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Grenzen der Menschenrechte: Staatsbürgerschaft, Zugehörigkeit, Partizipation

Authors:
Franziska Martinsen
Grenzen der Menschenrechte
Edition Politik | Band 75
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* * *
Franziska Martinsen (PD Dr.) ist Privatdozentin an der Leibniz Universität Hanno-
ver und forscht und lehrt als Gast- und Vertretungsprofessorin für Politische Theorie
und Ideengeschichte an verschiedenen Universitäten im In- und Ausland. Ihre For-
schungsgebiete umfassen u.a. Politische Philosophie, Politische Theorie und Ideen-
geschichte und Geschlechterstudien.
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Grenzen der Menschenrechte
Staatsbürgerschaft, Zugehörigkeit, Partizipation
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Inhalt
1 Einleitung | 7
2 Menschenrechte Kanon und Kontestation | 27
2.1 Das Versprechen der Menschenrechte | 30
2.2 Menschenrechte in der Ideengeschichte | 41
2.3 Warum Kritik? | 54
3 Konturen und Gehalte von Menschenrechten | 73
3.1 Menschenrechtsbestimmungen: zur gegenwärtigen Kontroverse | 75
3.2 Menschenrechte als subjektive/fundamentale/egalitäre/
universale Rechte | 88
3.3 Menschen- versus Bürger_innenrechte | 98
4 Kritische Perspektiven | 111
4.1 Gesellschaftstheoretische Kritik am Begriff des Individuums | 115
4.2 Feministische Kritik am Begriff der Autonomie | 125
4.3 Postkoloniale Kritik am Begriff des Universalismus | 137
5 Grenzen der Menschenrechte | 149
5.1 Staatsbürgerschaft | 152
5.2 Soziale Zugehörigkeit | 165
5.3 Politische Partizipation | 179
6 Aporie versus Aspiration | 195
6.1 Menschenrechte und (globale) Demokratie | 198
6.2 Weltweite Bürger_innenrechte | 214
6.3 Ein Menschenrecht auf Demokratie aber wie? | 232
7 Ausblick | 257
Literaturverzeichnis | 269
Danksagung | 307
Angaben zur Autorin | 309
1 Einleitung
„To question human rights is not to side with the
inhuman, the anti-human and evil.“
(Kapur 2006: 683)
Im Dezember 2018 feierte die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
(AEMR)1 ihren 70. Geburtstag. Sie umfasst bekanntlich einen Katalog von 30
Artikeln, in denen diejenigen Menschenrechte aufgezählt werden, auf die sich
die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 1948 verständigt hat.
Als Resolution stellt sie ein historisch-politisches Dokument dar. Die Idee der
Menschenrechte, die sich in diesem Text manifestiert, ist älter als 70 Jahre, sie
reicht bis zu den naturrechtlichen Diskursen des 17. und 18. Jahrhunderts zurück
keinesfalls jedoch sind Menschenrechte eine überzeitliche Idee. Wie ich im
Folgenden zeigen werde, ist das spezifisch moderne, eurozentrische Verständnis
der Menschenrechte in politikphilosophischer und demokratietheoretischer Hin-
sicht als ein kontroverses Konzept zu begreifen. Anders als es die als Errungen-
schaft gewertete Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948) suggeriert,
sind weder die begrifflichen Konturen noch der normative Stellenwert und die
politische Bedeutung der Idee der Menschenrechte unstrittig. Die Menschen-
rechtsidee birgt begriffliche Ambivalenzen und Paradoxien, die ich in meiner
Studie näher beleuchten und hinsichtlich der Probleme ihrer praktischen Gestal-
tung diskutieren werde. Dabei ist eine schlicht anmutende Frage, die Cornelia
Vismann in einem Aufsatz der 1990er Jahre formuliert, ausschlaggebend für die
vorliegende Untersuchung: „Wie müssen Menschenrechte gegenwärtig interpre-
tiert werden, damit sie als gerecht gelten können?“ (Vismann 1996: 321) Unge-
achtet des verhaltenen, akademischen Tonfalls handelt es sich hierbei um eine
radikal fordernde Frage, denn die Menschenrechte beanspruchen in ihrem Kern-
1 A/RES/217 A (III), auf Deutsch verfügbar unter: www.un.org/depts/german/mensche
nrechte/aemr.pdf (24.11.2018).
8 | Grenzen der Menschenrechte
gehalt, jedem einzelnen Menschen Gerechtigkeit zu garantieren. Gerechtigkeit
soll im Folgenden, und dies ist gleich zu Beginn der vorliegenden Studie klarzu-
stellen, nicht als moraltheoretische Norm, sondern als ein je zu verhandelndes
Maß einer normativen Theorie des Politischen verstanden werden.
Eine normative Theorie des Politischen geht von zwei grundlegenden An-
nahmen aus: Erstens wird angenommen, dass Politik dann als gerecht bezeichnet
werden kann, wenn jedem Individuum ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben
in Freiheit zukommt. Individuelle Selbstbestimmung ist dabei als etwas aufzu-
fassen, das über den Bereich des privaten menschlichen Lebens hinausgeht. So-
mit besteht ein enger begrifflicher Zusammenhang zwischen privater und politi-
scher Autonomie.2 Eine Konzeption gerechter Politik misst dem Recht auf indi-
viduelle Mitbestimmung in allen die Gemeinschaft mit anderen betreffenden Be-
langen besondere Bedeutung bei: Anders könnte die Möglichkeit eines jeden In-
dividuums, an der Gestaltung der institutionellen und strukturellen und das
heißt: politischen Bedingungen selbstbestimmten Lebens teilzuhaben, nicht
gewährleistet werden.3 Zweitens reflektiert eine normative Theorie des Politi-
2 Im folgenden Argumentationsgang meiner Studie werde ich zeigen, dass ich der
schematischen Aufteilung zwischen Menschenrechten als Rechten in Bezug auf die
private Autonomie und Bürger_innenrechten als Rechten in Bezug auf die öffentliche
Autonomie, wie sie u.a. prominent von Jürgen Habermas vorgeschlagen wird, um sie
dann in der sogenannten Gleichursprünglichkeitsthese für den demokratischen Rechts-
staat in Übereinstimmung zu bringen (vgl. Habermas 1994: 151ff.), in zwei wesentli-
chen Hinsichten widerspreche. Zum einen zielen meine Ausführungen darauf ab, poli-
tische Autonomie nicht ausschließlich auf den Bereich einer begrenzten Gemeinschaft
zu beschränken. Zum anderen sehe ich in der Trennung einer Sphäre privater von ei-
ner Sphäre politischer Autonomie die Gefahr einer bestimmten Ausblendung struktu-
reller Zusammenhänge, die von gesellschaftstheoretischen, feministischen und postko-
lonialistischen Theorieansätzen kritisiert wird. Ausführlicher werden die entsprechen-
den Argumente in den Teilkapiteln 3.3, 4.1-4.3 sowie 5.1-5.3 behandelt.
3 Umgekehrt muss daher eine normative Konzeption des guten menschlichen Lebens
die Möglichkeit zur politischen Mitbestimmung enthalten. Mit normativer Konzeption
guten menschlichen Lebens ist nicht die ethische Konzeption eines guten Lebens ge-
meint, wie sie etwa in neo-aristotelischen Ansätzen behandelt wird, sondern eine
Konzeption guten menschlichen Lebens, die der politischen Dimension individueller
Lebensgestaltung im Sinne eines persönlichen Ermächtigungspotentials zum gemein-
samen Handeln in Freiheit eine besondere Bedeutung zumisst (vgl. u.a. Arendt 1963;
Gould 2013). Auch wenn Martha Nussbaum für ihre eigene sozialdemokratisch-aris-
totelische Variante einer eudaimonistischen Theorie reklamiert, dass diese der politi-
Einleitung | 9
schen das Verhältnis zwischen Individuen und Formen der politischen Gemein-
schaft unter Rückgriff auf gesellschaftstheoretisch informierte Verständnisse
zwischenmenschlicher Interaktion sowie der damit verbundenen Institutionen
und betrachtet somit Kollektive wie z.B. politische Gemeinschaften nicht als den
Individuen vorgängige Entitäten. Das wiederum bedeutet, dass eine entspre-
chende normative Theorie des Politischen den Fokus stärker auf zu eröffnende
Freiheitsräume in und durch politische Handlungen und daraus entstehende Dy-
namiken, Prozesse und Strukturen richtet und weniger auf Details des Institutio-
nendesigns von Herrschafts- und Regierungsformen. Wenn es im Folgenden um
eine überzeugende Lesart des Verhältnisses von Menschenrechten und politi-
scher Partizipation unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit geht, dann richtet
sich mein Fokus in erster Linie auf das Ermächtigungspotential für Individuen,
das aus einer spezifischen Ausgestaltung der Menschenrechte als politische Teil-
haberechte resultieren könnte. Dieses Potential zur politischen Subjektivation
benennt Jacques Rancière als demokratischen Prozess, der
Handlungen von Subjekten [bezeichnet], die auf das Intervall zwischen den Identitäten
einwirken und so die Aufteilungen von Privatem und Öffentlichem, Universalem und Par-
tikularem verändern. Die Demokratie kann somit nicht einfach als Herrschaft des Univer-
salen über das Partikulare verstanden werden. (Rancière 2011b: 75)
Was Rancière hier mit „Demokratie“ anspricht, bezeichnet das, was ich im Fol-
genden darlegen möchte: Die bestehende globale Menschenrechtssemantik soll
als Feld der politischen Auseinandersetzung über mögliche Gehalte der Men-
schenrechte begriffen werden. Durch diese politischen Akte vermögen Men-
schenrechte als Motor für politische Ermächtigungshandlungen zu fungieren.
Mit Rancière kann ‚Demokratie‘ als eine spezifische Praxis der Partizipation
aufgefasst werden, in deren Vollzug Logiken und Bedeutungsmuster bestehender
Herrschafts- und Regierungsstrukturen durchbrochen und neu definiert werden,
sofern Individuen bereit sind, sich selbst als handelnde Akteur_innen zu begrei-
fen und einen politischen Raum zu eröffnen.
schen Dimension menschlichen Lebens einen großen Stellenwert einräume, verblei-
ben ihre Aussagen zur Rolle politischer Mitbestimmung innerhalb ihres zweistufigen
Modells einer Theorie der Gerechtigkeit m.E. insgesamt zu vage nicht zuletzt
dadurch, dass sie ihren Ansatz vom Diskurs über ‚Rechte‘ explizit unterscheidet und
durch eine Terminologie der Fähigkeiten ersetzt (vgl. exemplarisch Nussbaum 1993:
228ff.).
10 | Grenz en de r Mensche nrechte
Demokratie ist nicht zu verwechseln mit einem pauschalen Herrschaftsmo-
dus, der Universalnormen z.B. dieMenschenrechte über die Artikulation
von Dissens hinweg festschreibt. In diesem Sinne kann bereits die Frage nach
der ‚Gerechtigkeit der Menschenrechte‘ als Durchbrechung der Ordnung des be-
stehenden Katalogs der Menschenrechte, wie er sich derzeit in der Allgemeinen
Erklärung der Menschenrechte (AEMR) aus dem Jahre 1948 niederschlägt, ge-
lesen werden; vorausgesetzt, wie gesagt, die Befragung des Katalogs findet ihren
Widerhall in der öffentlichen Debatte und bleibt nicht bloß Gegenstand akade-
mischer Überlegungen.
Die vorliegende Studie versteht sich daher als Beitrag einer im Bestehen be-
griffenen Auseinandersetzung über eine neue Auslotung des Verhältnisses von
Menschenrechten und politischer Partizipation. Indem nämlich danach gefragt
wird, welchen Stellenwert der 1948er-Menschenrechtskatalog der politischen
Mitbestimmung des Individuums einräumt, wird nicht nur das bestehende Set an
derzeit gültigen Menschenrechtsartikeln genauer unter die Lupe genommen.
Vielmehr wird die Diskussion darüber eröffnet, inwieweit die hierin enthaltenen
Normen eventuell revidiert bzw. re-formuliert werden müssten, um bestimmten
politischen Ansprüchen der (Selbst-)Ermächtigung von Individuen gerecht wer-
den zu können. Im Unterschied zu einem moraltheoretischen Zugang zu Men-
schenrechten (vgl. ausführlicher Kap. 3.1) geht es dem politischen Verständnis
von Menschenrechten nicht um die politische Umsetzung von moralisch vorab
definierten Ansprüchen. Vielmehr wird die derzeit bestehende globale Men-
schenrechtssemantik selbst als Feld der politischen Auseinandersetzung über
mögliche Interpretationen der Menschenrechte verstanden. Darüber hinaus fun-
giert die globale Menschenrechtssemantik vor allem als Motor für politische
Ermächtigungshandlungen in diesem Sinne begreift etwa Rancière Menschen-
rechte dezidiert als politisches Kampfmittel. Menschenrechte als politische
Rechte zu verstehen, bedeutet, dass Menschenrechte die Ansprüche sind, deren
Erfüllung Menschen zum politischen Handeln befähigt.
Sofern Politik in einem weiten Sinne als sowohl öffentlicher als auch offener
Raum für Handlungen und wechselseitiges Gründegeben zu verstehen ist, kann
hinter zwei entscheidende Errungenschaften der Moderne (bei aller Kritik an ihr,
die in den folgenden Kapiteln zur Sprache gebracht wird) nicht zurückgegangen
werden: In der bestehenden Menschenrechtssemantik sind das Gebot der Gleich-
heit der Menschen und die Idee subjektiven Rechts nicht nur als programmati-
sche Kernaussagen enthalten, sie spiegeln gewissermaßen eine sozialontologi-
sche Wirkung wider. Selbst wenn einzelne Inhalte der Menschenrechte umstrit-
ten, ergänzungs- und modifizierungsbedürftig sein mögen, ist ihre grundsätzliche
Kontingenzannahme nicht mit Beliebigkeit zu verwechseln. Dass Menschen als
Einleitung | 11
Menschen bestimmte Ansprüche zuzusprechen sind, ist nicht das Resultat meta-
physischer Schlussfolgerungen. Menschen als Menschen kann der Anspruch, das
individuelle wie kollektive Leben selbstbestimmt zu gestalten, nicht ohne Weite-
res abgesprochen werden. Ohne diesen Anspruch auf Selbstbestimmung, insbe-
sondere auch in politischer Hinsicht, ergäbe der Begriff der Freiheit keinen Sinn.
Und auch normative Vorstellungen von Autonomie oder Würde des Menschen,
die sowohl für die individuelle Handlungsfähigkeit als auch für ein friedliches,
demokratisches und gleichberechtigtes Miteinander, das dem wechselseitigen
Gründegeben einen zentralen Stellenwert zumisst, unabdingbar sind, drohten
ohne diesen fundamentalen Anspruch aufs Spiel gesetzt zu werden. Die moderne
Sprache über Menschenrechte bedient sich hier des Terminus des Rechts, das je-
dem einzelnen Individuum ungeteilt und gleichermaßen zukommt.
Vismann bezieht sich in ihrer Aussage über die ‚Gerechtigkeit der Men-
schenrechte‘, die dem/der Einzelnen zukommen soll, zunächst einmal auf eine
bestimmte normative Idee, die sich im 17. und 18. Jahrhundert aus dem moder-
nen Naturrechtsdiskurs als historische Errungenschaft herauszubilden beginnt:
Die Zuschreibung unveräußerlicher subjektiver Rechte, die der Staat zu respek-
tieren und stellt er selbst doch eine der größten Bedrohungen der Freiheit von
Individuen dar schließlich zu schützen habe. Mit der berühmten Trias „life, li-
berty and estate“ konzipiert John Locke in seinem Second Treatise (1689) ein
Bündel an unveräußerlichen Rechten, die dem Menschen bereits im Naturzu-
stand zuerkannt, jedoch erst im Gesellschaftszustand zur vollen Geltung ge-
bracht werden (vgl. Locke 1952: insb. II. §§ 5-7, §§ 95ff.). Die inhaltlichen Vor-
stellungen über Menschenrechte unterliegen im Verlauf der Geschichte seit dem
ausgehenden 18. Jahrhundert einem stetigen Wandel, und die Allgemeine Erklä-
rung der Menschenrechte des 20. Jahrhunderts mit ihrem einen Katalog von 30
Artikeln hat die ursprüngliche Trias verzehnfacht. Doch auch hier besteht das
begriffliche Fundament der im Katalog aufgeführten Menschenrechte in der An-
nahme, dass das Individuum Träger_in subjektiver Rechte von universeller Gül-
tigkeit4 sei, die von den jeweiligen Nationalstaaten gesetzlich zu gewährleisten
4 Nach Auffassung Arnd Pollmanns muss zwischen der geläufige[n], aber unzutref-
fende[n] Überzeugung“, dass Menschenrechte ‚universell‘ gälten, und der „zutreffen-
de[n], aber wenig geläufige[n] Auffassung“, dass Menschenrechte zu universalisie-
rende Rechte seien, differenziert werden (Pollmann 2009: 35). Eine faktisch universa-
le Gültigkeit könne nicht behauptet werden, hingegen sei das Projekt der Menschen-
rechte durchaus als ein politisches Projekt einer weltweiten, gemeinsamen Realisie-
rung ihres universellen Geltungsanspruchs zu verstehen (vgl. Pollmann 2009: 35f.).
12 | Grenz en de r Mensche nrechte
sowie von transnationalen Institutionen mindestens zu beachten seien.5 Darüber
hinaus werden Menschenrechte in zahlreichen inter-, supra- und transnationalen
Abkommen, Verträgen und Institutionen als normativ so bindend betrachtet, dass
ihre Geltung über eine grundrechtliche Verbürgung weit hinausgeht. Das inter-
nationale Menschenrechtsregime, das sich seit dem Ende des Zweiten Weltkrie-
ges in Form von verschiedenen regionalen und überregionalen Regimen heraus-
gebildet hat, ist hierbei zweifelsohne als historischer Erfolg zu werten. Die nor-
mative Idee einer unveräußerlichen Freiheitssphäre des Individuums, deren
Schutz zu garantieren ist, hat in der Geschichte der Menschheit in der Tat dazu
beigetragen, dass in praktischer Hinsicht die Rechte der Einzelnen gestärkt und
gegen Zugriffe von außen verteidigt werden. Gleichwohl gibt es Anlass zur
Skepsis, ob die gegenwärtige Menschenrechtskonzeption das von Vismann be-
stimmte normative Kriterium, dem/der Einzelnen Gerechtigkeit zu garantieren,
zu erfüllen vermag. Hierfür ist deutlich zu machen, dass es in der vorliegenden
Studie nicht um eine moraltheoretisch begründete Gerechtigkeitskonzeption ge-
hen wird (vgl. ausführlicher Kap. 3). Stattdessen sollen im Rahmen einer politi-
schen Theorie der Gerechtigkeit die konzeptionellen Potentiale der bestehenden
globalen Menschenrechtssemantik r ein originär politisches Verständnis der
Menschenrechte ausgelotet werden. Eine politische Theorie der Gerechtigkeit,
wie sie für die folgenden Ausführungen zugrunde gelegt wird, geht hingegen
von der Annahme aus, dass Menschen als Menschen bestimmte Ansprüche zu-
kommen, über das individuelle wie kollektive Leben selbstbestimmt entscheiden
zu können. Zentral für die Selbstbestimmung ist die Möglichkeit zur politischen
Mitbestimmung über die Bedingungen des individuellen und kollektiven Lebens.
5 Um an dieser Stelle in sehr groben Strichen die wichtigsten derzeitigen Begründungs-
ansätze universeller Rechte im deutschsprachigen und angloamerikanischen Diskurs
zu skizzieren: So begründen etwa liberale Theoretiker_innen wie John Rawls oder
Ronald Dworkin Menschenrechte als basale subjektive Rechte, die in autonomieför-
dernder Absicht den Schutz individueller Freiräume vor Eingriffen des Staates sichern
(vgl. Rawls 1971; Dworkin 1978). Die liberalismuskritische Theoretikerin Martha
Nussbaum hingegen verzichtet zugunsten einer Konzeption von Fähigkeiten auf abs-
trakte Rechte, hält ihre Liste an Grundbedingungen und -fähigkeiten menschlichen
Lebens allerdings ebenfalls für universalisierbar (vgl. Nussbaum 1999, 2006). Die
Diskurstheorie wiederum begründet die Universalität der Menschenrechte mit einer
prinzipiell herrschaftsfreien und reziproken (transkulturellen) Verständigung über die
Rechtfertigungsbedingungen normativer Gründe (vgl. exemplarisch Habermas 1994;
Forst 2007), während Ansätze im Gefolge Kants Menschenrechte als transzendentale
Interessen auffassen (vgl. Höffe 2002).
Einleitung | 13
In der vorliegenden Studie soll die derzeitig dominierende und zumindest für
den globalen Norden als verbindlich erachtete Menschenrechtsvorstellung, wie
sie in dem zentralen Text der AEMR (1948) und in zahlreichen internationalen
Abkommen und Verträgen zum Ausdruck kommt, näher befragt werden. Kri-
tisch ist nämlich aus gerechtigkeitstheoretischer Perspektive der Umstand zu se-
hen, dass der Zugang zu politischer Partizipation unabhängig von einem staats-
bürgerlichen Rahmen nicht zu den fundamentalen, unveräußerlichen Menschen-
rechten des Individuums gezählt wird. Weder politische Partizipation außerhalb
des Rahmens nationaler Staatsbürgerschaft noch Mitbestimmung jenseits des
Nationalstaates wird im Kontext von Freiheits- bzw. von sogenannten Teilhaber-
echten des Menschenrechtskatalogs, geschweige denn in den beiden Internatio-
nalen Pakten aus dem Jahr 1966, dem Internationalen Pakt über bürgerliche und
politische Rechte (IPBPR bzw. UN-Zivilpakt)6 und dem Internationalen Pakt
über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPWSKR bzw. UN-Sozial-
pakt),7 aufgeführt (vgl. Seidel 1996). Offensichtlich verortet der Katalog der All-
gemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948) die Möglichkeit zur politischen
Partizipation vornehmlich im nationalstaatlichen Rahmen, und zwar in erster Li-
nie als ein Recht von Staatsbürger_innen. So wird mit Art. 15 Abs. 1 AEMR
(1948) jedem Individuum zum einen das Recht auf Staatsbürgerschaft („Jeder
hat das Recht auf eine Staatsbürgerschaft“), zum anderen mit Art. 21 Abs. 1 das
Recht auf „Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten seines Landes“ zuge-
sprochen.8 Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang, dass erstens das Recht
auf Gestaltung öffentlicher Angelegenheiten auf einen jeweiligen Nationalstaat
bezogen wird, zweitens das Possessivpronomen („seines“ Landes, „his“ country
6 Vom 16.12.1966, in Kraft getreten am 23.3.1976, in Deutschland ratifiziert am
15.11.1973 (vgl. BGBl 1973 II, 1533). Derzeit von 168 Ländern ratifiziert (Stand
2014).
7 Vom 16.12.1966, in Kraft getreten am 3.1.1976, in Deutschland ratifiziert am
23.11.1973 (vgl. BGBl 1973 II, 1568). Derzeit von 160 Ländern ratifiziert (Stand
2013).
8 Siehe den vollständigen Wortlaut des Art. 21 AEMR (1948): „1. Jeder hat das Recht,
an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten seines Landes unmittelbar oder
durch frei gewählte Vertreter mitzuwirken. 2. Jeder hat das Recht auf gleichen Zugang
zu öffentlichen Ämtern in seinem Lande. 3. Der Wille des Volkes bildet die Grundla-
ge für die Autorität der öffentlichen Gewalt; dieser Wille muß durch regelmäßige, un-
verfälschte, allgemeine und gleiche Wahlen mit geheimer Stimmabgabe oder einem
gleichwertigen freien Wahlverfahren zum Ausdruck kommen“, www.un.org/depts/
german/menschenrechte/aemr.pdf (24.11.2018).
14 | Grenz en de r Mensche nrechte
im englischen Original) nahelegt, dass das Recht auf Gestaltung öffentlicher An-
gelegenheiten von der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Staat abhängt. In Art.
25 IPBPR (1966) wird das Recht, „an der Gestaltung der öffentlichen Angele-
genheiten unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter teilzunehmen“, explizit
einem jeden „Staatsbürger“ zugesprochen, womit alle Nicht-Staatsbürger_innen
davon ausgeschlossen werden. Im vollständigen Wortlaut besagt Art. 25 IPBPR:
„Jeder Staatsbürger hat das Recht und die Möglichkeit, ohne Unterschied […] und ohne
unangemessene Einschränkungen a) an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten
unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter teilzunehmen; b) bei echten, wiederkehren-
den, allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen, bei denen die freie Äußerung des Wäh-
lerwillens gewährleistet ist, zu wählen und gewählt zu werden; c) unter allgemeinen Ge-
sichtspunkten der Gleichheit zu öffentlichen Ämtern seines Landes Zugang zu haben.9
Somit steht die Deutung des Rechts auf politische Partizipation als staatsbürger-
liches Recht mit der de iure bestehenden nationalstaatlichen Souveränität, über
die Bedingungen der staatlichen Mitgliedschaft von Individuen entscheiden zu
können, in Einklang. Insofern das Recht auf Zugang zu politischer Partizipation
von einer bestimmten Staatszugehörigkeit abhängig gemacht wird, erhält es im
Menschenrechtskatalog jedoch nicht den gleichen Status wie das Recht auf Mei-
nungs- oder Versammlungsfreiheit (vgl. Art. 20 AEMR 1948), geschweige denn
wie das Recht auf Leben oder Freiheit (vgl. Art. 3 AEMR 1948), das als univer-
sell gültig aufgefasst und auch unabhängig von der Staatszugehörigkeit jedem
Individuum zugesprochen wird.
An diesem Punkt setzt meine Studie an, indem sie den Spieß umkehrt und
die Option diskutiert, inwiefern ein Recht auf politische Mitbestimmung (unab-
hängig von Staatsbürgerschaft) zum Kernbestand der Menschenrechte gezählt
werden müsste, um dem normativen Kriterium der Gerechtigkeit zu entsprechen.
Solange politische Partizipation lediglich in abgeleiteter Form, nämlich als Deri-
vat des Rechts auf Staatsbürgerschaft, vorgesehen ist, bleibt in normativer Hin-
sicht problematisch, dass Individuen, die über keine Zugehörigkeit zu einem
Staat verfügen bzw. innerhalb des Landes, in dem sie leben, aufgrund fehlender
Zugehörigkeit keine politischen Rechte zugesprochen bekommen, ein entschei-
dender Aspekt eines autonomen Lebens versagt bleibt. Von einer fehlenden Be-
9 BGBl 1973 II, 1533. Vgl. auch CCPR General Comment No. 25: Article 25 (Partici-
pation in Public Affairs and the Right to Vote), The Right to Participate in Public Af-
fairs, Voting Rights and the Right of Equal Access to Public Service, CCPR/
C/21/Rev.1/Add.7 (12.07.1996).
Einleitung | 15
rechtigung zur politischen Partizipation sind (zumindest teilweise)10 Immig-
rant_innen ohne die Staatsbürgerschaft des Landes ihres Aufenthaltes, Geflüch-
tete und insbesondere Staatenlose betroffen. Diese Form von Exklusion steht
zwar in Übereinstimmung mit dem derzeitigen Menschenrechtskatalog der All-
gemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948), demzufolge die Nationalstaa-
ten über die Berechtigung zur politischen Teilhabe bestimmen, dennoch ist sie
aus normativer Perspektive als problematisch einzustufen (vgl. Benhabib 1996:
82; Näsström 2014: 550). Denn unter den zunehmend globalisierten strukturellen
Bedingungen von Phänomenen wie politischer Verfolgung, Armut sowie wirt-
schaftlicher und sozialer Depravierung menschlicher Lebensumstände in vielen
Regionen der Welt ist der normative Stellenwert nationalstaatlicher Grenzlinien
und der mit ihnen verbundenen In- und Exklusionsmechanismen umso stärker zu
befragen. Im Unterschied zu Cornelia Vismanns Frage zielt meine Studie daher
auch weniger darauf ab, zu untersuchen, in welcher Weise dem Individuum Ge-
rechtigkeit gegenüber einem bestimmten (National-)Staat, dem es sich durch na-
tionale Zugehörigkeit oder eine entsprechende Aufenthaltsgenehmigung als an-
gehörig verstehen darf, zuteilwird. Mir geht es vielmehr darum, zu diskutieren,
ob ein Recht auf politische Teilhabe unabhängig von Staatszugehörigkeit dem
Katalog der Menschenrechte hinzugefügt werden müsste, damit dieser als ‚ge-
recht‘ interpretiert werden kann. Das Gerechtigkeitskriterium lässt sich dabei auf
mindestens zwei verschiedene Weisen verstehen. Zum einen kann das Kriterium
der Gerechtigkeit inhaltlich bedeuten, dass ein Menschenrechtskatalog der als
gerecht definierten Vorstellung eines gleichberechtigten, selbstbestimmten indi-
viduellen Lebens entspricht (vgl. Nussbaum 1993, 1999, 2000, 2006). In dieser
Lesart wäre die Aufnahme eines Rechts in den Katalog zu fordern, durch das
Menschen befähigt werden, gleichermaßen an nationalstaatlichen wie transnati-
onalen politischen Prozessen teilzuhaben, und zwar unabhängig von einer bereits
bestehenden Staatszugehörigkeit. Diese Auffassung wird in Debatten über die
Beteiligung an globalen demokratischen Prozessen ebenso wie über die Gleich-
stellung von Ausländer_innen in Bezug auf nationalstaatliche Wahlen erörtert.11
Zum anderen geht es jedoch auch um die Diskussion, inwiefern die politische
Legitimität bestimmter nationaler wie transnationaler Institutionen und Struktu-
10 Innerhalb der Europäischen Union besteht das Problem für EU-Bürger_innen lediglich
auf Landes-, nicht auf Kommunalebene.
11 Vgl. für die theoretische Diskussion u.a. Benhabib 2008c; Cabrera 2010; Höffe 2002
sowie in praktischer Perspektive u.a. Kampagnen mit direktdemokratischen Absichten
wie „Democracy International“ (www.democracy-international.org/de).
16 | Grenz en de r Mensche nrechte
ren anhand des Menschenrechtskatalogs begründet werden kann, solange ein ex-
plizites Recht auf politische Partizipation fehlt.
In der neuen und neuesten Forschungsliteratur finden sich entsprechend For-
derungen danach, das Recht auf politische Partizipation in eine Liste der unab-
dingbaren menschenrechtlichen Minimalstandards aufzunehmen (vgl. Peter
2013). Menschenrechte drohen nach dieser Auffassung ihre politische Legitimi-
tät zu verlieren, wenn das Recht auf politische Partizipation nicht einen zentralen
Stellenwert des Menschenrechtskatalogs erhält. Vertreter_innen dieses Ansatzes
beantworten also Vismanns Frage nach einer gerechten Lesart der Menschen-
rechte dahingehend, dass die politische Legitimation von nationalen oder trans-
nationalen Institutionen und Strukturen in begrifflicher Hinsicht nicht vom Men-
schenrecht auf politische Teilhabe getrennt werden könne (vgl. Peter 2013: 2-5).
Mit dieser Einsicht wird der entscheidende Unterschied zwischen einer morali-
schen und einer politischen Auffassung von Menschenrechten markiert. Statt
Menschenrechte jenseits nationalstaatlicher Grenzen in erster Linie als morali-
sche Standards (z.B. für humanitäre Hilfe) anzusehen, wie dies nach wie vor für
weite Teile der Politischen Theorie gilt (vgl. Rawls 1999; Nagel 2005), soll in
der vorliegenden Studie eine Lesart plausibilisiert werden, die Menschenrechte
vornehmlich als politische Rechte versteht. Politische Rechte sind Menschen-
rechte in der hier zu erläuternden Lesart in zwei Hinsichten: Erstens sind sie in-
sofern als politische Rechte zu verstehen, als sie Menschen zum politischen
Handeln ermächtigen und zwar unabhängig von der national definierten Zuge-
hörigkeit zu einem bestimmten Staat. Zweitens sind sie als politische Rechte zu
begreifen, insofern sie im politischen Aushandlungsprozess selbst inhaltlich be-
stimmt werden. Das politische Verständnis von Menschenrechten grenzt sich al-
so vom moralischen dahingehend ab, dass moralische Rechte, sofern sie nicht als
Grund- bzw. Bürger_innenrechte eines Staates implementiert worden sind, ledig-
lich Appelle an die Barmherzigkeit anderer statt legitime Ansprüche auf funda-
mentale Rechte darzustellen vermögen.
Sobald Menschenrechte jedoch nicht in erster Linie als moralische und damit
als vorstaatliche oder gar vorpolitische, sondern als originär politische Rechte
verstanden werden, ist spätestens an dieser Stelle die Frage zu erörtern, inwie-
fern der Menschenrechtskatalog nicht notwendigerweise ein Recht auf politische
Partizipation resp. ein Recht auf Demokratie enthalten muss, und zwar ein Recht
auf politische Partizipation, das nicht erst von der Zugehörigkeit zu einem be-
stimmten politischen Gemeinwesen abhängig gemacht wird. Im Unterschied zu
der Auffassung, dass ein solches Menschenrecht keine spezifische Form der po-
litischen Partizipation vorsehen sollte (vgl. insb. Peter 2013, 2015), plädiert eine
Reihe von Autor_innen dafür, ein Menschenrecht auf politische Partizipation als
Einleitung | 17
Recht auf Demokratie zu verstehen.12 Somit vermag der demokratietheoretische
Ansatz das begriffliche Verhältnis von Menschenrechten und Demokratie inso-
fern zu erhellen, als er in Aussicht stellt, theoretische Konzeptualisierung und
Gehalt der Menschenrechte dort zu einer Übereinstimmung zu bringen, wo in-
nerhalb der Fachdiskussion durchaus Spannungen, z.B. hinsichtlich der Frage
nach ihrem normativen Vorrang gegenüber dem Demokratieprinzip, verortet
werden (vgl. Martinsen/Meisterhans/Schmalz-Bruns 2008). Hier geht es aller-
dings, wie bereits gesagt, nicht so sehr um die Frage, welche Herrschafts- und
Regierungsform Menschenrechte am besten befördert und ob aus dem Recht auf
Demokratie eine Verpflichtung für Staaten zur Einrichtung einer demokratischen
Verfassung resultiert. Die meisten Theoretiker_innen sind sich einig darin, dass
ein Zwang zur Demokratie erstens nicht widerspruchsfrei ist, sofern Freiheit als
zentraler Bestandteil von Demokratie anerkannt wird, zweitens normativ nicht
zu rechtfertigen wäre: „There is something counterintuitive about imposing de-
mocracy on peoples“, ist z.B. Fabienne Peter überzeugt (Peter 2015: 481). Ihr
Ansatz eines Menschenrechts auf politische Partizipation (vgl. Peter 2013) wird
im letzten Teil der Studie diskutiert, um ihm schließlich mithilfe Carol Goulds
Argumentation für ein Menschenrecht auf Demokratie (vgl. Gould 2013) schär-
fere Konturen zu verleihen.
In der Debatte über die Möglichkeit einer transnationalen Demokratie erhält
das politisch-partizipatorische Defizit des Menschenrechtskatalogs noch einmal
eine ganz eigene Bedeutung. So wird über die Berechtigung zur politischen
Teilhabe in einem Nationalstaat hinaus von einer Reihe von Demokratieansätzen
die Möglichkeit zur Mitbestimmung in der transnationalen Sphäre als eine nor-
mativ zu befürwortende Option angesehen.13 In dieser Perspektive könnte das
Recht auf politische Beteiligung als ein prinzipiell zu erhebender Anspruch des
Individuums gegenüber einem jeglichen Staat, gegenüber jeglicher transnationa-
ler Institution und damit schließlich gegenüber der gesamten globalen Zivilge-
sellschaft verstanden werden. Damit erführe allerdings die Idee der Mitbestim-
mung jenseits des Nationalstaates eine andere Rahmung als in der Mehrzahl der
12 Vgl. u.a. Christiano 2011; Gould 2013. Viele Autor_innen sehen zwar begründungs-
theoretische Schwierigkeiten für ein Menschenrecht auf Demokratie, befürworten je-
doch von einem normativen Standpunkt aus die entsprechende Idee zumindest eines
moralisch verstandenen Rechts auf egalitäre Mitbestimmung so z.B. Cohen 2006.
Insbesondere in Kap. 6.1 und 6.3 soll es allerdings darum gehen, eine politische Kon-
zeption eines Menschenrechts auf politische Partizipation zu plausibilisieren.
13 Vgl. exemplarisch u.a. Dryzeck 1999, 2006; Held 2007; Archibugi 2008; Archibugi et
al. 2010; Koenig-Archibugi 2011.
18 | Grenz en de r Mensche nrechte
Ansätze zu Theorien globaler Demokratie. In ihnen werden zum einen die Ver-
einigung von Staaten zu supranationalen demokratischen Verbänden und Föde-
rationen thematisiert. Zum anderen setzen sie auf eine stärkere Demokratisierung
bereits bestehender inter- und transnationaler Organisationen (z.B. der Vereinten
Nationen) bzw. auf die Ausweitung und Profilierung globaler Strukturen der
Meinungs- und Willensbildung (z.B. in Form von themen- oder problemspezi-
fisch zusammengesetzten internationalen Entscheidungsgremien).14
Meine Studie richtet ihr Augenmerk weniger auf die Frage der Gestaltung
nationaler wie transnationaler Institutionen, die ein Recht auf politische Partizi-
pation eventuell praktisch umsetzen könnten. Vielmehr geht es mir um eine be-
griffliche Reflexion der spezifischen Implikationen des derzeit vorherrschenden
Menschenrechtsverständnisses, wie es sich in der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte (1948) widerspiegelt. Im Fokus steht dabei die kritische Refle-
xion der gängigen, vornehmlich liberalen und eurozentrischen Lesart der Men-
schenrechte. Auf zwei weitere Varianten der Kritik werde ich nur am Rande ein-
gehen. Die erste Variante der Kritik versteht sich als Ausdruck einer post-
metaphysischen Skepsis gegenüber Menschenrechtskonzeptionen, die sich auf
die Natur oder das Wesen des Menschen berufen. Diese Kritik ist auf der kon-
zeptionellen Ebene verortet und betrifft in spezifischer Weise die Begründungs-
problematik, die hier im Einzelnen nicht Gegenstand der Studie ist. Vielmehr
nimmt meine Studie die für den politiktheoretischen Diskurs relevante globale
Menschenrechtssemantik zum Ausgangspunkt, die, wie bereits erwähnt, das Feld
für sowohl politische als auch theoretische Aushandlungskämpfe um Deutungen
darstellt. Mit Blick auf die Begriffs- und Ideengeschichte werden die problemati-
schen und von Fehlverständnissen gekennzeichneten konzeptionellen Implikati-
onen des theoretischen Menschenrechtsdiskurses aufgezeigt. Mein eigener An-
satz innerhalb dieses Deutungsstreits besteht in der Aufdeckung des politischen
Potentials der Menschenrechte.
Die zweite Variante der Menschenrechtskritik, auf die ich nicht näher einge-
hen werde, formuliert praxisbezogene Einwände gegen realpolitische Maßnah-
men, Institutionen und Strukturen innerhalb von Nationalstaaten sowie im Rah-
men des Internationalen Menschenrechtsregimes, etwa gegen den Umstand, dass
auch Regierungen und politische Autoritäten eine Menschenrechtsrhetorik ver-
wenden, deren Handlungen ihr nur Hohn sprechen (vgl. Hoover 2013b: 936).
Diese Variante von Kritik bewegt sich auf einer inhaltlichen Ebene und ist daher
14 Vgl. Held 2007: 150-184 u. 247-259 und, stellvertretend für viele weitere, nur einige
ausgewählte wie Dryzek 1999; Kuper 2004; Held 2007, 2009; Marchetti 2008 sowie
für einen Überblick Neyer 2013.
Einleitung | 19
für politische Aktivist_innen von besonderer Bedeutung. Im Kontext meiner
Studie wird sie jedoch nicht näher behandelt, da sie hier allenfalls eine illustrati-
ve und weniger eine systematische Funktion einnähme.
Der Aufbau meiner Studie gliedert sich wie folgt: In einem explorativen Ka-
pitel werden zunächst sowohl die verheißungsvolle als auch die problematische
Dimension der Menschenrechtsidee anhand ihres begriffs- und ideengeschichtli-
chen Entstehungskontextes rekonstruiert. Ich zeichne nach, wie sich die moderne
Idee der Menschenrechte aus dem modernen Naturrecht entwickelt und ihre cha-
rakteristische Gestalt im ausgehenden 18. Jahrhundert, vor allem in der nord-
amerikanischen Virginia Declaration of Rights (Grundrechteerklärung von Vir-
ginia) vom 12. Juni 1776 und der französischen Déclaration des droits de
l’homme et du citoyen (Französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrech-
te) vom 26. August 1789, annimmt (Kap. 2). Daran anschließend erläutere ich
die zentralen konzeptuellen Merkmale der modernden Menschenrechte als fun-
damentale subjektive Rechte, wie sie für die heutige Menschenrechtslesart rele-
vant sind. Hierbei verweise ich insbesondere auf die internen Spannungen des
Menschenrechtsdenkens, einerseits abstrakte und universalisierbare Rechte zu
behaupten, deren spezifische Wirkmächtigkeit sich andererseits allein in Form
von partikularen und kontextbezogenen, d.h. in concreto: staatsbürgerlichen,
Rechten zu entfalten vermag (Kap. 3). Aus drei menschenrechtsskeptischen Per-
spektiven, nämlich aus gesellschaftstheoretischer, feministischer und postkoloni-
aler Perspektive werden zentrale Begriffe des menschenrechtlichen Denkens wie
der Begriff des Individuums, der Autonomie und des Universalismus einer kriti-
schen Analyse unterzogen (Kap. 4). Im Anschluss daran werden drei mit jenen
zentralen Konzeptionen in Verbindungen stehende begriffliche Grenzen der
Menschenrechte eingehender dargelegt: Sowohl das Konzept der Staatsbürger-
schaft als auch soziale Zugehörigkeit und letztlich politische Partizipation, die
vornehmlich im nationalstaatlichen Gefüge verortet wird, scheinen das men-
schenrechtliche Potential der politischen Teilhabe des Individuums im Keim zu
ersticken (Kap. 5). Diese pessimistische Einschätzung beantwortet meine Studie
mit dem Versuch, im Rahmen einer Diskussion über demokratisierbare Men-
schenrechte bzw. weltweite Bürger_innenrechte ein Menschenrecht auf politi-
sche Partizipation unabhängig von staatsbürgerlicher Zugehörigkeit zu konturie-
ren (Kap. 6). Im Schlussteil gebe ich einen Ausblick auf potentielle Ak-
teur_innenkonstellationen, aus denen globale demokratische Praxen entstehen
könnten, die ein Menschenrecht auf politische Teilhabe in ihr Zentrum stellen.
Die Absicht meiner Studie besteht darin, eine überzeugende Argumentation
für die These zu entwickeln, dass Menschenrechte dem individuellen Anspruch
auf ein selbstbestimmtes Leben nicht entsprechen können, solange sie als rein
20 | Grenz en de r Mensche nrechte
moralische Rechte verstanden werden. Die Auseinandersetzungen und Entschei-
dungen über die Bedingungen menschlichen Lebens sind als Angelegenheiten
der politischen Praxis zu verstehen, die nicht in einer moralischen Sprache inter-
pretiert werden sollten, weil damit deren eigentlichen Herausforderungen „wie
hinter einem Schleier“ (Honneth 2013: 268) zum Verschwinden gebracht wer-
den. Wie bereits angesprochen, ist ein moraltheoretischer Menschenrechtsansatz
insofern problematisch, als hier fundamentale Ansprüche Gefahr laufen, zu einer
Angelegenheit entweder von wohlmeinendem Paternalismus, der mit übergriffi-
ger Fürsorge die individuelle Autonomie beschränkt, oder lediglich einer inter-
personellen Barmherzigkeit, die politisch wirkungslos bliebe, zu werden. Eine
plausible Menschenrechtskonzeption, die politische Legitimität für sich rekla-
mieren will, muss hingegen dem Zugang zu politischer Partizipation in besonde-
rer Weise Rechnung tragen. In diesem Sinne greift meine Studie wichtige Ein-
sichten der Diskussion um das arendtsche „Recht auf Rechte (Arendt 1986a:
617)15 und die Kritik am Fehlen politischer Normativität der Menschenrechte,
sofern sie vornehmlich als moralische Rechte verstanden werden, auf. Anhand
der Diskussion verschiedener Lesarten des Rechts auf Rechte als Menschenrecht
auf Demokratie werde ich zeigen, dass ein fundamentales Recht auf politische
Mitbestimmung die Basis für eine normative Akzentverschiebung des Men-
schenrechtsverständnisses darstellt (Kap. 6.3).
Die von Hannah Arendt vorgebrachte Kritik am (vermeintlich) unpolitischen
Charakter der Menschenrechte ist so alt wie die Allgemeine Erklärung der Men-
schenrechte (1948) selbst. Vieles an ihrer Kritik ist mittlerweile durch die Etab-
lierung eines weltweiten Menschenrechtsregimes bzw. regionaler Menschen-
rechtssysteme obsolet geworden. Gleichwohl ist Arendts Erkenntnis über den ei-
nerseits tautologischen, andererseits leeren Sinn der Menschenrechte zumin-
dest in Bezug auf ihre politische Dimension nach wie vor aktuell: Entweder
fungieren Menschenrechte als Rechte von Staatsbürger_innen oder sie sind die
Rechte von Menschen, die faktisch keine Rechte haben.16 In umfänglichen Ge-
nuss von Menschenrechten kommen Individuen unter den heutigen Bedingungen
nationalstaatlicher Souveränität vor allem in Form von Grund- bzw. Bür-
15 Vgl. u.a. Agamben 2001, 2002; Balibar 2007; Beltrán 2009; Benhabib 2008a; Bern-
stein 1996: Kap. 3; Birmingham 2006, 2014a, 2014b; Brunkhorst 1996, 1999; Cohen
1996; Cotter 2005; Hirsch/Bell 2017; Ingram 2008; Isaac 1996, 2002; Keedus 2011;
Krause 2008; Lechte/Newman 2012; Menke 2008; Michelman 1996; Parekh 2008;
Rancière 2011a; San Martín 2009; Schaap 2011; Schulze Wessel 2013, 2017; Volk
2008; Wellmer 1998; Yeatman 2014a, 2014b.
16 Vgl. Arendt 1986a: 620, 2011: 400f.; Rancière 2011a: 484; Zhang 2014: 245.
Einleitung | 21
ger_innenrechten, d.h. der Schutz ihrer Menschenrechte ist dann am besten ge-
währleistet, wenn sie über die Staatszugehörigkeit zu einem demokratischen
Rechtsstaat verfügen. Ihrem historischen Sinn nach enthält die Idee der Men-
schenrechte genau jene Ambivalenz, die ihr auch heute noch in entscheidenden
Hinsichten zum Verhängnis wird. Ursprünglich, und daran erinnert Cornelia
Vismann mit ihrer Verortung der Diskussion über Menschenrechte in den Kon-
text der Gerechtigkeit, werden Menschenrechte als Ansprüche der Individuen
gegenüber dem Staat vorgebracht in der Absicht, staatliche Willkür zu vermei-
den, wird er in die Pflicht genommen, Rechte zu gewährleisten und zu schützen,
die als angeborene und damit als unentziehbare Rechte angesehen werden. Diese
vorstaatlichen Rechte werden im Laufe der Geschichte zunehmend als morali-
sche Rechte verstanden nicht zuletzt, weil sie erst so als von der Realpolitik
unabhängiger, universell gültiger Maßstab gelten können, der eine kritische und
gegebenenfalls korrigierende Beurteilung staatlichen Agierens ermöglicht. Ins-
besondere in Bezug auf letztere Funktion ist ihre Unterscheidung von positivier-
ten nationalen Grund- bzw. Bürger_innenrechten in logischer Hinsicht erforder-
lich. Der neuzeitlichen Naturrechtslehre etwa geht es genau darum, Rechte des
Individuums als bereits im Naturzustand gültige und damit als von kontingenter
staatlicher Gewährung unabhängige Rechte zu konzipieren. Gleichwohl hat be-
reits insbesondere die französische Déclaration des droits de l’homme et du ci-
toyen (1789) das Erfordernis einer gesetzlichen Verankerung jener vorstaatlichen
Rechte erfasst und sie daher mit der Idee der Volkssouveränität verklammert.
Mit dem Prinzip der Nation kommt jedoch eine begriffliche Problematik ins
Spiel, bei der nun auf der einen Seite die deklarierte Universalität der Menschen-
rechte mit ebenjener Begrenzung ihrer Gültigkeit auf eine bestimmte Anzahl an
Personen auf der anderen Seite in Einklang zu bringen ist. Und diese aus dem
Problem der (Nicht-)Identität von Menschen- und Bürgerrechten resultierende
begriffliche Spannung zieht sich nicht nur durch sowohl die Ideen- als auch
durch die Realgeschichte der letzten zweieinhalb Jahrhunderte, sondern auch
durch die vorliegende Studie. Immer wieder wird die Erörterung auf die zentrale
Frage zurückkommen, inwiefern das Recht auf politische Teilhabe von nationa-
ler Staatsbürgerschaft entkoppelt werden könne. Vor dem Hintergrund der histo-
rischen Überwindung ehemaliger Exklusionsmerkmale wie Stand, Besitz, Ge-
schlecht und Rasse ist das letztverbliebene Unterscheidungsmerkmal der natio-
nalen Zugehörigkeit (vgl. Zhang 2014: 246) durchaus nachhaltig zu befragen
und nach alternativen Konzeptionen des politischen Subjekts zu suchen. Hierfür
ist es meines Erachtens unablässig, im Rahmen einer alternativen Lesart der
Menschenrechte den Stellenwert politischer Partizipation hervorzuheben. Das
heißt wiederum, Menschenrechte insgesamt nicht als lediglich moralisch ver-
22 | Grenz en de r Mensche nrechte
bindliche, sondern als politisch auszugestaltende Rechte zu verstehen (vgl. Näs-
ström 2014; Schaap 2013).
Arendts Forderung nach einem ‚Recht auf Rechte‘ zielt darauf ab, Men-
schenrechte politisch zu legitimieren. Während Arendt jedoch noch recht un-
scharf ein weltweites fundamentales Recht auf Zugehörigkeit zu einer politi-
schen Gemeinschaft vorsah, verorte ich dieses originäre politische Fundamental-
recht weniger bei begrenzten national definierten Gemeinschaften denn in prin-
zipiell offenen demokratischen Räumen (vgl. Kap. 6.3). Außerdem nehme ich
ausgewählte Impulse der postkolonialen Studien zu Begriff und Wirkung der
Menschenrechte auf.17 Mithilfe des extraeuropäischen Blicks soll die „dark side“
der Menschenrechte (Kapur 2006), die vom Licht des herkömmlichen Erfolgs-
narrativs überdeckt wird, genauer betrachtet werden (vgl. Kap. 4.3). Im Zuge ei-
ner kritischen Prüfung so zentraler Begriffe wie desjenigen des autonomen Sub-
jekts oder der Universalität arbeite ich heraus, wie stark durchtränkt der moderne
Menschenrechtsdiskurs von unreflektierten diskriminierenden und marginalisie-
renden Partikularismen ist. Es zeigt sich beispielsweise, wie sehr das liberale eu-
ropäische Menschenrechtssubjekt auf die Konstruktion eines (durchaus rassis-
tisch markierten) ‚Anderen‘ angewiesen ist, um seine emanzipatorische Kraft zu
entfalten. Anhand sowohl ideengeschichtlicher als auch gegenwärtiger Be-
griffsanalysen kann nachvollzogen werden, inwiefern die marginalisierenden
und exkludierenden Implikationen des Menschenrechtsbegriffs entscheidend zu
einer Depolitisierung und Dehistorisierung des ursprünglich emanzipatorischen
Begehrens des Menschenrechtsdenkens führen und dies wirkt sich für Be-
troffene von Kolonialisierung, Diskriminierung und Unterdrückung teils in le-
bensbedrohlichem Ausschluss aus der Gemeinschaft aus. So besteht etwa eine
der problematischen Implikationen des Menschenrechtsdenkens in der anthropo-
logisch fundierten Annahme über die vermeintlich universale Bedeutung eines
Menschenrechts auf Individualeigentum. Die mit dem besitzindividualistischen
Paradigma verbundene Naturalisierung spezifischer Charaktermerkmale der eu-
ropäisch-bürgerlichen Gesellschaft hat z.B. die Abwertung davon abweichender
Lebensformen zur Folge, die als angeblich weniger zivilisiert und damit weniger
achtenswert eingeschätzt werden. Die Indigenen Nordamerikas, deren Lebens-
weise den Gelehrten des 18. Jahrhundert aufgrund des Fehlens der Merkmale des
Individualeigentums und der politischen Souveränität als defizitär erschien,
meint etwa Locke als unselbständig und daher der Vormundschaft der Europäer
17 Vgl. u.a. Buck-Morss 2011; Cistelezan 2011; Ehrmann 2009; Kapur 2006, 2011;
Mbembe 2014; Merz 2011; Parekh 1995; Sousa Santos 1995; Steyerl 2008; Suárez-
Krabbe 2014; Zhang 2014.
Einleitung | 23
bedürftig ansehen zu können. Ein Recht auf politische Selbstbestimmung versagt
er ihnen und spricht ihnen allenfalls ein Recht auf moralische Schonung zu.
Zwar verurteilt er die Brutalität der spanischen Eroberung Südamerikas, gleich-
wohl rechtfertigt er die Verdrängung, Enteignung und Ausbeutung der nordame-
rikanischen Indigenen durch die Briten (vgl. ausführlicher dazu Kap. 4.3). Im
Rahmen des vierten Kapitels wird dargelegt, dass die Universalisierung der
Menschenrechte sich in vielerlei Hinsicht als eine unstatthafte Verallgemeine-
rung unreflektierter Partikularismen entlarven lässt und sich im Gegenteil in
zahlreichen Fällen regelrecht als Provinzialisierung bestimmter europäischer
Gepflogenheiten entpuppt. Wiederkehrende Zuschreibungen der Unzivilisiertheit
oder Rückständigkeit finden sich auch im postkolonialen Zeitalter. Nach wie vor
dient der Rekurs auf Menschenrechte nicht zuletzt der Selbstvergewisserung
über die eigene Fortschrittlichkeit auf Seiten des globalen Nordens. Dabei wird
häufig außer Acht gelassen, dass die Mechanismen der Marginalisierung, Aus-
grenzung und Abschottung entlang der Grenzen Europas und Nordamerikas im-
mer noch mehrheitlich Personen betreffen, die dem globalen Süden zuzuordnen
sind. Deren politisches Begehren wird von der Menschenrechtskonzeption der
Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948) entgegen ihren vollmundi-
gen universalen Normen nicht ernst genommen. Im Gegenteil, sogenannte hu-
manitäre Interventionen, die unter Anrufung der Menschenrechte durchgeführt
werden, tragen nicht selten eher zu einer Depolitisierung gesellschaftlicher Kon-
flikte bei.
Für eine mögliche Modifikation des Menschenrechtsverständnisses, die der
politischen Dimension menschlichen Lebens stärker Rechnung trägt, bedarf es
also vor allem einer kritischen Reflexion der ‚europäischen‘ Herkunft des
Rechtssubjekts, für die insbesondere die postkoloniale Theoriebildung Einsich-
ten zu vermitteln vermag, die die Engführung von Menschenrechten als morali-
schen Rechten näher beleuchtet. Dazu ist es unerlässlich, die problematischen
Einschreibungen des Subjektbegriffs der Menschenrechte deutlich zu machen
in dem Bewusstsein allerdings, dass sie nicht eliminiert werden können, ohne
wichtige historische Errungenschaften preiszugeben. Die Modifikation des Men-
schenrechtsverständnisses könnte dann darin bestehen, das emanzipatorische Po-
tential der Menschenrechte zu revitalisieren. Eine Herausforderung für einen re-
flektierten Menschenrechtsdiskurs bedeutete ebenfalls, den Gehalt der Men-
schenrechte dahingehend zu lesen, dass die Teilhabe an sozialer und politischer
Partizipation seitens der nationalen und internationalen Institutionen für jedes
Individuum unabhängig von seiner Nationalität zu gewährleisten ist. Damit
könnte einer Reduktion auf rein humanitäre Akte und einer Depolitisierung von
Menschenrechtsaktivitäten entgegengewirkt werden (vgl. Merz 2011: 90). In der
24 | Grenz en de r Mensche nrechte
Rückbesinnung auf das Menschenrechten ursprünglich innewohnende ermächti-
gende Potential könnte vorsichtig formuliert ein ‚wahrhaft universeller‘ Wert
entdeckt werden, der von pluralistischen Subjektivationskonzepten geteilt wird.
Bei dieser Form des Universalismus handelte es sich jedoch nicht um ein ‚In-
strument einer Globalisierung von oben‘ (vgl. Sousa Santos 1995). Vielmehr
können Menschenrechte, gerade auch in subalternen Kontexten, wie es von der
postkolonialen Kritik eingefordert wird, als Aneignung des politischen Subjekt-
status gelesen werden, ohne das den eurozentrischen Menschenrechten „zugrun-
de liegende Selbstverständnis eines atomisierten, nutzenmaximierenden Indivi-
duums notwendigerweise teilen zu müssen“ (Merz 2011: 91). In dieser offenen
und sich öffnenden Lesart könnte das ursprünglich progressiv konnotierte Er-
eignis der Menschenrechtserklärungen im ausgehenden 18. Jahrhundert, das von
so vielen emphatisch beschworen wird, tatsächlich eine Form annehmen, in der
das arendtsche Recht auf Rechte so verstanden wird, dass jedem Individuum das
Recht auf politische Subjektivation zukommt.
Für die Diskussion eines adäquateren Verständnisses des Menschenrechtsbe-
griffs ist die Rekonstruktion der historischen Etablierung eines Rechtsbegriffs
mit universalem Geltungsanspruch insofern von Bedeutung, als bestimmte Be-
deutungsgehalte, die die derzeitig verbindliche Konzeption problematisch er-
scheinen lassen, in ihrer geschichtlichen Genese und vor allem hinsichtlich be-
stimmter Bedeutungsverschiebungen kenntlich gemacht werden können. So
nehmen etwa ideen- und begriffsgeschichtlich sowie historisch orientierte Stu-
dien18 den Bedeutungswandel, der u.a. im Zuge von politischen und sozialen
Bewegungen und Strukturveränderungen über nationale Grenzen hinweg im
Zeitraum von mehr als drei Jahrhunderten vom 18. bis zum Ende des 20. Jahr-
hunderts stattfand, genauer in den Blick.19 Der genealogische Blick soll dabei
helfen, systematisch herauszuarbeiten, wie „die historischen Konflikte um die
Geltung der Menschenrechte, um ihre Universalität, in ihre plurivalente Begriff-
lichkeit eingingen, wie mithin Genese und Geltung von Rechtsnormen historisch
miteinander verflochten sind“ (Hoffmann 2010: 9). Mithilfe eines solchen ge-
nealogischen Blicks lassen sich bestimmte Verzerrungen und Fehlstellungen bei
der Herausbildung eines internationalen Menschenrechtsregime in Bezug auf die
rechtliche Verfasstheit gegenwärtiger Politik genauer untersuchen. Sie führen
dazu, dass die Menschenrechte zwar den theoretischen Anspruch auf universale
(moralische) Gültigkeit erheben, in faktischer Hinsicht viele Menschen jedoch
18 Vgl. Hoffmann 2010; Moyn 2010; Eckel 2014. Siehe außerdem Kap. 2.2.
19 Vgl. Hoffmann 2010: 9; s. u.a. auch Marshall 1992; Oestreich 1978; Schmale 1997
und Cancik 2005 sowie die Beiträge in Schnur 1964 und Dann/Klippel 1987.
Einleitung | 25
aus durchaus in normativer Hinsicht fragwürdigen Gründen aus ihrem Geltungs-
bereich ausschließen. Während die Idee der Menschenrechte aufgrund ihrer eu-
rozentrischen Genese und der damit verbundenen historischen und gegenwärti-
gen hegemonialen Instrumentalisierung allerdings aus feministischer und postko-
lonialer Perspektive scharf kritisiert und teilweise gar verworfen wird (siehe
Kap. 4), gilt mein Anliegen eher der Frage, inwiefern mit einer alternativen Les-
art der Menschenrechte bestimmte Probleme des Eurozentrismus, globaler
Machtasymmetrien und damit verbundener Diskriminierungen im Nord-Süd-
Gefälle besser in den Blick genommen werden könnten. Dazu gehört zunächst,
Abstand von einem monolithischen und unveränderbaren liberalen Menschen-
rechtskonzept zu nehmen und den diskursiven Raum für eine Pluralisierung und
Differenzierung des Menschenrechtsdenkens zu eröffnen. Menschenrechte er-
scheinen dann als eine historisch verortbare Idee, die sich ohne eine Ursprungs-
fixierung als dynamisch und kontextvariabel sowie als Motor einer kritischen
Ermächtigung vormals machtloser Akteur_innen zu erweisen vermag (vgl. Ehr-
mann 2009: 84f.; Merz 2011). Im besten Sinne können Menschenrechte mindes-
tens als radikales Befragungsreservoir dienen und damit eine Funktion einneh-
men, die im Laufe einer zuweilen überaffirmativen Menschenrechtspolitik ein
wenig in Vergessenheit geraten zu sein scheint.
2 Menschenrechte Kanon und Kontestation
Den historischen Menschenrechtserklärungen des ausgehenden 18. Jahrhunderts
haftet der Nimbus einer progressiv-optimistischen Programmatik an. Im Text der
Déclaration des droits de l’homme et du citoyen (1789) beispielsweise wird die
Erfahrung von Unterdrückung ausgesprochen und zugleich ein selbstbewusster
Rechtsanspruch behauptet, aus dem heraus ein Paradigma allgemeiner Bean-
spruchung normativer Rechte gebildet wird, die per se also unabhängig von ei-
ner geltenden Gesetzesordnung gelten sollen. Menschenrechte erhalten somit
die Funktion eines Imperativs, der die Verlautbarung von Unrecht und die For-
derung nach Gerechtigkeit miteinander verschmilzt (vgl. Vismann 1996: 328;
Balibar 2011: 286). Die Französische Erklärung der Menschen- und Bürger-
rechte aus dem Jahr 1789 und bereits die Virginia Declaration of Rights aus dem
Jahr 1776 verstehen sich als Vorwegnahme eines Zukünftigen Gleichheit und
Freiheit sind Prinzipien, die es rechtlich überhaupt erst zu konstituieren und poli-
tisch zu verwirklichen gilt, schließlich existieren sie damals noch nicht in der
Realpolitik des feudalen Europas.
Zugleich blendet eine auf den transatlantischen Raum zwischen Europa und
Nordamerika fokussierte Betrachtung aus, dass im Zuge der Forderung nach
universeller Gleichheit und Freiheit nicht nur Frauen, Arbeiter_innen oder Be-
sitzlose aus dem Geltungsbereich der Menschenrechte ausgeschlossen bleiben.
Die vollmundige egalitäre Rhetorik der (weißen männlichen) Revolutionäre wie
auch bereits der (weißen männlichen) Naturrechtler basiert vor allem auf einer
systematischen Marginalisierung und Diskriminierung von Nicht-Europäer_in-
nen und Nicht-Weißen. Menschenrechte bleiben People of Color nicht nur fak-
tisch, sondern auch bereits auf der theoretischen Ebene vorenthalten.
Die Marginalisierung des Nicht-Europäischen im Menschenrechtsdiskurs
zeigt sich bis heute sehr aufschlussreich an der nach wie vor ausbleibenden oder,
wenn überhaupt thematisiert, dann verzerrenden Thematisierung der Haitiani-
schen Revolution. Noch immer wird sie nicht im historischen Kontext der nord-
28 | Grenz en de r Mensche nrechte
amerikanischen und der französischen Revolution am Ende des 18. im Übergang
zum 19. Jahrhundert verortet, sondern meistenteils verschwiegen, verharmlost
oder aber dämonisiert,1 von einer Einordnung in den Kanon der Menschenrechts-
theorien und -praktiken der Moderne ganz zu schweigen. Die Haitianische Revo-
lution ist gleichermaßen das Sinnbild der Verdrängung des Nicht-Europäischen
und der damit verbundenen Konstitution als das ‚Andere‘ der vermeintlich zivi-
lisierten Moderne. Aus der Perspektive der kanonisierten Historiographie der
Menschenrechte wird dieser (vermeintliche) zivilisatorische Fortschritt durch die
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) aus dem Jahre 1948 ent-
sprechend verkörpert.
Unter Berücksichtigung vielfältiger Kontestationen des Menschenrechts-
kanons in den letzten 200 Jahren lässt sich zeigen, dass die in der Allgemeinen
Erklärung der Menschenrechte (1948) enthaltene Menschenrechtskonzeption
von drei Ambivalenzen gekennzeichnet ist. Die erste Ambivalenz der Menschen-
rechte besteht in ihrem historischen Doppelcharakter von Verheißung und Ver-
sagen. Einerseits verkörpert die Forderung nach Freiheit und Gleichheit eine un-
geheure politische und soziale Sprengkraft, andererseits verbleibt sie lediglich
rhetorisch an genau jenen Punkten, an denen sie echte Inklusion zu versprechen
vorgibt. Die zweite Ambivalenz besteht im Spannungsverhältnis von Universali-
tät und Historizität. Während der Anspruch der Menschenrechte sich dadurch
auszeichnet, wenn nicht faktisch universell gültig, so doch mindestens universa-
lisierbar zu sein (vgl. Pollmann 2009), so zeigt sich doch an ihrem historischen
Entstehungskontext im europäischen modernen Naturrecht sehr deutlich, dass
sowohl ihre formal-begriffliche Gestalt als auch ihre Gehalte historischen Be-
dingungen und entsprechenden Vorstellungen unterworfen sind, die eine Über-
zeitlichkeit im Sinne einer Zeitlosigkeit der Menschenrechte fraglich erscheinen
lassen. Dies spiegelt sich auch in der Ambiguität wider, mit der einerseits die ge-
samte Menschheit als Matrix einer verbindenden moralischen und politischen
Identität beschworen wird (vgl. Hoover 2013b: 935), andererseits aber nationale
Befugnisse wie etwa nationalstaatliche Souveränität unangetastet bleiben, die die
Reichweite von Menschenrechten z.B. dadurch einschränken, dass deren Gewäh-
rung vom Staatsbürger_innenstatus abhängig gemacht wird. Die Universalität
menschenrechtlicher Geltung findet also bereits an territorialen Grenzen ihr En-
de, obwohl sie als transkulturell und überzeitlich proklamiert wird. In diesem
Punkt wird die dritte Ambivalenz von Affirmation und Kritik berührt. Men-
schenrechte zu befürworten, versteht sich für den Großteil der Theoretiker_innen
des Globalen Nordens von selbst, besteht hier allenfalls eine Kontroverse über
1 Vgl. Trouillot 2002; Girard 2011; Buck-Morss 2011.
Menschrechte Ka non u nd Kontes tation | 29
begründungstheoretische Details. Anders sieht es bei postkolonialistischen Au-
tor_innen aus, die nicht nur Kritik an einer eventuell metaphysikverdächtigen
Begründung üben, sondern in grundsätzlicher Weise die Blindstellen und Ver-
zerrungen des derzeitigen Menschenrechtsdiskurses inklusive seiner Genese aus
einem eurozentrischen Zivilisations- und Fortschrittsnarrativ anprangern. Dabei
wird nicht verleugnet, dass die Idee fundamentaler Rechte für emanzipatorische
Bewegungen, allen voran für die nordamerikanische, die französische und die
haitianische Revolution, eine große Rolle spielt, und zwar als Ressource für Kri-
tik an bestehenden Verhältnissen gesellschaftlichen und politischen Unrechts
wie als Maßgabe für zu verfolgende progressive und ermächtigende Ziele
gleichermaßen. Dennoch werden die Menschenrechte für ihre false abstractions
that deny while entrenching real differences and concrete identities and for pro-
moting egoism and atomism at the expense of community and solidarity (Bay-
nes 2000: 452) kritisiert.
