komplexen Wechselbeziehung zueinander befinden. So schreibt sie, dass die Ka-
mera zwar einen Aspekt des menschlichen Auges verkörpert, sich jedoch in ihrer »Objektivität«
„widerspricht [...] indem sie mortifiziert und aufzeichnet“, während der menschlich-organische
Sehvorgang, „prozessualer verläuft, an Erinnerungen hängt und mit Subjektivität verbunden
ist.“³ Silverman versteht die Beziehung zwischen Kamera und Auge daher als ,Prothese’: Die
Kamera versucht, die Mängel des menschlichen Sinnesorgans auszugleichen und gleichzeitig
ihre Unterscheidung zwischen ,Sehen’ und ,Spektakel’ zu bekräftigen. Dadurch impliziert das
voyeuristische Konzept nicht nur ein verkörperlichtes und spektakuläres Auge in Form des
,Beobachters’, sondern auch eine Rationalisierungstechnik, dessen Ausübung ein simples Ziel
verfolgt: das Auge ,sozial produktiv’ zu machen.
Jean-Paul Sartre wiederum, der Le Regard ein ganzes Kapitel widmet, verdeutlicht, dass
mir der ‚Andere’ als Blick nicht als eine „vereinheitlichende oder regulative Kategorie meiner
Erfahrung“ begegnet, der Blick nicht „rein formal zu denken“ sei und „unter den Begriff des
[…] allgegenwärtigen und im unendlichen Subjekt[s], für das ich existiere“ fällt. Mein Blick
ist demnach kein Beweis für die Objektivität meines kognitiven Wissens über die Welt; der
Blick des Anderen nicht die formale Bedingung der Möglichkeit meiner eigenen Erkenntnis.
Dennoch verortet sich der Blick, nach Sartre, zwischen dem Subjekt und dem ‚Anderen’, und
kann als Mittel eingesetzt werden, sich des ‚Anderen’ zu bemächtigen.
¹ Lacan, Jacques: Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse.
Seminar XI. Weinheim/Berlin: 1996, S.79. [frz.; S.70].
² Vgl. Blümle, Claudia; von der Heiden, Anne (Hg.): Blick-
zähmung und Augentäuschung. Zu Jacques Lacans Bildtheorie.
Zürich-Berlin: Diaphanes 2009. S.47.
³ Silverman, Kaja: Dem Blickregime begegnen. S.58. In: Kra-
vagna, Christian (Hg.): Privileg Blick. Kritik der visuellen Kul-
tur. Berlin: Rotation Vertrieb, Edition ID – Archiv, 1997.
Anm.: Mit »Objektivität« ist„der traditionelle Anspruch der
Kamera, die Dinge so zu sehen, wie sie sind, und andererseits
die Abgrenzung gegenüber dem Subjektiven.“ gemeint.
 Silverman, Kaja: The Treshold of the Visible World. New
York / London: Routledge, 1996. S.130.
 Sartre, Jean-Paul: Das Sein und das Nichts. Versuch einer
phänomenologischen Ontologie. Reinbek bei Hamburg: Ro-
wohlt, 1962. S.347.
 Ebd. Ders. S.372.
12
In der Filmtheorie lässt sich der »Blick« vergleichsweise gut als vereinheitlichende, regulative
Kategorie der Erfahrung interpretieren, schließlich manifestiert sich im Bild immer etwas Blick-
haftes. Filmtheoretikerin Kaja Silvermann, die sich mit Sartre als Quelle des lacanschen Blick-
konzepts in ihrem Werk The Treshold of the Visible World (1996) auseinandersetzt, wirft dem
französischen Philosophen jedoch vor, den Blick als ,transzendentes Auge’ zu theoretisieren
und argumentiert, dass das ‚Blickregime’ als präexistierender ,kultureller Schirm’ (screen), der
uns ,rahmt’ (framed) neu zu denken sei, da jener als vereinheitlicher Rahmen oder als kogniti-
ve Bedingung der Erfahrung bestimmten Wirkkräften aufsitzt. “[…] due to its association with
a “true” and “objective vision”, the camera has been installed ever since the early nineteenth
century as the primary trope through which the Western subject apprehends the gaze.” In an-
deren Worten: Wenn man sagt, dass wir “einem Blick ausgesetzt” sind, heißt das nichts anderes
als, dass wir uns selbst durch einen ,kulturellen Schirm’ begreifen. Nach Silverman unterliegt
die menschliche Wahrnehmung nämlich bestimmten Darstellungsparametern, die festlegen wie
Sichtbares kulturell bearbeitet und normativ aufgeladen wird. Diese konstruierten Bildmuster
üben zwangsläug einen Nachdruck auf unseren »Blick« aus, denn sie bestimmen was und vor
allem wie gesehen wird, was in weiterer Folge Auswirkungen auf unsere sozio-kulturellen Prak-
tiken hat und die durchsetzungskräftigste Sichtweise für uns normiert. Jene Parameter, die sich
fast unvermeidlich aufdrängen, bezeichnet Silvermann als das »Vor-gesehene«, was sie von La-
cans französischem Original donner-à-voir in Die vier Grundbegrie der Psychoanalyse (1964)
ableitet.
„Von Grund aus bestimmt mich im Sichtbaren [das Blickregime], das im Außen ist.
Durch [das Blickregime] trete ich ins Licht, und über [das Blickregime] werde ich der
Wirkung desselben teilhaftig. Daraus geht hervor, daß [das Blickregime] das Instrument
darstellt, mit dessen Hilfe das Licht sich verkörpert, und aus diesem Grund auch werde
ich […] phot-graphiert.“¹
Der »Blick« kann folglich als ein erkenntnisleitendes Phänomen gedeutet werden. Silvermann
vermutet, dass sich der Mensch mit dem »Vor-gesehenen« derart assimiliert, dass er bewusst
konstruierten Wahrnehmungen von Anderen erliegen kann. Das menschliche Auge sei zwar im
Stande ,Schöpferisches zu erkennen’, sowie der Mensch eine ,abweichende’ Sichtweise, als die
ihm zugedachte, einnehmen kann, dies sei jedoch nur nachträglich − als ,verschobene Reakti-
onmöglich. Selbst wenn es dem menschlichen Auge gelinge „die Welt [nicht] durch ein an-
deres Darstellungsraster wahrzunehmen, würde das »Vor-gesehene«, aus der unangreifbaren Po-
Anm.: Sartre meint nicht, dass der Blick transzendent im
Sinne einer kognitiven Bedingung meiner Erfahrung ist, son-
dern, dass er mit keinem Objekt meiner Welt verbunden werden
kann, obwohl er ausschließlich in der Welt anzutreffen ist.
 Silverman, Kaja: The Treshold of the Visible World. New
York / London: Routledge, 1996. S.168.
 Ebd. Dies. S.135.
 Silverman, Kaja: Dem Blickregime begegnen. In: Kravagna,
Christian (Hg.): Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur.
Berlin: Rotation Vertrieb, Edition ID – Archiv, 1997. S.58.
Im franz. Original »donner-à-voir«, wortwörtlich ,Zu-se-
hen-Gegebenes’.
¹ Lacan, Jacques: Die vier Grundbegrie der Psychoanalyse.
Das Seminar Buch XI. Weinheim/Berlin: Quadriga Verlag,
1996. S.113.
13
sition der Kamera als Blickregime, weiterhin den gesellschaftlichen Kontext bestimmen“², so
Silverman. „Der Blick ist glücklicherweise nichts Einmaliges oder Endgültiges. Er ist eine ganze
Reihe bewußter und unbewußter Wechselfälle unterworfen, die schwer vorhersehbar sind. Die
Bewertung des Wahrgenommenen kann sich also radikal verändern.“³
Bereits in ihrem früheren Werk Male Subjectivity at the Margins (1992) beschreibt Sil-
vermann den Bildschirm (screen) als ,kulturell erzeugtes Bildrepertoire’, das dem Subjekt beim
Wahrnehmen »vor-gesehene« Sichtweisen aufdrängt, es dadurch verformt und anhand seiner
Nationalität, Geschlecht, Sexualität, Alter, Klasse, Rassenzugehörigkeit usw. auch segregieren
kann. Silverman stellt dabei die Frage auf, wie sich das Subjekt der Vereinnahmung durch
Bilder entziehen und sich dem durch die Kamera verkörperten ,Blickregime’ widersetzen kann.
Schließlich ist die Konstitution des ,Subjekts-als-Schauspiel’ von Akten der Mimikry und der
Anpassung an kulturelle Konventionen und normative Darstellungsmuster abhängig. Indem
Silverman den screen als Ort deniert, an dem der ,Blick’ für eine bestimmte Gesellschaft kon-
struiert wird, deklariert sie sich von Lacans Seminar XI zu distanzieren und rückt dabei das
Verhältnis des ,Blicks’ zum ,Subjekt-als-Spektakel’ sowie zum ,Subjekt-als-Blick’ in den Vorder-
grund. Sie verdeutlicht, dass sich das ,Blickregime’ einer radikalen Äußerlichkeit unterwirft, die
einen enormen Einuss auf den gesellschaftlichen ,Blick’ ausübt. Was Lacan als „Bedingung
für unseren Eintritt in das Feld des Sichtbaren“ bezeichnet, ist auch das, was wir als soziale
Realität wahrnehmen, und schließlich das, was das ,Blickregime’ in Gestalt der Kamera festhält:
„Das Auge kann das Vor-gesehene libidinös besetzen, es kann aber ebenso einen gänzlich
anderen Kurs einschlagen, der es schließlich dazu bringt, die visuellen Standards zu ent-
kräften. [Der Blick] ist in der Lage, den Bildschirm neu zu konfigurieren, wobei bislang
unbeleuchtete Teile in den Vordergrund rücken und diejenigen, die heute als normative
Darstellungen auftreten, abgedunkelt werden. Unter solchen zwangsläufig kollektiven
Voraussetzungen kann der Blick bewirken, daß sich die Modalitäten grundlegend än-
dern, nach denen das Blickregime in Form der Kamera die Welt »fotografiert«.“
² Silverman, Kaja: Dem Blickregime begegnen. In: Kravagna,
Christian (Hg.): Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur.
Berlin: Rotation Vertrieb, Edition ID – Archiv, 1997. S.58.
³ Ebd. Dies. S.58−59.
 Silverman, Kaja: e Treshold of the Visible World. New
York / London: Routledge, 1996. S.135. Orig.: “It seems
to me crucial that we insist upon the ideal logical status of
the screen by describing it as that culturally generated image
or repertoire of images through which subjects are not only
constituted but dierentiated in relation to class, race, sexua-
lity, age, and nationality,” I wrote in Male Subjectivity at the
Margins (150). In: Silverman, Kaja: Male Subjectivity at the
Margins. New York: Routledge, 1992, S.150.
 Vgl. Kravagna, Christian (Hg.): Privileg Blick. Kritik der
visuellen Kultur. Berlin: Rotation Vertrieb, Edition ID – Ar-
chiv, 1997. S.9−10.
 Vgl. Silverman, Kaja: e Treshold of the Visible World.
