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Hochschule der Medien Stuttgart
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E-Mail: info@hdm-stuttgart.de
© Hochschule der Medien Stuttgart 2021
Die vorliegenden Studien sind im Wintersemester 2020/2021 im Masterkurs „Digitalität
und Gesellschaft“ von Prof. Dr. Oliver Zöllner entstanden.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich ge-
schützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes bedarf der
vorherigen Zustimmung des Herausgebers. Dies gilt auch für die fotomechanische Ver-
vielfältigung (Fotokopie/Mikrokopie) und die Einspeicherung und Verarbeitung in
elektronischen Systemen. Hinsichtlich der in diesem Werk ggf. enthaltenen Texte von
Normen weisen wir darauf hin, dass rechtsverbindlich allein die amtlich verkündeten
Texte sind.
Redaktion, Lektorat und Satz: Stefan Riegler und Mia Zsohár
Cover-Foto und Cover-Gestaltung: Mia Zsohár
Vorwort: Die App als Lösung? 1
Die Digitalisierung des Alltags nimmt – so kann man es 2021 sicher widerspruchsfrei
formulieren – stetig weiter zu. Das World Wide Web und mit ihm die E-Mail, die ersten
Messengerdienste und Anwendungen wie das Online-Banking wurden ab etwa 1995 po-
pulär. Rund zehn Jahre später traten vielfältige soziale Online-Netzwerke wie auch
Streamingdienste für Musik und bewegte Bilder ihren Siegeszug an, wobei in etwa zeit-
gleich die Endgeräte zunehmend kleiner und mobiler wurden. Irgendwann ab 2007
passte der digitale Zugang zur großen weiten Welt in ein Smartphone, das sehr viele
Menschen seitdem permanent mit sich führen. Der tragbare Kleincomputer ist in vielen
Lebensbereichen längst Personalausweis und Alltagsmanager – und manchmal auch
der gefühlte Rettungsanker. Digitale Anwendungen (
applications
, kurz:
apps
) finden
sich auf Smartphones als kleine Kacheln und erlauben auf Knopfdruck und vielleicht
mit ein paar Wischbewegungen und Eingaben die bequeme und schnelle Erledigung von
einstmals mühseligen und zeitraubenden Tätigkeiten. Von unterwegs einkaufen, Über-
weisungen erledigen, Freundschaften pflegen, Fahrpläne einsehen, Nachrichten, Filme
und Musik konsumieren, sich in den Welten von Online-Games verlieren – all das er-
scheint 2021 bereits banal, war 30 Jahre zuvor aber noch so etwas wie Tech-Utopie. Kein
Wunder, dass Mobiltelefone mit Internetzugang „smart”, also „schlau” genannt werden.
Jedenfalls ist das dahinterstehende Marketing äußerst smart und neigt zu einer bran-
chenüblichen Überhöhung der Geräte.
Menschen haben sich an die Bequemlichkeit der Digitalität gewöhnt. Sie ist in den In-
dustriestaaten längst in der Infrastruktur des Alltags verankert. Smartphone und Heim-
computer ermöglichen Verbindungen von fast überall und geben ein Gefühl von Sicher-
heit und Teilhabe; sie sind allerdings auch ein Topos der Kontrolle und Überwachung
geworden, indem die Rechner quasi sämtliche Nutzungsvorgänge protokollieren, spei-
chern, weiterleiten, diese Datensätze anderen Instanzen zur weiteren Auswertung für
eine Vielzahl von Zwecken zur Verfügung stellen und aus solchen Spuren unseres Selbst
Vorwort: Die App als Lösung? 2
Werkzeuge zur Prognose zukünftigen Verhaltens erstellt werden. Shoshana Zuboff hat
dies 2019 in ihrem furiosen Standardwerk über
Das
Zeitalter des Überwachungskapita-
lismus
detailreich analysiert.
1
Geräte wie das Smartphone oder der stationäre Personal
Computer daheim und im Büro und ihre Programme stellen eine Benutzeroberfläche dar,
das
Frontend
, deren korrekte Handhabung den meisten Menschen reicht, um als kom-
petente Userinnen und User gelten zu können. Wie hingegen die Datenströme und Aus-
wertungslogiken im Hintergrund, im
backend
also, ablaufen und zu verorten sind, kön-
nen oder wollen letztlich nur wenige Anwender:innen durchschauen – und die meisten
Anbieterfirmen wiederum geben sich die größte Mühe, ihre Algorithmen nicht offenzu-
legen. Frank Pasquale spricht hier vom Trend zur „Black Box Society”, also von Gesell-
schaften, in denen die Codes und Algorithmen, die Kapital und Informationen steuern,
nicht transparent sind und damit auch die Nutzer:innen im Unklaren darüber lassen,
nach welchen Regeln die Programme funktionieren und wie die erhobenen Daten ge-
sammelt, extrahiert, gefiltert, verarbeitet und manipuliert werden.
2
Die Faszination für die Einfachheit und Bequemlichkeit der Programmanwendungen
scheint dennoch ungebrochen zu sein. Zu vermuten ist: ebenso das Vertrauen in sie.
Längst kann man auch hier von einer gesellschaftlich-kulturellen Prägung sprechen.
Indem die Apps ihren Nutzer:innen Lösungen für Probleme anbieten
(Wie erledige ich
meine Überweisungen, ohne in eine Bankfiliale gehen zu müssen? Wie kann ich einen
Film sehen, ohne ein Kino besuchen zu müssen? Wie kann ich eine:n romantische:n
Partner:in finden, ohne jemanden von Angesicht zu Angesicht ansprechen zu müssen?
usw.)
, verfestigt sich der Eindruck, für jede Aufgabenstellung gäbe es ein Programm, für
jedes Problem eine App. Die erhoffte Einfachheit und Bequemlichkeit der Lösungsfin-
dung verweist nicht zuletzt auch auf ein ebenso bequemes und eilfertiges Abgeben von
Verantwortung. Indem Menschen auf die (zumindest hypothetisierte) Problemlösungs-
kompetenz einer „smarten” Apparatur verweisen, können sie die lästigen Erfordernisse
eigener, menschlicher, nicht technisch generierter Problemlösungen auf „höhere” tech-
nische Instanzen abwälzen. Nolen Gertz sieht mit Blick auf die vielfach beobachtbare
1
Vgl. Zuboff 2019.
2
Vgl. Pasquale 2015.
Vorwort: Die App als Lösung? 3
regressive Neigung, Verantwortung nur allzu willfährig abzugeben, einen „technologi-
schen Nihilismus” am Werk.
3
Am Ende soll es lieber der Algorithmus gewesen sein, der
eine Entscheidung getroffen hat, und nicht man selbst – was das Leben ironischerweise
vielleicht sogar erleichtern kann, denn diese Mensch-Technik-Beziehung erlöst uns von
der Erfordernis darüber nachdenken zu müssen, wer wir sind oder wie wir als Indivi-
duen sein wollen.
4
Zugleich wirft diese Spielart des Nihilismus die ganz grundsätzliche
Frage nach dem Menschenbild im Zeitalter „künstlicher Intelligenz” auf: Für wie intelli-
gent, wie „smart” hält sich der Mensch im Vergleich zu den Algorithmen, die er program-
miert? Wer wird in dieser Beziehung die Zügel in der Hand behalten: Mensch oder Ma-
schine? Die Utopien und Dystopien rund um diese Fragen wuchern derzeit in ganz un-
terschiedliche Richtungen.
5
Das geschickte Marketing der unzähligen Anbieterfirmen auf dem Markt suggeriert je-
denfalls just dies:
Lade die App X herunter und du kannst das Ziel Y erreichen
. Die Lö-
sung auf Knopfdruck sozusagen, für die es (scheinbar) keine Alternative gibt. Evgeny
Morozov hat hierfür den treffenden Ausdruck vom „technologischen Solutionismus” be-
kannt gemacht – kritisch verstanden als eine „Torheit” unserer von digitaler Technolo-
gie geprägten Gegenwart wohlgemerkt.
6
Viele Menschen glauben – sicher nicht erst seit
Einsetzen der Digitalisierung – an das Primat der Technik und an deren Überlegenheit
gegenüber nicht-technischen Interventionen, zur Optimierung einer Situation beizutra-
gen. Digitale Anwendungen zählen im Fahrwasser technologischer Apologet:innen wie
etwa Kevin Kelly inzwischen zu den „Unausweichlichkeiten” des Alltags und der wei-
teren zivilisatorischen Entwicklung.
7
Der Fortschritt – soll heißen: die nächste Geräte-
generation, das nächste Programmupdate, das damit verbundene Glück usw. – scheint
nicht aufhaltbar und findet online statt. Andere Autor:innen setzen sich kritischer mit
dem kulturellen Mantra des „Inevitablism” auseinander, also eines stark von Technolo-
gieanbietern getriebenen Technikdeterminismus.
8
Doch sind es insbesondere jüngere
Menschen, die unter dem Eindruck dieser Machtbeziehung zur „App Generation” gezählt
3
Vgl. Gertz 2018.
4
Gertz 2018, S. 35−58.
5
Vgl. Coeckelbergh 2020, S. 11−29.
6
Vgl. Morozov 2013.
7
Vgl. Kelly 2016.
8
Vgl. Bridle 2018; Taplin 2017.
Vorwort: Die App als Lösung? 4
werden, in der man Konzepte wie Identität, Nähe und die Welt des Erfahrbaren völlig
selbstverständlich semiöffentlich in sozialen Online-Netzwerken bzw. in App-basierten
Umgebungen aushandelt und teilt und die gezielt mittels Programmanwendungen Hilfe
sucht.
9
Andere Autorinnen und Autoren zeichnen vor diesem Hintergrund einer mögli-
chen „Übervernetzung” oder „Hyperkonnektivität” aktuell bereits vielschichtige Szena-
rien der „Entnetzung” auf.
10
Die Vernetzung der Daten, der Menschen und der Welt
scheint längst ein Ausmaß angenommen zu haben, dass neue Konzepte entwickelt wer-
den müssen, mit ihr umzugehen.
Mit einer Kritik an ideologematisch gesetzten Annahmen und Erwartungen ist also in
jedem Fall die Notwendigkeit zur Reflexion verbunden. Denn es ist frappant, welch pri-
vaten und intimen Details Menschen den diversen Apps anvertrauen und von ihnen
Hilfestellungen erwarten – und zugleich meist wenig von den Funktionsweisen der Pro-
gramme wissen. Sie erhoffen sich von den Programmen dennoch eine Verbesserung ih-
res Lebens bzw. die Lösung eines spezifischen Problems. Hier setzte im Wintersemester
2020/21 der Masterkurs „Digitalität und Gesellschaft” im Modul „Empirische Forschung
zur digitalen Gesellschaft” an der Hochschule der Medien in Stuttgart an, eine Einfüh-
rung in die wesentlichen Erhebungs- und Analysetechniken der quantitativ und quali-
tativ orientierten empirischen Sozial- und Medienforschung. Deren Verfahren und Me-
thoden sollten für Fragestellungen aus dem Kontext der Digitalisierung zur Anwendung
gebracht werden. Schnell kristallisierten sich im Kurs aus den intensiv geführten Dis-
kussionen drei Themen zur exemplarischen Behandlung heraus:
• Self-Tracking (Körperdaten),
• Mental Health (psychische Gesundheit) und
• Online Dating (Partner:innenwahl).
Auch für diese Themenfelder, die sehr private Angelegenheiten adressieren, haben sich
auf dem Markt längst Angebote und Geschäftsmodelle etabliert, die auf Automation und
Algorithmisierung angelegt sind. Wie gehen Menschen mit ihnen um? Wie beeinflussen
diese Technologien das soziale Miteinander der Menschen, aber auch den individuellen
9
Vgl. Gardner und Davis 2013.
10
Vgl. Stäheli 2021.
Vorwort: Die App als Lösung? 5
Umgang mit sich selbst und den (stets längst mitzudenkenden) eigenen Doppelgän-
ger:innen in Profilform?
11
Was sind die Hoffnungen und Erwartungen der Menschen?
Wie reflektieren sie diese? Was macht das mit ihnen?
Das Ziel des Kurses war, hierzu Fragestellungen zu entwickeln und diese als explorative
Studien im Feld umzusetzen. Aus der Perspektive der Digitalen Ethik sollten die Studien
zudem die in einer digitalen Gesellschaft geltenden Wertmaßstäbe und Überzeugungen
reflektieren, die hinter individuellem Handeln stecken.
12
Die Antworten auf die stets prä-
sente implizite Frage „Was soll ich tun?“ (etwa zur Lösung eines individuellen Problems)
kann auf eine alltagsbasierte Theorie des richtigen Handelns, des angemessenen Um-
gangs mit digitalen Tools verweisen.
13
Die vorliegenden Studien liefern hierzu datenge-
stützte Schlaglichter und können auch dazu dienen, die im Kern aristotelische Frage
weiter zu verfolgen, welchen Beitrag zum „guten” bzw. „glücklichen Leben” der Anwen-
der:innen die zum Einsatz kommenden digitalen Plattformen leisten – oder vielleicht
nicht. Ebenso wird aber auch die gänzlich teleologische Fragestellung berührt, unter
welchen Zweckbindungen die Nutzung der digitalen Dienste steht und mit welchen Auf-
wänden die Anwender:innen aus ihrer individueller Perspektive welchen Ertrag zu er-
zielen erhoffen.
14
Hier zeichnen die Befunde viele Schattierungen zwischen Schwarz
und Weiß, etwa bei der Frage nach der Zufriedenheit mit den Apps, der eigenen Rolle als
Datenlieferant.in oder mit Blick auf eine Sensibilisierung für Daten- und Persönlich-
keitsschutz.
Auf Grund der im Wintersemester 2020/21 grassierenden Covid-19-Pandemie mussten
die Projekte stark auf digitale Erhebungstools zugreifen, was in die entstehenden Stu-
dien eine doppelte Reflexionsebene eingezogen hat. Zu bedenken ist ebenso, dass die
Studien samt und sonders im sehr begrenzten Zeitrahmen von vier Monaten entstanden
sind – in Anbetracht der differenzierten und vielschichtigen Ergebnisse eine beachtli-
che Leistung der Studierenden, denen an dieser Stelle herzlich gedankt sei. Mein beson-
derer Dank gilt Mia Zsohár und Stefan Riegler, die als Redaktionsteam die überlassenen
11
Vgl. Schirrmacher 2013.
12
Vgl. Grimm, Keber und Zöllner 2019.
13
Ebd., S. 9.
14
Vgl. Ess 2020.
Vorwort: Die App als Lösung? 6
Hausarbeitsmanuskripte in ein Buch umgewandelt haben. Die im Masterkurs entstan-
denen Studien werden im vorliegenden E-Book dokumentiert (notgedrungen leider ge-
kürzt um die umfänglichen Transkripte), um die in der Tat spannenden und oft überra-
schenden Befunde und Diskussionen einer interessierten Fachöffentlichkeit zugänglich
zu machen; sie sind über die vorangestellten Abstracts leicht erschließbar. Mögen die
Projektberichte weitergehende Forschung anstoßen!
Stuttgart, im August 2021
Oliver Zöllner
Vorwort: Die App als Lösung? 7
Bridle, James (2018): New Dark Age: Technology and the End of the Future. London,
Brooklyn: Verso.
Coeckelbergh, Mark (2020):
AI Ethics.
Cambridge MA, London: MIT Press.
Ess, Charles (2020):
Digital Media Ethics.
3. Auflage. Cambridge, Medford MA: Polity
Press.
Gardner, Howard; Davis, Katie (2013):
The App Generation: How Today’s Youth Navi-
gate Identity, Intimacy, and Imagination in a Digital World.
New Haven, London:
Yale University Press.
Gertz, Nolen (2018):
Nihilism and Technology.
London, New York: Rowman & Little-
field.
Grimm, Petra; Keber, Tobias O.; Zöllner, Oliver (2019): Digitale Ethik: Positionsbestim-
mung und Perspektiven. In: Grimm, Petra; Keber, Tobias O.; Zöllner, Oliver (Hrsg.):
Digitale Ethik. Leben in vernetzten Welten.
2., durchgesehene Auflage. Ditzingen:
Reclam, S. 9–26.
Kelly, Kevin (2016):
The Inevitable: Understanding the 12 Technological Forces That
Will Shape Our Future.
New York: Viking.
Morozov, Evgeny (2013):
To Save Everything, Click Here: The Folly of Technological So-
lutionism.
New York: Public Affairs.
Pasquale, Frank (2015):
The Black Box Society: The Secret Algorithms That Control
Money and Information.
Cambridge MA, London: Harvard University Press.
Schirrmacher, Frank (2013):
Ego. Das Spiel des Lebens.
München: Blessing.
Stäheli, Urs (2021):
Soziologie der Entnetzung.
Berlin: Suhrkamp.
Taplin, Jonathan (2017):
Move Fast and Break Things: How Facebook, Google and Ama-
zon Have Cornered Culture and What It Means For All of Us.
London: Macmillan.
Zuboff, Shoshana (2019):
The Age of Surveillance Capitalism: The Fight for the Future
at the New Frontier of Power.
London: Profile Books.
Abstracts 8
Self-Tracking, die Vermessung und Quantifizierung des Selbst, gewinnt durch die fort-
schreitende Digitalisierung und damit einhergehende Möglichkeiten der Datenerfas-
sung mittels Apps und Wearables zunehmend an Relevanz. In diesem Kontext unter-
sucht die Studie, aus welchen Gründen Personen ihre Körperdaten aufzeichnen, inwie-
fern diese Praktiken Auswirkungen auf das eigene Glücksempfinden haben und welche
Rolle Datenschutzabwägungen im Rahmen der Verarbeitung und Weitergabe der eige-
nen Daten spielen. Den ersten Teil der Mixed-Methods-Studie bildet eine quantitative
Onlinebefragung zu Nutzungsverhalten und Implikationen des Self-Trackings. Parallel
dazu werden qualitative Interviews mit Trackenden durchgeführt und anhand der qua-
litativen Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet.
Die Ergebnisse zeigen, dass neben reiner Neugierde sowie der Verbesserung von Ge-
sundheit und Fitness auch die Dokumentation eigener Aktivitäten als digitales Tage-
buch hohe Relevanz hat. Bei Trackenden führen insbesondere das Verfolgen und Errei-
chen von Zielen zu einer Steigerung der Zufriedenheit. Während überwiegend eine ge-
ringe Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit den Datenschutzeinstellungen von zum
Aufzeichnen genutzten Anwendungen besteht, sind die Meinungen zur Weitergabe auf-
gezeichneter Körperdaten an Krankenkassen zwiespältig. Ergänzend werden Gamifica-
tion, Virtualisierung und Personifizierung von Technik als relevante Aspekte des Tra-
ckings aufgedeckt, die die Verknüpfung von Mensch und Technik im besonderen Maße
herausstellen.
Abstracts 9
Aktuelle Studien zeigen, dass psychische Erkrankungen in ihrer Bedeutung zunehmen.
Betroffen sind oftmals auch sehr junge Menschen und Angehörige der Generation Z. Sie
kämpfen dabei nicht nur mit der Krankheit selbst, sondern mit gesellschaftlicher Stig-
matisierung und Behandlungsengpässen. Die Covid-19-Pandemie hat die Lage zusätz-
lich verschärft, weil Therapien in gewohnter Form teilweise nicht mehr stattfinden
konnten. Eine Lösung des Problems verspricht das wachsende Angebot an digitalen
Therapie- und Gesundheits-Apps, die zur Linderung psychischer Störungen beitragen
wollen.