Aus diesen drei Ambivalenzen ergibt sich ein paradoxes Bild der Menschen-
rechte. Auf der einen Seite findet sich in den theoretischen Ansätzen und insbe-
sondere in den entsprechenden Bezugnahmen auf die Allgemeine Erklärung der
Menschenrechte (1948) eine kanonische Sammlung von Menschenrechten, in
der die klassischen liberalen Rechte einen zentralen Stellenwert einnehmen. Le-
ben, Freiheit, Gleichheit diese drei Rechtsgehalte gehören zu den Kernelemen-
ten von Menschenrechtskonzeptionen. In Thomas Marshalls Lesart bilden die
individuellen Freiheitsrechte den Grundbestand an Menschenrechten, auf den
weitere politische Teilnahme- und soziale Teilhaberechte folgen (vgl. Marshall
1992; Lohmann 2010: 146). Doch entzündet sich nicht erst an der Einteilung in
‚Klassen‘ oder ‚Generationen‘ von Menschenrechten (vgl. Fritzsche 2004: 24f.;
Menke/Pollmann 2007: 118f.) eine Kontroverse darüber, welche Rechtsgehalte
den Status als Menschenrechte überhaupt erhalten sollten. In grundsätzlicherer
Weise steht zur Debatte, inwiefern die genannten Ambivalenzen das emanzipa-
torische ‚Projekt‘ der Menschenrechte in Misskredit bringen könnten. Sämtliche
drei Ambivalenzen stehen im Zusammenhang mit der begrifflichen Spannung
zwischen dem abstrakt-allgemeinen und vorstaatlichen Charakter der Menschen-
rechte einerseits und dem Umstand andererseits, dass diese fast ausschließlich in
Form von konkreten nationalstaatlich gewährleisteten Bürger_innenrechten zur
politischen Geltung gelangen. Unter dieser Prämisse ist u.a. die Exklusion von
Nicht-Staatsbürger_innen aus dem Gewährleistungsbereich der Menschenrechte
unvermeidbar, was das inklusive Potential der Menschenrechte in Bezug auf po-
litische Teilhabe minimiert. Doch ist es gerade der Ausschluss von Nicht-Staats-
bürger_innen aus dem Bereich der politischen Teilhabe, der in normativer Hin-
sicht als problematisch anzusehen ist. Aus diesem Grund wird in der vorliegen-
30 | Grenz en de r Mensche nrechte
den Studie das derzeit vorherrschende Menschenrechtsverständnis, das von mo-
ralischen Rechten ausgeht, die politisch umzusetzen sind, kontestiert und einer
alternativen Lesart von Menschenrechten als politischen Rechten gegenüberge-
stellt. Mit dem Terminus „politische Rechte“ meine ich, wie bereits in der Ein-
leitung erläutert, zweierlei: Zum einen gehe ich davon aus, dass die Bestimmung
der Menschenrechte dem diskursiven Prozess nicht axiomatisch vorgegeben ist,
sondern dass mögliche Interpretationen der Menschenrechtsgehalte dem politi-
schen Aushandlungsprozess anheimgestellt sind. Zum anderen sind Menschen-
rechte, verstanden als politische Rechte, genau jene Rechte, auf die Menschen
sich im politischen Kampf um Ermächtigung beziehen also in den Momenten,
in denen politische Akteur_innen in politischen Subjektivationsprozessen um die
Verwirklichung der Menschenrechte ringen.
Wenn im Folgenden von ‚Kritik‘ oder ‚kritischen Perspektiven‘ bzw. ‚Kon-
testationen‘ die Rede sein wird, ist damit gemeint, dass die derzeit dominante
Menschenrechtslesart zunächst weniger „in the spirit of correction as in the spirit
of interrogation“ (Marks 2012: 316) befragt werden soll. Mit anderen Worten:
Es soll zunächst nachvollzogen werden, worin die hohe Attraktivität der Men-
schenrechtsidee für den moral- und politiktheoretischen Diskurs besteht, und zu-
gleich aufgezeigt werden, worin die begrifflichen Problematiken bestehen. Es
wird nach den Leer- und Blindstellen des regelrecht ‚romantischen‘ Menschen-
rechtsnarrativs gefragt und danach, inwiefern es selbst innerhalb von problemati-
schen partikularistischen Vorannahmen verortet ist, die es selbst nicht oder nur
ungenügend reflektiert (vgl. Marks 2012: 317; s. auch Odinkalu 1999). In den
folgenden Abschnitten dieses zweiten Kapitels werden die historischen Wei-
chenstellungen für das heutige Menschenrechtsverständnis erläutert und das
Wechselverhältnis von Kanon und Kritik der Menschenrechte dargelegt.
2.1 DAS VERSPRECHEN DER MENSCHENRECHTE
Mit der Idee ‚universeller‘ Menschenrechte, die allen Menschen gleichermaßen
aufgrund ihres Menschseins zukommen, verbindet sich am Ende des 18. Jahr-
hunderts ein Versprechen der Verwirklichung von Freiheit und Gleichheit aller
Menschen in Form entsprechender zu achtender Rechtsansprüche. Ihren verhei-
ßungsvollen Charakter tragen die Menschenrechte als Erbe des modernen natur-
rechtlichen Denkens, das mit der Individualisierung, Subjektivierung und Plura-
lisierung des Rechtsgedankens dem Individuum einen Zuwachs an unveräußerli-
chen Schutzansprüchen in Aussicht stellt, durch den es sich der Willkür obrig-
keitlicher Politik immer weniger ausgeliefert sieht. Diese Ansprüche werden zu-
Menschrechte Ka non u nd Kontes tation | 31
chst als vorstaatliche konzipiert, die nicht einer hierarchisch gegliederten Ge-
sellschaftsordnung, sondern allein der menschlichen ‚Natur‘ bzw. dem mensch-
lichen ‚Wesen‘ entstammen. Menschenrechte werden somit als herrschaftsbe-
grenzende Rechte verstanden, die sich gegen ständebezogene Zuschreibungen
von Bevorzugungen und Benachteiligungen wenden und ihrerseits den Staat in
die Pflicht nehmen, den individuellen Schutzanspruch dieser subjektiven Rechte
zu achten. Der rechtsphilosophische Diskurs der Aufklärung seit dem 16./17.
Jahrhundert konturiert maßgeblich die Vorläuferkonzepte der späteren Men-
schenrechte.2 Nach einer längeren Pause der systematischen Auseinandersetzung
mit der Idee der Menschenrechte während des 19. Jahrhunderts (vgl. Hofmann
2010) wird der verheißungsvolle Charakter der Menschenrechte im Post-Block-
bildungszeitalter, d.h. im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert, erneut be-
schworen. Menschenrechte gelten nunmehr regelrecht als „last utopia“ (Moyn
2010), die weitestgehend unabhängig von weltanschaulichen Parteilichkeiten Pa-
tin für die Idee grenzüberschreitender Gerechtigkeit und eine Politik, die dem
Individuum unveräußerliche Schutzwürdigkeit zusichert, steht.3 Bereits im Ver-
lauf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lässt sich anhand der Intensivierung
einer Menschenrechtsrhetorik nachvollziehen, wie Menschenrechte zu einem
festen Bestandteil internationaler Politik, also zwischen- und suprastaatlicher
Organisationen und Gremien, werden (vgl. Eckel 2014: 10f.). Im Unterschied zu
dem vom 16. bis 18. Jahrhundert währenden rechtsphilosophisch ausgerichteten
Diskurs über Natur- bzw. Menschenrechte finden sich allerdings seit den 1990er
Jahren verstärkt in der Moralphilosophie zahlreiche Ansätze, die sich dem ambi-
tionierten Versuch einer begrifflichen und inhaltlichen Definition der Menschen-
rechte verschreiben hauptsächlich gemäß den vier normativen Leitkategorien,
Freiheit, Würde, bloßes Leben und angemessenes Leben. In der moraltheoreti-
schen Lesart stellen sich Menschenrechte als moralisch begründete Ansprüche
2 Zur Rolle der Rechtsphilosophie der Aufklärung im Zusammenhang mit der Entwick-
lung der Menschenrechtsidee vgl. Brandt 1982. Zu den wichtigsten rechtsphiloso-
phisch argumentierenden Theoretiker_innen, die sich anhand einer Unterscheidung
zwischen ‚erworbener‘ und ‚angeborener‘ Freiheit mit der Frage nach der Begrün-
dungsmöglichkeit eines von positivem Recht unabhängigen subjektiven Rechts ausei-
nandersetzen, zählt Reinhardt Brandt u.a. Francis Bacon, René Descartes, John Locke,
Christian Wolff, Christian Thomasius, Giambattista Vico, Montesquieu, David Hume
und Henry Home. Auch Thomas Hobbes, Spinoza, Immanuel Kant sowie Ralph
Cudworth, Samuel Clarke und George Berkeley sind zumindest ausführlicher mit der
damaligen Rechtstheorie vertraut (vgl. Brandt 1982a: 1-2).
3 Vgl. Honneth 2013: 256; Menke/Pollmann 2007: 98ff., 208ff.
32 | Grenz en de r Mensche nrechte
auf politisch zu realisierende Grundrechte dar (vgl. Pollmann 2008: 10f.; Men-
ke/Pollmann 2007: Kap. 1). Diese Vorstellung von zunächst moralisch gedach-
ten, aber politisch umzusetzenden Rechten ist für weite Bereiche des sogenann-
ten westlichen theoretischen Diskurses über Menschenrechte relevant, vermittelt
sie doch den Eindruck, besonders anschlussfähig nicht nur für moralische, son-
dern sowohl für juridische als auch politische Zugänge zu sein. Als moralische
Rechte bedeuten Menschenrechte den grundlegenden Anspruch eines jeden In-
dividuums, unabhängig von bestehenden Gesetzen einer bestimmten politischen
Gemeinschaft unveräußerliche Rechte zugesprochen zu bekommen, die ihm auf-
grund seines Menschseins (bzw. seiner ‚Natur‘, seines ‚Wesens‘ oder seiner
‚Vernunftfähigkeit‘ zukommen). Die begründungstheoretischen Ansätze sind
hierbei vielfältig. Der Rekurs auf die menschliche Natur gilt unter postmetaphy-
sischen Ansätzen, z.B. aufgrund eines als problematisch angesehenen Essentia-
lismus, als umstritten. Stattdessen schlagen Autor_innen entweder einen rekon-
struktiven Begriff menschlicher Bedürfnisse und Fähigkeiten (vgl. Nussbaum
1999: 189; Pauer-Studer 1999: 10) vor, der die Grundlage für bedürfnisorientier-
te Rechte darstellt, oder argumentieren für eine diskursiv zu ermittelnde Konzep-
tion der Vernunft.4
Zudem ist es weithin verbreitet, Menschenrechte im Rahmen einer Theorie
der gleichen Achtung oder einer Theorie menschlicher Würde zu begründen.
Dabei differenziert sich der Bereich intern noch einmal stark hinsichtlich ver-
schiedener Thematiken, angefangen bei der Begründung einzelner Menschen-
rechte, über die Begründung des Anspruchs auf Universalität, bis hin zur Be-
gründung des Kriteriums der Unteilbarkeit (vgl. Pollmann 2008: 12f.; Men-
ke/Pollmann 2007: Kap. 2). Nach der Überzeugung etlicher Theoretiker_innen
sollten Menschenrechte im Überschneidungsbereich von Moral, Recht und Poli-
tik angesiedelt werden, womit sie als komplexe Rechte zu verstehen sind, die
je nach Auslegung und Anwendungsgebiet auch juridische Geltung (Verfas-
sungsstatus) sowie politische Relevanz (Grund- und Bürger_innenrechte) haben
(vgl. Pollmann 2008: 12; Lohmann 1998). Der moraltheoretische Zugang ver-
steht sich zudem als besonders anschlussfähig für die kosmopolitische Theorie-
bildung und die Theorie globaler Gerechtigkeit (vgl. Pogge 2002b; Brock/
Brighouse 2005). Hier sind es vor allem, ausgehend von einer klassisch-liberalen
Auffassung der Menschenrechte im Gefolge von John Locke und Immanuel
Kant, die individuellen Freiheitsrechte, die im Zentrum stehen. Während für vie-
le liberalistisch argumentierende Ansätze das Freiheitsrecht im Vordergrund
steht und soziale wie politische Teilhabe eher außen vor gelassen werden, finden
4 Vgl. Habermas 1968, 1994; Forst 1999.
Menschrechte Ka non u nd Kontes tation | 33
diese in republikanischen Ansätzen im Anschluss an Jean-Jacques Rousseau eine
stärkere Beachtung. Dabei ist jedoch sowohl bei liberalen als auch republikani-
schen Zugängen mitunter die Tendenz zu beobachten, Menschenrechte monoli-
thisch auf ein zentrales Recht beim Liberalismus ist es das Freiheitsrecht, beim
Republikanismus das Recht auf die Teilhabe an der Volkssouveränität zurück-
zuführen (vgl. Pollmann 2008: 14f.). Diese Fokussierung erweist sich jedoch
zumeist als nicht überzeugend, weil die Reduktion auf ein einziges Recht nur um
den Preis der Vernachlässigung anderer wichtiger menschenrechtlicher Güter zu
haben ist. So ignoriert der Fokus auf das Freiheitsrecht im liberalen Ansatz, dass
Teilhabe, und zwar auch soziale, notwendigerweise zur Autonomie eines Indivi-
duums gehört, während umgekehrt ein Fokus auf den Zugang zur Volkssouverä-
nität beim republikanischen Ansatz vernachlässigt, dass individuelle Freiheit um
der Würde des Einzelnen willen einen unveräußerlichen Wert darstellt. Darüber
hinaus besteht in grundsätzlicher Hinsicht die Frage, ob von einem einzigen
Menschenrecht überhaupt sinnvoll die Rede sein kann oder ob Menschenrechte
nicht ohnehin im Plural gedacht werden müssen, da die unterschiedlichen Gehal-
te der Menschenrechte nicht auf einen einzigen zurückgeführt werden können.5
Ihren verheißungsvollen Ruf verdanken die Menschenrechte vor allem nicht
zuletzt ihrer innerhalb des moraltheoretischen Diskurses profilierten normativen
Kraft, der souveränen Gewalt des Staates anhand des Rechts eines jeden Indivi-
duums auf ein autonomes Leben Grenzen aufzuzeigen (vgl. Honneth 2013: 268).
Menschenrechten haftet daher der Nimbus an, als Quasi-Schutzschild des Ein-
zelnen gegen Tyrannei, Folter, Entrechtung oder Exklusion fungieren zu können,
nicht nur in Form einer „critical morality by which the positive morality of prac-
tices and conduct of states, communities, and individuals open themselves to a
continual process of de-/re-evaluation“ (Baxi 2006: 14), sondern durchaus auch
in praktischer Hinsicht im Sinne einer „insurrectionary praxis“ (Baxi 2006: 22).
Mit „insurrectionary praxis“ meint Upendra Baxi vielfältige Ermächtigungs-
kämpfe, angefangen bei Anti-Apartheidskämpfen über Kämpfe von Subalternen
um Teilhabe bis hin zu feministischen und queeren Auseinandersetzungen über
die Gleichberechtigung der Geschlechter, sexueller Orientierungen und gender-
bezogener Lebensentwürfe. Diese Kämpfe treten an unterschiedlichen Orten der
Welt und in verschiedenen Kontexten auf und beziehen sich ungeachtet ihrer
Vielfältigkeit auf ebenjene universale Idee, nach der Individuen unabhängige
und unteilbare Rechte einzufordern berechtigt sind. Diese zahlreichen und diver-
sen Bewegungen führen dabei zu einer Verbreitung und Universalisierung der
5 Zu begründungstheoretischen Debatte vgl. u.a. Lohmann 2005, 2010; Pollmann 2008;
Gesang 2011.
34 | Grenz en de r Mensche nrechte
Menschenrechte bei gleichzeitiger Pluralisierung ihrer je spezifischen Bedeu-
tungsgehalte (vgl. Baxi 2006: 23).
Ihren nachhaltigen Niederschlag findet die in moralischer Hinsicht so offen-
sichtlich attraktive Idee der Menschenrechte vor allem jedoch in der Allgemeinen
Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahre 1948. Insbesondere im Zuge der
Etablierung eines internationalen Menschenrechtsregimes sind hier einschlägige
Fortschritte hinsichtlich der Gleichberechtigung aller Menschen und ihrer indi-
viduellen wie kollektiven Emanzipation zu verbuchen. Die Verbreitung und
Durchsetzung der Menschenrechtsidee ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhun-
derts wird daher auch nicht nur von offizieller Seite als ‚Erfolgsprojekt‘ gewer-
tet. Menschenrechte konnten zu einem der wichtigsten normativen Maßstäbe zur
Beurteilung von politischen Handlungen nationalstaatlicher, nicht-staatlicher und
auch privater Akteur_innen sowie inter- und transnationaler Strukturen avancie-
ren. Ausgehend von der Charta der Vereinten Nationen aus dem Jahre 1945 bil-
den die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948) sowie der UN-Zi-
vilpakt und der UN-Sozialpakt (beide 1966) grundlegende Bestandteile einer
rechtlichen und politischen Implementierung von Menschenrechten auf nationa-
ler, inter- und transnationaler Ebene. Die Gesamtheit sowohl der weltweiten als
auch regionalen und hier insbesondere der europäischen Abkommen6 bietet
neben zentralen Institutionen wie den UNO-Hauptorganen und regionalen Ein-
richtungen wie dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mittlerwei-
le eine Reihe von Instrumentarien und Institutionen zum Zwecke des Menschen-
rechtsschutzes. In Bezug auf Menschenrechte haben die Vereinten Nationen bis-
lang immerhin dreißig rechtsverbindliche Abkommen und mehr als fünfzig Re-
solutionen der Generalvollversammlung initiiert (vgl. Buergenthal/Thürer 2010:
4). Im Völkerrecht wird von einem regelrechten Paradigmenwechsel, mitunter
gar von einer Revolutionierung tradierter Strukturen gesprochen (vgl. u.a.
Bernstorff 2008). Galten Menschenrechtsfragen klassischerweise als rein inner-
staatliche Angelegenheit, so kann heute von einer Tendenz des Völkerrechts hin
zu einer zunehmend menschenrechtsbasierten globalen Konstitutionalisierung
ausgegangen werden (vgl. u.a. Kokott 1999: 182; Fischer-Lescano/Kommer
2009: 93ff.). Als ausschlaggebendes Kriterium gilt hier die Interpretation des
6 In chronologischer Reihenfolge sind als wichtigste Abkommen u.a. die Europäische
Menschenrechtskonvention aus dem Jahre 1953, die Anti-Rassismus-Konvention von
1965, der UN-Sozialpakt und der UN-Zivilpakt (beide 1966), die Frauenrechtskonven-
tion (1979), die Anti-Folterkonvention (1984), die Kinderrechtskonvention (1989), die
Wanderarbeiterkonvention (1990), die Behindertenrechtskonvention sowie die Kon-
vention gegen das Verschwindenlassen (beide 2006) zu nennen.
Menschrechte Ka non u nd Kontes tation | 35
Menschenrechtskatalogs als Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts (vgl. Art.
38, Abs. 1b des Statuts des Internationalen Gerichtshofes).7 Zwar ist nur eine
Auswahl an Menschenrechten und nicht der umfassende Katalog, wie er in der
Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vorliegt, gemeint, doch werden z.B.
die beiden UN-Pakte aus dem Jahr 1966, bestimmte Artikel der Rassen- und
Frauendiskriminierungskonventionen sowie der Folter- und Kinderkonvention
mittlerweile als Teile des Völkergewohnheitsrechtes angesehen. Das Individuum
als Träger_in der universellen Menschenrechte erhält damit auch im Völkerrecht
Subjektstatus. Das bedeutet zwar nicht, dass
„jede vertraglich geschätzte menschenrechtliche Regelung tatsächlich auch Individual-
rechte zuweist. Manche Konventionen verstehen sich lediglich als Niederlegung staatli-
cher Schutzpflichten im Menschenrechtsbereich, ohne gleichzeitig Individualrechte zu
gewähren.“ (Hobe 2008: 167)
Doch besteht kein Zweifel mehr darüber, dass Menschenrechte nicht nur auf der
rhetorischen, sondern auf der konkreten rechtspolitischen Ebene einen Stellen-
wert erreicht haben, der in vielerlei Hinsicht unhintergehbar geworden ist. Eine
weitere Dimension des internationalen Menschenrechtsregimes bildet etwa die
sogenannte Drittwirkung, die den Menschenrechten, zumindest in Europa, zuge-
sprochen wird. Dies bedeutet, dass Menschenrechte auch für das Verhältnis zwi-
schen Nicht-Vertragsmitgliedern der Vereinten Nationen, etwa privaten Wirt-
schaftsunternehmen bzw. einzelnen Individuen, gelten. Die mittlerweile stark
ausgedehnte Reichweite der Menschenrechte in den Bereichen des nationalen
und internationalen Rechts vermittelt den Eindruck eines hohen Schutzwertes für
das Individuum. In der Tat gewähren die aufgezählten Institutionen und Instru-
mentarien einem großen Personenkreis umfassenden Schutz allerdings kommt
dieser in erster Linie den Staatsbürger_innen der Länder zu, die entsprechende
Menschenrechtsabkommen ratifiziert haben.
Angesichts der Erfolge des internationalen Menschenrechtsregimes kann je-
doch nicht übersehen werden, dass die Einlösung des Versprechens der Men-
schenrechte für einen beträchtlichen Anteil von Menschen weltweit nach wie vor
auf sich warten lässt. Noch immer sind vielerorts politische, ökonomische, sozia-
le oder kulturelle Strukturen der Ungerechtigkeit für teils massive Verletzungen
von Freiheit und Gleichheit verantwortlich. Schwerwiegende Einschränkungen
der persönlichen wie politischen Selbstentfaltung von Individuen sind in vielfäl-
7 https://www.unric.org/de/component/content/article/86-statut-des-internationalen-
gerichtshofs (24.11.2018).
36 | Grenz en de r Mensche nrechte
tiger Weise auf Unterdrückung, Freiheitsberaubung, Ausbeutung, Diskriminie-
rung oder Marginalisierung zurückzuführen; in vielen Ländern dieser Welt ist
die rechtlich-politische Gleichberechtigung von Menschen unterschiedlicher kul-
tureller Selbstverständnisse, sozialer Schichtenzuordnung, Geschlechtsidentitä-
ten, sexueller Orientierungen oder unterschiedlicher nationaler Zugehörigkeit
bloß eine Idee und weit entfernt davon, implementiert zu werden. In etlichen
Fällen handelt es sich dabei tatsächlich entweder um die Missachtung oder zu-
mindest um eine unzureichende Umsetzung der Menschenrechte, für die be-
stimmte Akteur_innen unter Umständen auch eindeutig zur Rechenschaft gezo-
gen werden könnten.8 So ist das paradoxe Phänomen einer immer höheren An-
zahl an Ratifizierungen von Menschenrechtsabkommen, die aber lediglich auf
dem Papier bestehen und häufig in der Praxis keine Verbesserung der Menschen-
rechtspraxis bringen, zu beobachten. Der Stand der Ratifizierungen allein sagt
wenig über die faktische Ausgestaltung und Geltung der Menschenrechte aus.9
Die Unterzeichnung von Abkommen bleibt dann bloßes „window dressing“
(Hafner-Burton/Tsutsui 2005: 1373), und viele Verrechtlichungsprozesse tragen
daher letztlich lediglich Fassadencharakter (vgl. Kreide 2008: 11ff.).
Doch nicht immer liegt Ignoranz oder fehlende Bereitschaft staatlicherseits
vor, wenn Menschenrechte nicht zur Geltung kommen. Wären nur menschliches
Unvermögen, institutionelle Defizite oder schlichtweg politischer Unwille der
Grund, dass Menschenrechte nicht gewährt werden, bestünde kein Anlass, über
die konzeptionellen Aspekte der Menschenrechte nachzudenken. Daher sei an
dieser Stelle betont, dass es im Folgenden nicht um die realpolitischen Mängel
einer praktischen Umsetzung geht. So skandalös die Defizite im Einzelnen sind
meine Untersuchung zielt auf etwas anderes ab: Unter den gegenwärtigen
Konzeptionen von Menschenrechten ist besonders eine Variante im theoreti-
schen Diskurs weit verbreitet. Diese geht von universellen moralischen, d.h.
vorpolitischen Rechten aus, die von nationalstaatlich verfassten Gemeinwesen
und transnationalen Institutionen zu gewähren und zu garantieren sind.10 Dieses
moraltheoretisch begründete Verständnis von Menschenrechten, das gemeinhin
liberalistischen Ansätzen zugeordnet wird, mehr oder weniger direkt in der Tra-
dition des neuzeitlichen Naturrechtsdiskurses steht und sich zumeist auf einen
sogenannten universalisierbaren Minimalkatalog fundmentaler Rechte auf Le-
8 Vgl. die kontroverse Diskussion um die Frage der Zuschreibung politischer Verant-
wortung bei Miller 2001; Young 2006, 2007.
9 Vgl. Kreide 2008: 13 sowie u.a. Hafner-Burton/Tsutsui 2005; Liese 2006.
10 Vgl. u.a. Bielefeldt 2010; Gosepath 1998; Lohmann 1998, 2010; Pollmann 2008; Tu-
gendhat 1993, 2001.
Menschrechte Ka non u nd Kontes tation | 37
ben, Sicherheit, persönliche Freiheit und formale Gleichheit beruft,11 ist jedoch
dann als inadäquat anzusehen, wenn auf den emanzipativen Charakter der Men-
schenrechte abgestellt werden soll. Wie ausführlicher im 4. Kapitel darzustellen
sein wird, ist die dem moraltheoretischen Menschenrechtsverständnis zugrunde-
liegende Vorstellung eines abstrakten, kontextunabhängigen Rechtssubjekts als
problematisch anzusehen. Politische Mitbestimmung wird für das Individuum
nicht im gleichen Maße als schutzwürdiges Gut angenommen wie Leben, Frei-
heit oder Besitz. Es handelt sich bei genauerem Hinsehen um ein vor- bzw.
nicht-politisches Lebewesen, das als Menschenrechtsträger_in imaginiert wird.
Die vorliegende Studie richtet ihr Augenmerk daher auf die Möglichkeit einer al-
ternativen Lesart von Menschenrechten. Meine Untersuchung geht von der The-
se aus, dass es aufgrund der begrifflichen Schwierigkeiten und Defizite der ver-
breiteten Menschenrechtslesarten einen dringenden Bedarf an nachhaltiger Re-
flexion und Revision gibt.
Eine zentrale begriffliche Schwierigkeit besteht in der Problematik des unge-
lösten Spannungsverhältnisses zwischen Identität und Nichtidentität von Men-
schen- und Bürger_innenrechten, die bereits in der Einleitung mit der These von
Tautologie und Leere der Menschenrechte benannt wurde.12 Während Men-
schenrechte für Staatsangehörige als selbstverständliche Rechte13 wahrnehmbar
sind, bleibt ihr Versprechen für einen nicht unbeträchtlichen Anteil der Men-
schen weltweit nach wie vor ein leeres: Migrant_innen (in unterschiedlichem
Maße, d.h. je nach Aufenthaltsstatus) und vor allem Flüchtlingen, Staatenlosen
und undokumentierten Migrant_innen14 werden Menschenrechte nicht im glei-
11 Für den hiesigen Zusammenhang ist entscheidend, dass sie in der Regel kein Recht
auf politische Partizipation enthalten. Dagegen siehe u.a. Peter 2013.
12 Vgl. Arendt 1986a: 620, 2011: 400f.; Rancière 2011a: 484; Zhang 2014: 245.
13 Zumindest wenn es sich um Staaten handelt, die Menschenrechte in Form von Grund-
oder Bürger_innenrechten gewähren.
14 Die Zuschreibung einer ‚illegalen‘ Zuwanderung in tagespolitischen Debatten und im
allgemeinen Sprachgebrauch erfolgt häufig in diskriminierender Absicht und reprodu-
ziert ein negatives Stereotyp, weshalb im Folgenden auf diese Bezeichnung verzichtet
wird. In Rücksicht auf die Betroffenen wird daher statt von ‚illegalen‘ Migrant_innen
von Migrant_innen in irregulärer Situation („migrants in an irregular situation“
[OHCHR Report 2013: 69]) gesprochen. Die Umstände, unter denen Zuwander_innen
sich auf nicht-reguläre Weise in Zielländern aufhalten, sind so vielfältig wie die
Gründe für Migration insgesamt (Schwenken 2006: 307). Auf die rechtlichen, politi-
schen und gesellschaftlichen Dimensionen der Variante von Zuwanderung, die im ju-
ristischen Kontext zunehmend kriminalisiert wird (vgl. den Kurzbericht der Agentur
38 | Grenz en de r Mensche nrechte
chen Maße zuteil wie Staatsangehörigen. Es handelt sich hier um jene, die sich
in der paradoxen Situation befinden, sich zwar in moralischer Hinsicht auf Men-
schenrechte durchaus berufen zu können, diese aber genau deshalb faktisch nicht
gewährt bekommen, weil sie über keine staatsbürgerlichen Rechte verfügen. Nun
ist es keineswegs so, dass der Menschenrechtskatalog der Allgemeinen Erklä-
rung der Menschenrechte (1948) diesem Phänomen blind gegenüber wäre. Arti-
kel 15 etwa versucht gerade, dem Problem insofern zu begegnen, als hierin dezi-
diert ein Recht auf Staatsbürgerschaft formuliert wird (Art. 15 Abs. 1 AEMR
1948: „Jeder hat das Recht auf eine Staatsbürgerschaft“).15 Es könnte also argu-
mentiert werden, dass der Entzug oder die Aberkennung einer Staatsbürgerschaft
lediglich eine kontingente Verletzung der Menschenrechte darstellt, die unter der
Bedingung einer Implementierung des Artikels 15 in nationalstaatlichen Verfas-
sungen vermieden würde. Ein Staat, der diesen Artikel 15 garantiert, kommt sei-
ner dem Recht des Individuums auf Staatsangehörigkeit (vgl. Art. 15 Abs. 2
AEMR 1948) korrespondierenden Pflicht zur Gewährleistung dieses Rechts
nach. Folglich besteht kein Grund, die der AEMR zugrunde liegende Konzeption
von Menschenrechten infrage zu stellen, weil der entsprechende Katalog Staats-
bürgerschaft, die die Voraussetzung für die Gewährung von Menschenrechten
darstellt, als Gut schützt. Diese Argumentation zäumt jedoch das Pferd von hin-
ten auf, denn sie macht politische Beteiligung von der offiziell anerkannten Zu-
gehörigkeit zum Staat abhängig. Folgt man hingegen einer Lesart, die die Mög-
lichkeit zur politischen Mitbestimmung als zentral und unverzichtbar für ein
selbstbestimmtes menschliches Leben ansieht, so müsste politischer Partizipati-
on Menschenrechtsstatus zugesprochen werden und nationale Zugehörigkeit ei-
nen zweitrangigen Stellenwert einnehmen. Politische Teilhabe wird in dieser
Lesart als zu schützendes Gut anerkannt. Sie bildet den Ausgangspunkt, von dem
aus Zugehörigkeit zu einer politischen Gemeinschaft neu reflektiert werden
kann. Von hier aus lassen sich, wie zu zeigen sein wird, Probleme wie Margina-
lisierung, Diskriminierung und Exklusion zunächst theoretisch anders beleuchten
und gegebenenfalls effektiver politisch behandeln.
der Europäischen Union für Grundrechte, FRA 2014), kann hier nicht näher einge-
gangen werden. Mit undokumentierten Migrant_innen sind Zuwander_innen gemeint,
die über keinen offiziellen Aufenthaltsstatus verfügen.
15 Art. 15 AEMR 1948 lautet vollständig: „1. Jeder hat das Recht auf eine Staatsangehö-
rigkeit. 2. Niemandem darf seine Staatsangehörigkeit willkürlich entzogen noch das
Recht versagt werden, seine Staatsangehörigkeit zu wechseln“, www.un.org/depts/
german/menschenrechte/aemr.pdf (24.11.2018).
Menschrechte Ka non u nd Kontes tation | 39
Besieht man sich die Situation von Flüchtlingen, Staatenlosen und undoku-
mentierten Migrant_innen genauer, können nicht ausschließlich fehlende bzw.
defizitäre politisch-rechtliche Strukturen für eine ausbleibende Verwirklichung
der Menschenrechte verantwortlich gemacht werden.16 Die Ursachen hierfür
mögen im Einzelfall unterschiedlich und strukturell gesehen vielfältig und kom-
plex sein. Selbst wenn der Ausspruch „refugees are human rights violations ma-
de visible“17 durchaus zutrifft, so soll es im Folgenden nicht um eine Untersu-
chung der vielfältigen Gründe für failed states, Bürger_innenkriege oder Geno-
zid gehen. Denn auch in sogenannten Friedenszeiten und unter den Bedingungen
stabiler Staatlichkeit bleibt das Problem des Ausschlusses bestimmter Personen
aus dem Bereich politischer Teilhabe bestehen. Mein Blick richtet sich folglich
vielmehr auf problematische Aspekte der vorherrschenden Konzeption der Men-
schenrechte selbst, die eine faktische Realisierung von Freiheit und Gleichheit in
wichtigen Aspekten erschweren. Die vorliegende Studie befasst sich daher im
Kern mit der Frage, ob die Hindernisse der Entfaltung von Freiheit und Gleich-
heit lediglich einer lückenhaften politisch-rechtlichen Umsetzung der Menschen-
rechte zuzuschreiben sind oder ob nicht die gängige Menschenrechtskonzeption
selbst als defizitär hinsichtlich des Anspruchs auf vollumfängliche Entfaltung
von Freiheits- und Gleichheitspostulaten anzusehen ist.
Die zentrale These dieser Studie geht davon aus, dass eine kritische Ausei-
nandersetzung mit dem vorherrschenden Menschenrechtsverständnis und der
Versuch einer adäquateren Lesart der Menschenrechte eine der drängendsten
Herausforderungen für die gegenwärtige Politische Theorie darstellt. Dies mag
16 Der Gedanke, dass nicht (ausschließlich) externe Gründe ausschlaggebend für die Be-
hinderung einer umfänglichen Entfaltung der Menschenrechte sind, sondern dass
eventuell (auch) spezifische begriffliche Merkmale, Konturen und Weichenstellungen
der Form von Menschenrechtskonzeption, wie sie in der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte (1948) kodifiziert ist, dazu beitragen, dass Freiheit und Gleichheit
von Individuen nur unzureichend garantiert werden können, mag befremdlich anmu-
ten oder fälschlicherweise den Anschein der Nähe zur konservativen oder (kultur-)
relativistisch begründeten Ablehnung der Menschenrechte wecken (vgl. Burke 2011).
Inwiefern die hier vorgebrachte Kritik an Menschenrechten keinesfalls mit konserva-
tiven oder relativistischen Argumenten zu verwechseln ist, wird insbesondere in Ab-
schnitt 2.3 und in Kap. 4 dargelegt.
17 Vgl. die gleichnamige Paneldiskussion vom 6.3.2014 am Carr Center for Human
Rights Policy der Harvard Kennedy School (USA) unter Beteiligung u.a. von Luise
Druke (vgl. Druke 2014), einsehbar unter http://www.youtube.com/watch?v=XqO2w9
-VUSw (24.11.2018).
40 | Grenz en de r Mensche nrechte
realitätsvergessen oder gar zynisch klingen angesichts der vielfältigen Verstöße
gegen Menschenrechte, die tagtäglich auf der Welt passieren und für deren Ahn-
dung es prinzipiell bereits rechtliche und politische Instrumentarien gibt mö-
gen sie noch so defizitär angewendet werden. Wenn herausgearbeitet werden
soll, inwiefern das Verständnis der Menschenrechte bereits auf der begrifflichen
Ebene differenziert und erweitert werden könnte, so geschieht dies genau in der
Absicht, die Argumentation für einen weiter reichenden Ausbau bereits beste-
hender Instrumentarien, Institutionen und Strukturen zu schärfen. Darüber hin-
aus wird aufgezeigt, dass jedoch einige grundlegende Weichenstellungen der
konzeptionellen Erfassung der Menschenrechte nötig sind, um bestehende Ver-
fahrensweisen des Menschenrechtsschutzes zu verbessern und in bestimmten
Aspekten sogar prinzipiell zu verändern.
Die herkömmliche und für die meisten derzeit in Betracht kommenden In-
strumentarien verbindliche Konzeption der Menschenrechte nimmt, darauf wur-
de nun mehrfach hingewiesen, ihren Ausgang in der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte aus dem Jahre 1948, die zweifellos ein Novum in der Geschich-
te darstellt. Die Erklärung enthält jedoch ein bestimmtes theoriegeschichtliches
Erbe aus dem 18. Jahrhundert, durch das der Eindruck entsteht, es handle sich
um eine kontinuierliche Weiterentwicklung einer zunächst rein theoretischen
Idee hin zu ihrer globalen Verwirklichung. Die historische Forschung zum Be-
griff der Menschenrechte zeigt hingegen, dass entgegen dem verbreiteten Bild
einer „bruchlosen Evolution der Menschenrechte“ (Hoffmann 2010: 9) das Kon-
zept universaler Rechte für alle Menschen vielmehr als historisch kontingenter
Gegenstand von Politik selbst aufzufassen ist. Die Menschheitsverbrechen im
Kontext des Zweiten Weltkriegs und der Schoah, die genozidalen und kriegeri-
schen Konflikte nicht zuletzt im Zusammenhang der Dekolonisierung in der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sowie zahlreiche Bürger_innenkriege und
binnenpolitische Konflikte haben das heutige Verständnis der Menschenrechte
geformt, das von einem moralischen Universalismus ausgeht (vgl. Hoffmann
2010: 9). Dieser unterscheidet sich zwar von den naturrechtlichen Vorstellungen
des 16. und 17. Jahrhunderts, transportiert gleichzeitig aber das Spannungsver-
hältnis zwischen Bürger- und Menschenrechten, das sich schließlich in prakti-
scher Hinsicht für viele Menschen auf der Welt als problematisch erweist, wenn
es um die Frage nach In- und Exklusion bei der politischen Partizipation geht.
Die vorliegende Studie beschäftigt sich folglich mit dem Umstand, dass das
Problem der Betroffenen nicht (bzw. nicht ausschließlich) in einer unzureichen-
den faktischen Umsetzung eines ‚an sich‘ richtigen und vermeintlich historisch
verbürgten Menschenrechtskonzepts besteht. Stattdessen zeigt sich, dass das li-
berale Erbe der derzeit vorherrschenden Konzeptionen der Menschenrechte, wie
Menschrechte Ka non u nd Kontes tation | 41
es sich in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948) und in zahlrei-
chen korrespondierenden menschenrechtlichen Verträgen niederschlägt, zentrale
Probleme verursacht, die unweigerlich zu praktischen Ungerechtigkeiten führen.
Deren konzeptioneller Ursprung wird häufig nicht erfasst. Deshalb bieten die
Menschenrechte kaum Orientierung für entsprechende Instrumentarien der Ab-
hilfe. Es geht mir in meiner Studie daher vor allem darum, die konzeptuellen
Mängel und Defizite der derzeitigen Menschenrechtskonzeption herauszuarbei-
ten, um neue Ansätze eines differenzierteren und adäquateren Menschenrechts-
verständnisses fruchtbar machen zu können.
2.2 MENSCHENRECHTE IN DER IDEENGESCHICHTE
Obwohl neuere historische Studien aufzeigen, dass die Geschichte der Men-
schenrechte keinem fortlaufenden, sondern vielmehr einem diskontinuierlichen
Gang folgt (vgl. Hoffmann 2010; Moyn 2010), finden sich immer wieder philo-
sophiehistorische Versuche, in früheren Epochen wenn nicht Menschenrechte in
der heutigen Gestalt subjektiver Rechte, so doch zumindest in Form von maß-
geblichen moralischen, ethischen und rechtlichen Vorläuferkonzepten ausfindig
zu machen. Dieser häufig in der Diskussion um Gehalt und Bedeutung der Men-
schenrechte anzutreffende Rückgriff auf selektive historische Konzeptionen von
Recht oder Gerechtigkeit geschieht zumeist in der Absicht einer Bekräftigung
bestimmter menschenrechtlicher Bedeutungsgehalte anhand ihrer angeblichen
Überzeitlichkeit. Mit dem vermeintlichen Nachweis einer rekonstruierbaren Tra-
dition menschenrechtlichen Denkens soll etwa die Annahme einer transkulturel-
len und zeitübergreifenden Gültigkeit menschenrechtsbezogener Ideen, z.B. der
angeborenen menschlichen Würde, der Freiheit oder Gleichheit, erhärtet werden.
Es wird versucht, an vergessene bzw. verloren geglaubte Bedeutungsgehalte von
frühen Menschenrechtskonzeptionen sowie an Ideen und Theoreme, die als de-
ren Vorläufer gelten könnten, anzuknüpfen (vgl. Oestreich 1978). In diesem Ab-
schnitt sollen zwei Varianten der historischen Bezugnahme auf Menschenrechte
vorgestellt werden, von denen die eine, hier als Perlentauchen-Vorgehensweise
bezeichnet,18 als weniger überzeugend erachtet wird. Die andere, genealogisch
18 Mit der Bezeichnung „Perlentaucher“ charakterisiert Hannah Arendt Walter Benja-
mins „Umgangs mit der Vergangenheit“ (Arendt 2006: 85). Dessen an der Gegenwart
verzweifelnde Beschäftigung mit Vergangenem, das nicht kontinuierlich, sondern nur
vor dem Hintergrund des Traditionsbruchs erkennbar sei, unterscheidet sich allerdings
stark von der hier diskutierten Variante, die von einer, wenngleich verborgenen, Kon-
42 | Grenz en de r Mensche nrechte
orientierte, wird hingegen als eine Herangehensweise aufgefasst, die sich insbe-
sondere als erhellend für die systematische Untersuchung von problematischen
Aspekten der Menschenrechte erweist. Mit der folgenden Darstellung möchte
ich vor allem der relativ weit verbreiteten Auffassung widersprechen, dass der
Gehalt der Menschenrechte per se von epochenübergreifender und transkulturel-
ler Gültigkeit sei und dabei lediglich verschiedene historische Ausformungen er-
fahre. Menschenrechtsvorstellungen existieren hingegen keinesfalls ‚immer
schon‘. Sie sind eingebettet in spezifische kulturelle, politische, soziale und öko-
nomische Zusammenhänge. Das heißt auch, dass sie weder zu allen Zeiten prä-
sent waren noch überall auf der Welt geteilt wurden. Umso wichtiger ist es da-
her, sich um überzeugende Argumente für eine Menschenrechtskonzeption, die
auf politische und soziale Probleme unserer gegenwärtigen Zeit eine Antwort
darstellen könnte, zu bemühen.
Zunächst werde ich in kurzen Strichen die Methode des Perlentauchens skiz-
zieren. Hier werden bestimmte begriffliche Aspekte des heutigen Menschen-
rechtsverständnisses, etwa die Idee der Gleichheit oder das universale Recht auf
individuelle Freiheit, herausgelöst aus dem jeweiligen historischen Kontext als
überzeitlich oder zumindest ihrem Sinn nach als immer wieder aufs Neue an-
schlussfähig für eine jeweilige Epoche betrachtet. Diese Bedeutungsgehalte wer-
den in verschiedenen Texten über weite Zeiträume hinweg aufgespürt und in ei-
ner Art fragmentierter Tradition menschenrechtlichen Denkens inventarisiert.
Vermeintlich ‚immer schon‘ vorhandene menschenrechtliche Vorstellungen und
Kriterien werden somit gewissermaßen als Prüfstein genommen für Untersu-
chungen, die sich der Frage widmen, inwieweit sich menschenrechtliche Ideen
bereits vor der Moderne oder gar vor der Neuzeit aufspüren lassen. Ein Beispiel
ist die Annahme, dass bereits in der Antike rudimentäre Ansätze für die Auffas-
sung eines von bestehenden Gesetzen unabhängigen Rechts zu finden seien.
Nach dieser Lesart verkörpere etwa die Figur der Antigone aus der Tragödie des
Sophokles (ca. 442 v.u.Z.) die Kritik an einer bestehenden Ordnung (den Geset-
zen des Königs Kreon) mit Verweis auf eine höhere, nämlich göttliche, Ord-
nung. Die Bezugnahme auf diese höhere Ordnung geschieht im Modus des Reli-
giösen, Antigone will den Leichnam ihres Bruders Polyneikes gemäß dem kulti-
schen Ritus erdbestatten, um ihm eine angemessene letzte Ruhestätte zu ermög-
lichen. Sie stellt sich mit diesem Anspruch gegen den Befehl des gemeinsamen
tinuität menschenrechtlichen Denkens ausgeht. Gemeinsam ist beiden jedoch, dass im
metaphorischen Tauchvorgang „kristallisierte Formen und Gestalten“ von „Denk-
bruchstücken“ (ebd.: 97) geborgen werden können, die die Zeit jenseits ihres Entste-
hungskontextes überdauern.
Menschrechte Ka non u nd Kontes tation | 43
Onkels Kreon, der Polyneikes als Feind seiner Herrschaft betrachtet und ihm ei-
ne menschenwürdige Beerdigung verweigert, indem er anordnet, seinen Leich-
nam vor den Toren der Stadt Theben liegen zu lassen und damit den Tieren zum
Fraß zu übergeben. Antigone argumentiert, dass kein menschliches Gesetz die
übergeordneten, unwandelbaren ‚Gottgebote‘ brechen könne und sie sich aus-
schließlich letzteren verpflichtet fühle, weil sie das Urteil des Onkels für (mora-
lisch) falsch halte. Ob das Beispiel der Antigone tatsächlich dafür in Anspruch
genommen werden kann, Aufschlüsse über ein vorneuzeitliches Naturrechtsden-
ken oder gar über ein prämodernes Menschenrechtsdenken zu geben, ist aller-
dings zu bezweifeln. Antigone bezieht sich in der entsprechenden Textstelle
(vgl. Sophokles 1981: 41, Z. 450ff.) zwar auf eine überpositive Wertvorstellung,
nämlich auf göttliches Gebot. Eventuell ist Antigones Bezugnahme auf eine den
menschengemachten Gesetzen überlegene Ordnung jedoch eher als Zeichen ge-
schwisterlicher Zuneigung, die auch einer abergläubischen Furcht vor Bestra-
fung entstammen könnte, wie es eine psychoanalytische Deutung nahelegen
würde, zu verstehen (vgl. Tönnies 2011: 22). Georg Wilhelm Friedrich Hegel hat
den Konflikt als Widerstreit zwischen der Verpflichtung gegenüber verwandt-
schaftlichen Beziehungen und dem Gehorsam gegenüber der Staatsräson ver-
standen (vgl. Hegel 1986a: 324-354 [BB, VI., A., a.-b.]). Das Beispiel der Anti-
gone zeigt, dass der Interpretationsspielraum groß ist und im Laufe der Ge-
schichte vielfältig ausgestaltet wurde. Im Kontext meiner Untersuchung ist je-
doch eine ganz andere Frage weitaus relevanter, nämlich die, inwiefern die Be-
zugnahme auf eine gesetzesunabhängige Ordnung, die ein bestehendes Werte-
muster infrage stellen soll, schon ausreicht, um als menschenrechtlicher An-
spruch auf Korrektur herrschender Normen und Strukturen gelten zu können.
Antigones Motiv könnte auch der Ausdruck eines elitären (Selbst-)Verständ-
nisses von Familienehre sein, das glaubt, sich an vorherrschende Gesetze, die
‚für alle gelten‘, nicht orientieren zu müssen. Es könnte sich außerdem um eine
emotionale Reaktion auf familienpolitische Machtkämpfe handeln, bei der die
Anrufung einer göttlichen Ordnung nur aus Selbstrechtfertigungsgründen er-
folgt. Selbst wenn man Antigones Handeln und Sprechen weder psychologisiert
noch bagatellisiert und durchaus bereit ist, darin einen subversiven Impetus zu
sehen, verfügt Antigones Motiv, sich auf eine überpositive Werteordnung zu be-
ziehen, nicht über die argumentative Kraft, daraus einen allgemeinen und uni-
versalisierbaren Rechtsanspruch eines Subjekts formulieren. Antigone bean-
sprucht nicht so sehr als Mensch ein Recht auf Gerechtigkeit (für den Bruder),
sondern vor allem als Gehorsame gegenüber einem religiösen Ritus. Der Kon-
flikt zwischen Kreons Beharren auf seinem alleingültigen Herrschaftsanspruch
und Antigones Anrufung einer höheren Ordnung ist daher eher als Antagonis-
44 | Grenz en de r Mensche nrechte
mus zwischen menschlicher und göttlicher Ordnung zu lesen. Die Gedankenfi-
gur, als Mensch Rechte zu haben, die einer herrschenden Ordnung eventuell ent-
gegenstehen, ohne auf eine göttliche Instanz Bezug zu nehmen, ist dem antiken
Denken fremd. Unbestritten bleibt, wie gesagt, der subversive Impuls gegen die
Machtdemonstration des Kreon (vgl. Butler 2001), auch wenn Antigone dafür
kein säkulares Vokabular findet.
Ähnliche Schwierigkeiten zeigen sich bei dem Versuch, antike Philosophen
wie Platon oder Aristoteles für menschenrechtliche Theoreme zu reklamieren.
Die leitende Annahme für dieses Unterfangen lautet, dass auch ohne sprachliche
Äquivalente für den neuzeitlichen bzw. modernen Begriff der Menschenrechte
die menschenrechtliche Idee „der Sache nach“ (Horn 2012: 1, Herv. i. Orig.) in
einer jeweiligen Epoche präsent gemacht werden könne. In diesem Sinne inter-
pretiert Gregory Vlastos Platons Bezeichnung für ‚das Gerechte‘ (ta díkaia) in
einem recht weiten Verständnis als moralisches Recht des Akteurs A, aus dem
Pflichten für einen Akteur B resultieren (vgl. Vlastos 1995: 124). Die entspre-
chenden Textstellen im platonischen Werk geben jedoch keinen Aufschluss dar-
über, dass Individuen gleichermaßen und unabhängig von Tugend, Stand oder
Veranlagung19 Rechte zugesprochen würden. Ähnlich überzeugt auch Aristoteles
nicht als Gewährsmann eines universellen Naturrechts, das schon als Vorversion
des modernen Menschenrechts gelten könnte. Vorsichtiger kann allenfalls von
einem ‚ungeschriebenen Gesetz‘, wie Christoph Horn anhand der Rede vom ‚ag-
ráphos nómos‘ in der Aristotelischen Nikomachischen Ethik und der Rhetorik
aufzeigt, gesprochen werden (vgl. Aristoteles 1995a: 1134b 18, 1999: I.10, 13;
Horn 2012: 3). In dessen Schrift Politik verortet Horn jedoch durchaus „men-
schenrechtsaffine“ Vorstellungen, wie etwa Egalität, Freiheit oder ein Recht auf
Privateigentum (vgl. Horn 2005: 113-117). Doch stehen die Ergebnisse seiner
Analyse auf recht wackligem Fundament. Das Prinzip der Egalität ist nicht zu
verwechseln mit der modernen Vorstellung von Gleichheit, die allen Menschen
zukommt. „Nun will aber ein Staat möglichst aus gleichen und ähnlichen Bür-
gern bestehen“, heißt es im 11. Kapitel des 4. Buches der Politik (Aristoteles
1995b: 1295b 25f.). Damit ist aber keine allgemeine (Rechts-)Gleichheit ge-
meint, sondern es wird damit diejenige Verfassung charakterisiert, die die Basis
einer möglichst stabilen Polis sein kann. Möglichst gleicher Besitz ist in Aristo-
teles‘ Augen offensichtlich der Sicherung und Stabilität einer politischen Ge-
meinschaft zuträglich. Ebenso entpuppt sich das vermeintliche Recht auf Freiheit
19 Vgl. die prominente Rechtfertigung der ständeordnungsbedingten Arbeitsteilung in-
nerhalb des Idealstaates entlang charakterlicher und körperlicher Dispositionen in der
Politeia (Platon 1991: Buch III-IV).
Menschrechte Ka non u nd Kontes tation | 45
lediglich als Freiheitsrecht für Bürger (der Demokratie), und das heißt: aus-
schließlich für männliche Personen, die je nach Verfassung über die geeigne-
te Abstammung verfügen. Von allgemeiner ltigkeit, aus der Frauen,
Sklav_innen, Metök_innen, Besitzlose und Barbar_innen nicht ausgeschlossen
sind, ist bei Aristoteles keine Rede (vgl. Aristoteles 1995b: 1280a 4-6). Die Vor-
stellung unveräußerlicher und gleicher Rechte, die unabhängig von Verfassung
und Gesetzen Individuen zugeschrieben würden, ist nicht Bestandteil des aristo-
telischen Denkens. Die genannten Beispiele stellen aber bei näherem Hinsehen
nicht einmal Ansätze dar, die als Vorläufer späterer Menschenrechtsideen gelten
könnten. Und so wird der Anspruch, in den Menschenrechten eine überhistori-
sche Konstante vorzufinden, enttäuscht. Menschenrechte im modernen Ver-
ständnis, d.h. im Sinne eines Differenzkriteriums zwischen positivem und nicht-
positivem Recht, sind nach Ansicht Hubert Canciks daher als Errungenschaft der
Nachantike zu verstehen (Cancik 2005: 94). Begriffe wie ‚Menschenwürde‘,
‚Religionsfreiheit‘, ‚Toleranz‘, ‚Person‘, ‚Gleichheit‘, ‚Natur- und Vernunft-
recht‘, ‚Weltbürgerrecht‘, auf deren lateinische Entsprechungen gern im Rahmen
der Kontinuitätslesart verwiesen wird, haben jedoch in der römischen Kultur ei-
nen anderen Ort, Zusammenhang und vor allem ein anderes Gewicht als in der
Neuzeit und Moderne. Beispielsweise gilt als Erstbeleg für den Begriff der Men-
schenwürde durchaus Ciceros Schrift De officiis (dt.: Vom pflichtgemäßen Han-
deln). Jedoch ist mit „dignitas“ nicht etwa die Erhabenheit eines Menschen, son-
dern die erzieherische Sorge des Vaters gegenüber dem Sohn gemeint (vgl. Cice-
ro 1976: 1, 30, 106; Cancik 2005: 94). Es handelt sich also um einen gänzlich
anderen Wortsinn als beispielsweise im Falle Samuel Pufendorfs späterer ‚Wür-
de‘ bzw. ‚dignitas‘ (vgl. Pufendorf 1998: lib. III, cap. II, § 1), die für dessen
Anthropologie von zentraler Bedeutung ist. Der Begriff der Würde bleibt ohne
Tragweite, da er von anderen Autor_innen der Zeit nicht aufgegriffen wird. Ein
anderes Beispiel ist die Vorstellung freier und gleicher Menschen, die sich zwar
bereits in den Digesten des Ulpian , also im 3. Jahrhundert n.u.Z., finden lässt
allerdings noch nicht in der Bedeutung von Grundbegriffen, wie sie die neuzeit-
lichen Autor_innen bilden, und vor allem noch nicht in der späteren systemati-
schen Zentralstellung.20
An der bemühten Suche nach Ursprüngen und Vorläufern von Menschen-
rechten zeigt sich zweierlei. Zum einen scheint mit der (vermeintlichen) Existenz
menschenrechtlicher Ansätze bereits in frühen Texten eine transhistorische Be-
deutung menschenrechtlicher Ideen eher beschworen denn bewiesen werden zu
20 Vgl. Ulpians Digesten zit. n. Behrens/Knütel/Kupisch/Seiler 1995: 50, 17.32; Canzik
2005: 97.
46 | Grenz en de r Mensche nrechte
können. Sogenannte ‚Belege‘ für ein hohes Alter der Idee der Menschenrechte
dienen augenscheinlich einem argumentativen Reservoir, das zur Verteidigung
der universellen Gültigkeit der Menschenrechte gegen zeitgenössische kulturre-
lativistische Einwände in Anspruch genommen werden soll (vgl. auch Pollmann
2012b). Mit der Bezugnahme auf eine (angenommene) Kontinuität menschen-
rechtlicher Theoriebildung sind Argumente leichter außer Kraft zu setzen, die in
der historischen Verortung von Menschenrechtsideen eine Schwächung des
normativen Anliegens ihrer politischen Durchsetzung befürchten. Genau hierin
droht jedoch zum anderen die Gefahr einer Schmälerung und Vereinseitigung
der Pluralität menschenrechtstheoretischer Ansätze und zwar sowohl in zeitli-
cher als auch kultureller Hinsicht. Selbst eine mit allem nötigen historischen
Fingerspitzengefühl vorgenommene Spurensuche nach frühen menschenrecht-
lich anmutenden Funden kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine einseiti-
ge Kontinuität menschenrechtlicher Theoreme nicht nachgewiesen werden kann.
Im Gegenteil, der genealogische Blick, der sogleich erläutert wird, zeigt, dass es
nicht die eine Idee der Menschenrechte, sondern ihrer viele gibt. In systemati-
scher Hinsicht sind die Interpretationsversuche wenig überzeugend, da sie eher
über die Absichten und Vorannahmen der Untersuchenden Auskunft zu geben
scheinen als über den Forschungsgegenstand selbst.
Für die hier interessierende Forschungsfrage nach problematischen Aspekten
des modernen Menschenrechtsdenkens gibt es also eine Strategie, die überzeu-
gender ist als das Perlentauchen nach Kontinuitäten und Anschlussstellen. Es ist
damit die Zuwendung zu ausgewählten historischen Diskurslinien gemeint, an-
hand deren nachvollzogen werden kann, welche verschiedenen Bedeutungen
Theoretiker_innen des 16. bis 18. Jahrhunderts dem Begriff des natürlichen
Rechts/des Naturrechts zumessen. Einige ausgewählte Bedeutungsgehalte ver-
mögen dabei Aufschluss über das zeitgenössische Verständnis der Menschen-
rechte, wie es am prominentesten in der Allgemeinen Erklärung der Menschen-
rechte (1948) zur Geltung kommt, zu geben. Die methodologische Strategie un-
terscheidet sich vom Perlentauchen insofern, als es nicht um einen Aufweis einer
transhistorischen oder transkulturellen Gültigkeit bestimmter Menschenrechts-
gehalte geht. Der genealogische Blick in die Ideengeschichte hat neben einer
hermeneutischen auch eine kritisch-erläuternde Funktion.
So kann z.B. angesichts des historischen Entstehungskontextes des Konzepts
angeborener oder natürlicher Rechte nachvollzogen werden, inwiefern die Idee
der Menschenrechte ihren bereits in Kap. 2.1 angesprochenen verheißungsvollen
Charakter erhält, der sich in den Erklärungen des ausgehenden 18. Jahrhunderts,
d.h. in der Virginia Declaration of Rights (1776), der United States Declaration
of Independence (Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten, ebenfalls
Menschrechte Ka non u nd Kontes tation | 47
1776), der Französischen Menschen- und Bürgerrechtserklärung (1789) und
nicht zuletzt in der Haitianischen Unabhängigkeitserklärung (1804) nieder-
schlägt. Da die Idee natürlicher, von ständischer Ordnung losgelöster und „un-
veräußerlicher“21 Rechte des Individuums, wie sie in diesen Dokumenten zur
Sprache gebracht wird, jedoch nicht aus dem Nichts kommt,22 lohnt ein kurzer
Blick auf ausgewählte historische Linien einer sich etablierenden Begriffsbil-
dung innerhalb der Naturrechtsdiskussion, deren genealogisch zu ermittelnde
Vorläuferbegrifflichkeiten zwar keine eindeutige Datierung einer ‚Geburtsstun-
de‘ der Menschenrechte nahelegen, aber dennoch dazu beitragen können, prob-
lematische Aspekte des heutigen Menschenrechtsverständnisses ein Stück weit
zu erhellen. Sowohl Affirmation als auch Kritik der paradigmatischen Men-
schenrechtskonzeption, wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschen-
rechte aus dem Jahre 1948 vorzufinden ist, lassen sich unter Berücksichtigung
einer ideengeschichtlichen Betrachtung differenzierter erklären.
Als entscheidend für die Entstehung von Menschenrechtsideen kann das
neuzeitliche Naturrecht (im Unterschied zum antiken und mittelalterlichen) an-
gesehen werden (vgl. Oestreich 1978: 33ff.), das im Zeitalter der konfessionellen
Kriege nicht zuletzt dazu dient, Politik als Ordnungs- und Handlungsinstanz so-
wohl innerhalb der sich ausprägenden Territorialstaaten (Thomas Hobbes) als
auch im Gefüge von Staaten (Hugo Grotius) auf eine neue Grundlage zu stellen
(vgl. Dann 1995: 1). Damit mögen in erster Linie bestimmte staatstheoretische
und völkerrechtliche Absichten in ihrem zeitbezogenen Zusammenhang erklärt
werden, doch ist die nachhaltige ideengeschichtliche Wirkung, die die neuzeitli-
21 So der Wortlaut der United States Declaration of Independence vom 4. Juli 1776 (dt.
zit. n. Fritzsche 2004: 187). Die englische Originalfassung lautet: „[…] that they are
endowed by their Creator with certain unalienable Rights“, https://www.archives.gov/
founding-docs/declaration-transcript (24.11.2018).
22 Das Aufkommen und die theoretische Entwicklung der Menschenrechtsidee lassen
sich zum einen ideengeschichtlich anhand des Diskurses über das moderne Naturrecht
erläutern. Zum anderen sollte jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass die
Komplexität und Heterogenität der Theorien des klassischen Naturrechts, „ob kon-
traktualistisch oder anti-kontraktualistisch, etatistisch oder ökonomistisch“ (Balibar
2011: 285), in eine verblüffende Homogenität mündet, die mit dem Aufstieg der sozi-
alen Klasse der Bourgeoisie einhergeht. So repräsentiere die „Einfachheit der Men-
schenrechtserklärung auf dem Feld der Ideen […] die wirkliche soziale Komplexität
der Französischen Revolution […]: Es ist eine Revolution, die unmittelbar mit ihrer
eigenen inneren Anfechtung zu kämpfen hat, ohne die sie gar nicht existieren würde,
und die unablässig der Einheit ihrer Gegensätze hinterherläuft.“ (Balibar 2011: 285)
48 | Grenz en de r Mensche nrechte
che und schließlich moderne Naturrechtstheorie in der Folge zeitigen wird, von
erheblicher Bedeutung für die heutige Diskussion über Menschenrechte. Denn
bereits hier wird von einem Naturrecht als Grundlage aller zu schützenden Rech-
te ausgegangen (vgl. Grotius 1950: I, 1, XI, 1 sowie die Vorrede, § 39; Vogt
2012: 21), das weder das antike noch das mittelalterliche Denken in dieser Form
kannte. Als Quelle dieses natürlichen Rechts gilt nicht mehr in erster Linie eine
theologisch begründete Instanz oder ein wie auch immer geartetes Telos, son-
dern, und dies wird auch als der „epochale Übergang vom spätscholastischen
zum neuzeitlichen Naturrecht“ (Ilting 1978: 278; vgl. König 1994) bezeichnet,
die menschliche Vernunft (vgl. Grotius 1950: Vorrede, § 9). Dieser epochale
Wechsel liegt zu einem nicht geringen Anteil daran, dass nun nicht mehr vor-
nehmlich Theologen, sondern säkular argumentierende Philosophen und Juristen
(wie z.B. Hugo Grotius, aber auch schon Alberico Gentili) über das Naturrecht,
und zwar im Zusammenhang völkerrechtlicher Fragen in Bezug auf den gerech-
ten Krieg, nachdenken (vgl. Ilting 1978: 278; Steiger 2013: 21ff.). Ihren Nieder-
schlag findet die neuartige Reflexion des Naturrechts daher nicht mehr nur in
scholastischen Abhandlungen, sondern in rechtstheoretischen Streitschriften
(vgl. u.a. Grotius 1919). Nach Hugo Grotius Vorstellung lässt sich ein ius natu-
rale (natürliches Recht) vom ius voluntarium (positives Recht) unterscheiden.
Während letzteres veränderlich ist, betrachtet er das Naturrecht als „so unverän-
derlich, daß selbst Gott es nicht verändern kann (Grotius 1950: I, 1, X, 5). Kern
dieses unveränderlichen natürlichen Rechts sind bestimmte natürliche menschli-
che Eigenschaften, nämlich einerseits der Wunsch nach Selbsterhaltung, ande-
rerseits die Fähigkeit zur Soziabilität (vgl. Grotius 1950: Vorrede §§ 4-6). Groti-
us stellt damit seine Idee von Naturrecht explizit auf eine anthropologische
Grundlage (vgl. Aure 2008: Rn. 11), die für das spätere Menschenrechtsver-
ständnis, das sich ebenfalls auf menschliche natürliche Eigenschaften bzw. auf
die menschliche ‚Natur‘ beziehen wird, von entscheidender Bedeutung sein
wird. Umstritten in der Forschung ist jedoch, ob Grotius in gleichem Maße wie
Thomas Hobbes das Verdienst zukommt, als Begründer des modernen Natur-
rechts im engeren Sinne gelten zu können. Diese Frage, die den Eindruck eines
rein akademischen Streitfalls erwecken mag, ist insofern für die hier vorgenom-
mene Untersuchung relevant, als nämlich der Vorwurf gegenüber Grotius, kei-
nen hinreichenden Grund für die Geltung des Naturrechts zu liefern und darum
die Legitimität eines subjektiven natürlichen Rechts lediglich vorzugeben, regel-
recht ein Beweis dafür ist, wie attraktiv der schlichte Verweis auf eine menschli-
che ‚Natur‘ im rechtstheoretischen Diskurs der Zeit bereits war.23 Karl-Heinz Il-
23 Eine gängige Einschätzung lautet, dass Grotius’ Naturrechtskonzeption im Grunde
Menschrechte Kanon und Kontestation | 49
ting hingegen vermisst an Grotius’ Argumentation zu Recht eine stichhaltige
Begründung für die entsprechenden Grundnormen des Naturrechts, wie sie
schließlich Thomas Hobbes in der Schrift De Cive (Hobbes 1966a) und im Levi-
athan (Hobbes 1966b) zu geben vermag (vgl. Ilting 1978: 280f.).
Während bei Autoren wie Hugo Grotius, Samuel Pufendorf oder John Locke
das natürliche Recht gleichermaßen aus menschlicher Vernunft und/oder aus
göttlicher Quelle abgeleitet wird, bricht Thomas Hobbes mit der für die Antike
und das Mittelalter durchgängig maßgeblichen theologischen Tradition des Na-
turrechts, deren unterschiedlichen Konzeptionen die Berufung auf eine vom
menschlichen Willen unabhängige Instanz, nämlich in Form der Natur- oder
Schöpfungsordnung, gemeinsam ist (vgl. Ilting 1978: 280f.; Hügli 1984: 585).
Die Begründung des natürlichen Rechts ist nun bei Hobbes allein von menschli-
cher Vernunft bzw. menschlichem Willen abhängig (vgl. Hobbes 1966: 99).