New York / London: Routledge, 1996. S.135. Orig.: Now,
I would like to put an ever greater distance between myself
and Seminar XI, and dene the screen as the conduit through
which social and historical variability is introduced not only
into the relation of the gaze to the subject-as-spectacle, but
also into that of the gaze to the subject-as-look. e screen
represents the site at which the gaze is dened for a particular
society, and is consequently responsible both for the way in
which the inhabitants of that society experience the gaze's
eects, and for much of the seeming particularity of that so-
ciety's visual regime.
 Silverman, Kaja: Dem Blickregime begegnen. In: Kravagna,
Christian (Hg.): Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur.
Berlin: Rotation Vertrieb, Edition ID – Archiv, 1997. S.63.
[Orig.: Lacan, Jacques: Die vier Grundbegrie der Psychoana-
lyse. Das Seminar Buch XI. Weinheim/Berlin: Quadriga Ver-
lag, 1996. S.113.]
 Ebd. Dies. S.58−59.
14
3.2. Identikation durch spectatorial pleasure
Sowohl im Kino, im Film als auch in der Fotograe: Die Kamera bezieht sich auf einen Punkt
im Bild, der das ,Spektakel’ bildlich festhält. Diese Manifestierung schat zugleich eine per-
spektivische Illusion, die durch einen Identizierungsprozess stattndet und eine Beziehung
zwischen Betrachter*in und Bild herstellt. Für Christian Metz ist eine ,primäre Identikation
(primary identication) mit der Kamera dabei unvermeidlich: “the spectator can do no other
than identify with the camera […] which has looked before him at what he is now looking at
and whose stationing […] determines the vanishing point”. Auch Jean-Louis Baudry sieht
jene als notwendige Voraussetzung für andere identizierende Beziehungen, denn nur eine
erfolgreiche, imaginäre Übereinstimmung mit der Kamera führe zum Zugang einer scheinbar
unsichtbaren Vision.¹ Zusammenfassend: Das ,betrachtende Subjekt’ konstituiert sich durch
das Sich-Abgleichen mit der Kamera und durch einen Idenizierungsprozess mit dem Gesehe-
nen. Durch eine solche Übereinstimmung erfährt es dabei auch einen Blickwinkel außerhalb
des Spektakels, denn die ,primäre Identikation’ impliziert auch eine Vision, die außerhalb von
Zeit und des eigenen Körpers liegt.² Silverman führt fort, dass sowohl Metz als auch Baudry
jene ,unsichtbare, körperlose, zeitlose wie auch allwissende Vision’ zwar schnell als ein idealogi-
sches Konstrukt anprangern, ihre illusorischen Freudenerfahrungen im Kino dennoch in ihren
Werken lauter zum Ausdruck bringen³. Während im narrativ-repräsentativen Film vor allem
die Möglichkeit besteht sich mit der Figur der Fiktion zu identizieren (Metz), formuliert es Sil-
verman direkter: “the viewing subject is constituted in and through this ction”, “identication
can only be made through recognition, and all recognition is itself an implicit conrmation of
the ideology of the status quo.”
Folgt man daher den Überlegungen von Metz und Baudry, so weisen feministische Filmtheori-
ker*innen wie Laura Mulvey zurecht darauf hin, dass der Zugang zur ,primären Identikation
für bestimmte Zusehende einfacher gestaltet werde als für andere. Die feministische Filmtheorie
erkennt eine ,transzendentale Vision’ und erhebt die Kritik, dass der Identikationsabgleich
zwischen Kamera und Auge auf das Geschlecht zurück geführt werden kann. Die Filmzuschau-
er*innen können somit durch eine aktiv gelenkte Identikation mit der Kamera mitkonstruiert
werden.
 Vgl. Ebd. S. 125−126. Orig. In:Metz, Christian: e Ima-
ginary Signier: Psychoanalysis and the Cinema. Bloomington:
Indiana University Press, 1982. S.49.
 Vgl. Baudry, Jean-Louis: “Ideological Eects of the Basic
Cinematographic Apparatus”. In: Rosen, Philip (Hrsg.): Nar-
rative, Apparatus, Ideology. New York: Columbia University
Press, 1986. S.295.
¹ Vgl. Ebd. Dies. S.125−126.
² Silverman, Kaja: e Treshold of the Visible World. New
York / London: Routledge, 1996. S.126.
³ Vgl. Ebd. Dies. S.125−126.
 Silverman, Kaja: e Treshold of the Visible World. New
York / London: Routledge, 1996. S.85
15
4. Blickkonstruktion und female gaze in
Phoebe Waller-Bridges Fleabag
4.1. Die Frau: Fleabag
Die Serie Fleabag (BBC, Amazon Prime) basiert auf dem gleichnamigen Ein-Personen-e-
aterstück, mit dem die britische Drehbuchautorin und Schauspielerin Phoebe Waller-Bridge
beim Edinburgh Fringe Festival 2013 debütierte. Im Laufe von zwei Staeln, zu je sechs Epi-
soden, berichtet die Protagonistin Fleabag gestenreich von ihrer sexuellen Promiskuität, und
liefert pointierte Anekdoten direkt und ungeniert, mit Blickkontakt in die Kamera. “I’ve spent
most of my adult life using sex to deect from the screaming void inside my empty heart”.
Fleabag selbst ist Anfang Dreißig, Single, Cafébesitzerin, Feministin vermutlich aber eine eher
schlechte und lebt das Leben einer städtischen Hedonistin in London. Während sie sich in
ihrer dysfunktionalen Familie zurecht nden muss, versucht sie durch Sex ihre ,innere Leere
zu füllen, die aus dem ungewollten Suizid der besten Freundin und dem frühzeitigen Tod ihrer
Mutter entstanden ist. Fleabag ist die Geschichte einer mit sich hadernden Frau und ihrer Welt,
die mit den Augen der Hauptgur gesehen, durch ihre subjektive Sichtweise kommentiert und
mit ihrer Stimme erzählt wird. Fleabag ist ein seltener Einblick in die Psyche einer Frau, die
inmitten von Trauer, Trauma und Schmerz darum kämpft, sich selbst zu denieren. Neben
weiblichem Zynismus, Hedonismus und Trauer handelt die Serie, laut Phoebe Waller-Bridge,
von “the glory of being a woman” und “female rage” .
Fleabag verkörpert eine moderne Anti-Heldin und ist gleichzeitig die Erzählerin ihres
eigenen Schmerzes. Dabei sind es vor allem ihre Blicke, Mimik und Erfahrungen, die der Er-
zählung Humor und Emotionen verleihen. Und obwohl ihr Charakter voller Makel und nicht
perfekt ist, ist das Publikum sofort auf ihrer Seite. Denn jede Figur, die wir treen, treen wir
durch Fleabag. Dabei setzt der Mangel an Namen unseren Fokus auf das Wesentliche, und
bringt uns weiter in ihre Sicht auf die Welt, und in ihre Welt per se: “I […] wanted something
that would create an immediate subtext for the character. So, calling her >Fleabag<, calling the
show >Fleabag<, gives the subtext of Fleabaggy-ness.“
 Fleabag (2016; 2019), 2 Staeln in 12 Episoden, je 23-
28 Min. Prod.: Two Brothers Pictures, [Erstausstrahlung: 21.
Juli 2016 auf BBC ree (UK)].
 Fleabag (2019). Stael 2, ep.2: 15:27 – 15:31'
 Vgl. 'We are bad feminists'. Fleabag (2016), Prod.: Two
Brothers Pictures, [Erstausstrahlung: 21. Juli 2016 auf BBC
ree (UK)], Stael 1, ep.1, 14:49 – 14:59'
 Malone, Noreen: 'e Fleabag Mystique', 06. Februar
2017.Web. https://www.thecut.com/2017/02/phoebe-wal-
ler-bridge-eabag.html, aufgerufen am 09.04.2021
 Judilla, Zoe: '“Fleabag” and the Necessity of Female Rage',
30. September 2019. Web. https://orangemag.co/orangeb-
log/2019/9/30/fleabag-and-the-necessity-of-female-rage,
aufgerufen am 09.04.2021
 Arboine, Niellah: 'Here's e Truth About Why "Fleabag"
Doesn't Have A "Real" Name' In: www.bustle.com, 13. März
2019. Web. https://www.bustle.com/p/does-eabag-have-a-
name-the-lead-character-in-bbc-threes-dark-comedy-is-a-to-
tal-mystery-16951363, aufgerufen am 27.01.2021.
16
Das englische Wort Fleabag bezeichnet laut Cambridge Dictionary “a dirty and/or unpleasant
person or animal“¹, während der deutsche Pons neben der wörtlichen Übersetzung ,Flohfän-
ger’ u.a. Begrie wie ,Ekel’ und ,Mistvieh² aufreiht − dabei lässt sich der Serientitel kaum ins
Deutsche transferieren. In ähnlicher Weise erhalten auch die restlichen Charaktere keine Eigen-
namen; sie werden im Originalskript als “Godmother”, “Dad”, “e Priest”, “Arsehole Guy”,
“Hot Misogynist”,“Bus Rodent” etc. angeführt. Doch, wer ist nun Fleabag genau? Sie sagt es
selbst: “I’m a greedy, perverted, selsh, apathetic, cynical, depraved, morally bankrupt woman
who can't even call herself a feminist.”³
4.2. A Feminist's Gaze? Der Blick nach Postfeminismus in Fleabag
„Das Interessante und in dieser Form Niedagewesene an der Serie: „Fleabag“ verdient das
Etikett „feministisch“ nicht nur, weil es eine coole Antiheldin hat, die – wie schon die
„Girls“ in Lena Dunhams amerikanischer HBO-Serie – ein bisschen unsympathisch, ein
bisschen obszön und auf ihre Art radikal ist. Sondern auch deshalb, weil diese Antiheldin
ständig jenes F-Wort ganz explizit in den Raum wirft, das in anderen Serien nur andeu-
tungsvoll im Hintergrund mitschwingt: Feminismus.”
Fleabag ist eine komplexe Figur, die sich von der Norm der »respektablen« Frau abgrenzt. Die
Darstellung radikaler Frauenguren in britischen Serien ist jedoch keineswegs neu, bereits in
den 1990er Jahren widmete sich Absolutely Fabulous lauten und sexuell selbstbestimmten Pro-
tagonistinnen, die die Pointen lieferten. Dabei ergibt sich die Frage nach “richtigen” feminis-
tischen Positionen in einer oensichtlich falschen symbolischen Ordnung. “the notion that
there are right and wrong ways to be a feminist, doesnt allow for the complexities of human
experience or individuality [and] oers little room for multiple or discordant points of view.“
Mit ihrem Essay Bad Feminist (2012) untersucht Roxanne Gay die komplexen und manchmal
widersprüchlichen Realitäten des Feminismus, die sie als ,blinde Flecken des Mainstream-Femi-
nismus’ bezeichnet, und unter den Begri des essential feminism zusammenfasst:
“Essential feminism suggests anger, humorlessness, militancy, unwavering principles
and a prescribed set of rules for how to be a proper feminist woman, or at least a
proper white, heterosexual, feminist woman — hate pornography, unilaterally decry
the objectification of women, don’t cater to the male gaze, hate men, hate sex, focus on
career, don’t shave.”