Im Rahmen der Forschungsreihe „Vermessen, verzweifelt, verliebt – das un/glückliche
Selbst im Spannungsfeld digitaler Technologien“ widmet sich diese Studie der Frage,
unter welchen Umständen solche digitalen Therapiemodelle einen herkömmlichen
Arztbesuch ersetzen oder ergänzen können. Zur Beantwortung der Forschungsfrage
wurden qualitative Forschungsmethoden in Form von nicht-standardisierten Inter-
views mit Betroffenen und Expert:innen durchgeführt. Es konnte herausgefunden wer-
den, dass Potenziale in der Technologie und Aufgeschlossenheit sowie Interesse aufsei-
ten der Patient:innen und Expert:innen bestehen, diese Entwicklung jedoch auch mit
gewissen Risiken verbunden ist.
Abstracts 10
In den vergangenen Jahren lässt sich eine zunehmende Nutzung von Online-Dating-
Plattformen feststellen. Besonders in Zeiten der Covid-19-Pandemie und sozialer Isola-
tion werden Dating-Plattformen wie Tinder unter anderem genutzt, um sich weniger
einsam zu fühlen und Nähe zu erfahren. Als Teil der Forschungsreihe „Vermessen, ver-
zweifelt, verliebt – das un/glückliche Selbst im Spannungsfeld digitaler Technologien“
befasst sich diese Studie mit der Glückssuche auf Tinder. Dazu wird folgende For-
schungsfrage gestellt: „Bringen uns digitale Technologien und der Fortschritt von künst-
licher Intelligenz näher zusammen oder entfernen sie uns voneinander?“
Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurde eine qualitative Studie anhand von leit-
fadengestützten Tiefeninterviews durchgeführt und mit einer qualitativen Inhaltsana-
lyse ausgewertet. Die Studie zeigt, dass das Finden von Glück anhand von zwischen-
menschlichen Beziehungen durch Tinder, von verschiedenen Faktoren abhängt. Zent-
rale Aspekte, die sich durch die gesamte Auswertung ziehen, sind die Effizienz in Ver-
bindung mit der Multioptionalität, die Wahrung einer emotionalen Distanz sowie die
Vergänglichkeit und Austauschbarkeit von Interaktionen. Dabei können hinsichtlich
zwischenmenschlicher Beziehungen als Teil des individuellen Glücks der Proband:in-
nen langfristig eher hemmende Faktoren festgestellt werden; fördernde Faktoren füh-
ren eher zu einem kurzfristigen Effekt.
Tracke dich glücklich! 13
„Jeder Mensch hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei
teilzunehmen, sich der Künste zu erfreuen und am wissenschaftlichen
Fortschritt und dessen Wohltaten teilzuhaben“.
1
Bezogen auf diesen Artikel 27 der Erklärung der Menschenrechte, versteht sich die 2007
gegründete Quantified Self-Bewegung als gemeinschaftliches Netzwerk, welches eine
Optimierung der persönlichen Lebensbedingungen jedes:r Einzelnen durch Tracking
und Auswertung physiologischer Daten anstrebt.
2
Zwar sind kulturelle Techniken der
Selbstvermessung zur Optimierung per se kein postmodernes Phänomen, jedoch spielen
für eine Reflexion der eigenen Gesundheit und Fitness heutzutage entsprechende digi-
tale Technologien, wie Apps oder Tracking-Devices, eine zunehmend wichtige Rolle. So
verzeichnete 2016 der Fitness- und Gesundheitsbereich in einer Untersuchung von App-
Store-Kategorien den stärksten Zuwachs.
3
Forscher:innen der Universität Zürich be-
zeichnen das Konzept von Quantified Self als „Schnittstelle zwischen Lifestyle und Me-
dizin“
4
. Auch für die Gesundheitsbranche wird die Aufzeichnung eigener Körperdaten
zunehmend relevant. Dies gilt nicht nur für medizinische Anwendungen und Behand-
lungen, sondern auch für wirtschaftliche Akteur:innen, die Anreizsysteme für das Tei-
len der Daten schaffen. So gibt es von verschiedenen Krankenkassen bereits Bonuspro-
gramme für das Erreichen von Fitness- oder Gesundheitszielen.
Kritisch betrachtet werden in der aktuellen Forschung insbesondere Fragen nach der
Zugänglichkeit dieser Form von Gesundheitsförderung, die oft an entsprechende Hard-
ware wie Wearables geknüpft ist, sowie eine mögliche Werteverschiebung, die langfris-
tig zu einer Diskriminierung derjenigen führen könnte, die ihre Körper(-daten) nicht op-
timieren.
5
Aspekte der Überwachung der eigenen Körperdaten und Disziplinierung so-
wie die zunehmende Verschmelzung von Mensch und Technologie in der Postmoderne
werden an verschiedenen Stellen kritisiert.
6
Digitale Technologien werden dabei in der
Medienwissenschaft und -forschung nicht als bloße Instrumente, sondern als struktur-
schaffende Akteurinnen aufgefasst, welche die Wahrnehmung und Verhaltensweisen
ihrer Nutzer:innen beeinflussen.
7
So befassen sich beispielsweise Martin Hand und Mi-
1
Amnesty International 2019.
2
Vgl. Quantified Self 2020.
3
Vgl. Meidert et al. 2018, S. 39–40.
4
Meidert et al. 2018.
5
Vgl. Selke 2016b, S. 310.
6
Vgl. Haraway 1985.
7
Vgl. Latour 2005.
Tracke dich glücklich! 14
chelle Gorea in einer empirischen Studie mit Fragen nach der zeitlichen Restrukturie-
rung des Nutzer:innenverhaltens durch solche Technologien im Sinne einer neolibera-
len Kommodifizierung der Zeit und der Spuren, die Nutzende hinterlassen.
8
Der Anspruch der vorliegenden Studie besteht darin, die Erfassung von Körperdaten
nicht als bloße Ausweitung der menschlichen Fertigkeiten zu verstehen, sondern als in
ihren sozialen und kulturellen Kontext eingebettete Technologie, deren Nutzung und Re-
flexion wiederum mit einer Erwartungshaltung und Selbstdisziplinierung der jeweili-
gen Nutzenden verbunden sind.
9
Besonders vor dem Hintergrund des Versprechens von
kultureller Teilhabe, der Selbstfindung oder Selbsterkenntnis soll untersucht werden,
auf welche Weise sich das Tracking eigener Körperdaten im Sinne von Quantified Self
auf das Glücksempfinden im digitalen Zeitalter auswirkt. Hierbei soll die Frage nach der
Motivation der Nutzer:innen, eigene Körperdaten zu erheben, ebenso im Mittelpunkt ste-
hen wie die Frage nach dem subjektiv empfundenen persönlichen Glück durch diese
Selbstvermessung. Nicht zuletzt handelt es sich um sensible persönliche Daten, sodass
in diesem Kontext auch Einstellungen zum Datenschutz betrachtet werden sollen.
Die Forschungsfrage dieser Studie lautet:
Aus welchen Gründen werden digitale Technologien zum Aufzeichnen ei-
gener Körperdaten verwendet, wie wirken sich diese auf das persönliche
Glücksempfinden aus und welche Haltung haben die Nutzer:innen bezüg-
lich der Weiterverarbeitung ihrer Daten?
Die vorliegende Studie gliedert sich in fünf Kapitel. Auf das einleitende Kapitel folgt in
Kapitel Zwei eine Darlegung des theoretischen Bezugsrahmens sowie des aktuellen For-
schungsstandes. Hierbei werden auch wichtige Begriffe wie ‚Glück‘, ‚Quantified Self‘ und
‚Körperdaten‘ definiert. Im Anschluss an die Sekundärforschung folgt in Kapitel Drei die
empirische Untersuchung. Im Rahmen einer Mixed-Methods-Studie werden sowohl
quantitativ als auch qualitativ Nutzungsgründe für das Aufzeichnen digitaler Körperda-
ten, Auswirkungen auf das Glücksempfinden sowie die Haltung zur Datenverarbeitung
in diesem Kontext untersucht. Das vierte Kapitel reflektiert die Ergebnisse der Studie
kritisch, bevor die Arbeit im Folgekapitel mit einem Fazit und Ausblick auf zukünftige
Entwicklungen abschließt.
8
Vgl. Hand und Gorea 2018.
9
Vgl. McLuhan 1994.
Tracke dich glücklich! 15
Die Studie ist folgendermaßen aufgebaut:
Teil A beschreibt die Theoriearbeit, welche dazu dient, den aktuellen Forschungsstand
von Quantified Self und dem digitalen Aufzeichnen von Körperdaten zu überblicken.
Hierbei werden wichtige Begriffe definiert, Einsatzbereiche sowie die Motivation und
Ziele für das Tracking näher betrachtet.
Teil B ist eine Mixed-Methods-Studie, welche aus einer quantitativen Onlinebefragung
sowie qualitativen Tiefeninterviews besteht. Die beiden Studien sollen parallel durchge-
führt werden. Daher wird bei der Erstellung des Fragebogens sowie des Leitfadens diffe-
renziert, welche Aspekte sich besser quantitativ respektive qualitativ abfragen lassen.
Geplant ist eine quantitative Befragung mit mindestens 100 Teilnehmenden sowie sechs
qualitative Interviews. Die Zielgruppe umfasst in Deutschland lebende Erwachsene ab
18 Jahren, die mithilfe eines digitalen Gerätes, beispielsweise eines Wearables oder einer
App, eigene Körperdaten aufzeichnen.
Im vorliegenden Kapitel sollen die theoretische Fundierung des Forschungsinteresses
erläutert und Arbeitsdefinitionen der genannten Überbegriffe und Kategorien geklärt
werden. Dabei soll zunächst untersucht werden, wie Glück im Kontext von Ethik und
dem digitalen Zeitalter einzuordnen ist. Anschließend werden verschiedene Selbstauf-
zeichnungs-Praktiken dargestellt, anhand derer eine Kontextualisierung der Quantified
STUDIE 1
Quantitative
Onlinebefragung
STUDIE 2
Qualitative
Tiefeninterviews
A) THEORIEARBEIT
LITERATURRECHERCHE
Quantified Self
Digitales Aufzeichnen von Körperdaten
B) MIXED-METHODS-STUDIE
Tracke dich glücklich! 16
Self-Bewegung vorgenommen und deren besondere Bedeutung für den Forschungs-
schwerpunkt dieser Studie aufgezeigt werden soll. Abgerundet wird das vorliegende Ka-
pitel durch eine Einordnung kritischer Betrachtungsweisen der Self-Tracking-Techno-
logien.
„Das Glück gibt es nicht, und das Glück der Menschen erst recht nicht“,
10
so zitiert Katrin
Meyer Michel Foucaults Verständnis von Glück in einer humanistischen Gesellschaft.
Mag diese Aussage zwar einerseits diskutabel sein, stellt sie andererseits jedoch eine
grundlegende Tatsache heraus: Es gibt nicht
das
Glück. Über die gesamte Menschheits-
geschichte hinweg wurden die Vorstellungen von dem, was Glück ist, und was glücklich
macht, als Erkenntnisgegenstand ständig neu hinterfragt und erforscht.
Ein Gesamtüberblick über die Diskurse und Definitionen kann und soll an dieser Stelle
nicht geleistet werden, ist die Vorstellung und Definition von Glück doch stets an ver-
schiedene Faktoren, wie kulturelle und historische Bedingungen einerseits und die in-
dividuelle Wahrnehmung andererseits, gebunden.
11
Festzuhalten ist daher besonders die
Ambivalenz des Begriffes unter Berücksichtigung der äußeren und inneren Faktoren der
Interdependenz, so schreiben Grimm und Hammele 2019: „Glück ist relativ, sowohl his-
torisch, kulturell, situativ als auch personell gesehen.“
12
Einen systematischen und um-
fassenderen Einblick in die Philosophie und Semantik des Glückes von der Antike bis
zur Gegenwart bieten beispielsweise Dieter Thomä, Christoph Henning und Olivia Mit-
scherlich-Schönherr in ihrer 2011 herausgegebenen Publikation
Glück – Ein interdiszip-
linäres Handbuch
.
13
Das folgende Kapitel nimmt eine Einordnung verschiedener An-
sätze vor und klärt, welches Verständnis von Glück
die vorliegende Studienarbeit prägt.
Um zu definieren, wie der Begriff des Glückes in dieser Arbeit Anwendung finden soll,
ist ein Blick auf die historische Semantik des Glücksbegriffes unumgänglich. Im Folgen-
den sollen daher mehrere historische Perspektiven dargestellt und untersucht werden,
hierbei werden antike, (post-)moderne und zeitgenössische Theorien berücksichtigt.
10
Thomä, Henning und Mitscherlich-Schönherr 2011.
11
Vgl. Grimm und Hammele 2019, S. 93–94.
12
Ebd., S. 94.
13
Vgl. Thomä, Henning und Mitscherlich-Schönherr 2011.
Tracke dich glücklich! 17
Interessant ist in der semantischen Konnotation von Glück, dass in der deutschen Spra-
che der Begriff des Glückes zwei gegensätzliche Bedeutungen hat:
„Dabei bezeichnet das Glück, das man hat, – im Sinne der fortuna – das
zufällige Geschehen, das dem Menschen von außen willfährt. Das ‚Glück-
lichsein‘ meint demgegenüber […] den subjektiven Zustand des glücklichen
Menschen.“
14
Auch ein Blick in das historische Wörterbuch der Gebrüder Grimm macht deutlich, dass
dem Glück einerseits als zufälliges Geschehen, welches Grundlage für ganze kulturelle
Sinngebiete ist, eine passive Bedeutung zukommt.
15
In starker Abgrenzung hierzu meint
letzteres von Hörisch genanntes dasjenige Glück, welches einen subjektiven Zustand be-
zeichnet. Im Unterschied zu dem vom zufälligen, passiv auf das Individuum einwirken-
den Geschehen verstandenen Glück sollte dieses aktiv gesucht und in wiederholten
Praktiken umgesetzt und erhalten werden – in der Aristotelischen Ethik meint das die
Suche nach einem guten Leben; der Eudämonie. Dabei gehören nach Aristoteles zwar, so
Hörisch, „auch soziale Güter und günstige äußere Umstände zu den relevanten Glücks-
faktoren“,
16
deren Vorhandensein determinieren jedoch nicht per se ein glückliches, ge-
lungenes Leben. Vielmehr komme dieses „dadurch zustande, dass jemand möglichst
häufig und intensiv die bestmögliche in der menschlichen Natur angelegte Tätigkeit
ausführt“.
17
Diese Tätigkeit solle weiter, routiniert ausgeführt, die gesamte Lebensfüh-
rung des Individuums prägen.
18
Glück ist somit nicht inhaltlich und allgemeingültig de-
terminiert, sondern als prozesshaftes, handlungsleitendes Gut und letztes Ziel zu verste-
hen. Dabei lassen sich drei zugeschriebene Eigenschaften festmachen:
„Es [das Glück] ist (1) das vollkommenste oder auch vollständigste Gut (te-
leiotaton), es ist (2) für sich hinreichend (autarkes), und es ist (3) das wäh-
lenswerteste Gut (hairetôtaton).“
19
Somit richten sich in einem aristotelischen Verständnis der Eudämonie alle Handlun-
gen und Ziele, die einen Mehrwert für das menschliche Leben haben, auch das Vergnü-
14
Thomä, Henning und Mitscherlich-Schönherr 2011, S. 14.
15
Vgl. hierzu beispielsweise die Einordnung von Roger Caillois des Glücksspiels als Zufall (Alea,
1958), das weiter nach Huizinga (1927) u.a. durch genau diese, passive Konnotation von
geringerer kultureller Fruchtbarkeit sei.
16
Thomä, Henning und Mitscherlich-Schönherr 2011, S. 121.
17
Ebd., S. 122.
18
Vgl. ebd.
19
Ebd.
Tracke dich glücklich! 18
gen und die Erfüllung grundlegender Bedürfnisse, letztlich auf das Glück als abschlie-
ßenden Selbstzweck aus.
20
Konkret bedeutet das, dass alle Handlungen zusätzlich zu ei-
nem angenommenen – beispielsweise materiellen, sozialen, oder gesundheitlichen
Mehrwert – letztlich das Glück, oder das Glücklichsein als Ziel haben. So ist in der aris-
totelischen Ethik anzunehmen, dass Menschen, wenn sie eine Verbesserung ihres Le-
bens anstreben, damit immer auch eine Steigerung des Glückes wählen:
„Wir wählen einige Güter instrumentell, andere dagegen um ihrer selbst
willen [sic!] […] dasjenige Gut, das zum Glück führt, muss ein intrinsisches,
kein instrumentelles Gut sein [...]. Glück ist so betrachtet kein Gut neben
anderen Gütern, sondern der Inbegriff dessen, was intrinsisch erstrebens-
wert ist.“
21
Als intrinsisch erstrebenswert werden verschiedene Güter aufgezählt, beispielsweise
„der Besitz von Freunden oder eine gute Gesundheit […], die intellektuelle Tugend [sowie]
die praktische Einsicht“,
22
die nach Aristoteles von unterschiedlicher Relevanz sind.
Diese Definition und Bewertung lassen sich unterschiedlich interpretieren. John Ackrill
spreche hier, so Horn, beispielsweise von einem „Zusammenhang des Ganzen zu seinen
Teilen.“
23
Dabei könne also jede Handlung, die als förderlich für das individuelle Wohl-
befinden bewertet wird – wie z.B. für manche sportliche Aktivitäten, für andere ein
Abend vor dem Fernseher – zum Gesamtglück der- oder desjenigen beitragen, die oder
der sie ausführt, sofern sie intrinsisch erstrebenswert ist. Während jedoch Aristoteles
insbesondere der intellektuellen Tugend einen hohen Stellenwert in der Erzeugung von
Glück einräumt, möchte die vorliegende Arbeit untersuchen, welche und ob wiederholte
Praktiken, wie das Aufzeichnen der eigenen Körperdaten, überhaupt zu einem besseren
Leben der Befragten beitragen, und dabei auch die Motivationsfaktoren und das eigene
Glücksempfinden hinterfragen.
Wie oben bereits erwähnt, sind in der Geschichte des Glücksbegriffes auch seine Exis-
tenz und Legitimität kritisiert worden. So fasst Meyer zusammen, Foucault analysierte
Glücksdiskurse an verschiedenen Stellen als fehlerhafte Ausdrücke von „Wissensord-
nungen, politischen Rationalitäten und Technologien des Selbst.“
24
Verstanden werden
können Letztere unter Berücksichtigung von Foucaults Gesamtwerk, welches sich stets
20
Vgl. Thomä, Henning und Mitscherlich-Schönherr 2011, S. 122.
21
Ebd., S. 123.
22
Ebd.
23
Ebd.
24
Vgl. ebd., S. 291.
Tracke dich glücklich! 19
der Frage nach der „Objektivierung des Subjekts“
25
durch Machtformen widmet sowie
der Frage danach, „auf welche Weise ein Mensch zum Subjekt wird.“
26
So wird auch der
humanistische Glücksbegriff zu einer „Technologie des Selbst“, dem Mittel eines ethi-
schen Subjekts, „das sich um sich selbst sorgt, sich lenkt und führt, beherrscht und stili-
siert“.
27
Deutlicher noch wird die Kritik am humanistischen Glücksverständnis in Ma-
yers Analyse des Glücksbegriffes bei Gilles Deleuze und Félix Guattari. Obwohl diese
zwar keine endgültige oder explizit eindeutige Definition von dem festschreiben, was
Glück in ihrem Werk bedeute, sei nach Mayer das Verständnis von Glück und Freude
gleichzusetzen mit dem transformativen, befreienden Potenzial von „politische[r] Wi-
derständigkeit, Freude und künstlerische[r] Kreativität“
28
im Gegensatz zu dem „Glück,
das diskursiv erfasst und praktisch angestrebt werden kann und eben damit der For-
mierung durch Staat und Kapitalismus ausgesetzt“
29
sei. Letztlich müssen also auch die
genannten intrinsischen Güter und das Glück zum Selbstzweck kritisch auf ihre mögli-
chen äußeren Einflussfaktoren hinterfragt werden. Ist die Vorstellung und Implikation,
es gebe
das
gute, glückliche Leben, überhaupt haltbar oder erforschbar?