Bemerkenswert ist das Argument, dass der Mensch Träger subjektiver Freiheits-
rechte sei. Damit wird impliziert, dass alles, was die Freiheit des Einzelnen ein-
schränkt, einer Rechtfertigung bedarf, die „schließlich auf einen Willensakt des
Individuums selbst zurückführen muss“ (Ilting 1978: 281). Diese Vorstellung ist
nicht nur insofern neuartig,24 als sie eine Absage an die außermenschliche In-
stanz Gottes bedeutet. Indem Individuen in einem vor-gemeinschaftlichen Na-
turzustand imaginiert werden, ermöglicht sie vielmehr überhaupt erst einen ent-
sprechenden Argumentationsgang für eine säkulare Begründung politischer
Herrschaft: Der Staat kann sich nämlich im Lichte dieser Fiktion als eine aus
dem Willen der Individuen direkt abgeleitete Einrichtung darstellen lassen. Noch
entscheidender ist jedoch, dass Individuen natürliche Rechte haben, bevor sie
sich für die Einrichtung eines Staates entscheiden (vgl. Locke 1952: insb. §§ 5-
7). Diese naturrechtliche Idee stellt die entscheidende Weiche für zahlreiche da-
rauffolgende rechts-, moral- und politiktheoretische Konzeptionen, die ein säku-
lar begründetes Recht unabhängig von positivem Recht annehmen.
genommen Theoretikern der spanischen Spätscholastik verhaftet bleibt (vgl. Ilting
1978: 279f.). Im Gegensatz dazu wird in jüngeren Darstellungen Grotius’ Bedeutung
für die Ausbildung einer Konzeption subjektiven Rechts im Rahmen seiner Natur-
rechtsdiskussion hervorgehoben (vgl. Straumann 2006; Aure 2008).
24 Hasso Hofmann betont, dass Hobbes’ Naturzustandskonzeption tatsächlich als „epo-
chemachend“ zu bewerten sei, weil sie anders als historische Vorläufer des status na-
turalis, die z.T. (wenngleich mit abweichenden Bedeutungen) bis in die Antike zu-
rückreichen, nun „systembildende Bedeutung“ erlangen (Hofmann 1981: 19).
50 | Grenz en de r Mensche nrechte
Die vernunfttheoretisch bzw. voluntaristisch begründeten Auffassungen25 des
natürlichen und damit gleichen Rechts eines jeden Menschen stellen wesentlich
eine Abkehr von hierarchiebezogenen Rechtstraditionen dar. So spielen z.B. die
Freiheit und Gleichheit der Rechtspartner eine auch in normativer Hinsicht ent-
scheidende Rolle in den naturrechtlichen politiktheoretischen Konzeptionen. Ei-
ne geläufige Erläuterung des Zusammenhangs erfolgt zumeist über eine marxis-
tisch inspirierte Verortung dieses Denkens in einer Form von Widerspiegelung
bürgerlich-ökonomischer Werte. Sicherlich stellt die bürgerlich-kontraktualis-
tische Vorstellung eines Gesellschaftszustandes, in dem nach Auffassung von
Thomas Hobbes oder John Locke das angenommene natürliche Recht des Men-
schen überhaupt erst verwirklicht und auch gewahrt werden kann (vgl. Hobbes
1966b; Locke 1977), eine der berühmtesten davon dar. Und genau diese These
eines subjektiven, dem Menschen als Menschen zukommenden Rechts ist
schließlich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zentral sowohl für die ju-
ristische als auch die sozialphilosophische Diskussion um eine mögliche politi-
sche, ja revolutionäre Ermächtigung, die schließlich z.B. in der nordamerikani-
schen Unabhängigkeitserklärung und der Französischen Revolution eine konkre-
te Ausgestaltung erfährt: Während die nordamerikanischen Kolonist_innen in
den 1770er Jahren ihren Protest gegen das britische Mutterland unter Verweis
auf natürliche Rechte begründen und diese in die Verfassung ihrer Staatsgrün-
dung aufnehmen, verbinden sich in der Französischen Revolution ebenfalls Kon-
stitutionalismus und Naturrecht (vgl. Dann 1995). Die Erklärung der natürlichen
Menschen- und Bürgerrechte benennt diese natürlichen, subjektiven Rechte des
Einzelnen nun auch eindeutig so: als Rechte des Menschen im Unterschied zu
Rechten des Bürgers. Dass in selbiger Erklärung zugleich jedoch auch gewis-
sermaßen die Identität von Menschen- und Bürgerrechten behauptet wird, ist ei-
ner der problematischen Punkte, auf die im Laufe der Studie noch ausführlicher
eingegangen wird. Festzuhalten sei an dieser Stelle jedenfalls, dass das Natur-
recht im Rahmen vertrags- und verfassungstheoretischer Debatten nun zum
‚Probierstein‘ für alle Rechtsverhältnisse26 wird. Soweit zum Einfluss der Natur-
25 Vgl. dazu die weniger auf den Willen oder die Vernunft, sondern vielmehr auf die
Würde des Menschen abstellende Argumentation bei Samuel Pufendorf. In De jure
naturae et gentium legt er dar, dass die „dignitas humane naturae“ (Pufendorf 1998:
lib. II, cap. I, § 5) aus der auf Vervollkommnung ausgerichteten Freiheit erwächst
(vgl. Klein 2012: 27). Die Würde des Menschen gilt als Basis natürlicher Gleichheit
(vgl. Pufendorf 1998: Lib. III, cap. 2, § 1).
26 Vgl. Birtsch 1995: 117; siehe auch Kants Wendung vom „Probirstein der Rechtmä-
ßigkeit eines jeden öffentlichen Gesetzes“ (Kant 1968b: 297).
Menschrechte Ka non u nd Kontes tation | 51
rechtsdiskussion auf die verfassungsrechtliche Theorie. In der Diskussion um die
Begründung politischer Herrschaft gewinnt zur selben Zeit die rousseausche Idee
der Volkssouveränität an Bedeutung. Kombiniert mit der naturrechtlichen Kon-
zeption freier und gleicher vernünftiger Individuen, aus deren gemeinsamem
Willen das Gemeinwesen gebildet wird, geht das natürliche Recht, das ursprüng-
lich als unabhängig (d.h. entweder zeitlich vor oder räumlich außerhalb) der po-
litischen Gemeinschaft gedacht wird, in das gesellschaftliche Bürger-Recht über.
Dieser Moment des Wandels vom natürlichen in gesellschaftliches Recht ist ge-
nau jener Dreh- und Angelpunkt, um den es in dieser Studie gehen wird. Die
Idee eines Übergangs vom Natur- in den staatsbürgerlichen Zustand wirft die für
die vorliegende Studie wichtige systematische Frage auf, inwiefern der originäre
Gehalt des natürlichen Rechts tatsächlich im bürgerlichen Recht bewahrt werden
kann. Rousseaus affirmative Antwort stützt sich auf das keinesfalls unproblema-
tische Konstrukt einer volonté générale, die der Maßstab alles individuellen
Wollens im Gesellschaftszustand ist. In seiner Schrift Contrat social (dt.: Gesell-
schaftsvertrag) beschreibt er, wie der Verlust der natürlichen Freiheit und des
natürlichen Rechts im Übergang vom Natur- in den Gesellschaftszustand durch
den Gewinn der bürgerlichen Freiheit und des Eigentumsrechts gegeneinander
abgewogen werden könne (vgl. Rousseau 1977: I, 8). Durch den Eintritt in den
Gesellschaftszustand entledigen sich sämtliche zukünftigen Bürger gleicherma-
ßen ihrer natürlichen Rechte und Freiheiten zugunsten des Gemeinwesens, um
mit diesem Akt der Alienation alle Freiheiten und Rechte in vergesellschafteter
Form zu erhalten. Die rousseausche Antwort ist jedoch nicht zufriedenstellend.
Denn in dem Moment der Vergesellschaftung entsteht das nicht unerhebliche
Problem, dass eine Identität von natürlichem und vergesellschaftetem Recht be-
hauptet wird, die zumindest in dieser postulierten ontologischen Form nicht zu-
trifft. Diese Identität könnte allein, wie Rainer Brandt zu Recht anmerkt, um den
Preis der Eliminierung eines möglichen Rechts, das z.B. gegen eine fehlgeleitete
Staatsgewalt in Anspruch zu nehmen wäre, erlangt werden. Ein solches Recht
wird jedoch gerade im Zuge der Alienation aller zukünftigen Bürger ausge-
schlossen. Somit bleibt keinerlei Reservat übrig, in dem weiterhin subjektive
Rechte aus dem nicht-gesellschaftlichen Zustand geltend gemacht werden könn-
ten, denn die volonté générale ist als Ausdruck der Identität des Willens aller
einzelnen Individuen mit dem Allgemeinwillen begrifflich irrtumsunfähig (vgl.
Rousseau 1977: I, 6 u. I, 8; vgl. Brandt 2012: 40). Die Berufung auf ein Recht
unabhängig von dem staatlich sanktionierten Recht ist aber genau der Sinn natür-
licher Rechte, der auch r Menschenrechte in Anspruch genommen wird.
Rousseau relativiert zwar durchaus seine Behauptung, die Freiheit bleibe erhal-
ten „wie zuvor“ (Rousseau 1977: 17), indem er die natürliche und die bürgerli-
52 | Grenz en de r Mensche nrechte
che Freiheit begrifflich nachdrücklich unterscheidet (vgl. Rousseau 1977: I, 8).
Für John Locke hingegen bilden gerade die natürlichen Rechte (das Recht auf
das eigene Leben, auf Freiheit und auf Eigentum, vgl. Locke 1952: §§ 2-3, 6-7)
den Maßstab, mit dem sich die Legitimität der staatlichen Ordnung sowie die Er-
richtung politischer Gewalt überhaupt erst begründen lässt (vgl. Laukötter/Siep
2012: 30).
Nun muss konstatiert werden, dass keiner der bisher genannten Autoren die
Bezeichnung ‚Menschenrecht‘, wie er seit dem 20. Jahrhundert einschlägig ist,
noch den Terminus ‚Naturrecht‘ bereits in diesem spezifischen Sinne verwendet.
Es handelt sich vielmehr um eine Rechtskonstruktion, in der (vornehmlich
männliche, weiße) Menschen als Träger_innen subjektiver Rechte unabhängig
von geltendem Recht gelten. Die Rede ist also von Menschen im sogenannten
Naturzustand. Und diese Idee eines vorstaatlichen Zustands ist es, die als Be-
zugspunkt für die Formulierung der Menschenrechte fungiert. Sie ist deshalb so
attraktiv für die Konzeptualisierung von Menschenrechten, weil angenommen
wird, dass erst aus einem Ort außerhalb der politischen und gesellschaftlichen
Ordnung heraus ein Recht des Menschen schlechthin konstruiert werden könne.
Und wiederum ist es genau diese Konstruktion aus dem Off der politischen Ord-
nung, die sich von den Gegner_innen der Menschenrechte den Vorwurf des Spe-
kulativen (vgl. Burke 2011: 43) bzw. den Vorwurf des „nonsense“ (Bentham
2011) einhandelt.
Auch wenn die Idee angeborener Rechte des ‚Menschen schlechthin‘ nicht
von Vornherein eine ausschließlich liberale Idee ist, die sozusagen vom Besit-
zindividualismus (vgl. MacPherson 1967) zum Neoliberalismus führt, wie von
Kritiker_innen häufig unterstellt, geht mit der Loslösung der angeborenen Rech-
te aus dem vertragstheoretischen Zusammenhang eine für Autoren wie Christian
Wolff oder Carl Friedrich Bahrdt noch ungespaltene Verbindung zwischen Ge-
meingutidee und Individualeigentum tatsächlich verloren (vgl. Garber 1981:
113). Diese Verbindung findet sich beispielsweise auch noch bei Pufendorf in
der Vermittlung zwischen Einzelnem und gesellschaftlichem Ganzen durch die
Wechselseitigkeit von Rechten und Pflichten (vgl. Pufendorf 1998).27 Der Ein-
zelne ist dem Ganzen begründungstheoretisch in Form von Pflichten verbunden,
bei Hobbes hingegen bildet das radikal vereinzelte Individuum das legitimations-
27 Vgl. in diesem Zusammenhang auch den Gedankengang Christian Wolffs, dem zufol-
ge für den Einzelnen wie für die Gesellschaft eine Pflicht zur Selbstvervollkommnung
(Perfektibilität) besteht. Im Umkehrschluss korrespondieren dieser Pflicht entspre-
chende vorstaatliche Rechte, deren der Mensch zur Erfüllung seiner Pflicht grundsätz-
lich bedarf (vgl. Wolff 1968; vgl. Schröder 2012: 181).
Menschrechte Ka non u nd Kontes tation | 53
theoretische Fundament des zu errichtenden Gesellschaftszustandes. Hier liegt
eine entscheidende historische Weichenstellung: Während ‚life, liberty, estate‘
ursprünglich als Recht an etwas (das bereits durch Übereinkunft existiert) zu
verstehen sind, so verschiebt sich die Bedeutung hin zu einem Recht auf etwas,
das individuell und potentiell gegen andere bzw. in Konkurrenz zur Gemein-
schaft zu fordern wäre. Die Gegnerin dieses Rechts wird in der politischen Herr-
schaft, d.h. in Form der Regierung bzw. zunehmend in der Staatsgewalt verortet,
die potentiell in einen als rechtlich anerkannten Besitzstand eingreifen kann. Die
hobbesschen natürlichen Rechte der Einzelnen sind nun nicht mehr in ein Ge-
flecht von Pflichten eingebundenjedes Individuum verfügt über das fundamenta-
le und zugleich in der Tat rücksichtslose ‚Recht auf alles‘. Dieses ‚Recht auf al-
les‘ kann erst durch den Gesellschaftsvertrag, der einen ungebundenen Dritten
als absoluten Souverän begünstigt, beschränkt werden (vgl. Hobbes 1966b: 99;
Schröder 2012: 180f.). Zwar subjektiviert auch Locke die Rechte des Einzelnen
in einem für die frühneuzeitlich-barocke Diskussion unbekannten Maße, doch
konstruiert er den Menschen im Naturzustand nicht so vollständig isoliert von
der Gemeinschaft und auf sein Eigeninteresse bezogen wie Hobbes. Und interes-
santerweise ist es der Liberalismus Lockes, der eine ähnliche Argumentation wie
Christian Thomasius anstimmt, nach der die Abwehrrechte des Individuums ge-
gen staatlichen Machtmissbrauch nicht so sehr einem verabsolutierten Einzelwe-
sen Schutz gegen die Gemeinschaft bieten sollen, sondern vielmehr auf eine
Grundregel des Naturrechts angespielt wird, Lebensbedingungen und Wohlbe-
finden der Menschen zu fördern und Unglück zu vermeiden (vgl. Thomasius
1979: I, 6, §21).
Der Fokus des naturrechtlichen Diskurses wird schließlich auf die Idee von
Gegenstaatlichkeit gerichtet, die sich im Übergang vom traditionellen (d.h. theo-
logisch oder später zunehmend vernunfttheoretisch begründeten) Naturrecht zur
Idee angeborener Menschenrechte (welche nun nicht mehr eigens begründet,
sondern als ‚evident‘ gesetzt werden) immer stärker herauskristallisiert. Und
obwohl der Staat als faktischer oder mindestens potentieller Opponent des Indi-
viduums imaginiert wird, soll das Ziel staatlichen Handelns nun vornehmlich in
der Sicherung von Menschenrechten liegen, die sich in den meisten Ansätzen
des ausgehenden 18. Jahrhunderts als Rechte über das „Personal- und Realeigen-
tum“ (Schlettwein 1980: 449) zusammenfassen lassen. Der Titel von Johann
August Schlettweins Schrift Die Rechte der Menschheit oder der einzige wahre
Grund aller Gesetze, Ordnungen und Verfassungen lässt sich hier geradezu pro-
grammatisch lesen. Staatliche Willkür sei die Hauptursache für Ungerechtigkeit,
die durch die Gewährleistung der „Rechte der Menschheit“ beendet werden kön-
ne (vgl. Schlettwein 1980: Vorrede). In liberalistischen Argumentationen wird
54 | Grenz en de r Mensche nrechte
dieser privatrechtliche Aspekt immer eine entscheidende Rolle spielen. Gleich-
wohl hat das Motiv einer Abwehr gegen (willkürlichen) staatlichen Einfluss
durchaus auch öffentlich-rechtlichen Charakter. Schließlich erhält der originäre
Menschenrechtsgedanke in den Deklarationstexten des ausgehenden 18. Jahr-
hunderts genau jenen Stellenwert, der überhaupt erst die Bildung von öffentli-
chen Institutionen wie einer Nation, einer Verfassung und öffentlichen Gesetzen
zu rechtfertigen vermag.
2.3 WARUM KRITIK?
Wenn im Folgenden von Kritik an den Menschenrechten die Rede sein wird,
grenzt sich diese von traditionalistischen und (kultur-)relativistischen Kritiken an
der Idee subjektiver, universaler und unveräußerlicher Rechte dezidiert ab. Statt-
dessen werden ausgewählte problematische Aspekte ihrer politischen Reichweite
beleuchtet, deren Erläuterung letztendlich jedoch zu einer Verteidigung und Un-
termauerung der normativen Dimension von Menschenrechten beiträgt. Die vor-
gebrachten Kritikpunkte verbinden sich somit mit der Absicht, die emanzipatori-
schen Potentiale der Menschenrechte umso deutlicher zu betonen. Im Rahmen
einer alternativen Konzeption von Menschenrechten sollen ihre gerechtigkeits-
fördernden Aspekte begrifflich herausgearbeitet werden. Ein Rekurs beispiels-
weise auf die konservative Kritik an der Französischen Revolution geschieht al-
lein aus dem Grund, die bereits angesprochene und in Kap. 3.3 ausführlicher
diskutierte begriffliche Spannung zwischen Menschen- und Bürger_innenrechten
zu erläutern. Diese begriffliche Spannung wird von vielen gegenwärtigen Men-
schenrechtskonzeptionen außer Acht gelassen, vielmehr konzentrieren sie sich
darauf, die normativen Zielsetzungen der Menschenrechte, die in der Idee welt-
weiter wechselseitiger Achtung unter der Voraussetzung gleicher Freiheit kul-
minieren, als unübertrumpfbares Ideal zu rechtfertigen (vgl. Douzinas 2000: 1).
Gleichwohl äußert eine Reihe von durchaus menschenrechtsaffinen Theoreti-
ker_innen Zweifel am moralischen Ideal. Das größte Problem besteht für sie da-
rin, dass Gehalt und Intention der historischen Erklärungen des 18. Jahrhunderts
knapp zwei Jahrhunderte später ohne eine umfänglichere Differenzierung in den
weltpolitischen Kontext der 1940er Jahre transferiert wurde. Begriffliche Impli-
kationen werden in diesem Zuge verschleiert und verzerrt, die im Anschluss an
die Naturrechtslehre der frühen Neuzeit und in der Neuinterpretation der unmit-
telbar vorrevolutionären Zeit des 18. Jahrhunderts eine spezifische sozial- und
theoriegeschichtliche Bedeutung hatten, im 20. Jahrhundert allerdings einem
völlig anders gelagerten geschichtlichen Prozess anheimgestellt werden. Insbe-
Menschrechte Ka non u nd Kontes tation | 55
sondere für die Theoretiker_innen im Kontext der Französischen Revolution
spielt etwa die Affirmation des Volkssouveränitäts- und damit des Nationsbe-
griffs zur Durchsetzung und Gewährleistung von Menschenrechten eine ent-
scheidende Rolle.28 Die Zusammenführung von Menschenrechts- und Volkssou-
veränitätsidee hat jedoch die teils progressive, teils verhängnisvolle Ineinsset-
zung von Menschen- und Bürger_innenrechten zur Folge, die letztlich dazu
führt, dass Menschenrechte unter den Bedingungen von nationalstaatlicher Sou-
veränität leerzulaufen drohen. Und genau jenen Mechanismus hat Hannah
Arendt vor Augen, wenn sie ihre harsche Kritik an den Menschenrechten übt, die
sie übrigens vorbringt, als die Proklamation der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte (1948) gerade einmal ein paar Monate zurückliegt. Freilich ließ
sich damals noch nicht absehen, welche Fortschritte die Menschenrechtserklä-
rung innerhalb nationaler Rechtsprechungen, im Völkerrecht und hinsichtlich
sowohl der zwischenstaatlichen Beziehungen als auch der Etablierung transnati-
onaler Institutionen motivieren würde.
Um zu verdeutlichen, warum eine Kritik an dem derzeit im Globalen Norden
vorherrschenden liberalistisch geprägten Menschenrechtsverständnis nicht nur
sinnvoll, sondern sogar unerlässlich ist, ist es erforderlich, die im vorigen Kapi-
tel zur Ideengeschichte erläuterten Aspekte des menschenrechtlichen Erbes mo-
dernen Naturrechts und seiner problematischen Implikationen zu rekonstruieren.
Es mag unverständlich erscheinen, die Idee der Menschenrechte, deren Genese
selbst einem kritischen Impuls entstammt, skeptisch zu betrachten. In der Tat
wird die Idee der Menschenrechte im Zusammenhang der nordamerikanischen
und Französischen Revolution im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts sowohl im
theoretischen als auch im praxisbezogenen Diskurs als kritische Idee behandelt,
die sich mit emanzipatorischen Absichten verbindet. Insbesondere die Idee an-
geborener statt verliehener29 oder erworbener Rechte versteht sich selbst als eine
progressive Kritik bestehender politischer und sozialer Verhältnisse. Die nicht
nur aufrüttelnde, sondern mitunter regelrecht verstörende Radikalität der Idee
unteilbarer, fundamentaler, subjektiver Rechte, die im Kontext der Französi-
schen Revolution zur Entfaltung gebracht wird, besteht in der selbstbewussten
Behauptung von Ansprüchen des Individuums, die gegen bestehende politische,
rechtliche und soziokulturelle Regeln zur Geltung gebracht werden. Dabei er-
weist sich der Akt der öffentlichen Verkündigung der Déclaration des droits de
28 Vgl. u.a. Sieyès 2011; de Gouges 1999; Paine 2011.
29 Vgl. jedoch dazu Ernst Tugendhats Auffassung von Menschenrechten als verliehenen,
weil nicht metaphysisch begründbaren Rechten (vgl. Tugendhat 2001: 27; sowie Dou-
zinas 2000:4).
56 | Grenz en de r Mensche nrechte
l’homme et du citoyen (1789) als unerhörter Akt handelt es sich bei der Dekla-
ration um eine aus Sicht der damaligen Rechtspraxis durchaus fragwürdige An-
gelegenheit: Die als ‚Rechte‘ deklarierten Menschenrechte sind im strengen ju-
ristischen Sinne keine, wie Cornelia Vismann hervorhebt. Denn mit dem Termi-
nus ‚Deklaration‘ wird im französischen Staatsrecht der 1780er Jahre die
rechtswirksame Interpretation eines bestehenden Rechts durch den förmlichen
Akt des Justizministers bezeichnet (vgl. Samwer 1970: 379; Vismann 1996:
232).
Bei der Ausrufung der Menschenrechte maßen sich die Akteur_innen hinge-
gen an, einen Akt der Auslegung zu begehen, der selbst überhaupt erst neues
Recht setzt und zwar allein durch die Berufung auf ein natürliches Recht,
Rechte zu beanspruchen, die als angeboren und damit als nicht erklärungsbedürf-
tig gelten sollen. Die Französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte
(1789) stellt somit einen Text dar, der mit selbstbewusster Geste normativ-
vernunftrechtliche Geltung setzt und im gleichen Zug seine kodifizierte Fassung
von ihr ableitet. Damit wohnt ihr im Grunde genommen ein „eigentümlicher
Chiasmus“ (Vismann 1996: 323) inne, der dadurch zustande kommt, dass die
Erklärung bestimmter Rechte zuallererst in dem Recht auf diese Erklärung be-
steht: Auslegung und Rechtsetzung fallen hier unmittelbar zusammen, indem
sich zwei Texte ineinanderschieben. Zum einen soll die Erklärung als Verfas-
sungstext über Bürgerrechte, zum anderen als allgemeine Erklärung universaler
Menschenrechte gelten. Dieser selbstermächtigende Akt der Verschränkung
zweier (durchaus, wie im weiteren Verlauf gezeigt wird, auch im Widerspruch
zueinander stehender) Texte nimmt explizit Bezug auf Unterdrückungserfahrun-
gen. Das Aussprechen dieser Unrechtserfahrungen spielt beim Rekurs auf eine
Normativität jenseits der bestehenden feudalen Ordnung des von Louis XVI re-
gierten Frankreichs eine eminente Rolle. Ständeprivilegien, politische Unterdrü-
ckung, Ungleichbehandlung der Geschlechter, soziale Ausgrenzung und die
Verarmung großer Bevölkerungsgruppen sowie die Praxis des transatlantischen
Sklavenhandels werden angeprangert und vor dem Publikum der Zeit in Form
von Abhandlungen, öffentlichen Reden, Manifesten und Theaterstücken skanda-
lisiert. Die Kritik an der Versklavung nicht-europäischer Menschen, die etwa
von Autor_innen wie Francis Hutcheson, Montesquieu, Condorcet oder Olympe
de Gouges (vgl. Eckert 2010) nachdrücklich verlautbart wird, findet sich auch
schon in der spanischen Barockscholastik des frühen 16. Jahrhunderts. Bartho-
lomé de las Casas beispielsweise sieht die Unterdrückung und Versklavung der
Indios in Lateinamerika durch die spanischen Kolonialist_innen als unvereinbar
mit dem Naturrecht an (vgl. Dahms 1990: 17ff.; Gillner 1997: 108ff.). In ähnli-
cher Weise beziehen sich sowohl Francisco de Vitoria als auch Francisco Suárez
Menschrechte Ka non u nd Kontes tation | 57
auf die Idee der freien Geburt eines jeden Menschen und seiner daraus resultie-
renden natürlichen Freiheit. Auch hier wird bereits das Individuum als Träger_in
angeborener Rechte, zumindest eines Rechts auf Freiheit, konzipiert. Doch ver-
bleibt diese Idee eingebettet in christliche Morallehren, die allenfalls einzelne,
von Brutalität gekennzeichnete, Kolonialisierungs- und Versklavungspraktiken
verurteilen, nicht aber das theologisch abgestützte Gefüge einer gesamten Ge-
sellschaftsordnung angreifen.30 Dies wird erst das Programm der französischen
Menschen- und Bürgerrechtserklärung sein, die fortan als Kampfansage für Pro-
gressivität und Emanzipation gilt.
Gleichwohl ist das der Aufklärung verpflichtete Selbstverständnis des Men-
schenrechtsdiskurses kritisch zu befragen, denn im Zuge der emphatischen Af-
firmation eines auf Befreiung und Ermächtigung abzielenden Konzepts subjekti-
ver Rechte werden problematische Konnotationen zentraler Begriffe wie des In-
dividuums, der Autonomie oder des Universalismus ausgeklammert und igno-
riert. Letztlich erweist sich der Menschenrechtsdiskurs in bestimmten Hinsichten
als durchaus weniger reflektiert, als es der Selbstanspruch der Aufklärung, be-
stehende Verhältnisse rational zu durchdringen, vorgibt. Insbesondere die dem
Menschenrechtsdiskurs zugrunde liegende Imagination einer progressiven und
emanzipatorischen Konzeption subjektiver Rechte basiert auf einer nicht unprob-
lematischen Konstruktion eines ‚unaufgeklärten‘, ‚unzivilisierten‘ bzw. ‚unent-
wickelten‘ ‚Anderen‘. Dieses für ihre Legitimierung konstitutive ‚Andere‘ der
Menschenrechte wird jedoch erst durch das Fortschrittsnarrativ diskursiv er-
zeugt. So bedingt die moralische Aufwertung vernunfttheoretischer und aufklä-
rerischer Begriffe regelrecht eine Abwertung all jener Werte und Praktiken, die
der Maßgabe des Fortschritts nicht entsprechen. Problematisch ist die Abwer-
tung nicht-aufklärerischer Phänomene insofern, als die Zuschreibungen des
‚Vormodernen‘, ‚Rückständigen‘ und ‚Voraufklärerischen‘ nicht ‚unschuldig‘
sind. ‚Fortschritt‘ und ‚Emanzipation‘ werden als abendländisch-europäische Er-
rungenschaften gefasst, während das ‚Unzivilisierte‘ und ‚Wilde‘ im Außereuro-
päischen angesiedelt wird. So kritisieren postkoloniale Theoretiker_innen, dass
sich in politischer Hinsicht bis heute die Unterscheidung zwischen ‚Zivilisie-
rung‘ und ‚Unzivilisiertem‘ wiederfinde in der Unterscheidung zwischen liberal-
demokratischen und undemokratischen Staaten (vgl. Chimni 2012: 301). Die
Abwertung von nicht-europäischen Werten, Praktiken, Institutionen, ja bis hin
zur Marginalisierung und Diskriminierung von Menschen aus Fleisch und Blut
wird als vereinbar mit der emanzipatorischen Absicht des Menschenrechtsdis-
30 Vgl. Vitoria 1934 (zit. n. Starck 2004: 19); Vitoria 1917: I, I, 1; Suárez 1655: 24, III, 2
(zit. n. Schröder 2012: 180); Brust 2012: 346.
58 | Grenz en de r Mensche nrechte
kurses angesehen. In den Texten der Aufklärung finden sich zutiefst wider-
sprüchliche Aussagen von Autor_innen, die auf der einen Seite die Praxis der
Sklaverei verurteilen, zugleich jedoch von der Inferiorität nicht-europäischer
Menschen und deren Un- bzw. noch nicht vollständig ausgeprägten Fähigkeit zur
Selbständigkeit ausgehen.31 Eine ähnliche Ambivalenz zeigt sich bereits an der
innerhalb des frühaufklärerischen Diskurses vorgebrachten Empörung über die
moralische Verwerflichkeit des Sklavenhandels, die jedoch die politische Unter-
drückung von Menschen nicht-europäischer Herkunft ignoriert. Dieser Wider-
spruch wird über Lockes Theorie natürlicher Rechte hinaus bis weit in den Men-
31 In Aussagen einschlägiger Autoren der Aufklärung wie Herder und Kant, aber auch in
Äußerungen Hegels offenbart sich eine auffällige Ambivalenz hinsichtlich des Un-
rechts der Sklaverei, das scharf verurteilt wird, und den von Unrecht Betroffenen, die
mit rassistischen Zuschreibungen bedacht werden. In Herders Ideen zur Philosophie
der Geschichte der Menschheit stößt man etwa zum einen auf Sätze wie den, dass „ei-
ne Zeit kommen [muß], da wir auf unsern unmenschlichen Negerhandel [sic] ebenso
bedaurend zurücksehen werden als auf die alten Römersklaven(Herder 1963: 355).
Zum anderen vergleicht Herder People of Colour mit Affen und kontrastiert auch
wenn er die Einheit der Menschen zu betonen versucht die „Negervernunft [sic]“
mit dem „Gehirn der feinsten Menschenbildung“ (Herder 1963: 346 sowie 152ff.), das
dem europäischen Raum zugeordnet wird. Auch sein Zeitgenosse Kant empfindet of-
fensichtlich keinen Widerspruch zwischen der moralischen Verurteilung der Kolonia-
lisierung einerseits (vgl. Kant 1977d) und einer abwertenden und rassistisch gefärbten
Charakterisierung der im Zuge von Kolonialisationspraktiken versklavten Menschen
andererseits. Die „Negers [sic] von Afrika“ beispielsweise werden im vierten Ab-
schnitt seiner Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen unter dem
Titel „Von den Nationalcharaktern, in so fern sie auf dem unterschiedlichen Gefühl
des Erhabenen und Schönen beruhen“ als Menschen dargestellt, die von Natur aus
kein Gefühl hätten, das über das „Läppische“ hinausgehe (Kant 1968a: 253). Bei He-
gel schließlich heißt es in den Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte: „Der
einzige wesentliche Zusammenhang, den die Neger [sic] mit den Europäern gehabt
haben und noch haben, ist der der Sklaverei. In dieser sehen die Neger [sic] nichts
ihnen Unangemessenes […]. Die Lehre, die wir aus diesem Zustand der Sklaverei bei
den Negern [sic] ziehen […], ist die, welche wir aus der Idee kennen, daß der Natur-
zustand selbst der Zustand absoluten und durchgängigen Unrechts ist. […]. Die Skla-
verei ist an und für sich Unrecht, denn das Wesen des Menschen ist die Freiheit, doch
zu dieser muß er erst reif werden. Es ist also die allmähliche Abschaffung der Sklave-
rei etwas Angemesseneres und Richtigeres als ihre plötzliche Aufhebung“ (Hegel
1986b: 128f.).
Menschrechte Ka non u nd Kontes tation | 59
schenrechtsdiskurs des 20. und 21. Jahrhunderts unreflektiert tradiert: So wird
zwar moralische Gleichachtung für alle menschlichen Lebewesen von den Na-
tur- und Menschenrechtstheoretiker_innen gefordert, von politischer Inklusion
und Gleichberechtigung ist jedoch nur in wenigen Fällen die Rede. Die Deklara-
tionen der Menschenrechte tragen in Nordamerika und Europa langfristig tat-
sächlich dazu bei, eine Neuordnung politischer und sozialer Strukturen herbeizu-
führen, hinsichtlich der zeitgleich stattfindenden Kolonialisierungspraktiken
bleiben sie jedoch auffällig stumm. Das Narrativ progressiver und emanzipatori-
scher Menschenrechte soll daher in Bezug auf seine ‚dark side‘32 einer Kritik un-
terzogen werden. Wie bereits in der Einleitung erwähnt, wird dabei jedoch nicht
die Kehrseite einer unvollkommenen Realisierung der Menschenrechtsidee, son-
dern deren begriffliche Kehrseite in den Blick genommen. Die begriffliche Kehr-
seite zeigt sich daran, dass der ‚helle‘, aufklärerische Diskurs der Menschenrech-
te nicht zufällig oder unbedarft einen Schatten wirft, nein, er benötigt, dies kann
nicht häufig genug betont werden, eine düstere Negativfolie des ‚Anderen‘, ge-
gen die er sich, selbststilisierend, abgrenzen kann. Entscheidend ist daher für die
folgende Untersuchung, den Verweisungszusammenhang zwischen der kriti-
schen Funktion von Menschenrechten einerseits und ihren zugleich zur Disposi-
tion stehenden problematischen implizierten Normen und Gehalten andererseits
aufzuzeigen. Wichtige Einsichten liefern insbesondere gesellschaftstheoretische,
feministische und postkoloniale Kritiker_innen (vgl. ausführlicher Kap. 4), die
u.a. aufzeigen, dass die menschenrechtliche Kritik an bestehenden Unrechtsver-
hältnissen vom 18. Jahrhundert bis heute mehrheitlich auf einer „white male sub-
jectivity based on a normative construction of the category ‚human‘“ (Suárez-
Krabbe 2014: 211) fußt, die selbst nicht genügend reflektiert wird. Der Vorwurf
gegenüber der Konzeption der Menschenrechte, einen eurozentrischen Bias zu
haben, ist dabei lediglich ein Gemeinplatz, offenbart der historische Entste-
hungskontext der Idee der Menschenrechte zweifellos, dass diese ihren Ausgang
in der europäischen Naturrechtsdebatte des 16. und 17. Jahrhundert nimmt. Aus-
schlaggebend für die Herausbildung eines Rechtsverständnisses, das vom Sub-
jekt ausgeht, ist erstens die grundlegende Veränderung der politischen Ordnung,
bei der das ständebezogene Geflecht vielfältiger intermediärer Rechte und
Pflichten durch den modernen Staat mit seinem Gewaltmonopol ersetzt wird.
Zweitens spielt die Entstehung der bürgerlich-gesellschaftlichen Sphäre eine ent-
scheidende Rolle. Hier formt sich eine Sphäre aus, in der die Freiheit der Indivi-
32 Vgl. u.a. Kapur 2006; Douzinas 2007; Sala-Molins 2008; Mignolo 2011. Positiv be-
setzt im Sinne einer lokal verwurzelten Globalisierung ‚von unten‘ ist der Begriff der
‚other side of human rights‘ hingegen bei Sousa Santos (2002: 25ff.).
60 | Grenz en de r Mensche nrechte
duen staatlichen Schutzes bedarf vornehmlich, um private Verträge miteinan-
der abzuschließen, die nicht von außen, erst recht nicht seitens des Staates selbst,
beschränkt werden können (vgl. Weber 1980: 97ff.; Menke 2009: 2f.). In syste-
matischer Hinsicht sind nun zwei zentrale Aspekte für die Konturierung der
Theorie der Menschenrechte von Bedeutung. Zum einen die Individualisierung
der subjektiven Menschenrechte und zum anderen deren Universalisierung. Zu-
gleich erweisen sich diese beiden Aspekte jedoch auch als problematisch. Unter
der Prämisse der Gleichheit nämlich gleicher Freiheit vermag der individua-
lisierte Freiheitsbegriff sein normativ bedeutsames Profil auszuprägen. So wird
der individuelle Status, Rechtsträger_in zu sein, einem vermeintlich abstrakten
Subjekt zugeschrieben, das sich allerdings mit einem genaueren Blick in die
Ideengeschichte, wie bereits erwähnt, als weißer besitzender Mann entpuppt.
Dieses Recht des abstrakten Subjekts wird in einem nächsten Schritt universali-
siert, wobei die genannten kulturell und gesellschaftlich bedingten partikularen
Konnotationen des dem Recht zugrunde liegenden Subjektbegriffs unreflektiert
bleiben. Kritiker_innen monieren entsprechend, dass die Behauptung eines abs-
trakten, universellen Subjekts dessen spezifische historische und gesellschaftli-
che Verortung im spezifisch europäisch-abendländischen Partikularismus ver-
schleiere.33 Unter der Maßgabe formaler Egalität und Allgemeinheit werden
nicht nur sozioökonomische und vergeschlechtlichte Machtstrukturen europäi-
scher Gesellschaften ignoriert, sondern deren inegalitäre Auswirkungen auf der
Basis eines kolonialistischen Menschenbildes invisibilisiert. Dies zeigt sich an
der Verleugnung bestimmter globalgesellschaftlicher Asymmetrien. So werden
zwar die politischen und sozialen Ungleichheiten in europäischen bzw. europä-
isch geprägten Gesellschaften, z.B. im Zuge der Unabhängigkeitsbestrebung
(USA) und der Revolutionen (u.a. England, Frankreich, Polen) skandalisiert, die
Unterdrückung und Ausbeutung ganzer Völker im Zuge der Kolonialisierung
hingegen nicht nur verharmlost, sondern sogar gerechtfertigt. John Lockes Theo-
rie natürlicher Rechte des Menschen enthält beispielsweise einerseits die Prämis-
se menschlicher Gleichheit. Andererseits legitimiert er einzelne koloniale Prakti-
ken, obwohl sie diesem Gleichheitsgebot diametral entgegenstehen. Überdies
stehen sie auch in Opposition zur dezidiert liberalen Verurteilung von Rassis-
mus, Sklaverei und den Kolonisierungspraktiken etwa der Spanier auf dem süd-
amerikanischen Kontinent, deren Brutalität und Tendenz zur Eliminierung gan-
zer Bevölkerungen Locke explizit kritisiert (vgl. Parekh 1995: 88, 91; Arneil
1996: Kap. 5). Dies liegt an der problematischen Implikation der Bedeutung des
Rechts auf Individualeigentum. Ohne diese zentrale Idee wäre die Konzeption
33 Vgl. u.a. Parekh 1995; Kapur 2006: 673f.; Suárez-Krabbe 2014: 2141ff.
Menschrechte Ka non u nd Kontes tation | 61
individueller Freiheit vermutlich niemals zu plausibilisieren gewesen. Gleich-
wohl beruht sie auf der spezifischen anthropologischen Annahme menschlicher
Merkmale, die das besitzindividualistische Denken und Handeln der europäi-
schen Gesellschaft naturalisiert und verabsolutiert (vgl. MacPherson 1967). In-
dem Locke die individuelle Aneignung von Besitz bzw. Eigentum als sowohl na-
türlich als auch als vernünftig (Locke 1952: § 30) voraussetzt, meint er indigene
Lebensweisen als un- bzw. noch-nicht-genügend-zivilisiert einschätzen zu kön-
nen und ihre Unterweisung unter die Vormundschaft der Europäer empfehlen zu
können. Nun ist es zweifelsohne aus der Retrospektive leicht, die unreflektierten
Verallgemeinerungen einer vermeintlich universalen Natur des Menschen als
Verschleierung von Partikularismen nämlich in diesem Falle der ‚manners of
englishmen‘ – zu entlarven. Und dass die Universalisierung der Menschenrechte
in der Theorie in eine Provinzialisierung in der Praxis mündete (vgl. Eckert
2013: 246), lässt sich ebenfalls nachweisen. Viel interessanter ist es allerdings,
die Wirksamkeit bestimmter begrifflicher Implikationen hinsichtlich der syste-
matischen Menschenrechtstheorieentwicklung genauer zu untersuchen. Als be-
sonders problematisch ist hier nämlich die Verfestigung des Trennungsdisposi-
tivs zwischen moralischen und politischen Rechten anzusehen. Während nämlich
den Indigenen das Recht auf politische Autonomie versagt bleibt Locke gesteht
ihnen ihre eigene Selbstwahrnehmung als politische Körperschaft und damit den
erforderlichen Respekt gegenüber ihrer Lebensweise nicht zu, weil ihre Organi-
sationsform nicht dem europäischen Modell nationaler Souveränität entspricht
und daher weder die Landnahme noch ihre Vertreibung als unrecht gelten müs-
sen, betrachtet Locke sie als in moralischer Hinsicht durchaus zu schonende Le-
bewesen (vgl. Parekh 1995: 92). Die Unterscheidung zwischen moralischen und
politischen Ansprüchen findet sich nach wie vor im Menschenrechtsdiskurs des
20. Jahrhunderts. Während die moralische Schutzwürdigkeit eines jeden Men-
schen außer Frage steht, sieht es bei der Gewährung politischer Rechte gänzlich
anders aus. Hannah Arendt kritisiert etwa an der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte aus dem Jahr 1948, dass auch sie Menschenrechte in erster Li-
nie als universale moralische Rechte identifiziert. Ihre Kritik an diesem Deklara-
tionstext, auf die berühmte Formel der „Aporien der Menschenrechte“ (Arendt
1986a: 601) gebracht, beruht auf der ebenso scharfsichtigen wie idiosynkrati-
schen Einsicht, dass die in der Erklärung verlautbarten Menschenrechte das ei-
gentliche Problem derjenigen, die auf sie angewiesen sind, nicht zu erfassen
vermögen, weil sie für sie letztlich moralische, d.h. vorstaatliche Rechte bleiben:
Flüchtlinge, Staatenlose und sogenannte undokumentierte Migrierende sind ohne
den staatlichen Schutz in Form von Bürger_innenrechten vom Vollzug eines
menschenwürdigen Lebens ausgeschlossen. Statt diesen Personengruppen den
62 | Grenz en de r Mensche nrechte
Zugang zu Autonomie zu ermöglichen, werden sie in einen Zustand faktischer
Rechtlosigkeit versetzt, in dem Betroffene auf das bloße Überleben zurückge-
worfen würden.34 Außerhalb des Schutzbereiches staatsbürgerlicher Rechte blie-
ben Menschenrechte vorstaatliche bzw. so weit geht zumindest Hannah Arendt
vor-politische Rechte und damit weitgehend wirkungslos.
Entsprechend plastisch malt Arendt die Merkmale des Zustands der Rechtlo-
sigkeit aus (vgl. Arendt 1986b; 2011). Der Zustand der Rechtlosigkeit, d.h. des
erzwungenen Außerhalb eines politischen Gemeinwesens, besteht für Arendt
hauptsächlich in drei Verlusten. Erstens im Verlust der soziokulturellen Zugehö-
rigkeit („Heimat“) ohne die Möglichkeit, eine neue Form der Zugehörigkeit zu
finden. In der fehlenden Möglichkeit einer neuen Zugehörigkeit unterscheide
sich der Flüchtling vom freiwillig bzw. erfolgreich Migrierenden. Zweitens re-
sultiere Rechtlosigkeit aus dem Verlust des Schutzes durch eine Regierung. Am
schwersten allerdings wiege drittens der Verlust der Zugehörigkeit zur „Men-
schenwelt“ (vgl. Arendt 1986a: 610). Rechtlose haben aus Arendts Perspektive
„die Bezüge zu der von Menschen errichteten Welt und zu allen jenen Bezirken
menschlichen Lebens, die das Ergebnis gemeinsamer Arbeit sind, verloren“
(Arendt 1986a: 621). Arendt stellt in diesem Zusammenhang klar, dass die Apo-
rie der Menschenrechte nicht in dem Verlust des einen oder anderen Menschen-
rechts besteht, sondern sich in dem einen Punkt manifestiert, in dem „der
Mensch den Standort in der Welt verliert, durch den allein er überhaupt Rechte
haben kann“ (Arendt 1986a: 613). Das Individuum befinde sich trotz der Exis-
tenz eines Menschenrechtsregimes quasi im Naturzustand. „Innerhalb der zivili-
sierten Welt […] ist der Naturzustand […] in den Staaten- und Rechtslosen ver-
körpert, die, indem sie aus allen menschlichen Gemeinschaften herausgeschleu-
dert wurden, auf ihre naturhafte Gegebenheit und nur auf sie zurückgeworfen
sind.“ (Arendt 1986a: 623) Die Parallele zwischen dem „Naturzustand, in dem es
‚nur‘ Menschenrechte gibt, und dem Zustand der Staatenlosigkeit, in welchem
alle anderen Rechte verloren gegangen sind“ (Arendt 1986a: 621), bestehe darin,
dass der Mensch als Staatenloser „gleichzeitig der Mensch und das Individuum
überhaupt, das allerallgemeinste und das allerspeziellste“ (Arendt 1986a: 624)
sei. Dieser Doppelstatus des Allerallgemeinsten und Allerspeziellsten ist jedoch
ein begrifflich-metaphysischer bzw. ein moralischer, der damit vorpolitisch
34 Im Einzelnen mögen sich die Lebensbedingungen der genannten Personengruppen
jeweils unterscheiden. Hier geht es um den Umstand, dass bestimmte zentrale Berei-
che eines menschenwürdigen Lebens wie z.B. eine angemessene Gesundheitsversor-
gung, ein gesicherter Aufenthalt sowie politische und soziale Rechte für diese Men-
schen unter den Bedingungen von Flucht oder Staatenlosigkeit unzugänglich sind.
Menschrechte Ka non u nd Kontes tation | 63
bleibt (vgl. Volk 2008: 131). Das staatenlose Individuum ist zwar durchaus ein
Mensch, aber, dies betont Arendt, „er ist doch dies gerade nicht durch die gegen-
seitig sich garantierende Gleichheit der Rechte“ (Arendt 1986a: 624), d.h. nicht
im politischen Sinne. Arendt lässt uns also den/die Migrant_in als emblemati-
sche philosophische Figur erkennen, deren Status die Widersprüche zwischen
einer auf nationale Zugehörigkeit fokussierten Staatsbürgerschaft (citizenship)
und dem Menschenrechtsdiskurs offenbart (vgl. Krause 2008: 331). Wie in den
Kap. 6 und 7 gezeigt wird, kann die Figur des Flüchtlings aber ebenso in sehr
praktischer Hinsicht darauf verweisen, dass politische Partizipation begrifflich
nicht notwendigerweise an Staatsbürgerschaft geknüpft ist: „Lastly, the migrant
comes into view as a potential political actor; protests by sans papiers become
visible as sites of active citizenship“ (Krause 2008: 331).
Arendt äußert ihre Kritik an den Menschenrechten erstmals in einem kurzen
Artikel aus dem Jahre 1949.35 Die hier und zwei Jahre später im neunten Kapitel
ihrer Studie Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft (Arendt 1986a) vorge-
brachten Argumente stellen „einen kompletten Verriß der zeitgenössischen Ver-
suche […], die Idee der Menschenrechte als politische Grundlage wiederzubele-
ben“ (Menke 2008: 131), dar. Vor allem versucht Arendt, die dem naturrecht-
lich-liberalistischen Begriff der Menschenrechte innewohnende Paradoxie der
Idee eines abstrakten Individuums aufzudecken. Sie nimmt dabei Anstoß am Be-
griff des „Menschen überhaupt“ (Arendt 1986a: 604), der, gemäß naturrechtli-
cher Tradition, das menschliche Lebewesen nicht als in seine kulturellen, politi-
schen und sozioökonomischen Zusammenhänge eingebundenes, sondern als von
seinen historischen Bezügen losgelöstes Individuum begreift. Nach Arendts Auf-
fassung besteht allerdings ein Widerspruch zwischen dem abstrakten Menschen
und dem Merkmal der Pluralität menschlicher Existenz, den der geltende Men-
schenrechtsbegriff nicht angemessen zu fassen vermag. Ihre Kritik bezieht sich
auf den Umstand, dass Menschenrechte trotz vielfältiger Implementationen nach
wie vor im Wesentlichen nicht-politische Rechte bleiben. Menschenrechte wer-
den zwar abstrakt jedem Menschen auf der Welt als unveräußerlich und un-
abdingbar zugesprochen. Das Problem bestehe jedoch darin, dass sie außerhalb
des Wirkungsbereichs einer politischen Gemeinschaft bzw. jenseits von interna-
35 Mit der Bedeutungsverschiebung des Aufsatztitels vom englischen Original „The
‚Rights of Man‘. What Are They?“ aus dem Jahre 1949 über die deutsche Fassung „Es
gibt nur ein einziges Menschenrecht“ (Arendt 2011) aus dem gleichen Jahr bis hin zu
„Die Aporien der Menschenrechte“ (Arendt 1986a: 601-625), dem XX. Kapitel in
Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft (im englischen Original erschienen im
Jahre 1951) setzt sich Menke auseinander (vgl. Menke 2008).
64 | Grenz en de r Mensche nrechte
tionalen Verträgen und einigen Bereichen des Völkerrechts keinen faktischen
Rechtsanspruch garantieren. Mit anderen Worten: Menschenrechte erlangen kei-
ne politische Bedeutung, solange sie nicht ohnehin als Bürger- bzw. Grundrechte
in nationalen Verfassungen verankert sind.
Arendts These von der Ausweglosigkeit der Menschenrechte bildet den Aus-
gangspunkt eines seit den 1990er Jahren stetigen Diskussionsprozesses um Ge-
halt und Stellenwert der Menschenrechte, der von zum Teil konträren Positionen
geprägt ist.36 Einerseits ist unter den Rezipient_innen der Tenor zu vernehmen,
dass Arendts Kritik angesichts der Errungenschaften des sich zunehmend etab-
lierenden globalen Menschenrechtsregimes mittlerweile als überholt bzw. nicht
zutreffend einzustufen sei (vgl. Brunkhorst 1996; Cohen 1996). Andererseits er-
scheint Arendts Verdikt angesichts der zahlreichen Beispiele für die vielerorts
tatsächlich ausweglose Lage von Flüchtlingen und Staatenlosen, die in zahlrei-
chen Fällen nicht einmal ihr physisches Überleben bewahren können, nach wie
vor aktuell: Die Praxis der europäischen Grenzschutzagentur „Frontex“, Boots-
flüchtlinge auf See abzufangen und sie auch in humanitären Notlagen zurückzu-
schicken (vgl. Heck 2011: 71; Leisering 2016) sowie diejenigen, die das Fest-
land erreicht haben, zu inhaftieren und oftmals willkürlich abzuschieben (vgl.
Kopp 2011: 95f.), wird von Menschenrechtsorganisationen nicht nur als völker-
rechtswidrig eingeschätzt, sondern in vielen Fällen als schwerwiegende Men-
schenrechtsverletzung erachtet (vgl. Buckel 2011). Aktuell scheint Arendts
Verdikt also durchaus zu sein, und dies, obwohl die Menschenrechtsdeklaration
eine (für Hannah Arendt vermutlich unvorstellbare) Fülle an Errungenschaften
des internationalen Menschenrechtsregimes nach sich gezogen hat. Die unbe-
streitbare Zunahme der faktischen politischen und rechtlichen Wirksamkeit von
Menschenrechten mildet ihre konzeptuellen Probleme lediglich ab, während die
eigentliche Spannung der Menschenrechtskonzeption, einerseits moralisch-
universale Gültigkeit zu beanspruchen, andererseits unter den Bedingungen nati-
onalstaatlicher Territorial- und Souveränitätsprinzipien in politischer Hinsicht an
ihre Grenzen der Wirksamkeit zu gelangen, nach wie vor bestehen bleibt. Wie
bereits erwähnt, moniert sie hier insbesondere, dass der intendierte umfängliche
menschenrechtliche Schutz in erster Linie Menschen, die ohnehin Träger_innen
von (staatsbürgerlichen) Rechten sind, zugutekommt, während er für alle übrigen
sich eher als „unbrauchbar und fatal“ (Pollmann 2012c: 358) erweise. Arendts
Zuspitzung ist sicherlich in einigen Punkten als übertrieben einzustufen. Gleich-
wohl betrifft sie tatsächlich das virulente Begriffsklärungsproblem, das sich aus
den konzeptuellen und ideengeschichtlichen Kontroversen ergibt, die zwischen
36 Vgl. vor allem Brunkhorst 1996; Michelman 1996; Rancière 2011a; Schaap 2011.
Menschrechte Ka non u nd Kontes tation | 65
den naturrechtlichen Menschenrechtserklärungen des 18. Jahrhunderts und ihrer
rechtspositivistischen Gegenposition entstehen und die ihren Widerhall im ge-
genwärtigen Streit zwischen verfassungs- sowie völkerrechtlichen, moralphilo-
sophischen und schließlich demokratietheoretischen Konzeptionen erfahren (vgl.
Pollmann 2012c: 358f.; Lohmann 2010).
Aus gesellschaftstheoretischer, feministischer und postkolonialer Perspektive
wird dabei insbesondere die aus dem Naturrecht stammende und für die Konzep-
tion der Menschenrechte so zentrale theoretische Figur des abstrakten Men-
schen, die in der konkreten Situation von Flucht oder Staatenlosigkeit regelrecht
pervertiert wird, nicht nur dahingehend problematisiert, dass deren begriffliche
Einschreibungen ihrer vorgeblichen Überzeitlichkeit und Kontextunabhängigkeit
entgegenstehen. Das abstrakte Individuum als Träger_in subjektiver Rechte mit-
samt der in ihm vermeintlich inhärenten ‚selbstevidenten‘ Universalität wird im
Zuge der Problematisierung seines zeitgeschichtlichen Entstehungszusammen-
hangs nicht nur als historisch kontingente Figur dekonstruiert. Nicht allein die
Annahme eines geschlechts- und herkunftslosen Subjekts wird insofern als Fehl-
konzeption angesehen, als sie sich blind gegenüber sozial, geschlechtlich und
geographisch konnotierten Vermachtungsstrukturen erweist. Die Annahme eines
abstrakten Individuums als Menschenrechtssubjekt erweist sich vor allem hin-
sichtlich der hier untersuchten Thematik insofern als problematisch, als mit der
Loslösung des Individuums aus geschichtlichen, sozialen und politischen Kon-
texten eine Menschenrechtslesart vornehmlich unter moralisch-humanitären Ge-
sichtspunkten befördert wird: Die Fokussierung auf das abstrakte Individuum er-
leichtert eine Sichtweise, in der die moralische Dimension menschlichen Lebens
eine Vorrangstellung gegenüber der sozialen und politischen Verortung von
Menschen erhält. Dadurch, dass aus einer moralischen Perspektive leibliche Un-
versehrtheit und Freiheit im Sinne der Abwesenheit von Zwang im Vordergrund
stehen, werden Kriterien, die mit einem liberalistischen Verständnis von Freiheit
übereinstimmen, für die Lesart der Menschenrechte somit maßgeblich. Es ist ja
gerade das liberale Trennungsdispositiv, für das die Differenz zwischen Privat-
heit und Öffentlichkeit/Politik konstitutiv ist und das die Sphäre des Moralischen
vom Bereich des Politischen trennt. Das Subjekt der Menschenrechte ist eines,
das der Sphäre des Moralischen, während der/die Staatsbürger_in der Sphäre des
Politischen zugeordnet wird. Gemäß dieser Aufteilung nimmt die gegenwärtige
Menschenrechtsinterpretation daher den Ausschluss von Nicht-Staatsbürger_in-
nen aus dem Bereich des Politischen nicht als Problem wahr. Der progressive
Aspekt, der gerade in der Abstraktion des Individuums von spezifischen Affilia-
tionen und Kontexten gesehen wird, droht sich in sein Gegenteil zu verkehren,
indem das Subjekt auf seine abstrakte, vorpolitische Dimension festgeschrieben
66 | Grenz en de r Mensche nrechte
wird. Und es handelt sich hierbei, das darf nicht übersehen werden, um eine
ebenso historisch kontingente Vorstellung wie die Idee des privilegierten Polis-
bürgers im antiken Griechenland.
Mit dem Verweis auf die historische Kontingenz des Geltungsanspruchs von
Menschenrechten soll freilich keinesfalls in Abrede gestellt werden, dass die
Umsetzung von Menschenrechten seit der Verlautbarung ihrer Idee auch mora-
lisch dringend geboten sein mag. In der vorliegenden Studie geht es jedoch um
eine andere Fragestellung. Anhand einer historisch-kritischen Verortung des
Aufkommens menschenrechtlicher Ideen kann gezeigt werden, inwiefern be-
stimmte Bedeutungsgehalte der Menschenrechte zu unterschiedlichen Zeiten und
unter unterschiedlichen historischen Bedingungen mehr oder weniger Relevanz
haben. Manche Bedeutungsgehalte hätten auch schon zu einem früheren Zeit-
punkt hervorgehoben werden können oder müssen. Im Falle eines Rechts auf po-
litische Partizipation, so die These meiner Studie, ist die Zeit längst überfällig,
um ihm innerhalb des Katalogs an Menschenrechten einen höheren Stellenwert
zuzumessen. Damit würde sich das Verständnis der Menschenrechte insgesamt
ändern. Autor_innen wie Hannah Arendt, Jacques Rancière oder Giorgio Agam-
ben weisen daher mit Nachdruck darauf hin, dass sich ein kritisches Menschen-
rechtsverständnis von der Annahme verabschieden müsse, in Menschenrechten
in erster Linie moralisch begründete Rechte zu sehen, deren Universalität in mo-
ralischer Hinsicht vollumfänglich begründbar ist, deren faktische Schutzwirkung
jedoch von der nationalstaatlichen Implementierungen in Form von staatsbürger-
lichen Rechten abhängt, womit die moralisch begründeten Rechte hinsichtlich
ihres normativen Universalitätsanspruchs massiven Einschränkungen unterwor-
fen sind.37
Damit ist der zentrale Punkt meiner Untersuchung, das Spannungsverhältnis
zwischen Menschen- und Bürger_innenrechten, berührt. Die Spannung zwischen
Menschen- und Bürger_innenrechten entsteht dadurch, dass Menschenrechte ei-
nerseits ihren universellen Charakter einbüßen, wenn sie z.B. in Form von
Grundrechten eines Nationalstaats garantiert werden und dann nur noch für
Staatsbürger_innen gelten (vgl. Pollmann 2012a: 132). Anderseits basiert das
Konzept der Bürger_innenrechte genau darauf, einen Unterschied zwischen dem
abstrakten Menschen und dem/der Staatsbürger_in zu machen. Autor_innen wie
Hauke Brunkhorst gehen zwar davon aus, dass trotz der begrifflichen (und fakti-
schen) Differenz zwischen Menschen- und Bürgerrechten ein ‚identischer‘
Kerngehalt bestehen bleibt, nicht zuletzt in Form von staatlich garantierten
Grundrechten (vgl. Brunkhorst 2012: 100f.). Genau jene Auffassung soll hier je-
37 Vgl. Arendt 1986, 2011; Rancière 2011a; Agamben 2001, 2002.
Menschrechte Ka non u nd Kontes tation | 67
doch kritisch beleuchtet werden. Dabei grenzt sich die hier vorgenommene kriti-
sche Auseinandersetzung mit der gegenwärtig dominierenden Menschenrechts-
lesart von anderen, z.T. prominenten Einwänden gegen Menschenrechte dezi-
diert ab, von denen drei Varianten hier kurz erwähnt werden sollen.
Erstens berücksichtigt meine Studie keine Kritik an den Menschenrechten,
die unter der Rubrik des Ideologieverdachts anzusiedeln wäre (vgl. Douzinas
2000). So geht es mir nicht darum, aufzuzeigen, in welchen Hinsichten internati-
onale und nationale politische Akteur_innen in performative Widersprüche ver-
strickt sind, wenn sie sich einer allgemein üblich gewordenen Menschenrechts-
rhetorik bedienen. Dass Menschenrechte auch oder gerade von jenen im
Munde geführt werden, die sie verletzen, ist ein weit verbreitetes Phänomen
(vgl. Menke/Pollmann 2007: 9), dessen Gründe allerdings eher einer soziologi-
schen Untersuchung zu unterziehen wären. Der Umstand, dass Vertreter_innen
von Nationalstaaten, militärischen Organisationen, internationalen wie nationa-
len Wirtschaftsunternehmen oder Weltreligionen sich bei der Rechtfertigung ih-
res Handelns oftmals auf Menschenrechte bzw. auf deren z.T. recht eigenwilli-
ge Interpretation berufen, obwohl die Rede im Kontrast zu ihrem Handeln
steht, sollte sicherlich skandalisiert, moralisch verurteilt und politisch bekämpft
werden. Doch in diesen Fällen ist der Menschenrechtskonzeption selbst keine
‚Schuld‘ zuzuweisen. Vielmehr handelt es sich hierbei eindeutig um eine Miss-
deutung bis hin zum absichtsvollen Missbrauch der Menschenrechte, der nicht
selten von der sprachlichen auf die Handlungsebene übergeht.
Zweitens wird die insbesondere während der 1990er und frühen 2000er Jahre
geführte Debatte um Menschenrechte als Minimalstandards oder als umfassen-
dere Gerechtigkeitsstandards38 hier nicht weiter berücksichtigt. In der entspre-
chenden Debatte geht es um die Unterscheidung zwischen einer Konzeption ge-
haltvoller menschenrechtlich basierter Gerechtigkeit (die allerdings vornehmlich
auf die domestische Sphäre beschränkt bleibt) einerseits und einer minimal-
ethisch begründeten Humanität in der transnationalen Sphäre andererseits, die im
Wesentlichen in der vieldiskutierten humanitären Pflicht zur Hilfeleistung, der
berühmten „duty of assistance“ (Rawls 1999: 37), besteht. Rawls vertritt die An-
sicht, dass die Annahme einer umfassenden Gerechtigkeit auf transnationaler
Ebene nicht zu begründen sei und allenfalls die Option einer Rechtfertigung der
Pflicht zur Hilfeleistung (die in ihrer normativen Gültigkeit freilich schwach aus-
fällt) bestehe. Die Unterscheidung zwischen Gerechtigkeit und Humanität beruht
dabei auf der dualistischen Annahme, dass aufgrund der unterschiedlichen insti-
38 Vgl. als wichtigste und zugleich stellvertretend für weitere Rawls 1999; Beitz 2000,
2005; Tan 2004; Nagel 2005; Cohen/Sabel 2006.
68 | Grenz en de r Mensche nrechte
tutionellen Beschaffenheit der beiden Ebenen nur je verschiedene Moralprinzi-
pien gelten können.39 Rawls Verständnis der Menschenrechte als moralische
Standards, die außerhalb des Kontextes des nationalstaatlich verfassten Rechts-
staates keine politische Bedeutung erhalte, kann hier als ein weiteres Beispiel für
eine nicht-plausible Lesart der Menschenrechte gelten, die der politischen Parti-
zipation nur eine marginale Rolle zuweist. In Kap. 6.3 werde ich darlegen, in-
wiefern die Diskussion um eine minimalistische Konzeption der Menschenrechte
eine wenig erkenntnisfördernde Debatte darstellt, solange diese als moralische
Rechte aufgefasst werden. Anhand des Ansatzes von Fabienne Peter (2013) zei-
ge ich, dass es durchaus möglich ist, das Recht auf politische Partizipation sogar
zu entsprechenden „minimal lists of human rights“ (Peter 2013: 1) zu zählen.
Drittens werden Ansätze, die mögliche Alternativen der politischen Partizi-
pation von Rechtlosen jenseits eines Menschenrechtsdenkens suchen (vgl. u.a.
Agamben 2001; Žižek 2005) ebenfalls nicht behandelt. Das bedeutet also, dass
die Idee des Rechts nicht aufgegeben wird. Der Impuls, die Idee individuell zu-
schreibbaren Rechts als eurozentrisch, hegemonial, kolonialistisch und imperia-
listisch zu identifizieren und aufgrund einer darauf antwortenden Fundamental-
kritik zu verwerfen, ist insbesondere unter postkolonialistischen (vgl. u.a. Baxi
2006; Spivak 2008), postoperaistischen (vgl. u.a. Hardt/Negri 2002, 2004, 2009)
oder anarchistischen Theorien zugeneigten (vgl. u.a. Chomsky 2001) Au-
tor_innen durchaus verbreitet. Die Skepsis gegenüber einem als westlich geprägt
angesehenen globalen Recht bezieht sich dabei vor allem auf den Umstand, dass
dieses zumeist von imperialen Strukturen durchgesetzt wurde, ohne auf lokale
Spezifika hinsichtlich kultureller Gepflogenheiten und bestehender Institutionen
Rücksicht zu nehmen. Auch Menschenrechte werden in diesem Kontext als Ok-
troyierung westlicher Vorstellungen gesehen, die Subalterne häufig mit dem Di-
lemma konfrontieren, sich selbst als Subjekt einer Geschichte begreifen zu müs-
sen, die ihnen äußerlich ist und aus deren Herrschafts- und Handlungskontexten
sie ausgeschlossen waren bzw. nach wie vor sind. Gleichwohl vermögen die Kri-
tiken nicht zu belegen, dass die Preisgabe von als westlich charakterisierten
Menschenrechtsstandards tatsächlich eine überzeugende Alternative der Ermäch-
tigung subalterner Personen(-gruppen) bietet. Stattdessen scheint die Identifizie-
rung der Menschenrechte mit westlichen Normen die binäre Codierung von
Nord/Süd, Fortschritt/Traditionalismus, Rationalität/Irrationalität, Entwicklung/
39 Vgl. im Gegensatz dazu die monistische These Liam Murphys, die sich in der Aus-
sage „[a]ny plausible overall political/moral view must, at the fundamental level,
evaluate the justice of institutions with normative principles that apply also to peo-
ple’s choices“ (Murphy 1998: 253) zusammenfassen lässt.
Menschrechte Ka non u nd Kontes tation | 69
Unterentwicklung bzw. Universalismus/Relativismus nur zu reartikulieren und
dabei zu perpetuieren. Nach Ansicht etlicher, auch dem Postkolonialismus zuge-
höriger, Theoretiker_innen besteht eine vielversprechendere Strategie in dem
Aufbrechen dieser Dichotomien und der Eröffnung diversifizierter Aushandlun-
gen und Kämpfe für Rechte (vgl. Merz 2011: 88). Rechte, und zwar explizit
Menschenrechte, können dabei ein adäquates Ermächtigungsinstrument darstel-
len.
Von entscheidender Bedeutung ist, dass die Definitionen und Auslegungen
der Menschenrechtsgehalte nicht fraglos als Setzungen ‚von oben‘ oder ‚seitens
des Westens‘/‚des ‚Globalen Nordens‘ bzw. als autor_innenlose Vorgaben he-
gemonialer Strukturen hingenommen, sondern selbst zum Gegenstand von Aus-
einandersetzungen gemacht werden. In diesem Sinne sollen in der vorliegenden
Studie Fragen aufgeworfen werden, die den Diskurs für alternative Verständnis-
varianten möglicher Menschenrechtsgehalte öffnen. Costas Douzinas beispiels-
weise versucht die Debatte anhand folgender Fragen einzuleiten:
„What historical circumstances led to the emergence of natural and later human rights?