¹ https://dictionary.cambridge.org/de/worterbuch/englisch/
eabag. Web. aufgerufen am 12.02.2021
² https://de.pons.com/%C3%BCbersetzung/englisch-deutsch/
Fleabag. Web. aufgerufen am 12.02.2021
³ Fleabag (2016), Prod.: Two Brothers Pictures, [Erstaus-
strahlung: 21. Juli 2016 auf BBC ree (UK)], Stael 1, ep.1,
20:31 – 20:43'
 Goldmann, Marie-Luise: Wir schlechten Feministinnen.
In: Die Welt (online), 1. August 2016. https://www.welt.de/
print/welt_kompakt/kultur/article157422271/Wir-schlech-
ten-Feministinnen.html Web. aufgerufen am 27.03.2021.
 Absolutely Fabulous (1992–1996; 2001–2003; 2011) 5
Staeln mit 32 Episoden, Prod.: Jon Plowman, Jonathan P.
Llewellyn, Jo Sargent [Erstausstrahlung: 12. November 1992
auf BBC Two (UK)].
 Gay, Roxanne: 'Bad Feminist', 2012. Web. https://www.
vqronline.org/essay/bad-feminist, aufgerufen am 08.04.2021.
 Ebd. Dies. Web. aufgerufen am 08.04.2021.
17
Ein Eekt des ,weiblichen Blicks’ in Fleabag ist die nuancierte Darstellung des Feminismus.
Sehen wir uns das genauer an: Bereits in der ersten Episode von Stael 1 (2016) nden wir uns
bei der feministischen Vortragsreihe ‘Women Speak’ (since 1998) wieder. Als zum Auftakt das
Publikum gefragt wird: “please raise your hands if you would trade ve years of your life for the
so-called perfect body”, sind es Fleabag und ihre Schwester, die als Einzigen ihre Hände he-
ben und zugeben müssen: “We are bad feminists”. Ihre scheinheilige “Godmother” hingegen
kokettiert eine gute Feministin zu sein und an die Kraft der “innate femininity” zu glauben.
Als bildende Künstlerin versucht sie den weiblichen Körper mit einer “sexhibition” zu würdi-
gen und versteckt ihr narzisstisches Ego und eine tief sitzende Eifersucht gegenüber Fleabags
verstorbenen Mutter hinter ihrer aufgesetzten Haltung weiblicher Solidarität. Es scheint als
träge Fleabag eine eher ambivalente Haltung gegenüber Feminismus; dies lässt sich vor allem in
Episode 4 deuten: Während eine Gruppe von Frauen, darunter auch Fleabag und ihre Schwes-
ter, traditionelle Rollen einnehmen und in Stille ein Haus putzen, therapiert sich eine Gruppe
von Männern in kathartischen Übungen gegen alles Weibliche, indem sie voller Imbrunst das
Wort “slut” brüllen und einer Plastikpuppe namens “Patricia” die Meinung geigen.¹
Waller-Bridges Kombination aus postfeministischer Ironie, Sex und Melancholie verleiht der
Serie dadurch nicht nur einen erfrischend, neuartigen Humor, sondern scheint auch die Ge-
fühle einer neuen Generation zu verkörpern. Eine, die den Feminismus der sechziger Jahre
zwar durchschaut hat, sich aber immer noch mit dem Patriarchat abnden muss. Im Laufe von
zwei Staeln bewegt sich Fleabag in einem Wechselspiel aus innerer Haltung und charmanter
Außenfassade, wodurch Einblicke in die Welt eines postfeministischen Charakters geliefert wer-
den. Selten dürfen Frauen im Fernsehen ein derart enttabuisierendes, aggressives Verhalten an
den Tag legen. Die Geschichte von Fleabag ist deshalb so faszinierend, weil sie authentisch wirkt
und mitsamt vergangener Fehlentscheidungen und dunkler Geheimnisse, die sie unter ihrem
Witz und Charme begräbt, ganz ihr gehört. Die sexuelle Oenheit und verdrehte Autonomie
von Fleabag ist von Natur aus feministisch.
 Fleabag (2016), Prod.: Two Brothers Pictures, [Erstaus-
strahlung: 21. Juli 2016 auf BBC ree (UK)], Stael 1, ep.1,
13:34 – 14:47'
 Ebd. Dies. Stael 1, ep.1, 14:50 – 14:57'
 Ebd. Dies. Stael 1, ep.1, 22:45'
 Anm.: Als sich die Familie zum Gedenken an die tote
Mutter versammelt, begrüßt die “Godmother” die Schwestern
mit: “It’s a sad day, sad, sad day. I’ll get the champagne.”.
Stael 1, ep.5, 03:18 – 03:21'
¹ Vgl. Pankratz, Anette: 'How to Be a Funny Feminist on
Television. Or Maybe Not.' Ruhr University Bochum: Hard
Times 101/2, 2018. PDF. S.148–149.
18
4.3. Female Pleasure. Zeitgenössische Inszenierung weiblicher Sexualität
In Sachen sexuellem Humor wird oft gemutmaßt, dass Männer ihn bevorzugen und Frauen
ihn ablehnen. Dabei werden Witze über Sex oft auf das zugeschnitten, was Männer als lustig
emnden aber auch als nicht bedrohlich, d.h. Witze über Frauen, die Sex nicht genießen; über
Frauen, die einen Orgasmus haben und letztlich über Frauen, die einen Orgasmus vortäuschen.
Wir erinnern uns an die legendäre Szene in When Harry Met Sally… (1989)² als Sally ihrem
männlichen Gegenüber Harry die bekanntliche Wahrheit über Frauen in einem voll besetzten
Diner demonstriert, und die Frau am Nachbartisch antwortet: “I'll Have What She's Having”.
² Reiner, Rob (1989): When Harry Met Sally… (dt. Harry
und Sally). 90 Min. Prod.: Rob Reiner, Andrew Scheinman
[Erstausstrahlung: 21. Juli 1989 (USA)]. Abb.1.
³ Lacan, Jacques: Die vier Grundbegrie der Psychoanalyse.
Das Seminar Buch XI. Weinheim/Berlin: Quadriga Verlag,
1996. S.81.
 Fleabag (2016), Prod.: Two Brothers Pictures, [Erstaus-
strahlung: 21. Juli 2016 auf BBC ree (UK)], Stael 1,
ep.2, 05:07 – 05:32'. Siehe auch Abb.9.
Bei Fleabag ist es wiederum die ungeschonte
Inszenierung weiblicher Sexualität und des
weiblichen Zynismus, der die Narrative trägt.
Wie bereits im ersten Kapitel erwähnt, sind
es oftmals Frauen und ihre Sexualität, was
man(n) sich ansieht (Mulvey); Lacan verweist
dabei auf das Phänomen, das durch das be-
wusste Betrachtet-Werden entsteht: Selbst auf
der Ebene der phänomenalen Erfahrung der
Kontemplation blickt diese Allsichtsperspektive auf in der Befriedigung einer Frau, die sich
betrachtet weiß, vorausgesetzt, dass man es ihr nicht zeigt.”³. Die Art und Weise wie die Serie
sexuelle Interaktionen darstellt, ist vergleichsweise neuartig, denn Fleabags Sexualität wird we-
der objektiviert noch hält sie das Publikum auf Distanz, im Gegenteil − sie schmeißt es mitten
in den Liebesakt, ohne jegliche Vorwarnung oder Präambel. Es wirkt fast emotionslos und
gleichgültig, wenn Fleabag sich an die Zusehenden wendet und beiläug erzählt, was sie gerade
erlebt. Selbst wenn sie bei einem Mann (“Hot Misogynist”) neun Orgasmen erfährt, dreht sie
sich zum*r Zuseher*in und kommentiert das Geschehnis. Dies ist ein Zeichen dafür, dass sie
mit ihrem Sexualpartner nicht wirklich in Kontakt ist. Fleabag mag Sex, aber sie scheint ihn
eben auch nicht zu mögen: “[…] I’m not obsessed with sex. I just cant stop thinking about it.
e performance of it. e awkwardness of it, the drama of it. e moment you realise someone
wants your body… Not so much the feeling of it.” Fleabag wechselt Sexualpartner, um sich
von ihrem emotionalen Status abzulenken; Sex funktioniert für sie als Ablenkungsmanöver von
der eigenen, inneren Leere (“the screaming void inside my empty heart”, siehe ).
Teresa SteinerBLOCKSEMINAR Beauty Matters
e Female Gaze in zeitgenössischen Serien
Abb. 1. Reiner, Rob (1989): When Harry Met Sally…
19
So sehr der Charakter Fleabag das Physische und Sexuelle im Außen sucht, ist es der Wunsch
einer Frau nach Sex, aber auch, was sich eine Frau aus der Auslebung ihres Wunsches ziehen
kann, was die Inszenierung von Sexualität in Fleabag übermittelt.
“I remember when Fleabag first came out, people were talking about it like there was an
awful lot of nudity in it or very gratuitous sex in it. And actually, there‘s no nudity in it.
And you don‘t see any sex. Like, you don‘t see it very graphically. But the language is very
graphic. And the fact that, […] I‘m looking straight down the barrel of the camera and
that you stay on her, (and that) she‘s talking to you through these moments.“
Fleabag behält somit Kontrolle über das Gesehene, denn sie ist diejenige, die entscheidet, was,
wann und wie gesehen wird. Dadurch ist sie in der Lage, das Publikum an Orte zu ziehen, an
die es vielleicht nicht gegangen wäre. Fleabag macht die Zusehenden zu unfreiwilligen Vo-
yeur*innen in intimen Momenten und zu Zeugen ihres Blicks. Sexualität bleibt dabei innerhalb
der Erzählung eine Form ihrer Kontrolle, da Fleabag die Männer auf emotionaler Distanz hält.
Durch die Verwendung direkter Ansprache hat sie zudem die gleiche Funktion auf der Ebene
der Kamera, indem sie den Blick umkehrt und damit die Objektivierung ihrer eigenen Sexua-
lität zu nichte macht. Weibliche Figuren und Frauen im Allgemeinen dürfen zudem so viel Sex
haben, wie sie möchten − alles, keinen oder etwas dazwischen. Ein Teil von Fleabags transgres-
sivem Feminismus besteht auch darin, dass sie den male gaze entwa net und sich etwas von der
Macht zurückholt, die weiße Männer seit Jahrhunderten auf Frauen ausüben: Die männlichen
Charaktere sind nicht zentral für Fleabags Geschichte; Sex ist es schon. Die Art und Weise,
wie Waller-Bridge den female gaze oder postfeministic gaze einsetzt, sorgt dafür, dass Männer
eine Nebenrolle einnehmen; sie werden Mittel zum Zweck, indem sie die Fläche für Fleabags
scharfzüngige Kommentare bieten und die emotionale Entwicklung der weiblichen Figur vor-
antreiben, wie z.B. die Portraitierung von Fleabags feinfühligem Exfreund, der stark von einer
klassischen Darstellung an Männlichkeit abweicht. Diese technische Rollenumkehrung möchte
ich als male-gaze-reversal bezeichnen.