Für die vorliegende Arbeit ist also zunächst die Definition von Glück als aktive Erfah-
rung, Prozess und subjektiv bewertetes Gut relevant. Dabei ist Glück zum einen von in-
neren, zum anderen aber auch von äußeren Faktoren, wie kulturellen und gesellschaft-
lichen Gegebenheiten, geprägt.
In Anbetracht der Erkenntnis, dass Glück stets subjektiv ist, scheinen die jährliche Pub-
likation des
World Happiness Reports
und die damit einhergehende Quantifizierung des
Glückes zunächst absurd. Dies gilt auch für andere Berichte, aus denen Glücksindizes
hervorgehen, da sie das Glück somit als etwas metrisch Definierbares festschreiben, wo-
bei die Messung stets an spezifische Präskriptionen gebunden ist.
30
So lässt der
World
Happiness Report
beispielsweise bei seinem Ranking von 156 Ländern 39 weitere, von
den Vereinten Nationen anerkannte, Länder außen vor, gibt aber an, den „state of global
happiness“
31
metrisch darzustellen, was kritisch zu betrachten bleibt.
25
Foucault 2005, S. 240.
26
Ebd.
27
Meyer S. 294
28
Thomä, Henning und Mitscherlich-Schönherr 2011, S. 294.
29
Ebd.
30
Zum Begriff der Präskription siehe Latour 2005 und Weyer 2000, S. 192.
31
Helliwell, John F. et al. 2020.
Tracke dich glücklich! 20
Gerade im Zeitalter der fortschreitenden Digitalisierung kann der jährlich erscheinende
Bericht jedoch Aufschluss darüber geben, was viele Menschen scheinbar als Glück emp-
finden, oder vielmehr, ob die vorab festgelegten Parameter der Befragung tatsächlich mit
dem übereinstimmen, was sie unter einem glücklichen, zufriedenen Leben verstehen
und ob sie dieses erleben. Auch auf äußere Faktoren lässt sich dadurch schließen. So
kann ein quantifizierender Bericht zwar einen Teil der Gesellschaft abbilden, lässt je-
doch keine Rückschlüsse auf das persönlich-subjektive Glücksempfinden zu, was in der
Methodik der vorliegenden Studie berücksichtigt werden soll.
Glück ist darüber hinaus immer auch von kulturellen und gesellschaftlichen Gegeben-
heiten abhängig – welche prägen also unsere digitale Gesellschaft? Grimm et al. bieten
eine Antwort darauf und beleuchten die Problematik verschiedener normativer Glück-
scredos, welche Ethik und Handeln im digitalen Zeitalter prägen.
32
Diese sind „Erkenne
dich in Zahlen“, „Real ist, was man zählen kann!“, „Vergleiche Dich!“, sowie „Sei etwas
Besonderes!“.
33
‚Track dich glücklich!‘, der Titel der vorliegenden Arbeit und die Essenz der Quantified
Self-Bewegung, reiht sich scheinbar nahtlos in diese Credos ein und wirkt als logische
Folge der genannten Handlungsempfehlungen zum glücklichen Leben in der digitalen
Gesellschaft. Jedoch können digitale Technologien im Gegenteil auch Unglück hervor-
rufen, was im Folgenden erläutert werden und auf Self-Tracking-Technologien zurück-
bezogen werden soll.
Etwas Besonderes zu sein, wie von Grimm et al. als Glückscredo beschrieben, ist in digi-
talen Gemeinschaften des Teilens und Vergleichens nämlich nicht für jede:n gleicher-
maßen möglich. Faktoren wie „Lebensstandard, Chancen der gesellschaftlichen Teil-
habe, Bildung, Gesundheitsversorgung, Wohnraum, politische Sicherheit“
34
sind auch in
(digitalen) Gesellschaften des 21. Jahrhunderts de facto nicht gleich verteilt – so haben
also
by design
nicht alle die gleichen Möglichkeiten, glücklich zu sein oder zu werden.
Darunter fällt auch der Zugang zu z.B. glücksversprechenden Technologien, was wiede-
rum Unzulänglichkeiten fördert.
Doch auch weitere Kehrseiten vermeintlicher Glücksversprechen werden anhand aktu-
eller Forschung sichtbar. So beschäftigt sich beispielsweise Ben Agger bereits 2011 mit
dem von ihm als ‚iTime‘ beschriebenen Phänomen der Entgrenzung, die er als Charak-
teristikum des postmodernen Moments beschreibt.
35
Durch die zunehmende Digitalisie-
rung und letztlich die Smartphonenutzung, werde nach Agger die Auflösung von Gren-
zen wie z.B. dem Privaten und Öffentlichen, von Arbeit und Freizeit bewirkt. Dadurch
32
Vgl. Grimm und Hammele 2019, S. 90–95.
33
Vgl. ebd.
34
Ebd., S. 96.
35
Vgl. Agger 2011, S. 123.
Tracke dich glücklich! 21
wiederum entstehe eine manische Konnektivität, die Erwartungshaltung ständiger Ver-
fügbarkeit und gesellschaftlicher wie individueller Druck der sogenannten Mobile Time,
„weighing heavily on the person who always has too much to do, not enough time to do
it“.
36
Er schreibt weiter, über sich selbst: „I often dread my email for this reason, just as
I’d be lost without it.“
37
Mit dieser paradoxen Anmerkung beschreibt Agger interessan-
terweise bereits in 2011, was zehn Jahre später Alltag für die meisten Menschen ist. Als
Kehrseite der Fortschritte und Entwicklungen der Digitalisierung verstanden, kann
diese ständige Erwartungshaltung auch Einfluss auf das persönliche Glücksempfinden
nehmen. Die Covid-19-Pandemie verschärft diese Entwicklung ebenfalls, so Peter
Yeung: „The loss of a clear work-life boundary has profound implications […]. Campaign-
ers point to research showing rising levels of anxiety, depression, interrupted sleep pat-
terns and burnout among the remote workforce”.
38
Konkreter sucht Geert Lovink die Ursache für dieses, von ihm als ‚Digital Sadness‘ be-
schriebene Phänomen, in digitalen Technologien. Diese seien, so These und Titel von
Lovinks Publikation:
Sad by Design
.
39
Digital Sadness, also das digitale Unglück, be-
schreibt hier negative psychologische Effekte. Digitale Umgebungen seien dabei einer-
seits auf eine möglichst lange Verweildauer hin konzipiert, produzieren also
by design
Effekte „of frustrating satisfaction“
40
– z.B. durch das Browsing im eigenen Feed von
Social-Media-Plattformen oder das Gefühl, produktiv, online, glücklich sein zu müssen.
Noch radikaler beschreibt Lovink die soziale Realität als „corporate hybrid between
handheld media and the psychic structure of the user.“
41
Andererseits fordern digitale
Umgebungen dabei stetige Aktualisierung, welche Erschöpfung und Überreizung sowie
die Angst, etwas zu verpassen, hervorrufen kann. ‚Sad‘ meint hierbei zum einen die af-
fektive Dimension, also ein negatives Gefühl, welches wir hier als unspezifisches Un-
glück benennen möchten. ‚Sad‘ beschreibt jedoch in diesem Zusammenhang, so Lovink,
nicht unbedingt psychologische Unregelmäßigkeiten oder psychische Krankheiten,
sondern „the default mental state of the online billions.“
42
Es bezeichnet also den Un-
glückszustand als Zeitgeist. Zum anderen drückt ‚sad‘ aber auch einen Mangel aus, der
sich nach Lovink durch ein subjektives Gefühl der Unzulänglichkeit entwickeln kann,
zur eigenen Zufriedenheit auf die oben erwähnte, manische Konnektivität und die damit
36
Agger 2011, S. 124.
37
Ebd., S. 125.
38
Yeung 2021.
39
Lovink 2019.
40
Ebd., S. 15.
41
Ebd., S. 1.
42
Ebd., S. 5.
Tracke dich glücklich! 22
einhergehenden Erwartungshaltungen zu reagieren.
43
Dabei entstehe in digitalen Um-
gebungen zusätzlich ein überladenes Bewusstsein, das durch die stark geteilte Aufmerk-
samkeit Erschöpfung erfährt:
„Sadness arises at the point we’re exhausted by the online world. After yet
another app session in which we failed to make a date, purchased a ticket
and did a quick round of videos, the post-dopamine mood hits us hard. The
sheer busyness and self-importance of the world makes you feel joyless.”
44
„Self-optimization techniques”
45
seien dabei konstitutiv für dieses Unglücksgefühl. Denn
digitale Technologien werden schon länger nicht nur als Ausweitung der Menschen in
ihre Umwelt verstanden, sondern teilweise auch als Substitute realer Verbindungen –
für Glücksversprechen sind digitale Technologien dann nicht mehr lediglich Instru-
mente, sondern epistemologische Mittel. Fasst man Glück als Erreichen der eigenen spe-
zifischen, metrischen Ziele auf, so kann man es von ihnen ablesen – ebenso wie die ei-
gene Unzulänglichkeit. Das vermeintliche Glückscredo „Real ist, was man zählen
kann!“
46
wird also eher zu einer unerreichbaren Aktualisierung und kann als Unglück
empfunden werden.
Lovink schreibt abschließend, „we overcome sadness not through happiness, but rather
[…] through a hatred of this world.”
47
Dieser Mechanismus bleibt kritisch zu betrachten –
es soll in der vorliegenden Arbeit die Möglichkeit einer subjektiv empfundenen Steige-
rung von Glück und Zufriedenheit mittels digitaler Technologien nicht ausgeschlossen
werden. Auch soll hier nicht der Verlust des „naive act of communication“
48
betrauert
werden, den Lovink beschreibt. Vielmehr wird eine kritische Perspektive auf das Credo
‚Tracke dich glücklich!‘ eingenommen, die in 2.4 weiter ausgeführt und ergänzt wird. Es
wurde deutlich, dass zu einer Definition des Glückes im 21. Jahrhundert eine Definition
des Unglückes gehört, da dieses ebenfalls im Zusammenhang mit digitalen Technolo-
gien steht. Daher ist auch die Bewertung von Verhaltensweisen wie die Aufzeichnung
eigener Körperdaten, die vermeintlich Glück auslösen oder zum Glück führen können,
stets individuell und von den ökologischen Bedingungen abhängig, sowie subjektiv zu
bewerten und auch in deren Rückbezügen und Gegensätzen zu hinterfragen.
43
Vgl. Lovink 2019, S. 9.
44
Ebd., S. 4.
45
Ebd., S. 1.
46
Grimm und Hammele 2019, S. 96
47
Lovink 2019, S. 15.
48
Ebd.
Tracke dich glücklich! 23
Bereits seit tausenden Jahren zeichnen Menschen ihre Gewohnheiten und relevanten
Messwerte auf, vor allem in Bezug auf ihre eigene Gesundheit, um sich selbst reflektie-
ren und verbessern zu können. So beschreibt Foucault die antike Lehre der Diätetik, wel-
che Techniken zur Analyse und Verbesserung des Selbst erläutert.
49
Diese Vorgehens-
weise deckt sich mit heutigen Aspekten der Selbstvermessung: „die Übungen, die Spei-
sen, die Getränke, de[r] Schlaf, die sexuellen Beziehungen.“
50
Mit dem Fortschreiten der Digitalisierung und den damit entstandenen vereinfachten
Möglichkeiten eigene Körper- und Verhaltensdaten zu erfassen, entwickelt sich ver-
stärkt ein besonderes Bewusstsein der Gesellschaft, Daten über die eigene Person aufzu-
zeichnen, zu analysieren und zu verbessern.
51
Die Begrifflichkeiten, durch welche die Selbstvermessungs-Praktiken umschrieben
werden, sind divers. So fallen unter Bezeichnungen wie Lifelogging, The Quantified Self
(zu Deutsch ‚Selbstvermessung‘), Personal Analytics, Self-Tracking oder quantitative
Selbstoptimierung
meist ähnliche Aktivitäten
.
52
Dabei erstrecken sich die genannten
Aktivitäten von individuellen, alltäglich praktizierten Aufzeichnungen, wie beispiels-
weise dem Aufzeichnen von Köperfett- und Muskelmasse mittels einer digitalen Kör-
perwaage, über kollektive Tätigkeiten, z.B. in Form von Social-Running Apps bis hin zu
„Anwendungen in Forschungskontexten“,
53
die ihrerseits eigene Protokollierungsfor-
men umsetzen. Die vorliegende Studie bezieht sich dabei ausschließlich auf individuelle
und kollektive Formen der Selbstvermessung und berücksichtigt Anwendungen in For-
schungskontexten nicht weiter.
Für eine Unterscheidung verschiedener Formen der Aufzeichnung eigener Körperdaten
soll im Folgenden der Artikel
The diverse domains of quantified selves
von Deborah Lup-
ton herangezogen werden. Die Soziologin unterscheidet darin fünf verschiedene Formen
beziehungsweise Nutzungstypen der Selbstaufzeichnung: Privat (‚private‘), initiiert
(‚pushed‘), gemeinschaftlich (‚communal‘), erzwungen (‚imposed‘) und verwertet (‚explo-
ited‘).
54
Hierbei verlaufen die Grenzen der einzelnen Selbstvermessungs-Kategorien flie-
ßend.
49
Vgl. Schaupp 2016, S. 153.
50
Foucault 2012, S. 131.
51
Vgl. Lupton 2016b, S. 9.
52
Vgl. Ebd.
53
Selke 2016a, S. 1.
54
Vgl. Lupton 2016a.
Tracke dich glücklich! 24
Die verschiedenen Formen der Selbstaufzeichnung umschreiben jeweils diverse Grade
der Freiwilligkeit zur Datenerhebung und umfassen diverse Motive und Ziele zum Tra-
cking. Lupton impliziert somit, dass Selbstaufzeichnung über private Gründe hinaus
auch durch externe Akteur:innen bedingt betrieben wird.
Das Private Self-Tracking stellt nach Lupton die bekannteste Form der Selbstaufzeich-
nung dar. Viele Anwender:innen von Selbstaufzeichnungs-Praktiken betreiben Self-
Tracking vorwiegend mit der Intention, Selbsterkenntnis zu erlangen und so den eige-
nen Gesundheitszustand zu optimieren, um daraus folgernd ein besseres Leben zu er-
halten.
55
In der Regel führen private Self-Tracker:innen ihre Selbstaufzeichnungen intrinsisch
motiviert und freiwillig aus. Sie empfinden die Optimierung des Selbst „as an often plea-
surable and playful mode of selfhood“.
56
Die Gründe zur Selbstaufzeichnung sind für private Self-Tracker:innen also meist per-
sönlich; die Daten werden, wie die Bezeichnung ‚Private Self-Tracking‘ bereits impliziert,
lediglich privat genutzt oder nur mit ausgewählten, bekannten Personen geteilt.
57
Das Pushed Self-Tracking erfolgt nicht aus eigenem, privatem Anreiz, sondern verstärkt
durch die Ermutigung eines externen Akteurs oder einer externen Akteurin. Hier stellen
beispielsweise Krankenkassen, der eigene Arbeitgeber oder die eigene Arbeitgeberin
spezielle gesundheitsfördernde Programme zur Verfügung. Teilnehmende sollen durch
verschieden gestaltete, zum Teil auch monetäre Anreizsysteme, zu körperlicher Fitness
oder der Kontrolle eigener Gesundheitsdaten motiviert werden. Die Überwachung und
eventuelle Weitergabe der Daten an externe Akteur:innen erfolgen freiwillig.
58
Lupton
betont:
„In pushed self-tracking, those who are advocating others to engage in
these practices are often interested in viewing or using participants’ per-
sonal data for their own purposes“,
59
55
Vgl. Lupton 2016a, S. 105.
56
Ebd.
57
Vgl. ebd., S. 105–106.
58
Vgl. ebd., S. 107.
59
Ebd.
Tracke dich glücklich! 25
denn stärker als der gesundheitliche Zustand stehen die persönlichen Daten der Pushed
Self-Tracker:innen im Interesse der externen Akteur:innen.
60
Beim Communal Self-Tracking liegt der Fokus auf dem freiwilligen Austausch der auf-
gezeichneten Daten mit weiteren Self-Trackenden. So bilden sich Gemeinschaften, wel-
che sich online über Foren und Apps oder auch in Person auf Konferenzen und Treffen
über die eigenen Daten austauschen und sich durch die Erfahrungen anderer einen
Lern-, Motivations- und Verbesserungseffekt erhoffen. Eine bekannte Bewegung stellt
das weltweite Quantified Self-Netzwerk dar, welches an späterer Stelle in diesem Kapi-
tel noch detailliert beschrieben wird.
61
Imposed Self-Tracking stellt eine Extremform des Pushed Self-Trackings dar. Tra-
ckende werden hierbei durch externe Akteur:innen zum Aufzeichnen diverser Tätigkei-
ten und Körperdaten verpflichtet. Die aufzeichnenden Personen können dabei entweder
nur schwer oder gar nicht den Maßnahmen der Anreizgebenden widersprechen. Als
Beispiel kann die vorgeschriebene Ausstattung von Angestellten mit verschiedenen
Sensoren durch den oder die Arbeitgeber:in genannt werden. Hierbei soll deren Produk-
tivität am Arbeitsplatz verfolgt, Gewohnheiten identifiziert und folglich die Effizienz der
Mitarbeitenden maximiert werden. Ein weiteres Beispiel von Imposed Self-Tracking
stellt die geographische Überwachung von Bewährungsstraftäterinnen und -tätern
dar.
62
Beim Exploited (zu Deutsch: ausnutzendem) Self-Tracking steht der kommerzielle Ge-
danke externer Firmen im Vordergrund. Lupton beschreibt:
„ […] in the contemporary digital knowledge economy, personal data and big
data sets have become invested with commercial and managerial value.
Individuals’ personal data […] are frequently repurposed for the financial
benefit of others.“
63
60
Vgl. Lupton 2016a, S. 107–108.
61
Vgl. ebd., S. 108–109.
62
Vgl. ebd., S. 110.
63
Ebd., S. 111.
Tracke dich glücklich! 26
Self-Tracking wird den Anwendenden in diesem Zusammenhang von kommerziellen
Firmen häufig als eine Möglichkeit angeboten, von welcher sie persönlich durch ver-
schiedene Belohnungen in Form von Boni oder Prämien profitieren können sollen. So
nutzen beispielsweise Marktforschungsunternehmen Self-Tracking Apps, um Gewohn-
heiten und Reaktionen von Anwender:innen bei verschiedenen Marken zu messen so-
wie deren Daten aus Interaktionen in sozialen Medien zu analysieren.
Teilweise würden, so Lupton, die gesammelten Daten auch ohne aktives Bewusstsein
der Exploited Self-Tracker:innen an dritte kommerzielle Parteien weitergegeben wer-
den.
64
Eine kritische Betrachtung verschiedener Formen des Self-Trackings wird unter
2.4 aufgeführt.
Quantified Self – zum einen impliziert dieser Begriff das ‚vermessene Selbst‘ und damit
das Ausüben verschiedener Selbstvermessungs-Praktiken der oder des Einzelnen. Mit
besonderem Fokus sollen in dieser Arbeit jedoch auch der Begriff Quantified Self und die
damit in Verbindung gebrachte Quantified Self-Bewegung betrachtet werden.