What are the philosophical premises of the discourse of rights? What is today the nature,
function and action of human rights, according to liberalism and its many philosophical
critics? Are human rights a form of politics? Are they the postmodern answer to the ex-
haustion of the grand theories and grandiose political utopias of modernity?“ (Douzinas
2000: 3)
Auch für Douzinas steht dabei fest, dass ein genealogischer Blick in die Ideenge-
schichte des Natur- und Menschenrechtsdiskurses hilfreich sein kann. Vor dem
Hintergrund, dass in meiner Studie der Ideengeschichte der Menschenrechte
durchaus eine gewisse Bedeutung zugemessen wird, ist es eventuell hilfreich, zu
betonen, dass die hier thematisierten historischen und gegenwärtigen Menschen-
rechtskritiken keinesfalls mit den zeitgenössischen Einwänden gegen die Fran-
zösische Revolution und der Idee universeller Rechte zu vergleichen sind: Kritik
an den Menschenrechten äußern dort zumeist konservative, revolutionsfeindliche
Stimmen, von denen eine der berühmteren diejenige von Edmund Burke sein
dürfte, vor allem Einwände gegen die Vorstellung eines abstrakten, nicht-
positiven Rechts. Burke verunglimpft etwa die in der Französischen Erklärung
der Menschen- und Bürgerrechte (1789) formulierten Menschenrechte als rein
„spekulative Rechte“ (Burke 2011: 43) und damit lediglich „eingebildete Rech-
te“, die sich in praktischer Hinsicht als umso falscher erwiesen, je richtiger sie
theoretisch zu sein vorgäben (Burke 2011: 50). Und auch Jeremy Bentham stößt
in das gleiche Horn, wenn er die Menschenrechte gar als „Unsinn auf Stelzen“
70 | Grenz en de r Mensche nrechte
(Bentham 2011) bezeichnet. Er wiederum verhöhnt die natürlichen und ante-
legalen Rechte des Menschen als hoffnungslos unbestimmt und ungereimt. Die
Widersprüchlichkeit des Naturrechtsbegriffs als Fundament der Menschenrechte
bestehe darin, dass juridische Termini in das Gebiet der Moral übertragen wür-
den, obwohl die Rede von subjektiven Rechten allein im Kontext einer positiven
Rechtsordnung einen präzisen Sinn ergebe. Somit verblieben diese bloß postu-
lierten Rechte im Bereich des Metaphysischen, also ohne jegliche Durchset-
zungskraft.40 Diesen Punkt greift mehr als 150 Jahre später Hannah Arendt auf,
wenn sie den einerseits tautologischen, andererseits leeren Sinn der Menschen-
rechte, sofern sie nicht positiviert worden sind, kritisiert. Burkes und Benthams
Ablehnung der Menschenrechtsidee steht bekanntlich in scharfem Kontrast zur
Bejahung vieler Zeitgenossen (vgl. Paine 2011) und insbesondere auch -genos-
sinnen (vgl. de Gouges 1999; Wollstonecraft 1999) der Französischen Revoluti-
on, die in ihr in erster Linie die „tonality of dissent, rebellion […], the reform
and early socialist movements“ (Douzinas 2000: 7/8) vernehmen. Sie speist sich
bei beiden traditionalistisch argumentierenden Theoretikern aus einer bestimm-
ten Rechtsauffassung, die Freiheit nicht als angeborenes Menschenrecht, sondern
als „Fideikommiß“ (Burke 2011: 44), und Gleichheit zwar durchaus als natürli-
che menschliche Eigenschaft, vielmehr aber noch mit Blick auf reale Gesetze
als von geltendem Recht abhängigen sozialen Status (Bentham 2011: 69) begrei-
fen. Nach dieser Rechtsauffassung können Menschen ausschließlich Rechte auf
der Grundlage von Gesetzen zugesprochen werden, die wiederum ausschließlich
innerhalb des Rahmens einer (z.B. vertragstheoretisch begründeten) staatlichen
Ordnung Gültigkeit haben. Folglich gibt es kein anderes als bürgerliches Recht,
und deshalb muss gemäß dieser traditionalistischen Rechtsauffassung die Forde-
rung nach abstrakten, von konkreten Gesetzen abgelösten Menschenrechten leer
bleiben (vgl. Hoffmann 2012: 70).
Da das Interesse der vorliegenden Studie sich nicht in einem historischen o-
der ideengeschichtlichen Zugang zur Menschenrechtsdebatte erschöpft, sondern
in der systematischen Untersuchung der Bedingungen und Möglichkeiten eines
universalen Rechts auf politische Partizipation liegt, wird es in den folgenden
Kapiteln im Wesentlichen um zwei Fragen gehen. Zum einen soll geklärt wer-
den, inwiefern ein Menschenrecht auf politische Mitbestimmung einen zentralen
Stellenwert innerhalb der derzeit verbreiteten Konzeption der Menschenrechte
erhalten kann. Zum anderen untersuche ich, inwiefern Menschenrechte weniger
als Ausdruck eines moralischen Kosmopolitismus, wie er etwa u.a. von Au-
40 Vgl. Bentham 1987: 73, 118; s. auch Stepanians 2005: 276; Pollmann 2012c: 358.
Menschrechte Ka non u nd Kontes tation | 71
tor_innen wie Thomas Pogge, Simon Caney oder Gillian Brock vertreten wird,41
sondern als dezidiert politische Rechte zu verstehen sind. Diese wären als Be-
standteil eines politischen Kosmopolitismus zu erachten, der wiederum keines-
falls in der Vorstellung eines globalen Staatengebildes aufgehen müsste, sondern
sich stattdessen als offen gegenüber vielfältigen Konzeptionen des Politischen,
z.B. Formen transnationaler Demokratie, Demokratie jenseits von Nationalstaat-
lichkeit oder der sogenannten „Demokratie ohne Volk“ (Colliot-Thélène 2011)
erwiese. In diesem Lichte erschiene das Problem des Ausschlusses bestimmter
Personengruppen aus dem Bereich der politischen Mitbestimmung auf national-
staatlicher Ebene nicht mehr allein als Folge externer Menschenrechtsverletzun-
gen z.B. als Folge von Bürgerkriegen, Vertreibung, politischer Verfolgung o-
der der Aberkennung von Staatsangehörigkeit. Politische Exklusion gälte dann
als ein von jeglichem Staat zu beseitigender Missstand, weil die Benachteiligung
bestimmter Personengruppen innerhalb von demokratischen Rechtsstaaten unter
normativem Gesichtspunkt in Widerspruch zur demokratischen Legitimation ge-
riete. Löst man sich davon, dass Menschenrechte allein in Form nationalstaatlich
gewährleisteter Grundrechte, d.h. als ‚verwandelte‘ Menschenrechte (vgl. Poll-
mann 2012a: 130) das geforderte Recht auf politische Partizipation, gewähren
könnten, erweitert sich die Perspektive auf Bedingungen und Möglichkeiten po-
litischer Partizipation unabhängig von einer spezifischen Staatszugehörigkeit.
Erst dann ließe sich tatsächlich von ‚universalen‘ Rechten sprechen. In der er-
weiterten Perspektive auf den Zusammenhang von Menschenrechten und politi-
scher Partizipation stellen sich Anschlussfragen, z.B. inwiefern aus dem Men-
schenrecht auf politische Partizipation notwendigerweise ein Menschenrecht auf
Demokratie zu folgern sei.42 Eine andere Frage zielt darauf, inwiefern sich aus
einem Recht auf politische Partizipation Rechte des Individuums auf Mitwirkung
sowohl auf nationalstaatlicher als auch auf transnationaler Ebene ergäben. Eine
Deklination denkbarer praktischer Umsetzungsmöglichkeiten eines normativ zu
rechtfertigenden Rechts auf politische Partizipation wird nicht Bestandteil mei-
ner Studie sein. Im Vordergrund meiner Untersuchung stehen die begrifflichen
Weichenstellungen für ein Menschenrecht auf politische Partizipation anhand
einer kritischen Rekonstruktion der Konturen und Gehalte von Menschenrech-
ten. Sowohl in epistemologischer als auch in programmatischer Hinsicht schlie-
ße ich mich der im folgenden Zitat zur Sprache kommenden Auffassung von Jo-
seph Hoover und Marta Iñiguez De Heredias an, dass
41 Vgl. Pogge 2002a, 2002b; Caney 2005; Brock 2009.
42 Vgl. Kreide 2008: 19, 2016a, 2016b; Näsström 2014; dagegen: Peter 2013.
72 | Grenz en de r Mensche nrechte
„[a]ttempting to avoid the philosophical pathology of demanding that the world reflect our
conception of it, we base our reflection on the ambiguous, and potentially unpatterned,
texture of human rights practice taking seriously the idea that human rights express a re-
lationship of power, importantly concerned with its legitimate arrangement and limitation“
(Hoover/Iñiguez De Heredia 2011: 191).
3 Konturen und Gehalte
von Menschenrechten
Die Rede von dem Konzept der Menschenrechte ist unhistorisch und falsch. Ei-
nen Begriff der Menschenrechte im Singular gibt es nicht. Vielmehr lässt sich,
wie im vorherigen Kapitel anhand der Ideengeschichte deutlich gemacht werden
konnte, nicht nur in historischer Hinsicht, sondern ebenfalls mit Blick auf ge-
genwärtige Ansätze eine Fülle an (mitunter konträren) Konzeptionen vorfinden.
In diesem Kapitel nun soll dargestellt werden, wie komplex die Sachlage in Be-
zug auf die begriffliche Konturierung der Menschenrechte ist. Eine weit verbrei-
tete Sichtweise auf Menschenrechte geht davon aus, dass es sich bei ihnen um
moralisch begründete Rechte mit universeller Gültigkeitsreichweite handelt, die
erst als rechtlich-politisch implementierte Rechte ihre faktische Schutzwirkung
für Individuen entfalten können.1 Damit erschöpft sich jedoch eine adäquate Be-
griffsbestimmung nicht, denn das Spannungsverhältnis zwischen ebenjenen vor-
staatlichen Menschenrechten einerseits und politisch zu institutionalisierenden
Grund- bzw. Bürger_innenrechten andererseits gestaltet sich komplexer, als es
viele Theorieansätze darzustellen bereit sind. Die folgenden drei Abschnitte die-
ses Kapitels nehmen eine Bestandsaufnahme der gängigen gegenwärtigen Auf-
fassungen zu Menschenrechten hinsichtlich charakteristischer formaler Merk-
male, ihrer Gehalte, Begründungsmöglichkeiten und ihrer Gültigkeitsreichweite
vor. Der heutzutage als zentral angenommene Aspekt menschenrechtlicher The-
oriebildung betrifft die Frage, welche Rechtsansprüche von Individuen zur spezi-
fischen Gruppe der Menschenrechte gezählt werden sollten und welche nicht.
Normative Ansätze erachten eine Reduktion auf entsprechende völkerrechtliche
Abkommen dabei als nicht ausreichend, da hier eine inhaltliche Bestimmung zu
1 Vgl. u.a. Alexy 1998; Tugendhat 1993: Kap 17, 2001; Lohmann 1998, 2010, 2012;
Pollmann 2008, 2009, 2012c.
74 | Grenz en de r Mensche nrechte
stark von machtbezogenen und z.T. auch ideologischen Konstellationen in UN-
Gremien abhängig ist (vgl. Pollmann 2008: 9). Diese konventionalistische
Sichtweise unterscheidet sich noch einmal von normativ-begrifflichen Definitio-
nen menschenrechtlicher Gehalte, die allesamt jedoch im politiktheoretischen
Diskurs umkämpft sind, da moraltheoretische, juridische und politische Ansätze
miteinander um die jeweilige Deutungshoheit konkurrieren. Während moraltheo-
retische Ansätze Menschenrechte als vorstaatliche, universell gültige Rechte an-
sehen, deren Gültigkeitsgrund dem Menschsein inhärent und von politischer Le-
gitimation unabhängig ist, betonen moralskeptische Gegenvorschläge die origi-
näre politische Dimension, die den Menschenrechten im Sinne von ermächtigen-
den Rechten im Kampf um demokratische Legitimation eigne (vgl. u.a. Peter
2013; Näsström 2014). Der Versuch, die z.T. stark differierenden Zugänge mit-
einander in Einklang zu bringen (vgl. insb. Lohmann 2010 sowie für einen
Überblick Pollmann 2012c), gelingt zumeist nur um den Preis nachhaltiger Ab-
striche entweder am moralischen Anspruch zugunsten einer größeren juristi-
schen Praxisnähe oder an der Durchsetzbarkeit zugunsten einer moraltheoretisch
überzeugenden Begründung. Daher wird statt einer synthetisierenden eine ar-
beitsteilige Konzeption der Menschenrechte vorgeschlagen, nach der das Recht
dafür Sorge zu tragen habe, dass der den Menschenrechten inhärente Anspruch
auf Positivierung sowohl auf nationalstaatlicher als auch auf völkerrechtlicher
Ebene realisiert wird. Die Moral(-theorie) habe dieser Auffassung zufolge die
Aufgabe, die Einhaltung der Menschenrechte durch Funktionsträger_innen mit
motivationalen Ressourcen zu versorgen. Die Politik hingegen bleibe der Schau-
platz des Kampfes für Implementierung und Einhaltung von Menschenrechten.
Besonderes Augenmerk richte sich dabei auf den Umstand, dass allein im poli-
tisch-demokratischen Prozess die abstrakte Idee der Menschenrechte mit verall-
gemeinerbaren Inhalten versehen und damit sukzessive universalisiert, d.h. kon-
kretisiert werde (vgl. Pollmann 2012c: 362). Eine solche, nicht selten in der Lite-
ratur anzutreffende, Auffassung von Menschenrechten übersieht jedoch in der
allzu sehr auf Harmonisierung abzielenden Arbeitsteilung die begrifflichen
Spannungen, die zwischen Menschen- und Bürger_innenrechte bestehen. Der
moralische Anspruch, Mitglied einer staatsbürgerlichen Gemeinschaft zu sein, in
der Menschenrechte faktisch respektiert werden, kann selbst nur einer wechsel-
seitigen moralischen Selbstverpflichtung aller Menschen entspringen und ver-
bleibt damit auf einer rein interaktionalen und interpersonalen Ebene. Der Über-
gang in eine rechtlich-politische Verbindlichkeit ist jedoch von öffentlichen Ent-
scheidungsprozessen abhängig, die prinzipiell an moralischen Gründen orientiert
sein mögen. Es bleibt jedoch insofern die Grundspannung zwischen dem allge-
mein-inklusiven Anspruch der Menschenrechte und den exklusiven Bürger_in-
Konturen und Geha lte von Menschenrechten | 75
nenrechte erhalten, als Menschenrechte nur dann ihre Schutz- und Befähigungs-
wirkung entfalten können, sofern sie als Grundrechte eines Staates gewährt wer-
den.
Étienne Balibar verweist darüber hinaus auf das mit dem Widerspruch zwi-
schen Menschen- und Bürger_innenrechten verbundene ‚irreparable Auseinan-
dertreten‘ der Begriffe Freiheit und Gleichheit. Während sämtliche Menschen-
rechtstexte seit dem 18. Jahrhundert nachhaltig die Freiheit und Gleichheit aller
Individuen beschwören, werde der fragile Zusammenhang zwischen diesen bei-
den Kernprinzipien des Menschenrechtsdenkens durch den exklusiven Charakter
der Bürger_innen- und Grundrechte konterkariert (vgl. Balibar 2011: 279ff.).
Freiheit wird im Rahmen des modernen Menschenrechtsdenkens als individuelle
Freiheit, unabhängig von einem Kollektiv, Gleichheit hingegen als vornehmlich
innerhalb eines Kollektivs herzustellen konzipiert. Die widerstreitenden Kräfte
zwischen individueller Freiheit und kollektiver Gleichheit sollen durch die pro-
grammatische Dopplung der Rechte Rechte des Menschen und Rechte des
Bürgers in der Déclaration des droits de l’homme et du citoyen (1789) über-
wunden werden. Allerdings wird damit das Grundproblem des Verhältnisses von
Menschen- und Bürger_innenrechten erst ins Leben gerufen: Denn in der Idee,
dass der Mensch zu seinen vollumfänglichen Menschenrechten erst als Staats-
bürger_in gelange, ist die Diskrepanz zwischen beiden schon inbegriffen. Ähn-
lich ist es mit der Idee der Volkssouveränität, die als revolutionäre Innovation
gilt, da sie eine auf Egalität abzielende Subversion ihres traditionellen Begriffs
darstellt (vgl. Balibar 2011: 283). Gleichzeitig liegt in ihr das Moment des Aus-
schlusses all derer, die nicht zur Nation gehören.
3.1 MENSCHENRECHTSBESTIMMUNGEN:
ZUR GEGENWÄRTIGEN KONTROVERSE
Die Debatte über die begriffliche Bestimmung, d.h. über die Frage, was „Men-
schenrechte ihrer Bedeutung nach sind“ (Lohmann/Gosepath 1998: 11; vgl. auch
Pauer-Studer 2008, 7f.), wird nach wie vor kontrovers geführt. Die Frage nach
der begrifflichen Bestimmung ist mit einem Komplex an Folgefragen verbunden.
Zum einen ist zu klären, ob es sich bei den Menschenrechten um moralische und
damit vorstaatliche Rechte oder um juridische Rechte handelt, und im letzteren
Falle, ob diese entweder in Form von einklagbaren Grundrechten in national-
staatliche Verfassungen und damit in entsprechende Gesetzeskorpora oder auf
transnationaler Ebene in Verträge und internationale Abkommen zu integrieren
sind (vgl. Schilling 2010). Zum anderen wird die Frage berührt, ob Menschen-
76 | Grenz en de r Mensche nrechte
rechte gänzlich anders zu rubrizieren sind, z.B. als Rechte mit politischem Ap-
pellcharakter oder lediglich mit symbolischem (vgl. Erk 2011: 2ff.). Ebenso un-
gebrochen wie unentschieden ist die Debatte über die differierenden Auffassun-
gen davon, was als angemessenes Verständnis von Menschenrechten zu gelten
habe.2 Nicht zuletzt die jeweilige disziplinäre Perspektive, aus der Menschen-
rechte betrachtet werden, führt zu unterschiedlichen Einschätzungen. Zuweilen
hat es jedoch auch den Anschein, als ob es dem akademischen Diskurs nicht so
sehr um eine „adäquate Begriffsbildung“ (Alexy 1998: 247) zu tun sei, sondern
auch um einen Streit um die Deutungshoheit über die Menschenrechtssemantik.3
Schaut man genauer hin, zeigt sich jedoch, dass es sich beim Streit um die kor-
rekte Semantik häufig um einen Versuch handelt, der Ambivalenz der Men-
schenrechtssemantik gerecht zu werden. Nicht ohne Grund werden Menschen-
rechte zuweilen als „janusköpfige[s] Hybridwesen mit moralischem Inhalt und
juristischer Form“ (Stepanians 2005: 286) bezeichnet, dem es mit begrifflichen
Mitteln nur schwer auf die Spur zu kommen ist. Der Umstand, dass Menschen-
rechte erst als Grundrechte konzipiert werden, die im Rahmen einer nationalen
Rechtsordnung zu garantieren sind, verleiht ihnen den ‚doppelten Charakter‘, als
Verfassungsnormen positive Geltung, als Rechte des Menschen überpositive
Geltung zu genießen (vgl. Habermas 1996a: 221). Erklärungsversuche, die erläu-
tern, dass Menschenrechte zwar aufgrund ihrer moralischen Gültigkeit nicht ge-
währt oder verweigert, wohl aber gewährleistet oder missachtet werden können,
nennt Habermas daher auch „Verlegenheitsformeln“ (ebd.: 222), die suggerier-
ten, dass moralische Normen einfach nur in die Form positiven Rechts einge-
kleidet werden müssten. In den Kapiteln 3.2 und 3.3 werden sowohl die Spuren-
suche als auch die Ansätze, eine adäquate Lesart der Menschenrechte zu plausi-
bilisieren, näher beleuchtet.
Moralphilosoph_innen haben, was in der Natur der Sache liegt, keinerlei
Problem damit, Menschenrechte als moralische Rechte anzusehen.4 In moralphi-
losophischer Perspektive sind Menschenrechte „eine Untermenge moralischer
Rechte“, d.h. es handelt sich bei ihnen um „generelle Rechte, die Menschen qua
Menschsein haben“ (Gosepath 1998: 149). Allerdings besteht in der Moralphilo-
sophie eine Debatte darüber, woher die Menschenrechte ihre moralische Gültig-
2 Vgl. u.a. die konträren Auffassungen bei Lohmann 2010: 135 u. Buchanan 2013: 4.
3 Vgl. insb. Borchers 2010: 101; Kervégan 2010: 59; Mohr 2010: 75ff.
4 Vgl. exemplarisch Gosepath 1998; Lohmann 1998, 2010; Wellman 2011. Zur Frage,
inwieweit die Annahme moralischer Rechte prinzipiell plausibel ist, und zur Frage
zum komplexen Verhältnis von Recht und Moral vgl. insb. Stepanians 2005; Kervé-
gan 2010; Lohmann 1998, 2005, 2010; Mohr 2010; Sandkühler 2010.
Konturen und Geha lte von Menschenrechten | 77
keit beziehen ob durch den Bezug auf einen Begriff menschlicher Natur5 (um-
stritten), Vernunft6 oder Freiheit, durch die Begründung anhand eines Begriffs
der Würde (vgl. u.a. Bielefeldt 2010; Ladwig 2010), durch die Fundierung in ei-
nem Interessensbegriff (vgl. u.a. Höffe 1989, 2002) oder in menschlichen Be-
dürfnissen bzw. Fähigkeiten (vgl. Nussbaum 1993, 1999; Sen 1993). Zusätzlich
zum Begründungskriterium kommt bei den moralisch verstandenen Menschen-
rechten noch das Kriterium der Gültigkeitsreichweite hinzu. Hier lassen sich die
Ansätze in verschiedene Gruppen sortieren, von Vertreter_innen eines absoluten
Universalismus7 über Vertreter_innen eines relativen Universalismus8 bis hin zu
Vertreter_innen einer eher partikularistischen Auffassung der Menschenrechte9
(vgl. für die Sortierung Kreide 2008: 17ff.). Normative Ansätze der Politischen
Theorie sehen in Menschenrechten, wenn nicht moralische im engeren Sinne, so
doch universelle, unteilbare vorstaatliche bzw. vorpositive Rechte, die einen
normativen Anspruch auf politische Umsetzung erheben. Die Variante der Men-
schenrechte im Sinne universeller moralischer Rechte wird insbesondere von
Theoretiker_innen des Internationalen Rechts und der Internationalen Beziehun-
gen jedoch bestritten. Sie sehen in den Menschenrechten, wie sie etwa die All-
gemeine Erklärung der Menschenrechte (1948) formuliert, weniger den Nieder-
schlag moralphilosophischer Ideen als das Ergebnis juristischer Erwägungen und
realpolitischer Verhandlungen (vgl. u.a. Baynes 2009b; Buchanan 2013). Tat-
sächlich wäre es naiv zu glauben, dass die realen Vereinbarungen und Überein-
künfte direkte Niederschläge moraltheoretischer Reflexionen seien. Vielmehr
scheint es so zu sein, dass die theoretische Debatte über Gehalt, Dimension und
Begründung der Menschenrechte in vielen Hinsichten unabhängig von den Ent-
scheidungen über menschenrechtsrelevante Aspekte der internationalen Politik
geführt wird. Dies schließt die Befruchtung der Theorie durch die Praxis und ge-
gebenenfalls sogar die Einflussnahme der Theorie auf die Praxis nicht aus, wie
sie insbesondere am Entstehungskontext der Allgemeinen Erklärung der Men-
schenrechte in den 1940er Jahren erkennbar ist. Der in ihr enthaltene Menschen-
rechtskatalog prägt den gegenwärtigen Diskurs über Menschenrechte in einem
Maße, dass er heutzutage die Referenzquelle für Überlegungen zu Menschen-
5 Vgl. die historische Naturrechtstradition, insb. Grotius 1950; Pufendorf 1998;
Hobbes 1966b, Locke 1977, aber auch zeitgenössische Ansätze wie Ladwig 2007.
6 Vgl. exemplarisch Kant 1977b; Habermas 1994; Forst 1999.
7 Vgl. u.a. Vlastos 1984; Spaemann 1987; Höffe 1989; Nussbaum 1999.
8 Vgl. u.a. Tugendhat 1993; Alexy 1998; Gosepath 1998; Forst 1999, 2007; Pogge
2002a, 2002b; Lohmann 2010.
9 Vgl. u.a. Pannikar 1982; Forstner 1991; Rorty 1996; Donnelly 2003.
78 | Grenz en de r Mensche nrechte
rechten schlechthin darstellt. Die meisten theoretischen Reflexionen der letzten
Jahrzehnte über Menschenrechte orientieren sich an den dreißig im Katalog auf-
geführten Artikeln.10 Selbst die Gegenerklärungen nicht-westlicher Staaten wie
die African [Banjul] Charter on Human and Peoples’ Rights (1981)11, auch Ban-
jul-Charter genannt, die ASEAN Human Rights Declaration (2012)12 und die
Kairoer Deklaration der Menschenrechte im Islam (1993)13 sind als Reaktionen,
nicht zuletzt als explizite Gegenreaktionen auf die westliche Menschenrechts-
konzeption, wie sie durch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948)
der Vereinten Nationen verkörpert wird, zu lesen.14 Sicherlich sollte eine sozial-
10 Diese werden gemäß einer gängigen Lesart, dem sogenannten Generationenmodell
(vgl. Vasak 1972, 1977; Menke/Pollmann 2007: 118f.), in drei Typen von Menschen-
rechten unterschieden. Als Rechte der ersten Generation gelten die klassischen bürger-
lichen Abwehrrechte (das Recht auf Leben sowie auf Freiheit und Sicherheit, das
Verbot der Folter, der Sklaverei und der Zwangsarbeit, die Rechte auf Gedanken-, Re-
ligions-, Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit), als Rechte der zwei-
ten Generation wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und als Rechte der drit-
ten Generation kollektive Rechte, wie z.B. das in den UN-Pakten (beide 1966) enthal-
tene Recht auf Selbstbestimmung der Völker (vgl. Art. 1 IPBPR und Art. 1 IPWSKR,
beide 1996).
11 Vgl. OAU Doc. CAB/LEG/67/3 rev. 5, 21 I.L.M. 58 (1982), verfügbar unter http://
www1.umn.edu/humanrts/instree/z1afchar.htm (24.11.2018).
12 Vgl. https://asean.org/asean-human-rights-declaration/ (24.11.2018). Zur Genese und
zum Gehalt der Menschenrechtsdeklaration, die von der südostasiatischen Staaten-
gruppe, welche die Staaten Brunei, Kambodscha, Indonesion, Laos, Malaysia, Myan-
mar, Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam umfasst, am 18.11.2012 beschlos-
sen wurde, vgl. insb. Clarke 2012. Zur Kritik an der ASEAN Menschenrechtserklä-
rung (2012) vgl. u.a. den offenen Brief der Sonderberichterstatter_innen des UN-
Hochkommissariats für Menschenrechte vom 16. November 2012, https://www.hu
manrights.ch/de/internationale-menschenrechte/regionale/asean/ (24.11.2018).
13 Vgl. A/CONF.157/PC/62/Add.18 (1993). Zur theoretischen Debatte über Menschen-
rechte im Kontext des Islam vgl. Bassiouni 2014.
14 Die Kontroverse zwischen den verschiedenen regionalen Menschenrechtserklärungen
wird als Streit zwischen Vertreter_innen des (westlich orientierten) Universalismus
und Vertreter_innen eines eher auf kulturspezifische Besonderheiten abzielenden Ver-
ständnisses von Menschenrechtsnormen verstanden. Sowohl die Afrikanische Men-
schenrechtskonzeption, die übrigens die Grundlage des größten regionalen Menschen-
rechtsregimes darstellt, als auch die ASEAN Menschenrechtserklärung (2012) befür-
worten einen selbsterklärten „gemäßigte[n] Kulturrelativismus“ (Meyer 2013: 39).
Konturen und Geha lte von Menschenrechten | 79
theoretisch informierte Kritik der Menschenrechte vorfindliche politische und
völkerrechtliche Phänomene nicht aus dem Blick verlieren, wenn es darum geht,
begrifflich zu erfassen, was Menschenrechte ihrer Bedeutung nach sind. Den-
noch soll es in meiner Untersuchung um die normativen Konzeptionen von Men-
schenrechten gehen und nicht um die praktisch-politischen Konturen von beste-
henden Konventionen und Erklärungen. Das Ziel besteht in einer Bestimmung
der Menschenrechte, die sich von den gängigen Lesarten unterscheidet. Im Fol-
genden sollen diese kurz anhand einer vierteiligen Darstellung skizziert werden.
Herlinde Pauer-Studer bietet eine grobe Unterscheidung der wichtigsten Po-
sitionen in der Frage nach einer konzeptionellen Bestimmung von Menschen-
rechten an, die für den folgenden Untersuchungszusammenhang von propädeuti-
schem Nutzen ist (vgl. Pauer-Studer 2008). Mit ihrer Einteilung lassen sich die
gegenwärtigen Menschenrechtskonzeptionen sinnvoll bündeln, ihre jeweiligen
Hauptmerkmale darstellen und ihre problematischen Implikationen aufzeigen.
Nach Ansicht Pauer-Studers sind im Wesentlichen drei Positionen voneinander
abzugrenzen. Dieser Aufteilung werde ich im Anschluss eine vierte Position hin-
zufügen, die besonders relevant für die weitere Darstellung ist.
1) Die Position des sogenannten juridischen Reduktionismus (ebd.: 7) versteht
Menschenrechte als juridische Rechte, die nur dann zur Geltung kommen kön-
nen, wenn sie in einer positiven Rechtsordnung, z.B. als verfassungsmäßig ga-
rantierte Grundrechte, verankert werden. In dieser Lesart kommen hauptsächlich
zwei Argumente zum Tragen: Zum einen erlangten Menschenrechte allein in
Form von juridischen Rechten tatsächlich Wirksamkeit, weil sie nur in dieser
Form über entsprechende Sanktionierungsmacht verfügen. Von Rechten im ei-
gentlichen Sinne könne daher nur „dann sinnvoll die Rede sein, wenn ihre Aner-
kennung und der mit ihnen verknüpfte Anspruch notfalls erzwungen werden
können“ (ebd.; vgl. auch Kant 1977b: 338f.). Zum anderen könne mit dieser re-
duktionistischen Lesart eine inflationäre Verwendung des Begriffs „Menschen-
rechte“ vermieden werden. Dieses zunächst eher pragmatisch anmutende Argu-
ment erhält seine systematische Bedeutung dadurch, dass der Begriff der Men-
schenrechte sowohl im Fach- als auch im Alltagssprachgebrauch mittlerweile
Mit den kulturspezifischen Priorisierungen bestimmter Partikularitäten insbesondere
z.B. die Hervorhebung von den Rechten korrespondierenden Pflichten der Individuen
bestätigt sich die These, dass sich Menschenrechte im Laufe des 20. Jahrhunderts als
„wandlungsfähiges Rechtskonzept“ (ebd.: 258) erweisen. Inwieweit diese kulturellen
Spezifizierungen jedoch selbst als Perpetuierung eigentlich inegalitärer, hierarchischer
und diskriminierender ‚Werte‘ und Praktiken zu entlarven sind, steht zur Debatte.
80 | Grenz en de r Mensche nrechte
zunehmend ungenau, zuweilen beinahe beliebig, verwendet wird. Damit drohen
aber spezifische Gehalte der Menschenrechte verwässert zu werden und ihre
normative Verbindlichkeit einzubüßen. Als nicht nur in akademischer Hinsicht
relevant, sondern als durchaus ebenso problematisch erweist sich z.B. der Be-
fund, dass eine Menschenrechtsrhetorik zunehmend auch von Regierungen im
Munde geführt wird, deren Herrschaftspraxis allerdings im scharfen Wider-
spruch zu den Menschenrechten steht (vgl. Menke/Pollmann 2007: 9). Mit einer
Rückbindung der Menschenrechtssemantik an juridische Rechte soll gewährleis-
tet werden, dass der Menschenrechtsbegriff ausschließlich Phänomene abdeckt,
die unter ein klar definiertes Verständnis von Rechten subsumiert werden kön-
nen. Diese Auffassung ist daher im völkerrechtlichen Diskurs verbreitet. Sie geht
davon aus, dass Rechte im engeren Sinne nur als juridische Rechte begriffen
werden können, wie bereits Jeremy Benthams prominente Formel „a right and a
legal right are the same thing“ (Bentham 1987: 73) entsprechend zum Ausdruck
bringt. In verfassungs- und völkerrechtlicher Perspektive bedeutet Recht im star-
ken Sinne, dass die mit ihm gemeinten Ansprüche juridisch kodifiziert sind.
Gemeint sind damit auf nationaler Ebene z.B. die Grundrechte, wie sie im
deutschsprachigen Kontext genannt werden, auf transnationaler Ebene internati-
onale Abkommen, die rechtsverbindlichen Charakter tragen wie etwa die beiden
Menschenrechtspakte, der UN-Sozialpakt und der UN-Zivilpakt (beide 1966).
Allen Buchanan argumentiert vehement für ein Verständnis der Menschenrechte
im strikten Sinne als „international legal human rights norms“ (Buchanan 2014:
3). Und auch James Nickels spricht sich dafür aus, Menschenrechte in erster Li-
nie als „rights of lawyers, not the philosophers“ (Nickel 2007: 7) zu begreifen
(vgl. auch Hessler 2005; Besson 2011). Tatsächlich ist festzustellen, dass sich
die Perspektive des Internationalen Rechts nicht unbedingt mit normativen Per-
spektiven (der Moralphilosophie oder der Demokratietheorie) in Übereinstim-
mung bringen lässt: Hilary Charlesworth bringt die Differenzen folgendermaßen
auf den Punkt:
„The conceptual controversies are exacerbated by the tensions between the professional
cultures involved in the discussion. The sensibilities and approach of the human rights
movement contrast with democratic theories and practice: the former rest on universal
claims about fundamental or natural values; while the claims of the latter category are
‚time-dependent and contingent‘ […]. The different academic backgrounds of human
rights scholars, who tend to be lawyers, and theorists of democracy, who tend to be politi-
cal scientists, exacerbate the theoretical divide.(Charlesworth 2013: 273; vgl. auch Stei-
ner 2008: 466; Beetham 1998: 71)
Konturen und Geha lte von Menschenrechten | 81
Die rechtstheoretische Position im strikten Sinne werde ich im Diskussionskon-
text meiner Studie weitestgehend außer Acht lassen, weil es mir explizit um die
Untersuchung alternativer Lesarten der Menschenrechte geht, von denen aus sys-
tematischen Gründen angenommen werden muss, dass sie sich nicht in positiven
Rechten erschöpfen. Zwei zentrale Gründe bestehen darin, dass den Menschen-
rechten zum einen kritisches Potential (vgl. Stepanians 2005: 275) und zum an-
deren, damit verbunden, die funktionale Rolle eines normativen Korrektivs von
bestehenden Rechtsordnungen zugesprochen werden können sollte. Damit ist
nicht im Umkehrschluss gemeint, dass Menschenrechte notwendigerweise um
dieser Funktion willen als vorstaatliche moralische Rechte aufgefasst werden
müssen, denn wie sich in Kap. 4 zeigen wird, ist es moralischen Rechten nicht
per se eigen, als Korrektiv für bestehende Gesetze oder Verträge zu wirken. Ge-
nau dieser Zusammenhang ist keineswegs gesichert, steht doch für etliche Au-
tor_innen das Verhältnis zwischen Recht und Moral und erst recht die Frage, ob
das Recht durch Moral begründet werden müsse (vgl. Sandkühler 2010: 12), in
Zweifel. Gleichwohl haben nicht zuletzt so einschneidende Ereignisse wie die
Shoah und die im Vorfeld stattfindende vorbereitende Umgestaltung des deut-
schen Rechtssystems während des Nationalsozialismus etliche Rechtstheoreti-
ker_innen zu der Überzeugung geführt, dass zwischen gesatztem Recht (Gesetz)
und Gerechtigkeit durchaus ein so großer Widerspruch bestehen kann, dass vom
geltenden Rechte nicht mehr als von einem ‚richtigen‘ Recht gesprochen werden
könne (vgl. Radbruch 2003). Menschenrechte hingegen sollen als ‚richtige‘ Auf-
fassung dessen, was Menschen gerechtigkeitshalber, und zwar unabhängig von
positiven Rechtsordnungen, zukommt, gelten können. Sie müssen dafür in logi-
scher Hinsicht zumindest etwas anderes sein als positives Recht.15 Insofern er-
wiese sich die reduktionistische Sichtweise als verkürzt und würde einen, wenn
nicht den zentralen Aspekt der Menschenrechte ausblenden. Die These, dass
Menschenrechte zumindest nicht in einem reduktionistischen Sinne als juridi-
sche Rechte begriffen werden sollten, ignoriert dabei freilich nicht, dass Men-
schenrechte ratifiziert als Grundrechte nationalstaatlicher Verfassungen hinsicht-
lich ihrer Rolle, Gerechtigkeit für jeden einzelnen Menschen zu ermöglichen,
von entscheidender Bedeutung sind (vgl. Vismann 1996: 322; siehe auch die
Diskussion hier in Kap 6.3.). Nicht zuletzt unter den bestehenden Bedingungen
15 Eine davon abweichende Lesart bestünde darin, dass ein normatives juridisches Recht
im Unterschied zum gesatzten Recht durchaus diese Funktion eines Korrektivs inne-
haben könnte. Diese Auffassung führte jedoch mindestens im juristischen Diskurs zu
begrifflichen Schwierigkeiten, weil in ihr Form und Inhalt des Rechts verwechselt
werden.
82 | Grenz en de r Mensche nrechte
von Nationalstaatlichkeit versprechen sie diesbezüglich eine hohe Effektivität.
Der Umstand, dass Menschenrechte verstanden als moralische Rechte problem-
los, d.h. „ohne jede Veränderung ihres Inhalts und […] ohne Verlust ihrer mora-
lischen Geltung in positiv-rechtliche Rechte […] transformiert werden können“
(Alexy 1998: 250),16 lässt die Annahme, dass sie in erster Linie als moralische
Rechte aufzufassen sind, sogar regelrecht plausibel erscheinen. Robert Alexy
legt dar, dass ihre Einstufung als moralische Rechte den ausschließlichen Zweck
habe, „sie von positiven Rechten abzugrenzen“ (ebd.: 249). Menschenrechte sei-
en also keinesfalls in einem engen, kantisch-deontologischen Sinne von Moral
aufzufassen, demzufolge sie nur dann moralisch sind, wenn sie allein aus Pflicht
um ihrer selbst willen (vgl. Kant 1977a: 25) befolgt werden. Die Achtung und
Erfüllung von Menschenrechten ist hingegen keine Frage einer moralischen Mo-
tivation um es in Kants Terminologie auszudrücken: Ihre äußere Befolgung
reicht vollkommen aus. Gemäß der kantischen Unterscheidung zwischen dem
Bereich der Moralität und dem der Legalität gehören Menschenrechte demnach
zu letzterem. Sie unterscheiden sich allerdings von positiven Rechten dadurch,
dass ihre Gültigkeit nicht von einer bestehenden gesetzlichen Geltung abhängt.
„Ein moralisches Recht existiert, wenn die Norm, die es gewährt, moralisch
gilt.(Alexy 1998: 249) Die meisten moraltheoretischen Ansätze, die eine ent-
sprechende den Menschenrechten zugrunde liegende moralische Norm (oder ein
Set von Normen) begründen wollen, nehmen hierfür ein Konzept der Rationalität
in Anspruch: Wenn eine moralische Norm „gegenüber jedem, der sich auf eine
rationale Begründung einläßt, gerechtfertigt werden kann“ (ebd.; vgl. Forst 1999,
2007), kann sie als moralisch gültig erachtet werden. Damit sind wir bereits bei
der moraltheoretischen Perspektive.
2) Im Gegensatz zur rechtsreduktionistischen Position begreift die moraltheoreti-
sche Position Menschenrechte in erster Linie als grundlegende moralische Rech-
te (vgl. Pauer-Studer 2008: 7). Nach dieser Position ist nur eine Moral der uni-
versellen Achtung bzw. ein moralisch begründeter Begriff der Menschenwürde
in der Lage, die „universellen, egalitären und kategorischen Ansprüche der Men-
schenrechte begründen zu können“ (Lohmann 2010: 138; vgl. Bielefeldt 2010).
Menschenrechte gelten hier als gesonderte Klasse von moralischen Rechten.
Moralische Rechte sind nach Stefan Gosepath moralisch begründete Ansprüche,
deren Rechtsgrund ausschließlich ein moralischer ist (vgl. Gosepath 1998: 148).
16 Eine einschränkende Position geht von Übertragungsmöglichkeit lediglich von Teilen
der Menschenrechte, etwa der Rechte der sogenannten ersten und zweiten Generation,
aus (vgl. Kervégan 2010).
Konturen und Geha lte von Menschenrechten | 83
Die moraltheoretische Erläuterung der Menschenrechte nimmt die Prinzipien der
Universalität, Egalität, Unparteilichkeit sowie der allgemeinen und wechselseiti-
gen Rechtfertigbarkeit in Anspruch, um die normative Gültigkeit der Menschen-
rechte als generelle Rechte, die Menschen allein aufgrund ihres Menschseins zu-
kommen, zu begründen. Menschenrechte gelten demnach unabhängig von vo-
rausgegangenen Handlungen, Versprechen, Abkommen oder Verträgen und auch
unabhängig von sozialen Beziehungen, sondern ausschließlich „qua Mitglied-
schaft in der Menschengemeinschaft, […] die keinem Menschen mit guten
Gründen verweigert werden kann“ (ebd.: 149). In diesem Punkt kommt das Kri-
terium der allgemeinen und wechselseitigen Rechtfertigbarkeit einer moralischen
Begründung von Menschenrechten zum Tragen jeder Mensch hat das morali-
sche Recht, Einspruch gegen bestimmte Normen und Handlungen zu erheben,
wenn keine adäquaten Gründe vorliegen (vgl. insb. Forst 2007). Entsprechend
lässt sich sagen, dass Menschenrechte moralisch gerechtfertigte Ansprüche auf
etwas sind, was niemandem als Mensch vorenthalten werden kann, ohne dass
dessen Recht auf Rechtfertigung verletzt würde (Gosepath 1998: 150). Die mo-
raltheoretische Begründung der Menschenrechte, die in der Regel über eine uni-
versalistische und egalitäre Konzeption entweder der gleichen Achtung oder
gleicher Würde erbracht wird, bedarf insofern des Kriteriums der Unparteilich-
keit, als die unparteiische Rechtfertigung von Gründen der Moral ebenso wie die
unparteiische Berücksichtigung eines jeden Menschen als autonome Person die
Voraussetzung dafür ist, um mindestens als Minimalstandard anerkannt zu wer-
den.
Auch wenn Menschenrechte ‚bloß gedachte‘ Rechte sind, fungieren sie als
Legitimationsbedingungen für faktische Rechtsetzungs- und Rechtsdurchset-
zungsprozesse. Auf den Punkt gebracht lassen sich Menschenrechte als aller
Staatlichkeit vorausgehende Rechte, die jedoch zugleich den Anspruch auf posi-
tiv-rechtliche Implementierung in sich tragen, verstehen (vgl. Pollmann/Loh-
mann 2012: IX; Lohmann 2010: 145). Als moralische Rechte können sie nur
gleiche Rechte sein, die alle Menschen sich wechselseitig bei der Schaffung von
Recht und politisch bindenden Entscheidungen einräumen. In anderen Worten:
Zur faktischen Absicherung des moralisch begründeten Rechts muss eine positi-
ve Rechtsordnung geschaffen werden (vgl. ebd.: 148).17
17 Darüber hinausgehend ergibt sich aus den moralisch begründeten universalen und
egalitären Ansprüchen der Menschenrechte im Sinne von politischen Teilnahmerech-
ten entweder die Forderung, alle Staaten zu demokratisieren. oder aber die Forderung
nach einem politischen Weltbürgerstatus, der allen Menschen unabhängig von der
Staatszugehörigkeit gleiche politische Mitwirkungsrechte verleiht (vgl. Lohmann
84 | Grenz en de r Mensche nrechte
So attraktiv die moraltheoretische Variante der Menschenrechte aufgrund ih-
rer beinahe reibungslosen Übertragungsmöglichkeit von der moralischen auf die
Ebene der Verrechtlichung und politischen Implementierung, insbesondere auch
in der transnationalen Sphäre, für viele normative Politikkonzeptionen ist sie
sieht sich mit dem prinzipiellen Einwand konfrontiert, ob es so etwas wie mora-
lische Rechte überhaupt gibt (vgl. Mohr 2010; die Gegenposition vertritt u.a.
Dworkin 1978). Gegner_innen der Auffassung von Menschenrechten als morali-
schen Rechten argumentieren, dass grundlegende kategoriale Differenzen zwi-
schen Moral und Recht bestehen, die eine Rede von moralischen Rechten als ir-
reführend und für den Diskurs über die Bedeutung und Wirksamkeit von Men-
schenrechten sogar als „schädlich“ (Mohr 2010: 74) erscheinen lassen. Eine
Identifizierung der Menschenrechte mit moralischen Rechten meine eigentlich
etwas anderes, nämlich die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer gültigen Ver-
bindlichkeit von Menschenrechten im Sinne von Rechten ‚höherer Ordnung‘, die
eine Begründungsinstanz bilden. Die Kritik an einem moraltheoretischen Ver-
ständnis von Menschenrechten bezieht sich auf das Begründungsproblem mora-
lischer Maßstäbe und Normen, die nach dieser Auffassung die Basis dafür lie-
fern, Menschenrechte als moralisch gültige Rechte zu verstehen. Nach Auffas-
sung etwa Ernst Tugendhats vermag allein Moral die Quelle von Legitimität zu
stiften (vgl. Tugendhat 2001: 27f., siehe auch 1993: Kap. 17). Diese Überzeu-
gung teilt der Großteil derjenigen Menschenrechtskonzeptionen, die Menschen-
rechte als moralische Rechte auffassen. Ein entscheidender Vorteil der moralthe-
oretischen Lesart von Menschenrechten wird in der Idee einer universellen Mo-
ral der wechselseitigen Achtung bzw. der menschlichen Würde gesehen, die
nämlich zugleich als Quelle der Ableitung als (positiv-)rechtliche Rechte gelten
kann. Die Menschenrechte werden hier als intersubjektiv zu verortende Rechte
verstanden (vgl. ebd.). Aus einer solchen Lesart folgt: Weil alle einzelnen Men-
schen zur Achtung der MR verpflichtet sind, sind Staaten […] es nachgeordnet
auch.“ (Pollmann 2012c: 360) Eine abweichende Auffassung geht davon aus,
dass bei den Menschenrechten nicht vornehmlich eine Rechtsbeziehung18 zwi-
schen Individuen, sondern eine Rechtsbeziehung zwischen Individuen als
2010: 149). Auf diese nicht unumstrittenen Schlussfolgerungen wird das 6. Kapitel
ausführlicher eingehen.
18 Robert Alexy spricht in diesem Zusammenhang von einer dreigliedrigen normativen
Relation zwischen dem Träger (a), dem Adressaten (b) und dem Gegenstand G des
Rechts, die äquivalent auch als Beziehung relationaler Verpflichtung ausgedrückt
werden kann: b besitzt demnach gegenüber a die Verpflichtung (O), G zu leisten (vgl.
Alexy 1994: 185ff. sowie 1998: 244f.).
Konturen und Geha lte von Menschenrechten | 85
Rechtsträger_innen gegenüber Adressat_innen in Form von Staaten und Institu-
tionen vorliegt (vgl. Menke/Pollmann 2007: Kap 1; Pollmann 2012a: 129). Im
ersten Fall sind Individuen in symmetrischer Weise zugleich Rechts- und
Pflichtträger_innen, im zweiten Fall besteht eine Asymmetrie zwischen den
Rechts- und Pflichtträger_innen, bei der letztere keine menschenrechtlichen
Rechtsansprüche haben, sondern diese lediglich beantworten.
Ein erheblicher Nachteil der moraltheoretischen Position besteht in der zu-
weilen historisch unsensiblen Überzeugung, dass die jeweils zugrunde liegende
Moralkonzeption unabhängig von kulturellen, sozioökonomischen und politi-
schen Kontexten letztbegründet werden könne (vgl. Pollmann 2012c: 360). Die
Ausblendung der historischen Kämpfe, mit denen die Menschenrechtstheoriebil-
dung in Zusammenhang steht (vgl. die Subjektivierungen von Frauen, Arbei-
ter_innen und Kolonisierten), erweist sich spätestens dann als problematisch,
wenn Personen(-gruppen), in deren Namen universelle moralische Rechte dekla-
riert werden, Zweifel an der Universalität der Geltungsansprüche anmelden (vgl.
die Diskussion in Kap. 4.2 und 4.3).
3) Nicht zuletzt aufgrund der Problematik des Letztbegründungsanspruches, den
moraltheoretische Ansätze der Menschenrechte (explizit oder implizit) erheben,
hat sich eine dritte Position herausgebildet, die Menschenrechte als normative
Konventionen auffasst. Nach dieser konventionalistischen Lesart werden Men-
schenrechte nachdrücklich nicht als letztbegründete Entitäten, sondern als dis-
kursiv zu vereinbarende Konstruktionen verstanden, die bestimmte Zwecke zu
verfolgen helfen. Ihnen kommt daher vor allem eine funktionalistische Rolle zu.
Nach Pauer-Studers Ansicht sind Menschenrechte im Sinne von Konventionen
jedoch durchaus als Teil interessebasierter Moraltheorien zu verstehen. Sowohl
die Übereinkunft über entsprechende Konventionen basiert hier auf einem
„grundlegenden Interesse“ wie etwa dem des Schutzes vor staatlicher Willkür,
der Sicherheit oder dem Interesse an einer „gedeihliche[n] soziale[n] Existenz“
(Pauer-Studer 2008: 8) als auch die Befolgung der aus diesen Konventionen re-
sultierenden Pflichten. Nach Ansicht Pauer-Studers hat der konventionsbezogene
Zugang zu den Menschenrechten einen entscheidenden Vorteil, weil einerseits
die moralische Komponente erhalten bleiben kann, andererseits dafür jedoch
keine metaphysischen Begründungsmuster in Anspruch genommen werden müs-
sen. Diese Position will vor allem die Probleme, die sich mit dem Letztbegrün-
dungsanspruch verbinden, vermeiden. Sie handelt sich aber dadurch, dass sie die
Hintertür zur Moral doch recht weit aufhält, entsprechende Schwierigkeiten ein.
Sosteht in Zweifel, inwieweit sie sich von einem Moralfundamentalismus, der
lediglich vorgibt, dass er sich auf die Sphäre des Rechts und der Politik einlässt,
86 | Grenz en de r Mensche nrechte
in Wirklichkeit jedoch Politik nur als Mittel, Recht nur als Form der moralisch
geltenden Ansprüche aller Menschen ansieht (vgl. Lohmann 2010: 136), tatsäch-
lich unterscheidet. Der in erster Linie funktionalistische Aspekt dieser Auffas-
sung von Menschenrechten kehrt sich nämlich in dem Moment gegen sich selbst,
wenn menschenrechtsbezogene Interessen als vermeintlich ‚bloß‘ moralische In-
teressen, z.B. zur Einhaltung allgemeiner Sicherheit, gewertet werden. Auch die-
se Sichtweise erweist sich unter Umständen als ebenso blind gegenüber den
durchaus vielfältig vermachteten hegemonialen Interessen politischer und wirt-
schaftlicher Akteur_innen.
4) Die Aufteilung der verschiedenen Konzeptionen von Menschenrechten, die
Pauer-Studer unternimmt, lässt sich, wie bereits zu Beginn dieses Abschnittes
erwähnt, durch eine vierte, nämlich die politische bzw. demokratietheoretische
Konzeption der Menschenrechte ergänzen. Vertreter_innen dieser Position geht
es vor allem darum, den genuin politischen Sinn der Menschenrechte, nämlich
einerseits politische Machthaber_innen in ihrer Entscheidungsgewalt normativ
zu binden, andererseits die politischen Partizipationsrechte der Individuen zu
verwirklichen, hervorzuheben. Beide Aspekte richten sich auf den (ursprünglich
revolutionären) Selbstkonstituierungsakt, wie er sich beispielsweise historisch
während der Französischen Revolution vollzog, im Zuge dessen Menschenrechte
als fundamentale Rechte entworfen wurden, die sich ein demokratischer Souve-
rän selbstermächtigend gibt. Nur durch diese fundamentalen Rechte kann dieser
Souverän Legitimität beanspruchen. Zugleich sollen Menschenrechte eine be-
stimmte Schutzfunktion gegenüber den jeweiligen politischen Machthaber_innen
sicherstellen.19 Die Plausibilität einer solchen politisch-demokratischen Konzep-
tion besteht nach Arnd Pollmann darin, dass mit den Menschenrechten verknüpf-
te Verpflichtungen in politischer Hinsicht konkret zu adressieren sind. Anders
als bei der moraltheoretischen Konzeption, bei der sich Pflichten zur Ahndung
von Menschenrechtsverletzungen in der unbestimmten Allgemeinheit verlieren
und damit folgenlos bleiben können, lassen sich bei der politisch-demokrati-
schen Konzeption Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten von Akteur_innen
definieren. Beispielsweise sei dieser Auffassung gemäß eine in Land A stattfin-
dende Menschenrechtsverletzung nicht von allen Menschen in den Ländern A,
B, C, D usw. zu ahnden, sondern zuallererst durch die Funktionsträger_innen in
Land A. Erst beim Versagen institutioneller Ahndung im Land A können die
Funktionsträger_innen der Länder B, C, D usw. zur Verantwortung gezogen
werden. Im Unterschied zu einer verbreiteten moraltheoretischen Lesart der
19 Vgl. Habermas 1994: Kap. 3; Maus 2011: Kap. 5; Pollmann 2012c: 361.
Konturen und Geha lte von Menschenrechten | 87
Menschenrechte sind die politischen Einzelsubjekte nur mittelbar verantwortlich.
Es besteht hier hingegen eine Überschneidung mit der moraltheoretischen Vari-
ante, die von einer asymmetrischen Rechtsbeziehung ausgeht, bei der Individuen
Träger_innen von Menschenrechten, Adressat_innen jedoch Institutionen sind.
Diese Auffassung über die Beschaffenheit der Rechtsbeziehung teilen sowohl
besagte moraltheoretische Konzeption, die von einer Asymmetrie ausgeht, als
auch die juridische. Geht letztere im reduktionistischen Sinne ausschließlich von
positiven Rechten aus, unterscheidet sich in diesem Punkt die politisch-demo-
kratische Lesart der Menschenrechte wiederum mit dem Erfordernis elementarer
Legitimationsbedingungen institutioneller (d.h. im Wesentlichen staatlicher)
Gewaltausübung von ihr.
Die politisch-demokratische Variante betont eine normative Dimension der
Menschenrechte, die ihrer Positivierung vorgelagert ist. Maßgeblich ist hier al-
lerdings, dass die Normativität der Menschenrechte nicht unbedingt moralisch
gedeutet, sondern im Politischen selbst, in seiner Freiheit und Gleichheit verbür-
genden Prozeduralität, verortet wird (vgl. Pollmann 2012c: 361). Büßen die
Menschenrechte in der politisch-demokratischen Variante nicht aber genau ihr
normatives Potential ein, das in der moralischen Dimension nicht nur mit Blick
auf das spezifische Potential zur Kritik an bestehenden Verhältnissen besonders
gut verortet werden kann? Inwieweit verspielt eine politische Konzeption der
Menschenrechte mit einer Absage an eine universelle Moral nicht genau die
Möglichkeit, Menschenrechte gegen relativistische Anfeindungen zu verteidigen
(vgl. Menke/Pollmann 2007: Kap. 2 u. 3; Pollmann 2012c: 362)? Diese Fragen
sollen im folgenden Abschnitt diskutiert werden.
Im sechsten Kapitel wird die Möglichkeit einer politischen Konzeption der
Menschenrechte genauer unter die Lupe genommen. Dort wird argumentiert,
dass sich bei einem politischen Verständnis der Menschenrechte etliche der oben
genannten begrifflichen und begründungstheoretischen Problematiken erübrigen.
Darüber hinaus kann ein politisches Verständnis der Menschenrechte dem Recht
auf politische Partizipation eine adäquatere Bedeutung zumessen als dies moral-
theoretische Konzeptionen vermögen. An dieser Stelle kann zunächst allgemein
gesagt werden, dass Menschenrechte sich insofern als politische Rechte verste-
hen lassen, als sie zumindest in ihrer historisch-emanzipativen Bedeutung im
Modus des Politischen entstehen, nämlich im Kontext insbesondere der Franzö-
sischen Revolution, indem sie in einem „in einem fulminanten Akt gegen die
Macht der Staaten erkämpft“ und zugleich „von diesen selbst proklamiert wor-
den sind, ihnen also abgerungen wurden und damit das Politische selbst“ verän-
derten (Baer 2012: 256). In demokratisch verfassten Staaten verkörpern Men-
schenrechte heutzutage schließlich in Form von Grundrechten die basalen
88 | Grenz en de r Mensche nrechte
Rechte auf Freiheit und Gleichheit und vermögen außerdem den demokratischen
Prozessen in Form von Diskriminierungsverboten dort Grenzen zu setzen, wo
z.B. Minderheitenrechte in Gefahr geraten könnten. Prinzipiell sind politische
Rechte als Rechte auf politisches Handeln zu verstehen, dabei entsteht jedoch
das im Zentrum dieser Studie stehende Problem, dass unter den bestehenden Be-
dingungen von Nationalstaatlichkeit der Zugang zu Zugehörigkeit zu einem poli-
tischen Gemeinwesen garantiert werden muss (vgl. Banai 2012), bevor Men-
schen überhaupt als politische Subjekte in Erscheinung treten können. Politische
Mitwirkungsrechte sind bislang daher an Staatsbürgerschaft gekoppelt: Die All-
gemeine Erklärung der Menschenrechte (1948) sowie der UN-Zivilpakt (1966)
sehen politische Partizipation im engeren Sinne nur für Staatsbürger_innen vor
(vgl. Art. 20 u. 21 AEMR 1948; Art. 1, 12, 22, 25 IPBPR 1966). Damit wird das
nationalstaatliche Souveränitätsparadigma bestätigt, anstatt dass es befragt wird.
Darüber hinaus wird das moralische Verständnis, nach dem Menschenrechte
vorstaatliche, Bürger_innenrechte politische Rechte im engeren staatspolitischen
Sinne sind, zementiert. Aus diesem Grund soll im Anschluss an die Thematisie-
rung dieser und weiterer problematischer Implikationen der Menschenrechtskon-
zeption der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im 6. und 7. Kapitel
dieser Studie eine Reformulierung der Menschenrechte im Sinne einer politi-
schen Konzeption vorgenommen werden, die statt an der Menschheit („humani-
ty“) an politischer Legitimation, die sich selbst nicht auf das Muster von Natio-
nalstaatlichkeit beschränkt, orientiert ist (vgl. Peter 2013: 4/5).
3.2 MENSCHENRECHTE ALS SUBJEKTIVE/
FUNDAMENTALE/EGALITÄRE/
UNIVERSALE RECHTE
Die liberale Auffassung definiert Menschenrechte als grundlegende subjektive
Rechte des Individuums, die eine „höhere Wertigkeit als einfache subjektive
Rechte aufweisen und bestimmte Freiheitsräume […] gegen den Staat abschir-
men“ (Klippel 2008: 347). Wie bereits mehrfach angesprochen, ist das liberale
Verständnis von Menschenrechten nicht das einzig mögliche oder gar plausible,
jedoch hat es sich seit dem 18. Jahrhundert sowohl innerhalb des europäischen
Diskurses als auch transatlantisch im Zuge der nordamerikanischen Unabhän-
gigkeitsbestrebungen weit verbreitet. In Kap. 2.2 wurde die Bedeutung der
Rechtsphilosophie der Aufklärung für die Theorieentwicklung des Natur- sowie
des Menschenrechtsbegriffs bereits angedeutet. In der Tat ist wohl John Lockes
Konzeption menschlichen ‚Rechtseigentums‘ (property) hinsichtlich der zukünf-
Konturen und Geha lte von Menschenrechten | 89
tigen Menschenrechtsgenese am einschlägigsten. Sie ist es nämlich, die in die
ersten Deklarations- und Rechtstexte im Zusammenhang der Unabhängigkeits-
bestrebungen britischer Kolonisten auf dem nordamerikanischen Kontinent wäh-
rend der 1770er Jahre übernommen wird. Die Trias life, liberty and estate, die
Locke wiederum den politischen Manifesten der englischen Levellers entnimmt
(vgl. Brandt 1982b: 91f.), bildet den Kernbestand der unveräußerlichen Rechte
des Individuums und damit die heute im westlichen Diskurs verbreitete „Grund-
gestalt der Menschenrechte“ (Geier 2012: 54).20
Ein entscheidender konzeptioneller Schritt vom Natur- zum Menschenrecht
vollzieht sich also in Lockes Second Treatise of Government (1689) dadurch,
dass Leben, Freiheit und Eigentum als unantastbare und unveräußerliche, ja qua-
si als „Ur-Rechte“ (Geier 2012: 28) des Menschen angenommen werden, die
staatlicher Macht und Gewalt Grenzen setzen. Als subjektive Rechte werden sie
dem Menschen als Individuum zugeschrieben und gelten somit theoretisch
unabhängig von partikularer kollektiver Zugehörigkeit (vgl. Locke 1952: 10).
Begründungstheoretisch wird der Grund dieser subjektiven Rechte in den Indivi-
duen selbst verortet (vgl. Schröder 2012: 182), womit die unveräußerlichen
Rechte eine fundamentale Dimension erreichen, wie sie wohl keine Rechtskon-
zeption zuvor entworfen hat. Überhaupt ist das Menschenrechtsdenken nicht oh-
ne die eminente Rolle des Rechtsbegriffs, die ihm die Rechtsphilosophie der
Aufklärung zuweist, zu verstehen (vgl. Brandt 1982a; Garber 1981). Es kommt
nicht von ungefähr, dass sich innerhalb des theoretischen Diskurses des 18. Jahr-
hunderts die Rechtsidee so stark durchsetzen kann, sind doch die meisten der
einschlägigen Autoren juristisch gebildet, wenn nicht gar als Juristen praktisch
20 Interessanterweise wird die besagte Dreiheit von Leben, Freiheit und Eigentum in der
Virginia Declaration of Rights aus dem Jahre 1776 um den Punkt des „pursuing and
obtaining happiness and safety“ ergänzt (vgl. http://edu.lva.virginia.gov/docs/VADe
claration.pdf [24.11.2018]). In der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten
(1776) wird der Aspekt des Eigentums sogar durch das Streben nach Glück ersetzt
(vgl. https://www.archives.gov/founding-docs/declaration-transcript [24.11.2018]).
Das Eigentum spielt hingegen in Art. 7 und im Amendment V der nordamerikani-
schen Bill of Rights (1789) (vgl. https://www.archives.gov/founding-docs/bill-of-
rights-transcript [24.11.2018]) sowie in den Art. 2 (hier in der Kombination mit Frei-
heit, Sicherheit und Widerstand gegen Unterdrückung) und Art. 17 der Französischen
Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (1789) sowie in den französischen Ver-
fassungsentwürfen der 1790er Jahre wieder eine maßgebliche Rolle (vgl. Franz 1975)
und wird auch in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte im Jahr 1948 aufge-
nommen (vgl. Art. 17 AEMR).
90 | Grenz en de r Mensche nrechte
tätig. Dies hat einen nicht unerheblichen Einfluss auf die philosophische Theo-
riebildung des Rechts, das zwar auch im traditionellen Naturrecht eine Rolle
spielt, aber dort stärker im Kontext einer theologischen Begründung von Recht.
Die Rechtstheorie der Aufklärung hingegen löst sich im Zuge der Affirmation
vernunfttheoretischer Argumentationen von autoritativen Begründungen und
diskutiert verschiedene erste Menschenrechtskonzeptionen zum einen im Kon-
text des Unterschieds zwischen dem ius connatum (angeborenes Recht) und dem
ius acquisitum (erworbenes Recht),21 zum anderen zunehmend im Kontext des
individualisierten (Privat-)Rechts, das als Reservatrecht gegenüber dem Staat
aufgefasst wird. Insbesondere dem privatrechtlichen Diskussionsstrang ist aus
einer eher soziologisch orientierten Perspektive eine nicht unerhebliche Bedeu-
tung zuzumessen. Max Weber hat auf die Rolle des Privatrechts für die Entwick-
lung der Figur des modernen individuellen Rechtssubjekts hingewiesen. Nicht
nur ändert sich im modernen Recht das Verständnis von ‚Berechtigung‘, welches
das traditionelle Recht allein im Rahmen einer expliziten Gewährung durch Au-
toritäten und stets als Entsprechung vorher definierter Pflichten sah. Das moder-
ne Rechtssubjekt ist im Gegensatz dazu selbst die Quelle des Rechts. Das mo-
derne Recht verkehrt das traditionelle Verhältnis von Pflichten und Rechten in
sein Gegenteil, indem die Berechtigung des Rechtssubjekts nun erst korrespon-
dierende Pflichten hervorbringt. Eine historisch-gesellschaftstheoretische Erläu-
terung liegt für Weber in zwei Faktoren, nämlich zum einen in der Ausprägung
des modernen Staates durch das erstarkende Machtbestreben politischer Funkti-
onsträger, zum anderen in der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaftssphä-
re, in der die sich die Bürger vornehmlich als ökonomische Akteure verstehen
und in der Privatsphäre den Schutz vor Beschränkungen ihrer Individualinteres-
sen suchen, für den sie den Staat in die Pflicht zu nehmen suchen (vgl. Weber
1980: 398ff.; Menke 2009: 2ff.). In dieser Lesart vermögen subjektive Rechte
zumindest theoretisch zu ermächtigen, indem sie „dem Einzelnen Macht über
das Tun der Anderen“ (ebd.: 2) geben. Praktische Wirkung entfalten sie hinge-
gen tatsächlich erst durch den modernen Staat, der sie in erster Linie als Macht
der Individuen gegen die Einschränkungen und Eingriffe von außen (auch von-
21 Entscheidende Impulse für die Annahme angeborener Rechte gehen von Christian
Thomasius’ Fundamenta iuris naturae et gentium (vgl. Thomasius 1979: lib. 1, cap. V,
§ 11) sowie von Schriften der Theoretiker Christian Wolff, Carl Friedrich Bahrdt und
Johann August Schlettwein aus. Christian Wolff spricht ähnlich wie Bahrdt von An-
spruchsrechten, z.B. auf Ernährung, Medizin, Kleidung, Obdach, Arbeit und Ehre,
wobei bei Bahrdt das Spektrum an Anspruchsrechten sogar auch eines auf freie Mit-
teilung enthält (vgl. Garber 1981: 107, 109).