 Gross, Terry: 'Fleabag' And 'Killing Eve' Creator Pho-
ebe Waller-Bridge Is Full Of Surprises. National Pub-
lic Radio (NPR), www.npr.org, 27. August 2019 [Ori-
ginally broadcasted: 13. Mai 2019] Web. https://www.
npr.org/2019/08/27/754646299/fleabag-and-kil-
ling-eve-creator-phoebe-waller-bridge-is-full-of-surpri-
ses?t=1611745840272, aufgerufen am 27.01.2021. Siehe
Abb. 2.+3.
Abb. 2.+3. Fleabag (2016): Sta el 1, ep.2, 15:27 – 16:15'.
20
4.4. Die Blickbeziehung zwischen Fleabag und Betrachter*in
Im Wesentlichen ist das Fernsehen ein visuelles Medium, in welchem die Blickrichtung ein-
seitig zu verlaufen scheint: Vom Auge des*r Zusehenden auf den Bildschirm, was ihm*ihr eine
gewisse Illusion von Macht über die dargestellten Objekte verleiht, da jene im projizierten Bild
feststecken. Doch, kann das Bild als das ,Andere’ den »Blick« auf die Zusehenden zurückwerfen,
indem das Gesehene die Erwartungen des Publikums bestätigt (oder bricht). Sobald sich das
Publikum über jene Macht des Bildes bewusst wird, kann sich das Machtverhältnis also umkeh-
ren, da nun das Bild als das ,Andere’ re ektiert. Der »Blick« erweist sich dadurch als Macht und
Unterwerfung gleichermaßen. Sehen wir uns diese  eorie anhand von Fleabag an. Ob aus dem
Augenwinkel, mit direktem Zwinkern oder konfrontalen Blickkontakt Fleabag lädt mit einer
Geste in ihre intimsten und ehrlichsten Gedanken ein, und behält dabei die narrative Allmacht.
Andere Charaktere hören ihren inneren Monolog nicht, denn er ist für das Publikum und
nur für das Publikum. Während der male gaze posiert, dass Frauen sich weigern, Blickkontakt
mit dem (männlichen) Betrachter herzustellen, ist die Blickbeziehung zwischen Fleabag und
ihren Zusehern der bemerkenswerteste Aspekt der Serie. Fleabag durchbricht im Laufe jeder
Folge regelmäßig die Vierte Wand, um mit dem Publikum zu interagieren und ihrer Innenwelt
Ausdruck zu verleihen. Diese Erzähltechnik ist es auch, was Fleabag bereits ab der ersten Szene −
mit einem an die Zuseher*innen gerichteten Monolog − von anderen abhebt, denn es ist selten,
dass sich eine Fernsehserie so stark auf die Perspektive eines einzelnen Charakters ausrichtet.
Mit dem Auftauchen des Blicks in die Kamera und der Adressierung des Publikums, innerhalb
der ersten Minute, verändert sich zudem der Status der Beziehung zwischen Betrachter*in und
Darstellerin radikal und unmittelbar: Fleabag blickt uns in die Augen. Sie weiß, dass es uns gibt.
 Vgl. James, Sharon L.; Dillon, Sheila: A Companion to
Women in the Ancient World. Chichester, West Sussex: John
Wiley & Sons, Ltd. / Blackwell Publishing Ltd., 2012. S.75.
 Die Vierte Wand ist ein zentraler Begri in der  eaterthe-
orie, hier gilt es natürlich zu betonen, dass Fleabag ursprüng-
lich als  eaterstück begann. Siehe Abb. 4.+5.
Die direkte Adressierung des Publikums funktioniert dabei, um e ektiv mitzuteilen, was sie in
bestimmten Situationen denkt, selbst wenn sie ihren szenischen Partner*innen nicht die glei-
chen Informationen gibt. Es erlaubt ihr sich uns verletzlich zu zeigen, und gleichzeitig bewahrt
sich Fleabag dadurch eine gewisse Distanz und Kontrolle über den Zusehenden.
Abb. 4.+5. Fleabag (2016): Sta el 1, ep.1, 00:08 – 00:23'.
21
Waller-Bridge verfolgt eine konkrete Erzählstrategie, denn durch das regelmäßige Brechen der
vierten Wand soll sich schrittweise eine intime Beziehung zum Publikum aufbauen. Anhand
eines Blicks, einer Grimasse oder eine Phrase verweist Fleabag regelmässig auf den*die Zuse-
hende, als ob er*sie im gleichen Raum wäre. Es ist eine Adressierung, die einer Seite im eigenen
Tagebuch gleicht; das Anerkennen einer Anwesenheit von jemandem, der*die immer zuschaut.
„Was uns zum Bewusstsein macht, das setzt uns auch mit demselben Schlag ein als speculum
mundi. Heißt es nicht Befriedigung, unter diesem Blick zu sein […], der uns einkreist und der
aus uns in erster Linie angeschaute Wesen macht“ Im Schauspiel der Welt sind wir angeschau-
te Wesen, und Fleabag ist sich ihres Anblicks bewusst. Das all-wahrnehmende Subjekt (Metz),
ist in diesem Fall zwar das Publikum, doch die Steuerung, was und vor allem wie gesehen wird,
kontrolliert die Protagonistin.
 Lacan, Jacques: Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse.
Das Seminar Buch XI. Weinheim/Berlin: Quadriga Verlag,
1996. S.81.
 Ebd. Ders. S.81.
 Saraiya, Sonia: 'Vanity Fair Review. Fleabag’s Second
Season is Unmissable.'Vanity Fair-Entertainment, Politics,
and Fashion News. www.vanityfair.com. 08. Mai 2019., ht-
tps://www.vanityfair.com/hollywood/2019/05/fleabag-sea-
son-2-review-phoebe-waller-bridge-amazon, aufgerufen am
27.01.2021.
„Die Welt ist allsehend, aber sie ist nicht exhibitionistisch – sie provoziert nicht unsern Blick.
Wenn sie anfängt, den Blick zu provozieren, setzt auch schon das Gefühl des Befremdlichen
ein.“ Fleabag möchte jedoch keineswegs beschämen oder Unwohlsein im Publikum hervorru-
fen. Wenn sie sich der Kamera zu wendet, den*die Zuseher*in anblickt, präsentiert sie sich der
Welt als verführerisch und selbstbewusst. Ihr Schauspiel gleicht einem Wechselspiel aus “ e
need to be seen, but also the horror that comes with being seen.”
Abb. 6. − 9. Fleabag (2016), Sta el 1, ep.4, 13:50' (links oben); Sta el 1, ep.4, 01:07' (rechts oben),
Sta el 1, ep.2, 22:30' (links unten); Sta el 1, ep.2, 05:12' (rechts unten)
22
Mit jenem Wissen spielt Waller-Bridge gleichermaßen mit der Empathie und Antipathie des
Publikums: “I wanted to write about a young, sex-obsessed, angry, dry-witted woman, but
the main focus of the process was her direct relationship with her audience and how she tries
to manipulate and amuse and shock them, […] until she eventually bares her soul.”¹ Dabei
bedient sich die Serie, in ihrer visuellen Art des Geschichtenerzählens, einer ,weiblichen’ Pers-
pektive, in welcher die Gestaltung der Blickachse sowie die unmittelbar intime Beziehung, die
zwischen dem Gesichtsausdruck der Protagonistin und der Kamera entsteht, als zentrale Ele-
mente fungieren. Die Blickperspektive, wie sie in Fleabag konstruiert wird, unterscheidet sich
indes stark von der konventionellen, ,männlichen’. Der female gaze existiert hierbei weder um
Körper zu objektivieren, noch um einen bestimmten pleasure zu befriedigen; stattdessen richtet
er seine Aufmerksamkeit auf die Emotionen und die Handlungen des zentralen Charakters.
Durch kraftvolle Blicke direkt in die Kamera sehen wir die Welt so, wie Fleabag sie wahrnimmt.
Mit jedem Moment, den wir mit ihr teilen, fühlen wir uns noch mehr als Teil ihrer intimsten
Gedanken. Wie es Béla Balázs in seinem Werk Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films
(1924) ausführlich beschreibt, wird auch hier das Gesicht zur „bedeutungstragenden Ereignis-
landschaft.“² Die regelmäßigen Nahaufnahmen verstärken zudem den Identizierungsprozess
des*r Zusehenden und erzeugen ein Näheverhältnis zur Protagonistin. Nach Waller-Bridge fun-
giert die Kamera dabei auch als Druckmittel, das auf den Charakter Fleabag selbst einwirkt:
„die Kamera ist eine Zeugin von Fleabags Leben und Geheimnissen – von der sie entweder
weglaufen muss, oder die sie unterhalten möchte. Oder sie muss konstant daran arbeiten, das
zu verstecken, was in ihr vorgeht.“³ Zwischen Fleabag und der Kamera, einem natürlichen
Stellvertreter des Publikums, entwickelt sich demnach auch eine intime Verbindung. Diese ist
es, die sie als redeemable character erscheinen lässt, und täuscht damit als Fassade:
“The preassure of the camera was that she had a secret. And she felt like she was gonna
crack under the preassure of the camera saying: There's something going on with you...
what is that? And she is like: I'm just hilarious coming to my hilarious life there is no-
thing wrong with me I sware“. 
¹ o.A.: 'How to make people laugh by Phoebe from Fleabag'.
BBC3, 17.05.2017. Web. https://www.bbc.co.uk/bbcthree/
article/47ac38cd-d937-4e38-a839-a1a400958d34, aufgeru-
fen am 08.04.2021.
² Stiglegger, Marcus: Ritual & Verführung. Schaulust, Spek-
takel & Sinnlichkeit im Film (Deep Focus 3). Berlin: Bertz
und Fischer Verlag, 2006. S.10.
³ Struzh, Alena: 'Phoebe Waller-Bridge über „Fleabag“: „Ich
möchte die Figuren zur absoluten Verzweiung bringen'.
10.06.2019. Web. https://www.rollingstone.de/phoebe-wal-
ler-bridge-eabag-1715127/, aufgerufen am 30.03.2021.
 Gross, Terry: 'Fleabag' And 'Killing Eve' Crea-
tor Phoebe Waller-Bridge Is Full Of Surprises. Nati-
onal Public Radio (NPR), www.npr.org, 27. August,
2019 [Originally broadcasted: 13.Mai 2019] https://
www.npr.org/2019/08/27/754646299/fleabag-and-kil-
ling-eve-creator-phoebe-waller-bridge-is-full-of-surpri-
ses?t=1611745840272, aufgerufen am 27.01.2021.