Wie bereits in der Einleitung angedeutet, beschreibt sich die Quantified Self-Bewegung
selbst als „Gemeinschaft von Anwendern und Anbietern von Self-Tracking Lösungen.“
65
Die Bewegung stellt ein internationales Netzwerk von Self-Tracker:innen mit der Ziel-
setzung des Austauschs von Wissen über die Nutzung persönlicher Daten dar – „self
knowledge through numbers“,
66
so der Slogan der Bewegung.
Seinen Ursprung findet die Quantified Self-Bewegung in 2007, begründet durch die
Wired
-Magazin Journalisten Gary Wolf und Kevin Kelly. Vom Silicon Valley aus ver-
breitete sich die Bewegung über die Jahre hinweg weltweit. In regelmäßigen Abständen,
meist monatlich, treffen sich die Mitglieder des Netzwerks selbständig organisiert so-
wohl in verschiedenen Städten als auch online zum Austausch der eigenen Erfahrun-
gen, Fehler und Erfolgen der Selbstvermessung.
67
Zur Gruppenorganisation dient das So-
ziale Netzwerk Meetup. Jede:r Interessent:in kann hier der Bewegung kostenfrei beitre-
ten, an geplanten Treffen teilnehmen oder diese selbst organisieren. Anfang Januar 2021
sind weltweit in 189 Gruppen 96.326 Mitglieder der Quantified Self-Bewegung auf
64
Vgl. Lupton 2016a, S. 114.
65
Quantified Self Deutschland o.J.
66
Ebd.
67
Vgl. Nafus und Sherman 2014, S. 1784.
Tracke dich glücklich! 27
Meetup verzeichnet – in Deutschland zählen zu diesem Zeitpunkt 14 Gruppen 4.251 Mit-
glieder.
68
Zudem gründeten die Initiatoren Wolf und Kelly die Firma
Quantified Labs,
welche „internationale Treffen, Ausstellungen und Konferenzen organisiert.“
69
Wie im vorangegangenen Kapitel beschrieben, umfasst der Quantified Self-Trend ver-
schiedene Bereiche des menschlichen Lebens. Die vorliegende Arbeit beschränkt sich in
ihrem Untersuchungsgegenstand auf das Aufzeichnen von Körperdaten. Körperdaten
umfassen alle Informationen rund um den menschlichen Körper.
70
Dazu zählen einer-
seits Daten, die in direkter Verbindung zum eigenen Körper stehen, also Informationen
zu dessen biologischen Vorgängen liefern. Beispiele hierfür sind der Blutdruck, der Sau-
erstoffgehalt des Blutes, die Anzahl verbrannter Kalorien, das Gewicht oder Aufzeich-
nungen zu Menstruationszyklen. Andererseits stellen Körperdaten auch Daten dar, die
lediglich indirekt in Verbindung mit dem eigenen Körper stehen. Beispiele hierfür sind
Daten zu physischen Aktivitäten, wie die Anzahl gelaufener Schritte oder die zurückge-
legten Streckenkilometer. Darüber hinaus zählen hierzu auch alle Informationen bezüg-
lich der eigenen Ernährung, wie beispielsweise die Anzahl zu sich genommener Kalo-
rien, Kohlenhydrate, Eiweiße oder Fette, sowie das eigene Schlafverhalten.
71
Außerdem
umfassen indirekte Körperdaten auch psychologische Informationen, wie Aufzeichnun-
gen zu Stimmungen oder Gefühlen.
72
Körperdaten können grundsätzlich sowohl analog als auch digital aufgezeichnet wer-
den. Bereits das tägliche Protokollieren des eigenen Körpergewichtes mittels Stift, Pa-
pier und einer analogen Waage ist eine Form der Selbstvermessung, bei der Körperdaten
aufgezeichnet werden. Die vorliegende Arbeit beschränkt sich allerdings auf das digitale
Aufzeichnen von Körperdaten. Dabei werden nachfolgend die Begriffe ‚Aufzeichnen' und
‚Tracking' synonym verwendet. Das englische ‚to track' beschreibt das Auffinden von
etwas oder jemandem mittels Spuren, Zeichen oder Informationen, die das Objekt oder
Lebewesen hinterlassen hat, sowie die Nachverfolgung der Bewegung von etwas oder
jemandem mittels elektronischer Geräte und die Nachverfolgung der Entwicklung von
etwas oder jemandem.
73
Der Begriff ‚Tracking' hat sich im deutschen Sprachgebrauch im
68
Vgl. Meetup LLC 2021.
69
Vgl. Meidert et al. 2018, S. 41.
70
Vgl. Mager und Mayer 2019, S. 96.; Swan 2013, S. 85–86.
71
Vgl. Mager und Mayer 2019, S. 96.; Swan 2013, S. 85–86.
72
Vgl. Swan 2013, S. 86.; Pritz 2016, S. 128.
73
Vgl. Hornby et al. 2011, S. 1640.
Tracke dich glücklich! 28
Zuge der Quantified Self-Bewegung als Synonym für das Aufzeichnen von Informatio-
nen etabliert.
74
Das digitale Aufzeichnen von Körperdaten geschieht mittels digitaler Programme, die
die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Körperdaten ermöglichen. Diese Pro-
gramme lassen sich in zwei Kategorien einteilen. Sie können sowohl durch Nutzer:in-
nen, als auch durch das System betrieben werden. Bei Programmen, die durch Nutzer:in-
nen betrieben werden, erfolgt die Erhebung durch diese selbst, welche manuell Daten in
das System eingeben können.
75
Beispiele hierfür sind sowohl das manuelle Eingeben
von Gewichtsdaten in eine Microsoft Excel-Tabelle, die Protokollierung von Mahlzeiten
in einer App, welche daraus die aufgenommenen Kalorien errechnet, als auch die Erfas-
sung der eigenen Stimmung in einer Anwendung zur Verbesserung der psychischen Ge-
sundheit. Bei systembetriebenen Anwendungen wird die Erhebung der Körperdaten
durch eine Software übernommen. Diese Anwendungen basieren auf Sensoren, die den
menschlichen Körper vermessen, um so die Erhebung zu automatisieren.
76
Beispiele für
systembetriebene Anwendungen sind Smartphone-Apps, welche die gelaufenen
Schritte mittels Sensoren im Gerät erfassen, oder smarte Uhren am Handgelenk, welche
die Herzfrequenz aufzeichnen können.
Inzwischen gibt es eine Vielzahl digitaler Programme für das Tracking von Körperdaten.
Neben grundlegenden Anwendungen, die zur Eingabe und Verarbeitung von Daten jeg-
licher Art dienen – ein Beispiel hierfür ist das bereits erwähnte Programm Microsoft
Excel zur manuellen Erfassung von Körperdaten – sorgten vor allem diejenigen Pro-
gramme, die in Kombination mit sogenannten ‚Smart Devices' funktionieren, in den letz-
ten Jahren für einen starken Aufschwung der Beliebtheit des Self-Trackings. Als Smart
Devices werden elektronische Geräte bezeichnet, „die kabellos, mobil, vernetzt und mit
verschiedenen Sensoren (z.B. Geosensoren, Gyroskopen, Temperatur oder Kameras) aus-
gerüstet sind.“
77
Beispiele hierfür sind Smartphones oder sogenannte ‚Wearables‘,
78
die
den Großteil der Nutzungsszenarien im Bereich des Self-Trackings ausmachen.
79
Darüber hinaus existieren auch weitere Smart Devices, mit denen Körperdaten aufge-
zeichnet werden können. Beispielsweise werden zunehmend Gesundheitssensoren in
Personenwaagen verbaut.
80
Solche digital vernetzten Waagen sind nur eine unter vielen
anderen potenziellen Möglichkeiten der digitalen Aufzeichnung von Körperdaten. Es ist
zu vermuten, dass in den kommenden Jahren, besonders im Zuge von technologischen
74
Vgl. Quantified Self Deutschland o.J.
75
Vgl. Li, Dey und Forlizzi 2010, S. 563.
76
Vgl. ebd.
77
Fraunhofer o.J.
78
Vgl. ebd.
79
Vgl. Meidert et al. 2018, S. 84.
80
Vgl. Schumacher 2014, S. 234–236.
Tracke dich glücklich! 29
Fortschritten in den Bereichen Smart Home und Internet der Dinge, eine Vielzahl neuer
smarter Geräte und dazugehöriger Anwendungen auf den Markt kommen werden, die
für erweiterte Self-Tracking-Möglichkeiten sorgen. An dieser Stelle wird auf die aktuell
relevantesten Einsatzbereiche ausführlicher eingegangen: Das Aufzeichnen von Körper-
daten mittels Smartphones oder Wearables.
Die Nutzung eines Smartphones hat sich inzwischen für die überwiegende Mehrheit der
Menschen in Deutschland etabliert.
81
Mithilfe einer Vielzahl an Anwendungen, welche
Funktionalitäten zur Aufzeichnung von Körperdaten bieten, lässt sich das Smartphone
meist unkompliziert als Tracking-Gerät einsetzen. Solche Anwendungen lassen sich,
nach der bereits beschriebenen Kategorisierung für digitale Programme zur Aufzeich-
nung von Körperdaten, in zwei Gruppen einteilen: Während die erste der beiden Gruppen
Apps umfasst, die durch Nutzer:innen betrieben werden, beinhaltet die zweite durch das
System betriebene Apps.
Ein Beispiel für die erste Gruppe ist die Anwendung ‚Kalorien, Fett & Eiweißzähler‘ des
Unternehmens Virtuagym.
82
Wie die meisten Ernährungs-Apps basiert sie auf manuel-
len Erhebungen durch die Nutzer:innen. Zwar lässt sich die Eingabe der Mahlzeiten ver-
einfachen, indem beispielsweise Barcodes von Produkten gescannt oder Rezepte für
später gespeichert und per Fingertipp hinzugefügt werden, jedoch behalten Nutzende
hier die Kontrolle über die Erhebung und können nachvollziehen, welche Daten in das
System eingegeben werden.
83
Für die zweite Gruppe kann als Beispiel die Anwendung ‚adidas Running by Runtastic –
Fitness & Lauf-App‘
84
genannt werden. Die Erhebung der Körperdaten erfolgt automati-
siert durch das System, welches hierzu die im Smartphone vorhandenen Sensoren ein-
setzt. Die Kontrolle über die Erhebung wird an das System abgegeben. Nutzer:innen kön-
nen die Aufzeichnung lediglich vor der sportlichen Betätigung starten und nach dieser
wieder stoppen. Sie können also nur bedingt nachvollziehen, welche Daten das System
in welchem Umfang aufzeichnet.
85
Außerdem werden Anwendungen angeboten, die sowohl nutzer:innen-, als auch sys-
tembetrieben sind, also Funktionalitäten aus beiden Gruppen anbieten.
81
Vgl. Statista 2020b.
82
Vgl. Virtuagym 2020.
83
Vgl. ebd.
84
Vgl. Runtastic 2021.
85
Vgl. ebd.
Tracke dich glücklich! 30
Einige Smartphone-Herstellende sind inzwischen dazu übergegangen, Anwendungen
zur Aufzeichnung von Körperdaten auf den Geräten bereits ab Werk vorzuinstallieren.
Als Beispiele seien hier die Anwendungen ‚Samsung Health‘
86
und ‚Apple Health App‘
87
genannt. Der Einstieg in das digitale Tracking von Körperdaten wird für Smartphone-
Nutzer:innen somit weniger aufwändig, da sie eine entsprechende Anwendung nicht
selbst aussuchen und herunterladen müssen.
Laut Angaben des Hamburger Marktforschungsinstitut Splendid Research waren im
Jahr 2019 bereits über 100.000 Fitness- und Gesundheitsanwendungen im Apple App
Store und im Google Play Store zum Download verfügbar.
88
Laut einer repräsentativen
Umfrage des Instituts unter 1.193 Deutschen im Alter zwischen 18 und 69 Jahren aus
demselben Jahr, waren 33% der Befragten bereits Nutzer:innen von Apps aus den Berei-
chen Fitness, Gesundheit, Ernährung und Entspannung. 23% waren daran interessiert
und 38% lehnten den Einsatz solcher Apps ab. 60% der Ablehnenden waren älter als 50
Jahre.
89
Auf Basis dieser Daten kann erwartet werden, dass die Aufzeichnung von Kör-
perdaten mit dem Smartphone in den kommenden Jahren weiter an Beliebtheit zuneh-
men wird. Auch das 2019 erlassene Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG)
90
und die damit
einhergehende Möglichkeit, Smartphone-Anwendungen durch Ärztinnen und Ärzte, so-
wie durch Psychotherapeutinnen und -therapeuten auf Rezept zu verschreiben und die
Kosten dafür von der Krankenkasse erstatten zu lassen, könnte in den kommenden Jah-
ren zu einem weiteren Anstieg der Nutzungshäufigkeit von Smartphone-Anwendungen
zur Aufzeichnung von Körperdaten beitragen.
91
Wie Smartphones sind auch Wearables „tragbare Geräte zur Selbstvermessung“.
92
Der
wichtigste Unterschied zu Smartphones besteht in der Art, wie sie getragen werden.
Während Nutzer:innen Smartphones in der Regel in einer Tasche bei sich haben, werden
Wearables direkt am, auf dem, oder im Körper fixiert.
93
Sie ermöglichen dadurch häufig
86
Vgl. Samsung o.J.
87
Vgl. Apple o.J.b.
88
Vgl. Splendid Research 2019.
89
Vgl. ebd.
90
Vgl. § 33a, Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale-
Versorgung-Gesetz – DVG).
91
Vgl. Krüger-Brand und Haserück 2020.
92
Grimm und Hammele 2019, S. 91.
93
Vgl. Schumacher 2014, S. 230–232.; Vgl. Dworschak 2015, S. 111.; Vgl. PWC 2015, S. 5.
Tracke dich glücklich! 31
eine höhere Genauigkeit in der Erhebung von Körperdaten. Für das „Körper-Monito-
ring“
94
nutzen sie eingebaute Sensoren – Wearables sind deshalb immer systembetrie-
ben. Es gibt eine Vielzahl verschiedener Arten von Wearables. Die etabliertesten sind
sogenannte ‚Fitnesstracker‘ und ‚Smartwatches‘.
Ein Fitnesstracker oder Fitnessarmband ist ein „am Handgelenk getragenes elektroni-
sches Gerät, das gesundheitsrelevante Daten wie körperliche Aktivitäten, Vitalfunktio-
nen u. Ä. misst und aufzeichnet oder an einen anderen Computer sendet“.
95
Die primäre
Funktion dieser Geräte ist demnach die Aufzeichnung von Daten, die Nutzer:innen dann
auf einem anderen Gerät, zum Beispiel auf einem stationären Computer, Laptop oder ei-
nem Smartphone, analysieren können.
96
Sofern diese Geräte überhaupt ein Display ein-
gebaut haben, ist dieses meist sehr klein und kann in der Regel nur wenige Informatio-
nen anzeigen, wie die Uhrzeit oder den Puls.
97
Ein Beispiel hierfür ist das ‚Mi Smart Band
4‘ des Unternehmens Xiaomi.
98
Eine Smartwatch ist hingegen größer als ein Fitnessarmband. Sie hat in der Regel auch
ein größeres, berührungsempfindliches Display. Nutzer:innen können auf Smartwat-
ches meist Anwendungen installieren, wodurch sie einen größeren Funktionsumfang
bieten. Auch Smartwatches können gesundheitsrelevante Daten aufzeichnen und an ei-
nen anderen Computer senden, allerdings ist dies nur eine unter vielen Anwendungs-
szenarien. Die Internetfähigkeit von Smartwatches ermöglicht zusätzlich Kommunika-
tionsfunktionen wie beispielsweise Empfang und Versand von Textnachrichten über
Instant-Messenger-Dienste.
99
Smartwatches zählen demnach zu den sogenannten „Hu-
man-Computer-Interfaces“.
100
Ein Beispiel für eine Smartwatch ist die ‚Apple Watch‘.
101
Neben Fitnesstrackern und Smartwatches gibt es noch weitere Wearables. Unter ande-
rem werden sie zunehmend auch im medizinischen Bereich eingesetzt. Solche Geräte
fallen unter das Medizinproduktegesetz.
102
Ein Beispiel hierfür sind intelligente Kontakt-
linsen zur Messung von Blutdruck- oder Zuckerwerten.
103
In den nächsten Jahren wer-
den vermutlich auch Smart Clothes eine zunehmend wichtigere Rolle spielen, bei denen
94
PWC 2015, S. 5.
95
Duden o.J.
96
Vgl. Chuah et al. 2016, S. 277.
97
Vgl. ebd.
98
Vgl. Xiaomi o.J.
99
Vgl. Chuah et al. 2016, S. 277.
100
PWC 2015, S. 5.
101
Vgl. Apple o.J.a.
102
Vgl. Rüegsegger 2016, S. 1149.
103
Vgl. PWC 2015, S. 5.
Tracke dich glücklich! 32
die Kleidung mit eingenähten Sensoren ausgerüstet wird, welche Körperdaten aufzeich-
nen können.
104
Schlussendlich ist auch denkbar, dass Körperdaten in der Zukunft ver-
mehrt mit Sensoren erfasst werden, die direkt auf der Haut oder sogar im Körper instal-
liert werden.
105
Durch die systembetriebene Funktionsweise von Wearables geben Nutzer:innen die
Kontrolle über die Erhebung von Körperdaten nahezu vollständig an die Geräte ab. Da
Wearables häufig über einen längeren Tageszeitraum getragen werden, können Nut-
zer:innen nur noch schwer und sehr eingeschränkt nachvollziehen, welche Daten die
Systeme in welchem Umfang erheben.
2019 wurden weltweit rund 336 Millionen Wearables abgesetzt. Zwischen 2014 und 2019
ist der Absatz von Wearables jährlich angestiegen, im Jahr 2014 lag er noch bei rund 29
Millionen Einheiten.
106
Nach einer Prognose von Gartner wird der Wearable-Markt bis
mindestens Ende 2021 weiter stark wachsen, die höchsten Ausgaben unter allen
Wearables tätigen die Konsumentinnen und Konsumenten nach Gartner für Smartwat-
ches.
107
Trotz starken Wachstums in den vergangenen Jahren haben Wearables noch
lange nicht die Beliebtheit von Smartphones erreicht.
108
Es bleibt abzuwarten, wie sich
die Marktsituation in den kommenden Jahren entwickelt und welche Rolle Wearables
in der Aufzeichnung von Körperdaten übernehmen werden.
In verschiedenen Untersuchungen zu den Motivatoren der Nutzenden für das Tracking
von Körperdaten finden sich viele Gemeinsamkeiten, aber gleichzeitig auch einige Dif-
ferenzen; einige Motivatoren werden besonders häufig genannt, andere lediglich in ein-
zelnen Studien erwähnt.
In einem Masterprojekt an der Hochschule der Medien in Stuttgart aus dem Winterse-
mester 2014/15 fanden die Studierenden in einer ethischen Untersuchung zum Einsatz
von Quantified Self-Möglichkeiten im Gesundheitssektor heraus, dass zu den wichtigs-
ten Faktoren, die die Nutzer:innen zum Einsatz von Self-Tracking-Lösungen in ihrem
Alltag motivieren, die Verbesserung der eigenen Fitness und Gesundheit, die Hoffnung,
Ziele schneller und effizienter zu erreichen, die Erreichung eines besseren Verständnis-
ses für den eigenen Körper, sowie die reine Neugier zählen.
109
104
Vgl. Li 2020.
105
Vgl. Gibney 2016.
106
Vgl. Statista 2020a.
107
Vgl. Gartner 2019.