Konturen und Geha lte von Menschenrechten | 91
seiten des Staates selber) rechtlich schützt. Diese Sicherheit bezieht sich zu-
nächst vor allem auf den Bereich der Privatverträge, des Wirtschaftsverkehrs und
der innerfamiliären Angelegenheiten. Abgesehen von den praktischen Vorteilen
des subjektiven Rechts für die bürgerliche Klasse wird im Rahmen der gelehrten
Diskurse mit der Idee unveräußerlicher Rechte das Leitbild angeborener Rechte,
die sich immer mehr aus dem ursprünglichen bürgerlich-politischen vertragsthe-
oretischen Zusammenhang herauslösen, etabliert (vgl. Garber 1981: 112). Men-
schenrechte gelten ihren Befürworter_innen dabei als ‚evident‘, womit der ehe-
mals theologische Begründungszusammenhang aufgegeben wird. Diese Evi-
denzthese, die in den historischen Texten wie der Virginia Declaration of Rights
und der United States Declaration of Independence (beide 1776) explizit zur
Sprache kommt,22 gilt heutzutage in erkenntnistheoretischer Hinsicht als naiv
(vgl. Schröder 2012: 184). Gleichwohl beginnt sich hier ein geradezu idealtypi-
sches Grundmuster auszuprägen, das, ebenfalls besonders präsent in den nord-
amerikanischen Deklarationstexten des ausgehenden 18. Jahrhunderts, regelrecht
als Axiom fungiert. Menschenrechte werden dabei logisch dem Naturzustand
zugeordnet, der theoretische Diskurs reflektiert Menschenrechte in der Folge
entsprechend als subjektive, vorgängige und darum fundamentale Rechte, die
nicht durch den Staat oder andere Akteur_innen verletzbar sind (vgl. ebd.: 182;
Garber 1981: 121). Naturzustandskonzeptionen dienen dem Aufweis der natürli-
chen Egalität von Menschen, entsprechend sind Menschenrechte als subjektive,
fundamentale Rechte gleiche Rechte. Der Aspekt der universellen Gültigkeit
dieser subjektiven fundamentalen Rechte wird im Zuge der französischen Men-
schenrechtserklärung nun explizit thematisiert. Während die Frage der Reichwei-
te der Gültigkeit in der klassischen Naturrechtstheorie eine untergeordnete Rolle
spielt, erweist sich der Diskurs jetzt als umso vollmundiger: Vorgemeinschaftli-
che bzw. vorstaatliche Grundansprüche werden kulturunabhängig allen Men-
schen zugesprochen, sie werden als universal gültig deklariert.
Dieser Akt der Deklaration stellt überdies, wie bereits in Kap. 2.3 dargelegt
wurde, insofern einen besonderen Akt dar, als durch die öffentliche Verlautba-
rung naturrechtlich und moralisch begründeter Rechte zugleich ein juridisch und
politisch geltendes Recht gesetzt wird zumindest dem Anspruch nach (vgl.
Vismann 1996: 323). Die Anmaßung, eventuell gar Vermessenheit, die in der
sich allein auf Vernunftrecht berufenden Erklärung liegt, ist vielleicht nur vor
22 Vgl. die Verwendung von Begriffen wie „truth“ in der United States Declaration of
Independence (1776) (https://www.archives.gov/founding-docs/declaration-transcript
[24.11.2018]) und „evidence“ in der Virginia Declaration of Rights (1776) (http://edu.
lva.virginia.gov/docs/VADeclaration.pdf [24.11.2018]).
92 | Grenz en de r Mensche nrechte
dem Hintergrund der weitreichenden Unrechtserfahrungen, von denen die Mehr-
zahl der Bevölkerung im Laufe der feudalen Jahrzehnte betroffenen war, zu ver-
stehen. Sie liegt aber in der Idee subjektiven Rechts begründet, das seine Quelle
letztlich in sich selbst sieht und daher problemlos neues Recht setzen kann eine
Vorstellung, die den vormodernen Generationen fremd war.
Bei der Bezeichnung der Menschenrechte als subjektive, fundamentale, ega-
litäre und universelle Rechte handelt es sich um eine Charakterisierung ihrer
formalen Beschaffenheit. Die formale Grundstruktur von subjektiven Rechten,
davon geht eine Reihe von Theorieansätzen übereinstimmend aus, beruht auf
folgender Aussage: A hat gegenüber B einen gerechtfertigten Anspruch auf X.
(Pollmann 2012a: 129, Herv. i. Orig.; vgl. auch Alexy 1999) Das Besondere am
Verhältnis zwischen „A“ und „B“ ist hierbei nach heutigem Menschenrechts- im
Unterschied zum historischen Naturrechtsverständnis, dass A subjektive Rechts-
träger_innen meint, während mit B in erster Linie Institutionen bzw. deren Funk-
tionsvertreter_innen als Pflichtadressat_innen bezeichnet werden (vgl. Menke/
Pollmann 2007: Kap. 1). Anders als bei den meisten moralischen Rechten, denen
ein symmetrisches Rechts- und Pflichtenverhältnis zwischen subjektiven Rechts-
träger_innen zugrunde liegt, besteht hier ein asymmetrisches Verhältnis zuguns-
ten der anspruchsberechtigten Individuen, die selbst nicht Pflichtenträger_innen
gegenüber den Institutionen sind. In dieser Lesart erscheinen Menschenrechte als
individuelle Ansprüche auf eine öffentliche Ordnung, die von Institutionen zum
Schutze dieser Rechte gewährleistet wird. Diese Auffassung setzt sich somit von
einer innerhalb der Moraltheorie weitläufig geteilten Auffassung ab, die morali-
sche Rechte als Rechte begreift,
„die jeder Mensch gegenüber jedem anderen Menschen geltend machen kann; es sind die-
jenigen Ansprüche eines Menschen, die die Kraft haben, alle anderen Menschen allein
deshalb zu verpflichten, weil es sich um Ansprüche eines Menschen, eines Mitglieds der
menschlichen Gemeinschaft handelt“ (ebd.: 27, Herv. i. Orig.).
In dieser moraltheoretischen Lesart, die ich im Durchgang meiner Studie kritisie-
ren werde, lassen sich Menschenrechte als in erster Linie moralisch begründete
Ansprüche verstehen, die politisch umgesetzt werden müssen, um Legalität zu
erlangen (vgl. ebd.: Kap. 1; Pollmann 2008: 11). Ein wesentlicher Vorteil der
formalen Definition der Menschenrechte als subjektive Rechte, die als (mora-
lisch) begründete Ansprüche auf eine (politisch zu realisierende) institutionelle
Ordnung zu verstehen sind, besteht in der vermittelnden Position im Streit da-
rum, ob es sich bei ihnen um genuin juridische, moralische oder politische An-
sprüche handelt (vgl. Pollmann 2008: 11; Menke/Pollmann 2007: Kap. 1).
Konturen und Geha lte von Menschenrechten | 93
Dadurch, dass der formale Menschenrechtsbegriff in sich bereits mehrdimensio-
nal gefasst ist (vgl. Lohmann 1998), bietet er Antworten auf komplexe Anwen-
dungsfragen. So vermag er den Anspruch des Subjekts auf gleiche Achtung in
moralischer ebenso wie in juridischer oder politischer Hinsicht zu begründen.
Dieser fundamentale Anspruch steht zwar im Verdacht, nur zirkulär begründet
werden zu können, da der Anspruch auf Gleichbehandlung entweder schlichtweg
vorausgesetzt oder aus einer Moraltheorie gleicher Achtung, die selbst wiederum
menschenrechtlich zu begründen wäre, abgeleitet werden muss (vgl. Pollmann
2008: 12). Doch verflüchtigt sich das Problem, sobald man bereit ist, auf das Er-
fordernis einer Letztbegründung, die nur um den Preis problematischer metaphy-
sischer Annahmen zu haben wäre, zu verzichten. Aus diesem Grund gehen die
meisten Menschenrechtsansätze auch davon aus, dass das normative Kriterium
gleicher Achtung als ‚grundloser‘ Grund der Menschenrechte fungiert (vgl. ebd.:
13; Menke/Pollmann 2007: Kap. 2). Es ist ja nicht nur in begründungstheoreti-
scher, sondern auch in historischer Hinsicht das besondere Merkmal der Men-
schenrechte, Bezugnahmen auf theologische Autoritäten zu suspendieren.
Gleichwohl ist die Frage nach der Begründbarkeit von Menschenrechten
nicht ad acta gelegt, sie taucht immer wieder im akademischen Diskurs auf, ins-
besondere auch mit Blick auf eine transkulturelle Plausibilisierung. In zahlrei-
chen Variationen wird vor allem der liberale resp. ein liberal-republikanischer
Ansatz der Menschenrechtsbegründung bemüht, nach dem Menschenrechte als
Garanten für menschliche Autonomie (vgl. u.a. Dworkin 1978) bzw. für ein gu-
tes Leben (vgl. Nussbaum 1999) oder für die demokratisch-volkssouveräne
Selbstbestimmung (vgl. Habermas 1994) gelten. Die begründungstheoretischen
Detailfragen, ob eher auf inhärenztheoretische Annahmen eines selbst nicht
letztbegründbaren Menschseins oder auf adäquanztheoretische Annahmen ratio-
nal-ethischer Argumentationen (vgl. Nussbaum 1999) zurückgegriffen werden
sollte, treten heutzutage hinter die Fragen der inhaltlichen Bestimmung und ins-
besondere hinter Fragen der rechtlich-praktischen Umsetzung stärker zurück.
Die Fundamentalität des Anspruchs, Recht aus sich selbst heraus zu setzen,
bezieht sich allerdings dabei zunächst auf die moralische Dimension der Men-
schenrechte, insofern sich der universelle Gültigkeitsanspruch aus dem Mensch-
sein selbst ergibt und nicht durch staatliche oder juristische Maßnahmen bzw.
politische Entscheidungen, wie z.B. einfache Mehrheitsbeschlüsse, ausgehebelt
werden kann. Als fundamentale Rechte gelten Menschenrechte jedoch auch noch
einmal in dem Sinne, dass sie als vorpositive Rechte angesehen werden. Diese
Einschätzung orientiert sich stark an der liberalen Lesart der Menschenrechte,
die zwischen der gesellschaftlichen und der staatlichen Sphäre unterscheidet.
Nicht-positive Rechte werden der Sphäre der Moral zugeordnet, deren Gültigkeit
94 | Grenz en de r Mensche nrechte
nicht von der Ratifizierung durch politische Institutionen abhängig ist. Universa-
le moralische Gültigkeit beanspruchen Menschenrechte aufgrund der ihnen inhä-
renten Ideen Gleichheit, Freiheit und menschlicher Würde (vgl. Lohmann 1998:
12; Pollmann 2008: 10). Im Widerstreit zwischen juridischen, politischen und
moralischen Konzeptionen der Menschenrechte wird in letzterer daher die Mög-
lichkeit einer vermittelnden Position gesehen, da die moralische Gültigkeit in
zunächst unproblematisch erscheinender23 Weise, d.h. unabhängig von politi-
scher und rechtlicher Implementierung, plausibilisiert werden kann. Vertre-
ter_innen der moraltheoretischen Lesart von Menschenrechten sehen in der mo-
ralischen Konzeption gerade den Vorteil, dass ihr vorpositiver bzw. vorstaatli-
cher Bedeutungsgehalt keine politisch-rechtlichen, d.h. im engeren Sinne: demo-
kratischen Voraussetzungen benötigt (vgl. Menke/Pollmann 2007: 70). Der mit
ihnen formulierte Anspruch kann also auch gegenüber einzelnen staatlichen
Handlungen oder gesamten (nicht-demokratischen) Regimen erhoben werden,
ohne dass es dafür einer vorherigen positiv-rechtlichen Legitimation bedürfte.
Hier folgen sie dem historischen Vorbild der Naturrechte, die ebenfalls dem
Menschen als Menschen, unabhängig von seiner Mitgliedschaft zu einer Ge-
meinschaft, zugesprochen werden. Die moralische Kraft der Menschenrechte
liegt nach dieser Ansicht darin, normative Kriterien sowohl für allfällige Korrek-
turen bestehender Verhältnisse als auch für die Begrenzung von illegitimer Herr-
schaft zu begründen. Die könnte aber nur unter der Voraussetzung überzeugend
sein, dass das Verhältnis zwischen Moral und Recht bzw. Moral und Politik so
begriffen wird, dass die Grundregeln einer öffentlichen politisch-rechtlichen
Ordnung aus moralischen Grundregeln (z.B. der gleichen Achtung) abgeleitet
werden (vgl. ebd.: 32). Diese Argumentation verfehlt jedoch die Selbständigkeit
des Politischen, dessen Normativität nicht in moralischen Kategorien aufgeht. Im
Gegensatz dazu soll in Kap. 6.3 eine originär politische Konzeption der Men-
schenrechte diskutiert werden.
Bevor eine politische Menschenrechtslesart näher erläutert werden kann,
muss zunächst jedoch noch auf die Schwierigkeiten einer möglichen inhaltlichen
Bestimmung der Menschenrechte eingegangen werden. Während also die forma-
le Charakterisierung für sich genommen schon nicht unstrittig ist (vgl. Pollmann
2008: 11), gestaltet sich eine inhaltliche Systematisierung ungleich schwieriger.
Die inhaltlichen Bestimmungsversuche, die im Laufe der historischen Entwick-
lung unternommen wurden, verstehen sich selbst meist als idealtypische Syste-
matisierungen. Sie beruhen jedoch zumeist auf einem allzu selektiven Zugang,
im Bemühen darum, nur die unverzichtbaren bzw. unkontroversen Rechte in den
23 Zur Begründungsproblematik moralischer Rechte vgl. Sandkühler 2010.
Konturen und Geha lte von Menschenrechten | 95
jeweiligen Kanon aufzunehmen. Abgesehen von einigen Konstanten (Recht auf
Leben, Recht auf Freiheit) variiert das Sample an Menschenrechten in den Kata-
logen der jeweiligen historischen Epochen und regionalen Kontexte. Auch die
theoretische Herleitung der jeweiligen Rechte differiert je nach Kontext: Im
klassischen Naturrecht werden Rechte, wie oben bereits erwähnt, vornehmlich in
Korrespondenz zu Pflichten definiert (vgl. z.B. Wolff 1968, 1969: cap. II. §
35ff.; Pufendorf 1998), wobei sich dabei zum Teil Individual- und Gemein-
schaftspflichten und -rechte, die heutzutage stärker voneinander getrennt wer-
den, miteinander überschneiden. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts werden hinge-
gen stärker die Herausforderungen diskutiert, die sich aus der abstrakt-univer-
sellen Idee der Menschenrechte und den Erfordernissen einer kulturellen, sozia-
len und politischen Konkretisierung ergeben. Ein Teil der Ansätze tendiert zu ei-
ner minimalistischen Reduktion des Sets an Rechten (vgl. u.a. Walzer 1996a,
1996b; Rawls 1993, 1999): Zum einen in der Hoffnung, dass ein eingeschränkter
Katalog an Rechten bessere Chancen auf Universalisierbarkeit erfährt. Als wich-
tigste Menschenrechte werden daher neben dem Recht auf Leben und dem Recht
auf Freiheit, u.a. Religions- und Gewissensfreiheit sowie die Verbote der Folter
und der Sklaverei angesehen (vgl. Pollmann 2008: 14). Zum anderen versuchen
sie die Auswahl an Rechten so abstrakt wie möglich zu halten, um sie umso
leichter für kulturelle und historischen Spezifikationen zu öffnen. Im Zuge dieser
Bemühungen werden zumeist ‚liberale‘ Freiheitsrechte (Recht auf Leben, Fol-
terverbot, Sklavereiverbot, Religionsfreiheit) favorisiert und politische und sozi-
ale Teilhaberechte nachrangig behandelt. Der häufig liberalistisch verortete Re-
duktionismus wird nur noch durch die rhetorische Behauptung eines einzigen
Menschenrechts (vgl. Kant 1977b: 345) übertroffen. Zwar steht hier nicht die
Aussortierung bestimmter Menschenrechte im Vordergrund, sondern das syste-
matische Anliegen besteht in der Betonung eines als fundamental und damit als
anderen Rechten gegenüber prioritär erachteten Rechts. Problematisch an diesen
monolithischen Zuspitzungen auf ein einziges Menschenrecht ist jedoch, dass
aus dem einen ‚einzigen‘ Recht übrige Rechte nur schwer abzuleiten sind. Dies
führt dazu, dass Rechte, die nicht auf das Fundamentalrecht zurückzuführen
sind, nicht als Menschenrechte gezählt werden. Die liberalistische Auffassung,
nach der alle Menschenrechte Freiheitsrechte sind, hinkt nämlich genau an dieser
Zuordnung, weil damit sämtliche Rechte, die aufgrund von kulturellen Spezifi-
kationen nicht mehr als Freiheitsrechte im engeren Sinne aufgefasst werden
können (z.B. soziale Rechte), nicht mehr als Menschenrechte gelten (vgl. Loh-
mann 2012: 220).
Angesichts der vielfältigen sozialen und politischen Unrechtsphänomene, auf
die Menschenrechte eine Antwort bieten können sollen, scheint ein umfangrei-
96 | Grenz en de r Mensche nrechte
cherer Katalog an Menschenrechten wie die UN-Deklaration aus dem Jahre 1948
angemessener zu sein als der Versuch, ein einziges Menschenrecht vor anderen
auszuzeichnen, das quasi als Grundmuster für andere Rechte fungieren soll. Die
30 Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948) werden, the-
matisch lose sortiert, eher aufgezählt denn systematisch geordnet. In der For-
schungsliteratur finden sich hingegen unterschiedliche Versuche, die 30 Artikel
inhaltlich zu systematisieren. Zum Teil wird dabei auf die historische Menschen-
rechtsentwicklung zurückgegriffen, lassen sich in den Theorien des ausgehenden
18. Jahrhunderts sowohl liberale als auch republikanische Definitionen von
Menschenrechtsinhalten finden. Grob gesagt spielen für liberale Argumentatio-
nen negative Freiheitsrechte eine entscheidende Rolle, für die republikanischen
Ansätze politische Teilnahmerechte. Sozialistische Konzeptionen, die mittler-
weile nur noch historisch von Belang sind, messen hingegen der sozialen Teil-
habe besondere Bedeutung zu (vgl. Lohmann 2012: 221f.). Etliche Systematisie-
rungsansätze folgen der Einteilung in negative Freiheitsrechte versus positive
Teilnahmerechte (vgl. u.a. Jellinek 1905; Marshall 1992). Während unter negati-
ven Freiheitsrechten in erster Linie Abwehrrechte gegen mögliche (Gewalt-)Ein-
wirkungen seitens des Staates verstanden werden, gelten positive Teilnahme-
rechte als Befähigungsrechte zu einem (gleichen) angemessenen Lebensstandard
(vgl. auch Lohmann 1998: 67). Als allgemein gültig anerkannt wird mittlerweile
eine Einteilung in drei Gruppen (vgl. Lohmann 2012: 220f.). Eine erste Gruppe
umfasst die individuellen Freiheitsrechte, zu denen Art. 1-5, 12-14 und 16-19
AEMR (1948) gezählt werden.24 In einer zweiten Gruppe werden politische und
rechtliche Teilnahmerechte aufgeführt, das sind im engeren Sinne die juridischen
24 Vgl. das Recht auf Freiheit, Gleichheit und Würde (Art. 1 AEMR); gleiche Rechte
und Freiheiten „ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Ge-
schlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder
sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand (Art. 2 AEMR); Recht
auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person (Art. 3 AEMR); Sklavereiverbot (Art. 4
AEMR); Folterverbot (Art. 5); Recht auf Schutz vor willkürlichen Eingriffen in sein
Privatleben (Art. 12 AEMR); Recht auf Freizügigkeit innerhalb eines Staates sowie
Recht auf Verlassen des eigenen Landes und zur Rückkehr in dieses (Art. 13 AEMR);
Recht auf Asylsuche (Art. 14 AEMR); Recht auf freie Heirat (Art. 16 AEMR); Recht
auf Eigentum (Art. 17 AEMR); Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfrei-
heit (Art. 18 AEMR); Recht auf Meinungsfreiheit (Art. 19 AEMR), www.un.org/
depts/german/menschenrechte/aemr.pdf (24.11.2018).
Konturen und Geha lte von Menschenrechten | 97
Rechte in Art. 6-11, 29 und 30 AEMR (1948)25 und im engeren Sinne die politi-
schen Rechte in Art. 15, 18, 19, 21 und 28 AEMR (1948)26. Eine dritte Gruppe
umfasst schließlich wirtschaftliche, soziale und kulturelle Teilhaberechte. Zu ih-
nen zählen Art. 22-27 AEMR (1948).27 Die juridischen sowie die sogenann-
ten politischen Teilhaberechte benennen zwar durchaus wichtige Aspekte wie
Gleichheit vor dem Gesetz, Staatsangehörigkeit oder Meinungs- und Versamm-
lungsfreiheit, doch bleibt das Recht auf politische Partizipation an das Erfor-
dernis der Staatsbürgerschaft gebunden. Aus der politischen Praxis der einzel-
nen Nationalstaaten ist zudem bekannt, dass insbesondere Wahlberechtigung und
die Berechtigung zur Beteiligung in institutionalisierten politischen Prozessen
Staatsbürger_innen vorbehalten bleibt, dass also im geltenden Recht eine Unter-
25 Vgl. Recht auf Anerkennung als rechtsfähige Person (vgl. Art. 6 AEMR); Recht auf
gleiche Anerkennung vor dem Gesetz (Art. 7 AEMR); Recht auf „Anspruch auf einen
wirksamen Rechtsbehelf“ (Art. 8 AEMR); Recht auf Schutz vor willkürlicher Verhaf-
tung (Art. 9 AEMR); Recht auf gerechte öffentliche Verfahren (Art. 10 AEMR);
Recht auf die Unschuldsvermutung (Art. 11 AEMR); Recht auf Ausübung von Rech-
ten und Freiheiten (Art. 29 AEMR); Verbot der Verweigerung anderer Menschenrech-
te (Art. 30 AEMR), www.un.org/depts/german/menschenrechte/aemr.pdf
(24.11.2018).
26 Vgl. das Recht auf Staatsangehörigkeit (Art. 15 AEMR); Recht auf Gedanken-, Ge-
wissens- und Religionsfreiheit (Art. 18 AEMR); Recht auf Meinungsfreiheit (Art. 19
AEMR); das „Recht, an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten seines Lan-
des unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter mitzuwirken“ sowie das Recht auf
gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern in seinem Land (Art. 21 AEMR); das Recht
auf „eine soziale und internationale Ordnung, in der die in dieser Erklärung verkünde-
ten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können“ (Art. 28 AEMR), www.
un.org/depts/german/menschenrechte/aemr.pdf (24.11.2018).
27 Vgl. das Recht als „Mitglied der Gesellschaft das Recht auf soziale Sicherheit und
Anspruch […], in den Genuß der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu
gelangen, die für seine Würde und die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unent-
behrlich sind“ (Art. 22 AEMR); das Recht auf Arbeit, freie Berufswahl (Art. 23
AEMR); das Recht auf Erholung und Freizeit (Art. 24 AEMR); das Recht auf einen
angemessenen Lebensstandard (Art. 25 AEMR); das Recht auf Bildung (Art. 26
AEMR); Recht auf Teilhabe an Kultur (Art. 27 AEMR), www.un.org/depts/german/
menschenrechte/aemr.pdf (24.11.2018).
Einen Überblick über die Literatur zu den rechtssystematischen, historischen, philoso-
phischen und politikwissenschaftlichen Systematisierungen wirtschaftlicher, sozialer
und kultureller Menschenrechte bietet Pollmann/Roepstorf 2007.
98 | Grenz en de r Mensche nrechte
scheidung zwischen Staatsangehörigen und Nichtstaatsangehörigen konstitutiv
ist. Ein subjektives, fundamentales, egalitäres und universelles Recht auf politi-
sche Teilhabe, gar demokratische Beteiligung im starken Sinne, sieht der Men-
schenrechtskatalog nicht vor.
Etliche Theoretiker_innen betonen, dass die bislang aufgeführten 30 Artikel
der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948) als unteilbar und gleich-
gewichtig zu erachten seien (vgl. Lohmann 2005; Pollmann 2009: 46). Sie füh-
ren an, dass beispielsweise der Schutz von Freiheitsrechten leer und abstrakt
bleibt, wenn diese nicht durch die Gewährung von sozialen, wirtschaftlichen und
kulturellen Teilhaberechte ermöglicht werden. Ebenso drohen Menschenrechte
paternalistische Züge anzunehmen, wenn Freiheitsrechte nicht durch die Wahr-
nehmung von Teilnahmerechten bestimmt und gesichert werden können. Umge-
kehrt verlangen wiederum sowohl politische Teilnahme- als auch soziale Teilha-
berechte die Sicherung der vielfältigen Freiheiten, wenn sie nicht willkürlich,
eingeschränkt oder selektiv institutionalisiert werden sollen (vgl. Lohmann 2012:
222). Politische Beteiligung ist somit als besonders wichtig anzusehen, weil für
sie, und zwar unmittelbar nach der Gewährleistung von Leben, Freiheit und Si-
cherheit, gilt, dass nur sie in Form der gleichen Beteiligung an der Abstimmung
über die Bedingungen des gemeinschaftlichen Lebens die anderen Rechte er-
möglicht.
3.3 MENSCHEN- VERSUS BÜRGER_INNENRECHTE
Das bereits vielfach thematisierte Spannungsverhältnis zwischen Menschen- und
Bürger_innenrechten wird plastisch in der Zuspitzung, dass politische Zugehö-
rigkeit in Form von Staatsbürgerschaft zur Bedrohung universeller Menschen-
rechte zu werden und zugleich unverzichtbares Element ihrer Garantie zu sein
scheint (vgl. Banai 2012: 89). Im folgenden Abschnitt soll die Frage erörtert
werden, inwiefern eine ‚lückenlose‘ Transformation der Menschen- in Bür-
ger_innenrechte (auch aus epistemologischer Perspektive) für plausibel gehalten
werden kann. Die aus den kontraktualistischen Modellen bekannte naturrechtli-
che Vorstellung einer ‚Verwandlung‘ der Menschenrechte in Bürgerrechte unter
Beibehaltung eines ‚identischen‘ Kerngehalts (vgl. Pollmann 2012a: 130) ist in
erkenntnistheoretischer Hinsicht als ambivalent zu betrachten, ist doch für das
Gesellschaftsvertragstheorem (vgl. Hobbes 1966b; Locke 1977; Rousseau 1977)
die begriffliche Unterscheidung zwischen Natur- und Bürgerrechten zunächst
einmal konstitutiv, um dann überwunden zu werden. Natürliche Rechte sind
Rechte, die Menschen bereits im vorgesellschaftlichen bzw. vorstaatlichen Zu-
Konturen und Geha lte von Menschenrechten | 99
stand zukommen, je nach vertragstheoretischer Konzeption jedoch erst im Ge-
sellschaftszustand überhaupt erst verwirklicht (Rousseau 1977) bzw. effektiv
durchgesetzt (Locke 1977) werden können. Die begriffliche Differenz soll
schließlich im Gesellschaftszustand als aufgehoben gelten28: Hier dienen Bürger-
rechte (bzw. die durch eine Verfassung verbürgten Grundrechte) dazu, die Rech-
te des Menschen zu schützen, die ihm natürlicherweise, d.h. auch außerhalb ei-
ner politischen Ordnung, qua Menschsein zukommen. Durch die kontraktuelle
Verallgemeinerung der Geltung dieser angeborenen, vorstaatlichen Rechte las-
sen sich Rechte etablieren, die sich als resistent gegenüber dem rechtlichen
Staatsbildungsprozess erweisen. Sie werden im Wesentlichen als bürgerliche
Freiheitsrechte verstanden, deren Grund allein in den Individuen liegt (vgl.
Garber 1981: 121). Zumindest lautet so die Mehrzahl der gesellschaftsvertrags-
theoretischen Argumentationen, und auch der Text der Virginia Declaration of
Rights, die nordamerikanische United States Declaration of Independence (beide
1776) sowie die Französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte
(1789) gehen genau von diesem Zusammenhang aus. So wird das Ziel der „toute
association politique“ in Artikel 2 der Französischen Deklaration explizit in der
Erhaltung der „droits naturels et imprescriptibles“29 gesehen (vgl. Brunkhorst
2012b: 100f.). Bezeichnenderweise behält die Französische Menschen- und Bür-
gerrechtserklärung jedoch auch auf der sprachlichen Ebene die Unterscheidung
zwischen beiden Rechtsformen bei. Sie doppelt sie hingegen, indem in zahlrei-
chen Artikeln sowohl die natürlichen Menschenrechte als auch die Rechte der
Bürger jeweils einzeln benannt werden. So führt Artikel 11 der französischen
Erklärung die Gedanken- und Meinungsfreiheit als „eines der kostbarsten“ Men-
schenrechte auf und erwähnt zusätzlich, dass „jeder Bürger“ mithin frei reden,
schreiben und drucken“ könne.30 Die in systematischer Hinsicht entscheidende
28 Hobbes’ Vertragstheorie weicht hier ab, denn die zukünftigen Untertanen veräußern
ihre Rechte an den als nicht an den Gesellschaftsvertrag gebundenen und somit einsei-
tig begünstigten Souverän. Die Rechte des Gesellschaftszustands beschränken sich im
Wesentlichen auf Freiheitsrechte, die sich auf privatrechtliche Befugnisse zur Gestal-
tung des wirtschaftlichen und familiären Lebens reduzieren.
29 https://www.legifrance.gouv.fr/Droit-francais/Constitution/Declaration-des-Droits-de-
l-Homme-et-du-Citoyen-de-1789 (24.11.2018). Dt.: „Das Ziel jeder politischen Ver-
einigung ist die Erhaltung der natürlichen und unversichtbaren Menschenrechte.“ (Zit.
n. Fritzsche 2004: 193)
30 „La libre communication des pensées et des opinions est un des droits les plus
précieux de l’Homme: tout Citoyen peut donc parler, écrire, imprimer librement, sauf
à répondre de l’abus de cette liberté dans les cas déterminés par la Loi […].“
100 | Grenzen de r Menschenrechte
Frage ist hier, inwiefern mit ‚Menschen‘ und ‚Bürgern‘ auf der begrifflichen
Ebene dieselbe Population gemeint sein kann, wie eine landläufige Interpretation
annimmt (vgl. Brunkhorst 2012b: 100). Diese Interpretation versteht die Aussa-
gen des französischen Deklarationstexts so, dass Menschen als Bürger im Natur-
zustand und umgekehrt Bürger als Menschen im Gesellschaftszustand aufzufas-
sen seien. Die Annahme einer solchen Tautologie ist jedoch irrig, weil sie genau
jene logische Differenz verkennt, die im Zuge der Nationenbildung überhaupt
erst zutage tritt und als Unterschied zwischen dem allgemeinen Status des Men-
schen und dem partikularen Status des Bürgers sichtbar wird. Der sogenannte
„Bogen von den natürlichen Rechten des Menschen zum Recht der Gesellschaft“
(ebd.: 101) erhält hier nicht nur einen Knick, er wird unterbrochen. In diesem
Lichte ist daher die Vorstellung einer Übereinstimmung von Menschen- und
Bürgerrechten im Gesellschaftszustand als undifferenziert und auch inkorrekt zu
erachten. In argumentationslogischer Hinsicht ist der Versuch, das Verhältnis
von Menschen- und Bürgerrechten als tautologisch zu fassen, allenfalls insofern
nachvollziehbar, als z.B. für die lockesche Argumentation natürliche Rechte eine
wichtige Rolle spielen, um eine Orientierung für die richtige politische Regie-
rung geben zu können. Menschenrechte sind damit sowohl der Grund als auch
der Maßstab einer adäquaten politischen Ordnung. Die Regierung, die dem Indi-
viduum innerhalb des Staates genau jene Rechte schützt, die als natürliche oder
angeborene Rechte gelten, kann als gerechte Regierung gelten. Mit dieser Aus-
sicht auf Gewährleistung ihrer ureigenen Rechte erhalten die Individuen in Lo-
ckes Vertragskonzeption erst einen Grund, den Naturzustand zu verlassen (vgl.
Locke 1977: §§ 95ff.; Laukötter/Siep 2012: 30).
In der vertragstheoretischen Fiktion eines Überganges vom Natur- in den
Gesellschaftszustand werden die Differenzen zwischen beiden Rechtsvarianten
allerdings überhaupt erst besonders deutlich, ja sie werden hier überhaupt erst, so
könnte man sagen, ‚produziert‘. So werden in der Französischen Erklärung der
Menschen- und Bürgerrechte (1789) bestimmte Unterschiede gerade dadurch
besonders sichtbar, dass die Dopplung der Rechte nicht durchgehend beibehalten
wird; etliche Rechte tauchen nur als Rechte der Bürger auf. Es wird also durch-
aus fein säuberlich zwischen allgemeinen angeborenen Rechten einerseits und
https://www.legifrance.gouv.fr/Droit-francais/Constitution/Declaration-des-Droits-de-
l-Homme-et-du-Citoyen-de-1789 (24.11.2018). Dt.: „Der freie Austausch der Gedan-
ken und Meinungen ist eines der kostbarsten Menschenrechte; jeder Bürger kann mit-
hin frei reden, schreiben und drucken, vorbehaltlich seiner Verantwortlichkeit für den
Mißbrauch dieser Freiheit in den durch das Gesetz bestimmten Fällen.“ (Zit. n. Fritz-
sche 2004: 195).
Konturen und Geha lte von Menschenrechten | 101
bürgerlichen Rechten andererseits getrennt. In Artikel 2 der französischen Erklä-
rung werden, wie gesagt, die natürlichen Rechte mit dem Freiheitsrecht, dem
Recht auf Eigentum, dem Recht auf Sicherheit und dem Recht auf Widerstand
gegen Unterdrückung identifiziert.31 In Artikel 7 wiederum ist die Rede vom all-
gemeinen Recht auf Freiheit von strafrechtlicher Willkür, doch auch hier wird
bereits die Rolle des Bürgers besonders erwähnt. In diesem Artikel taucht sogar
eine korrespondierende Pflicht des Bürgers zum Gehorsam gegenüber den vom
Volkssouverän verabschiedeten Gesetzen auf.32
In Bezug auf bestimmte Aspekte, z.B. auf die Kategorie „Geschlecht“, ist der
Abstand zwischen Menschen- und Bürgerrechten in den historischen Texten des
18. Jahrhunderts als ambivalent einzuschätzen. Wenn beispielsweise Frauen aus
den nordamerikanischen oder französischen Bürgerrechten ausgeschlossen blei-
ben, so ist in diesem Umstand zwar in rechtlicher und politischer Hinsicht eine
prinzipielle Ungerechtigkeit, doch so bitter dies auch anmuten mag keine
systematische Differenz in Bezug auf die Konzeption der Menschen- und Bür-
gerrechte zu finden, da Frauen im Falle der Bürgerrechte qua Geschlecht ausge-
schlossen sind. In diesem Punkt wird also der Bruch deutlich, der durch eine
Identitätsthese nicht gekittet werden kann.
31 Siehe den vollständigen Wortlaut: „Le but de toute association politique est la conser-
vation des droits naturels et imprescriptibles de l’Homme. Ces droits sont la liberté, la
propriété, la sûreté, et la résistance à l’oppression.“ https://www.legifrance.gouv.fr/
Droit-francais/Constitution/Declaration-des-Droits-de-l-Homme-et-du-Citoyen-de-
1789 (24.11.2018). Dt.: „Das Ziel jeder politischen Vereinigung ist die Erhaltung der
natürlichen und unverzichtbaren Menschenrechte. Diese Rechte sind die Freiheit, das
Eigentum, die Sicherheit und der Widerstand gegen die Unterdrückung.“ (Zit. n. Fritz-
sche 2004: 193)
32 Siehe den vollständigen Wortlaut: „Nul homme ne peut être accusé ni détenu que dans
les cas déterminés par la Loi, et selon les formes qu’elle a prescrites. Ceux qui sollici-
tent, expédient, exécutent ou font ecécuter des ordres arbitraires, doivent être punis;
mais tout citoyen appelé ou saisi en vertu de la Loi doit obéir à l’instant: il se rend
coupable par la résistance.“ https://www.legifrance.gouv.fr/Droit-francais/Constituti
on/Declaration-des-Droits-de-l-Homme-et-du-Citoyen-de-1789 (24.11.2018).
Dt.: „Kein Mensch darf angeklagt, verhaftet oder in Haft gehalten werden, es sei denn
in den durch das Gesetz bestimmten Fällen und in den Formen, die es vorgeschrieben
hat. Diejenigen, die willkürliche Befehle veranlassen, ausfertigen, vollziehen oder
vollziehen lassen, sind zu bestrafen; doch soll auch der Bürger, der auf Grund eines
Gesetzes vorgelasen oder festgenommen wird, auf der Stelle gehorchen: Leistet er
Widerstand, so macht er sich strafbar.“ (Zit. n. Fritzsche 2004: 194)
102 | Grenzen de r Menschenrechte
Gleichwohl besteht in den entsprechenden Texten ein entscheidender Unter-
schied hinsichtlich der Gültigkeitsreichweite der vorstaatlichen Menschenrechte.
Menschenrechte werden textübergreifend als für ‚alle‘ Menschen geltend ver-
standen. Dies wiederum steht durchaus im Widerspruch zur Ungleichbehandlung
von Frauen, Indigenen und Versklavten bzw. entlarvt den Menschenrechtsbegriff
angesichts seiner ‚Geschlechter- und Klassenblindheit‘ als verkapptes Bürger-
recht, das lediglich als Menschenrecht ausgegeben wird (vgl. ausführlicher dazu
in Kap. 4.2 u. 4.3). Fest steht, dass im Zuge einer vermeintlichen ‚Verwandlung‘
von Menschen- in Bürgerrechte also erstere ihren universellen Anspruch einbü-
ßen, dafür aber den Status konkreter juridisch-politischer Gewährleistung ge-
winnen. Der Sinn dieser Transformation in positive Rechte wird nicht zuletzt
auch in pragmatischer Hinsicht mindestens in folgenden drei zentralen Aspek-
ten gesehen (vgl. exemplarisch Alexy 1998: 254-258): Erstens erhalten Men-
schenrechtsgehalte durch eine Implementierung als positive Rechte eine weitaus
höhere Chance auf praktische Durchsetzung. Menschenrechte können zwar
durchaus in normativer Absicht eingefordert, ohne eine entsprechende Imple-
mentierung und Ratifizierung jedoch nicht faktisch eingeklagt werden. Zweitens
lassen sich Interpretationsprobleme durch rechtliche Verfahren effizienter hand-
haben. Abstrakte Menschenrechte lassen z.B. insbesondere in Bezug auf soziale,
wirtschaftliche und kulturelle Gehalte einen großen Spielraum. So ergibt sich die
Bemessung menschenwürdiger Sozialstandards innerhalb einer politischen Ge-
meinschaft nicht durch einen einfachen Rekurs auf Art. 25 Abs. 1 der Allgemei-
nen Erklärung der Menschenrechte (1948). Dessen Inhalt lautet zwar, dass jeder
Mensch das Recht auf „einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Ge-
sundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung,
ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen“, doch müssen die De-
tails im Rahmen eines rechtlichen Entscheidungsfindungsprozesses (der durch-
aus variabel und falsifizierbar ist) geklärt werden. Drittens erfordert die Gewähr-
leistung menschenrechtlicher Gehalte in Form von positiven Pflichten die Bil-
dung von entsprechenden Institutionen und Strukturen zu ihrer Erfüllung. Vor
dem Hintergrund des in Abschnitt 3.1 erläuterten asymmetrischen Verhältnisses
zwischen Rechts- und Pflichtträger_innen wird auch an dieser Stelle noch einmal
ersichtlich, dass eine effektive Pflichterfüllung durch zuständige institutionelle
Akteur_innen nur dann erfolgen kann, wenn einklagbare Rechte gewährt wer-
den.
Eine Transformation der Menschen- in institutionell gewährleistete Grund-
bzw. Bürger_innenrechte wird in der Realität allerdings bislang nur um den Preis
des Ausschlusses all derjenigen, die nicht als Staatsbürger_innen gezählt werden,
erlangt. Dies ist insofern problematisch, als die Beschränkung der ursprünglich
Konturen und Geha lte von Menschenrechten | 103
für alle geltenden Menschenrechte auf einen bestimmten Personenkreis keinen
Fall einer Spezifikation allgemeiner Rechte für eine partikulare Gruppe darstellt.
Es handelt sich schlichtweg um einen Akt der Privilegierung einer bestimmten
Personengruppe, die mit der Exklusion einer anderen einhergeht und daher als
Suspendierung des universellen Anspruchs auf Gültigkeit aufgefasst werden
muss. Die ‚Verwandlung‘ der Menschenrechte in Bürger_innenrechte kann auch
in theoretischer Hinsicht nicht damit ‚gerettet‘ werden, dass die Rechte, die nun
im Gesellschaftszustand gelten, nominell gleichlautend wie die Menschenrechte
bleiben und sich allenfalls in Bezug auf die (pragmatische) Anwendung unter-
scheiden. Die vermeintliche ‚Verwandlung‘ des Rechtscharakters verkörpert
vielmehr ein begriffliches Paradox: Die paradoxale Dimension der Verwand-
lungsfiktion beruht nämlich gerade in dem Umstand, dass der Staat einerseits als
schutzgewährende Instanz für universelle Rechte angerufen wird, andererseits in
genau jenem Schritt der Positivierung aber als Akteur von In- und Exklusions-
strukturen fungiert, wodurch sich der Charakter der vermeintlich transformierten
unveräußerlichen Rechte fundamental ändert. Während die Mehrzahl der Au-
tor_innen, die auf die Notwendigkeit einer Transformation der Menschen- in in-
stitutionell gewährleistete Grund- bzw. Bürger_innenrechte aus den soeben ge-
nannten Gründen verweisen (vgl. Alexy 1998), den Nationalstaat im Sinn hat,
besteht theoretisch ebenso die Option, diese auch auf der transnationalen Ebene
anzusiedeln. Dies setzte allerdings die Einrichtung eines Globalstaates nach dem
Muster einer Weltrepublik oder doch zumindest eine weltgesellschaftliche Ord-
nungsform, die Jürgen Habermas „Weltinnenpolitik ohne Weltregierung“ (Ha-
bermas 1998: 156, 2004: 135) nennt, voraus.
Unter der Prämisse einer transnationalen politischen Ordnung würde immer-
hin eine weitere Differenzierung zwischen Grund- und Bürger_innenrechten
überflüssig, der zufolge die Grundrechte einer staatlichen Verfassung als positi-
vierte Menschenrechte zu begreifen sind, die sich von Bürgerrechten im engeren
Sinne unterscheiden. Bei letzteren handelt es sich um Rechte, die ausschließlich
Personen zugesprochen werden, die über eine Staatsbürgerschaft des Landes ver-
fügen, also um (Staats-)Bürger_innenrechte. Diese Aufteilung zwischen Rech-
ten, die für ‚Menschen‘, und Rechten, die nur für ‚Deutsche‘ gelten, findet sich
beispielsweise im derzeit gültigen deutschen Grundgesetz (GG) verankert. Ent-
sprechend spiegelt auch die korrespondierende Rechtspraxis die Überschneidung
zweier Theoriestränge wider, die sich während des historischen Prozesses der
Nationalstaatsentwicklung herausbilden. Der Übergang von Art. 1 Abs. 2 zu Art.
1 Abs. 3 GG weist die Menschenrechte als Ursprungsform der Grundrechte aus.
Bezugspunkt bildet die Menschenwürde, um ihrer willen bekennt sich das
„Deutsche Volk […] zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten
104 | Grenzen de r Menschenrechte
als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerech-
tigkeit in der Welt“. Dieser Satz lässt somit eine Deutung der Grundrechte als
‚verwandelte‘ Menschenrechte zu, die in Art. 1 Abs. 3 GG als Grundrechte
schließlich positive Rechte darstellen: „Die nachfolgenden Grundrechte binden
Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar gelten-
des Recht.“ Zugleich wird innerhalb des Grundgesetzes jedoch der Unterschied
zwischen Menschen-, Grund- und Bürger_innenrechten erst hervorgebracht und
durch seine gesetzliche Verankerung manifest. Dieser Strang trennt Menschen in
zwei Gruppen entlang der begrifflichen Kategorie der Zugehörigkeit zum Staat.
Staatsbürgerschaft wird zum entscheidenden Kriterium schlechthin für alle, die
dieser Kategorie entsprechen, gilt tatsächlich unumschränkte Gleichheit, allen
übrigen Menschen werden differenzierende Zuschreibungen, angefangen von
‚Besucher_innen‘, über ‚Gäste‘, ‚Niedergelassene mit Bleiberecht‘ bis hin zu
‚Ausländer_innen‘, zuteil. Für alle Subgruppierungen mag ebenfalls das Gebot
gleicher moralischer Achtung gelten. In entscheidenden Hinsichten führt die Un-
terscheidung zwischen Staatsangehörigen und ‚Menschen‘ jedoch zu Formen
ungleicher sozialer, ökonomischer und politischer Berücksichtigung. Die in der
Bundesrepublik Deutschland per Grundgesetz vorgenommene Aufteilung der
Menschen widerspricht damit zumindest hinsichtlich der Idee universaler Gül-
tigkeit der eigentlichen Intention der Menschenrechtserklärungen. Art. 8 GG bei-
spielsweise führt dadurch, dass die Versammlungsfreiheit explizit nur „Deut-
schen“ zugestanden wird, eine Unterscheidung zwischen ihnen und allen übrigen
auf dem Territorium der BRD befindlichen Menschen ein und offenbart damit
eine Differenzmarkierung mit weitreichenden Folgen für politisch relevante Ak-
tivitäten wie Vereinigungsfreiheit (vgl. Art. 9 Abs. 1 GG), Freizügigkeit (vgl.
Art. 11 GG), Zugang zu öffentlichen Ämtern (vgl. Art. 33 GG) und das Wahl-
recht (vgl. Art. 38 GG).33 Die folgenschwere Unterscheidung zwischen Grund-
rechten als positivierten Menschenrechten einerseits und Bürger_innenrechten
als Rechten lediglich für einen Teil der sogenannten ‚Inländer_innen‘ anderer-
seits führt dazu, dass Bürger_innenrechte höchstens als ‚mittelbare‘ Menschen-
rechte (vgl. Bielefeldt 2007: Kap. 2) gelten können. Der Umstand, dass moder-
nen demokratischen Rechtsstaaten aufgrund ihrer nationalstaatlichen Souveräni-
tät das Recht zukommt, bestimmte subjektive und fundamentale Rechtsansprü-
che nämlich in erster Linie die politischen Teilnahmerechte allein denjenigen
zuzuerkennen, die von ihnen als Staatsbürger_innen definiert werden, steht dabei
in Einklang mit Art. 25 IPBPR (1966). Dieser sieht den einschränkenden Zu-
schnitt auf den Adressatenkreis der Staatsbürgerschaft ebenfalls vor und entspre-
33 Vgl. https://www.gesetze-im-internet.de/gg/index.html (24.11.2018).
Konturen und Geha lte von Menschenrechten | 105
chend ist hier lediglich von Staatsbürger_innen die Rede: „Jeder Staatsbürger hat
das Recht […], ohne Unterschied […] und ohne unangemessene Einschränkun-
gen […] an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten unmittelbar oder
durch frei gewählte Vertreter teilzunehmen.“34
Nun könnte eingewandt werden, dass es sich bei den begrifflichen Unter-
schieden zwischen Menschen-, Grund- und Bürger_innenrechten um Differen-
zen ihrer Geltungsbereiche handelt (vgl. Pollmann 2012a: 129), die lediglich vor
allem pragmatischer Natur sind. Schließlich müsste es als unverhältnismäßig an-
gesehen werden, Personen, die eventuell gar nicht die Absicht hegen, langfristi-
gen Aufenthalt in Deutschland zu nehmen, mit vollumfänglichen Rechten auszu-
statten. Die Anspruchsberechtigung einer theoretisch unbegrenzten Anzahl an
Personen gegenüber einem Nationalstaat würde dessen Kapazitäten, insbesonde-
re mit Blick auf wohlfahrtsstaatliche Pflichten, die aus sozialen, wirtschaftlichen
und kulturellen Menschenrechten resultieren, überfordern. Unter den faktischen
Bedingungen der politischen In- und Exklusion gemäß nationaler Zugehörigkeit
werden staatsbürgerliche Rechte in kritischer Absicht dennoch als „vorenthalte-
ne Menschenrechte“ (ebd.: 131) bezeichnet und zwar aus der Perspektive der-
jenigen, die nicht zum Adressatenkreis der ‚Inländer_innen‘ gezählt werden, die
aber einen langfristigen bis dauerhaften Aufenthalt in dem entsprechenden Staat
anstreben. In systematischer Hinsicht stellt sich hier nämlich die Frage, inwie-
fern die Beschreibung von Grundrechten als positivierten und Bürgerrechten als
‚mittelbaren‘ Menschenrechten (vgl. Bielefeldt 2007: Kap. 2; Pollmann 2012a:
131) überhaupt als adäquat zu erachten ist oder ob die indirekte Bezugnahme auf
das Verwandlungsnarrativ nicht genau jene Spannungen und Differenzen zwi-
schen den drei Rechtevarianten erst recht verschleiert. Nationalstaaten können
unter den realpolitischen Bedingungen der derzeitigen Weltordnung das Recht
für sich beanspruchen, eine Differenzlinie zwischen Menschen- und Bür-
ger_innenrechten zu ziehen, obwohl der Anspruch der Menschenrechte zumin-
dest genau darin besteht, keinerlei Abstriche an den unverfügbaren Rechten des
Menschen zuzulassen. Mit anderen Worten: Die menschenrechtliche Argumen-
tation beruht auf der Annahme, dass die Rechte des Menschen als Menschen
durch den Staat geschützt werden, das staatsbürgerliche Unterscheidungskriteri-
um unterläuft jedoch genau diesen Anspruch. Aus diesem Befund lässt sich also
schlussfolgern, dass der universelle Gehalt der Menschenrechte in (mindestens)
zwei Hinsichten nachhaltig in Frage steht (vgl. ebd.: 132). Erstens lässt sich das
Paradox, dass jedem Menschen zwar durchaus universelle Menschenrechte zu-
gesprochen, diese jedoch nur in partikularer Version, nämlich in Form national-
34 Vgl. hierzu auch die Erläuterung bereits in Abschnitt 3.1.
106 | Grenzen de r Menschenrechte
staatlich garantierter Grundrechte, auch tatsächlich gewährleistet werden, unter
herrschenden Realbedingungen der derzeitigen Weltordnung offensichtlich nicht
auflösen. Zweitens steht in Zweifel, inwiefern der universale Adressat_innen-
kreis der Menschenrechte grundsätzlich aufrechterhalten werden kann. Hiermit
ist das Paradox gemeint, dass Menschenrechte Rechte des Menschen im Singular
sind, positivrechtliche Grundrechte hingegen Rechte eines bestimmten Perso-
nenkreises, für welchen ein inhaltliches kollektives Bestimmungskriterium
nämlich (nationalstaatliche) Zugehörigkeit maßgeblich ist.
Das Spannungsverhältnis zwischen Menschen- und Bürgerrechten findet sich
also heutzutage als Verhältnis der praktischen Inkompatibilität zwischen der na-
tionalen und transnationalen Ebene (vgl. Kreide 2008: 27), obwohl der originäre
Anspruch der Menschenrechte auf eine Ordnung, in der ihre Gehalte gewährleis-
tet werden, lediglich aus historisch-kontingenten Gründen in der Bildung eines
Nationalstaates aufgefangen wurden. Theoretisch könnte sich der Anspruch
durchaus direkt an die transnationale Ebene adressieren lassen. In diesem Sinne
könnten Menschenrechte als Vision einer Weltordnung gelten, in der „im Prinzip
jede/r Einzelne die Verletzung seiner grundlegenden Interessen äußern kann“
(ebd.: 35) und zwar als Mensch und kosmopolitische/r Erdenbewohner_in.
Die problematischen Aspekte des soeben charakterisierten begrifflichen
Spannungsverhältnisses zwischen Menschen- und Bürgerrechten lassen sich bes-
ser verstehen, wenn man sie als einen Konflikt zwischen dem menschenrechtli-
chen Prinzip und dem Prinzip der Volkssouveränität liest. Wenn gegen feudale
Vormachtpositionen und ständerechtliche Privilegien die ‚natürlichen‘ Rechte
der Gleichheit und Freiheit in Anschlag gebracht werden, dann richtet sich diese
Geste gegen die reale Bedrohung durch z.B. einen König, der sich als Ursprung
des Rechts versteht und sich damit die Prärogative zumisst, Recht nach eigenem
Gutdünken zu modifizieren oder gar zu annullieren. Die Situation, in der die Gü-
tertrias von life, liberty and estate theoretisch ausgebildet und zu einem Schlag-
wort in der politischen Auseinandersetzung wird, lässt sich daher als Opposition
gegen eine Staatsgewalt, die sich anmaßt, als Rechtsschöpferin legibus soluta zu
sein, beschreiben (vgl. Brandt 1982b: 88, 92; Pongrac/Roth 2012: 42). Doch
verbleibt diese Opposition eine theoretisch-rhetorische, wenn sie nicht die Ver-
fassungsgewalt anstrebt. In diesem Impuls liegt der entscheidende revolutionäre
Gestus der Menschenrechtstheorie, dass sie nicht allein von unveräußerlichen
Rechten ausgeht, sondern auch deren Verwirklichung fordert. Durch die Kombi-
nation der Idee subjektiver ‚angeborener‘/‚natürlicher‘/‚unveräußerlicher‘ Rech-
te mit der Idee der Volkssouveränität entsteht eine hochexplosive Kraft, welche
die damalige ständebasierte Ordnung in England und auf dem Kontinent prinzi-
piell zu sprengen vermag. Die Erfindung einer Verfassung, „in der das Volk sich
Konturen und Geha lte von Menschenrechten | 107
selbst bestimmt (pourvoir constituant) und Herrschaft als Selbstherrschaft neu
begründet“ (Brunkhorst 2012a: 92), führt zu einem radikal neuen Rechtsver-
ständnis, denn nun wird die Verfassung als Vollzug gleicher Freiheit aufgefasst.
Die Universalisierung natürlicher individueller Rechte bleibt nicht auf die Trias
life, liberty and estate beschränkt, sondern erklärt die Volkssouveränität selbst
zum universellen Prinzip, z.B. erkennbar am Widerstandsrecht, das sowohl die
nordamerikanische Virginia Declaration of Rights (1776) als auch die Französi-
sche Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (1789) enthalten. Es handelt
sich hier um ein universalisiertes Recht auf Widerstand gegen ungerechte Regie-
rungen, das dem konstituierten Volk das Recht auf Ausübung der Menschen-
rechte in Form von Bürger_innenrechten gibt und zwar notfalls gewaltsam ge-
gen „any Form of Government“35 durchzusetzen, das diese Rechte mit Füßen
tritt (vgl. Brunkhorst 2012a: 94).
Interessant ist nun dabei, dass für die Theorien des 18. Jahrhunderts zwi-
schen dem Prinzip der Volkssouveränität und dem Prinzip subjektiver Rechte
gar kein Gegensatz besteht „wer von der verfassungsgebenden Gewalt des
Volkes sprach, sprach auch von universellen subjektiven Rechten“ (ebd.: 96).
Und so wird in der französischen Menschen- und Bürgerrechtserklärung der
Universalismus natürlicher und vernünftiger Rechte mit der Idee prozeduraler
Volkswillensbildung verschränkt. Es handelt sich hier um eine Verzahnung na-
türlicher Menschenrechte mit gesellschaftlichen Bürgerrechten, die mit einer
zweiten Verzahnung natürlichen Rechts mit gesellschaftlichem Recht korres-
pondiert. In Artikel 3 Satz 1 der Französischen Erklärung der Menschen- und
Bürgerrechte (1789) nämlich wird der ‚Ursprung jeder Souveränität‘ („le prin-
cipe de toute souveraineté“) in die Nation verlegt. „So wie der Mensch der Bür-
ger im Naturzustand ist, so ist auch die Nation der allgemeine Wille des Gesetz-
gebers im Naturzustand. So wie der Bürger als Mensch Träger seiner natürlichen
35 Vgl. die Präambel der United States Declaration of Independence (1776): „That
whenever any Form of Government becomes destructive of these ends, it is the Right
of the People to alter or to abolish it, and to institute new Government, laying its
foundation on such principles and organizing its powers in such form, as to them shall
seem most likely to effect their Safety and Happiness.“ https://www.archives.gov/
founding-docs/declaration-transcript (24.11.2018). Dt.: „[…] daß, wann immer ir-
gendeine Regierungsform sich als diesen Zielen abträglich erweist, es Recht des Vol-
kes ist, sie zu ändern oder abzuschaffen und eine neue Regierung einzusetzen und die-
se auf solchen Grundsätzen aufzubauen und ihre Gewalten in der Form zu organisie-
ren, wie es ihm zur Gewährleistung seiner Sicherheit und seines Glücks geboten zu
sein scheint“ (Zit. n. Fritzsche 2004: 187).
108 | Grenzen de r Menschenrechte
Rechte bleibt, so bleibt die Legislativgewalt als Nation“ (Brunkhorst 2012b:
102) ebenfalls im Naturzustand (vgl. auch Sieyès 2011). Die Idee der Volkssou-
veränität ist somit der Schüssel für die Verwirklichung der Menschenrechte,
denn als Gesetzgeberin kann die Nation allein durch eine formal prozeduralisier-
te Ausübung subjektiver Rechte handeln, nur so hat sie wirkliche Macht, d.h.
erst durch die (demokratische) Verschränkung subjektiver Rechte mit prozedura-
len Organisationsnormen können Menschenrechte auch tatsächlich positivierte
Rechte werden. Damit wird das Terrain der Gesellschaftsvertragstheorie verlas-
sen und dasjenige eines neuen Verfassungsrechts betreten. Die Verfassungstheo-
rie im Kontext der Französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte
(1789) geht also davon aus, dass ohne eine in der Verfassung festgelegte Nor-
mierung der öffentlichen Gewalten durch eine öffentliche demokratische Wil-
lensbildung die natürlichen Rechte der Menschen bedeutungslos bleiben müssen.
Umgekehrt würde die demokratische Selbstbestimmung des Volkes ohne den
Bezug auf unveräußerliche subjektive Rechte des Menschen nicht begründet
werden können (vgl. Brunkhorst 2012b: 102f.). Beide Prinzipien sind in dieser
Lesart notwendigerweise aufeinander verwiesen. Zur Plausibilisierung dieser
Lesart sollte man sich vor Augen führen, dass auch ein/e paternalistische/r Herr-
scher_in den Untertan_innen bestimmte natürliche Rechte gewähren könnte. Le-
ben, Freiheit (wenngleich in eingeschränktem Maße) und Besitz ließen sich, wie
uns Hobbes im Leviathan informiert, ebenfalls in einer absoluten Monarchie ga-
rantieren (vgl. Hobbes 1966b). Hauke Brunkhorst will auf den Punkt hinaus,
dass der Sinn der unveräußerlichen subjektiven Rechte der Menschen verkannt
wird, wenn diese sich nicht in Form der Volkssouveränität ausdrücken. Denn in-
dividuelle Autonomie sei nur im Rahmen der kollektiven Autonomie auch tat-
sächlich zu verwirklichen. Diese Ansicht wird über historische Epochen hinweg
geteilt zur Idee vorstaatlicher Menschenrechte gehört es demnach, dass sie mit
den Ansprüchen auf ihre Realisierung bereits verknüpft sind. Menschenrechte,
darauf wurde in den vorigen Abschnitten bereits mehrfach hingewiesen, impli-
zieren also das Ansinnen ihrer juridischen Kodifizierung in Form von einklagba-
ren Grund- und Bürger_innenrechten. Einer rechtlichen Kodifizierung wiederum
muss in dieser Lesart eine politische Entscheidung seitens der Volkssouveränität
vorhergehen, was sich als schwierig erweist, wenn es um die transnationale
Sphäre geht, in der eine eindeutige Bestimmung eines Demos nicht ohne weite-
res möglich ist.
Die gegenwärtige Forschungsdebatte tendiert durchaus dazu, den komplexen
und spannungsreichen Zusammenhang von Menschen-, Grund- und Bürger_in-
nenrechten zu harmonisieren. So wird dem Wechselzusammenhang von Men-
schen- und Grundrechten z.B. aus soziologischer Perspektive zugeschrieben,
Konturen und Geha lte von Menschenrechten | 109
dem spezifischen Entwicklungsstand der modernen Gesellschaft in besonderer
Weise gerecht zu werden. Grundrechte seien dabei als systemstabilisierend zu
erachten, weil sie die moderne Trennung zwischen Staat und Gesellschaft stüt-
zen. Als zentral seien vor allem der grundrechtlich verbürgte Schutz vor staatli-
cher Willkür sowie das Gebot der Gleichheit als moderne Errungenschaft gegen-
über der ständeprivilegierenden Differenzierung innerhalb der Gesellschaft an-
zusehen. Grundrechte erfüllten dabei eine Doppelfunktion, die Bürger_innen un-
terwerfen sich dem Rechtsstaat nur, sofern der Staat ihnen auch zugleich Grund-
rechte gewährt. Der Staat übernimmt somit zugleich eine Schutz- und Unterlas-
sungspflicht (vgl. Pollmann 2012a: 133). Über diese positivierten Menschen-
rechte verfügt das Individuum jedoch einzig und allein, dies wurde nun bereits
mehrfach betont, als Mitglied einer Rechtsgemeinschaft. Gegen die harmonisti-
sche Sicht muss m.E. daher eingewandt werden, dass sie die historische Kontin-
genz der gesellschaftlichen Hervorbringung subjektiver Menschen- und Grund-
rechte zum Zwecke deren Rechtfertigung als epistemologische Begründung um-
deutet. Bei genauerem Hinsehen besteht in ebenjenem Spannungsverhältnis ge-
nau das charakteristische Merkmal der modernen Gesellschaften. Schließlich
können die durch den Staat gewährten staatsbürgerlichen Rechte auch als Grund-
rechte nicht identisch mit den vorstaatlich proklamierten Menschenrechten sein,
weil die Begriffe von Freiheit und Gleichheit der Menschenrechte ihrer Intention
nach andere sind als jene der Grund- bzw. Bürger_innenrechte. Die Gleichheit
und die Freiheit, die der Staat gewährt, erfahren ihre Begrenzung durch das Kri-
terium der Staatsbürgerschaft. Hinzu kommt, dass Gleichheit innerstaatlich
hauptsächlich in Verteilungsgerechtigkeitstermini gefasst, also wesentlich als
sozioökonomisch begriffen wird, während Freiheit, insbesondere die private
Freiheit des Individuums als Schranke für Umverteilungsmaßnahmen gesehen
wird (vgl. Balibar 2011: 279f.). Dadurch, dass in modernen politischen Gemein-
schaften Staat und Gesellschaft nicht zur Deckung kommen, besteht auch auf der
institutionellen Ebene ein Widerspruch der Zuordnung der jeweiligen Rechte.
Die unaufhebbare Spannung zwischen Menschen- und Bürger_innenrechten ver-
stärkt sich durch die „permanente Spannung zwischen der universell politischen
Bedeutung der ‚Menschenrechte‘ und der Tatsache, daß ihre Aussage es völlig
der ‚Praxis‘, dem ‚Kampf‘, dem ‚sozialen Konflikt‘ überläßt, eine ‚Politik der
Menschenrechte‘ existieren zu lassen“ (Balibar 2011: 293).
Demokratietheoretisch wird die Spannung seit der Französischen Menschen-
und Bürgerrechtserklärung (1789) dadurch gelöst, dass Menschenrechte als aus
politischen Akten kollektiver Selbstbestimmung hervorgehend verstanden wer-
den. In dieser Lesart können allerdings wiederum nur diejenigen Individuen Ad-
ressat_innen von Grundrechten sein, die sich auch als deren Autor_innen verste-
110 | Grenzen de r Menschenrechte
hen dürfen (vgl. Menke/Pollmann 2007: 68ff.). Nicht gelöst wird damit jedoch
das Problem einer vorgängigen Definition desjenigen Personenkreises, aus dem
sich die Autor_innen speisen, wobei dieser unter den gegenwärtigen Bedingun-
gen der Nationalstaatlichkeit nicht identisch mit der gesamten Menschheit ist.
Menschenrechte sind in diesem Fall tatsächlich mittelbare bzw. vorenthaltene
Rechte, die erst dann von Personen beansprucht werden dürfen bzw. können, so-
bald sie zu dem Kreis der Autor_innen gezählt werden (vgl. Pollmann 2012a:
134; Colliot-Thélène 2011: 151ff.). Mögliche Varianten eines Auswegs aus die-
sem Dilemma werden in Kap. 6 anhand der Option einer Kosmopolitisierung der
Demokratie (vgl. Kap. 6.1), weltweiter Bürger_innenrechte (vgl. Kap. 6.2) sowie
eines neu zu begründenden Menschenrechts auf politische Partizipation (vgl.
Kap. 6.3) diskutiert. Inwiefern der originäre emanzipative und kritische Gehalt
der Menschenrechte dabei erhalten bleiben kann, wird dabei einer genaueren Un-
tersuchung unterzogen.
4 Kritische Perspektiven
Die Kritik am eurozentrischen Bias der heute vorherrschenden Konzeption der
Menschenrechte verfehlt in ihrer Pauschalität den eigentlichen Punkt. Zweifellos
ist der historische Entstehungskontext der Idee der Menschenrechte in der mo-
dernen europäischen Naturrechtsdebatte des 16. und 17. Jahrhundert verortet.
Seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts entwickelt der Menschenrechtsdis-
kurs mit seinen berühmten Texten, u.a. der nordamerikanischen Virginia Decla-
ration of Rights (1776) und der französischen claration des droits de l’homme
et du citoyen (1789), die Kernkriterien der Subjektivität und der Universalität
und erhält damit bestimmte begriffliche Konturen, die charakteristisch für die
europäisch-abendländische Denktradition sind. Postkolonialistische Kritiker_in-
nen des Menschenrechtsdenkens monieren zu Recht, dass diese spezifische his-
torische Entwicklung verallgemeinert und als allgültig dargestellt wird: Im Zuge
grundlegender Veränderungen der politischen Verhältnisse und der Entstehung
der bürgerlichen Ordnung seit Beginn der Neuzeit etabliert sich ein Rechtsver-
ständnis, für das die Vorstellung eines autonomen Subjekts (welches das Mittel-
alter in dieser Form nicht kannte) zentral ist. Die Freiheit dieses Subjekts wird in
besonderer Weise als des staatlichen Schutzes bedürftig angesehen um dessen
privaten, d.h. vor allem ökonomischen, Interessen vor Eingriffen seitens des
Staates zu bewahren. Unter der Prämisse der Gleichheit nämlich gleicher Frei-
heit vermag der individualisierte Freiheitsbegriff sein normativ bedeutsames
Profil auszuprägen. Für die europäische Theorie der Menschenrechte ist der
Schritt der Individualisierung des Rechts in zwei Hinsichten relevant. Zum einen
wird der individuelle Status, Rechtsträger_in zu sein, einem vermeintlich abs-
trakten Subjekt zugeschrieben, das sich allerdings mit einem genaueren Blick
in die Ideengeschichte als weißer besitzender Mann entpuppt. Zum anderen wird
das Recht in einem nächsten Schritt universalisiert, wobei die genannten kultu-
rell und gesellschaftlich bedingten partikularen Konnotationen des dem Recht
zugrundeliegenden Subjektbegriffs unreflektiert bleiben. Kritiker_innen bean-
112 | Grenzen de r Menschenrechte
standen entsprechend, dass die Behauptung eines abstrakten, universellen Sub-
jekts dessen spezifische historische und gesellschaftliche Verortung geradezu
verschleiere. Eine bestimmte Blindheit der Menschenrechtskonzeption gegen-
über postkolonialen und in ihrer Wirkung entsprechend rassistischen Impli-
kationen, die dieses ‚Andere‘ überhaupt erst konstituieren, lässt sich in der Tat
bis zu den Anfängen des modernen Naturrechts- und Menschenrechtsdenkens
zurückführen, wie insbesondere im Abschnitt 4.3 im Zusammenhang mit postko-
lonialistisch argumentierender Kritik an den Menschenrechten zu erläutern sein
wird. John Lockes Theorie natürlicher Rechte des Menschen enthält beispiels-
weise die Unvereinbarkeit zwischen dem normativen Postulat menschlicher
Gleichheit auf der einen Seite und der Rechtfertigung bestimmter kolonialer
Praktiken auf der anderen.