23
4.5. Empathie und Maskerade als spectatorial pleasure.
Fleabags Beziehung zur Kamera selbst
Viele Menschen haben das Gefühl, dass sie etwas auühren müssen und wir sind das Publikum
für ihre Handlung einer unendlichen Fassade. „Die Anwesenheit eines Auges (oder einer Kame-
ra) kann eine Art von pour autrie herbeiführen, die sich durch den Umstand des Wahrgenom-
menwerdens von dem unerschütterlichen en soi unterscheidet, das der Realist”, in diesem Fall
die Realistin, „intendiert”. Die Kamera übernimmt dabei die lokale Ausformung einer Instanz,
die Jacques Lacan als die „Gegenwart des anderen als solchen” bezeichnet. Lacan verdeutlicht
in seinem Seminar XI, dass das Subjekt erst auf dem Feld des ,Anderen’ entstehe, und spricht
damit von der Einschreibung des Symbolischen in das Feld des Sichtbaren: „Jedes Subjekt muß
gesehen werden, um zu »sein«.” Innerhalb der Serie Fleabag bedeutet das Sichtbare bzw. das,
was Fleabag uns erlaubt zu sehen, indessen eine narrative Maskerade für das Publikum, welche
zeitgleich als Schutzschirm für die Protagonistin selbst funktioniert. Im Laufe der ersten Stael
ackert immer wieder eine Erinnerung auf, die sie verfolgt; während Fleabag versucht die Kont-
rolle über die Erzählung zu behalten. Aus ihrer selbstbewussten Fassade entfaltet sich allmählich
ein Spiel des Zu-Sehen-Gebens; ein Hide and Seek, das für Fleabag auch eine Bedrohung darstellt,
denn sie benutzt das Publikum, nicht nur um sich vor den anderen Charakteren zu verstecken,
sondern um sich vor sich selbst zu verstecken. Hinter Fleabags Sarkasmus und humoristischer
Art verbergen sich Einsamkeit, Unsicherheit und eindringliche Erinnerungen, die sich um zwei
Schicksalsschläge in ihrem Leben drehen: der frühzeitige Tod ihrer Mutter und der versehentli-
che Selbstmord ihrer besten Freundin. Je mehr Episoden vergehen, desto oensichtlicher wird
es, dass Fleabag ein Trauma hat; das Ausmaß dessen, was sie verdrängt, verstehen wir jedoch
erst in der letzten halben Stunde von Stael 1. Fleabags bewusstes Spiel mit ihren Blicken und
Gesten funktioniert als besonderes Ablenkungsmanöver. In Wirklichkeit dient die Interaktion
mit dem Publikum als Abwehrmechanismus und Strategie für sie selbst, ihre Realität zu mani-
pulieren, um sich gegen ihre tiefsitzenden Schuldgefühle und Scham zur Wehr zu setzen. Sie
hält die wahre Natur ihrer Maskerade dabei bis kurz vor Ende geheim − bis ihre Schwester den
Verrat enthüllt und Fleabag demaskiert: Wir erfahren, dass sie in den Selbstmord ihrer besten
Freundin verwickelt war.
Es ist genau in diesem Moment, wenn Fleabag uns, den Zusehenden, mit Entsetzen
ansieht. Durch den Blick, den der Zuschauer ihr nun mit dem Wissen ihrer Wahrheit entgeg-
net, fühlt sie sich ertappt und in ihrer Ganzheit gesehen. Ihre Welt ießt in das Sichtfeld des
 Danto, Arthur C.: Bewegte Bilder. In: Liebsch, Dimitri
(Hg.): Philosophie des Films. Grundlagentexte. Paderborn:
mentis 2005, 2. Au. 2006. S.124.
 Vgl. Lacan, Jacques: Die vier Grundbegrie der Psychoana-
lyse. Das Seminar von Jaques Lacan. Band XI, (1964), Olten
und Freiburg im Breisgau, 1978. S.91.
 Lacan, Jacques: Die vier Grundbegrie der Psychoanalyse.
Das Seminar Buch XI. Weinheim/Berlin: Quadriga Verlag,
1996. S.90.
 Silverman, Kaja: Dem Blickregime begegnen. S.58. In: Kra-
vagna, Christian (Hg.): Privileg Blick. Kritik der visuellen Kul-
tur. Berlin: Rotation Vertrieb, Edition ID – Archiv, 1997.
24
Zusehers ab, ohne ihrer Maßregelung: die „Phantom-Skizze [ihres] Seins“ zeichnet sich neu,
Sartres ,Vom-Andern-gesehen-werden’¹ wird zu Fleabags Gegenwart; die Puzzleteile ergeben
nun ein ganzheitlicheres Bild einer Person, die sich in einem kontrollierten Licht präsentiert
hat. Der ,Andere’ situiert nun sie innerhalb seiner Welt und außerhalb ihrer konstruierten, da-
bei weiß Fleabag um die Existenz dieses Bildes, das sie nicht mehr kontrollieren kann. Lacans
»Das, was ich erblicke, ist nie das, was ich sehen will.«¹¹ beschreibt dabei den Vorgang, der sich
in der zentralen Film gur selbst abzeichnet. Während der Blick des Zusehenden wirkt, transfor-
miert sich die Kamera zudem als Spiegel, der Fleabags lang verdrängte Schattenseite re ektiert,
und ihr ein Bild vor Augen führt, das sie zu Boden wirft: Sie erkennt sich selbst.
Wir, das Publikum, sehen nicht mehr ihren Blick, sie weicht ihm aus, erwidert ihn nicht
mehr, stattdessen sehen wir die Scham und Trauer einer Frau, die sich erblickt fühlt. Fleabag
versucht daher vor der Kamera zu  üchten, dem Blick des*r Zusehenden, der nun ihr Geheim-
nis kennt, zu ent iehen. Wie in der lacanschen Psychoanalyse wird der »Blick« hier als das
Sich-Selbst-Bewusstsein, das man gesehen und betrachtet werden kann, eingesetzt. Der Blick
des*r Zusehenden ist für Fleabag dabei schmerzbehaftet und kaum erträglich. Denn durch die
O enbarung ihres Geheimnisses und ihrer Gewahrwerdung dessen, dass wir es nun wissen,
verändert sich auch die Beziehung zwischen Fleabag und dem Zusehenden: Dieser* war nicht
Voyeur, sondern vor allem Komplize. Waller-Bridge wollte das Publikum dazu bringen, sich
mitschuldig zu fühlen, und gleichzeitig war es Fleabags repressives Fassadenspiel und ihr Bewäl-
tigungsmechanismus, um weiter zu machen. Die Szene des Big-Reveal, in der Fleabags großes
Geheimnis gelüftet wird, ist daher wohl die wichtigste der ersten Sta el, da sie jegliche Blicke
retrospektiv abändert, und an eine Umkehrung von Sartres Schlüsselloch-Szene des ertappten
Voyeurs¹² erinnert, anhand dessen sich ebenfalls erkennen, dass immer die Möglichkeit be-
steht, ertappt zu werden.
Abb. 10.+11. Fleabag (2016): Sta el 1, ep.6, 15:56' (links); Sta el 1, ep.6, 16:21' (rechts)
 Sartre, Jean-Paul: Das Sein und das Nichts. Versuch einer
phänomenologischen Ontologie. Reinbek bei Hamburg: Ro-
wohlt, 1962. S.478.
¹ Ebd. Ders. S.464.
¹¹ Lacan, Jacques: Die vier Grundbegri e der Psychoanalyse.
Seminar XI. Weinheim/Berlin: 1996, S.109 [frz., S. 95].
¹² Vgl. Sartre, Jean-Paul: Das Sein und das Nichts. Versuch
einer phänomenologischen Ontologie. Reinbek bei Hamburg:
Rowohlt, 1962. S.345.
25
„Der Blick ist sichtbar – eben der Blick, den Sartre meint, der Blick, der mich überrascht,
mich auf ein Gefühl von Scham reduziert, das von Sartre ja als das deutlichste Gefühl
bezeichnet wird. Dieser Blick, dem ich begegne […] ist zwar nicht gesehener Blick, aber
doch Blick, den ich auf dem Feld des Anderen imaginiere.“¹³
Stark angelehnt an Lacans Worte, ist es das, was auch hier passiert: Der Blick der Kamera wirft
Fleabag aus den Gleisen, haut sie um und lässt sie auf das besagte Schamgefühl einschrump-
fen.¹ Der Blick des ,Anderen’, der ihre Vergangenheit in der Gegenwart manifestiert und
Fleabags Schauspiel schlagartig demaskiert. Sie begreift sich als Angeblickte und wird selbst
Objekt eines Blicks, ihr Blick wird zum angeblickten Blick. Zum ersten Mal weicht sie der Ka-
mera aus: Wir sehen, wie ihre Kommunikation mit uns nachlässt, sie undurchsichtiger wirkt bis
sie schließlich die Kamera mit ihrer Hand von sich wegschiebt, sich von ihr entfernt und uns
verbietet, ihr zu folgen. Wenn Fleabags Blick in Sta el 1 “mitschuldig” wirkt, kann ihr Blick
in Sta el 2 als “konfessionell” gedeutet werden. In der zweiten Sta el scha t es erstmalig eine
andere Figur, die inneren Selbstgespräche von Fleabag zu hören und auch infrage zu stellen.
Jedes Mal, wenn sie mit uns in Kontakt tritt, löst sie sich von der Welt um sie herum, dabei ist
“ e Priest” in Sta el 2 die erste Person, die Fleabags Bewältigungsmechanismus bemerkt und
thematisiert. Die vierte Wand bekommt Risse. “I think you know how to love better than any
of us, that’s why you  nd it so painful.”¹
Im Laufe von zwei Sta eln erkennen wir, dass Fleabag immer wieder auf der Suche nach
Selbstliebe und Vergebung war. Als sie durch ihre kurze Beziehung mit “ e Priest” erkennt,
dass sie wieder lieben kann und sich mit ihren Familienmitgliedern versöhnt, beginnt sie auch
ihren Frieden mit ihren Schuldgefühlen zu schließen. Am Ende der zweiten Sta el kann sie
sich von der Kamera lösen, sich von uns entfernen und dem Zuseher zum Abschied winken.
¹³ Lacan, Jacques: Die vier Grundbegri e der Psychoanalyse.
Seminar XI. Weinheim/Berlin: 1996, S.90.
¹ Vgl. Ebd. S.91. Orig.: „Ein Blick überrascht ihn als Vo-
yeur, wirft ihn aus dem Gleis, haut ihn um und lässt ihn
einschrumpfen auf das besagte Schamgefühl.“
¹ Fleabag (2016), Prod.: Two Brothers Pictures, [Erstaus-
strahlung: 21. Juli 2016 auf BBC  ree (UK)], Sta el 2, ep.6,
14:47 – 14:53'.
Abb. 12.+13. Fleabag (2016): Sta el 2, ep.6, 25:26 – 26:00'.
26
¹ Denken wir an Kenneth Lonergan’s Margaret (2011) und
Andrea Arnold’s Fish Tank (2009) — Beides gleichsam ge-
fühlvolle Coming-of-Age Erzählungen über junge Frauen
und ihre Sexualität. Beide Flme kommen ohne stereotypische
Kameraeinstellungen aus und man bemerkt die Augenhöhe
zwischen Regisseur*in und Darstellerinnen.
Fazit
In Film und Fernsehen waren es immer wieder von Männern produzierte und auf Männer aus-
gerichtete Narrativen: die auf ein Podest erhobenen Jungfrauen oder weibliche Figuren, die nur
als Projektionsäche für den Protagonisten dienen, wie bei John Wayne und John Ford. Obwohl
die ersten goldenen Zeiten des Fernsehens auch von Frauen geprägt waren, die im Zentrum
ihrer eigenen Universen standen, wie in I Love Lucy und I Dream of Jeannie, setzte sich die
männliche Kontrolle in der Rahmung stets durch. Selbst Frauen, die den Fokus ihrer eigenen
Erzählung bildeten, mussten bestimmten damenhaften Codes folgen, um sich auf revolutionäre
Weise zu verbiegen. Der male gaze war dabei das Werkzeug um weibliche Figuren als Requisi-
ten im Dienste der heterosexuellen, männlichen Narrative einzusetzen. Der female gaze kann
zwar als alternierte Perspektive gedacht werden, ist aber nicht das Gegenteil des ,männlichen
Blicks’. Zudem können beide unabhängig vom Geschlecht des Regisseurs*in¹ erzeugt werden.