108
Vgl. Richter 2019.
109
Vgl. Gemmerich et al. 2015, S. 499–502.
Tracke dich glücklich! 33
In einer anderen Studie der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften, die im
Jahr 2018 veröffentlicht wurde, finden sich einige Parallelen. Auch hier wird als ein
wichtiger Motivator das Interesse am eigenen Körper genannt. Zudem spielen die Errei-
chung übergeordneter Ziele sowie die Neugier oder der Spaß an etwas Neuem für die
Nutzenden eine wichtige Rolle. Darüber hinaus werden hier allerdings auch noch andere
Gründe für die Aufzeichnung von Körperdaten genannt: Die Anwendenden erwarten
sich von Self-Tracking-Lösungen mehr Handlungssicherheit in ihrem Alltag durch eine
erhöhte Kontrolle über ihr Verhalten und ihren Körper.
110
Außerdem haben sie Interesse
an einem „wissenschaftsfundierten Expertenwissen“.
111
Das bedeutet, dass durch die
Aufzeichnung von Körperdaten wichtige Erkenntnisse aus dem sportlichen und medi-
zinischen Bereich gewonnen werden sollen.
112
In einer Online-Umfrage des Unternehmens Statista aus dem Jahr 2015 wurden rund
5.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zwischen 16 und 69 Jahren zu deren Gründen
für die Nutzung von Digital-Health-Applikationen und -services befragt. Dabei wurde als
wichtigster Motivator das eigene Interesse an den Themen Gesundheit, Fitness und Er-
nährung genannt.
113
Gimpel, Nißen und Görlitz entwickelten im Jahr 2013 ein Fünf-Faktoren-Framework zu
den Treibern des Self-Trackings auf Basis einer Umfrage unter 150 Self-Tracker:innen.
Der erste Faktor ist das Design des eigenen Selbst, also die Möglichkeit, das eigene Ver-
halten zu verbessern und zu kontrollieren. Der zweite Faktor ist die Unterhaltung. Damit
ist die spielerische Auseinandersetzung mit den Geräten und Apps zur Erfassung von
Körperdaten gemeint. Als dritter Motivator wurden die Vereinigung und der Vergleich
mit anderen Trackenden genannt. Der vierte Faktor ist die Erlangung von Disziplin, bei-
spielsweise zur Erreichung sportlicher Ziele. Der letzte Faktor ist die Selbstheilung. Das
Ziel ist eine Independenz von klassischer Medizin, wobei die erhobenen Körperdaten
helfen sollen.
114
Im Jahr 2015 wurden mehr als 1.000 Online-Nutzer:innen durch die Unternehmensbera-
tung PWC sowohl zu deren Erfahrungen als auch deren Erwartungen rund um Wearab-
les befragt. Die Nutzer:innen gaben an, sie erwarteten von den Geräten vor allem Infor-
mationen zu einem effektiveren Fitnesstraining, zu medizinischen Hintergründen, zu
einer genauen Aufzeichnung von Aktivitäten und zu einer gesünderen Ernährung.
115
110
Vgl. Meidert et al. 2018, S. 86–88.
111
Ebd., S. 88.
112
Vgl. ebd.
113
Vgl. Statista 2015.
114
Vgl. Gimpel, Nißen und Görlitz 2013.
115
Vgl. PWC 2015, S. 11.
Tracke dich glücklich! 34
Aus der an früherer Stelle bereits erwähnten Umfrage des Instituts Splendid Research
geht hervor, dass der wichtigste Grund für die Nutzung von Fitnesstrackern und Smart-
watches ein gesünderer und sportlicherer Lebensstil ist.
116
Die Betrachtungen der aufgeführten Studien aus der Vergangenheit deuten darauf hin,
dass zwei Motivatoren für die Aufzeichnung von Körperdaten besonders relevant sind:
Die Verbesserung der eigenen Fitness und Gesundheit in Kombination mit der Errei-
chung sportlicher und gesundheitlicher Ziele, sowie die Erlangung eines besseren Ver-
ständnisses über den eigenen Körper. Außerdem scheint auch die Neugierde eine große
Rolle zu spielen. Die hohe Relevanz der Neugierde deutet darauf hin, dass für viele Nut-
zer:innen von Self-Tracking-Lösungen der Einsatz der Tracking-Geräte eine Art Selbst-
zweck darstellt. Dieser Motivator wird möglicherweise auch durch den spielerischen
Aspekt des Aufzeichnens bedingt.
Inwiefern diese Erkenntnisse aus der aktuellen Forschung bezüglich der Motivatoren
bei der Aufzeichnung von Körperdaten durch die vorliegende Studie gestützt werden
können, soll in den Kapiteln 4.3 und 5.3 diskutiert werden.
Wenngleich die Nutzerinnen und Nutzer von Tracking-Devices diese als Möglichkeit
sehen, ihren eigenen Körper besser zu verstehen und ihre eigenen Ziele zu erreichen,
bleibt die Praxis des Self-Trackings nicht frei von Kritik seitens der Wissenschaft, Poli-
tik und Gesellschaft. Insbesondere Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes werden in
diesem Zusammenhang laut. Im Folgenden werden daher Praktiken des Self-Trackings
aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Zunächst wird dabei ein Blick auf die hinter
den Apps und Wearables stehenden Geschäftsmodelle geworfen. Folgend wird genauer
auf datenschutzrelevante Aspekte des Self-Trackings und Körperdaten geblickt; darauf,
wie jene Daten von Versicherungen eingesetzt werden und welche potenziellen Risiken
hiermit einhergehen könnten. Abschließend werden die Einstellungen der Nutzenden
bezüglich des Datenschutzes im Zusammenhang mit Self-Tracking betrachtet.
Eine größere Bedeutung in der Diskussion um Datenschutz und der Verwendung von
(personenbezogenen) Daten durch Unternehmen erlangte in den letzten Jahren der von
der emeritierten Harvard Business School Professorin Shoshana Zuboff geprägte Begriff
des ‚Überwachungskapitalismus‘.
117
Wenngleich ihr Werk
Das Zeitalter des Überwa-
chungskapitalismus
in jüngeren wissenschaftlichen Buchrezensionen insbesondere für
116
Vgl. Splendid Research 2019.
117
Vgl. Keber 2019, S. 49.
Tracke dich glücklich! 35
den Mangel einer empirischen Fundierung kritisiert wird, sehen Kritikerinnen und Kri-
tiker hierin einen wichtigen Beitrag zur Internet-Governance-Literatur.
118
Ihr Werk
schaffe einen Überblick über das Thema, kristallisiere neue ökonomische Prozesse her-
aus und liefere ein verständliches Framework und den Anstoß für weitere Forschung in
diesem Feld.
119
Zuboff versteht unter dem Begriff des Überwachungskapitalismus unter
anderem eine „neue Marktform, die menschliche Erfahrung als kostenlosen Rohstoff für
ihre versteckten kommerziellen Operationen der Extraktion, Vorhersage und des Ver-
kaufs reklamiert.“
120
Laut Zuboff beanspruche der Überwachungskapitalismus „einseitig
menschliche Erfahrung als Rohstoff zur Umwandlung in Verhaltensdaten.“
121
Aus die-
sen Daten ergebe sich ein ‚Verhaltensüberschuss‘ als jener Anteil der Verhaltensdaten,
welcher nicht für die Verbesserung von Produkten und Diensten genutzt werde.
122
Aus
diesem Überschuss würden wiederum mithilfe von künstlicher Intelligenz sogenannte
‚Vorhersageprodukte‘ gefertigt, welche nach Zuboff auf ‚Verhaltensterminkontrakt-
märkten‘ gehandelt werden und erahnen sollen, was einzelne Menschen „jetzt, in Kürze
oder irgendwann tun.“
123
Laut Zuboff richten sich diese Verhaltensterminkontrakt-
märkte nicht mehr nur auf Online-Werbung, sondern haben sich längst auf weitere Ge-
schäftsfelder, auch in der Offline-Welt, wie beispielsweise Versicherungen, Einzelhan-
del oder das Finanzwesen, ausgedehnt.
124
Praktiken des Exploited Self-Tracking, wie un-
ter 2.22.2 beschrieben, können im Kontext von Zuboffs Theorie als Möglichkeiten der
Daten- oder Rohstoffgewinnung interpretiert werden. Zuboff zufolge ist der Überwa-
chungskapitalismus geprägt von Asymmetrien:
„Er [der Überwachungskapitalismus] operiert mittels beispielloser Asym-
metrien an Wissen und daraus erwachsender Macht. Überwachungskapi-
talisten wissen alles über uns; ihre Aktivitäten sind jedoch so angelegt,
dass sie für uns nicht erkennbar sind.“
125
Mit Blick auf die Wirkungsmöglichkeiten von Big Data-Analysen kommt Schöttler zu
einem ähnlichen Ergebnis. Sie sieht eine „Asymmetrie der Erkenntnismöglichkeiten“
126
zwischen Unternehmen und den Einzelnen. Während Unternehmen mittels dieser Ana-
lysen eine statistische Sicht auf ausgewählte Zielgruppen erzeugen könnten, bleibe den
Einzelnen unkenntlich, welche ihrer Daten in diese Analysen einflössen, zu welchen
118
Vgl. Bongiovi 2019, S. 3.; Flonk 2021, S. 286.
119
Vgl. Bongiovi 2019, S. 3.; Cuellar und Huq 2020, S. 1335.; Flonk 2021, S. 284.
120
Zuboff 2018, S. 7.
121
Ebd., S. 22.
122
Vgl. ebd.
123
Vgl. ebd.
124
Vgl. ebd., S. 25.
125
Zuboff 2019, S. 8.
126
Schöttler 2016, S. 204.
Tracke dich glücklich! 36
Ergebnissen diese kämen und wie dies wiederum ihr eigenen Leben und das anderer
beeinflusse.
127
Diese Asymmetrie zusammen mit der Möglichkeit der Einflussnahme auf
die Lebensbedingungen verleihe Big Data eine ‚panoptische Funktion‘ – durch die De-
monstration der ständigen Möglichkeit der Überwachung werde den Betroffenen ein Be-
wusstsein steter Beobachtbarkeit vermittelt, was eine Selbstdisziplinierung zur Folge
habe.
128
Schöttler baut dabei auf der Foucaultschen Beschreibung des von Bentham ent-
worfenen Panoptikums auf, welches eine institutionelle Architektur der Disziplinarge-
sellschaften bezeichnet, in der die beobachtende Instanz omnipräsent ist, und die daher
nach demselben strukturellen Prinzip die Selbstdisziplinierung der potenziell durchge-
hend Beobachteten zur Folge habe.
129
Analog dazu beschreibt Gilles Deleuze später diese
Mechanismen für die postmodernen, sogenannten Kontrollgesellschaften.
130
Auch der österreichische Datenschutzaktivist Max Schrems meldet Bedenken hinsicht-
lich etwaiger Informationsasymmetrien zwischen Unternehmen und Verbraucherin-
nen und Verbrauchern, die aufgrund der Datensammlung entstehen. Dieses Informati-
onsgefälle, gepaart mit der Marktmacht vieler Unternehmen, resultiere in massiven Ein-
schränkungen der alltäglichen Freiheit.
131
So könnten Unternehmen Datenanalysen
nicht nur nutzen, um gezielt potenzielle Kund:innen mit Werbung anzusprechen, son-
dern könnten mit Hilfe der Daten den Personen auch Werbung, Gutscheine oder Ange-
bote vorenthalten oder ihnen gar Verträge verwehren, wenn Datenanalysen zu dem Er-
gebnis kämen, dass dies profitabler wäre.
132
Betrachtet man speziell die Versicherungsbranche, zeigt sich, dass einige Unternehmen
bereits heute Programme anbieten, die mittels Prämien oder anderen Boni Anreize zum
Tracken von Körperdaten und einem gesunden Lebensstil setzen. So bietet beispiels-
weise die Techniker Krankenkasse mit ‚TK-Fit‘ ein Bonusprogramm an, bei welchem
Nutzende unter anderem durch die Erfüllung einer gewissen Anzahl an täglich gegan-
genen Schritten Bonuspunkte erhalten.
133
Diese Punkte wiederum können für Barprä-
mien oder für Zuschüsse für Gesundheitsleistungen, wie Akupunktur, einem Sehtest
oder auch dem Kauf eines neuen Fitnesstrackers eingesetzt werden.
134
Um im Rahmen
dieses Bonusprogramms Punkte für seine getätigten Schritte erhalten zu können, muss
127
Vgl. Schöttler 2016, S. 204.
128
Vgl. ebd.
129
Vgl. Foucault 1977, S. 195–240.
130
Vgl. Deleuze 2017, S. 254–260.
131
Vgl. Schrems 2014, S. 27–29.
132
Vgl. ebd., S. 40.
133
Vgl. Techniker Krankenkasse 2020a.
134
Vgl. Techniker Krankenkasse 2020b; Techniker Krankenkasse 2020c.
Tracke dich glücklich! 37
die TK-App mit einer Tracking-App, beispielsweise ‚Apple Health‘ oder ‚Google Fit‘ ver-
bunden werden, welche als Datenquelle fungiert.
135
Ähnliche Bonusprogramme mit ei-
ner Self-Tracking-Komponente bieten unter anderem die AOK PLUS in Sachsen und
Thüringen, Generali mit ‚Generali Vitality‘, sowie der US-amerikanische Versicherer
John Hancock mit ‚Vitality PLUS‘ an.
136
Ronald Petrlic, Referent beim Landesbeauftrag-
ten für den Datenschutz in Baden-Württemberg, sieht in derartigen Versicherungstarif-
Systemen einen „ökonomischen Anreiz zur fremdbestimmten Selbst-Überwachung.“
137
Derartige Programme können insofern, wie unter 2.3 beschrieben, als eine Form des
Pushed Self-Tracking verstanden werden.
Diese auf Daten und Self-Tracking-Technologien basierenden Versicherungspro-
gramme werden durchaus kritisch betrachtet. So argumentiert die Netzaktivistin Ka-
tharina Nocun, dass sich aus derlei Systemen eine ständige Prüfungssituation für die
Versicherten entwickeln könnte, in welcher sie stets in der Pflicht stünden, dass sie ge-
nug in ihre Gesundheit investieren, um höheren Versicherungstarifen oder dem Entzug
von Bonusleistungen zu entgehen.
138
Nocun zufolge drohe bei einem solchen System
früher oder später eine Beweislastumkehr, in welcher der oder die Versicherte gegen-
über der Versicherung beweisen müsse, „dass er keine Mitschuld an einer Folgeerkran-
kung trägt.“
139
Ähnliche Bedenken meldete einige Jahre zuvor bereits der damalige Prä-
sident des Europäischen Parlaments Martin Schulz an. Ihm zufolge wäre nach Bei-
tragsermäßigungen für Versicherte der nächste Schritt, Risikoaufschläge von jenen zu
verlangen, welche sich einer derartigen „‘freiwilligen‘ Kontrolle ihres Verhaltens entzie-
hen“.
140
Seiner Ansicht nach sei es absehbar, dass aus diesem Risikoaufschlag letztlich
ein Zwang zur Kontrolle werde und eine derartige Entwicklung zu einem „‘am Netz hän-
genden Menschen‘ führen [wird], der in allen Lebenssituationen überwacht wird“.
141
Auch Nocun sieht die Gefahr, dass aus der freiwilligen Preisgabe von Körperdaten gegen
hohe Prämien irgendwann ein finanzieller Zwang werden könnte und jene, welche beim
Krankenkassentarif sparen wollen oder müssen, dies mit Abstrichen in ihrer Pri-
vatsphäre bezahlen müssen.
142
Somit könnte sich aus Sicht der Kritiker:innen eine Ver-
schiebung von einem anreizbasierten, freiwilligen Pushed Self-Tracking hin zu einem
Imposed Self-Tracking vollziehen, sollte eine individuelle Verweigerung von Aufzeich-
nungsmaßnahmen nur noch schwer oder gar nicht mehr möglich sein.
135
Vgl. Techniker Krankenkasse o.J.
136
Vgl. AOK PLUS 2021; Generali Vitality o.J.; Generali Vitality 2020; John Hancock Life Insurance
Company o.J.
137
Vgl. Petrlic 2016, S. 96.
138
Vgl. Nocun 2018b.
139
Ebd.
140
Schulz 2014.
141
Ebd.
142
Vgl. Nocun 2018b.
Tracke dich glücklich! 38
Im Zuge dieser Forschungsarbeit soll daher untersucht werden, ob Nutzer:innen von
Self-Tracking-Technologien derartige Bonusprogramme von Versicherungsunterneh-
men bereits nutzen, und, falls nicht, ob sie dazu bereit wären. Ferner soll untersucht wer-
den, wie sie derartigen Programmen gegenüber eingestellt sind und inwiefern sie die
von Kritikerinnen und Kritikern angeführten Bedenken teilen.
Schrems zufolge sei die Datafizierung immer weiterer Bereiche unseres Lebens für einen
Großteil der Mitbürger:innen noch nicht real greifbar – sie geschehe „abstrakt, unsicht-
bar und schleichend.“
143
Ferner fehle es in seinen Augen an einer kritischen Reflexion
der Veränderungen, welche die Digitalisierung mit sich bringt. Die Nutzenden seien oft
nur Beobachtende, die von einer Welle der Veränderung mitgerissen werden und sich
treiben ließen.
144
Zuboff sieht uns in einem Konflikt zwischen dem gefühlten Bedürfnis nach einem „ef-
fektiven Leben“ und der Neigung, den „dreisten Eingriffen“ des kommerziellen Überwa-
chungsprojekts zu widerstehen.
145
Dieser Konflikt und die damit einhergehende see-
lisch-geistige Abstumpfung sorge dafür, dass wir dickfellig werden gegenüber der Rea-
lität „getrackt, geparst, ausgewrungen und modifiziert zu werden“,
146
sowie uns „die Lage
in einer Art zynischen Resignation schönzureden, uns mit Ausflüchten – ‚ich habe ja
nichts zu verstecken' – zu verteidigen oder den Kopf sonst wie in den Sand zu ste-
cken.“
147
Lutz, Hoffmann und Ranzini untersuchen 2020 diesen als ‚privacy cynicism‘
bezeichneten Rechtfertigungsmechanismus. Dieser wird definiert als eine „attitude of
uncertainty, powerlessness, and mistrust toward the handling of personal data by digital
platforms“.
148
Gegebene Strukturen des „system of data capitalism”
149
seien dabei für Nut-
zende oft zu komplex, woraus häufig eine Resignation im Hinblick auf die Verfügungs-
macht über eigene Daten entstehe.
150
Im Rahmen einer qualitativen empirischen Studie kommen Buck, Kaubisch und Ey-
mann darüber hinaus zu dem Ergebnis, dass Nutzer:innen von Apps und mobilen Öko-
143
Vgl. Schrems 2014, S. 36–37.
144
Vgl. ebd., S. 11–12.
145
Vgl. Zuboff 2018, S. 26.
146
Ebd.
147
Vgl. ebd.
148
Lutz, Hoffmann und Ranzini 2020, S. 1174.
149
Ebd.
150
Vgl. ebd., S. 1174–1183.
Tracke dich glücklich! 39
systemen nur über eine unzureichende App-Literacy verfügen, um Privatsphäre-Gefah-
ren erkennen und einordnen zu können.
151
Der Begriff App-Literacy bezeichnet hierbei
„den Kenntnisstand und die Vertrautheit von Nutzer:innen über die technische Funkti-
onsweise von mobilen Applikationen und die Bildung der User im Hinblick auf Pri-
vatsphäre-Gefahren, was ebenfalls ein Verständnis über die Funktionsweise des App-
Marktes einschließt.“
152
Im Zuge der Befragung zeigte sich, dass das Wissen über Daten-
schutzrichtlinien unter den Befragten stark unterschiedlich ausgeprägt war und sich
nur die wenigsten die Nutzungsberechtigungen von Apps durchlesen.