Daher ist die Kritik am Eurozentrismus der Menschenrechte insofern zutref-
fend, als sich problematische Einschreibungen in das Menschenrechtsdenken be-
reits auf der begrifflichen Ebene ausmachen lassen. So basiert das für die Men-
schenrechte so zentrale Recht auf Eigentum, ohne das die Konzeption individu-
eller Freiheit vermutlich niemals so effektiv zu plausibilisieren gewesen wäre,
auf einer spezifischen anthropologischen Annahme menschlicher Merkmale, die
das besitzindividualistische Denken und Handeln der europäischen Gesellschaft
naturalisiert und verabsolutiert (vgl. MacPherson 1967). Diese der Menschen-
rechtskonzeption zugrunde liegende Anthropologie tendiert dazu, ein asymmet-
risches Verhältnis zwischen ‚Zivilisierten‘ und ‚Wilden‘ zu rechtfertigen. Denn
während erstere sich aufgrund ihrer rationalistischen Zivilisation legitimiert se-
hen, Lebens- und Verhaltensweisen von Nicht-Europäer_innen als nicht-
vernünftig und damit in politischer Hinsicht als irrelevant einzuschätzen, können
letztere allenfalls das Recht beanspruchen, moralischen Schutz zu erhalten.
Locke etwa befürwortet durchaus eine glimpfliche Behandlung der Indigenen in
Nordamerika, den Respekt als politisch Ebenbürtige spricht er ihnen jedoch ab
(vgl. Parekh 1995: 92). Jene Spannungslinie zwischen dem abstrakt gültigen
moralischen Anspruch des Subjekts auf Menschenrechte einerseits und dem
konkreten Bedarf an politischer Gewährleistung dieser subjektiven Rechte durch
Institutionen andererseits zieht sich wenngleich in modifizierten Varianten
auch durch den gegenwärtigen internationalen Menschenrechtsdiskurs. Transna-
tionale Menschenrechtsanliegen werden z.B. mehrheitlich unter humanitärem
Motto beispielsweise als sogenannte humanitäre Intervention im außenpoliti-
schen oder als humanitäre Hilfe im binnenpolitischen Kontext behandelt. In
beiden Fällen lassen sich allerdings diskriminierende, marginalisierende und ex-
kludierende Strukturen ausmachen, die Nicht-Europäer_innen bzw. Nicht-Weiße
benachteiligen. Sowohl Menschen, die Unterdrückung und Gewalt in kriegeri-
Kritische Perspektiven | 113
schen Konflikten ausgesetzt sind, als auch Migrant_innen, und hier insbesondere
Flüchtlinge und Staatenlose, gelten aus der Perspektive des globalen Nordens als
‚Andere‘, und ihre gesellschaftliche, politische und rechtliche Position wird in
ökonomischer, sozialer sowie kultureller Hinsicht vor allem anhand der ‚Her-
kunft‘ markiert. Die sozioökonomischen Hierarchien der Ausgrenzung beruhen
zu einem nicht geringen Teil auf den Auswirkungen globaler Macht- und Herr-
schaftsasymmetrien im Gefolge der Kolonialisierung des globalen Südens über
mehrere Jahrhunderte hinweg, die ihren Ausdruck in massenhafter Verarmung,
ökonomischen Ausbeutungsverhältnissen, politischer Instabilität, Staatszerfall
und vielfältigen Formen der Rechtsunsicherheit bis hin zu rohen Formen der
Gewaltanwendung in Kontexten von kriegerischen Konflikten und sozialen Un-
ruhen finden.
Es wäre sicherlich eine unstatthafte Verkürzung, zu sagen, dass das Erfolgs-
narrativ des universellen Menschenrechtssubjekts ursächlich auf der Abwertung
des Nicht-Europäischen basiert. Doch lässt sich eine Engführung der Menschen-
rechte mit moralischen Rechten und die Vernachlässigung der politischen Di-
mension ausmachen, die mit der historischen Herausbildung der bürgerlich-
europäischen Gesellschaft und der damit verknüpften Trennung der sozialen von
der politischen Sphäre in enger Verbindung steht. Das historische Verdienst des
menschenrechtlichen Diskurses besteht in der Idee der Gewährleistung einer ge-
schützten Privatsphäre des Individuums vor herrschaftlichem Zugriff. Dabei
wird jedoch verdrängt, dass nur dem staatsbürgerlichen Individuum überhaupt
das Privileg einer Privatsphäre zukommt. Personen, die nicht über eine entspre-
chende Staatszugehörigkeit verfügen, sind im Falle von Migration, Flucht oder
Staatenlosigkeit unter Umständen auf eine Sphäre des basalen Überlebens zu-
rückgeworfen. Solange ihnen der Zugang zur öffentlichen Sphäre, in der sie über
ihre Lebensbedingungen selbst mitentscheiden könnten, d.h. solange ihnen der
Zugang zur politischen Partizipation verwehrt bleibt, führt das Fehlen institutio-
neller Gewährleistung dazu, dass sie auf Mildtätigkeit, Mitleid oder Barmherzig-
keit angewiesen sind, ohne rechtliche Ansprüche geltend machen zu können.
Menschenrechte mögen zwar die moralische Würde der Individuen schützen, sie
verbleiben jedoch hinsichtlich einer politischen Ermächtigung wirkungslos.
Postkolonialistische Theoretiker_innen erläutern in Anlehnung an Frantz Fanons
Terminus „zone de non-être“ (Fanon 1952: 26) die Macht- und Wirkungslosig-
keit von Menschenrechten dahingehend, dass das eurozentrische liberale Tren-
nungsparadigma von „privat“ und „öffentlich“ bzw. von Moral und Politik eine
Unterteilung der Welt in eine Zone des Schutzes derjenigen, die den vorherr-
schenden Normen entsprechen, einerseits und eine Zone derjenigen, die als da-
von abweichend markiert werden, andererseits impliziere. In der ‚Zone des
114 | Grenzen de r Menschenrechte
Nicht-Seins‘ wird den Betroffenen von Marginalisierung, Ausbeutung und Ge-
walt die gleiche Subjektposition wie den Menschen, die in Übereinstimmung mit
vorherrschenden Normen leben (= den Weißen), verwehrt. Diese Unterschei-
dung lässt sich daher auch als Aufteilung der Welt in eine Zone der Privilegie-
rung und eine Zone der Abweichung beschreiben, wobei die Abweichung nicht
selbst gewählt wird und auch nicht selbst wählbar ist (vgl. Suárez-Krabbe 2014:
212). Beide Sphären sind von problematischen Tendenzen zur Professionalisie-
rung (z.B. in Form einer vereinseitigenden Verlagerung auf humanitäre Maß-
nahmen), einer damit verbundenen Depolitisierung und schließlich der verzer-
renden Hervorbringung von sogenannten ‚Opfern‘ gekennzeichnet (vgl. Odin-
kalu 1999): Menschenrechte werden nicht bestehenden Subjekten allgemein und
universell zugeschrieben, sondern Subjekte werden durch sie erst konstituiert
und zwar als passive Leidtragende auf der einen Seite, die von heroischen Ak-
teur_innen eines Internationalen Schutzsystems auf der anderen Seite zu retten
seien. Im Namen der Menschenrechte, so lässt sich etwas pathetisch sagen, wer-
den also die spezifischen globalen sozioökonomischen Hierarchien, Machtstruk-
turen und Privilegien naturalisiert und perpetuiert (vgl. Marks 2012: 317ff.).
In den folgenden Abschnitten sollen anhand dreier Kritiklinien, der gesell-
schaftstheoretischen, der feministischen und der postkolonialen Kritik, die Be-
griffe des Individuums, der Autonomie und des Universalismus, zentrale Kate-
gorien des Menschenrechtsdenkens, genauer untersucht werden. Dabei wird ver-
anschaulicht, inwiefern Klasse, Geschlecht und race bei der begrifflichen Kontu-
rierung des Menschenrechtsverständnisses im Laufe der letzten 200 Jahre eine
Rolle spielen und inwiefern diese begriffliche Konturierung im Zusammenhang
mit kolonialen Praktiken sowohl auf dem europäischen als auch auf allen den
nicht-europäischen Kontinenten steht (vgl. u.a. de Sousa Santos 2002).
Kritische Perspektiven | 115
4.1 GESELLSCHAFTSTHEORETISCHE KRITIK
AM BEGRIFF DES INDIVIDUUMS
Eine der berühmtesten Kritiken an der gesellschaftstheoretischen1 Blindheit der
Menschenrechte stammt von Karl Marx. Es ist hier in erster Linie der für die
Konzeption der Menschenrechte konstitutive Begriff liberaler Freiheit, gegen
den Marx zwei zentrale Einwände erhebt. Zum einen moniert er, dass der libera-
le Freiheitsbegriff nur eine sehr begrenzte Vorstellung menschlichen Freiseins
enthalte und das Potential menschlicher Befreiung verleugne. Zum anderen liege
ihm ein verzerrtes Bild des ‚Individuums‘ zugrunde, das in der Behauptung, all-
gemein und abstrakt zu sein, die ihm inhärenten sozioökonomischen Implikatio-
nen verschleiert (vgl. Marx 1961). Im Anschluss an Marx ist tatsächlich zu kon-
statieren, dass die im Konzept des Individuums bzw. des abstrakten Menschen
enthaltenen unreflektierten Konnotationen, und dies macht sie schließlich prob-
lematisch, durchaus Auswirkungen auf faktische rechtliche Regelungen zum Zu-
gang zu politischer Partizipation haben können. Doch bevor dieser Zusammen-
hang erläutert wird, will ich zunächst auf Marx’ Kritik an den Menschenrechten
zu sprechen kommen.
Das Menschenrecht auf Freiheit wird in liberalistischer Lesart vor allem in
der Abwehr von Eingriffen seitens des Staates in die zu schützende Privatsphäre
des Individuums gesehen. Entsprechend wird sie auch negative Freiheit genannt
(vgl. Berlin 1995: 201), weil sie im Wesentlichen bedeutet, dass der Mensch ‚be-
freit von‘ äußerem Zwang ist. Marx charakterisiert diese Form von Freiheit mit
folgender Zuschreibung: „Es handelt sich um die Freiheit des Menschen als iso-
lierter auf sich zurückgezogener Monade.(Marx 1961: 364) Mit dem leibniz-
schen Ausdruck ‚Monade‘ beschreibt Marx einen egoistischen, in polemischer
Absicht gar als autistisch zu bezeichnenden Menschentypus (vgl. Steyerl 2008:
12f.), der nur auf sich selbst und auf sein eigenes Freisein von Zwang bedacht
ist. Im Gegensatz zu Leibniz verwendet Marx den Monadenbegriff in betont pe-
jorativer Weise. Das Bild der fensterlosen Monade soll dabei veranschaulichen,
dass ein liberalistisch verstandenes Menschenrecht auf Freiheit nicht „auf der
1 Unter gesellschaftstheoretischer Kritik sollen hier ausgewählte Ansätze gefasst wer-
den, die (sowohl moralische als auch rechtebasierte) Menschenrechtskonzeptionen in
Bezug auf ihre inhärenten rechtlichen und ökonomischen Vermachtungstendenzen in-
sofern monieren, als diese sich nicht zuletzt aufgrund ausbleibender theoretischer
wie praktischer Reflexion insbesondere in der Verschleierung und/oder Rechtferti-
gung von gesellschaftlichen Asymmetrien und Strukturen der Ungleichheit nieder-
schlagen.
116 | Grenzen de r Menschenrechte
Verbindung des Menschen mit dem Menschen, sondern vielmehr auf der Abson-
derung des Menschen von dem Menschen“ (Marx 1961: 364) basiert. Und weiter
heißt es: Das liberale Freiheitsrecht ist das „Recht dieser Absonderung, das
Recht des beschränkten, auf sich beschränkten Individuums“ (ebd.). Ohne Zwei-
fel skizziert Marx hier den auf wirtschaftlichen Gewinn ausgerichteten Bour-
geois, der von dieser Sorte Freiheitsrecht persönlich profitiert. Deshalb bezeich-
net Marx das Recht auf Freiheit in seinem Text Zur Judenfrage auch als das
„Recht des Eigennutzes“ (ebd.: 365): Die Menschenrechte gäben zwar vor,
Rechte des Menschen als solchen les droits de l’homme zu sein, seien in
Wahrheit aber Rechte des Wirtschaftsbürgers also les droits du bourgeois.
Durch eine vereinseitigende Freiheitskonzeption, wie sie nach Marx’ Ansicht
den Menschenrechten zugrunde liegt, werde das Bild des Menschen verzerrt,
weil sie den Bourgeois als natürlichen Menschen ausgeben und ihm damit Cha-
rakter- und Verhaltensweisen, wenn nicht gar Wesenszüge zuschreiben, die sei-
ner Meinung nach nicht die Eigenschaften des Menschen, sondern allenfalls ei-
ner bestimmten gesellschaftlichen Rolle in einer bestimmten historischen Epo-
che darstellen und daher als Grundlage einer normativen Freiheitskonzeption zu
bezweifeln seien. Marx’ Kritik richtet sich somit gegen die der menschenrechtli-
chen Freiheitskonzeption zugrunde liegende verallgemeinernde Identifizierung
des Begriffs des Individuums mit einer partikularen Variante eines bestimmten
gesellschaftlichen Rollenverständnisses. Marx hingegen schwebt eine andere
Form der Freiheit vor, die nicht vom egoistischen Bourgeois ausgeht, sondern
von einem Menschen, der sich als Teil der Gemeinschaft begreift, der das
menschliche Miteinander nicht als Bedrohung seiner individuellen Freiheit an-
sieht, sondern als Bedingung dafür, dass jeder Mensch die Möglichkeit zur Ent-
faltung einer Freiheit erhält. Diese Form der Freiheit, auch positive Freiheit (vgl.
Berlin 1995: 211ff.) genannt, legt den Schwerpunkt darauf, dass Menschen ‚zu
etwas befähigt‘ werden. Die aktive Ermöglichung selbstgewählter Handlungen
steht bei diesem Freiheitsverständnis im Zentrum, nicht die Abwesenheit von
Zwang. In dieser Form von Freiheit, so behauptet Marx, findet der Mensch im
anderen nicht die Schranke, sondern die Verwirklichung seiner (eigenen) Frei-
heit. Marx moniert also an der Idee der Menschenrechte, dass sie „die Trennung
der Individuen im Schoße der Gesellschaft sowie die Scheidung zwischen dieser
atomisierten Gesellschaft von der politischen Gemeinschaft zum Ausdruck“ (Le-
fort 1990: 246) bringt. Dabei gilt sein Unbehagen nicht so sehr der innovativen
Idee angeborener Rechte, sondern deren konkreten Ausformulierung im Text der
Französischen Menschen- und Bürgerrechtserklärung (1789). Für den hier zu
untersuchenden Zusammenhang ist dabei von besonderer Relevanz, dass die in
der französischen Erklärung durchaus offen artikulierte Differenz zwischen
Kritische Perspektiven | 117
Menschen- und Bürgerrechten, die erst im Rahmen der von der Nation konstitu-
ierten rechtlichen Ordnung zur Deckungsgleichheit kommen kann, sich in der
folgenden Debatte immer weiter zu einer regelrechten Kluft aufspreizt. Im Zuge
der Verklammerung der Ideen von Menschenrechten und Volkssouveränität kris-
tallisiert sich nämliche eine bestimme Auffassung des Menschen heraus, die eine
nachhaltige Wirkung hat und sich zudem zunehmend verselbständigt: Der ‚na-
türliche‘ Mensch gilt nun als vorstaatliches Wesen, dem zwar individuelle Frei-
heitsrechte zugesprochen werden, politische Partizipationsrechte jedoch vorent-
halten bleiben. Diese erhält er ausschließlich als Staatsbürger (citoyen). Damit
schlägt der ursprünglich inklusiv gedachte souveräne Akt der öffentlichen Erklä-
rung zu Menschen- und Bürgerrechten um in die politische Exklusion von Nicht-
Bürger_innen (vgl. Pollmann 2012c: 361ff.). Doch weit schwerer wiegt, dass der
‚natürliche‘ Mensch nicht nur als ‚vorstaatliches‘, sondern mehr und mehr als
‚unpolitisches‘ Wesen imaginiert wird, das sich „bloß um seine Privatangele-
genheiten zu kümmern braucht“ (ebd.: 361). Privatangelegenheiten bedeuten un-
ter den Bedingungen kapitalistischer Vergesellschaftung in erster Linie ökono-
mische Angelegenheiten. Dieser Umstand zeichnet sich bereits in der naturrecht-
lichen Debatte der aufklärerischen Rechtstheorie ab. So wird der Mensch schon
bei Carl Friedrich Bahrdt genau aus ebenjenen Gründen aus seinen ständebezo-
genen Verbindungen ‚freigesetzt‘, um die Rolle eines vertragsautonomen Bür-
gers einnehmen zu können. Um die wirtschaftlichen Aktivitäten hinsichtlich ih-
rer Möglichkeiten zur Effizienz- und Ertragssteigerung auch zu gewährleisten,
steht auch die Frage der Leistungsfähigkeit des Individuums zur Debatte. Ent-
sprechend thematisiert Bahrdt Luxusver- und Askesegebote, mit deren Unter-
stützung Nützlichkeit und Einsatzbereitschaft des Bürgers sichergestellt werden
sollen. Gleichwohl enthalten die Diskussionen über Menschenrechtskonzeptio-
nen des ausgehenden 18. Jahrhunderts neben den individuellen Rechten auch ge-
sellschaftsbezogene Pflichten (vgl. Garber 1981: 115f.). Dennoch gewinnen ins-
besondere aus der privatrechtlichen Lehre entstammende Argumente für die Si-
cherung und Verabsolutierung individueller Schutzansprüche gegenüber staatli-
chem Handeln (vgl. Schlettwein 1980) immer mehr an Gewicht. Dies lässt nicht
zuletzt den Eindruck entstehen, dass ein nicht unerhebliches Anliegen men-
schenrechtlicher Argumentation in der Garantie von Warenproduktion und -kon-
sumtion durch staatlichen Schutz besteht. Auffällig ist nämlich, dass die Verbin-
dung eines angeborenen Rechts auf Individualeigentum mit der Idee von Ge-
meingut, die für Autoren wie Carl Friedrich Bahrdt oder Christian Wolff noch
wichtig war (vgl. Garber 1981: 113), rasch aus dem Blickfeld der menschen-
rechtlichen Diskussion verschwindet. Abgesehen davon, dass Naturrechtstheore-
tiker_innen wie beispielsweise John Locke durchaus recht konkret von den Er-
118 | Grenzen de r Menschenrechte
trägen einer an Individualeigentum, persönlichem Bodenbesitz und vor allem der
transatlantischen Expansion orientierten Wirtschaftsweise profitieren konnten
und eventuell darum die individualrechtliche Konzeption natürlicher Rechte hin-
sichtlich der Aussichten auf Landerwerb in den neuenglischen Kolonien umso
mehr verteidigten (vgl. Parekh 1995), steht diese Beobachtung auch auf der be-
grifflichen Ebene im Einklang mit C.B. MacPhersons Theorie des Besitzindivi-
dualismus (vgl. MacPherson 1967). Dessen These besagt im Wesentlichen, dass
das liberalistische Verständnis von Individuum und Freiheit durch die nachhaltig
eigentumsrechtliche Konzeptualisierung, d.h. insbesondere durch die Aufwer-
tung von Arbeitskraft und Akkumulation persönlichen Eigentums, die individu-
elle Rechtsposition gegenüber möglichen Willkürakten seitens des Staates wie
kein anderer Freiheitsansatz zu stärken vermag. Die Idee des Eigentums an der
eigenen Person, d.h. am eigenen Leib, Leben, aber auch an den Erzeugnissen
und Ergebnissen der mit dem eigenen Körper verrichteten Arbeit erlebt daher in
den Ansätzen liberaler Theoretiker ungeheuren Aufschwung. Während bei Hob-
bes Besitz und Eigentum erst Rechte des Bürgers sind, bestehen sie bei Locke
bereits im Naturzustand. Und hier liegt der Schlüssel für eine nachhaltige Ver-
zerrung der Imago eines Individuums, das als gleiches, freies, zudem rationales
und vor allen Dingen abstraktes Wesen zum Maßstab für einen Rechtediskurs
gemacht werden kann, der den Schutz dieser von sozialen Bezügen losgelösten
Person zur zentralen Aufgabe erhält. Die Vertragstheorien der englischen Theo-
retiker des 17. Jahrhunderts offenbaren folgende problematische Implikationen
eines auf Gleichheit und Freiheit abzielenden Begriffs des Individuums: Wäh-
rend die Grundannahme durchaus in der natürlichen Gleichheit und Freiheit aller
Menschen besteht, bleibt sie jedoch mit ihrem zentral auf Individualeigentum
abstellenden Freiheitsbegriff hinsichtlich ihrer Inegalitätsstrukturen befördern-
den Dimension unreflektiert. Inegalität bewirkt diese Auffassung vom Individu-
um dahingehend, dass der Ausschluss von z.B. Indigenen, Frauen oder Besitzlo-
sen aus zentralen Freiheitsbereichen wie Politik und Öffentlichkeit nicht als Wi-
derspruch wahrgenommen wird. MacPherson weist dies etwa nicht nur für die
Freiheitskonzeptionen Hobbes und Lockes, sondern auch diejenigen der Level-
lers nach (vgl. MacPherson 1967: insb. 113ff., 157ff., 250ff.). Bei Letztgenann-
ten werden Lohnabhängige wie Bedienstete und Almosenempfänger ausdrück-
lich von der Befugnis zu wählen ausgeschlossen, obwohl zugleich die Gleichheit
ihrer natürlichen Rechte betont wird. Derselbe Widerspruch findet sich bekannt-
lich auch in Kants Bestimmung von „Selbständigkeit“, die in der Metaphysik der
Sitten im Gefolge von Freiheit und Gleichheit als dritte Voraussetzung für
die politische Partizipation genannt wird (vgl. Kant 1977b: 432). Die fehlende
Reflexion über inhärente problematische Implikationen des Begriffs individuel-
Kritische Perspektiven | 119
ler Freiheit sticht ex post umso schärfer ins Auge. Vor dem Hintergrund des
krassen Kontrasts zwischen ihrem sozioökonomischen Kontext und ihrem nor-
mativen Anspruch, kann die Idee individueller Freiheit nicht mehr als ‚unschul-
dig‘ gelten. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass sie gerade in ihrem his-
torischen Kontext durchaus einem emanzipativen Impuls entspringt.
Der Entkopplung des Menschen aus seinen sozialen Bezügen, die für den
Begriff des ‚Individuums‘ konstitutiv ist, korrespondiert dessen Verallgemeine-
rung hin zur ganzen, dabei aber abstrakten ‚Menschheit‘, deren Idee ihre Ent-
sprechung in der Subjektphilosophie wiederfindet. Hier nämlich gründet die Idee
der Gleichheit der Menschen darauf, dass allen Subjekten gleichermaßen Ver-
nunft und Freiheit zugesprochen wird (vgl. Schwerdtfeger 1999: 25). Gemäß
dieser Vorstellung scheint der Begriff der Menschheit ebenso politisch neutral zu
sein wie der des Individuums, aber gerade darin besteht die Blindheit, dass eben
jene vermeintlich „unpolitische Bedeutung des Wortes ‚Menschheit‘ […] den
Anspruch auf jene größtmögliche Universalität, die als Rechtfertigung politi-
scher Kritik und politischer Aktion nicht mehr überboten werden konnte“ (Ko-
selleck 1985: 248), erleichtert. Wie bereits gezeigt werden konnte, trägt das uni-
versale Individuum, d.h. das Individuum als pars pro toto einer abstrakten
Menschheit, in der Konzeption der Menschenrechte des ausgehenden 18. Jahr-
hunderts unverkennbar die Züge eines Menschen, der als ‚besitzindividualis-
tisch‘ charakterisiert werden kann. In Verbindung mit der den transatlantischen
Menschenrechtserklärungen innewohnenden Fortschrittsüberzeugung wird die
Konzeption des Individuums in mehreren Hinsichten verabsolutiert: Individuelle
Freiheit und Gleichheit werden als universell, d.h. zeitlich und geographisch un-
begrenzt, angesehen, und dies erscheint vor dem Hintergrund ihrer vollumfängli-
chen Abstraktion nur als umso plausibler. Die Loslösung aus sämtlichen sozia-
len, ständischen und geschichtlichen Bezügen, die über Jahrhunderte hinweg als
schier unzerstörbare Fesseln empfunden wurden, wird gerade aus emanzipativer
Perspektive als notwendige Folgerung aus der modernen naturrechtlichen Leh-
re angesehen. Dabei gerät jedoch aus dem Blick, dass der Begriff des Individu-
ums durchaus starke normative Konnotationen enthält. ‚Individuum‘ bzw. ‚Indi-
vidualfreiheit‘ wird zum Gegenbegriff alles dessen, was einer feudalistischen,
und das meint: zwangsbehafteten Zuordnung entspringt. Im Begriff des moder-
nen Individuums steckt aber auch die emanzipatorische Antithese zu allem, was
als ‚anders‘ im Sinne von „Zurückgebliebensein oder Stehengebliebensein“
(Schwerdtfeger 1999: 27) (ab-)gewertet wird. Auch hierin spiegelt sich eine zu-
tiefst inegalitäre Haltung gegenüber rassistisch und kolonialistisch markierten
‚Anderen‘, auf die in Kap. 4.3 noch eingegangen wird.
120 | Grenzen de r Menschenrechte
Die mit Marx Kritik ideengeschichtlich exponierte gesellschaftstheoretische
Problematisierung zentraler Aspekte der Menschenrechte wird gegenwärtig u.a.
von Autoren wie Toni Negri und Michael Hardt revitalisiert. Ihr Ansatz besteht
darin, dass angesichts der von den westlichen Industrieländern dominierten glo-
balen Weltordnung Hardt und Negri bezeichnen diese als ‚Empire‘ Men-
schenrechte nur eine Chance haben, über den Status oberflächlicher Rhetorik
von allenfalls moralischer oder lobbyistischer Bedeutung hinauszuweisen (vgl.
Hardt/Negri 2004: 304f.). Die Voraussetzung hierfür ist, dass potentielle Ak-
teur_innen sich zu einem Subjekt widerständigen Handelns, zur ‚Multitude‘, wie
Hardt und Negri sie nennen, zusammenfinden und das eigentliche Ermächti-
gungspotential der Menschenrechte erkennen. Im Akt der Selbstermächtigung
könnte es der Multitude gelingen, ein gerechtes, freiheitliches und demokrati-
sches Miteinander als Ausdruck der Gehalte der heutigen Menschenrechte neu
zu formieren (vgl. Hardt/Negri 2002, 2004, 2009, 2013). Im Kap. 7 werde ich in
einer Art Ausblick auf die Idee der Multitude noch einmal eingehen.
Zunächst ist zu konstatieren, dass dieser utopische Optimismus von den
meisten Menschenrechtstheoretiker_innen nicht geteilt wird, weil das begriffli-
che Problem der Menschenrechte als ein fundamentaleres angesehen wird. Der
Widerspruch zwischen der (liberalen) Konzeption eines abstrakten Menschen
und der sozialen, politischen und kulturellen Verfasstheit menschlicher Existenz
gipfelt nach Arendts Auffassung schließlich darin, dass der Status, universelle
Menschenrechte zu haben, mit dem Status der Rechtlosigkeit identisch sei zu-
mindest, sofern der Mensch sich außerhalb eines staatlichen Zugehörigkeitszu-
sammenhangs befindet (vgl. Arendt 1986a: 605ff.). Dieser Punkt wird verständ-
licher, wenn wir uns vor Augen halten, dass „außerhalb“ bei ihr nicht nur ein
räumliches Außerhalb von bedeutet, etwa das Fern-von-Sein, wie es charakteris-
tisch für die Flucht ist, wenn sich ein Mensch außerhalb des Territoriums seines
Heimatlandes befindet. Ihre Kritik bezieht sich vielmehr auf das fundamentale
Außerhalb von, wie es am schärfsten anhand der Internierung in einem (Kon-
zentrations-)Lager, die mit der Aberkennung der Zugehörigkeit zur politisch-
rechtlichen, sozialen und kulturellen Gemeinschaft einhergeht, veranschaulicht
werden kann. Auf der Flucht und in der Staatenlosigkeit werde der Mensch un-
freiwillig dadurch auf das nackte Leben reduziert, dass er seinen Status als
Staatsbürger_in und damit seine rechtlich-politische Identität verliert (vgl.
Arendt 2011: 400f.). Als Flüchtling/Staatenloser, so lässt sich mit Arendt resü-
mieren, ist der Mensch bloß Mensch, d.h. er ist ein seiner politisch definierten
Identität entblößter Mensch. Arendt stellt in diesem Zusammenhang klar, dass
die Aporie der Menschenrechte nicht in dem Verlust des einen oder anderen
Menschenrechts besteht, sondern sich in dem einen Punkt manifestiert, in dem
Kritische Perspektiven | 121
„der Mensch den Standort in der Welt verliert, durch den allein er überhaupt
Rechte haben kann“ (Arendt 1986a: 613). Das Individuum befinde sich trotz der
Existenz eines Menschenrechtsregimes quasi im Naturzustand. Dass dieser Na-
turzustand nicht etwa eine metaphorische Umschreibung, sondern für viele
Flüchtlinge und Staatenlose eine Realität in Form des Kampfs ums physische
Überleben ist, kann mit dem Verweis auf die Praxis der europäischen Grenz-
schutzagentur „Frontex“, Bootsflüchtlinge auf See abzufangen und sie auch in
humanitären Notlagen zurückzuschicken (vgl. Heck 2011: 71), sowie diejenigen,
die das Festland erreicht haben, zu inhaftieren und oftmals willkürlich abzu-
schieben (vgl. Kopp 2011: 95-96), belegt werden.
Der prekäre Status von Flüchtlingen und Staatenlosen sowohl in den meisten
liberal-demokratischen Staaten als auch im gegenwärtigen globalen Rechtssys-
tem verdeutlicht, dass die Konzeption der Menschenrechte, die in der Allgemei-
nen Erklärung der Menschenrechte (1948) kodifiziert wurde, selbst weit entfernt
davon ist, eine rechtliche Garantie für gleiche Freiheit und soziale Inklusion dar-
zustellen. Es ist also weniger eine Frage des Umfangs oder der Reichweite einer
Implementierung des Menschenrechtskatalogs, sondern vielmehr ein prinzipiel-
les Problem der Menschenrechte selbst, dass sie unter den gegenwärtigen Bedin-
gungen einer nationalstaatlichen Verfasstheit der Welt stets im Widerspruch zum
Primat nationalstaatlicher Souveränität stehen. So obliegt es zum einen der nati-
onalstaatlichen Souveränität, Rechte, die die Staatsbürgerschaft bzw. den Status
von Flüchtlingen und Staatenlosen anbetreffen, zu definieren. Zum anderen wer-
den Menschenrechte, obgleich sie mittlerweile auch im inter- und transnationa-
len Recht anerkannt werden, nach wie vor im Wesentlichen als nationalstaatlich
zu garantierende Rechte verstanden, was anhand von drei Artikeln der Allgemei-
nen Erklärung der Menschenrechte (1948) exemplifiziert werden soll. Es han-
delt sich hier um Art. 13, 14 und 15 AEMR (1948), die sich auf die rechtliche
und politische Situation von Flüchtlingen und Staatenlosen beziehen, hingegen
sowohl in nationalstaatlichen Rechtsordnungen als auch in internationalen Men-
schenrechtsabkommen nur einen marginalen Stellenwert einnehmen. Auf den
ersten Blick besteht also eine starke Diskrepanz zwischen dem im Menschen-
rechtskatalog explizit berücksichtigten Schutzanspruch von Flüchtlingen und
Staatenlosen und der Umsetzung dieses normativen Anspruches im rechtlichen
Bereich. Doch bei genauerem Hinsehen besteht die Diskrepanz weniger zwi-
schen Proklamationstext und juristischer Praxis, sondern schon auf der begriffli-
chen Ebene der Formulierung der entsprechenden Menschenrechte. So beinhaltet
Art. 14 Abs. 1 AEMR (1948) beispielsweise das Recht eines jeden Menschen,
Asyl zu suchen und zu genießen. Im Wortlaut postuliert der 14. Artikel aller-
dings kein allgemeines Recht auf Asyl, sondern lediglich die glichkeit des In-
122 | Grenzen de r Menschenrechte
dividuums, Asyl zu genießen sofern es dem Asylsuchenden von einem anderen
Staat gewährt wird: „(1) Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung
Asyl zu suchen und zu genießen.“2 Die Souveränität des Nationalstaats bleibt bei
dieser Formulierung folglich unangetastet (vgl. Hayden 2009: 80). In vielen na-
tionalstaatlichen Verfassungen stellt das Recht auf Asyl zwar tatsächlich einen
Bestandteil des Grundrechtekatalogs dar. Jedoch wird es in den meisten Fällen
aufgrund bestimmter nationaler und supranationaler Rechtsgrundlagen erheblich
eingeschränkt. So verbürgt Art. 16a des deutschen Grundgesetzes zwar durch-
aus, dass politisch Verfolgte Asyl genießen: „(1) Politisch Verfolgte genießen
Asylrecht.“3 Allerdings spezifizieren die weiteren Absätze 2-5 des Art. 16a GG
die Bedingungen, unter denen Personen den Status des Asylsuchenden bean-
spruchen könnten, so weitgehend, dass der Kreis derjenigen, die einen Antrag
auf Asyl zu stellen berechtigt sind, stark begrenzt wird. Die Begrenzung geht
hierbei weit über die Bestimmungen völkerrechtlicher Abkommen hinaus, die in
erster Linie eine Nichtanerkennung des Flüchtlings-, Staatenlosen-, bzw. Asyl-
suchendenstatus bei Vorliegen schwerer Verbrechen, Kriegsverbrechen oder
Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorsehen (vgl. Art. 1 Abs. F GFK 1951;
Art. 2 IPBPR 1966; Art. 2 IPWSKR 1966). So wird beispielsweise die Einreise
eines Asylsuchenden über einen sogenannten sicheren Drittstaat, d.h. gemäß Art.
16a Abs. 2 GG einen Staat, „in dem die Anwendung des Abkommens über die
Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschen-
rechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist“, als Ausschlusskriterium für die
Gültigkeit des Anspruchs auf Asyl angeführt. Faktisch kommen vertragliche Re-
gelungen seitens der Europäischen Union (vgl. „Frontex“) hinzu, die die rechtli-
che Grundlage der Asylgewährung umfassend reglementieren. Auch wenn das
Recht auf Asyl bislang auf transnationaler Ebene nicht positiviert ist, so verbietet
das völkerrechtliche Genfer Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge
(„Genfer Flüchtlingskonvention“, kurz GFK) aus dem Jahre 1951 den Staaten
immerhin, Flüchtlinge in den Verfolgerstaat zurückzuschicken, gemäß Art. 33
Abs. 1 GFK (1951):
„(1) Keiner der vertragschließenden Staaten wird einen Flüchtling auf irgendeine Weise
über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder
seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu
2 www.un.org/depts/german/menschenrechte/aemr.pdf (24.11.2018).
3 https://www.gesetze-im-internet.de/gg/index.html (24.11.2018).
Kritische Perspektiven | 123
einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht
sein würde.“4
In diesem Zusammenhang zeigt sich jedoch wiederum die besondere Fixierung
der Konzeption der Menschenrechte auf das Paradigma der nationalstaatlichen
Souveränität bzw. der nationalen Staatsbürgerschaft. Art. 13 Abs. 2 AEMR
(1948) besagt, dass jeder Mensch das Recht habe, jedes beliebige Land ein-
schließlich des eigenen zu verlassen bzw. in das eigene Land zurückkehren zu
können:„(1) Jeder hat das Recht, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen
und seinen Aufenthaltsort frei zu wählen. (2) Jeder hat das Recht, jedes Land,
einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.“
Jedoch ist die Gewährung dieses Rechts im Falle der Rückkehr vom Besitz der
Staatsbürgerschaft des betreffenden Landes abhängig, die wiederum durch den
Nationalstaat bewilligt wird. Am wenigsten wirkmächtig in Bezug auf eine mög-
liche Positivierung durch nationalstaatliche oder transnationale Vertrags- und
Rechtsstrukturen ist Art. 15 Abs. 1 AEMR (1948), der das Recht auf Staatsbür-
gerschaft für jeden Menschen deklariert. Und Art. 15 Abs. 2 AEMR (1948) ver-
bietet zumindest den Entzug der Staatsbürgerschaft, überlässt die Vergabe der
Staatsbürgerschaft jedoch den Nationalstaaten: „(2) Niemandem darf seine
Staatsangehörigkeit willkürlich entzogen noch das Recht versagt werden, seine
Staatsangehörigkeit zu wechseln.“ Die völkerrechtlich verbindliche Vereinba-
rung über die Rechtsstellung der Staatenlosen sieht allerdings keine Verpflich-
tung der Staaten vor, Staatenlosen eine Staatsbürgerschaft zu verleihen. Das Eu-
ropäische Übereinkommen über die Staatenlosigkeit postuliert zumindest faire
und nicht-willkürliche Einbürgerungsverfahren, doch gilt dieses Abkommen in
Bezug auf den spezifischen Fall der Staatenlosigkeit in Folge von Staatsauflö-
sung bzw. -transformation. Insgesamt wird anhand des Deklarationstextes sowie
anhand der durch ihn motivierten völker- und menschenrechtlichen Abkommen
deutlich, dass der Status von Flüchtlingen, Staatenlosen und Asylsuchenden
nicht nur aufgrund einer mangelhaften Umsetzung der postulierten Rechte prekär
ist. Vielmehr legt der Wortlaut bereits in der Menschenrechtsdeklaration nahe,
dass der Besitz einer Staatsbürgerschaft die eigentliche Bedingung einer umfas-
senden Garantie von Menschenrechten darstellt (vgl. Hayden 2009: 80). Damit
steht die Konzeption zwar in Widerspruch zu Art. 2 AEMR 1948 („Jeder hat
Anspruch auf alle in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne
irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Re-
4 https://www.unhcr.org/dach/wpcontent/uploads/sites/27/2017/03/Genfer_Fluecht
lingskonvention_und_New_Yorker_Protokoll.pdf (24.11.2018).
124 | Grenzen de r Menschenrechte
ligion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft,
Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand“), der keinerlei Unterschiede zwischen
Personen bei der Anerkennung der Menschenrechte vorsieht, sie folgt jedoch in
jeder Hinsicht der Prämisse nationalstaatlicher Souveränität.
Auch an dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass das Problem der Abhän-
gigkeit der Menschenrechte von Staatsbürger_innenrechten also vorrangig im
konzeptuellen Zuschnitt der Menschenrechte selbst und weniger in einer defizi-
tären Verwirklichung liegt. Dennoch erschwert der Umstand, dass Menschen-
rechte unter der Bedingung nationalstaatlicher Souveränität ihre umfassende
Schutzwirkung erst als Staatsbürger_innenrechte entfalten, die konkrete Verbes-
serung der rechtlichen und politischen Situation derjenigen Menschen, die nicht
über eine Staatsbürgerschaft verfügen oder sich aufgrund von Fluchtumständen
in einem fremden Land befinden. Viele der inter- und transnationalen Verträge
der letzten Jahre führen faktisch eher dazu, die Lage von Flüchtlingen und Staa-
tenlosen zu verschlechtern, da mit ihnen die legale Grundlage geschaffen wurde
für weitreichende Abschirmungsstrategien der Industriestaaten bzw. für die
„strategy of containment“ (Stevens 2006: 65) insbesondere gegenüber Menschen
aus Ländern des Globalen Südens im Rahmen von „Frontex“ oder der „Pacific
Solution“. Statt auf die Verbesserung der Standards zur Gewährung von Asyl für
Flüchtlinge und Staatenlose und deren Integration zu fokussieren, scheinen die
wohlhabenden Staaten des Globalen Nordens sich darauf zu verlegen, Flüchtlin-
ge bereits an den Außengrenzen massenhaft abzufangen, sie zu internieren und
zu repatriieren (vgl. Hayden 2009: 82).
Aufgrund des in sozialer, politischer und ökonomischer Hinsicht so markan-
ten Unterschieds zwischen dem Staatsbürger_innenstatus und der Existenz als
Flüchtlinge oder Staatenlose vertritt Patrick Hayden die These, dass das gegen-
wärtige inter- und transnationale Rechtssystem trotz der zunehmenden Berück-
sichtigung der Menschenrechte eine Struktur globaler Apartheid hinsichtlich
der Grundrechte von Menschen darstelle (vgl. ebd.: 80). Die Abschirmung der
Staaten gegenüber Flüchtlingen und Asylsuchenden, die Internierung in Lagern
und „Abschiebeeinrichtungen“, die sich aus foucaultscher Perspektive auch als
biopolitische Strategien zur Regulierung von Bevölkerungsgruppierungen dar-
stellen lassen, können regelrecht als Maßnahmen des „Überflüssigmachens“ von
Menschen, die durch Flucht oder Staatenlosigkeit staatsbürgerlichen Schutzes
entbehren, aufgefasst werden:
„Erst am Ende eines langen Prozesses ist ihr Recht auf Leben bedroht; erst, wenn sie voll-
kommen überflüssig (‚superfluous‘) geworden sind, wenn niemand mehr gefunden wer-
Kritische Perspektiven | 125
den kann, der einen Anspruch auf sie erhebt, ist ihr Leben in Gefahr.“ (Zit. n. Brunkhorst
1999: 157; vgl. auch Arendt 1986a: 612)
Der von Arendt kritisierte konzeptionelle Zusammenhang von nationalstaatlicher
Souveränität und Grundrechten, der in den fatalen Gegensatz zwischen aus-
schließlich bürgerrechtlich geltenden Menschenrechten auf der einen und Staa-
tenlosigkeit auf der anderen Seite mündet, wird von der Menschenrechtskonzep-
tion, wie sie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948) enthält, nicht
aufgehoben. Im Gegenteil, durch den dort beibehaltenen Zusammenhang zwi-
schen Nationalstaat und Menschenrechten wird das „system of global apartheid
which establishes a permanent underclass of superfluous human beings“ (Hay-
den 2009: 86) aufrechterhalten.5
4.2 FEMINISTISCHE KRITIK
AM BEGRIFF DER AUTONOMIE
So sehr die Französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (1789)
insbesondere auch von weiblichen Theoretikerinnen des ausgehenden 18. Jahr-
hunderts (vgl. Wollstonecraft 1999; de Gouges 1999) begrüßt wird, richtet sich
ihre gleichzeitig vorgebrachte Kritik doch unmittelbar gegen deren Androzent-
rismus (vgl. Gerhard 1999: 202; Martinsen 2018a). Ausgehend von den neuzeit-
lichen Naturrechtslehren, die keine Begründung einer ursprünglichen Freiheit
von Frauen kennen (vgl. Gerhard 1990: 46ff.), bestehen androzentrische Grund-
annahmen bis zu den emanzipatorischen Erklärungen des ausgehenden 18. Jahr-
hunderts fort und liegen auch heute, wie noch zu zeigen sein wird, zentralen Be-
griffen des menschenrechtlichen Diskurses über politische Autonomie zugrunde.
In ihrer alternativen Déclaration des droits de la femme et de la citoyenne, die
1791 erscheint, gelingt Olympe de Gouges mit einem simplen Mittel eine umso
brisantere Aufdeckung der einseitigen Männlichkeitsbezogenheit der vorder-
gründig allgemein gehaltenen Formulierungen des Textes der französischen
Menschen- und Bürgerrechtserklärung: Indem sie diesen Text einfach ‚gendert‘,
kann sie anschaulich vorführen, wie umfassend Frauen durch ein schlichtes Ver-
schweigen bereits auf der sprachlichen Ebene ausgeschlossen werden. Diesem
Silencing tritt sie mit ihrer eigenen Version eines Geschlechtervertrags entgegen,
bei dem Männer und Frauen in einem ausdrücklich gleichberechtigten Verhältnis
gemeinsam eine Nation bilden und sich wechselseitig gleiche Menschen- und
5 Vgl. hierzu ausführlicher Martinsen 2015b.
126 | Grenzen de r Menschenrechte
Bürger_innenrechte zusichern (vgl. de Gouges 1999: Art. 3). Doch dem offen-
sichtlichen, weil unverblümt exklusiv an Männer adressierten, Inhalt der franzö-
sischen Erklärung liegt der Ausschluss von Frauen auf der diskursiv-konzeptuel-
len Ebene zugrunde. Entsprechend richtet sich die Kritik gegen die für die fran-
zösische Menschen- und Bürgerrechtserklärung zentrale Annahme eines abstrak-
ten Individuums: Die ihm allein aufgrund seines natürlichen ‚Menschseins‘ zu-
kommenden Rechte werden universalisiert, weil die Vorstellung eines abstrakten
und universellen Individuums auf einer stillschweigend tradierten geschlechter-
konnotierten Grenzziehung zwischen „privat“ und „öffentlich“ beruht (vgl. Mai-
hofer 1990; Klinger 1999). Aufgrund der gesellschaftlichen Verortung der Rolle
von Frauen in der häuslichen (Re-)Produktionstätigkeit bleiben sie aus dem Be-
reich der öffentlichen politischen Freiheit ausgeschlossen. Umgekehrt werden
diese dem oikos zugeordneten Tätigkeiten, gerade weil sie im Privaten stattfin-
den, als nicht von Belang für die öffentliche Sphäre angesehen (vgl. Yeatman
1996). Die bis in die Antike zurückreichende Trennung zwischen privat und öf-
fentlich bildet auch das Fundament der modernen bürgerlichen Vertragstheorien,
das Carol Pateman als „sexual contract“ (Pateman 1988) bezeichnet. Allerdings
handelt es sich um eine ‚Übereinkunft‘, die den Ausschluss von Frauen aus dem
Staatsvertrag in den Vertragstheorien des 17. und 18. Jahrhunderts impliziert und
ihren damit verbundenen Einschluss in den Raum des Privaten mit eben jenem
Rekurs auf die menschliche in diesem Falle eine weibliche und nicht allge-
mein-menschliche Natur begründet. Der Übergang zur modernen bürgerlichen
Gesellschaft, den die Menschenrechtserklärungen normativ flankieren, wird ge-
tragen von einer spezifischen neuen Form der Herrschaft über Frauen. Während
Männer der niederen Stände darauf hoffen, ihrer politischen Befreiung mithilfe
von Menschen- und Bürgerrechten entgegenzusehen, verschiebt sich für Frauen
der ehemals mittelalterlich-paternalistische Patriarchalismus zu einem bürger-
lich-eheherrlichen, der sich in den Wänden des Privaten abspielt (vgl. Gerhard
1999: 207). Diese Doppelbödigkeit der bürgerlichen Gesellschaft, die im voran-
gegangenen Abschnitt bereits an einer Identifizierung des Individuums mit dem
Bourgeois festgemacht wurde, offenbart sich also auch an einer weiteren wesent-
lichen Strukturbedingung ihrer Rechtsordnung, nämlich an der ungleichen und
untergeordneten Stellung der Frauen, die der emphatischen Sprache der Men-
schenrechtserklärungen zum Trotz aufgrund der weiter bestehenden verge-
schlechtlichten Differenzierung zwischen privater Sphäre und politischer Öffent-
lichkeit umso stärker zementiert wird. Geschlechtsspezifische und hierarchische
Arbeitsteilung und die für den Liberalismus konstitutive Trennung zwischen Ge-
sellschaft (privat) und Staat (öffentlich) stehen weiterhin in einem systemati-
schen Zusammenhang, der von der Leitidee der Moderne, dem Satz von der
Kritische Perspektiven | 127
Gleichheit aller Menschen im Sinne einer Frontstellung gegen die mittelalterlich-
feudale Herrschaftsordnung, unangetastet bleibt (vgl. ebd.: 209). Aufgrund der
vermeintlichen Naturhaftigkeit des Geschlechterverhältnisses und der damit ver-
bundenen „Unsichtbarkeit und Unwirklichkeit des Themas Geschlecht im Kon-
text von Politik und Gesellschaft“ (Klinger 1999: 13) werden die tatsächlichen
vielfältigen sozialen und ökonomischen Unterschiede im politiktheoretischen
Diskurs umso effektiver ausgeblendet. Noch Marx und Engels halten trotz radi-
kaler Kritik an Ursachen und Strukturen der bürgerlichen Konstruktion von Staat
und Gesellschaft an der ‚naturgegebenen‘ Geschlechterbinarität und deren an-
geblich essentiellen dichotomen Charaktereigenschaften fest, die Frauen eine na-
turhafte Reproduktivität und Männern die Befähigung zu Kultur und Politik zu-
schreiben. Mit dem Aufkommen des Industriezeitalters erfährt der Dualismus
von Männlichkeit-Weiblichkeit eine Neukonstituierung und damit einhergehend
die Trennung von Privatheit-Öffentlichkeit eine nachhaltige Aufwertung (vgl.
ebd.: 35ff.). Zahlreiche Frauen versuchen sich während der Französischen Revo-
lution selbst zu ermächtigen und, z.B. durch die Gründung von politischen Zir-
keln, in die Sphäre der Öffentlichkeit vorzudringen. Jedoch bekommen sie un-
mittelbar heftigen Gegenwind zu spüren und ihre Aktivitäten werden mit Ver-
weis auf die Widernatürlichkeit ihres Tuns systematisch unterdrückt. Das be-
rühmteste Beispiel stellt sicherlich die Eliminierung einer besonders kritischen
Stimme dar Olympe de Gouges muss schließlich mit ihrem Leben für ihre
Einmischung in die öffentliche Angelegenheit der Revolution bezahlen.6
Mary Wollstonecrafts persönliche Erfahrungen mit der geschlechtsspezifi-
schen Trennung von Politik und Privatem fallen im Vergleich dazu glimpflich
aus, doch auch ihre ebenfalls in Reaktion auf die Proklamation der französischen
Menschen- und Bürgerrechtserklärung und zeitgleich mit de Gouges Déclarati-
on veröffentlichte Kritik am Begriff der ‚Natur‘ von Frauen ist vehement. Die
zentrale Thematik ihrer Schrift A Vindication of the Rights of Women (1792)
widmet sich einer Analyse der sozialen Konstruktion des als natürlich ange-
nommenen weiblichen Geschlechtscharakters. Wollstonecraft sieht einen struk-
turellen Zusammenhang zwischen dem Umstand, dass Frauen in den Gesell-
schaften des ausgehenden 18. Jahrhunderts kein gleiches Recht auf Bildung zu-
gestanden wird einerseits und der vorherrschenden Annahme ihrer naturhaften
Unfähigkeit zum Gebrauch der Vernunft. Gegen die auch unter Philosophen
(vgl. u.a. Rousseau 1981; Kant 1968a) gängige Meinung von der natürlichen
6 De Gouges wurde 1793 als sogenannte Feindin der Republik verhaftet und zum Tode
verurteilt. Am 2. November des Jahres wurde sie öffentlich guillotiniert.
128 | Grenzen de r Menschenrechte
geistigen Unterlegenheit der Frau verortet sie deren eigentlichen Grund in der
Wirkung einer geschlechtsspezifischen Sozialisation:
„[M]an behandelte [die Mädchen] praktisch von Geburt an als Frauen und machte ihnen
Komplimente, statt sie zu unterrichten. Da dies den Geist schwächte, nahm man an, die
Natur habe sich bei der Schöpfung ihrer nachträglichen Laune stiefmütterlich verhalten.
(Wollstonecraft 1999: 106)
Wollstonecraft deckt die soziale Konstruktion der Geschlechternormierung auf,
wenn sie moniert, dass Frauen von frühester Jugend statt zum Denken zu Gehor-
sam und Anpassung erzogen werden. Vor dem Hintergrund, dass man Frauen
keine eigene Vernunft zugestehe,
„war es nur konsequent, sie einer Autorität zu unterwerfen, die nichts mit der Vernunft zu
tun hat. Zur Vorbereitung auf diese Unterwerfung rät Rousseau: ‚Mädchen müssen um-
sichtig und arbeitsam sein; das ist nicht alles: sie müssen sich frühzeitig an Zwang gewöh-
nen.‘ Dieses Unglück […] ist von ihrem Geschlecht untrennbar, und nie machen sie sich
von ihm los, ohne noch viel Grausameres zu erleiden.“ (Ebd.: 106)
Es dauert schließlich fast ein Jahrhundert, ehe die Grund- und Menschenrechte
von Frauen als Antwort auf ihre gesellschaftlichen Unrechtserfahrungen wieder
angerufen werden. Allerdings geschieht dies nicht mit ungeteilter Affirmation,
sondern durchaus im Bewusstsein der Ambivalenz der in die Menschenrechte
eingeschriebenen Allgemeinheit und Geschlechtsneutralität. So problematisiert
beispielsweise Hedwig Dohm den Widerspruch zwischen der proklamierten
Universalität und der Vereinseitigung ihrer Gültigkeit zugunsten von Männern
so früh wie kaum eine andere Autorin. Ihre beinahe ein wenig trotzig anmutende
Losung „Menschenrechte haben kein Geschlecht“ (Dohm 1876: 113) steht im
Kontext einer gewissen Skepsis gegenüber Versuchen, Frauenrechte als spezifi-
sche Menschenrechte zu begreifen, mit denen den geschlechtsspezifischen Un-
rechtserfahrungen von Frauen begegnet werden könnte (vgl. Gerhard 1999: 219).
Hellsichtig warnt Dohm vor der essentialistischen Falle, in die all jene zu tappen
drohen, die sich bei der Skandalisierung von weiblichen Unrechtserfahrungen
ebendieser geschlechtsbezogenen Rhetorik bedienen, durch die keine Dekon-
struktion von vergeschlechtlichten Strukturen, sondern deren Perpetuierung er-
reicht wird.
Die Erfahrung, als weiblicher Mensch aus dem Kreis der Staatsbürger_innen
ausgeschlossen zu werden, ist im 21. Jahrhundert in den meisten Ländern der
Welt nur noch eine historische. Gleichwohl kann anhand der Bemühungen femi-
Kritische Perspektiven | 129
nistischer Menschenrechtsverfechter_innen und Frauenrechtler_innen des 18.
und 19. Jahrhunderts veranschaulicht werden, welche Widersprüche hinsichtlich
der Rolle des Rechts und der Konzeption politischer Autonomie dem Ringen um
Emanzipation und Zugang zu politischer Partizipation innewohnen. De Gouges,
Wollstonecrafts und insbesondere Dohms beharrliche Forderungen nach einer
gechlechtergerechten politischen Verfassung beziehen sich hauptsächlich auf
zwei Punkte. Der erste Punkt betrifft das Problem des konkreten Ausschlusses
weiblicher Menschen aus dem Bereich des Politischen. Das Ziel besteht daher in
einer Rechtsordnung, in der es Frauen wie Männern gleichermaßen möglich ist,
in sämtlichen Angelegenheiten öffentlich zu partizipieren. Die Begründung für
eine solche Rechtsordnung basiert auf folgendem zentralen Argument: Solange
Frauen aus der öffentlichen Sphäre ausgeschlossen bleiben, kann eine politische
Gemeinschaft keine Legitimität beanspruchen. Bereits Olympe de Gouges ver-
langt, dass Frauen ebenso wie Männer als Teil der gesetzgebenden Nation aner-
kannt werden, weil sie in reproduktiver wie produktiver Form Beiträgerinnen
zum Erhalt der Nation sind. Als Minimalgewährleistung für Beteiligung an poli-
tischen Belangen fordert sie mindestens das Recht auf öffentliche Rede für Frau-
en (vgl. de Gouges 1999: Art. 10). Hedwig Dohm formuliert diese Argument
knapp hundert Jahre später schon demokratietheoretisch und nimmt gewisser-
maßen eine Erläuterung des habermasschen rechtsnormativen Erfordernisses der
Übereinstimmung von Autor_innen und Adressat_innen einer rechtlichen Ord-
nung (vgl. Habermas 1994: 134-135) vorweg, wenn sie schreibt, dass Betroffene
auch Urheber_innen von Gesetzen sein müssen, wenn diese als legitim erachtet
werden können sollen: Solange Frauen an der Abstimmung über Gesetze nicht
beteiligt würden, blieben diese per se „gegen sie, weil ohne sie“ (Dohm 1876:
166). Mit dem Problem des Ausschlusses betroffener Personen(-gruppen) aus
dem Bereich der Mitbestimmung spricht Hedwig Dohm das sogenannte Paradox
demokratischer Legitimität an, das sich heutzutage, zumindest in demokrati-
schen Rechtsstaaten liberaler, ‚westlicher‘ Prägung, mehrheitlich nicht mehr an
der Benachteiligung von Frauen festmacht. Unter normativen Gesichtspunkten
ist der historische Ausschluss des weiblichen Anteils einer Bevölkerung eventu-
ell mit der Exklusion von Nicht-Staatsbürger_innen aus dem Bereich der politi-
schen Mitbestimmung vergleichbar. Diese Annahme soll zumindest in Kap. 6.3
einer kritischen Prüfung unterzogen werden.
Der zweite Punkt betrifft die Marginalisierung und Exklusion von ‚weibli-
chen‘ Themen und Belangen aus dem Bereich des Politischen, weshalb bei der
feministischen Forderung nach gleichberechtigter Teilhabe in allen Angelegen-
heiten die Betonung auf sämtlichen Angelegenheiten liegt. Ein fundamentales
Strukturproblem des Ausschlusses von Frauen aus dem Bereich des Politischen
130 | Grenzen de r Menschenrechte
besteht genau darin, dass aufgrund der Trennung zwischen der privaten/gesell-
schaftlichen und der öffentlichen/politischen Sphäre zahlreiche Anliegen weibli-
cher Personen bzw. Themen, die dem ‚weiblichen‘, d.h. reproduktiven Bereich
zugeordnet wurden, keine Beachtung finden. Die Vorstellung, dass geschlech-
terhierarchische und -diskriminierende Strukturen allein durch die Inklusion von
Frauen und ‚weiblichen‘ Thematiken überwunden werden, erweist sich aller-
dings als kurzsichtig und auch als naiv. Aus gendersensibler Perspektive sieht
sich die Forderung nach politischer Autonomie angesichts einer vorwiegend li-
beralistisch begründeten Rechtsordnung auch heute noch mit bestimmten Prob-
lemen konfrontiert. Feminist_innen kritisieren am klassischen Begriff politischer
Autonomie zum einen die androzentrischen Implikationen des ihm zugrunde lie-
genden Konzepts des Subjekts der Autonomie. Zum anderen monieren sie den
unhinterfragten Stellenwert von Autonomie für den liberalen Ansatz von Politik.
Dabei geht es der feministischen Kritik nicht um die Verabschiedung des Auto-
nomiekonzeptes als Ganzem, sondern vielmehr um eine Revision bestimmter
Annahmen über Autonomie. Ein Problem besteht insbesondere in der Annahme
der Universalität und Neutralität des politischen Subjekts, das gemäß liberaler
Auffassung ein Recht auf Autonomie beansprucht. Gendertheoretische Analysen
zeigen jedoch, dass der Begriff des Subjekts durchaus vergeschlechtlicht konno-
tiert ist obwohl behauptet wird, das Subjekt sei in politischer, sozialer, kultu-
reller und geschlechtlicher Hinsicht neutral, zeigt sich bei genauerem Hinsehen,
dass es sich um eine in Wirklichkeit androzentrisch verzerrte Vorstellung eines
(zweck-)rationalen Individuums handelt. Aufgrund der ‚männlich‘ codierten
Konzeption des politischen Subjekts ist eine Universalisierung der mit ihm ver-
bundenen Normen die Affirmation von Rationalität, die Abstraktion von per-
sönlichen, emotionalen und fürsorgeorientierten Belangen und die Loslösung
von Abhängigkeiten jeder Art skeptisch zu bewerten, weil mit ihr eine Margi-
nalisierung und Vernachlässigung von als ‚weiblich‘ konstruierten Eigenschaften
und Werten einhergeht, die für die politischen Interessen und Anliegen von
Frauen relevant sind (vgl. Brown 1995: 157). Demgegenüber konturieren femi-
nistische Ansätze ein Autonomiekonzept, das Verbundenheit mit und Abhängig-
keit von anderen nicht negiert, sondern als sozial bedeutsamen Aspekt menschli-
chen Miteinanders begreift (vgl. Fox Keller 1986; Haraway 1995), von dem
nicht zuletzt Politik einer der wichtigsten Bestandteile ist (vgl. Sauer 2011a). Im
Rahmen einer feministischen Lesart von Autonomie wird somit an die Relevanz
von Kollektivität für den Begriff des Individuums erinnert (vgl. Friedman 2000).
Ein einseitiges Verständnis von Autonomie unter der Prämisse einer Abtrennung
von sozialen und interpersonalen Bezügen bedarf einer idealisierten Vorstellung
von Person, die sich bei eingehender Analyse aus Sicht von Feminist_innen je-
Kritische Perspektiven | 131
doch nicht als Ideal, sondern als eine Projektionsfläche für männlich konnotierte
Charaktereigenschaften (Rationalität, Unabhängigkeit, Objektivität) entpuppt.
Feministische Alternativkonzeptionen von Autonomie teilen mit traditionellen
Konzeptionen die Annahme, dass Freiheit nicht nur „nondomination“ (Pettit
2001: 5), sondern auch den tatsächlichen Zugang zu (politischer) Partizipation
eines jeden einzelnen Menschen erfordert. „[The] individual […] must not be
subject to undue influence or domination that compromises her ability to partici-
pate, and she also must actually participate (that is, the ‚capacity‘ to participate is
not enough)“ (Hirschmann 2009: 206). Zur Vermeidung von androzentrischen
Verzerrungen sei es überdies nötig, die Modalitäten von Partizipation geschlech-
tersensibel zu gestalten. Die zentrale Einsicht sei dabei, dass „politics is neither
about interests nor identities. Politics is about issues: the concrete identification
of oppressive power in specific contexts“ (Hirschmann 2009: 218). Interessant
ist die These Nancy Hirschmanns, dass Politik weder interesse- noch identitäts-
basiert, sondern über Themen und Anliegen vermittelt zu begreifen sei, insofern,
als sie essentialisierenden Menschenrechtsdiskursen über ‚Frauenrechte‘ den
Boden entzieht. Dass Unterdrückungsstrukturen und Ungleichheitsmechanismen
häufig einen Genderbias haben (vgl. Young 1990, 1996; Fraser 1994), ist jedoch
nicht nur ein Problem, das pragmatisch über eine entsprechende ‚Themenpolitik‘
anzugehen ist. Wendy Brown etwa weist darauf hin, dass die vergeschlechtlich-
ten Hierarchie- und Unterdrückungsstrukturen, die dem Recht eingeschrieben
sind, nicht einfach verschwinden, wenn Frauen an politischer Autonomie betei-
ligt werden. Im Gegenteil, die Forderung nach Rechten sieht sich mit dem fun-
damentalen Einwand konfrontiert, dass die beanspruchten Rechte zwar durchaus
helfen, bestimmte Errungenschaften zu einem „noch sicheren Besitz zu machen“
(Brown 2011a: 456), dass sie jedoch Exklusion und Unterdrückung lediglich
verringern, nicht aber eliminieren können, weil sie die Ordnung und die Mecha-
nismen ihrer Reproduktion nicht beseitigen. Dass überhaupt die Notwendigkeit,
ja der regelrechte Zwang besteht, um Rechte kämpfen zu müssen, die wiederum
z.B. Zugang zu politischer Autonomie ermöglichen, ist insofern in einer be-
stimmten radikalistischen Lesart als problematisch zu werten, als diese Rechte
dem emanzipatorischen Begehren unausweichlich den Stempel der jeweiligen
Ordnung, der sie entstammen womit hier die androzentrische bzw. partriarcha-
le Rechtsordnungen gemeint sind , aufprägen (vgl. ebd.: 455). Das feministi-
sche Begehren stößt dabei auf zwei Paradoxien, die beide dem Anspruch des
Rechts an Formalität und Neutralität im Sinne eines liberalen Politikverständnis-
ses entspringen. Dieses liberale Verständnis geht, wie bereits erwähnt, von ei-
nem abstrakten, allgemeinen Individuum als Träger_in subjektiver Rechte aus,
bleibt dabei jedoch blind gegenüber individuellen Verschiedenheiten und Unter-
132 | Grenzen de r Menschenrechte
schieden zwischen Gruppen (vgl. Young 1993: 267ff.) und tendiert dazu, ent-
sprechende Spannungen zwischen Allgemeinheit und Besonderheiten zu ver-
schleiern (vgl. Flügel-Martinsen/Martinsen 2014: 40ff.).