Obwohl Mulveys Essay vor fünfzig Jahren verfasst wurde, ruft dieser nach wie vor starke Reak-
tionen hervor. Das grundlegende Konzept von Männern als aktive Betrachter und Frauen als
passive Betrachtete gilt zwar als veraltet, dennoch sind seine Nachwehen immer noch spürbar.
Cut to 2021: Weibliche Filmschaende erhalten Geld, um auf Frauen fokussierte Inhalte zu
produzieren und komplexe Frauengeschichten rücken in den Vordergrund. Wir erleben eine Art
Renaissance frauenzentrierter Serien, die authentisch-neuartige Geschichten von fehlerhaften
Menschen erzählen − von Issa Raes Insecure, über Lena Dunhams Girls, bis Joey Solloways I
love Dick. Die männliche Kontrolle über Produktion, Regie und Drehbuch hat bislang so viel
von unserem kollektiven, kulturellen Leben geprägt, dass der ,männliche Blick’ die meisten der
weit verbreiteten und häug gesehenen Filme und Fernsehsendungen der letzten Jahrzehnte
dominiert hat. Der ,weibliche Blick’ ist hingegen komplexer als der male gaze und verfolgt einen
anderen Zweck als die Objektivierung menschlicher Körper: Er navigiert durch die Bildschirm-
welt, um eine einfühlsame Verbindung zwischen den zentralen Figuren und dem Publikum
herzustellen. Die Komplexität des female gaze wird in Fleabag hervorragend dargestellt. Sie be-
zieht das Publikum direkt mit ein und fordert es heraus, Teile der Erzählung selbst zusammen-
zusetzen, während sie diesem sogar durch unglaubliche Traumata hindurch zu zwinkert. Der
,weibliche Blick’, wie er in Fleabag konstruiert wird, weicht dabei nicht nur lmisch sondern
auch narrativ von üblichen Konventionen ab. Der häuge Einsatz von Nahaufnahmen und das
Spiel mit dem Blick in die Kamera richtet das Zusehen auf die Emotionen und Erfahrungen
der Protagonistin.
27
Trotz der wachsenden Anzahl an Filmen und Serien, die auf eine weibliche Zuschauerschaft
abzielt, steht der female gaze erst am Anfang. Ich gebe Mary Ann Doane Recht, wenn sie die
Frage in den Raum stellt: “What is there to prevent [the woman] from reversing the relati-
on and appropriating the gaze for her own pleasure?”¹ Die Antwort lautet: Nichts hindert
uns daran. Nur bin ich der Meinung, dass es nach jahrelanger, struktureller Unterdrückung
weiblicher Filmschaenden nicht nur intellektuell unbefriedigend ist, die Machtdynamiken
umzudrehen und Männer zu objektivieren, sondern auch politisch kontraproduktiv sich dem
gleichen Machtsystem zu bedienen. Die Argumentation, dass Filme wie Magic Mike (2012) und
Magic Mike XXL (2015) für den Feminismus sehr wichtig sein¹, nde ich dementsprechend
selbstironisch. Auch ein Blick auf das vermehrte Aufkommen an Intersektionalität der letzten
Jahre hilft zu erkennen, dass der female gaze nicht nur Grenzen aufbricht. Schnell fällt auf, dass
geschlechtlich konstruierte Blicke, ,männliche’ wie ,weibliche’, einer binären Logik folgen. In-
dem die Kategorisierung des ,weiblichen Blicks’ als »weiblich« eine binäre Denkweise impliziert
und die Prinzipien des Feminismus missachtet, wird klar, dass nicht nur Mulveys eorie den
Mangel an Inklusion und Berücksichtigung anderer Identitäten beleuchtet.
Der female gaze¹ sollte daher ein umfassenderes, intersektionales Blickfeld anstreben, um die
binäre Vorstellung von konkurrierenden Blicken (männlich gegen weiblich) zu dekonstruieren.
Wenn der female gaze dementsprechend nicht dazu dient, ,männliche’ Blickkonventionen zu
wiederholen, dann sollte er Intersektionalität berücksichtigen und als alternativer Blick exis-
tieren, der keinen binären Rahmen aufrechthält. Wenn die visuellen Techniken seiner Produk-
tion zudem identiziert werden können, würde dies bei der Entwicklung einer Denition des
,weiblichen Blicks’ helfen, die als eigene theoretische Einheit auftritt und nicht als eine, die vom
,männlichen Blick’ abgeleitet ist. Durch den Einbezug und die Ergänzung alternativer Blick-
theorien (oppositional gaze, queer gaze, trans gaze, etc.) könnte der female gaze außerdem zum
Begri einer facettenreichen Blickkultur in den Filmwissenschaften werden.
¹ “What is there to prevent [the woman] from reversing
the relation and appropriating the gaze for her own pleasu-
re? Precisely the fact that the reversal itself remains locked
within the same logic. e male striptease, the gigolo – both
inevitably signify the mechanism of reversal itself, constitu-
ting themselves as aberrations whose acknowledgment simply
reinforces the dominant system of aligning sexual dierence
with a subject/object dichotomy.” Doane, Mary Ann: Film
and the Masquerade: eorising the Female Spectator. Screen,
Vol.23, nos.3/4, September/Oktober 1982, S.77.
¹ Vgl. https://www.vice.com/en/article/8gkbak/surprise-
magic-mike-xxl-was-the-most-important-feminist-movie-
of-2015, aufgerufen am 05.01.2021.
¹ Ich bin der Meinung, dass der female gaze eine erweiterte
Denition verdient, die die Charakteristik seiner visuellen
Sprache und die Art seiner Empathie-Produktion miteinbe-
zieht. Eine vertiefende Erforschung des ,weiblichen Blicks’
anhand einer Masterthesis wäre in meinen Augen daher sinn-
voll. Einerseits, um eine klarere Blickdenition zu erhalten,
die den dominanten männlichen Blick herausfordert, an-
dererseits um jene als politisches Instrument in der eigenen
Filmproduktion einsetzen zu können.
28
Quellenverzeichnis
¹ Laura Mulvey, *1941, ist eine britische Filmtheoretikerin,
Professorin für Film- und Medienwissenschaft am Birkbeck
College der Universität London, Autorin und Feministin.
² Kaja Silverman, *1947, ist eine US-amerikanische Filmkri-
tikerin, Kunsthistorikerin, Autorin und Feministin.
³ Jacques Lacan, 1908−1981, war ein französischer Psychiater
und Psychoanalytiker.
 Jean-Paul Sartre, 1905−1980, war ein französischer Roman-
cier, Dramatiker, Philosoph, Religionskritiker, Publizist, und
gilt als Vordenker und Hauptvertreter des Existentialismus.
Fleabag (2016; 2019), 2 Staeln in 12 Episoden, je 23-28
Min. Prod.: Two Brothers Pictures, [Erstausstrahlung: 21.
Juli 2016 auf BBC ree (UK)].
 Phoebe Waller-Bridge, *1985, ist eine britische Schauspie-
lerin, Dramatikerin und Drehbuchautorin.
 Scheman, Naomi: inking about Quality in Women’s Vi-
sual Art. Engenderings: Constructions of Knowledge, Authority,
and Privilege. New York: Routledge, 1993. S.159.
 Vgl. Web. https://www.linguee.de/search?query=Gaze,
aufgerufen am 05. Januar 2021.
 Vgl. Silverman, Kaja: Dem Blickregime begegnen. In:
Kravagna, Christian (Hg.): Privileg Blick. Kritik der visuellen
Kultur. Berlin: Rotation Vertrieb, Edition ID – Archiv,
1997. S.41−64.
¹ Vgl. Kravagna, Christian (Hg.): Privileg Blick. Kritik der
visuellen Kultur. Berlin: Rotation Vertrieb, Edition ID –
Archiv, 1997. S.62.
¹¹ Vgl. Scheman, Naomi: inking about Quality in Women’s
Visual Art. Engenderings: Constructions of Knowledge, Authori-
ty, and Privilege. New York: Routledge, 1993. S.159.
¹² Vgl. Sartre, Jean-Paul: Das Sein und das Nichts. Versuch
einer phänomenologischen Ontologie. Reinbek bei Hamburg,
1994. S.459.
¹³ Lacan, Jacques: Die vier Grundbegrie der Psychoanalyse.
Das Seminar Buch XI. Weinheim/Berlin: Quadriga Verlag,
1996. S.89.
¹ Anm.: Hier wird absichtlich nicht gegendert, da Mulvey
stark von einem männlichen Kameramann, einem männli-
chen Helden (Protagonisten) und einem männlichen Zu-
schauer ausgeht.
¹ Als Cis-Mann/Cis-Frau werden diejenigen bezeichnet, de-
ren Geschlechtsidentität dem Geschlecht entspricht, das ih-
nen bei der Geburt zugewiesen wurde.
¹ Vgl. Belton, John: American Cinema/American Culture.
O.A.: McGraw Hill Higher Education, 1993. S.22. Im Eng-
lischen Original: “the narrative is delivered so eortlessly and
eciently to the audience that it appears to have no source,
[…] spontaneously creating itself in the presence of the spec-
tators […] for their immediate consumption and pleasure”.
Übersetzt von Teresa Steiner.
¹ McRobbie, Angela: Top Girls. Feminismus und der Aufstieg
des neoliberalen Geschlechterregimes. Wiesbaden: VS Verlag
für Sozialwissenschaften. Springer Fachmedien Wiesbaden
GmbH. 2010. S.8.
¹ Wykes, Maggie and Gunter, Barrie: e Media and Body
Image (eBook, PDF). If Looks Could Kill. SAGE Publications,
2005. S.38−39. (Berger, 1972:64) Übersetzt von T. Steiner.
¹ Ebd. Ders. S.41.
² Mulvey, Laura: 'Visual Pleasure and Narrative Cinema'. In:
ornham, Susan: Feminist Film eory. A Reader. Edinburgh:
Edinburgh University Press, 1999. S.59.
²¹ Der Begri kann auch mit ,Schaulust’ übersetzt werden,
oder als ,sexuelles Vergnügen beim Schauen’. https://de.lan-
genscheidt.com/fremdwoerterbuch/skopophilie, aufgerufen am
05.01.2021
²² Mulvey, Laura: 'Visual Pleasure and Narrative Cinema'. In:
ornham, Susan: Feminist Film eory. A Reader. Edinburgh:
Edinburgh University Press, 1999. S.62−63.
²³ Vgl. Ebd. Ders. S.62−63.
² Joey Soloway, *1965 (ehemals Jill Soloway) ist ein US-ame-
rikanischer Showrunner, Regisseur und Autor, bekannt für die
Amazon-Originalserie Transparent.