153
Die Bedeutung, die Individuen dem Datenschutz beimessen, scheint sich auch in deren
Nutzung von Gesundheits-Apps und Fitness-Trackern niederzuschlagen. So kamen
Kriwy und Glöckner im Rahmen einer quantitativen Befragung unter Studierenden zu
dem Ergebnis, „wenn das Thema Datenschutz für bestimmte Gruppen nicht hinreichend
wichtig ist, um eigenes Informationsverhalten in Gang zu setzen, so geht das Klima der
Unbedarftheit entsprechend mit höherer Nutzungswahrscheinlichkeit von mHealth-
Angeboten einher.“
154
Im Rahmen dieser Forschungsarbeit soll daher untersucht werden, ob sich diese Er-
kenntnisse auch auf Nutzer:innen von Self-Tracking-Technologien im Allgemeinen
übertragen lassen, welche Einstellungen sie zum Datenschutz vertreten und wie diese
sich wiederum auf das Verhalten der Einzelnen auswirken.
Um herauszufinden, aus welchen Gründen Personen Körperdaten aufzeichnen, inwie-
fern dies Auswirkungen auf das Glücksempfinden hat und welche Einstellung zur Da-
tenverarbeitung besteht, wird eine Mixed-Methods-Studie durchgeführt, die quantita-
tive und qualitative Methoden vereint. Es handelt sich hierbei um ein paralleles Design
‚QUAN + QUAL‘, bei dem beide Ansätze gleichzeitig eingesetzt werden und auch gleich-
ermaßen bedeutsam sind.
155
Eine Kombination beider Forschungsmethoden wird ge-
wählt, um sowohl in breiter Masse Nutzungsmuster und Einstellungen abzubilden als
auch tiefergehende Einblicke zu erhalten. Erklärungslücken der einen Methode sollen
durch die jeweils andere ausgeglichen werden.
156
Den Rahmen für die Primärerhebung
bilden folgende forschungsleitenden Fragen:
151
Vgl. Buck, Kaubisch und Eymann 2016, S. 400.
152
Ebd., S. 393.
153
Vgl. ebd., S. 398.
154
Kriwy und Glöckner 2020, S. 223.
155
Vgl. Kelle 2019, S. 167–168.
156
Vgl. ebd., S. 168.
Tracke dich glücklich! 40
● Welche Motive stehen hinter dem Aufzeichnen eigener Körperdaten?
● Auf welche Weise wirkt sich das Aufzeichnen und Verfolgen der eigenen Körperda-
ten auf das persönliche Glücksempfinden aus?
● Wie sind die Nutzer:innen bezüglich der Verarbeitung ihrer beim Aufzeichnen erho-
benen Daten eingestellt – unter anderem in Bezug auf die Weitergabe der Daten an
Krankenkassen beziehungsweise Versicherungen?
Ausgehend von der Literaturrecherche, den daraus in Kapitel 2 gewonnenen Erkennt-
nissen und diesen forschungsleitenden Fragen erfolgt die Entwicklung von Hypothesen,
welche mittels der quantitativen und qualitativen Studie untersucht werden sollen. Die
aufgestellten Hypothesen lauten wie folgt:
H1: Die Verbesserung der Fitness und Gesundheit, ein besseres Verständnis für den eige-
nen Körper und Neugierde stellen die Hauptmotive für das Aufzeichnen eigener Körper-
daten dar.
H2: Das Aufzeichnen der eigenen Körperdaten wird als positiver Beitrag zum eigenen
Leben empfunden.
H3: Das Erreichen von Zielen durch das Aufzeichnen der eigenen Körperdaten führt zu
einer Steigerung der Zufriedenheit.
H4: Den Praktiken des Vergleichens und Teilens der Körperdaten mit dem sozialen Um-
feld wird ein hoher Stellenwert zugemessen.
H5: Es herrscht ein geringes Bewusstsein darüber, auf welche Weise und in welchem
Umfang Unternehmen digital aufgezeichnete Körperdaten weiterverarbeiten.
H6: Es besteht eine hohe Bereitschaft zur Weitergabe digital aufgezeichneter Körperdaten
an Krankenkassen beziehungsweise Versicherungen im Rahmen von Bonusprogram-
men.
Die Grundgesamtheit stellen in Deutschland lebende, erwachsene Personen (ab 18 Jah-
ren) dar. In erster Linie werden Personen befragt, die aktuell mit Hilfe eines digitalen
Gerätes, beispielsweise eines Smartphones oder Wearables, eigene Körperdaten auf-
zeichnen. Bei der quantitativen Befragung werden Personen, die zurzeit in keiner Form
eigene Körperdaten digital aufzeichnen, dennoch nicht ausgeschlossen. Eine Nachfass-
frage nach den Gründen, warum keine Körperdaten aufgezeichnet werden, soll auch auf
der Gegenseite weiterführende Einsichten generieren.
Beide Studien wurden im Dezember 2020 durchgeführt.
Tracke dich glücklich! 41
Den ersten Teil der Mixed-Methods-Studie bildet eine quantitative Onlinebefragung. Es
handelt sich um eine standardisierte Befragung, da der Ablauf und die Antwortmöglich-
keiten (bis auf wenige offene Fragen) vorgegeben sind.
157
Aufgrund der einmaligen Da-
tenerhebung liegt eine Querschnittsstudie vor, welche Aussagen zum Aufzeichnen eige-
ner Körperdaten zum Zeitpunkt der Erhebung ermöglicht.
158
Eine standardisierte Befragung eignet sich für die Umsetzung der vorliegenden Studie,
da sowohl Fakten (z.B. welche Körperdaten aufgezeichnet werden) als auch Einstellun-
gen (z.B. bezüglich der Weiterverarbeitung der Daten) mithilfe von Indikatoren bei einer
großen Stichprobe erhoben werden können. Die externe Validität, also die Übertragbar-
keit auf die Grundgesamtheit,
159
ist damit gegenüber qualitativen Befragungen mit gerin-
ger Stichprobengröße deutlich erhöht. Zudem soll die Standardisierung „zu einer mög-
lichst großen Objektivität“
160
der Befragung führen. Die Onlinedurchführung birgt Zeit-
und Kostenvorteile und ermöglicht einen einfacheren Zugang zu einer breiten Ziel-
gruppe.
Herausforderungen ergeben sich jedoch bei der Fragebogenerstellung dahingehend, ob
alle relevanten Aspekte abgedeckt sind und ob die Fragen von den Teilnehmenden rich-
tig verstanden werden, weshalb ein Pretest zur Überprüfung des Fragebogens unerläss-
lich ist. Zudem ist die Befragungssituation bei einer Onlinebefragung nicht kontrollier-
bar.
161
Eine Ablenkung durch äußere Umstände oder auch die absichtliche Angabe fal-
scher Informationen können aufgrund der orts- und zeitunabhängigen Teilnahme ohne
Interviewer:in nicht kontrolliert werden. Ein genauer Blick auf die erhobenen Daten und
die Bereinigung des Datensatzes bei Unstimmigkeiten stellen daher wichtige Schritte
zur Sicherstellung der Validität der Ergebnisse dar.
Im Mittelpunkt der quantitativen Studie steht der Fragebogen. Basierend auf den Leit-
fragen und Hypothesen, ergänzt durch Angaben zur Soziodemographie, wird ein Frage-
bogen entwickelt, der die wichtigsten Themen abdeckt und dennoch innerhalb von fünf
Minuten beantwortet werden kann. Eine kurze Befragungsdauer ist von Vorteil, um die
Teilnahmebereitschaft zu erhöhen und die Abbruchquote niedrig zu halten.
157
Vgl. Raab-Steiner und Benesch 2018, S. 49.
158
Vgl. Schnell 2019, S. 58.
159
Vgl. Krebs und Menold 2019, S. 500.
160
Burzan 2015, S. 22.
161
Vgl. Schnell 2019, S. 302.
Tracke dich glücklich! 42
Unerlässlich für quantitative Befragungen ist ein Pretest, da der Fragebogen zur Sicher-
stellung der Standardisierung nach dem Start der Erhebung im Feld nicht mehr verän-
dert werden sollte.
162
Mögliche Einflussfaktoren wie die Befragungsdauer, die Verständ-
lichkeit und Eindeutigkeit der Fragen sowie die der Antwortoptionen, sollten vor Beginn
der Datenerhebung mit dem Pretest überprüft werden. Da es sich um eine Onlinebefra-
gung handelt, ist es zudem wichtig, die technische Funktionsweise und die Darstellung
der Befragung auf verschiedenen Endgeräten und mit diversen Browsern zu testen. Der
Probedurchlauf erfolgte im Zeitraum vom 27.11.2020 bis zum 30.11.2020 mit insgesamt
20 Personen verschiedener Altersgruppen. Dieser wurde in zwei Durchgängen durchge-
führt, sodass überarbeitete Fragen nochmals mit anderen Teilnehmenden überprüft
werden konnten. Es zeigte sich, dass der Umfang der Befragung von allen am Pretest
Teilnehmenden als angenehm empfunden wurde. An einigen Stellen konnten aufgrund
der Rückmeldungen weitere Antwortmöglichkeiten ergänzt sowie Fragen und Items
präzisiert werden. Technische Probleme traten nicht auf.
Insgesamt umfasst der Fragebogen 18 Fragen. Die finale Version (siehe Anhang A.3) wird
mit Hilfe des Online-Tools ‚UmfrageOnline‘
163
programmiert. Tabelle 1 führt den Unter-
suchungszweck der jeweiligen Fragen auf.
Tabelle 1: Untersuchungszweck der jeweiligen Fragen des Fragebogens
Frage
Untersuchungszweck
Block 1
Erfassung der Art und Dauer der digitalen Aufzeichnung von Körperdaten
1; 3–4
Erhebung, welche Körperdaten mit welchen digitalen Geräten seit wie langer Zeit
aufgezeichnet werden.
2
Erhebung von Gründen, warum eigene Körperdaten nicht oder nicht mehr aufge-
zeichnet werden.
5
Erhebung von Verhaltensmustern beim Aufzeichnen eigener Körperdaten.
Block 2
Erfassung der Motivation für das Aufzeichnen
6, 6b
Erhebung von Gründen für das Aufzeichnen eigener Körperdaten anhand der Zu-
stimmung beziehungsweise Ablehnung zu acht Items sowie einem freien Textfeld
für weitere Gründe.
7
Erhebung, inwiefern sich das Nutzungsinteresse am Aufzeichnen eigener Körper-
daten seit Beginn verändert hat.
Block 3
Erfassung der Einstellung zur Datenverarbeitung
8–9
Erhebung, inwiefern aufgezeichnete Körperdaten geteilt werden. Hierbei wird so-
wohl auf Kanäle als auch auf Personengruppen Bezug genommen.
10
Erhebung des Nutzungsinteresses von Bonusprogrammen von Krankenkassen
oder Versicherungen, die an die Körperdaten geknüpft sind.
162
Vgl. Weichbold 2019, S. 349.
163
https://www.umfrageonline.com/
Tracke dich glücklich! 43
11
Erhebung, inwiefern sich die Teilnehmer:innen über die Weiterverarbeitung ihrer
Daten informiert haben.
Block 4
Erfassung der Auswirkungen auf das Glücksempfinden
12
Erhebung, inwiefern sich verschiedene Aspekte, abgefragt durch acht Items, bei
der digitalen Erfassung eigener Körperdaten auf die Zufriedenheit auswirken.
13
Erhebung, inwiefern das digitale Aufzeichnen eigener Körperdaten einen Beitrag
zur Verbesserung des eigenen Lebens leistet.
Block 5
Erfassung soziodemographischer Daten
14–16
Erhebung soziodemographischer Angaben zur Darlegung der Stichprobe und zur
Sicherstellung der Vergleichbarkeit der Ergebnisse: Geschlecht, Alter, aktuelle Tä-
tigkeit.
Block 6
Erfassung des Zugangs zu der Befragung und weiterer Anmerkungen
17
Erhebung, über welchen Zugang die Teilnahme an der Befragung erfolgte.
18
Möglichkeit zur Angabe weiterer Anmerkungen rund um die Befragung.
In der Einleitung der Befragung wird auf das Thema der digitalen Aufzeichnung eigener
Körperdaten verwiesen, um Interesse bei der Zielgruppe zu wecken. Jedoch ist die Be-
fragung auch für Personen zugänglich, die aktuell keine Körperdaten erfassen, um
Gründe hierfür zu erfragen. Auf diesen liegt aber kein Schwerpunkt, sodass eine aktive
Rekrutierung bei denjenigen erfolgt, die ihre Daten aufzeichnen. Angestrebt werden
möglichst viele Teilnehmer:innen. Als Mindestwert werden 100 abgeschlossene Teil-
nahmen festgesetzt, um aussagekräftige Ergebnisse zu ermöglichen. Die Verbreitung der
Befragung erfolgt über sechs themenspezifische Facebook-Gruppen,
164
über Verteiler
verschiedener Hochschulen, im privaten Umfeld sowie über das Arbeitsumfeld. Es han-
delt sich hierbei um eine willkürliche Auswahl, da die Auswahl der Teilnehmer:innen
unkontrolliert erfolgt. Zwar sind dadurch keine repräsentativen Aussagen möglich, Kor-
relationen und kausale Zusammenhänge können dennoch aufgezeigt werden.
165
Zudem
ist die Stichprobe selbstselektiv, denn alle Personen, die auf die Befragung aufmerksam
werden, können frei entscheiden, ob sie daran teilnehmen.
166
Aufgrund der Verbreitung
über Hochschulverteiler sowie im privaten Umfeld der Studierenden, die diese Studie
durchführen, ist zu erwarten, dass sich unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern
überproportional viele jüngere Personen und Studierende befinden. Um eine mögliche
Verzerrung der Stichprobe transparent darstellen zu können, werden neben Alter und
Geschlecht sowohl die aktuelle Tätigkeit als auch der Zugang zu der Befragung erhoben.
Die Befragung startet mit sogenannten Eisbrecherfragen, die Interesse bei den Teilneh-
menden wecken sollen.
167
Diese sind leicht zu beantworten und erfassen, auf welche
Weise eigene Körperdaten digital aufgezeichnet werden. Nach der ersten Frage folgt eine
164
Bei den Facebook-Gruppen handelt es sich um folgende: Fitness Tracking League (Fitbit),
Fitness Junkie, Würzburg | Wandern – Trekking – Outdoor, Outdoor Sport Freunde, Fitness
Tracker, OUTDOOR/TREKKING Ausrüstung An- und Verkauf.
165
Vgl. Möhring und Schlütz 2019, S. 32.
166
Vgl. ebd., S. 141.
167
Vgl. Raab-Steiner und Benesch 2018, S. 56.
Tracke dich glücklich! 44
Filterführung. So erhalten diejenigen, die angeben, keine Körperdaten digital aufzu-
zeichnen, ein offenes Eingabefeld zur Begründung der Nichtnutzung (Frage F2). An-
schließend wird der Hauptteil der Befragung übersprungen und direkt die Soziodemo-
graphie abgefragt. Allen anderen Personen wird die gesamte Befragung mit Ausnahme
von F2 angezeigt. Diese Filterführung ermöglicht, dass Nichtnutzende ebenfalls an der
Befragung teilnehmen können und die Sichtweise dieser Personen die Thematik des
Self-Trackings aus einem weiteren Blickwinkel beleuchtet.
Den Hauptteil der Befragung bilden die drei Themenblöcke Motivation, Datenverarbei-
tung und Glücksempfinden, welche sich aus den forschungsleitenden Fragen ergeben.
Anschließend werden soziodemografische Daten abgefragt sowie der Zugang zur Befra-
gung erhoben. Die Befragung schließt mit einer offenen Frage, die weitere Anmerkungen
zum Fragebogen beziehungsweise der Thematik der digitalen Aufzeichnung von Kör-
perdaten ermöglicht.
Insgesamt enthält der Fragebogen drei offene Fragen: Begründung der Nichtnutzung
(F2), weitere Gründe für die Erfassung von Körperdaten (F6b) sowie allgemeine Anmer-
kungen (F18) am Ende der Befragung. Der Vorteil dieser freien Textfelder ist, dass keine
Einschränkung der Antwort durch vorgegebene Kategorien vorliegt. Jedoch ist zu be-
achten, dass diese Antwortform für die Befragten aufwändiger ist. Um Abbrüche zu ver-
meiden, handelt es sich daher bei allen offenen Fragen um freiwillige Angaben und
keine Pflichtfragen. Nicht zuletzt gestaltet sich auch die Auswertung von offenen Fra-
gen mit SPSS schwieriger und zeitaufwändiger. Aus diesen Gründen wird die Anzahl
dieser Frageform geringgehalten.
168
Alle anderen Fragen sind Pflichtfragen in geschlossener Form oder einer Mischform.
Unter Mischformen sind hierbei diejenigen Fragen zu verstehen, die zusätzlich zu vor-
gegebenen Antwortkategorien noch eine offene Kategorie (in diesem Fall: ‚Sonstige(s):
____‘) enthalten. Die zusätzliche Kategorie hat den Vorteil, dass damit eine gesamte in-
haltliche Abdeckung sichergestellt werden kann.
169
Dies bietet sich in dieser Befragung
bei den Fragen nach aufgezeichneten Aspekten (F1), nach verwendeten digitalen Gerä-
ten zur Aufzeichnung (F3), nach den zum Teilen der Daten genutzten Kanälen (F8) als
auch nach den Personengruppen, mit denen geteilt wird (F9), sowie bei der Frage nach
der aktuellen Tätigkeit (F16) an.
Bei den geschlossenen Fragen handelt es sich mehrheitlich um Ratingskalen. Ausge-
nommen hiervon ist unter anderem F5, welche in Form einer Mehrfachauswahl typi-
sche Verhaltensmuster beim digitalen Aufzeichnen eigener Körperdaten abfragt. Hier
ergibt sich pro Item ein dichotomes Antwortformat, da jeweils eine Zustimmung oder
Ablehnung zu diesem Verhaltensmuster getroffen wird. Bei den Ratingskalen erfolgt
168
Vgl. Raab-Steiner und Benesch 2018, S. 52–53.
169
Vgl. ebd., S. 53–54.
Tracke dich glücklich! 45
eine passgenaue Abstufung der Items je Frage. So wird neben der bei Ratingskalen im
Allgemeinen am weitesten verbreiteten Zustimmungsskala, die in F6 Verwendung fin-
det, unter anderem die Wahrscheinlichkeit (F10) und die Zufriedenheit (F12) als Dimen-
sion für die Abstufung der Items herangezogen.
170
Ebenfalls erfolgt für jede einzelne
Frage eine Abwägung, ob sich an dieser Stelle eine ungerade oder eine gerade Anzahl an
Abstufungen besser eignet. Eine Mittelkategorie wird bei den Fragen aufgeführt, bei de-
nen diese Positionierung legitim ist. Dies trifft beispielsweise auf die Veränderung des
Interesses am Aufzeichnen (F7) zu, welches durchaus konstant geblieben sein kann.
Auch bei der Frage nach einem Beitrag zur Verbesserung des Lebens (F13) ist es gerecht-
fertigt, die mittlere Kategorie, dass weder eine Verbesserung noch eine Verschlechte-
rung vorliegt, zu wählen. Die Frage nach der Zufriedenheit (F12) enthält zusätzlich zur
mittleren Kategorie noch die Antwortoption ‚trifft nicht zu‘, um einer Verfälschung der
Skala vorzubeugen. So erhalten Personen, die beispielsweise gar keine Abzeichen oder
Punkte mit ihrer Tracking-App sammeln, die Option, diesen Aspekt auszuklammern.