Die erste Paradoxie lässt sich auf folgende Formel bringen: Je neutraler bzw.
formaler die Auffassung des Rechts, als desto androzentrischer erweist es sich
zumeist. Werden beispielsweise die in gesellschaftlicher Hinsicht marginalisie-
renden und exkludierenden Implikationen des liberalen Rechts nicht genügend
reflektiert, etwa hinsichtlich seiner Tendenz, Belange des vermeintlich ‚rein‘
Privaten als irrelevant für den politischen Raum zu erachten, vermag es unter der
Vorgabe formaler Gleichheit auch nicht angemessen den geschlechtsspezifischen
Ausschlussmechanismen zu begegnen. Dies führt häufig zu einer strukturellen
Benachteiligung von als ‚weiblich‘ konnotierten Anliegen. Die zweite Paradoxie
lautet: Je geschlechtsneutraler das Recht, desto wahrscheinlicher stärkt es Vor-
rechte von Männern (vgl. Brown 2011a: 457). Die erste Paradoxie lässt sich so
lesen, dass für Frauen „Rechte haben“ in vielen Fällen nicht bedeutet, von verge-
schlechtlichter Unterordnung frei zu sein. Dahingegen besteht die (marxistisch
inspirierte) Deutung der zweiten Paradoxie darin, dass Rechte vor dem Hinter-
grund bestehender sozialer, ökonomischer und kultureller Hierarchien unter-
schiedlichen gesellschaftlichen Gruppen verschieden viel Macht verleihen und
zwar in Abhängigkeit von ihrer jeweiligen Fähigkeit, die Macht, die ein Recht
potentiell mit sich bringt, auch faktisch auszuüben. Zusammenfassend lässt sich
sagen, dass Rechte, die sich auf bestimmte Leiden, Verletzungen oder Ungleich-
heit beziehen, Betroffene auf eine entsprechende Identität festlegen, die durch
vergeschlechtlichte Unterordnung definiert ist, wohingegen Rechte, die solche
eindeutigen Zuschreibungen vermeiden, nicht nur die Unsichtbarkeit der Unter-
werfung aufrechterhalten, sondern sie verstärken. Aus diesem Grund bestehen
bei feministischen Theoretiker_innen Zweifel, inwiefern Rechte betroffene Sub-
jekte von Beschädigungen zu befreien vermögen, ohne dabei deren Identitäten,
die die Beschädigungen erzeugen, zu verdinglichen.7 Der Vorwurf gegenüber
insbesondere dem liberalen Recht bezieht sich darauf, dass es trotz seines An-
spruchs, Unrecht zu vermeiden und zu beseitigen, dies häufig nur um den Preis
einer Entpolitisierung zu leisten vermag (vgl. ebd.: 471). Angesichts der dem
Recht eingeschriebenen Blindheit gegenüber vergeschlechtlichten Hierarchien
erweist sich die Inanspruchnahme des Rechts als Verhinderung einer nachhalti-
gen politischen Transformation (vgl. Marshall 2009: 88), weil Rechte vielfach
lediglich bestehende Privilegien, z.B. derjenigen, die ohnehin Teilhabe an der
Öffentlichkeit haben, unterstützen, statt deren Strukturen so aufzubrechen, dass
7 Vgl. Brown 2011a: 458ff.; Mullally 2006; Real 2011.
Kritische Perspektiven | 133
auch Marginalisierte Zugang zu ihr erlangen. Solange sogenannte ‚weibliche Be-
lange‘ (und analog dazu trifft dies auch für die Belange von Exkludierten zu)
nach wie vor in den Raum des Privaten verwiesen werden, weil ihre Anliegen als
nicht zur öffentlichen Sphäre zugehörig zählen, bleibt eine grundlegende Ände-
rung der bestehenden Strukturen, insbesondere derjenigen des internationalen
Staatensystems, aus:
„[I]n the international arena, the traditional domain of ‚rights talk‘ has focused on what
states are doing in terms of violating their citizens’ human rights in the public sphere. In
this domain women are disadvantaged because many violations of their rights, particularly
those that only, or usually only, happen to women, are invisible because they happen out-
side the public sphere. (Ebd.: 89)
Aus Sicht etlicher Feminist_innen sind daher diejenigen Menschenrechtskonzep-
tionen abzulehnen, die politische Rechte vornehmlich als Rechte des öffentli-
chen Raums auffassen, womit Personen und Lebensbereiche, die der privaten
Sphäre zugeordnet werden, vernachlässigt werden. Umso wichtiger ist eine fe-
ministische Analyse der strukturellen und systematischen Diskriminierungswei-
sen, die insbesondere Menschen, deren Existenzweise stark von Familienbin-
dungen oder von (re-)produktiver Tätigkeit abhängig ist, betreffen. Sie verhin-
dern häufig, dass die öffentlich-politische Dimension dieser Tätigkeiten und Le-
bensbedingungen sichtbar gemacht wird. Nicht nur nationalstaatlichem, sondern
insbesondere auch internationalem Recht muss aus feministischer Sicht attestiert
werden, dass es ebenfalls von der Widersprüchlichkeit gekennzeichnet ist, auf
der einen Seite Werte wie Freiheit und Menschenwürde zu propagieren, auf der
anderen Seite in vielen Fällen die vermeintlich rein privaten Belange von Perso-
nen nicht genügend zu beachten und damit die eigenen Zielvorstellungen und
normativen Vorgaben hinsichtlich des Schutzes individueller Freiheit zu verlet-
zen, weil sie nicht den androzentrischen Vorstellungen von Freiheit und Auto-
nomie entsprechen (vgl. Romany 1993: 87ff.). Mit Wendy Brown ist daher an
dieser Stelle erneut darauf zu verweisen, dass die Berufung auf Menschenrechte
so lange fruchtlos in Bezug auf eine tatsächliche Überwindung von Strukturen
der Benachteiligung und Ungerechtigkeit bleibt, wie die dem Recht inhärenten
Strukturen der Exklusion nicht beseitigt werden können. Unter den Bedingungen
einer nationalstaatlich verfassten Weltordnung besteht das Problem der Men-
schenrechte besteht darin, dass sie Individuen keinerlei Möglichkeit zur politi-
schen Partizipation jenseits von Nationalstaatlichkeit und damit keine Möglich-
134 | Grenzen de r Menschenrechte
keit der politischen Entscheidung über die Inhalte von (Menschen-)Rechten jen-
seits des Nationalstaates bieten.8
Siobhan Mullallys Einschätzung des universalistischen Anspruchs fällt hin-
sichtlich seiner Potentiale für eine feministisch-emanzipatorische Konzeption
politischer Autonomie entsprechend ambivalent aus. Die Versuche feministi-
scher Theoretiker_innen wie z.B. Seyla Benhabib, diskurstheoretische Ansätze
für eine gendersensible Rekonstruktion universalistischer Normen fruchtbar zu
machen (vgl. Benhabib 1992), bewertet Mullally dabei als durchaus verdienst-
voll. Unter Berücksichtigung immanenter Kritik könnten mithilfe eines Konzepts
von Intersubjektivität universelle Normen wie z.B. politische Autonomie so neu
definiert werden, dass diese verstanden werden können als allgemeingültige An-
sprüche auf institutionelle Bedingungen, die gegeben sein müssen, damit man als
gleichberechtigtes Mitglied einer Gesellschaft behandelt wird (vgl. Kreide 2008:
8 Ein wichtiger Punkt sollte bei aller Kritik jedoch nicht übersehen werden. Eine umfas-
sendere Inklusion von Frauen in politische Prozesse bzw. der erstmalige Zugang für
Frauen zur politischen Partizipation erfolgt z.B. in Transitionsprozessen durchaus im
Rahmen von Staatsbürger_innenrechten (vgl. Rubio-Marín 2009: 65; Hitzel-Cas-
sagnes/Martinsen 2014: Kap. 3.3.3-3.3.4, 3.4 u. 4.3.1; Zulu 2000; Martinsen 2018b).
Darüber hinaus ist zu konstatieren, dass bestimmte UN-Resolutionen, allen voran die
Resolution 1325 aus dem Jahre 2000, die besondere Bedeutung politischer Partizipati-
on im Sinne eines Erfordernisses der (Geschlechter-)Gerechtigkeit anerkennen. Die
Resolution 1325 ist die erste, die sich mit den geschlechtsbezogenen Auswirkungen
bewaffneter Konflikte auf die weibliche Zivilbevölkerung beschäftigt. Ihre Verab-
schiedung stellt daher gewissermaßen einen ‚Meilenstein‘ im Hinblick auf die poli-
tisch-rechtliche Anerkennung von geschlechtsspezifischen Leid-phänomenen und eine
geschlechtersensible Friedens- und Sicherheitspolitik dar. Mit der Verabschiedung der
Resolution 1325 wurde eine entscheidende Vorgabe zur Beachtung von geschlechts-
spezifischen Erfordernissen in der Konfliktbewältigung und -prävention geschaffen
(vgl. S/RES/1325, 31.10.2000). Zwar ist zu kritisieren, dass die Hervorhebung der Re-
levanz einer politischen Beteiligung von Frauen in Kontexten, in denen sie vormals
ausgeschlossen waren, teilweise instrumentelle Züge trägt, weil insgesamt von einer
befriedenden Wirkung der transformationsfördernden Maßnahmen nicht zuletzt über
die akute Konfliktsituation hinaus auch hinsichtlich des Weltfriedens ausgegangen
wird. Gleichwohl ließe sich die Befürwortung der Förderung politischer Partizipation
durchaus eher innerhalb eines menschenrechtlichen, weil allgemeiner auf Frieden und
Sicherheit abzielenden Diskurs denn im Rahmen einer rein staatsbürgerlichen Be-
gründung verorten. Dieser Lesart stünde jedoch der vereinseitigende Fokus auf Frauen
entgegen, der selbst wiederum damit keinen Anspruch auf Universalität erheben kann.
Kritische Perspektiven | 135
180/181) d.h. sofern von der Annahme einer internen Verklammerung von
Menschenrechten und demokratischen Partizipationsformen auszugehen ist (vgl.
Mullally 2006: xxxiii, xli; auf diesen Punkt wird in Kap. 6 noch ausführlicher
eingegangen). Shirin M. Rai hingegen zeigt sich skeptisch gegenüber allzu ho-
hen Erwartungen an menschenrechtlich begründete Konzeptionen von Partizipa-
tion. Sie betrachtet die gängige Vorstellung, dass Partizipation „good in itself“
sei (Rai 2006: 15), als unhinterfragten Mythos, denn in der Realität gehen Inklu-
sionsstrategien, die bestimmte Personengruppen begünstigen, wiederum häufig
mit Exklusionen gegenüber anderen Personenkreisen einher, was sich vielfach
für letztere als destabilisierend auswirke (vgl. ebd.: 16). Radikale Feminist_in-
nen sehen daher zunächst die Bekämpfung und Überwindung des liberalen
Trennungsparadigmas (Politik versus Gesellschaft) als prioritär an, erst danach
könne demokratische Partizipation gendersensibel und -gerecht gestaltet werden.
In diesen Ansätzen erhält also die Transformation der grundlegenden Bedingun-
gen politischer Prozesse den Vorrang vor der Inklusion von weiblichen Men-
schen in bestehende Strukturen. Rai, die selbst eine eher moderate Position ein-
nimmt, plädiert dennoch nachhaltig dafür, eine simultane Demokratisierung so-
wohl der politischen als auch der gesellschaftlichen Sphäre anzustreben. Gemäß
der in den 1970er Jahren während der sogenannten Zweiten Frauenbewegung in
den westlichen Industriestaaten prominent gewordenen Losung „making the pri-
vate public“ (Rai 2006: 18) hält sie dies auch durchaus für praktisch realisierbar.
Eine wechselseitige Perforierung der Trennlinie zwischen gesellschaftlicher und
politischer Sphäre erscheint daher vielen feministischen Theoretiker_innen un-
abdingbar für eine Revision politischer Autonomie (vgl. u.a. Benhabib 1992;
Hohmeyer 1998). In dieser Lesart erscheinen gesellschaftliche Prozesse, die die
Bereiche Arbeit, Ökonomie, Haushalt, Fürsorge oder interpersonelle Beziehun-
gen umfassen, nicht als Gegenstück zum Staat bzw. zu institutionalisierten poli-
tischen Foren, sondern als mit ihm verwobene, und vor allem: umstrittene Räu-
me der Auseinandersetzung, die das Trennungsdispositiv zwischen „privat“ und
„öffentlich“ konterkarieren. Durch das Hereinbringen sozial-partizipativer Pra-
xen in den Raum des Politischen erhofft sich z.B. Birgit Sauer eine Vitalisierung
der demokratischen Politik, die eines der zentralen Probleme liberaler Demokra-
tien, nämlich die Verschleierung sozialer und ökonomischer Ungleichheiten
durch formale Repräsentationsstrukturen, zu überwinden vermag (vgl. Sauer
2011a: 131ff., 2011b: 36f.).
Die feministische Kritik am Begriff politischer Autonomie bezieht sich also
zum einen auf eine vereinseitigende Zumessung seiner Bedeutung für den Be-
reich der Öffentlichkeit unter Vernachlässigung der marginalisierenden Auswir-
kungen bestimmter vergeschlechtlichter Lebens- und Themenbereiche, die der
136 | Grenzen de r Menschenrechte
Sphäre des Privaten zugeordnet werden. Zum anderen moniert die feministische
Kritik die androzentrischen Implikationen des Begriffs politischer Autonomie
selbst, der mehr oder weniger unterschwellig von einem männlichen Subjekt
ausgeht (vgl. Young 1993; Brown 1995). Das gemäß dem liberalen Politikver-
ständnis zwar vordergründig als universell und neutral konzipierte Subjekt er-
weist sich bei genauerer Analyse, wie wir gesehen haben, aber als vergeschlecht-
licht. Die Charaktereigenschaften des Subjekts politischer Autonomie beschrei-
ben ein Wesen, das, herausgelöst aus sozialen und Nahbeziehungen, rational und
zweckorientiert agiert und seine Interessen an den eigenen Zielen ausrichtet statt
an den Belangen anderer womit unter den Bedingungen einer geschlechtsspe-
zifischen Sozialisation, wie sie in den meisten Kulturen nach wie vor Praxis ist,
mehrheitlich Männlichkeitsnormen verstanden werden. Diesem Genderbias des
liberalen Politik- und (Menschen-)Rechtsverständnis setzen feministische Ansät-
ze Alternativen entgegen. Martha Nussbaum etwa beansprucht mit ihrem Capab-
ilities-Approach (vgl. u.a. Nussbaum 1999: 176-226 sowie 2000), dem liberalen
Trennungsparadigma und seinen vergeschlechtlichten Konnotationen dadurch zu
entgehen, dass sie der Rolle von individueller Autonomie zwar durchaus eine
wichtige Bedeutung beimisst, sie aber nicht zum Schlüsselbegriff ihrer Liste
universeller menschlicher Fähigkeiten macht (vgl. Nussbaum 1993: 342-343).
Problematisch an Nussbaums Fähigkeiten-Ansatz ist jedoch, dass sie mit ihm
das Konzept der Menschenrechte insgesamt suspendiert (vgl. Ehrmann 2009:
94), mit der sich trotz vielfältiger Kritik durchaus feministische Hoffnungen auf
eine geschlechtergerechte Konzeption von Politik verbinden nicht zuletzt unter
nicht-essentialisierender Berücksichtigung von bestimmten Rechten, die ge-
schlechtsspezifische Benachteiligungen in den Blick nehmen. Damit gibt sie je-
doch die Chance einer politischen Konzeption der Menschenrechte auf, denn die
Verlagerung des gerechtigkeitstheoretischen Diskurses weg von Menschenrech-
ten hin zu menschlichen Fähigkeiten führt eher zu einer Depolitisierung denn zu
einer politischen Ermächtigung (vgl. Ehrmann 2009: 94). Betroffene von (globa-
lem) Unrecht und struktureller Benachteiligung, denen Nussbaums Interesse gilt,
wie sie in vielen ihrer Texte im Rekurs auf die Entwicklungsarbeit in Ländern
des Globalen Südens beweist, werden nicht in ihrem Anspruch auf umfassende
politische Handlungsfähigkeit bestärkt. Vielmehr zielt Nussbaums Ansatz ledig-
lich auf die Unterstützung basaler Fähigkeiten, die allerdings im Kontext einer
neo-aristotelischen Ethik des guten Lebens begründet werden und sich nicht ex-
plizit auf ein politisches Empowerment beziehen.
Kritische Perspektiven | 137
4.3 POSTKOLONIALE KRITIK
AM BEGRIFF DES UNIVERSALISMUS
Wenn darüber diskutiert wird, ob, und wenn ja, inwiefern Menschenrechte einer
inhaltlichen und/oder einer konzeptionellen Revision unterzogen werden sollen,
stellt sich aufgrund sowohl ihres historischen Entstehungskontextes als auch ih-
rer Verortung im ‚westlichen‘ bzw. eurozentrischen Denken stets auch die Frage
nach ihren imperialen und hegemonialen Implikationen. Die Frage, ob „the noti-
on of human rights a western concept“ (Panikkar 1982: 75; vgl. auch Galtung
1994: 9f.) sei, wird heutzutage allenfalls als rhetorische aufgefasst, weil im aka-
demischen Diskurs der Zusammenhang zwischen der Genese des modernen Na-
turrechtsdiskurses und seiner abendländisch-eurozentrischen Denktradition von
niemandem ernsthaft bestritten wird. Gleichwohl fällt die Bewertung der histo-
risch informierten Kenntnis über den Entstehungskontext der Menschenrechte
unterschiedlich aus. Kulturrelativistische bzw. partikularistische Positionen be-
streiten etwa, dass die für den Diskurs der Aufklärung so zentrale Annahme der
Gültigkeit von Menschenrechten universalisiert werden könne, und zwar genau
aus dem Grund, dass sie aufgrund ihrer Situierung im bürgerlich-weiß-euro-
päischen Diskurs nicht überzeitlich und transkulturell geteilt werden könne. Ge-
gen die Annahme universeller Gültigkeit der Menschenrechte werden u.a. Ar-
gumente bezüglich des Eurozentrismus, des Imperialismus, des Anti-Pluralismus
und des Individualismus angeführt (vgl. Pollmann 2009: 39ff.; Da Silva 2001),
die als nicht vereinbar mit der Vielfältigkeit der Auffassungen vom Menschen
und seiner Einbindung in kulturelle Kontexte angesehen werden. Der Streit um
die Möglichkeit der Universalisierbarkeit der Gültigkeit von Menschenrechten
hat im moralphilosophischen und politiktheoretischen Diskurs eine ausgiebige
Beschäftigung erfahren allerdings über einen langen Zeitraum ohne spezifizie-
rende postkolonialistische Reflexion (vgl. Pollmann 2008, 2009). Aus postkolo-
nialer Sicht erscheint jedoch der akademische Diskurs über die Universalität von
Menschenrechten insofern als westlicher Chauvinismus, als er als Diskurs des
globalen Westens bzw. Nordens bestimmte Werte vorgibt ohne eine Vergewisse-
rung, geschweige denn intersubjektive Reflexion darüber zu leisten, ob diese
Werte tatsächlich auch von nicht-westlichen Perspektiven geteilt werden.
Verteidiger_innen eines universalistischen Menschenrechtsansatzes wiede-
rum erwidern relativistischen Einwänden, dass diese in unstatthafter Weise die
Geltung von Normen von ihrer Genesis abhängig machten (vgl. Schwerdtfeger
1999: 37). Mit dem Verweis auf die Differenz von Genesis und Geltung macht
es sich die Befürwortung der Universalitätsthese dennoch zu einfach. Denn der
Blick in die Ideengeschichte zeigt, dass bereits hier bestimmte problematische
138 | Grenzen de r Menschenrechte
Konnotationen dem Begriff von Universalität eingeschrieben werden, die dem
ihm inhärenten Genderbias, der im vorangegangenen Abschnitt bereits beleuch-
tet wurde, ähneln. Es handelt sich hierbei um die Erkenntnis, dass sich der ver-
meintlich neutrale und unschuldige Universalismusanspruch bereits bei seinem
historischen Auftreten als spezifisch europäischer kultureller Partikularismus
entpuppt. Und unter der Maßgabe formaler Egalität ignoriert er nicht nur sowohl
die sozioökonomischen als auch die vergeschlechtlichten Machtstrukturen euro-
päischer und nordamerikanischer Gesellschaften, sondern invisibilisiert regel-
recht deren inegalitäre Auswirkungen auf der Basis eines kolonialistischen und
rassistischen Menschenbildes. Die Verkündung egalitärer und universeller Rech-
te im 18. Jahrhundert verleugnet bestimmte gesellschaftliche Asymmetrien, die
zwar in den europäischen und nordamerikanischen Gesellschaften selbst im Zu-
ge der Unabhängigkeitsbestrebung (USA) und der Revolutionen (u.a. England,
Frankreich, Polen) in Bezug auf die sozialen Unterschiede thematisiert werden.
In der Diskussion über universelle Rechte wird jedoch die zeitgleiche Marginali-
sierung und Diskriminierung von Nicht-Weißen verdrängt. So entpuppen sich
die proklamierten Rechte etwa der französischen Menschen- und Bürgerrechts-
erklärung entsprechend lediglich als Rechte weißer besitzender Männer. Deut-
lich wird dies nicht zuletzt daran, dass etwa die Revolution und die Kämpfe um
eine neue Verfassung in Haiti (1791-1804) bis heute nicht in die Geschichts-
schreibung über revolutionäre Erhebungen im Kontext der Entwicklung der
Menschenrechte aufgenommen wurden (vgl. u.a. Buck-Morss 2011).
Die Blindheit des Universalismusanspruchs gegenüber seinen kolonialen und
rassistischen Implikationen lässt sich, wie gesagt, bis zu den Anfängen des mo-
dernen Naturrechts- und Menschenrechtsdenkens zurückführen. John Lockes
Konzeption natürlicher Rechte aller Menschen enthält den Widerspruch, dass ei-
nerseits menschliche Gleichheit eine normative Prämisse darstellt, andererseits
jedoch bestimmte koloniale Praktiken durchaus gerechtfertigt werden, obwohl
sie diesem Gleichheitsgebot diametral entgegenstehen. Überdies stehen sie auch
in Opposition zur liberalen Verurteilung von Rassismus, Sklaverei und der Ko-
lonisierungspraktiken etwa der Spanier auf dem südamerikanischen Kontinent,
deren Brutalität und Tendenz zur Eliminierung ganzer Bevölkerungen Locke ex-
plizit kritisiert (vgl. Locke 1952: § 180; Parekh 1995: 88, 91). Abgesehen davon,
dass liberale Theoretiker wie John Locke oder John Stuart Mill von den wirt-
schaftlichen Erträgen der Kolonien persönlich zu profitieren vermochten (vgl.
Arneil 1994: 609; Parekh 1995: 81, 92f.), lassen sich paradoxale Implikationen
des liberalen Universalismus der Menschenrechte auch auf der begrifflichen
Ebene ausmachen. Es beginnt damit, dass Locke einen qualitativen Unterschied
zwischen dem spanischen und dem englischen Verhalten gegenüber indigenen
Kritische Perspektiven | 139
Bevölkerungen auf beiden amerikanischen Kontinenten zu sehen meint, doch
dies nicht so sehr, weil er eventuell aus persönlichen Interessen oder zumindest
aus Verbundenheit gegenüber den Interessen seines Mentors und Arbeitgebers
Shaftesbury parteilich ist. Die Kolonisierung und insbesondere die Landnahme
auf dem nordamerikanischen Kontinent steht deshalb für ihn nicht im Wider-
spruch zur universalistischen Annahme gleicher Rechte aller Menschen auf der
Welt, weil Indigene aufgrund ihres Mangels an zivilisierter Entwicklung nicht
als ebenbürtig anerkannt werden müssen. Obwohl die indigenen Stämme der
nordamerikanischen Ostküste sich selbst als körperschaftlich verfasste Völker
bzw. Nationen ansehen, spricht Locke ihnen diese Selbstwahrnehmung ab, weil
sie keine Vorstellung von politischer Souveränität nach europäischem Modell
kennen. Aus Lockes externer Perspektive bilden sie damit keine politische Auto-
rität aus und lassen keine kollektive Identität erkennen, die sich in einer stam-
mesübergreifenden gemeinsamen Sprache oder einer gemeinsamen distinkten
Kultur ausdrücke.
Ein zentraler Widerspruch offenbart sich augenscheinlich in dem Umstand,
dass John Locke, der ja ausdrücklich und im Unterschied zu Thomas Hobbes
dafür argumentiert, dass das Recht auf Eigentum bereits vorstaatlich gilt, genau
dieses natürliche Recht den Indigenen letztlich abspricht, obwohl er betont, dass
auch ihnen die Rechte auf Leben, Freiheit und Eigentum zuzusprechen seien.
Locke konterkariert seine eigene Argumentation, wenn er als Grund für die Le-
gitimität der Landnahme in Nordamerika angibt, dass im Falle der Indigenen
keine territoriale Integrität zu vermuten sei (vgl. Locke 1952: §§ 107 u. 108;
Parekh 1995: 87). Offensichtlich meint Locke zu der Annahme berechtigt zu
sein, dass die sogenannten ‚Indianer‘ als ‚Wilde‘ nicht über die Fähigkeit verfü-
gen, sich selbst zu zivilisieren. Die Annahme einer niedrigeren menschlichen
Entwicklungsstufe der indigenen Kultur leitet Locke nämlich ausgerechnet aus
dem Umstand ab, dass die indigenen Stämme offenbar keine Notwendigkeit in
der Markierung (= Umzäunung) ihres Landbesitzes sehen und ebenso offensicht-
lich der Idee des Individualeigentums keine Bedeutung beimessen. Der Maßstab
zur Beurteilung von Zivilisation wird also von der Prämisse des Eigentums abge-
leitet. Kollektiven Gebrauch des Bodens im Sinne einer Allmende hingegen gilt
in den Augen Lockes nicht einmal als eine alternative Variante des Umgangs mit
Land, sondern schlichtweg als Ausdruck minderentwickelter Kultur. Anders als
die als rücksichtslos und gewaltbereit wahrgenommenen spanischen Kolonisato-
ren plädiert Locke u.a. für den Kauf indigenen Bodens, um die ehemaligen Be-
sitzer (die seiner Auffassung nach nicht einmal einen Begriff von diesem Besitz
haben) zu Angestellten der englischen Landeigentümer zu machen, wovon beide
Seiten nach Lockes Vorstellung nur profitieren könnten (vgl. ebd.: 88). Mit dem
140 | Grenzen de r Menschenrechte
eingeschränkten europäischen Blick, den Locke auf die menschliche Natur wirft,
erscheinen die Lebensformen der Indigenen als abweichend von den naturrecht-
lichen Vorstellungen, und zwar insbesondere hinsichtlich des angeblich eviden-
ten natürlichen Bedürfnisses nach Individualeigentum (vgl. Locke 1952: §§
25ff., 30). Umso problematischer ist darum seine unkritische Universalisierung
spezifischer Merkmale der englischen Lebensweise. Der kolonialistische und
rassistische Grundimpuls des beginnenden Menschenrechtsdenkens kann somit
folgendermaßen charakterisiert werden: „From its inception the natural right to
property is defined in such a way as to exclude non-Europeans from being able
to exercise it. (Arneil 1994: 609) Anhand anderer historischer Beispiele lässt
sich erkennen, dass das Gebot der Gleichheit nicht nur eine kolonialistische
Blindstelle enthält, sondern zudem rassistisch verfasst ist. Während den Indige-
nen das Recht auf das eigene Leben gemäß ihren eigenen kulturellen Vorstel-
lungen verwehrt bleibt, wird, wie aus einem Brief George Washingtons aus
dem Jahr 1790 hervorgeht, z.B. der jüdischen Gemeinde auf Rhode Island das
Recht auf „Ausübung ihrer eingeborenen natürlichen Rechte“ (zit. n. Schwerdt-
feger 1999: 27) gewährt. Die Gleichberechtigung von Juden, im alten Europa
nicht gerade eine Selbstverständlichkeit, wird, so scheint es, vor dem Hinter-
grund einer Abgrenzung gegenüber Nicht-Weißen als Zeichen zivilisierter
Koexistenz möglich.
Der bereits in Abschnitt 4.1 angesprochene Versuch einer Rechtfertigung der
Asymmetrie zwischen ‚Zivilisierten‘ und ‚Wilden‘, der im Diskurs über natürli-
che Rechte zur Sprache kommt, zeugt von einem regelrecht zynischen Selbstver-
ständnis weißer Europäer_innen. Während erstere sich aus ihrer vermeintlichen
Überlegenheitsposition im Recht sehen, Indigene zu versklaven, auszubeuten
und in einen Zustand politischer Unmündigkeit und wirtschaftlicher Abhängig-
keit zu zwingen, können letztere allenfalls das Recht beanspruchen, moralischen
Schutz zu erhalten. Locke spricht ihnen aufgrund des Fehlens nationalstaatlicher
Strukturen das Recht auf politische Anerkennung als Ebenbürtige ab, wenn-
gleich er ihnen jedoch durchaus moralischen Respekt zollt, woraus ein Recht auf
Schonung resultiert (vgl. Parekh 1995: 92). Es ist genau jene Spannung zwischen
dem universell gültigen moralischen Anspruch des Individuums auf Menschen-
rechte und dem Bedarf an politischer Gewährleistung dieser subjektiven Rechte
durch Institutionen, die sich in der gegenwärtigen internationalen Menschen-
rechtspraxis wiederfindet. Transnationale Menschenrechtsanliegen werden, wie
bereits erwähnt, mehrheitlich unter dem Rubrum der humanitären Intervention
behandelt. Die diskriminierenden, marginalisierenden und exkludierenden Me-
chanismen sind dem Begriff des Universalismus somit nach wie vor einge-
schrieben und zwar auf der begrifflichen wie auf der inhaltlich-konkreten Ebe-
Kritische Perspektiven | 141
ne, denn die Ausgeschlossenen sind unter den derzeitigen Bedingungen des Sys-
tems von Nationalstaaten weiterhin mehrheitlich Nicht-Weiße. Flüchtlinge, Staa-
tenlose und Migrant_innen befinden sich in den Ländern des Globalen Wes-
tens/Nordens häufig in der Position der ‚Anderen‘, und diese Position ist nicht
nur ökonomisch, sozial und kulturell markiert, sondern zudem nicht ‚zufällig‘
auch anhand ihrer Hautpigmentierung. Die Folgen der Kolonisierung des globa-
len Südens über mehrere Jahrhunderte hinweg finden ihren Ausdruck in massen-
hafter Verarmung, ökonomischen Ausbeutungsverhältnissen, politischer Instabi-
lität, Staatszerfall und vielfältigen Formen der Rechtsunsicherheit bis hin zu ro-
hen Formen der Gewaltanwendung in Kontexten von kriegerischen Konflikten
und sozialen Unruhen. Diejenigen Personen, die ihre Chance auf menschenwür-
dige Lebensbedingungen außerhalb ihrer Herkunftsländer suchen oder aufgrund
von Verfolgung keine andere Wahl als Flucht haben, erleben die ‚unbeabsichtig-
te‘ Inegalität universeller Rechte konkret am eigenen Leib, obwohl es sich doch
‚lediglich‘ um ein begriffliches Problem der Vermittlung von Partikularität und
Universalität handelt. Bei einer ausbleibenden Reflexion über die der Universali-
sierung bestimmter Werte inhärenten diskriminierenden Implikationen seien
diese Werte nun ‚abendländischen‘, ‚europäischen‘ oder ‚westlichen‘ Ursprungs
können die geschilderten inegalitären Auswirkungen des menschenrechtlichen
Universalitätsanspruchs als den Menschenrechten rein äußerlich bleibende Prob-
leme klassifiziert werden. Dabei wird ausgeklammert, dass bereits die für das
Menschenrechtsdenken zentralen Begriffe wie der des Individuums und der poli-
tischen Autonomie in einem Licht erscheinen, das aufgrund ihrer kolonialen,
imperialen und rassistischen Implikationen durchaus Schatten wirft. Aus diesem
Grund fordern Autor_innen wie Alex Cistelecan, Ratna Kapur, María do Mar
Castro Varela oder Nikita Dhawan, um nur einige exemplarisch zu nennen, dass
die Geschichte der Menschenrechte statt ausschließlich aus einer Perspektive des
Siegeszugs einer europäischen (‚weißen‘) Aufklärung auch aus der Perspektive
transnationaler Flüchtlinge erzählt werden sollte (vgl. Cistelecan 2011: 5; Kapur
2006: 686; Castro Varela/Dhawan 2014), um eine postkoloniale Perspektive auf
die „discriminatory universality“ (Kapur 2006: 673, 2011: 36) zu ermöglichen.
Doch genau an jenen, die allenfalls auf den moralischen Titel der Menschenrech-
te Anspruch haben und aus dem Bereich politischer Mitsprache ausgeschlossen
bleiben, wird deutlich, wie problematisch es ist, für Betroffene zu sprechen, an-
statt sie selbst ihre Belange artikulieren zu lassen. Solange der Raum, in dem Be-
troffene selbst handeln und sprechen können, versperrt wird, behält das Sprechen
und Handeln in deren Namen stets einen paternalistischen Beigeschmack. Echte
Partizipation ohne kolonialen und rassistischen Bias besteht in einem Recht auf
Mitsprache.
142 | Grenzen de r Menschenrechte
Ratna Kapur setzt sich daher für eine differenzierte Sichtweise auf den uni-
versalen Anspruch der Menschenrechte ein und plädiert nachdrücklich für eine
Reflexion der Implikationen einer discriminatory universality. Kapur geht davon
aus, dass der vor allem in den öffentlichen Debatten westlich-liberaler Gesell-
schaften geführte Diskurs über Menschenrechte auf der Annahme beruht, dass
alle Menschen gleichermaßen dazu berechtigt sind, Menschenrechte für sich zu
reklamieren. Aus dieser Perspektive sind Menschenrechte die Rechte, die auf der
Basis der Kriterien Objektivität, Neutralität und Inklusivität allesamt Werte der
Aufklärung allen Menschen in gleicher Weise zukommen. Doch offenbart sich
die Geschichte der Aufklärung, in deren Zuge die Ideen der Gleichheit und Uni-
versalität prominent wurden, zugleich als ein Zeitalter mit extrem exkludieren-
den und marginalisierenden Praktiken gegenüber nicht-europäischen Menschen,
die als ‚Andere‘ (‚others‘) aus dem Geltungsbereich der Menschenrechte fak-
tisch ausgeschlossen wurden. Während weiße Europäer_innen um Freiheit und
Gleichheit rangen, wurden die ‚Anderen‘ weiterhin unterworfen, versklavt und
ausgebeutet ohne, dass dies, wie bereits am Beispiel von Lockes Theorie der
natürlichen Rechte des Menschen erläutert, als Widerspruch wahrgenommen
wurde. Fortwährend transportieren die aufklärerischen und als fortschrittlich gel-
tenden Ideale ihr geschichtliches Erbe einer Abgrenzung gegenüber dem ‚Wil-
den‘ und ‚Unzivilisierten‘ bis in die Gegenwart hinein und perpetuieren sie,
wenngleich durchaus in jeweils veränderter Gestalt. Diese ‚other side of univer-
sality‘ gelte es daher genauer in den Blick zu nehmen, denn „[w]hile there is
some concern over the universalist claims of human rights in light of the harms
and exclusions that have characterised its liberal antecedents, there remains a
deep commitment to the project and faith in its universal application“ (Kapur
2006: 673). Die gewaltförmigen Unterdrückungs- und Ausschlussmechanismen
der Kolonialisierungsprozesse werden dabei tatsächlich als historisch uninfor-
mierte Inkonsistenzen eines ‚an sich richtigen‘ Liberalismus verstanden. Doch
scheitern Versuche, einen nicht-diskriminierenden Liberalismus von einer aus
historischen Gründen verfehlten Variante zu trennen und auf die progressiven
Elemente liberaler Theorien zu verweisen, die nicht zuletzt auch die Unabhän-
gigkeitsbestrebungen von kolonisierten Völkern und unterdrückten Menschen
unterstützen und bestärken. Die Verkopplung des Internationalen Rechts mit
dem humanitären Eifer in Bezug auf die ‚Rettung‘ (vermeintlich) unentwickelter
Völker ist selbst das Ergebnis einer kolonialistischen Sichtweise auf das globale
Gefüge von Staaten, in dem die Länder des Globalen Nordens, insbesondere die
Staaten Europas, als Zivilisierte (resp. ‚Entwickelte‘) und die Länder des Globa-
len Südens als Unzivilisierte (resp. ‚Unentwickelte‘) gelten. Eine kritische Be-
standsaufnahme der historischen und aktuellen Entwicklungen im Internationa-
Kritische Perspektiven | 143
len Recht und in den Internationalen Beziehungen zeigt dabei bestimmte Gren-
zen insbesondere des liberalen Menschenrechtsdenkens auf, die, wie bereits er-
wähnt, von Autor_innen wir Ratna Kapur als dessen ‚dark side‘ bezeichnet wer-
den:
„Assertions about the universality of human rights simply deny the reality of those whom
it claims to represent and speak for, disclaiming their histories and imposing another’s
through a hegemonising move. Thus, the liberal tradition from which human rights have
emerged not only incorporates arguments about freedom and equal worth but and this is
the core of my argument it also incorporates arguments about civilisation, cultural
backwardness, racial and religious superiority. Further human rights remain structured by
this history. This dark side is intrinsic to human rights, rather than something that is mere-
ly broken and can be glued back together.(Ebd.: 675)
Die Ambivalenz, mit der Kritiker_innen der vornehmlich aus der liberalen Tradi-
tion stammenden Auffassung von Menschenrechten gegenüberstehen, bezieht
sich vor allem auf das Konzept der „white male subjectivity based on a normati-
ve construction of the category ‚human‘“ (Suàrez-Krabbe 2014: 211). Dieses
bleibt auf der begrifflichen Ebene zunächst unauffällig, erweist sich aber in real-
politischen Prozessen insofern als imperialistisch und/oder exkludierend, als mit
der spezifischen „race-gender-normativity“ (ebd.: 223), die in die Kategorie
‚Mensch‘ eingelassen ist, bestimmte Maßnahmen wie z.B. humanitäre Interven-
tionen zur ‚Rettung von bedrohten Frauen‘ in muslimisch geprägten Ländern ge-
rechtfertigt werden, ohne dass das entsprechende paternalistisch-patriarchale
‚saving women‘-Narrativ selbst kritisch reflektiert wird. Im Gegenteil, stattdes-
sen wird eine Rhetorik bedient, die sich im Sinne eines ‚saving brown women
from brown men‘ als rassistisch und kolonialistisch entpuppt (vgl. Godec 2010:
241; Suárez-Krabbe 2014: 223). Aus einer kritisch-postkolonialen Perspektive
ist folglich die (bereits auch in den vorangegangenen Teilkapiteln 4.1 und 4.2
thematisierte) Identifizierung des Menschenrechtssubjekts mit einem als frei, ra-
tional, neutral, autonom und autark imaginierten Subjekt kritisch zu bewerten.
Die für das Denken des Liberalismus zentrale Subjektkonzeption geht schließ-
lich davon aus, dass das Subjekt außerhalb von historischen und sozialen Kon-
texten steht und souverän und unabhängig von anderen ist, wobei die chauvinis-
tischen und rassistischen Implikationen dieser Vorstellung teils invisibilisiert,
teils ignoriert werden, obwohl sie in bestimmten Hinsichten konstitutiv für das
liberale Denken sind. Denn genau dieser Aspekt der Unabhängigkeit des Sub-
jekts von ‚Anderen‘ bzw. von dem ‚Anderen‘ wird zumeist nicht ‚unschuldig‘
gedacht, sondern geht in der Regel einher mit einer Vorstellung der ‚Zivilisiert-
144 | Grenzen de r Menschenrechte
heit‘ des Subjekts, das sich von anderen, (noch) nicht-zivilisierten Subjekten un-
terscheidet. Häufig wird diese Vorstellung einer Unabhängigkeit mit Abwer-
tungstendenzen gegenüber in geschlechtlicher, ethnischer, nationaler, kultureller
oder territorialer Hinsicht als ‚Andere‘ Markierten kombiniert, die von Naturali-
sierungen und Essentialisierungen der angeblichen Unterschiede zum ‚westlich‘-
liberalen Norm über Assimilationsforderungen bis hin zu rassistisch konnotier-
ten Marginalisierung- und Exklusionsmechanismen reichen. Diese Markierungs-
linie, darauf verweisen postkoloniale Theoretiker_innen, ist nach wie vor nicht
verwischt. Dabei müssen manche historische Verbindungslinien wie etwa die
zwischen der spanischen Kolonisation des südamerikanischen Kontinents und
heutigen außenpolitischen Invasionen globaler Weltmächte wie der USA im Irak
oder in Afghanistan (vgl. Anghie 1996) sicherlich als zu vereinfachend und eine
unterschiedslose Gleichsetzung kolonialer und imperialer Praktiken als zu undif-
fferenziert angesehen werden. Gleichwohl lässt sich nicht verkennen, dass sich
kolonialistische Strukturen nicht nur als Asymmetrien innerhalb des globalen
Staatengefüges äußern, sondern darüber hinaus auch in Form von diskriminie-
renden Institutionen und Strukturen gegenwärtiger nationalstaatlicher Rechts-
praxen nachweisbar sind, die auf ebenjenem Dispositiv der Unterscheidung zwi-
schen ‚zivilisiertem‘ und ‚nicht-zivilisiertem‘ Subjekt basieren und dabei nicht-
europäische bzw. nicht-weiße Menschen benachteiligen (vgl. Kapur 2006: 675-
677). Kapur benennt zwei Beispiele aus den rechtlichen und politischen Praxen
verschiedener Nationalstaaten. So geht sie auf den Umgang mit sogenannten
half-caste Aborigines ein. An der staatlichen Praxis des forcible removal, bei
dem Kinder aus ihren Herkunftszusammenhängen gerissen wurden, um in christ-
lichen, weißen Familien einer Erziehung zur Zivilisation unterzogen zu werden,
„until the ‚native‘ is fully assimilated and all traces of ‚colour‘ and racial mar-
kings erased“ (ebd.: 667), lässt sich im Sinne eines historischen Beispiels zeigen,
inwiefern Menschen ‚anderer‘, nicht-zivilisierter Kulturen als unterlegen und ei-
ner Zivilisation durch die Kolonisatoren bedürftig angesehen wurden. Während
es sich hierbei um eine mittlerweile im öffentlichen Bewusstsein skandalisierte
und teilweise durch Reparationszahlungen und öffentliche Entschuldigungen an-
erkannte menschenrechtsverletzende Praxis handelt, finden sich kolonialistische
Muster reproduzierende Strukturen auch in aktuellen Rechtspraxen. Mit dem
Dänischen Aliens Act (2002) wurde beispielsweise der Weg für eine europaweit
erstmals besonders restrikte Familienzusammenführungspolitik geebnet, bei der
die außerordentlich strengen Vorgaben für Personen, die mit in Dänemark le-
benden Familienmitgliedern zusammengeführt werden möchten, strikte Alters-
beschränkungen und spezifische Forderungen hinsichtlich des Grads der Verbin-
dung mit in Dänemark residierenden Familienmitgliedern beinhalten. Unterstellt
Kritische Perspektiven | 145
werden dabei Missbrauchsabsichten und Ansprüche auf das dänische Sozialsys-
tem seitens nicht-europäischer Personen. Vor allem hat die Gesetzesänderung
den Anschein, als solle die Zahl potentiell arbeitsloser Migrant_innen minimiert
bzw. ein weiterer Zustrom über den Weg der Familienzusammenführung verhin-
dert werden. Dass die Gesetzesgrundlage dabei u.a. rassistische Stereotype be-
dient, zeigt Shereene Razack auf (vgl. Razack 2004). Die ‚dark side‘ der Men-
schenrechte zeigt sich daran, dass ihr Anspruch auf Inklusivität, Universalität
und Egalität, also auf Werte, die sich mit dem Fortschrittsnarrativ des Liberalis-
mus und der Aufklärung verbinden, in vielen Hinsichten nicht eingelöst werden,
solange die problematischen partikularen Implikationen nicht reflektiert und of-
fengelegt werden. Dazu ist es erforderlich, neben den als progressiv eingestuften
Elementen liberaler Traditionen wie Egalität, Freiheit und Toleranz auch die
damit verknüpfte problematische Vorstellung zivilisatorischer Überlegenheit und
daraus vermeintlich resultierenden Berechtigung zur Abwertung all dessen, was
als kulturell determiniert, rückständig oder religiös verbrämt erscheint, in den
Blick zu nehmen (vgl. Qureshi 2012). Solange eine selbstkritische Reflexion
nicht stattfindet, besteht die Gefahr, dass Menschenrechte „are being reduced to
a body without a soul, without a political vision or moral purpose“ (Douzinas
2000: 4). Stattdessen könnte die Aufgabe darin liegen, Menschenrechte so zu ar-
tikulieren, dass sie die problematischen Polarisierungen und verzerrenden Dicho-
tomien nicht perpetuieren. Die meisten postkolonialistischen Theoretiker_innen
sind sich dabei einig, dass es sich hierbei um kein leichtes Unterfangen handelt.
Gleichwohl stehe fest, dass „we ‚cannot not want‘ human rights“ (Kapur 2006:
682). Diese Einsicht speist sich aus der Erkenntnis, dass Rechte „radical tools for
those who have never had them“ (ebd.: 682) darstellen. Werden sie als Instru-
ment der Ermächtigung verstanden, können sie weit darüber hinaus wirken, le-
diglich „useful vocabulary“ (ebd.: 682) zu sein. Boeventura de Sousa Santos
verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass eine einseitige Sichtweise auf
Menschenrechte als vermeintliches Instrument einer Globalisierung von oben
bzw. als Bestandteil einer vom Westen oktroyierten Hegemonie der Rechte das
eigentliche Potential der Menschenrechte verkenne (vgl. Sousa Santos 1995).
Der Menschenrechtsdiskurs könne gerade zur Verteidigung der Unterdrückten
herangezogen werden, etwa in Form eines „kontrahegemonialen Menschen-
rechtsdiskurses“ (Mouffe 2007: 164) oder in Form eines sogenannten ‚mestizi-
schen‘ Konzepts der Menschenrechte, das diese einer pluralistischen, offenen In-
terpretation überlässt (vgl. Panikkar 1982). Wichtig sei dabei zum einen die Er-
kenntnis, dass der Diskurs über Menschenrechte niemals auf ‚neutralem‘ Gebiet
geführt werden könne, solange „die – vom Westen definierten Imperative von
Moral und Vernunft die einzig legitimen Kriterien darstellten. Das Gebiet ist
146 | Grenzen de r Menschenrechte
vielmehr durch Machtverhältnisse zugeschnitten, und was darauf stattfindet, ist
ein hegemoniales Ringen“ (Mouffe 2007: 165/166). In diesem Zusammenhang
betonen daher viele Autor_innen, dass die Bedeutung des Kolonialismus für die
europäische Moderne nicht unterschätzt werden könne. Die transatlantische Er-
oberung durch Europäer_innen, euphemistisch und ebenso die hegemoniale Per-
spektive entlarvend als ‚Entdeckung‘ Amerikas bezeichnet, mit ihren spezifi-
schen wirtschaftlichen, sozialen und geopolitischen Rückkopplungsprozessen
habe nachhaltige Auswirkungen auf die modernen Konfigurationen von Macht
gehabt. Es bestehe daher eine direkte Verbindung zwischen dem modernen Sub-
jekt und dem kolonialen Subjekt, das bis auf das 15./16. Jahrhundert zurückgeht
(vgl. Dussel 2004).
Zum anderen müsse daher insbesondere eingedenk des Vermachtungscharak-
ters des (globalen) Menschenrechtsdiskurses verstärkt an den emanzipatorischen
Impuls der Menschenrechte angeknüpft werden. Chenchen Zhang erinnert bei-
spielsweise daran, dass Menschenrechte durchaus eines der machtvollsten In-
strumente zur Ermächtigung der Betroffenen von Unterdrückung und für den
Kampf um Gerechtigkeit für Rechtlose darstellen (vgl. Zhang 2014: 244). Der
Kampf um Rechte sei nach wie vor aktuell, auch wenn im allgemeinen Bewusst-
sein der Kolonialismus als historisches Phänomen abgetan wird. Dabei wird
übersehen, dass sich trotz der unbestreitbaren institutionellen Veränderungen im
internationalen Staatengefüge bestimmte Phänomene und Strukturen des mit der
Kolonialisierung verbundenen Rassismus lediglich verschoben haben. Diesen
‚neuen‘ Rassismus beschreibt Étienne Balibar als „postcolonial and postnatio-
nal“ (Balibar 2004a: 122). Er lasse sich heutzutage nicht nur nach wie vor an-
hand kontinental-territorialer Markierungen zwischen den sogenannten ‚zivili-
sierten‘ Kolonisator_innen (Europa und Nordamerika) und sogenannten ‚barba-
rischen‘ Kolonisierten (symbolisiert vor allem durch den afrikanischen Konti-
nent) erkennen. Hinzu kommt, dass sich beispielsweise aufgrund der Grenzpoli-
tik der Europäischen Union auf den Gewässern des Mittelmeeres sowie aufgrund
des politisch-rechtlichen Umgangs mit Migrant_innen in vielen europäischen
Ländern die kolonialistisch geprägte Grenze zwischen ‚Europa‘ und ‚Nicht-
Europa‘ auf das Gebiet innergesellschaftlicher Konflikte und hier vor allem auf
die komplexen gesellschaftlichen und ökonomischen Problemlagen urbaner Ge-
sellschaftsräume von Metropolen verlagert hat (vgl. Zhang 2014: 250f.; Mezzad-
ra 2006). Ähnlich wie Patrick Hayden, der den Begriff „globale Apartheid“ ver-
wendet (Hayden 2009: 80, übers. v. F.M.), spricht daher auch Étienne Balibar
hier mit dem Fokus auf Europa von einer Europäischen Apartheid („European
citizenship-cum-apartheid“, Balibar 2004a: 124, Herv. i. Orig.). Im Lichte dieser
Kontinuität kolonialen bzw. postkolonialen Denkens und einer korrespondieren-
Kritische Perspektiven | 147
den Praxis erhält nationalstaatliche bzw. EU-Zugehörigkeit wiederum eine be-
sondere Bedeutung, denn „[d]iese Zugehörigkeit wird als Rechtfertigung der Zä-
sur präsentiert und ermöglicht die Zurückweisung der Nicht-Bevölkerung“ (Bu-
ckel 2013: 337).
5 Grenzen der Menschenrechte
Die politische und soziale Exklusion aus einem Gemeinwesen, die mit der Diffe-
renz zwischen Bürger_innen- bzw. Grundrechten und Menschenrechten für die-
jenigen, die nicht über die entsprechende Staatsbürgerschaft verfügen, einher-
geht, resultiert für Arendt, wie mehrfach erwähnt, aus der sogenannten Aporie
der Menschenrechte. Diese Aporie drückt sich nicht in der Vorenthaltung eines
einzelnen Menschenrechts aus, sondern in dem prinzipiellen Fehlen einer Mög-
lichkeit, Rechte zugesprochen zu bekommen zumindest in allen politisch und
sozial relevanten Hinsichten, die über rein humanitäre Bedingungen hinausgehen
(vgl. Arendt 1986a: 613). Aus diesem Grund setzt Arendt in zuspitzender Weise
Menschenrechte-Haben mit einem Zustand faktischer Rechtlosigkeit gleich. Das
Dilemma der Menschenrechte, einen Anspruch auf Universalität zu erheben und
zugleich exkludierende Wirkungen zu zeitigen, wird in Bezug auf die Möglich-
keit zur politischen Partizipation besonders sichtbar. Sie zeigt sich aber auch
hinsichtlich der staatsbürgerlichen sowie der sozialen Zugehörigkeit. In der Pra-
xis schlägt sich dies in Strukturen des sozialen oder politischen Ausschlusses mit
unterschiedlichen Intensitätsgraden für je verschiedene Betroffenengruppen nie-
der: Das Spektrum reicht hier von der maximalen Beschränkung fundamentaler
Rechte bzw. tatsächlich faktischer Rechtlosigkeit, z.B. im Falle undokumentier-
ter Migrant_innen, bis hin zur Gewährung von Niederlassungsrechten für Nicht-
Staatsbürger_innen, die jedoch und dies auch nur unter der Voraussetzung des
Verfügens über eine EU-Staatsbürgerschaft lediglich eine eingeschränkte
Möglichkeit der politischen Partizipation, etwa in Form eines Wahlrechts auf
kommunaler Ebene, vorsehen. Besonders verletzliche Personengruppen sind hier
also offensichtlich Asylsuchende, Flüchtlinge und Staatenlose und zwar nicht
zuletzt, weil viele Nationalstaaten u.a. die Bundesrepublik und weitere EU-
Staaten (vgl. Brezger/Cassee 2012: 428) wichtige Menschenrechtsabkommen,
z.B. die für den Kontext der sozialen und politischen Integration von Mig-
rant_innen relevante Konvention über Wanderarbeiter (ICRMW 1990), nicht ra-
150 | Grenzen de r Menschenrechte
tifizieren (vgl. hierzu ausführlicher Abschnitt 5.2). Theoretisch können sich Mig-
rant_innen zwar im speziellen Fall der Rechte von Arbeitsmigration unter be-
stimmten Bedingungen auf völkerrechtliches Gewohnheitsrecht bzw. auf das so-
genannte „Palermo-Protokoll“1 ein Zusatzprotokoll zur Verhütung, Bekämp-
fung und Bestrafung des Menschenhandels, das Nationalstaaten in die Pflicht
nimmt berufen. Doch ist die derzeitige nationale wie internationale politische
Realität weit entfernt davon, effektiven Menschenrechtsschutz zu gewährleisten,
sei es hinsichtlich sozialer Sicherheit, sei es hinsichtlich des Schutzes vor Aus-
beutung, Zwangsarbeit, Versklavung und sozialer Missachtung in Form einer
Legalisierung des Aufenthaltes, geschweige denn in Bezug auf eine umfassende-
re politische Inklusion.
Als problematisch erweist sich in diesem Zusammenhang die derzeit gültige
Regel, dass ausschließlich die Staatsbürger_innen eines Gemeinwesens über die
Bedingungen darüber, wer als Zuwander_in zugelassen wird, entscheiden. Ge-
gen diese gängige partikularistische Argumentation für ein Recht auf kulturelle
und politische Selbstbestimmung eines selbstdefinierten Kollektivs (vgl. Walzer
1996; Miller 2005) lässt sich jedoch der demokratietheoretische Einwand erhe-
ben, dass politische Partizipationsrechte nur dann als normativ gerechtfertigt er-
achtet werden können, wenn sie potentiellen Einwander_innen, die unter Andro-
hung von Gewalt zur Einhaltung der Einwanderungsgesetze gezwungen werden,
nicht von der Entscheidung über diese Gesetze ausschließen. Ein normativer Ge-
genentwurf zur nationalstaatlich bzw. staatsbürgerlich begrenzten Befugnis zur
politischen Teilhabe müsste daher offen sein für die Inklusion ‚Anderer‘.
Bislang enthält die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948) aller-
dings keinen expliziten Bezug auf ein Recht auf Demokratie (vgl. Kreide 2008:
37). Politische Partizipation ist dem Individuum nur in Form von Staatsbür-
ger_innenrechten (direkt und in abgeleiteter Form wie im Falle der EU-
Bürgerschaft) möglich. Nun ist verschiedentlich versucht worden, diesen Um-
stand nachträglich normativ aufzuwerten, z.B. mit einem Konstrukt zur Recht-
fertigung der Abschließung des Mitbestimmungsprozederes mit folgender Ar-
gumentation, dass eine bestimmte Gruppe von Bürger_innen sich einem Rechts-
staat nur unter der Bedingung der Gewährleistung von Grundrechten unterwirft.
Diese Argumentation hinkt jedoch, da zwar bestimmte Grundrechte tatsächlich
im Rahmen von demokratischen Verfahren zustande kommen, dann aber meis-
tens als so fundamental eingestuft werden, dass sie fortan demokratischen Pro-
zessen entzogen bleiben. Es entsteht also das Paradox, dass diejenigen politi-
1 http://www.un.org/depts/german/uebereinkommen/ar55025anlage2-oebgbl.pdf
(24.11.2018).
Grenzen der Mensc henrechte | 151
schen Entscheidungsprozesse, in deren Verlauf Menschenrechte als Grundrechte
definiert werden, in Ergebnisse münden, über die nicht mehr innerhalb von de-
mokratischen Prozeduren verfügt werden kann (vgl. Alexy 1999). Somit erweist
sich die Grenzhaftigkeit der Menschenrechte folgendermaßen: Menschenrechte
‚hat‘ man nur dann, wenn man Mitglied einer Rechtsgemeinschaft ist nämlich
in Form von Grund- bzw. Bürger_innenrechten (vgl. Pollmann 2012a: 134). Die
unaufhebbar scheinende Spannung zwischen Menschen- und Bürger_innen-
rechten resultiert aus dem souveränen Recht einer Rechtsgemeinschaft, den Zu-
gang zu Grundrechten zu beschränken. Was zunächst als in verfassungspoliti-
scher Hinsicht sinnvoll anmutet, erweist sich allerdings letztlich als Beschrän-
kung von Menschenrechten. Aus der Perspektive der Menschenrechte erscheint
das Recht auf Reglementierung von Zugehörigkeit und Zugang zur politischen
Partizipation jedoch als normativ fraglich. Sie erscheint zumindest fraglich, so-
fern ein Recht auf politische Partizipation bzw. ein Recht auf Demokratie, unab-
hängig von Staatsbürgerschaft, als so fundamental angesehen wird, dass ihm der
menschenrechtliche Status zugeschrieben werden müsste. Solange ein solches
Menschenrecht nicht gilt oder gar durchgesetzt wird, setzt Jacques Rancière auf
den Prozess der Subjektivation, durch den das Intervall zwischen Menschenrech-
te-Nichthaben und Menschenrechte-Haben überwunden werden könne. Politi-
sche Subjektivation, so erläutert Rancière,
„zerschneidet das Erfahrungsfeld neu, das jedem seine Identität mit seinem Anteil gab. Sie
löst und stellt die Verhältnisse zwischen den Weisen des Tuns, den Weisen des Seins und
den Weisen des Sagens neu zusammen, die die sinnliche Organisation der Gemeinschaft,
die Verhältnisse zwischen den Räumen, wo man eines macht, und denen, wo man anderes
macht, die an dieses Tun geknüpften Fähigkeiten und jene, die für ein anderes benötigt
werden, bestimmen.“ (Rancière 2002b: 52) SM: Evtl. Herv. i. O.?
Damit meint Rancière, dass politische Subjekte keine vordeterminierten Entitä-
ten sind. Stattdessen konstituieren sie sich erst im Zuge der Forderung nach be-
stimmten Rechten als politische Subjekte (vgl. Rancière 2011a). Im Prozess der
Herausbildung als Subjekte generieren die Akteur_innen jedoch, und darauf
verweist Rancière mit Nachdruck, einen politischen Raum, dessen Ergebnis zu-
nächst offen ist. Die Subjektivierungsaktivitäten können zur Neubildung einer
politischen Ordnung (in Rancières Terminologie einer neuen ‚polizeilichen‘
Ordnung) führen. Sie können sich jedoch auch erst einmal auf den Widerstand
und die Befragung der bestehenden Ordnung beziehen. In Anlehnung an
Rancière ist es für Chenchen Zhang „crucial to acknowledge that every process
of political subjectivization, which according to Rancière’s re-conceptualization
152 | Grenzen de r Menschenrechte
of the rights of Man is the only way to restore the validity of human rights“
(Zhang 2014: 255). Folgerichtig besteht der erste und unabdingbare Schritt in
Richtung einer solchen Re-Artikulation und Re-Interpretation der Menschen-
rechte darin, auf die Grenzen der bestehenden Menschenrechtskonzeptionen hin-
zuweisen. Dies wird in den nächsten drei Abschnitten anhand der Grenzen in
Bezug auf Staatsbürgerschaft, den Zugang zu sozialer Zugehörigkeit und die
Möglichkeit zur politischen Partizipation erfolgen.
5.1 STAATSBÜRGERSCHAFT
Mit der Parallele zwischen dem „Naturzustand, in dem es ‚nur‘ Menschenrechte
gibt, und dem Zustand der Staatenlosigkeit, in welchem alle anderen Rechte ver-
loren gegangen sind“ (Arendt 1986a: 621), zeichnet Arendt einen Bogen vom
18. bis zum 20. Jahrhundert in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Beide his-
torischen Daten stehen für die janusgesichtige, einerseits verheißungs-, anderer-
seits unheilvolle Entwicklung der Menschen- und Bürger_innenrechte, die sich
im Konzept der Staatsbürger_innenschaft widerspiegelt. Die bereits in Kap. 3.3
ausführlicher diskutierte Spannung zwischen Menschen- und Bürger_innen-
rechten wird im Folgenden noch einmal aus einer anderen Perspektive erhellt. Es
geht mir darum, die vermeintliche Identität von Menschen- und Bürger_innen-
rechten explizit als begriffliche Leerstelle darzustellen, mit der schließlich das
Konzept der Staatsbürgerschaft als Dreh- und Angelpunkt der Zuschreibung
von Zugehörigkeit und politischer Teilhabe innerhalb von Nationalstaaten in
die Kritik gerät, genau jene menschenrechtlichen Aspirationen auf politische
Ermächtigung zunichte zu machen.
Der 26. August 1789 ist bislang vor allem als wichtiges Datum hinsichtlich
sowohl der theoretischen als auch der praxisbezogenen Entwicklung der Men-
schenrechte behandelt worden. Mehrfach wurde dabei auch schon thematisiert,
dass dieses historische Datum zugleich die „Geburtsstunde moderner Staatsbür-
gerschaft (Citizenship)“ (Mackert 2006: 17) darstellt. Die Präambel der französi-
schen Menschen- und Bürgerrechtserklärung formuliert zwei Sorten von Rech-
ten: zum einen „les droits naturels, inaliénables et sacrés de l‘Homme“,2 die
Menschen im Naturzustand, zum anderen die ebenfalls angeborenen Rechte, die
ihnen innerhalb des Staates zukommen. Der Text unterscheidet die Rechte nicht
2 https://www.legifrance.gouv.fr/Droit-francais/Constitution/Declaration-des-Droits-de-
l-Homme-et-du-Citoyen-de-1789 (24.11.2018). Dt.: „[D]ie natürlichen, unveräußerli-
chen und geheiligten Menschenrechte“ (zit. n. Fritzsche 2004: 193).
Grenzen der Mensc henrechte | 153
systematisch, der Idee nach sind sie identisch, allerdings differenzieren sie sich
insofern, als Bürgerrechte zu begreifen sind als Menschenrechte, die von der po-
litischen Vereinigung geschützt werden müssen. So führt Artikel 1 der franzö-
sischen Deklaration aus: „Les hommes naissent et demeurent libres et égaux en
droits3), und Artikel 2 stellt sogleich fest, dass „[l]e but de toute association po-
litique est la conservation des droits naturels et imprescriptibles de l’Homme.“4
Diese Duplizierung gelingt durch einen linguistischen Trick, indem sämtliche
legislatorischen Posten quasi doppelt besetzt sind. Somit gibt es zwei Gesetzge-
ber, nämlich den Menschen und die Assemblée Nationale, und damit zwei Arten
von Recht, nämlich das Recht des Menschen und das Recht des Bürgers, und
schließlich zwei Geltungsbereiche des Rechts, nämlich zum einen die gesamte
Menschheit, zum anderen die nationale Republik (vgl. Vismann 1996: 323). Der
Schwerpunkt der Französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte
(1789) wiederum liegt in der Bildung einer freien und souveränen Nation, wel-
che sich aus den ursprünglich freien und gleichen Trägern von Menschenrechten
zusammensetzt, die sich wiederum dieser Rechte bewusst sind und die Konstitu-
ierung und Wahrung der entsprechenden Verfassung zum Ziel ihrer politischen
Handlungen setzen (vgl. die Präambel). Umgekehrt lässt sich mit Hauke Brunk-
horst der Zweck der Verfassung, wie er im 6. Artikel dargelegt wird, in der
„Steuerung der staatlichen Gewaltmaschine durch den zum Gesetz verallgemei-
nerten Bürgerwillen“ (Brunkhorst 2012b: 100) fassen und zwar um der Ver-
wirklichung der unveräußerlichen Menschenrechte willen. Der Verschränkung
von natürlichen Menschen- und gesellschaftlichen Bürger_innenrechten korres-
pondiere eine Verschränkung natürlicher Souveränitätsrechte der Nation (pou-
voir constituant) und der öffentlich-rechtlichen Legislativgewalt des Parlaments
(pouvoir constitué), wie in Artikel 3 Satz 1 der Französischen Erklärung deutlich
wird: „Le principe de toute Souveraineté réside essentiellement dans la Nation.“5
Brunkhorst interpretiert den Zusammenhang zwischen Menschen- und Bürger-
3 https://www.legifrance.gouv.fr/Droit-francais/Constitution/Declaration-des-Droits-de-
l-Homme-et-du-Citoyen-de-1789 (24.11.2018). Dt.: „Die Menschen werden frei und
gleich an Rechten geboren und bleiben es.“ (Zit. n. Fritzsche 2004: 193)
4 https://www.legifrance.gouv.fr/Droit-francais/Constitution/Declaration-des-Droits-de-
l-Homme-et-du-Citoyen-de-1789 (24.11.2018). Dt.: „Das Ziel jeder politischen Ver-
einigung ist die Erhaltung der natürlichen und unverzichtbaren Menschenrechte.“ (Zit.
n. Fritzsche 2004: 193)
5 https://www.legifrance.gouv.fr/Droit-francais/Constitution/Declaration-des-Droits-de-
l-Homme-et-du-Citoyen-de-1789 (24.11.2018). Dt.: „Der Ursprung aller Souveränität
liegt wesentlich im Volk.“ (Zit. n. Fritzsche 2004: 193)
154 | Grenzen de r Menschenrechte
rechten daher so, dass auch die Nation analog zum Bürger bereits im Naturzu-
stand ‚existiert‘ (nur eben noch nicht voll entfaltet), weil die Volkssouveränität
ein natürliches Recht des Volkes auf Legislativgewalt darstelle. Gegen diese
Sichtweise ist jedoch einzuwenden, dass genau in diesem Punkt ein Bedeu-
tungswandel zwischen Rechten des Menschen und Rechten des Bürgers als Teil
der Nation stattfindet. Volkssouveränität ist eben kein individuelles Menschen-
recht, sondern das Recht der Mitglieder eines Kollektivs, das im Sinne des Völ-
kerrechts als Selbstbestimmungsrecht der Nation gilt. Die Verbindung zwischen
Menschen- und Bürgerrecht im Recht auf Volkssouveränität stellt also zugleich
genau ihre Trennung dar. Dagegen versucht Brunkhorst, den Verweisungszu-
sammenhang zwischen subjektiven Rechten und dem Recht des Kollektivs auf
Selbstbestimmung herauszustellen. Er sieht eine Verschränkung von subjektiven
Rechten mit demokratisch-prozeduralen Organisationsnormen darin, dass die
Mitglieder der Nation nur durch die formal prozeduralisierte Ausübung subjekti-
ver Rechte als Gesetzgeberin handeln könne (vgl. Brunkhorst 2012b: 102). Die
Idee der Menschenrechte und die Idee einer demokratischen Volkssouveränität
lassen sich somit als gleichursprüngliche Idee der französischen Menschen- und
Bürgerrechtserklärung begreifen (vgl. Denninger 2009: 229ff.). Es handelt sich
hierbei jedoch um eine harmonistische Deutung, die etwas stärker differenziert
werden muss. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist nicht so
sehr, inwiefern die beiden Ideen in einem begrifflichen Verweisungszusammen-
hang stehen, sondern, welche Konsequenzen in praktischer Hinsicht aus der
Doppelstruktur der Rechtskonstruktion folgen. In der Adressierung der Déclara-
tion des droits de l’homme et du citoyen (1789) an das französische Volk, also an
den Kreis der auf dem Territorium des ehemaligen Ancien Régime lebenden
Personen, fallen die Gruppe der Träger_innen von Menschen- und die Gruppe
von Träger_innen von Bürgerrechten tatsächlich zusammen. Nach Verfassungs-
konstitution treten diese beiden Gruppen begrifflich jedoch auseinander, weil
nun Bürgerrechte nicht mehr unmittelbarer Ausdruck der auf die Nationbildung
abzielenden Menschenrechte sind. Vielmehr sind Bürgerrechte die Rechte, die
der Staat all jenen verleiht, die als Staatsangehörige definiert werden. Mit ande-
ren Worten: Das Kriterium der Zugehörigkeit zu einer politischen Gemeinschaft
wird überhaupt erst mit der Ausprägung nationalstaatlicher Souveränität rele-
vant, und zwar nicht zuletzt auch aufgrund der nachlassenden Ständezuordnung:
„Staatsangehörigkeit war mithin eine Form kollektiver Zugehörigkeit, deren spe-
zifischer Charakter sich aus dem Kontrast zu den Zugehörigkeiten der ständisch
organisierten Gesellschaften ergab“ (Colliot-Thélène 2011: 193). Die Zugehö-
rigkeit zu einem territorial definierten Staatsgebilde löst also, historisch betrach-
tet, vielfältige stände- und privilegienbezogene sowie regionale Zugehörigkeiten
Grenzen der Mensc henrechte | 155
ab, die sich mitunter auch in einer Person überschneiden konnten. Erst vor dem
Hintergrund einer vereinheitlichenden, übergeordneten Kategorie wie der natio-
nalen Staatszugehörigkeit ergibt sich die Konzeption der ‚Fremden‘ und der
‚Ausländer_in‘, denen aufgrund fehlender Staatsangehörigkeit Rechte zur politi-
schen Partizipation verwehrt werden. Bis zum Ende des 19. bzw. bis zum Beginn
des 20. Jahrhunderts sind ebenfalls sowohl die Angehörigen bestimmter Klassen
(Arbeiter) und der Personenkreis der Frauen von der Exklusion aus dem politi-
schen Bereich betroffen. Gleichwohl triumphiert letztlich die Idee nationaler Zu-
gehörigkeit über kosmopolitische, dabei jedoch durchaus klassenbewusste Vor-
stellungen politischer Subjektivation, wie sich am Streit innerhalb der sozialisti-
schen Arbeiter_innenbewegung über die Frage „internationale Souveränität“
versus „nationaler Kampf um Rechte“ ablesen lässt.