² 'Jill Soloway on e Female Gaze.' MASTERCLASS, TIFF
2016. 00:32:00', Web. https://www.youtube.com/watch?-
v=pnBvppooD9I, aufgerufen am 05.01.2021
² Das Originalzitat stammt von Budd Boetticher, US-ameri-
kanischer Filmregisseur von low-budget Western der 1950er
Jahre. Mulvey, Laura: 'Visual Pleasure and Narrative Cinema'.
In: ornham, Susan: Feminist Film eory. A Reader. Edinbur-
gh: Edinburgh University Press, 1999. S.63.
² Vgl. Kaplan, E. Anne: Is the Gaze Male? In: Snitow A.,
Stansell C., & ompson S. (Hrsg.), Powers of Desire: e
Politics of Sexuality, 1983. S.309−327. Orig.: "the gaze is not
necessarily male (literally), but to own and activate the gaze,
given our language and the structure of the unconsciousness,
is to be in the masculine position". Übersetzt von T. Steiner.
² 'Jill Soloway on e Female Gaze.' MASTERCLASS, TIFF
2016. 00:36:20'. https://www.youtube.com/watch?v=pnBvp-
pooD9I, aufgerufen am 05.01.2021
² Benson-Allott, Caetlin: 'On Platforms: No Such Thing Not
Yet'. In: Questioning Television's Female Gaze. Film Quar-
terly 71.2 (2017), 65–71. Web. https://doi.org/10.1525/
fq.2017.71.2.65, aufgerufen am 23.03.2021 Anm.: Neben
dem umfangreichen Pool an lmischen Werken, die seit Ende
des 19. Jahrhunderts von Männern produziert wurden, ist ein
29
klares Dezit an von Frauen produzierten Inhalten innerhalb
der Filmgeschichte zu erkennen. Seit den 1980er Jahren ist
zwar ein Wandel spürbar, dennoch lässt sich ein allgemeines
Ungleichgewicht an weiblichen Führungspositionen im Film
(Produzentinnen, Regisseurinnen, Autorinnen etc.) durch
strukturelle Unterdrückung erkennen.
³ Blake, Meredith: 'From 'e Handmaid's Tale' to 'I Love
Dick,' the female gaze is thriving on television.' In: Los Ange-
les Times, 05.05.2017. Web. https://www.latimes.com/enter-
tainment/tv/la-et-st-female-gaze-television-20170505-htm-
lstory.html, aufgerufen am 27.03.2021
³¹ 'Jill Soloway on e Female Gaze.' MASTERCLASS, TIFF
2016. https://www.youtube.com/watch?v=pnBvppooD9I,
aufgerufen am 05.01.2021
³² Ebd. 00:28:13', aufgerufen am 05.01.2021
³³ Vgl. Benson-Allott, Caetlin: 'On Platforms: No Such Thing
Not Yet'. In: Questioning Television's Female Gaze. Film Quar-
terly 71.2 (2017), 65–71. Web. https://doi.org/10.1525/
fq.2017.71.2.65, aufgerufen am 23.03.2021aufgerufen am
23.03.2021
³ Doane, Mary Ann: Film and the Masquerade: eorising the
Female Spectator. Screen, Vol.23, nos.3/4, September/Okto-
ber 1982, S.77.
³ Telfer, Tori: 'How Do We Dene e Female Gaze In
2018?' Vulture. 02.08.2018. Web. https://www.vulture.
com/2018/08/how-do-we-dene-the-female-gaze-in-2018.
html, aufgerufen am 27.03.2021
³ Doane, Mary Ann: Film and the Masquerade: eorising the
Female Spectator. e Feminism and Visual Culture Reader,
2003. S.133.
³ Vgl. Ebd. Dies. S.133.
³ Vgl. Mulvey, Laura: 'Visual Pleasure and Narrative Cinema'.
In: ornham, Susan: Feminist Film eory. A Reader. Edinbur-
gh: Edinburgh University Press, 1999. S.62.
³ Kravagna, Christian (Hg.): Privileg Blick. Kritik der visu-
ellen Kultur. Berlin: Rotation Vertrieb, Edition ID – Archiv,
1997. S. 8.
 Ebd. Diess. S.8.
¹ Lacan, Jacques: Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse.
Seminar XI. Weinheim/Berlin: 1996, S.79. [frz.; S.70].
² Vgl. Blümle, Claudia; von der Heiden, Anne (Hg.): Blick-
zähmung und Augentäuschung. Zu Jacques Lacans Bildtheorie.
Zürich-Berlin: Diaphanes 2009. S.47.
³ Silverman, Kaja: Dem Blickregime begegnen. S.58. In: Kra-
vagna, Christian (Hg.): Privileg Blick. Kritik der visuellen Kul-
tur. Berlin: Rotation Vertrieb, Edition ID – Archiv, 1997.
Anm.: Mit »Objektivität« ist„der traditionelle Anspruch der
Kamera, die Dinge so zu sehen, wie sie sind, und andererseits
die Abgrenzung gegenüber dem Subjektiven.“ gemeint.
 Silverman, Kaja: The Treshold of the Visible World. New
York / London: Routledge, 1996. S.130.
 Sartre, Jean-Paul: Das Sein und das Nichts. Versuch einer
phänomenologischen Ontologie. Reinbek bei Hamburg: Ro-
wohlt, 1962. S.347.
 Ebd. Ders. S.372.
Anm.: Sartre meint nicht, dass der Blick transzendent im
Sinne einer kognitiven Bedingung meiner Erfahrung ist, son-
dern, dass er mit keinem Objekt meiner Welt verbunden werden
kann, obwohl er ausschließlich in der Welt anzutreffen ist.
 Silverman, Kaja: The Treshold of the Visible World. New
York / London: Routledge, 1996. S.168.
 Ebd. Dies. S.135.
 Silverman, Kaja: Dem Blickregime begegnen. In: Kravagna,
Christian (Hg.): Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur.
Berlin: Rotation Vertrieb, Edition ID – Archiv, 1997. S.58.
Im franz. Original »donner-à-voir«, wortwörtlich ,Zu-se-
hen-Gegebenes’.
¹ Lacan, Jacques: Die vier Grundbegrie der Psychoanalyse.
Das Seminar Buch XI. Weinheim/Berlin: Quadriga Verlag,
1996. S.113.
² Silverman, Kaja: Dem Blickregime begegnen. In: Kravagna,
Christian (Hg.): Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur.
Berlin: Rotation Vertrieb, Edition ID – Archiv, 1997. S.58.
³ Ebd. Dies. S.58−59.
 Silverman, Kaja: e Treshold of the Visible World. New
York / London: Routledge, 1996. S.135. Orig.: “It seems
to me crucial that we insist upon the ideal logical status of
the screen by describing it as that culturally generated image
or repertoire of images through which subjects are not only
constituted but dierentiated in relation to class, race, sexua-
lity, age, and nationality,” I wrote in Male Subjectivity at the
Margins (150). In: Silverman, Kaja: Male Subjectivity at the
Margins. New York: Routledge, 1992, S.150.
 Vgl. Kravagna, Christian (Hg.): Privileg Blick. Kritik der
visuellen Kultur. Berlin: Rotation Vertrieb, Edition ID – Ar-
chiv, 1997. S.9−10.
 Vgl. Silverman, Kaja: e Treshold of the Visible World.
New York / London: Routledge, 1996. S.135. Orig.: Now,
I would like to put an ever greater distance between myself
and Seminar XI, and dene the screen as the conduit through
which social and historical variability is introduced not only
into the relation of the gaze to the subject-as-spectacle, but
also into that of the gaze to the subject-as-look. e screen
represents the site at which the gaze is dened for a particular
society, and is consequently responsible both for the way in
which the inhabitants of that society experience the gaze's
eects, and for much of the seeming particularity of that so-
ciety's visual regime.
 Silverman, Kaja: Dem Blickregime begegnen. In: Kravagna,
Christian (Hg.): Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur.
Berlin: Rotation Vertrieb, Edition ID – Archiv, 1997. S.63.
[Orig.: Lacan, Jacques: Die vier Grundbegrie der Psychoana-
lyse. Das Seminar Buch XI. Weinheim/Berlin: Quadriga Ver-
lag, 1996. S.113.]
30
 Ebd. Dies. S.58−59.
 Vgl. Ebd. S.125−126. Orig. In: Metz, Christian: e Ima-
ginary Signier: Psychoanalysis and the Cinema. Bloomington:
Indiana University Press, 1982. S.49.
 Vgl. Baudry, Jean-Louis: “Ideological Eects of the Basic
Cinematographic Apparatus”. In: Rosen, Philip (Hrsg.): Nar-
rative, Apparatus, Ideology. New York: Columbia University
Press, 1986. S.295.
¹ Vgl. Ebd. Dies. S.125−126.
² Silverman, Kaja: e Treshold of the Visible World. New
York / London: Routledge, 1996. S.126.
³ Vgl. Ebd. Dies. S.125−126.
 Silverman, Kaja: e Treshold of the Visible World. New
York / London: Routledge, 1996. S.85
 Fleabag (2016; 2019), 2 Staeln in 12 Episoden, je 23-
28 Min. Prod.: Two Brothers Pictures, [Erstausstrahlung: 21.
Juli 2016 auf BBC ree (UK)].
 Fleabag (2019). Stael 2, ep.2: 15:27 – 15:31'
 Vgl. 'We are bad feminists'. Fleabag (2016), Prod.: Two
Brothers Pictures, [Erstausstrahlung: 21. Juli 2016 auf BBC
ree (UK)], Stael 1, ep.1, 14:49 – 14:59'
 Malone, Noreen: 'e Fleabag Mystique', 06. Februar
2017.Web. https://www.thecut.com/2017/02/phoebe-wal-
ler-bridge-eabag.html, aufgerufen am 09.04.2021
 Judilla, Zoe: '“Fleabag” and the Necessity of Female Rage',
30. September 2019. Web. https://orangemag.co/orangeb-
log/2019/9/30/fleabag-and-the-necessity-of-female-rage,
aufgerufen am 09.04.2021
 Arboine, Niellah: 'Here's e Truth About Why "Fleabag"
Doesn't Have A "Real" Name' In: www.bustle.com, 13. März
2019. Web. https://www.bustle.com/p/does-eabag-have-a-
name-the-lead-character-in-bbc-threes-dark-comedy-is-a-to-
tal-mystery-16951363, aufgerufen am 27.01.2021.
¹ https://dictionary.cambridge.org/de/worterbuch/englisch/
eabag. Web. aufgerufen am 12.02.2021
² https://de.pons.com/%C3%BCbersetzung/englisch-deutsch/
Fleabag. Web. aufgerufen am 12.02.2021
³ Fleabag (2016), Prod.: Two Brothers Pictures, [Erstaus-
strahlung: 21. Juli 2016 auf BBC ree (UK)], Stael 1, ep.1,
20:31 – 20:43'
 Goldmann, Marie-Luise: Wir schlechten Feministinnen.
In: Die Welt (online), 1. August 2016. https://www.welt.de/
print/welt_kompakt/kultur/article157422271/Wir-schlech-
ten-Feministinnen.html Web. aufgerufen am 27.03.2021.