Auf der anderen Seite wird bei Fragen wie den Gründen zur Erfassung von Körperdaten
(F6) oder der Nutzungswahrscheinlichkeit von Krankenkassenbonusprogrammen (F10)
bewusst auf eine mittlere Kategorie verzichtet, um eine Entscheidung der Teilnehmen-
den zu erzwingen. Dies soll vermeiden, dass aus Bequemlichkeit die mittlere Kategorie
angekreuzt wird und der negativen Antworttendenz der „Tendenz zur Mitte“
171
vorbeu-
gen. Bei F6 und F12 werden die Items randomisiert, da diese beiden Matrixfragen keine
fixe Reihenfolge erfordern. Die zufällige Reihenfolge der Items soll dem Primary-Re-
cency-Effekt vorbeugen, bei welchem es sich um eine Verzerrung der Antworten auf-
grund der Itemabfolge handelt.
172
Nach Abschluss der Befragung erfolgt die Bereinigung, Aufbereitung und Analyse der
Daten mit der Statistiksoftware SPSS. Ziel ist es, Häufigkeitsverteilungen aufzuzeigen,
mit Hilfe derer die Hypothesen überprüft werden können.
Die Onlinebefragung wurde im Zeitraum vom 03.12.2020 bis zum 14.12.2020 durchge-
führt. An diesen zwölf Tagen nahmen insgesamt 268 Personen teil. Das zu Beginn fest-
gelegte Mindestmaß von 100 Teilnehmer:innen konnte somit deutlich überschritten
werden. Eine abschließende Beantwortung inklusive aller Pflichtangaben zur Soziode-
mographie am Ende der Befragung erfolgte durch 253 Personen. Die Drop-Out-Quote liegt
somit bei 5,6%.
170
Vgl. Kallus 2016, S. 45.
171
Raab-Steiner und Benesch 2018, S. 66.
172
Vgl. ebd., S. 67.
Tracke dich glücklich! 46
Im Zuge der Datenüberprüfung und -bereinigung, welche bei quantitativen Studien ei-
nen wichtigen Aspekt für die Validität der Antworten darstellt, werden in einem ersten
Schritt die 15 unvollständigen Datensätze entfernt. Ein weiteres Kriterium stellt die be-
nötigte Antwortzeit dar. Diese verteilt sich von einer Minute bis zu 22 Stunden und 17
Minuten. Letzteres weist darauf hin, dass die Befragung begonnen und zu einem späte-
ren Zeitpunkt fortgeführt wurde, was jedoch kein Ausschlusskriterium darstellt. Die
Teilnahmen mit einer Minute Bearbeitungsdauer erfolgten ausschließlich durch Perso-
nen, die keine Körperdaten aufzeichnen und somit eine stark verkürzte Version des Fra-
gebogens erhielten. Des Weiteren benötigten drei Personen für den gesamten Fragebo-
gen zwei Minuten. Aus den Antworten werden jedoch weder Widersprüche noch durch-
weg gleich angekreuzte Felder einer Antwort ersichtlich, sodass diese Datensätze eben-
falls beibehalten werden.
Anschließend erfolgt eine Überprüfung aller Antworten auf Plausibilität. Das Ziel hierbei
ist es, Datensätze herauszufiltern, die aufgrund unsauberen Lesens, versehentlichen
Tippfehlern oder durch „bewusst falsche Auskunft“
173
der Befragten zu einer Verfäl-
schung der Ergebnisse beitragen können. Hierbei lässt sich bei der ersten Frage, welche
Körperdaten digital aufgezeichnet werden, ein Datensatz identifizieren, bei dem sowohl
‚keine‘ als auch eine weitere Antwort angekreuzt wurde. Umgekehrt gab eine weitere
Person bei der ersten Frage an, Körperdaten digital aufzuzeichnen, merkte jedoch später
in einem offenen Textfeld an, keine Körperdaten zu erfassen. Darüber hinaus wird ein
Datensatz entfernt, in welchem bei der Frage zum Alter ‚0‘ eingetragen wurde. Bei den
Fragen acht und neun, die das Teilen der Körperdaten thematisieren, gaben insgesamt
fünf Personen neben der Option, die Körperdaten nicht beziehungsweise mit nieman-
dem zu teilen, noch eine weitere an. In einem letzten Schritt werden die beiden Matrix-
fragen (F6: Motivation, F12: Zufriedenheit) daraufhin überprüft, ob durchweg dieselbe
Antwort angekreuzt wurde. Dies kann einen Hinweis auf ein Durchklicken ohne ge-
naues Lesen geben. Bei fünf Personen trifft ein solches Antwortmuster auf eine der bei-
den Matrixfragen sowie bei einer weiteren Person auf beide Matrixfragen zu.
Insgesamt werden somit 14 der vollständig ausgefüllten Befragungen aufgrund von Un-
stimmigkeiten entfernt. Damit fließen in die Auswertung die Aussagen von 239 Teilneh-
merinnen und Teilnehmern ein.
Die anschließende Datenaufbereitung in SPSS erfolgt anhand des Codierungsplans (An-
hang A.4). Hierbei werden die Variablen sinnvoll benannt, den jeweiligen Skalenniveaus
zugeordnet, fehlende Werte definiert sowie Umcodierungen vorgenommen. Als feh-
lende Werte werden -77 für leere Felder aufgrund der Filterführung definiert sowie -99
für leere Felder, die absichtlich leer gelassen wurden (letzteres gilt nur für Freitexte, da
173
Lück und Landrock 2019, S. 464.
Tracke dich glücklich! 47
es sich bei allen anderen um Pflichtfragen handelt). Beim Alter (F15) wird eine neue Va-
riable (F15a) gebildet, welche zur besseren Vergleichbarkeit zusammengefasste Al-
terskategorien beinhaltet. Für eine sinnvolle statistische Analyse ist bei den meisten
Variablen eine numerische Codierung notwendig.
174
Daher wird bei kategorischen Vari-
ablen für jede Ausprägung ein Zahlenwert vergeben und bei binären Variablen erfolgt
eine Dummy-Codierung mit den Werten 0 (trifft nicht zu) und 1 (trifft zu).
Dieser aufbereitete Datensatz bildet die Grundlage für die Berechnung von Häufigkeiten
und Zusammenhängen, dessen Ergebnisse im Folgenden aufgeführt werden.
Nach einer Beschreibung der vorliegenden Stichprobe und dessen Nutzungsverhalten
bei der digitalen Aufzeichnung eigener Körperdaten werden die zu Beginn von Kapitel 3
aufgestellten Hypothesen anhand der Antworten der Befragten überprüft.
Unter den 239 Teilnehmenden befinden sich 160 Frauen und 79 Männer, was etwa der
Verteilung zwei Drittel zu einem Drittel entspricht. Werden nur diejenigen betrachtet, die
eigene Körperdaten digital aufzeichnen, ergibt sich eine Verteilung von 144 Frauen (74%)
zu 51 Männern (26%), wohingegen bei den teilnehmenden Personen, die nicht tracken,
deutlich mehr Männer (64%) als Frauen (36%) vertreten sind. Jedoch können aufgrund
der unsystematischen Stichprobenauswahl und der lediglich zweitrangigen Erfassung
von nicht aufzeichnenden Personen keine Rückschlüsse darauf gezogen werden, dass
Frauen häufiger tracken würden als Männer. Der Grund für die insgesamt große Mehr-
heit weiblicher Personen an der Befragung lässt sich nicht eindeutig identifizieren. Ein
möglicher Auslöser könnte sein, dass sich unter den Verfassenden der Studie mehr
Frauen als Männer befinden, was sich auch in dem sozialen Umfeld, über welches die
Befragung verbreitet wurde, widerspiegeln könnte.
174
Vgl. Lück und Landrock 2019, S. 459–460.
67%
12%
5%
14% 2%
50%
44%
3%
1% 2%
n = 239
n = 239
Tracke dich glücklich! 48
Bei der Betrachtung des Alters der Teilnehmenden zeigt sich eine starke Verzerrung mit
überproportional vielen Jüngeren: Die Altersspanne reicht von 19 bis 68 Jahren, wobei
der Mittelwert bei 31 und der Median bei 25 Jahren liegt. Eine Aufteilung in Zehner-
schritten (einschließlich einer Person im Alter von 19 Jahren zu der ersten Gruppe) lässt
in Abbildung 2 erkennen, dass circa zwei Drittel der befragten Erwachsenen jünger als
30 Jahre alt sind. Dies lässt sich unter anderem auf den erwarteten hohen Anteil an Stu-
dierenden zurückführen, wozu sich die Hälfte der Teilnehmenden zuordnen lässt (Ab-
bildung 3). Mit 44% ist ebenfalls eine große Anzahl arbeitstätig, während alle anderen
Gruppen insgesamt nur etwa 6% ausmachen. Auch bei der ausschließlichen Betrachtung
der 195 Teilnehmenden, die ihre Körperdaten digital aufzeichnen, zeigt sich bei den Al-
tersgruppen und der Tätigkeit ein nahezu konformes Bild. Aussagen zur Grundgesamt-
heit der in Deutschland lebenden Erwachsenen lassen sich aufgrund der nicht repräsen-
tativen Stichprobe nicht treffen.
Der hohe Einfluss des sozialen Umfeldes der Verfassenden zeigt sich auch daran, dass
61% der Teilnehmenden angaben, über Freund:innen, Bekannte oder Verwandte über die
Befragung aufmerksam geworden zu sein. Weitere 23% nahmen über die Hochschule
beziehungsweise Universität daran teil. Themenspezifische Facebook-Gruppen spielen
mit 9% eine eher ungeordnete Rolle. Mögliche Gründe für die geringe Teilnahmebereit-
schaft über Facebook könnten sein, dass zum einen ein persönlicher Bezug zu den Ver-
fassenden der Studie beziehungsweise zu der Hochschule der Medien in Stuttgart fehlte
und zum anderen kein monetärer Anreiz, beispielsweise in Form eines Gewinnspiels,
vorlag. Darüber hinaus gaben 7% an, auf andere Weise zu der Befragung gekommen zu
sein. Genannt werden unter anderem das Arbeitsumfeld sowie Messenger-Gruppen von
Wohnheimen.
Aufgrund der verzerrten Stichprobe wird im Folgenden auf eine Auswertung der einzel-
nen Fragen nach soziodemographischen Gruppenunterschieden verzichtet.
Der erste Teil der Befragung dient dazu, einen Überblick über das Nutzungsverhalten der
Teilnehmenden in Bezug auf das digitale Aufzeichnen ihrer eigenen Körperdaten zu er-
halten. Zu den am häufigsten aufgezeichneten Aspekten (Abbildung 4) zählen die alltäg-
liche Bewegung (68%) sowie sportliche Aktivitäten (56%). Am seltensten genannt wur-
den die Ernährung (16%) sowie die Stimmung (5%).
Tracke dich glücklich! 49
Dies könnte darin begründet sein, dass Ernährung und Stimmung schwieriger erfassbar
sind und in der Regel manuell durch die Nutzenden angegeben werden müssen, wohin-
gegen die Erfassung der Bewegung (z.B. Schritte, Kilometer) meist automatisiert durch
Smartphone, Apps oder Wearables erfolgt.
Unter den Befragten gaben 18% an, keine eigenen Körperdaten digital aufzuzeichnen. Die
nun folgenden Aussagen beziehen sich ausschließlich auf diejenigen Befragten, die zum
Zeitpunkt der Teilnahme an der Befragung ihre Körperdaten digital erfasst haben.
Abbildung 5 zeigt, dass das Smartphone oder darauf installierte Apps von den meisten
(91%) für die Aufzeichnung ihrer Körperdaten genutzt werden. Ein hoher Wert war an
dieser Stelle zu erwarten, da hierzu sowohl diejenigen zählen, die direkt mit dem Smart-
phone ihre Daten erfassen (49%), als auch Nutzende anderer Geräte, die zur Darstellung
der erfassten Daten an eine Smartphone-App geknüpft sind (42%).
68%
56%
33%
32%
31%
29%
26%
16%
5%
1%
18%
Welche der folgenden Aspekte zeichnen Sie digital auf? Bitte geben Sie alle Aspekte an,
die Sie aktiv oder im Hintergrund mit ihrem Gerät bzw. Ihrer App erfassen.
n = 239
Mehrfachantworten möglich
Tracke dich glücklich! 50
Ein Drittel gab an, eine Smartwatch zu verwenden, 18% nutzen Aktivitätstracker. Dies
deckt sich mit den Aussagen Richters, dass bei Wearables insbesondere Smartwatches
zunehmend an Beliebtheit gewinnen, jedoch bei weitem noch nicht den Stellenwert von
Smartphones einnehmen würden.
175
Gestützt wird diese Aussage durch eine Studie zur
Nutzung von Smartwatches und Fitnesstrackern in Deutschland unter Trackenden und
Nicht-Trackenden ab 18 Jahren, wovon 16% angaben, ein solches Gerät zu nutzen, Ten-
denz steigend.
176
Weitere Geräte wie eine digitale Körperfettwaage (8%) oder eine digitale
Zahnbürste (eine Nennung) werden von einer Minderheit der Befragten genutzt.
Bei der Betrachtung der Zeitdauer, seit wann die eigenen Körperdaten digital erfasst wer-
den, zeigt sich, dass die meisten Befragten dies bereits über einen längeren Zeitraum
praktizieren. So erfasst knapp die Hälfte der Befragten seit einem bis drei Jahren digital
die eigenen Körperdaten, knapp ein Drittel trackt seit mindestens drei Jahren (Abbil-
dung 6). Seit weniger als einem Jahr erfolgt die Aufzeichnung der Körperdaten bei etwa
jeder oder jedem fünften Befragten.
Hervorzuheben ist an dieser Stelle auch, dass knapp zwei Drittel der Befragten in der
Regel dauerhaft ihre Daten aufzeichnen (Abbildung 7). Dies lässt sich zum einen dadurch
175
Vgl. Richter 2019.
176
Vgl. Evers und Tröster 2021, S. 4.
49%
33%
18%
8%
2%
21% 47% 20% 12%
< 1 Jahr 1 Jahr < 3 Jahre 3 Jahre < 5 Jahre > 5 Jahre
Welche Geräte nutzen Sie, um Ihre Körperdaten aufzuzeichnen?
n = 195
Mehrfachantworten möglich
91%
ausschließlich Smartphone
Wie lange erfassen Sie bereits Ihre Körperdaten mittels digitaler Geräte?
n = 195
Tracke dich glücklich! 51
begründen, dass das Smartphone als ständige Begleitung stets mitgeführt wird und da-
rauf installierte Fitness-Apps in der Regel im Hintergrund dauerhaft Daten, beispiels-
weise Schritte, erfassen. Hinzu kommt, dass Aktivitätstracker und Smartwatches meist
einen hohen Tragekomfort bieten und wasserdicht sind, sodass ein Abnehmen des Ge-
rätes herstellerseitig oft nur zum Aufladen beziehungsweise Auswechseln der Batterien
erforderlich ist. Dies ermöglicht ein automatisiertes umfassendes Tracking der Bewe-
gung, des Schlafes und weiterer Körperdaten.
Daneben aktiviert circa die Hälfte der Befragten die Aufzeichnung regelmäßig bei sportlicher
Betätigung. Im Unterschied zur dauerhaften Aufzeichnung kann hier davon ausgegangen wer-
den, dass die Datenerfassung aktiv und nicht nur im Hintergrund erfolgt. Noch höher ist der
Aufwand für die Nutzenden bei der manuellen Dateneingabe, beispielweise von aufgenomme-
nen Kalorien, der Stimmung oder dem Körpergewicht bei Verwendung einer klassischen
Waage. Hier gaben 32% an, dass zu ihrem typischen Aufzeichnungsverhalten die manuelle
Eingabe von Daten zählt. Eine gelegentliche Aufzeichnung findet bei knapp jeder oder jedem
fünften Befragten statt.
64%
51%
32%
19%
2%
Es gibt verschiedene Arten, wie der eigene körperliche Zustand dokumentiert werden
kann. Welche der folgenden Aussage(n) spiegeln Ihr typisches Verhalten wider?
n = 195
Mehrfachantworten möglich
Tracke dich glücklich! 52
Bei der Mehrheit der Befragten hat sich das Nutzungsinteresse seit Beginn der digitalen
Aufzeichnung ihrer eigenen Körperdaten verändert. Es ist bei 48% gestiegen, bei 17% ge-
sunken (Abbildung 8). Wird die Veränderung des Interesses je nach Nutzungsdauer be-
trachtet, so zeigt sich eine deutliche Abweichung bei denjenigen, die ihre Daten seit mehr
als fünf Jahren aufzeichnen. Hier gaben 74% an, dass ihr Interesse leicht oder stark ge-
stiegen sei. Ein möglicher Grund hierfür könnte eine Verbesserung der technischen
Möglichkeiten zur Aufzeichnung der Daten sein, beispielsweise durch die Anschaffung
einer Smartwatch mit größerem Funktionsumfang. Jedoch ist die Aussagekraft be-
grenzt, da diese Teilgruppe lediglich 23 Nutzer:innen umfasst.
Im Folgenden werden die weiteren Befragungsergebnisse im Kontext der zu Beginn von
Kapitel 3 aufgestellten Hypothesen (H) ausgewertet. Zunächst wird Hypothese H1 ge-
prüft, welche annimmt, dass die Verbesserung der Fitness und Gesundheit, ein besseres
Verständnis für den eigenen Körper und Neugierde die drei Hauptmotive für das Auf-
zeichnen eigener Körperdaten darstellen. Dazu wird die Frage F6 betrachtet, welche in
Form einer vierstufigen Likert-Skala die Motive für das Aufzeichnen eigener Körperda-
ten erfasst.
12%
12%
9%
8%
30%
36%
32%
36%
35%
44%
35%
34%
39%
40%
17%
14%
17%
13%
15%
9%
3%
5%
3%
2%
stark gestiegen leicht gestiegen konstant geblieben
leicht gesunken stark gesunken
Wenn Sie einmal zurückdenken: Wie hat sich Ihr Interesse am Aufzeichnen Ihrer Kör-
perdaten seit Beginn der Nutzung verändert?
n = 195
n = 41
n = 91
n = 40
n = 23
Tracke dich glücklich! 53
Zu den Top-3-Gründen, warum die Befragten eigene Körperdaten digital erfassen, zählen
das Erhalten eines Überblicks über die eigenen Aktivitäten, Neugierde und etwas für die
eigene Gesundheit zu tun (Abbildung 9). Beim Aktivitätenüberblick stimmten neun von
zehn Befragten eher oder voll und ganz zu, dass dieser ein Grund für die Erfassung der
eigenen Daten darstelle. Nach dem bereits in Kapitel 2.3 erwähnten Fünf-Faktoren-
Framework von Gimpel, Nißen und Görlitz lässt sich dieser Aspekt dem Design des ei-
genen Selbst zuordnen.
177
Die graphische Darstellung der eigenen Aktivitäten, welche in
der Regel automatisiert durch die genutzte App auf dem Smartphone erstellt wird, er-
möglicht eine Kontrolle und Verbesserung des eigenen Verhaltens. Dieses umfasst so-
wohl gesundheitliche als auch sportliche Aspekte. Jedoch lässt sich dies nicht mit ei-
nem besseren Verständnis des eigenen Körpers gleichsetzen, das an sechster Stelle der
Nutzungsmotive mit 68% Zustimmung aufgeführt wird. Es geht stärker darum, Geleiste-
tes zu dokumentieren und sich selbst zu überbieten als darum, ein besseres Verständnis
für den eigenen Körper zu entwickeln.