 Absolutely Fabulous (1992–1996; 2001–2003; 2011) 5
Staeln mit 32 Episoden, Prod.: Jon Plowman, Jonathan P.
Llewellyn, Jo Sargent [Erstausstrahlung: 12. November 1992
auf BBC Two (UK)].
 Gay, Roxanne: 'Bad Feminist', 2012. Web. https://www.
vqronline.org/essay/bad-feminist, aufgerufen am 08.04.2021.
 Ebd. Dies. Web. aufgerufen am 08.04.2021.
 Fleabag (2016), Prod.: Two Brothers Pictures, [Erstaus-
strahlung: 21. Juli 2016 auf BBC ree (UK)], Stael 1, ep.1,
13:34 – 14:47'
 Ebd. Dies. Stael 1, ep.1, 14:50 – 14:57'
 Ebd. Dies. Stael 1, ep.1, 22:45'
 Anm.: Als sich die Familie zum Gedenken an die tote
Mutter versammelt, begrüßt die “Godmother” die Schwes-
tern mit: “It’s a sad day, sad, sad day. I’ll get the champagne.”.
Stael 1, ep.5, 03:18 – 03:21'
¹ Vgl. Pankratz, Anette: 'How to Be a Funny Feminist on
Television. Or Maybe Not.' Ruhr University Bochum: Hard
Times 101/2, 2018. PDF. S.148–149.
² Reiner, Rob (1989): When Harry Met Sally… (dt. Harry
und Sally). 90 Min. Prod.: Rob Reiner, Andrew Scheinman
[Erstausstrahlung: 21. Juli 1989 (USA)]. Abb.1.
³ Lacan, Jacques: Die vier Grundbegrie der Psychoanalyse.
Das Seminar Buch XI. Weinheim/Berlin: Quadriga Verlag,
1996. S.81.
 Fleabag (2016), Prod.: Two Brothers Pictures, [Erstaus-
strahlung: 21. Juli 2016 auf BBC ree (UK)], Stael 1,
ep.2, 05:07 – 05:32'. Siehe auch Abb.9.
 Gross, Terry: 'Fleabag' And 'Killing Eve' Creator Pho-
ebe Waller-Bridge Is Full Of Surprises. National Pub-
lic Radio (NPR), www.npr.org, 27. August 2019 [Ori-
ginally broadcasted: 13. Mai 2019] Web. https://www.
npr.org/2019/08/27/754646299/fleabag-and-kil-
ling-eve-creator-phoebe-waller-bridge-is-full-of-surpri-
ses?t=1611745840272, aufgerufen am 27.01.2021.
 Vgl. James, Sharon L.; Dillon, Sheila: A Companion to
Women in the Ancient World. Chichester, West Sussex: John
Wiley & Sons, Ltd. / Blackwell Publishing Ltd., 2012. S.75.
 Die Vierte Wand ist ein zentraler Begri in der eaterthe-
orie, hier gilt es natürlich zu betonen, dass Fleabag ursprüng-
lich als eaterstück begann. Abb. 2+3.
 Lacan, Jacques: Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse.
Das Seminar Buch XI. Weinheim/Berlin: Quadriga Verlag,
1996. S.81.
 Ebd. Ders. S.81.
 Saraiya, Sonia: 'Vanity Fair Review. Fleabag’s Second
Season is Unmissable.'Vanity Fair-Entertainment, Politics,
and Fashion News. www.vanityfair.com. 08. Mai 2019., ht-
tps://www.vanityfair.com/hollywood/2019/05/fleabag-sea-
son-2-review-phoebe-waller-bridge-amazon, aufgerufen am
27.01.2021.
31
¹ o.A.: 'How to make people laugh by Phoebe from Fleabag'.
BBC3, 17.05.2017. Web. https://www.bbc.co.uk/bbcthree/
article/47ac38cd-d937-4e38-a839-a1a400958d34, aufgeru-
fen am 08.04.2021.
² Stiglegger, Marcus: Ritual & Verführung. Schaulust, Spek-
takel & Sinnlichkeit im Film (Deep Focus 3). Berlin: Bertz
und Fischer Verlag, 2006. S.10.
³ Struzh, Alena: 'Phoebe Waller-Bridge über „Fleabag“: „Ich
möchte die Figuren zur absoluten Verzweiung bringen'.
10.06.2019. Web. https://www.rollingstone.de/phoebe-wal-
ler-bridge-eabag-1715127/, aufgerufen am 30.03.2021.
 Gross, Terry: 'Fleabag' And 'Killing Eve' Crea-
tor Phoebe Waller-Bridge Is Full Of Surprises. Nati-
onal Public Radio (NPR), www.npr.org, 27. August,
2019 [Originally broadcasted: 13.Mai 2019] https://
www.npr.org/2019/08/27/754646299/fleabag-and-kil-
ling-eve-creator-phoebe-waller-bridge-is-full-of-surpri-
ses?t=1611745840272, aufgerufen am 27.01.2021.
 Danto, Arthur C.: Bewegte Bilder. In: Liebsch, Dimitri
(Hg.): Philosophie des Films. Grundlagentexte. Paderborn:
mentis 2005, 2. Au. 2006. S.124.
 Vgl. Lacan, Jacques: Die vier Grundbegrie der Psychoana-
lyse. Das Seminar von Jaques Lacan. Band XI, (1964), Olten
und Freiburg im Breisgau, 1978. S.91.
 Lacan, Jacques: Die vier Grundbegrie der Psychoanalyse.
Das Seminar Buch XI. Weinheim/Berlin: Quadriga Verlag,
1996. S.90.
 Silverman, Kaja: Dem Blickregime begegnen. S.58. In: Kra-
vagna, Christian (Hg.): Privileg Blick. Kritik der visuellen Kul-
tur. Berlin: Rotation Vertrieb, Edition ID – Archiv, 1997.
 Sartre, Jean-Paul: Das Sein und das Nichts. Versuch einer
phänomenologischen Ontologie. Reinbek bei Hamburg: Ro-
wohlt, 1962. S.478.
¹ Ebd. Ders. S.464.
¹¹ Lacan, Jacques: Die vier Grundbegrie der Psychoanalyse.
Seminar XI. Weinheim/Berlin: 1996, S.109 [frz., S. 95].
¹² Vgl. Sartre, Jean-Paul: Das Sein und das Nichts. Versuch
einer phänomenologischen Ontologie. Reinbek bei Hamburg:
Rowohlt, 1962. S.345.
¹³ Lacan, Jacques: Die vier Grundbegrie der Psychoanalyse.
Seminar XI. Weinheim/Berlin: 1996, S.90.
¹ Vgl. Ebd. S.91. Orig.: „Ein Blick überrascht ihn als Vo-
yeur, wirft ihn aus dem Gleis, haut ihn um und lässt ihn
einschrumpfen auf das besagte Schamgefühl.“
¹ Fleabag (2016), Prod.: Two Brothers Pictures, [Erstaus-
strahlung: 21. Juli 2016 auf BBC ree (UK)], Stael 2, ep.6,
14:47 – 14:53'.
¹ Denken wir an Kenneth Lonergan’s Margaret (2011) und
Andrea Arnold’s Fish Tank (2009) — Beides gleichsam ge-
fühlvolle Coming-of-Age Erzählungen über junge Frauen
und ihre Sexualität. Beide Flme kommen ohne stereotypische
Kameraeinstellungen aus und man bemerkt die Augenhöhe
zwischen Regisseur*in und Darstellerinnen.
¹ “What is there to prevent [the woman] from reversing
the relation and appropriating the gaze for her own pleasu-
re? Precisely the fact that the reversal itself remains locked
within the same logic. e male striptease, the gigolo – both
inevitably signify the mechanism of reversal itself, constitu-
ting themselves as aberrations whose acknowledgment simply
reinforces the dominant system of aligning sexual dierence
with a subject/object dichotomy.” Doane, Mary Ann: Film
and the Masquerade: eorising the Female Spectator. Screen,
Vol.23, nos.3/4, September/Oktober 1982, S.77.
¹ Vgl. https://www.vice.com/en/article/8gkbak/surprise-
magic-mike-xxl-was-the-most-important-feminist-movie-
of-2015, aufgerufen am 05.01.2021.
¹ Ich bin der Meinung, dass der female gaze eine erweiterte
Denition verdient, die die Charakteristik seiner visuellen
Sprache und die Art seiner Empathie-Produktion miteinbe-
zieht. Eine vertiefende Erforschung des ,weiblichen Blicks’
anhand einer Masterthesis wäre in meinen Augen daher sinn-
voll. Einerseits, um eine klarere Blickdenition zu erhalten,
die den dominanten männlichen Blick herausfordert, an-
dererseits um jene als politisches Instrument in der eigenen
Filmproduktion einsetzen zu können.
32
Abbildungsverzeichnis
Abb. 2.+3. Fleabag (2016): Sta el 1, ep.2, 15:27 – 16:15'.
Abb. 6.+7. Fleabag (2016), Sta el 1, ep.4, 13:50' (links); Sta el 1, ep.4, 01:07' (rechts)
Teresa SteinerBLOCKSEMINAR Beauty Matters
e Female Gaze in zeitgenössischen Serien
Abb. 1. Reiner, Rob (1989): When Harry Met Sally…
Abb. 4.+5. Fleabag (2016): Sta el 1, ep.1, 00:08 – 00:23'.
33
Abb. 10.+11. Fleabag (2016): Sta el 1, ep.6, 15:56' (links); Sta el 1, ep.6, 16:21' (rechts)
Abb. 12.+13. Fleabag (2016): Sta el 2, ep.6, 25:26 – 26:00'.
Abb. 8.+9. Fleabag (2016), Sta el 1, ep.2, 22:30' (links); Sta el 1, ep.2, 05:12' (rechts)
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Article
This paper intends to use psychoanalysis to discover where and how the fascination of film is reinforced by pre-existing patterns of fascination already at work within the individual subject and the social formations that have moulded him. It takes as its starting-point the way film reflects, reveals and even plays on the straight, socially established interpretation of sexual difference which controls images, erotic ways of looking and spectacle. It is helpful to understand what the cinema has been, how its magic has worked in the past, while attempting a theory and a practice which will challenge this cinema of the past. Psychoanalytic theory is thus appropriated here as a political weapon, demonstrating the way the unconscious of patriarchal society has structured film form.
ist eine US-amerikanische Filmkritikerin, Kunsthistorikerin
  • Kaja Silverman
² Kaja Silverman, *1947, ist eine US-amerikanische Filmkritikerin, Kunsthistorikerin, Autorin und Feministin.
Ein Blick überrascht ihn als Voyeur, wirft ihn aus dem Gleis, haut ihn um und lässt ihn einschrumpfen auf das besagte Schamgefühl
¹⁰⁴ Vgl. Ebd. S.91. Orig.: "Ein Blick überrascht ihn als Voyeur, wirft ihn aus dem Gleis, haut ihn um und lässt ihn einschrumpfen auf das besagte Schamgefühl." ¹⁰⁵ Fleabag (2016), Prod.: Two Brothers Pictures, [Erstausstrahlung: 21. Juli 2016 auf BBC Three (UK)], Staffel 2, ep.6, 14:47 -14:53'.