Neugierde steht mit 83% Zustimmung an zweiter Stelle der Nutzungsmotive. Die Neu-
gierde gilt dabei weniger der Technologie selbst, was aus der vergleichsweise geringen
Zustimmung des Technologieinteresses von 42% der Befragten hervorgeht. Es ist anzu-
nehmen, dass die Neugierde auf das eigene Verhalten bezogen ist. Hier könnten Antwor-
ten auf folgende Fragen im Mittelpunkt stehen:
Wie schnell und weit bin ich gelaufen?
177
Vgl. Gimpel, Nißen und Görlitz 2013.
53%
41%
34%
33%
33%
23%
13%
13%
37%
42%
47%
41%
39%
45%
29%
20%
4%
12%
11%
15%
17%
25%
33%
29%
6%
5%
8%
11%
11%
7%
25%
38%
stimme voll und ganz zu stimme eher zu
stimme eher nicht zu stimme überhaupt nicht zu
Aus welchen Gründen erfassen Sie Ihre Körperdaten? Bitte geben Sie zu jedem Aspekt
Ihre Zustimmung auf einer Skala von „stimme voll und ganz zu“ bis „stimme überhaupt
nicht zu“ an. Ich erfasse meine Körperdaten, …
n = 195
Tracke dich glücklich! 54
Wie viele Schritte habe ich heute, wie viele diesen Monat zurückgelegt? Wie viele Kalo-
rien habe ich beim letzten Training verbraucht?
Am seltensten genannt wurde der Vergleich mit anderen. Nur ein Drittel führte dies als
Motivationsgrund für die Aufzeichnung an. Wie auch eine Probandin in der offenen
Frage nach weiteren Gründen angab, stehe die persönliche Leistung eher im Fokus als
der Vergleich mit anderen Personen:
„Es motiviert mich nicht in dieser Hinsicht mich mit anderen zu verglei-
chen, sondern es motiviert mich zu sehen, wie ich mich selber übertreffe.“
(F6b)
Daneben wurde bei den insgesamt 26 offenen Meldungen zu weiteren Gründen unter
anderem aufgeführt, einen Überblick über den Menstruationszyklus zu erhalten (6 Nen-
nungen), Gewichtsverlust (3 Nennungen) sowie die Tatsache, dass diese Daten automa-
tisch durch das digitale Endgerät erfasst würden (3 Nennungen).
Die Erkenntnisse aus der Befragung führen zu einer teilweisen Bestätigung der Hypo-
these H1. Neugierde und die Verbesserung von Gesundheit und Fitness gehören zu den
relevantesten Nutzungsmotiven, was sich auch mit bisherigen Erkenntnissen früherer
Studien deckt.
178
Jedoch nimmt für die Befragten der Überblick über die eigenen Aktivi-
täten einen höheren Stellenwert als das Verständnis des eigenen Körpers ein.
Bevor die Überprüfung der zweiten Hypothese erfolgt, soll an dieser Stelle beleuchtet
werden, aus welchen Gründen Personen ihre Körperdaten nicht oder nicht mehr auf-
zeichnen. Obwohl es sich bei dieser offenen Frage (F2) um keine Pflichtfrage handelte,
gaben alle 44 nicht-trackenden Befragten eine Antwort an. Diese wurden zu Kategorien
zusammengefasst. Die am häufigsten genannten Gründe sind, dass allgemein kein Inte-
resse beziehungsweise Bedarf besteht (21 Nennungen), das Verlassen auf das eigene
Körpergefühl (13 Nennungen), Datenschutzbedenken (7 Nennungen), Stressfaktor (6
Nennungen), mangelnde technische Möglichkeiten (4 Nennungen) sowie eine für nicht
sinnvoll erachtete ständige Selbstoptimierung (3 Nennungen).
Anhand der Ergebnisse der Frage F13 soll H2 überprüft werden, welche besagt, dass das
Aufzeichnen der eigenen Körperdaten als positiver Beitrag zum Leben empfunden wird.
178
Vgl. Richter 2019.
Tracke dich glücklich! 55
Aus Abbildung 10 lässt sich ablesen, dass bei etwa der Hälfte der Befragten das Tracking
weder zu einer Verbesserung noch zu einer Verschlechterung des Lebens beigetragen
hat. Doch beinahe alle anderen (48%) gaben an, dass sich ihr Leben etwas oder sogar sehr
verbessert habe. Nur bei einem Prozent führte das Tracking zu einer leichten Ver-
schlechterung des Lebens. Eine Probandin, die eine leichte Verschlechterung des eige-
nen Lebens verzeichnete, gab am Ende der Befragung (F18) zu Bedenken, dass sich Kör-
perdaten neben motivierendem Einfluss auch negativ auf die Psyche auswirken oder zu
zwanghaftem Verhalten führen können. Jedoch gab keine:r der Proband:innen an, das
eigene Leben habe sich durch das Tracking sehr verschlechtert. Dies spricht für einen
insgesamt eher positiven Einfluss des Trackings und damit einer Bestätigung der Hypo-
these H2.
Dennoch muss bedacht werden, dass die Antworten ausschließlich von Personen stam-
men, die zur Zeit der Befragung ihre Daten aufgezeichnet haben. Aus der Grafik kann
daher nicht geschlossen werden, dass sich das Tracking überhaupt nicht negativ aus-
wirkt, denn gegebenenfalls haben diejenigen, die eine Verschlechterung wahrgenom-
men haben, beispielsweise durch persönlichen Druck oder in Form zwanghaften Ver-
haltens, genau aus dem Grund wieder mit dem Tracking aufgehört. Es bedarf an dieser
Stelle weiterführender Forschung, die die Sichtweise von Personen, die nicht oder nicht
mehr tracken, stärker fokussiert.
Die dritte Hypothese nimmt an, dass das Erreichen von Zielen durch das Aufzeichnen
der eigenen Körperdaten zu einer Steigerung der Zufriedenheit führt.
Zur Beantwortung der Hypothese wird zunächst Abbildung 11 betrachtet, welche dar-
stellt, inwiefern verschiedene Aspekte des Self-Trackings die Befragten zufrieden bezie-
hungsweise unzufrieden stimmen. Die positivste Wirkung auf die Zufriedenheit wird
durch den Ansporn zur Zielerreichung erlangt. 74% der Befragten gaben an, dass es sie
eher oder sehr zufrieden stimme, dass sie die Erfassung der eigenen Körperdaten zur
Erreichung von Zielen anspornt. 3% stimmt dieser Aspekt eher unzufrieden. Hierbei
8% 40% 51% 1%
sehr verbessert etwas verbessert weder noch etwas verschlechtert
Würden Sie sagen, die digitale Aufzeichnung Ihrer Körperdaten hat zu einer Verbesse-
rung Ihres Lebens beigetragen?
n = 195
Tracke dich glücklich! 56
könnten mögliche Gründe ein aus den Zielen resultierender Druck oder eine Unzufrie-
denheit durch die Nichterreichung von Zielen sein. Daneben gaben sechs von zehn Be-
fragten an, dass es sie sehr oder eher zufrieden stimme, durch das Tracking immer wie-
der neue Ziele zu erhalten.
Als Beispiel kann das tägliche Schrittziel aufgeführt werden. Häufig wird in Form eines
Balkens oder Ringes auf dem Wearable oder in der App dargestellt, wie viele Schritte für
das heutige Ziel noch fehlen. Wurde das Ziel erreicht, äußert sich dies beispielsweise bei
dem Fitnesstracker ‚Vivofit 4‘
179
des Herstellers Garmin visuell durch ein auf dem Display
dargestelltes Feuerwerk, was einen motivierenden Einfluss haben könnte. Passend
hierzu ist die Aussage einer Probandin bei der offenen Frage zu weiteren Gründen für
die Aufzeichnung der Körperdaten:
179
Garmin o.J.
26%
23%
14%
9%
7%
7%
3%
3%
48%
50%
46%
26%
20%
17%
12%
7%
7%
16%
15%
21%
22%
16%
25%
9%
3%
3%
1%
5%
2%
9%
21%
3%
1%
2%
3%
5%
3%
16%
8%
23%
39%
48%
48%
34%
75%
stimmt mich sehr zufrieden stimmt mich eher zufrieden
stimmt mich weder zufrieden noch unzufrieden stimmt mich eher unzufrieden
stimmt mich sehr unzufrieden trifft nicht zu
Bitte geben Sie zu jedem Aspekt an, inwiefern Sie dieser zufrieden oder unzufrieden
stimmt. Bei Aspekten, die für Sie persönlich nicht zutreffen, geben Sie bitte „trifft nicht
zu“ an.
Die Erfassung meiner Körperdaten…
n = 195
Tracke dich glücklich! 57
„Wenn die Uhr zu wenig z.B. Schritte anzeigt, ist es auch eine Herausforde-
rung den Ring noch zu schließen.“ (F6b)
Ebenfalls als visueller Anreiz, jedoch mit 27% positiver Auswirkung auf die Zufrieden-
heit von geringerer Relevanz für die Befragten, gelten Abzeichen oder Punkte, die inner-
halb von Apps für das Erreichen bestimmter Ziele gesammelt werden können. Daraus,
dass knapp die Hälfte der Befragten angab, dieser Aspekt treffe nicht auf sie zu, lässt sich
schließen, dass viele der verwendeten Tracking-Technologien diese Funktion entweder
nicht beinhalten oder diese von den Trackenden nicht bewusst wahrgenommen wird.
Es ist an dieser Stelle anzumerken, dass bei der Formulierung der Frage F12 absichtlich
das Wort ‚Zufriedenheit‘ anstatt ‚Glück‘ gewählt wurde, da Glück stets subjektiv und da-
her schwer in Zahlen ausdrückbar ist. Ähnlich dem bereits unter 2.1 erwähnten, jährlich
erscheinenden World Happiness Report
180
sollen die bei F12 abgefragten Items der Quan-
tifizierung dienen, um mögliche Einflüsse auf das persönliche Glücksempfinden durch
das Tracking abzubilden. Bezogen auf die drei Aspekte, die den höchsten positiven Ein-
fluss auf die Zufriedenheit der Befragten ausüben – Ansporn zur Zielerreichung, Aus-
kunft über den Körperzustand und Aufzeigen neuer Ziele – kann Glück hier im Sinne
der Selbstoptimierung verstanden werden: Mich macht das zufriedener, was mich be-
ziehungsweise meinen Körper messbar weiterbringt.
Die hierfür verwendeten Technologien weisen jedoch auch negative Auswirkungen auf.
So gab mehr als ein Viertel der Befragten an, dass es sie sehr oder eher unzufrieden
stimme, aufgrund des Trackings mehr Zeit mit technischen Geräten zu verbringen, wäh-
rend nur 15% diesen Aspekt positiv bewerteten. Ob die Proband:innen durch die häufige
Nutzung ihrer Tracking-Technologien auch die bereits erwähnte von Lovink bezeich-
nete Digital Sadness
181
erfahren (siehe 2.1), lässt sich aus den Antworten nicht schließen.
Zumal nicht außer Acht gelassen werden sollte, dass die Mehrheit der Befragten keinen
erhöhten Zeitaufwand verzeichnet beziehungsweise durch diesen keine Auswirkungen
auf die eigene Zufriedenheit verspürt.
Im Hinblick auf die Beantwortung der Hypothese lässt sich sagen, dass sich durch das
Tracking aufgezeigte Ziele sowie der Ansporn zur Erreichung dieser bei der Mehrheit
der Befragten positiv auf die Zufriedenheit auswirken. Daraus lässt sich schließen, dass
auch das tatsächliche Erreichen dieser Ziele einen positiven Einfluss auf die Zufrieden-
heit von Trackenden hat, womit Hypothese H3 bestätigt werden kann.
180
Vgl. Helliwell, John F. et al. 2020.
181
Lovink 2019.
Tracke dich glücklich! 58
Auf den sozialen Aspekt soll anhand der Überprüfung von Hypothese H4 eingegangen
werden. Diese besagt, dass den Praktiken des Vergleichens und Teilens der Körperdaten
mit dem sozialen Umfeld ein hoher Stellenwert zugemessen wird.
Zunächst wird erneut Abbildung 11 betrachtet. Die Anregung zum Austausch mit ande-
ren stimmt 35% der Befragten sehr oder eher zufrieden. Gleichzeitig gaben 39% an, dass
dieser Aspekt nicht auf sie persönlich zutreffe. Das könnte darauf hinweisen, dass Tra-
cking-Applikationen zwar häufig eine Funktion zum Austausch mit Freundinnen und
Freunden, Communities oder das Verbinden mit einem sozialen Netzwerk anbieten,
diese Funktionen aber nicht von allen Nutzenden bewusst wahrgenommen werden. Der
zweite für H4 relevante Aspekt aus der Zufriedenheitsfrage (F12) betrifft den Ansporn
zum Vergleich mit anderen. 24% gaben an, dass sie dieser sehr oder eher zufrieden
stimme. Eine Probandin, die angab, dass sie sowohl der Austausch als auch der Ver-
gleich mit anderen sehr zufrieden stimme, führte einige positive soziale Gesichtspunkte
bei der offenen Frage zu weiteren Gründen für die Aufzeichnung ihrer Daten an:
„Mein Trainer betreut mich virtuell, indem er über die Freundefunktion
meine Daten […] einsieht und auswertet. […] Desweiteren [sic!] nutze ich die
Challenges meiner Fitness-App, weil ich den Anspornfaktor aus der ‚Gami-
fication‘ […] gerne mag, seitdem wir uns in der Pandemie befinden und
Lauftreffs und persönliche Treffen schwieriger sind. Durch diese Funktio-
nen […] konnte [ich] neue Freundschaften über den Sport finden.“
(F6b)
Auf der anderen Seite gab bei F12 knapp die Hälfte der Befragten an, dass ein Ansporn
zum Vergleich nicht auf sie zutreffe. Interessant ist auch, dass bei insgesamt 12% der
Vergleich mit anderen Unzufriedenheit auslöst. Während einige wie die zitierte Proban-
din darin einen positiven Ansporn sehen, kann der soziale Druck auf andere belastend
wirken.
Dies wird auch bei dem Motivationsfaktor ‚Vergleich mit anderen‘ (F6) deutlich, der mit
zwei Drittel Ablehnung an letzter Stelle der acht zur Auswahl aufgeführten Gründe, wa-
rum die eigenen Körperdaten digital aufgezeichnet werden, liegt. Wie bereits bei den
Motiven zur Aufzeichnung erwähnt, liegt bei der Mehrheit der Fokus auf den eigenen
Aktivitäten, der Gesundheit und Fitness. Das Tracking gibt Nutzenden „Motivation für
[s]ich selbst“ (F6b). Da auf die Mehrheit der Befragten die Anregung zum Austausch so-
wie der Vergleich mit anderen nicht zutreffen oder keine Auswirkung auf die Zufrieden-
heit haben, ist deren Stellenwert als eher gering einzuschätzen.
Tracke dich glücklich! 59
Des Weiteren lässt sich aus Abbildung 12 ableiten, dass auch das Teilen mit anderen
beim Tracking einen niedrigeren Stellenwert aufweist als zunächst angenommen. Nur
etwa ein Drittel teilt die eigenen Körperdaten mit anderen. 65% der Befragten gaben an,
mit niemandem ihre eigenen Körperdaten zu teilen (F9), während in der vorangegange-
nen Frage (F8) 70% angaben, über keinen Kanal ihre Daten zu teilen. Diese Abweichung
um 5% lässt sich vermutlich darauf zurückführen, dass einige ihre Daten zwar nicht über
digitale Kanäle, aber beispielsweise mündlich mit anderen teilen.
Zusammenfassend wird deutlich, dass der Fokus stärker auf sich selbst als auf einem
Gemeinschaftsgefühl liegt. Somit lässt sich ein Großteil der Befragten dem in Kapitel 2.2
2.2nach Lupton definiertem Nutzungstyp des Private Self-Trackings zuordnen, bei wel-
chem die Daten vorwiegend für den privaten Gebrauch erhoben werden.
182
Basierend auf
diesen Erkenntnissen kann H4 nicht bestätigt werden.
Hypothese H5 thematisiert den Datenschutz. Sie nimmt an, dass ein geringes Bewusst-
sein darüber herrscht, auf welche Weise und in welchem Umfang Unternehmen digital
aufgezeichnete Körperdaten weiterverarbeiten.
182
Vgl. Lupton 2016a, S. 105.
16%
14%
5%
0%
3%
70%
Über welche Kanäle teilen Sie Ihre Körperdaten?
n = 195
Mehrfachantworten möglich
Und mit wem teilen Sie Ihre Körperdaten?
30%
9%
4%
3%
2%
65%
Tracke dich glücklich! 60
In der Befragung zielte F11 darauf ab, das Informationsverhalten bezüglich der Weiter-
verarbeitung ihrer Daten bei Nutzenden von Tracking-Technologien zu untersuchen.
Dazu zählen unter anderem das Lesen der Datenschutzerklärung oder der Allgemeinen
Geschäftsbedingungen (AGB) der verwendeten Apps sowie das Überprüfen der Daten-
schutzeinstellungen. Aus Abbildung 13 lässt sich ablesen, dass der Anteil derer, die an-
gaben, sich ausführlich informiert zu haben, lediglich 5% beträgt. Weitere 34% haben sich
teilweise informiert, wohingegen sich mehr als die Hälfte der Befragten nicht darüber
informiert hat.
Dass Lizenzvereinbarungen in der Regel mit einem Klick akzeptiert werden, ohne einen
Blick darauf zu werfen, wofür die Zustimmung erteilt wird, zeigte bereits 2014 die IT-
Firma F-Secure in einem Experiment.
183
Sie bot in der Londoner Innenstadt gegen Ak-
zeptanz der AGB einen kostenlosen WLAN-Zugang an. Ohne die Bedingungen zu hinter-
fragen, akzeptierten die Nutzenden auch eine enthaltene „Herodes-Klausel“ und ver-
pflichteten sich damit, ihr Erstgeborenes an das Unternehmen abzutreten. Auch wenn
die Klausel rechtlich im Ernstfall keinen Bestand hätte, dient sie als gutes Beispiel für
ein geringes Informationsinteresse der Nutzenden und dem in 2.4 beschriebenen ‚pri-
vacy cynicism‘. Als Grund hierfür kann zum einen der zeitliche Aufwand für das Lesen
der häufig komplexen und umfangsreichen Nutzungsbedingungen angeführt werden.
So errechneten zwei Wissenschaftler der Carnegie Mellon University im Jahre 2008 ba-
sierend auf Annahmen zur durchschnittlichen Internetnutzung in den USA, dass jede
Person jährlich 76 Tage aufwenden müsste, um alle AGB und Datenschutzerklärungen
zu lesen, die ihr innerhalb des Jahres im Internet begegnen.
184
Ein weiterer Grund könnte
das Argument sein, man habe nichts zu verbergen, welches dem Nutzenden als Ausrede
dient, sich nicht weiter mit dem Thema auseinanderzusetzen. Edward Snowden ent-
kräftigte dieses Argument folgenderweise:
183
Vgl. Nocun 2018a, S. 147.
184
Vgl. Madrigal 2012.
5% 34% 54% 7%
ja, ausführlich ja, teilweise nein, nicht informiert bin mir nicht sicher
Bei der digitalen Erfassung von Körperdaten werden unter Umständen Informationen an
die Anbieter von Apps und Geräten übertragen. Haben Sie sich darüber informiert, inwie-
fern Ihre Informationen weiterverarbeitet werden?
n = 195
Tracke dich glücklich! 61
„Zu argumentieren, dass man sich nicht um das Re