Im (vor-)revolutionären Zeitkontext findet jedoch eine entscheidende Wei-
chenstellung für das Bewusstsein über die Möglichkeit zur politischen Subjekti-
vation statt, deren Bedeutung für alle darauffolgenden Emanzipationskämpfe
nicht vergessen werden darf. Hier wird das Recht, ein politisches Subjekt zu
sein, nicht nur theoretisch in Erwägung gezogen, sondern öffentlich deklariert
und damit im Rahmen eines selbst schon politischen Aktes vollzogen (vgl. Vis-
mann 1996: 322ff.). Dieses proklamierte Recht ist ein allgemein-übergeordnetes,
vorstaatliches und allein in der ‚Natur‘ des Menschen begründetes Rechts eines
jeden (männlichen, weißen, besitzenden) Menschen. Es wird als dezidiert unab-
hängig von bestehendem, positivem Recht der Feudalzeit begriffen und begrün-
det selbst wiederum als ‚natürliches, unveräußerliches und geheiligtes‘ Men-
schenrecht das Bürgerrecht auf politische Teilhabe. Dass der Bürgerstatus
schließlich mit dem Status der Staatszugehörigkeit in eins gesetzt wird, folgt
zwar durchaus der Logik früherer Deklarationstexte, die in der nationalen politi-
schen Gemeinschaft den einzig möglichen Garant einer Gewährleistung von
Menschen- und Bürgerrechten verortet. Ihren alles entscheidenden Akzent erhält
die Gleichsetzung von Zugehörigkeit und Bürgerrecht aber erst durch die Her-
ausbildung moderner souveräner Nationalstaaten mit weitreichenden Folgen
für all diejenigen, die vom Status des Staatsbürgers (später auch der Staatsbürge-
rin) exkludiert bleiben (vgl. Martinsen 2015a: 66f.). Vor dem Hintergrund, dass
heutzutage in den meisten Nationalstaaten die Staatszugehörigkeit entweder über
das Abstammungsprinzip (ius sanguinis) oder das territoriale Geburtsprinzip (ius
solis) definiert wird, bleibt der Mehrzahl an Migrant_innen der Erwerb einer ent-
sprechenden Staatsbürgerschaft erschwert (vgl. Roellecke 1999). Zwar besteht in
den meisten Staaten die Möglichkeit zur Einbürgerung unabhängig von den bei-
den genannten Prinzipien, doch sind die finanziellen und strukturellen Hürden
(z.B. in Bezug auf Sprachkenntnisse und das Erfordernis wirtschaftlicher Selb-
156 | Grenzen de r Menschenrechte
ständigkeit) vergleichsweise hoch. Unter der Prämisse der Staatszugehörigkeit
differenzieren sich daher die jeweiligen Bedeutungen von Menschen- und Bür-
gerrechten, insbesondere im Zuge der wechselvollen realpolitischen Dynamiken
von Nationalstaatlichkeit im ausgehenden 19. und insbesondere im frühen 20.
Jahrhundert, immer stärker. Angesichts von Staatszerfall und einer wachsenden
Anzahl an Staatenlosen und Flüchtlingen nach dem Ende des Zweiten Welt-
kriegs, da viele Menschen ihre rechtliche Staatsangehörigkeit verlieren (vgl.
Arendt 1986a), wird die Idee des Nationalstaates als schutzgewährende Instanz
der ihm zugehörigen Individuen unterminiert. Nicht zuletzt aus diesem Grund
versucht die AEMR (1948) daher, einen normativen Zusammenhalt zwischen
Menschen- und Bürger_innenrechten in Art. 15 Abs. 1 AEMR (1948) mit dem
Recht auf Staatsangehörigkeit herzustellen (vgl. Kraus 2013: 27ff.). Art. 15 Abs.
2 AEMR (1948) formuliert ein Verbot des willkürlichen Entzugs der Staatsan-
gehörigkeit. Doch stellt sich die Frage, ob damit überhaupt das Grundproblem
des Spannungsverhältnisses von Menschen- und Bürgerrechten angemessen in
den Blick genommen wird. Die ursprünglich emanzipatorische Idee eines das
Individuum vor seinen eigenen Eingriffen schützenden Staates erweist sich für
die Mehrzahl an Staatenlosen, Flüchtlingen und Migrierenden als völlig wir-
kungslos. Es zeigt sich hier, dass die Allgemeine Menschenrechtserklärung
(1948) der Komplexität der Zusammenhänge zwischen nationalstaatlicher Sou-
veränität und dem Umfang der Gewährung von Grund- und Bürger_innenrechten
mit dem Gehalt von Art. 15 AEMR (1948) nicht gerecht wird: Nationale Souve-
ränität bedeutet schließlich die Entscheidungsbefugnis darüber, wer zum Kreis
der Staatsangehörigen gehört und wer nicht. Bürger_innenrechte im engeren
Sinne können dabei nur Staatsbürger_innen, Grundrechte hingegen auch Nicht-
Staatsangehörigen zuschrieben werden. Nichtsdestotrotz bleibt es staatlicher
Souveränität anheimgestellt, sowohl über die Zugehörigkeit eines Individuums
als auch über den Umfang der entsprechenden Rechte zu entscheiden. D.h. mo-
derne demokratische Rechtsstaaten haben faktisch die Verfügungsgewalt inne,
„bestimmte subjektive und fundamentale Rechtsansprüche allein denjenigen zu-
zuerkennen, die tatsächlich Staatsbürgerinnen sind“ (Pollmann 2012a: 131; vgl.
auch Art. 25 IPBPR 1966). So unterscheidet auch das Grundgesetz der Bundes-
republik Deutschland zwischen Menschen-, Grund- und Bürgerrechten: Grund-
rechte resultieren aus dem Bekenntnis zu den „unverletzlichen und unveräußerli-
chen Menschenrechten“ (Art. 1 Abs. 2 GG).6 Sie begründen die Grundrechtsord-
nung des deutschen Staates. Inwiefern sie der Idee nach als gleichbedeutend
mit den Menschenrechten angesehen werden können, ist fraglich, da sie nur im
6 https://www.gesetze-im-internet.de/gg/index.html (24.11.2018).
Grenzen der Mensc henrechte | 157
Rahmen der nationalen Verfassung des deutschen Staates überhaupt existieren
und damit logisch etwas anderes sind als die Artikel der AEMR (1948). Aller-
dings sieht diese den Sinn der Menschenrechte genau darin, durch ihre Imple-
mentierung in nationalstaatlichen Verfassungen zu rechtlich verbindlicher Gül-
tigkeit zu erlangen. Grundrechte gelten für „alle Menschen“ (Art. 3 GG: „Alle
Menschen sind vor dem Gesetz gleich“), allerdings, darauf wurde bereits in Kap.
3.3 hingewiesen, sind einige Artikel nur Staatsangehörigen vorbehalten. So ha-
ben ausschließlich Deutsche das Recht, „sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis“
(Art. 8 Abs. 1 GG) zu versammeln oder das Recht, „Vereine und Gesellschaften
zu bilden“ (Art. 9 Abs. 1 GG). Ähnliches gilt für Art. 10 Abs. 1 GG (Freizügig-
keit), Art. 11 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit). Damit entsteht, wie bereits erläutert,
ein folgenschwerer Unterschied zwischen Grundrechten, die als positivierte
Menschenrechte aufzufassen sind, und Bürger_innenrechten, die ausschließlich
für bestimmte Inländer_innen, nämlich Staatsangehörige, gelten (vgl. Pollmann
2012a: 131). Die Staatsbürgerschaft stellt eine besondere Beziehung zwischen
dem Individuum und dem Staat dar (vgl. Gerhard 2006: 37). Innerhalb dieses
durch die Zugehörigkeit definierten Verhältnisses ist das Individuum durch die
ihm zugesicherten Grundrechte geschützt. In historischer Perspektive ging dieser
Schutzgewährleistung ein emanzipatorischer Akt voraus, da Schutzrechte, die
bereits aus dem Mittelalter bekannt waren,7 nicht als Entgegenkommen seitens
des Staates oder als Privileg wie zu Feudalzeiten, sondern als Beantwortung legi-
timer individueller Ansprüche zu verstehen sind. Gleichwohl enthält die Gewäh-
rung von Grundrechten nach wie vor ein Moment der Willkür, hängt die Zuord-
nung als Zugehörige eines Staates vom jeweiligen Nationalstaat bzw. den dort
7 Als historisch bedeutsames Dokument wird hier die Magna Charta Libertatum (1215)
in England angesehen, mit welcher der englische König der Kirche und dem Adel eine
Reihe von Freiheiten und Rechtssicherheiten, insbesondere Schutz vor ungesetzlicher
Verhaftung oder Bestrafung, zusagt. Ähnliche Rechtsdokumente stellen die Goldene
Bulle (1222) in Ungarn, die Confirmatio fororum et libertatum (1283) in Spanien so-
wie die Bayrischen Freiheitsbriefe (1311) dar. Entgegen einer weitverbreiteten An-
sicht, dass es sich bei diesen Texten um Vorläuferdokumente der späteren Menschen-
rechtsdeklarationen handelt, ist darauf hinzuweisen, dass es sich hierbei explizit um
selektive Rechte für bestimmte Personengruppen handelt, also gerade nicht um allge-
meine prinzipielle Rechte für alle Menschen. Selbst bei der Petition of Rights (1628)
in England, die das Parlament an König Karl I. richtete, handelt es sich nicht um eine
Reklamation von Rechten für alle Menschen, sondern in erster Linie um die Forde-
rung nach einer Stärkung ausgewählter Rechte von Parlamentariern, d.h. Bürgern, die
in erster Linie Adelige waren.
158 | Grenzen de r Menschenrechte
geltenden Gesetzen ab. D.h. der Ausschluss all jener, die nicht als Staatsbür-
ger_innen gezählt werden, aus bestimmten Bereichen des Nationalstaates oder
gar aus seinem gesamten Territorium ist ebenso konstitutiv für die Zuschreibung
von Grund- bzw. Bürger_innenrechten wie die Berücksichtigung des grundle-
genden Anspruchs auf Menschenrechte. Zwar gilt tatsächlich für alle Staaatsbür-
ger_innen ein striktes Gleichheitsgebot hinsichtlich der Rechts- und Schutzan-
sprüche, in Bezug auf die in einem Land lebenden Bewohner_innen jedoch fin-
den sich eben Beschränkungen für bestimmte Personengruppen, die durchaus ei-
ner rechtlichen Logik entsprechen und in politischer wie juristischer Perspektive
als legitim zu erachten sind. Aus einer normativen Perspektive hingegen lassen
sie sich eventuell als rechtfertigungsbedürftig ansehen, da die Vergabeprinzi-
pien, nach denen die Staatszugehörigkeit in etlichen Nationalstaaten zugewiesen
wird, z.B. in Form des ius sanguinis, teilweise auf fragwürdigen Annahmen be-
ruhen. So ist das sogenannte Abstammungsprinzip vor dem Hintergrund der his-
torisch kontingenten und zudem häufig unter Anwendung gewaltsamer und un-
terdrückerischer Praxen vollzogenen Konstruktion von ‚Nationalität‘ als in nor-
mativer Hinsicht problematisch einzustufen. Die Kategorie der Abstammung
lässt dem zunächst emanzipatorischen Impuls, Rechte nicht mehr an Standespri-
vilegien zu binden, dadurch verblassen, dass eine stände- (und geschlechter-
)übergreifende Inklusion in den Gültigkeitsbereich der Rechte nunmehr durch
eine auf nationaler Identität basierende Differenz abgelöst wird. Die Effekte die-
ser Unterscheidung unterlaufen damit bestimmte egalitäre Errungenschaften der
Moderne. Das nationalstaatliche Recht auf Vorenthaltung der formalen Staats-
bürgerschaft für auf dem Staatsterritorium über einen längeren Zeitraum lebende
Personen wird daher auch als modernes Äquivalent zur Gewährung feudaler Pri-
vilegien (vgl. Carens 1987: 252) bezeichnet. Und auch das ius solis lässt nicht
zuletzt aus kosmopolitischer Perspektive die Möglichkeit eines Individuums,
in den Genuss vollumfänglicher staatsbürgerlicher Rechte und Schutzansprüche
zu kommen, schließlich als Glücksspiel erscheinen, da auch hier die Vorausset-
zung darin besteht, dass sich die eigenen Eltern auf dem Boden eines Grund- und
Bürger_innenrechte gewährenden Nationalstaates befanden. Das heutige globale
Staatengefüge lässt somit die Umstände der individuellen Geburt zu einer „birth-
right lottery“ (Shachar 2009) werden, deren ‚Ausschüttungen‘ in Form von
Staatsbürger_innenrechten und damit in den Zugangsberechtigungen zur Teilha-
be bestehen. Der Ausdruck „Lotterie“ unterstreicht die Angewiesenheit Nicht-
Staatsangehöriger darauf, dass Nationalstaaten menschenrechtliche Verpflich-
tungen auch sogenannten Ausländer_innen, Tourist_innen und Migrant_innen
gegenüber wahrnehmen (vgl. Brezger/Cassee 2012: 427).
Grenzen der Mensc henrechte | 159
Das Spannungsverhältnis zwischen Menschen- und Bürger_innenrechten
(vgl. Habermas 1999a: 391f.), auf das bereits in Kap. 3.3 eingegangen wurde,
entsteht durch zwei nachhaltige Paradoxien. Das eine Paradox besteht darin, dass
Menschenrechte eigentlich Rechte des Menschen ohne kollektive Zugehörigkeit
sind und damit jedem Menschen als Mensch zukommen, in Form von positivier-
ten Grund- und Bürger_innenrechten jedoch nicht mehr für jeden Menschen als
solchen, sondern nur für Angehörige eines Kollektivs gelten. Das zweite Para-
dox betrifft die menschenrechtliche Inhaltsbestimmung Menschen sind Trä-
ger_innen universaler Rechte, doch sie verfügen über sie nur in Form von ge-
satzten Rechten, also über Rechte in partikularer Version (vgl. Pollmann 2012a:
132). Mit diesen beiden Paradoxien liegt ein Schlüsselproblem der Menschen-
rechte vor, das zwar von der Politischen Philosophie und der Rechtstheorie da-
mit erläutert wird, dass nicht alle Grundrechte Menschenrechte sein müssen, alle
Menschenrechte aber (zumindest prinzipiell) dazu tendieren, zu Grundrechten zu
werden (vgl. Alexy 1999). Der Umstand, dass Menschenrechte in Form von
Grund- bzw. Bürger_innenrechten unweigerlich einen exkludierenden Charakter
annehmen, stellt jedoch den universellen Gehalt der Menschenrechte laut Arnd
Pollmann infrage (vgl. Pollmann 2012a: 132). Der Umstand, dass die tatsächli-
che Geltung von Menschenrechten von nationalstaatlichen Entscheidungen und
damit von partikularen Kräfteverhältnissen abhängt, ist umso skeptischer zu be-
trachten, als damit ihre Universalität lediglich eine nominelle ist. Zwar wird ver-
sucht, das Problem so zu lösen, dass der universelle Gehalt der Menschenrechte
in Form der Grund- und Bürger_innenrechte lediglich eine je spezifische Ausle-
gung erfahre. In diesem Zusammenhang wird beispielsweise auf Art. 11 Abs. 1
IPWSKR (1966), der das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard ent-
hält,8 mit dem Argument verwiesen, dass der jeweilige Lebensstandard in ver-
schiedenen Ländern in Abhängigkeit von komplexen regionalen Faktoren unter-
schiedlich zu bestimmen sei. So relevant dieser Aspekt für die tatsächliche Be-
stimmung von politischen Maßnahmen sein mag, verfehlt das Argument das hier
thematisierte begriffliche Problem. Der Exklusionsmechanismus, der eigentlich
durch die Menschenrechte aufgehoben werden soll, im Rahmen ihrer Transfor-
8 Der Absatz lautet folgendermaßen: „(1) Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines
jeden auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie an, ein-
schließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung, sowie auf eine
stetige Verbesserung der Lebensbedingungen. Die Vertragsstaaten unternehmen ge-
eignete Schritte, um die Verwirklichung dieses Rechts zu gewährleisten, und erkennen
zu diesem Zweck die entscheidende Bedeutung einer internationalen, auf freier Zu-
stimmung beruhenden Zusammenarbeit an.“ (BGBl 1973 II, 1568)
160 | Grenzen de r Menschenrechte
mation in Grund- und Bürger_innenrechte jedoch erst produziert wird, kann auf
der inhaltlichen Ebene nicht mehr korrigiert werden.
An diesem Punkt scheint sich die Katze in den Schwanz zu beißen, da die
Rechtfertigung menschenrechtsgewährleistender Institutionen und umgekehrt die
Rechtfertigung der Gewährleistungspflicht dieser Institutionen zirkulär bleibt.
Die derzeitigen Versuche, einen Ausweg aus der Zirkularität zu finden, lassen
sich in zwei Varianten unterteilen. Vertreter_innen der einen Variante diskutie-
ren verschiedene Möglichkeiten, die Verbindung von Staatsbürgerschaft und
Menschenrechten durch eine Trans-, Post- und Denationalisierung der Citi-
zenship zu lockern, ohne sie gänzlich aufzuheben. Thematisch wird hier vor al-
lem die Ausweitung der Inklusionsmöglichkeiten sowohl für Ausländer_innen,
die einen ständigen Wohnsitz im Land haben, als auch für Staatsbürger_innen
ohne festen Wohnsitz in ihrem Ursprungsland. Diskutiert werden dabei unter-
schiedliche Modelle, zum einen die Konzeption sogenannter sozialer Mitglied-
schaft, zum anderen eine Art Stakeholder-Modell. Bei beiden Diskussionen geht
es um die Klärung der normativen Frage, inwieweit damit nicht einerseits ein
Gebot der Naturalisierung von Nicht-Staatsbürger_innen entsteht, andererseits
die Einbürgerung lediglich eine nicht-zwingende Option bleiben sollte, wodurch
der Begriff des Demos schwammige Konturen erhält.9 Die andere Variante ver-
sucht, bestimmte Menschenrechts- bzw. Bürgerrechtsinhalte wie etwa das Recht
auf politische Partizipation weitestmöglich von der Bedingung der Staatsbürger-
schaft zu lösen (vgl. Colliot-Thélène 2011).
Die Diskussion über Trans-, Post- und Denationalisierung von Staatsbürger-
schaft (vgl. Kostakopoulou 2009: 275ff.; Meine 2017) geht davon aus, dass Be-
grifflichkeiten wie ‚Demos‘, ‚Nation‘ und ‚kollektive Identität‘ im Zuge der Glo-
balisierungsprozesse einem fundamentalen Bedeutungswandel unterzogen wer-
den. Aus diesem Grund wird der institutionelle Rahmen des Nationalstaates als
teilweise in Konkurrenz zu alternativen institutionellen Arrangements, teilweise
als durch diese ergänzt angesehen. So können Subsidiaritätsmodelle und Kon-
zepte geteilter Souveränität (vgl. Besson 2004) durchaus eher als Chance zur
Aufteilung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten denn als Bedrohung
für das Legitimitätsmonopol des Nationalstaates verstanden werden. Durch Um-
gestaltungsprozesse auf der transnationalen Ebene werden Nationalstaaten in in-
ter-, supra- und transnationale Strukturen, z.B. durch entsprechende Abkommen
zu Themenbereichen wie Arbeitsmigration, wirtschaftliche Zusammenarbeit,
Entwicklungshilfemaßnahmen, Internationale Sicherheit etc., eingebunden, so
9 Vgl. Owen 2011a: 641ff., 2011b sowie Bauböck 1994; Sassen 2002a, 2002b; Nieder-
berger 2015.
Grenzen der Mensc henrechte | 161
dass die ehemals alleinige Zuständigkeit nationaler Souveränität durchaus viel-
fach perforiert wird. Die dem herkömmlichen Konzept von nationalstaatlicher
Souveränität zugrunde liegende Vorstellung von Homogenität und einer gemein-
samen statischen Identität eines Staates werden durch die komplexen Gestal-
tungsprozesse infrage gestellt. Auf die Faktizität von sozialer Pluralität und kul-
tureller Ausdifferenzierung heutiger Gesellschaften kann ein monolithisches
Verständnis des Staates nicht mehr angemessen reagieren. Politische Mitgestal-
tung sollte daher nicht von einer ausschließlich national oder ethnisch begriffe-
nen Zugehörigkeit abhängig gemacht werden, sondern z.B. vom Kriterium der
Betroffenheit auf diesen Diskussionsstrang werde ich im 6. Kap. ausführlicher
eingehen.
Ausgehend von der Annahme von Heterogenisierung, Pluralisierung und ver-
stärkter Diversifizierung moderner Lebensbedingungen durch komplexer wer-
dende und sich zugleich verdichtende Globalisierungsprozesse sollte nach An-
sicht vieler Theoretiker_innen auf die Exklusivität von Staatsbürgerschaft ver-
zichtet werden zugunsten von Konzeptionen multipler Zugehörigkeiten und
post- oder gar a-nationaler Mitgliedschaften (vgl. Soysal 1996; Kostakopoulou
2009). Einige Ansätze beschränken sich jedoch eher auf die Forderung nach er-
leichterter Einbürgerung, indem sie das Recht der Selbstbestimmung eines De-
mos in normativer Hinsicht als nachrangig gegenüber dem Recht des Individu-
ums auf Inklusion, und dies heißt auf Staatsbürgerschaft, erachten. Insbesondere
der Ausschluss von bereits über einen längeren Zeitraum im Land lebenden Be-
wohner_innen wird dabei als Verletzung des Gebots gleicher Rechte kritisiert.
Diese Kritik steht in Übereinstimmung mit Art. 15 AEMR (1948), der ein Recht
auf Staatsbürgerschaft beinhaltet, womit nationale Souveränität per se nicht in-
frage gestellt wird. Indem z.B. dafür argumentiert wird, die Hürden der Einbür-
gerung von Ausländer_innen zu senken, verortet dieser Ansatz den Aspekt der
Inklusion von vormals Exkludierten sogar gerade innerhalb des nationalstaatli-
chen Rahmens und nicht in einer Alternative, die das Konzept der National-
staatlichkeit prinzipiell problematisiert (vgl. Rubio-Marín 1998: 51). Eine solche
Alternative bieten demgegenüber Konzeptionen sowohl transnationaler als auch
postnationaler Citizenship.10 Während das Konzept transnationaler oder globaler
Citizenship vor allem den Umstand berücksichtigt, dass internationale Migrati-
onsströme zwischen Herkunfts- und Zielländern bestehende Gesellschaften dy-
10 Der englische Terminus wird im Folgenden verwendet, um die größere Offenheit in
Bezug auf die jeweilige institutionelle Ausgestaltung der behandelten Konzepte zu
verdeutlichen. Mit der deutschen Bezeichnung „Staatsbürgerschaft“ lässt sich die in-
tendierte Entkopplung vom Nationalstaat nicht adäquat ausdrücken.
162 | Grenzen de r Menschenrechte
namischer werden und grenzüberschreitende, mobile Gesellschaftsformationen
entstehen lassen, geht das Konzept der postnationalen Citizenship wiederum da-
von aus, dass Menschenrechte sowie Internationales Recht bereits auf das natio-
nale Recht Einfluss haben. Eine Intensivierung eines entsprechenden Rechtsplu-
ralismus befördert dabei die Möglichkeit der Begründung neuer Formen von
Mitgliedschaft, die auf „deterritorialised notions of persons“ (Kostakopoulou
2009: 275) beruhen. Gerade die weltweit zunehmende Anerkennung von Men-
schenrechten bewirke eine Abschwächung der bislang vorherrschenden begriff-
lichen Dichotomie zwischen Inländer_innen und ‚Fremden‘. Anders als Theorien
des sogenannten Liberal Nationalism,11 die den Dualismus zwischen Staatsbür-
ger_innen und Nicht-Staatsbürger_innen aufgrund der für diesen Ansatz norma-
tiv gehaltvollen Idee kollektiver Selbstbestimmung nicht als problematisch und
Parteilichkeit mit co-nationals als vorrangig gegenüber der Idee einer grenzüber-
schreitenden Gleichheit von Individuen ansehen, versuchen Ansätze multipler
Zugehörigkeiten, diese Priorisierung zu durchbrechen durchaus unter Rekurs
auf menschenrechtsbasierte Argumentationen. Die aus der Separierung eines
‚Wir‘ gegenüber ‚Anderen‘ folgende Privilegierung des ‚Wir‘ wird hierbei nicht
nur als realitätsverzerrende Wahrnehmung, sondern in normativer Hinsicht als
schlichtweg unstatthaft aufgefasst. Die Kritik wendet gegen Theorien des Liberal
Nationalism ein, dass zu stark außer Acht gelassen werde, dass Individuen insbe-
sondere im Zusammenhang mit globalisierten Handels- und Migrationsdynami-
ken in vielfältigen, nationale Grenzen transzendierenden Beziehungen stehen.
Demokratische politische Gemeinschaften, deren staatliche Institutionen auf
Konzeptionen der Nation, Ethnie oder einer moralisch aufgeladenen Bedeutung
von Kollektiv beruhen, missachteten die pluralen Zugehörigkeiten von Individu-
en, wenn sie diese um einer normativen Rechtfertigung des Selbstbestimmungs-
erfordernisses willen auf eine singuläre Staatsbürgerschaft festlegen. Die jewei-
ligen Mechanismen der Zuteilung von Staatsbürgerschaft weisen in historischer
Hinsicht neben ethnisierenden, kultur- und geschlechterdiskriminierenden Struk-
turmerkmalen vor allem oligarchische Züge auf. Während sexistische Aus-
schlusskriterien im Zuge der Nationalstaatenbildung vermehrt verblassen, blei-
ben ökonomische Hürden umso bedeutsamer. Zwar wird das Proletariat ungefähr
zeitgleich mit den Frauen politisch gleichgestellt, doch für Migrant_innen sind
die Zugangsbedingungen zur Staatsbürgerschaft oftmals mit besonderen finanzi-
ellen Anforderungen verbunden. Zudem verstärken sich in der „national cum po-
litical nature of citizenship“ (Kostakopoulou 2009: 287) die rassistisch konno-
11 Vgl. u.a. Tamir 1993; Nathanson 1997; Tan 2004.
Grenzen der Mensc henrechte | 163
tierten Abgrenzungen eines als homogen konstruierten ‚Wir‘ gegen ein imagi-
niertes ‚Ihr‘ (vgl. Soysal 1996; Kostakopoulou 2009; Linklater 2011).
Aufgrund vielfältiger und weltweit zunehmender Migration unterliegen dabei
die jeweiligen Bevölkerungen von Nationalstaaten Dynamiken, die eine verein-
seitigende Definition des Demos anhand von Abstammungs- oder Geburtskrite-
rien unplausibel erscheinen lassen. Zudem führen Entwicklungen supranationa-
ler Zugehörigkeitskonzepte wie die Unionsbürgerschaft der Staatsbürger_innen
von EU-Mitgliedsstaaten zu einer Ergänzung und Transformation bestehender
nationalstaatlicher Infrastrukturen, die auch für die Modalitäten politischer Parti-
zipation von Bedeutung sind. So haben EU-Staatsbürger_innen in Deutschland
das Recht auf Teilnahme an Wahlprozessen auf der Kommunalebene, darüber
hinaus ermöglichen verschiedene bilaterale Abkommen zur Wahlberechtigung
zwischen Staaten Skandinaviens zumindest den Staatsangehörigen der beteilig-
ten Länder ein Variantenspektrum an politischer Beteiligung in den Zielländern
(vgl. Bauer 2008). Hinzu kommen vielfältige Universalisierungs- und internatio-
nale Verrechtlichungsprozesse, durch die ausgewählte Menschenrechte von ver-
schiedenen Körperschaften auf der transnationalen Ebene anerkannt werden, was
wiederum zur Ausdehnung und Aufweichung von nationalstaatlicher Souveräni-
tät führt, weil auch auf dem Top-down-Wege transnationale Regeln und Leitli-
nien auf nationaler Ebene verbindlich werden. Diese Entwicklungen werden da-
hingehend gedeutet, dass der „formale Status als Staatsbürger für die Inan-
spruchnahme substanzieller Rechte immer unbedeutender wird, individuelle
Rechte nach und nach aus ihrem nationalen Legitimationskontext herausgelöst
und als universalistische Rechte auf globaler Ebene definiert werden“ (Mackert
2006: 115). Inwieweit bereits vielfach diskutierte theoretische Konzepte globaler
oder kosmopolitischer Citizenship12 in absehbarer Zeit Aussicht auf Verwirkli-
chung haben, wird zunächst dahingestellt bleiben. Allerdings ist im theoretischen
Diskurs seit den 1990er Jahren eine deutliche Tendenz zu beobachten, den Men-
schen selbst stärker in Zentrum der Überlegungen zu rücken, wenn es darum
geht, Formen trans- und postnationaler Bürgerschaft zu denken. Bürger_innen
werden in dieser Perspektive nicht als von der Existenz des Staates abgeleitete
Personen begriffen. Vielmehr muss sich ein Konzept trans- und postnationaler
Bürgerschaft umgekehrt an den Rechten des Menschen orientieren.
Aus diesem Grund spielen Menschenrechte eine entscheidende Rolle für
Theorien zur kosmopolitischen Bürgerschaft (vgl. Linklater 2007: 109-125,
12 Vgl. stellvertretend für die jüngere Diskussion seit dem Jahrtausendwechsel u.a. Car-
ter 2001; Dower 2003; O’Byrne 2003; Schattle 2008; Cabrera 2010; Tully 2014; zur
Kritik vgl. u.a. Chandler 2003.
164 | Grenzen de r Menschenrechte
2011). Gleichwohl zeigt sich bei näherem Hinsehen, dass die Mehrzahl der Glo-
bal-Citizenship-Konzeptionen bei aller Kritik an dem herkömmlichen Modell
der Staatsbürgerschaft die zentrale Kategorie formaler nationalstaatlicher Zuge-
hörigkeit weder überwindet noch ersetzt. Stattdessen behandeln viele Ansätze
Citizenship vornehmlich als kulturelles Phänomen und damit als Angelegenheit
trans- und multinationaler Identität (vgl. O’Byrne 2003; Schattle 2008). Und so
zeigt sich angesichts der Diversifizierung moderner Gesellschaften, in denen ei-
ne homogene nationale und kulturelle Identität nicht mehr als gegeben ange-
nommen werden kann, eine bemerkenswerte Ambivalenz: Trotz Erweiterung
und Transformation von herkömmlichen Staatsbürgerschaftsmodellen bleiben
die verschiedenen Formen postnationaler Mitgliedschaft jenseits des National-
staates nach wie vor auf die Gewährleistung durch einen Nationalstaat angewie-
sen, womit die Widersprüche zwischen Menschen- und Bürger_innenrechten
sowie die begriffliche Differenz zwischen moralischen und politischen Rechten
bestehen bleiben (vgl. Mackert 2006: 109f., 115f.).
Eine Alternative bietet in diesem Punkt eine originär politische Konzeption
der Menschenrechte (vgl. Peter 2013; Näsström 2014). Entsprechende Ansätze
werden in Kap. 6.3 einer Untersuchung unterzogen. Bevor sie dort ausführlicher
diskutiert werden, sollen an dieser Stelle auch im Sinne eines Resümees der
Ausführungen über die Kontroverse über eine angemessene Menschenrechtsde-
finition, die bereits in Kap. 3.1 angesprochen wurden die Argumente für die
Überlegenheit eines politischen Zugangs zur Problematik der Differenz zwi-
schen Menschen- und Bürgerrechten vorgestellt werden. Im Unterschied zu einer
moralischen Konzeption von Menschenrechten, die die Diskrepanz zwischen
normativer Geltung und politischer Umsetzung nicht zu überbrücken weiß, be-
steht der Vorteil einer politischen Konzeption darin, dass dieser Grundkonflikt
insofern vermieden wird, als menschenrechtliche Ansprüche der öffentlichen
Ordnung nicht als von außen (nämlich von Seiten der Moral) vorgeordnet ver-
standen werden. Stattdessen werden sie als durch den politischen Willensbil-
dungs- und Entscheidungsfindungsprozess selbst generiert begriffen (vgl. Men-
ke/Pollmann 2007: 32). Jürgen Habermas erläutert den Zusammenhang insofern,
als die Idee der rechtlichen Autonomie der Bürger_innen verlange,
„daß sich die Adressaten des Rechts zugleich als dessen Autoren verstehen können. Dieser
Idee widerspräche es, wenn der demokratische Verfassungsgesetzgeber die Menschen-
rechte als so etwas wie moralische Tatsachen schon vorfinden würde, um sie nur noch zu
positivieren.“ (Habermas 1996b: 301; vgl. auch Habermas 1994: Kap. III u. IV)
Grenzen der Mensc henrechte | 165
Habermas Verständnis einer Übereinstimmung von Autor_innen- und Adres-
sat_innenschaft bezieht sich hier zwar auf den abgesteckten Rahmen einer politi-
schen Gemeinschaft und damit explizit auf Bürger_innen eines (National-)Staa-
tes. Doch lässt sich sein Ansatz problemlos dahingehend modifizieren, dass nicht
ein vorgegebenes politisches Subjekt wie etwa der Demos einer begrenzten poli-
tischen Gemeinschaft in der Rolle des Autors der Menschenrechte gesehen wer-
den muss. Stattdessen ließe sich die Gesamtheit aller Menschen im Sinne einer
globalen Zivilbevölkerung als Autor_innen der Menschenrechte verstehen. Die
globale Zivilbevölkerung ist dabei jedoch nicht als homogen zu denken, sondern
als pluralistisches Gebilde, das durchaus von Dissensen über die Gehalte der
Menschenrechte geprägt ist. Es mögen sich daher unterschiedliche Gruppierun-
gen bilden, die konträre Auffassungen zur Menschenrechtsbestimmung vertre-
ten. Entscheidend ist dabei zum einen, dass Menschenrechte als Rechte begriffen
werden, über deren Gehalte alle Menschen prinzipiell mitbestimmen können
dürfen, sofern ihr Anspruch auf universelle Gültigkeit ernst genommen werden
soll, und zum anderen, dass ihr Geltungsanspruch nicht auf die vollumfänglich
anerkannten Mitglieder von Nationalstaaten beschränkt bleibt.
5.2 SOZIALE ZUGEHÖRIGKEIT
Der Zugang zu gesellschaftlicher und politischer Teilhabe auf der Basis von
Menschenrechten stößt nicht nur in Bezug auf Staatsbürgerschaft an Grenzen,
auch wenn diese eine Schlüsselrolle bei der Verteilung von Zugangsbedingungen
spielt. Das Problem von Marginalisierung und Ausschluss aus der Sphäre natio-
nalstaatlicher Zugehörigkeit lässt sich nicht von der damit zusammenhängenden
Dimension des Ausschlusses aus der sozialen Zugehörigkeit trennen. Vollständig
oder teilweise verwehrte Mitgliedschaft in einer politischen Gemeinschaft sowie
Marginalisierungs- und Exklusionserfahrungen in der Gesellschaft sind häufig
eng miteinander verbunden. Soziale Teilhabe an der Gesellschaft wird sowohl
Migrant_innen als auch in noch viel erheblicherem Ausmaß Staatenlosen,
Flüchtlingen, Asylsuchenden und undokumentierten Migrant_innen erschwert,
letzteren in mehreren Hinsichten gar verunmöglicht. Zum einen liegt dies an ih-
rem ungewissen rechtlichen Status. Migrant_innen ist es je in Abhängigkeit
vom entsprechenden Aufenthaltsstatus nicht oder nur unter bestimmten Bedin-
gungen erlaubt, eine Arbeit aufzunehmen, eine eigene Wohnung zu beziehen
oder auch nur die Auswahl der täglichen Lebensmittel zu treffen. Unter diesen
Bedingungen besteht kaum eine Chance, am sozialen Leben der übrigen Gesell-
schaftsmitglieder teilzunehmen, zumal für Asylbewerber_innen überdies Resi-
166 | Grenzen de r Menschenrechte
denzpflicht herrscht, die die Mobilität der Betroffenen massiv einschränkt (vgl.
u.a. Zhang 2014). Bei Migrant_innen, die einer der Kategorien Flüchtling, Asyl-
bewerber_in, irreguläre/r Migrant_in zugordnet werden, besteht die besondere
Problematik, dass sie oftmals über längere Zeiträume im Unklaren über die Dau-
er ihres (offiziellen oder inoffiziellen) Aufenthalts verbleiben und dass es häufig
auf unabsehbare Zeit keine sicheren Prognosen bezüglich ihrer Erfolgsaussichten
einer Verstetigung des Aufenthalts gibt.13 Die Gesetzeslage ist weltweit be-
trachtet uneinheitlich, das Internationale Recht kennt beispielsweise kein Recht
auf Asyl. Art. 14 AEMR (1948) sieht lediglich das Recht auf Asylsuche vor,
nicht jedoch ein unabhängiges Recht auf Asylgewährung. Auch die Genfer
Flüchtlingskonvention aus dem Jahre 1951 sieht keinen individuellen Rechtsan-
spruch auf Asyl vor. Nationalstaatliche Verfassungen gewähren es hingegen
etwa das deutsche Grundgesetz (vgl. Art. 16a Abs. 1 GG), allerdings mit teils er-
heblichen Einschränkungen. Von einer allgemeinen Asylrechtsgewährung kann
hier keine Rede sein. Art. 33 GFK (1951)14 beinhaltet zwar ein sogenanntes non-
refoulement, also das Verbot der Ausweisung und Zurückweisung, allerdings ob-
liegt es auch hier dem jeweiligen Nationalstaat, die Kriterien eines potentiellen
Rückführungslandes hinsichtlich seiner möglichen Gefährdungspotentiale zu de-
finieren. Wird ein Land als ‚sicher‘ deklariert, kann ein Flüchtling keinen Ein-
13 Doch auch Migrant_innen mit deutlich weniger prekärem Rechtsstatus haben häufig
nur beschränkten Zugang zu vollumfänglicher gesellschaftlicher Teilhabe, weil sie
kulturell ausgegrenzt und in sozialer Hinsicht marginalisiert werden.Vgl. u.a. Roth
2009 sowie die Beiträge in Klein/Kern/Geißel/Berger 2004; Oppong 2011. Zu den ju-
ristischen Aspekten von Migration und Teilhabe vgl. Farahat 2013.
14 Vgl. den vollständigen Wortlaut Art. 33 GFK: „1. Keiner der vertragschließenden
Staaten wird einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten
ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner
Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit. seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozia-
len Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde. 2. Auf
die Vergünstigung dieser Vorschrift kann sich jedoch ein Flüchtling nicht berufen, der
aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes anzuse-
hen ist, in dem er sich befindet, oder der eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses
Staates bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder eines besonders schweren
Vergehens rechtskräftig verurteilt wurde“, https://www.unhcr.org/dach/wp-content/
uploads/sites/27/2017/03/Genfer_Fluechtlingskonvention_und_New_Yorker_Protok
oll.pdf (24.11.2018).
Grenzen der Mensc henrechte | 167
spruch gegen eine Verweisung erheben.15 Der Umstand, dass aus bestehenden
Menschenrechtskonventionen weder ein Recht auf Einwanderung noch ein
Rechtsanspruch auf Asylgewährung ableitbar ist, führt in der Praxis dazu, dass
der Ausschluss von den genannten Personengruppen sowohl von der Po litik als
auch der Gesellschaft stillschweigend vorausgesetzt wird. Gleichwohl steht zur
Debatte, ob bereits bestehende Rechte auf Auswanderung und innerstaatliche
Bewegungsfreiheit (Art. 13 AEMR 1948) in normativer Hinsicht nicht mindes-
tens um ein Recht auf zwischenstaatliche Bewegungsfreiheit, also Migration zu
erweitern wären (vgl. Brezger/Cassee 2012: 430; Cassee 2012, 2016).
Die liberalistische Trennlinie zwischen einer öffentlichen Sphäre Staat und
Politik im engeren Sinne einerseits und einer privaten Sphäre Produktion und
Reproduktion andererseits konstruiert all diejenigen, die dem produktiven und
insbesondere dem reproduktiven Bereich zugeordnet werden, als ‚das Andere‘:
Arbeiter_innen, Frauen, Fremden bleibt der Zugang zur öffentlichen Sphäre
verwehrt, da der Raum des Politischen bis ins 20. Jahrhundert16 hinein den
männlichen Besitzenden vorbehalten bleibt. Während die sozialpolitischen
Kämpfe um Gleichberechtigung der ersten beiden Gruppierungen im 19. und
frühen 20. Jahrhundert spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg in (fast)17 allen
westlichen Industrienationen zum aktiven und passiven Wahlrecht der vormals
Ausgeschlossenen führten, werden in heutigen liberal-demokratischen Ländern
in Bezug auf die politische Sphäre diejenigen als ‚das Andere‘ gesetzt, die nicht
über den Staatsbürger_innenstatus verfügen. Und dies oftmals in doppelter Wei-
se: Zum einen sind sie ‚das Andere‘ des politischen Partizipations- und Reprä-
sentationsprozesses, aus dem sie aufgrund eines sogenannten Migrations-‚Hin-
tergrundes‘ (der häufig nicht einmal auf eine Geburt außerhalb des Aufenthalts-
staates rekurriert, sondern in Bezugnahme auf die Herkunft der Eltern- bzw.
Großelterngeneration zugeschrieben wird), aufgrund ihrer eigenen ‚ausländi-
schen‘ Herkunft oder aufgrund eines Status nicht-dokumentierter Zuwanderung
ausgeschlossen sind. Zum anderen sind es oftmals Migrant_innen, die in einer
15 Zur Kritik an der sogenannten Dublin II-Verordnung sowie zur sogenannten Migrati-
onsabwehr an den EU-Außengrenzen („Frontex“) vgl. Fischer-Lescano/Kommer
2009. Zur Kritik an der Schlechterstellung von Asylsuchenden vgl. u.a. Classen/
Kanalan 2010.
16 Was den Ausschluss von Frauen anbetrifft, bleibt auch im 21. Jahrhundert in einigen
Ländern das Wahlrecht weiblichen Staatsbürger_innen verwehrt, so z.B. in den Arabi-
schen Emiraten, Brunei, Bhutan.
17 Eine Ausnahme bildet hier die Schweiz, die erst im Jahre 1971 das Wahlrecht für
Frauen einführte.
168 | Grenzen de r Menschenrechte
zweiten Hinsicht als ‚das Andere‘ wahrgenommen werden, nämlich als ‚das An-
dere‘ innerhalb der gesellschaftlichen Sphäre, etwa durch kulturelle, religiöse
oder schichten- und milieubezogene Zuschreibungen. Diese Variante des ‚An-
dersseins‘ ist insofern doppelt prekär, als die Betroffenen weder politisch reprä-
sentiert noch gesellschaftlich vollständig anerkannt werden, obwohl sie durchaus
Teil der Gesamtgesellschaft sind und insbesondere in ökonomischer, sozialer
und kultureller Hinsicht, etwa in Form von privater Hausarbeit, Kinderbetreuung
oder Dienstleistung in der Altenpflege, aktiv zu deren Erhalt beitragen. Die
strukturelle Unterscheidung zwischen dem Bereich des Politischen und der
Sphäre des Sozialen führt dazu, dass das System demokratischer Repräsentation
trotz seiner formalen normativen Vorgaben der Gleichheit einen Ausschlussme-
chanismus gegenüber denjenigen, die nicht zum politischen Bereich gezählt
werden, beibehält, mit dem wiederum sozioökonomische Ungleichheiten fortge-
schrieben und verfestigt werden. Eine auf Repräsentation angelegte politische
Ordnung vermag daher die Widersprüche, die sich aus der Trennung zwischen
Gesellschaft und Staat ergeben, unter den gegebenen Umständen nicht zu über-
winden, da sie es den von Nichtrepräsentation Betroffenen verwehrt, zumindest
Bezugspunkt der Repräsentation zu werden.
In jüngerer Zeit sind insbesondere in der feministischen Diskussion um Defi-
zite und Desiderate repräsentativer Demokratietheorien die Probleme von Mar-
ginalisierung, Diskriminierung und Exklusion verstärkt in den Fokus gerückt
worden.18 Dabei wird u.a. die normative Forderung gegenüber auf Repräsentati-
on basierenden Demokratien erhoben, dass diese dringend spezifische „Mecha-
nismen [brauchen], um das durch Repräsentation aus dem politischen Raum
Ausgeschlossene präsent […] zu machen“ (Sauer 2011a: 134). Eine Alternative
zu herkömmlichen repräsentativen Demokratien zeichnet sich nach Ansicht kri-
tischer Demokratietheoretiker_innen dadurch aus, dass sie Räume eröffnet, in
denen das liberale Trennungsschema zwischen einer privaten und einer öffentli-
chen Sphäre nachhaltig infrage gestellt werden könne. In diesen Räumen sollen
Anliegen des reproduktiven, sozialen und kulturellen Bereichs thematisch wer-
den können, die selbst nicht innerhalb der gegebenen Strukturen demokratischer
Repräsentation vertreten werden. Als wichtig werden hier Verfahren erachtet,
die den Raum der Repräsentation entgrenzen, indem sie die bestehenden Herr-
schaftsstrukturen hinterfragen und die Nicht-Repräsentation von Ungleichheiten
sichtbar machen. Dieses Aufzeigen des Nicht-Repräsentierten in Foren und Are-
18 Vgl. u.a. Phillips 1998; Castro Varela/Dhawan 2004; Alber/Kohler 2007; Sauer
2011a; Bausch 2014. Die folgenden Ausführungen finden sich in Teilen auch in Mar-
tinsen 2014.
Grenzen der Mensc henrechte | 169
nen, die selbst zwar nicht Teil des Repräsentationssystems sind, dieses aber er-
gänzen bzw. vielmehr konterkarieren, erhält beispielsweise bei Birgit Sauer da-
her eine besondere Bedeutung. Als Beispiel einer solchen demonstrativen Politik
führt sie etwa die Tradition des „Transnationalen Migrant_innenstreiks“ an, der
in Wien und anderen Orten Österreichs am 1. März als Form des Protestes gegen
Rassismus, Diskriminierung und Ausgrenzung veranstaltet wird (vgl. Sauer
2011a: 135). Allerdings will sie es nicht bei einer sporadisch-eruptiven Protest-
kultur belassen, sondern fordert eine stärkere Einbeziehung solcher Kritikräume,
in denen sich nicht-repräsentierte Anliegen Gehör verschaffen können, in bereits
institutionalisierte Politikprozesse. Mit der Fundierung repräsentativ-demokra-
tischer Politik in sozial-partizipatorischen Praxen erhofft sich Sauer eine stärkere
Inklusion der sozial und ökonomisch Marginalisierten. Soziale Ungleichheiten
bzw. die gesellschaftlichen und ökonomischen Kräfteverhältnisse, die ihnen zu-
grunde liegen, müssten jedoch nicht einfach nur demonstriert und dargestellt,
sondern vielmehr „ganz unmittelbar zum Teil und Gegenstand des politischen
Prozesses gemacht werden“ (ebd.). Dies sei nur möglich, wenn auch die Men-
schen, die von den Auswirkungen sozialer Ungleichheiten betroffen seien, sicht-
bar im politischen Raum würden.
Angesichts der optimistischen Annahmen über das transformative Potential
einer sozial-partizipativen Fundierung des politischen Repräsentationsprozesses
ist jedoch fraglich, ob die damit verbundenen Erwartungen in Bezug auf die ent-
sprechenden normativen Zielsetzungen, etwa die Aufdeckung von benachteili-
genden Strukturen und die Bekämpfung von sozialen Ungleichheiten, zu erfüllen
sind. Inwieweit erscheint es plausibel, dass mithilfe einer sozial-partizipativen
Fundierung von Repräsentation Strukturen sozialer Ungleichheit tatsächlich so-
weit ‚entschleiert‘ werden, dass eine stärkere Einbeziehung ‚der Anderen‘, näm-
lich der Nicht-Repräsentierten, möglich wird? Für die Beantwortung dieser Fra-
ge ist allerdings zuerst einmal zwei Einwänden gegen Sauers Konzeption zu be-
gegnen: Zum einen der Befürchtung, dass ihr Ansatz Gefahr läuft, das nicht-re-
präsentierte ‚Andere‘ unbeabsichtigt zu essentialisieren, zum anderen der Skep-
sis gegenüber einer möglichenfalls unreflektierten Übertragung von sozialen Be-
langen in den politischen Bereich, die außer Acht lässt, dass dabei hierarchische
oder diskriminierende Strukturen Einzug halten könnten.
Der erste Einwand besagt, dass Sauers Konzeption einer sozial-partizipativen
Fundierung politischer Prozesse durch besondere Berücksichtigung des ‚Ande-
ren‘ des Politischen, nämlich des Bereichs des Privaten, der Reproduktion, au-
genscheinlich selbst Gefahr läuft, diesen Bereich essentialistisch zu fassen und
damit stereotypen kulturellen und genderbezogenen Zuschreibungen Vorschub
zu leisten. Die Fokussierung auf das nicht-repräsentative Fundament könnte
170 | Grenzen de r Menschenrechte
missverstanden werden als sei es eine originäre Aufgabe von Migrant_innen,
insbesondere von migrantischen Frauen, die in ihren Rollen als Stadtteilmütter,
als Engagierte im Bereich der Kinderbetreuung/Schule oder als Beitragende zur
Kultur besonders prominent genannt werden, die liberale Trennung zwischen
„privat“ und „öffentlich“ zu überwinden, indem sie das Soziale und Reprodukti-
ve in den Bereich des Politischen hineintragen. Mit diesen geschlechterbezoge-
nen und kulturellen Konnotationen droht der Ansatz einer partizipativen Fundie-
rung von Repräsentation auf dichotomisierende Konstellationen zurückzufallen.
Dieser Fallstrick der sauerschen Alternativkonzeption von Demokratie ließe
sich jedoch durch eine bewusstere Reflexion der spezifischen Kontexte der Be-
nachteiligung und Exklusion unterschiedlicher Betroffenengruppierungen even-
tuell umgehen: Im Sinne einer sowohl gendersensiblen als auch hegemoniekriti-
schen Perspektive könnte hier zumindest das Bewusstsein dafür gestärkt werden,
dass die Positionierung des ‚Subjekts Migrant_in‘ nicht von vornherein feststeht,
sondern dass mit aller Wahrscheinlichkeit gerade in Bezug auf Fragen sozialer
oder kultureller Praxis von eher heterogenen denn homogenen Einstellungen und
Haltungen bei Migrant_innen auszugehen ist.
Der zweite Einwand betrifft das Problem einer unreflektierten Übertragung
sozialer Belange in den Raum des Politischen. Auf den ersten Blick ist nicht er-
sichtlich, was genau Sauer mit der Überwindung der Trennlinien innerhalb des
Repräsentationszusammenhangs meint. Wie bereits angedeutet, geht Sauer of-
fensichtlich davon aus, dass eine repräsentative Demokratie vom Prinzip her
„Gesellschaft, also das zu repräsentierende Abwesende, verschwinden [lässt]“;
d.h. Gesellschaft als ‚das Andere‘ der Politik werde „gleichsam durch den Re-
präsentationsakt substituiert“ (Sauer 2011a: 134). Am ehesten lässt sich Sauers
Ansatz dahingehend interpretieren, dass die Konzeption einer sozial-partizipa-
tiven Fundierung der demokratischen Repräsentation es sowohl Betroffenen
selbst als auch Personen, die mit Marginalisierten, Benachteiligten und Ausge-
schlossenen solidarisch sind, ermöglicht, die sozialen Verhältnisse, die innerhalb
politischer Strukturen verschleiert werden, mittels diverser partizipativer Praxen
sichtbar zu machen und zwar ausdrücklich im Modus der politischen Partizipa-
tion. Wichtig an dieser Lesart ist, dass die Sichtbarmachung keine Vorstufe zu
einer möglichen Repräsentation durch andere darstellt, sondern selbst als eine
politische Demonstration von sozialen Ungleichheiten, d.h. als ein politischer
Hinweis auf Missstände zu begreifen ist. Nicht-repräsentative Praxen an der ge-
sellschaftlichen Basis sind deshalb von umso größerer Bedeutung, weil nur sie,
und zwar ausgeführt von den Betroffenen selbst oder in anderen Worten: von
unten nach oben die einzig legitime Grundlage für die Repräsentation von
Nicht-Repräsentiertem darstellen. Partizipative Repräsentation bedeutet in dieser
Grenzen der Mensc henrechte | 171
Interpretation jedoch nicht, soziale Verhältnisse ungefiltert in der politischen
Praxis aufgehen zu lassen. Stattdessen heißt partizipative Repräsentation, soziale
und politische Anliegen von Betroffenen selbst thematisch und damit sichtbar
werden zu lassen, um sie in die repräsentativen Prozesse einzuspeisen. Diesen
Punkt betont auch Iris Marion Young, die die Überwindung des liberal-demo-
kratischen Paradoxes darin sieht, „institutionalisierte Wege zur ausdrücklichen
Anerkennung und Repräsentation unterdrückter Gruppen zu schaffen“ (Young
1993: 279). Sauer hingegen bezweifelt in grundsätzlicher Weise, dass es inner-
halb des liberalen Repräsentationsmodells möglich ist, die Trennung zwischen
Staat und Gesellschaft aufzuheben. Ihrer Meinung nach ließen sich unter den
Bedingungen kapitalistischer Produktionsweise allenfalls Kompromisse inner-
halb des Repräsentationsmodells herstellen. Youngs Einschätzung, dass die Ex-
klusion von Gruppen durch deren „Selbstorganisation und Vertretung jener
Gruppen“ (ebd.: 300) zu vermeiden sei, trifft zwar für Personengruppen zu, die
qua Gesetz durchaus über die Möglichkeit verfügen, sich politisch zu organisie-
ren, aber aus strukturellen Gründen von Ausbeutung, Marginalisierung, Macht-
losigkeit, Kulturimperialismus oder Gewalt (vgl. Young 1996: 114ff.) betroffen
sind. Doch verliert ihre Konzeption all jene aus dem Blick, die sich aufgrund der
rechtlichen Situation gar nicht selbst vertreten können. Dies wiederum mag we-
der Young noch Sauer zum Vorwurf gemacht werden zu können, da beide Auto-
rinnen vornehmlich diejenigen Ausschlussmechanismen behandeln, von denen
Gruppierungen betroffen sind, die prinzipiell teilhabeberechtigt sind, aber aus
sozialen, ökonomischen oder kulturellen Gründen marginalisiert werden. Für
meinen Untersuchungsgegenstand ist es daher umso interessanter, herauszuar-
beiten, inwiefern der zwiespältige Charakter demokratischer Repräsentation, der
gerade dort zum Ausdruck kommt, wo der Anteil der Nicht-Repräsentierten
nicht bloß kontingenterweise mehrheitsentscheidungsbedingt, sondern aus sys-
tematischen, d.h. rechtlichen, Gründen, ausgeklammert bleibt, umgekehrt den
Ausschluss von bestimmten Personengruppen aus dem Bereich sozialer Zugehö-
rigkeit sogar noch befördert.
Migrant_innen ohne Wahlrecht und insbesondere undokumentierte Mig-
rant_innen verdeutlichen das Paradox repräsentativer Demokratien noch einmal
in verschärfter Weise. Sie sind nicht nur das ‚Andere‘ der politischen Repräsen-
tationslogik und damit aus dem staatlichen Bereich der Repräsentierten ausge-
schlossen, sondern sie verkörpern darüber hinaus oftmals auch das ‚Andere‘ in-
nerhalb der Gesellschaft, indem sie zwar in Form von reproduktiver Tätigkeit zu
deren Bestehen beitragen, an ihr jedoch nicht im vollen Umfang teilhaben kön-
nen, da sie kulturell und sozial nicht vollständig anerkannt sind oder, wie im Fal-
le der undokumentierten Migrant_innen, nicht einmal über einen offiziellen Sta-
172 | Grenzen de r Menschenrechte
tus von ‚Mit‘-Bürger_innen verfügen und häufig entsprechend ihrer nicht-
legalisierten Existenz in Bereichen der Gesellschaft tätig sind, in denen sie in
stärkerem Maße ausbeuterischen, diskriminierenden oder kriminalisierenden
Strukturen ausgesetzt sind.19 Der Exklusionsmechanismus des Repräsentations-
modells zeigt sich an der Lebensweise undokumentierter Migrant_innen daher
umso deutlicher. Anhand der Diskussion der Merkmale ihres Ausschlusses aus
der politischen Sphäre lässt sich der Blick wie durch ein Vergrößerungsglas auf
die Probleme des Repräsentationsmodells richten. Bei Sauer sollte sich das zent-
rale Problem der Verschleierung sozialer Verhältnisse durch die Einbeziehung
derjenigen, die ihre Betroffenheit von sozialer Ungleichheit thematisieren und
sich selbst mittels der Demonstration der Benachteiligungsmechanismen sichtbar
machen, vermeiden oder zumindest moderieren lassen: Wenngleich die Ent-
scheidungen über die entsprechenden Anliegen von Nicht-Repräsentierten dem
politischen ‚Normalbetrieb‘ der Repräsentation anheimgestellt bleiben, wäre ü-
ber die nicht-repräsentierten Betroffenen wenigstens zu sagen, dass sie durch den
Akt der Demonstration ihrer Anliegen selbst zu politisch Handelnden werden.
Sauers Ansatz kann jedoch nicht erklären, inwieweit diese Betrachtungsweise
auf Personen, denen genau dieses Recht auf politische Akteur_innenschaft ver-
wehrt bleibt, überhaupt anwendbar ist. Die Demonstrant_innen, die den Anlie-
gen sozialer Ungleichheit Gehör verschaffen, aber gleichwohl Nicht-Reprä-
sentierte innerhalb des Repräsentationsmodells bleiben, sind, wenn es um origi-
näre politische Entscheidungen geht, auf das Verständnis und die Solidarität po-
tentieller Repräsentant_innen angewiesen. Es mag eingewendet werden, dass die
Verwiesenheit auf Vertretung das zentrale Unterscheidungskriterium zwischen
einer direkten und einer repräsentativen Demokratie markiert. Doch trifft dieser
Einwand nicht das hier behandelte Problem strukturell bedingter Nicht-Reprä-
sentation, wie sie in all denen Fällen vorliegt, wo Personen aufgrund ihrer Nicht-
Staatsbürgerschaft ausgeschlossen bleiben. Nicht-Repräsentierte, die selbst kei-
nen Zugang zum politischen Repräsentationssystem haben, sind in besonderer
Weise von der Solidarität und der Bereitschaft potentieller Repräsentant_innen
abhängig. Sie sind darauf angewiesen, dass diese sich ihrer Anliegen annehmen
und sie im Rahmen eines ‚Sprechens für‘ und ‚Handelns für‘, und das heißt
wiederum im Sinne der „substantive acting for others“-Variante von Repräsenta-
tion (Pitkin 1967: 115) auf die politische Agenda setzen. Ohne die Möglich-
keit, an einer Wahl teilzunehmen, verfügen Nicht-Repräsentierte über keinerlei
Chance auf soziale, geschweige denn politische Teilhabe. Damit können sie,
19 Vgl. Stobbe 2004: 64ff.; Schwenken 2006: 84ff.; Krause 2008: 333ff.; Breyer 2011:
19ff., 64ff.
Grenzen der Mensc henrechte | 173
wenn sie schon nicht selbst aktiv am politischen Prozess Anteil haben, nicht
einmal über den vermittelten Modus der Repräsentation auf die politischen Ent-
scheidungsprozesse Einfluss zu nehmen.
Judith Butler verweist in diesem Zusammenhang auf ein Beispiel aus den
USA, in dem marginalisierte Personen durch bestimmte politische Handlungen
sich zumindest die politischen Symbole von Demokratie und Rechtstaatlichkeit
aneignen: Im Frühjahr 2006 singen irreguläre Einwander_innen bei Demonstra-
tionen in kalifornischen Städten die US-amerikanische Hymne auf Spanisch.
Dieses Phänomen der „nuestro himno“ („unserer Hymne“) veranschaulicht die
Problematik der Konstruktion eines ‚Wir‘ und ‚Unser‘. Durch die performative
Aneignung der Nationalhymne in der Sprache einer der größten Minderheiten
des Landes wird die Frage, wem die Hymne ‚gehört‘, aufgeworfen. Mit dem
Singen auf Spanisch wird der moralisch-kulturelle Anspruch auf die Hymne gel-
tend gemacht und zugleich der offizielle ‚Besitz‘ ausschließlich in englischer
Sprache kontestiert. In der Ausrufung des „somos equales“ („wir sind gleich“)
findet ein Sprechakt statt, der recht forsch die Gleichheit eines anders gemeinten
‚Wir‘ deklariert (vgl. Butler/Spivak 2007: 41ff.). Das eigentlich als homogen
englischsprachig imaginierte Wir von Staatsbürger_innen wird durch die sprach-
liche Brechung konterkariert. Doch es handelt sich hier nicht nur um eine Provo-
kation des Kollektivs, sondern zugleich um die Konstitution eines pluralen, hete-
rogenen ‚Wir‘, in der Freiheit und Gleichheit performativ zum Ausdruck kom-
men:
„Freiheit ausüben und Gleichheit gegenüber einer Autorität geltend machen, die beides
ausschließt, heißt zu zeigen, wie Freiheit und Gleichheit sich jenseits ihrer positiven Arti-
kulationen bewegen können und müssen. Man ist auf Widerspruch angewiesen, man muß
ihn exponieren und bearbeiten, um zu etwas neuem zu gelangen. Einen anderen Weg
scheint es nicht zu geben. Ich glaube, wir können das als eine Diskursmobilisierung ver-
stehen.“ (Butler/Spivak 2007: 46)
Die performative Sichtbarmachung des marginalisierten Bevölkerungsanteils
mithilfe einer Deformation der vorherrschenden Sprache kann als eine selbster-
mächtigende Umarbeitung von Macht gelesen werden. Schließlich sind diejeni-
gen, die singen, per Gesetz nicht dazu berechtigt. Butler interpretiert die Szene-
rie folgendermaßen: Die singenden Menschen handeln nicht von einem Naturzu-
stand aus. Sie singen im öffentlichen Raum, und zwar im wahrsten Sinne des
Wortes auf der Straße. Ihr Singen ist ein Akt der Demonstration, in dem sie nicht
nur die Sprache der Nationalhymne verändern, „sondern auch deren öffentlichen
Raum“ (ebd.). Die Inanspruchnahme des öffentlichen Raums ohne offizielle Be-
174 | Grenzen de r Menschenrechte
rechtigung dazu versteht Butler als ein Ausagieren der postulierten Freiheit, also
als Praktischwerden einer Idee bzw. „als ein Postulieren dessen, was noch nicht
da ist“ (ebd.: 47). Die Forderung nach Freiheit zu stellen bedeute, bereits mit ih-
rer Ausübung zu beginnen und im Nachhinein deren Legitimation zu verlangen.
Auf diese Lücke zwischen der Freiheit bzw. der Gleichheit, die gefordert wird,
und deren Ausübung werde ich im Folgenden noch näher zu sprechen kommen,
wenn es zum einen um Jacques Rancières Ansatz zu Rechten ‚als ob‘, die von
den „Sans Papiers“ in Frankreich gefordert werden, geht (vgl. Kap. 5.3), und
zum anderen, wenn die Lücke, die als Trennlinie zwischen bestehenden Geset-
zen und Arendts ‚Recht auf Rechte‘ besteht und durch die Übernahme politi-
scher Verantwortung zu überwinden wäre, näher beleuchtet wird (vgl. Kap. 6.3).
Ich werde in beiden Zusammenhängen auf weitere Beispiele eingehen, in denen
die Lücke zwischen moralischen und politischen Menschenrechten durch das
Einbringen des Nichthabens von Rechten in den öffentlichen Diskurs sichtbar
gemacht.
Hannah Arendt bezeichnet den Verlust des rechtlichen Schutzanspruchs
durch Staatsbürgerschaft als einen Zustand, in dem der als universell deklarierte
Anspruch auf Menschenrechte keinen Ausweg bietet, sondern nachgerade den
Verlust des Weltbezugs insgesamt besiegelt. Der Ausschluss aus der politischen
Gemeinschaft, so meint Arendt provokant, sei gleichbedeutend mit dem Aus-
schluss aus der Menschheit (vgl. Arendt 2011: 397, 402), da Menschenrechte
ungeachtet ihrer moralischen Gültigkeit mit dem Verlust von Staatsbürgerrech-
ten ihre faktische Geltung verlieren. Genau darin liege
„das Paradox, daß der Mensch sowohl zu einem abstrakten Menschenwesen überhaupt
wird ohne Beruf, ohne Staatszugehörigkeit, ohne Meinung, ohne Leistungen, durch die
er sich identifizieren und spezifizieren könnte als auch zu einem abstrakten Unterschie-
denen überhaupt, der nicht mehr darstellt als seine eigene, absolut einzigartige Individuali-
tät, die aber jegliche Bedeutung verloren hat, weil sie in keine gemeinsame Welt mehr
hineinhandeln oder sich in ihr zum Ausdruck bringen kann“ (ebd.: 405).
Das Gefühl der Nutzlosigkeit und Überflüssigkeit, das bei Flüchtlingen, Staaten-
losen, aber auch etlichen Migrant_innen anzutreffen ist, weil ihnen neben der
rechtlichen Anerkennung seitens des Staates zusätzlich häufig auch die gesell-
schaftliche Anerkennung seitens der Gesellschaft versagt bleibt, identifiziert
Arendt als eine der markantesten Folgen des Verlusts staatsbürgerlicher Zugehö-
rigkeit. In einem Aufsatz aus dem Jahre 1943 beschreibt sie das eigene Erleben
Grenzen der Mensc henrechte | 175
als Flüchtling aus dem nationalsozialistischen Deutschland und ihre Erfahrungen
der Staatenlosigkeit als Exilantin20 folgendermaßen:
„Wir haben unser Zuhause und damit die Vertrautheit des Alltags verloren. Wir haben un-
seren Beruf verloren und damit das Vertrauen eingebüßt, in dieser Welt irgendwie von
Nutzen zu sein. Wir haben unsere Sprache verloren und mit ihr die Natürlichkeit unserer
Reaktionen und die Einfachheit unserer Gebärden und den ungezwungenen Ausdruck un-
serer Gefühle.“ (Arendt 1986b: 7/8)
Hannah Arendts Kritik an den Menschenrechten hat ihren Höhepunkt, wie be-
reits an mehreren Stellen erwähnt (vgl. Kap. 2.3, 4.1 und 5.1), darin, dass sie den
Status, universelle Menschenrechte zu haben, mit dem Status, keinerlei Rechte
zu haben, gleichsetzt (vgl. Arendt 1986a: 605ff.). Dieser drastische Vergleich
wird nachvollziehbar, wenn bedacht wird, dass er in bestimmter Hinsicht tat-
sächlich zumindest für Menschen, die sich außerhalb eines staatlichen Zugehö-
rigkeitszusammenhangs befinden, zutrifft. Dabei müssen wir uns vor Augen hal-
ten, dass ‚außerhalb‘ bei Arendt nicht nur ein räumliches Außerhalb-von-Sein
bedeutet, etwa das Fern-von-Sein, wie es charakteristisch für die Flucht ist, wenn
ein Mensch das Territorium seines Heimatlandes verlassen musste. Arendts Kri-
tik bezieht sich vielmehr auf eine fundamentalere Variante des Außerhalb-von-
Sein, nämlich auf das Außerhalb der sozialen und mitmenschlichen Sphäre, wie
es am schärfsten anhand der Internierung in einem (Konzentrations-)Lager ver-
anschaulicht werden kann. Die Beispiele der Situation von Flüchtlingen, Staaten-
losen und der displaced persons offenbaren, worin die „abstrakte Nacktheit des
Nichts-als-Menschseins“ (ebd.: 620) konkret besteht: Auf der Flucht, als Asylsu-
chender und in der Staatenlosigkeit werde der Mensch nicht nur seines Status als
Staatsbürger und damit seiner rechtlich-politischen Identität beraubt. Er werde
unfreiwillig auf das nackte Leben reduziert, weil er als Flüchtling/Staatenloser
bloß Mensch ist, er ist auch ein seiner sozial und kulturell definierten Identität
entblößter Mensch (vgl. Arendt 2011: 400f.).
Die Reduktion auf menschliche Grundfunktionen wie Nahrungsaufnahme
und Reproduktion steht beispielsweise mit der vorherrschenden Asylgesetzge-
bung in Deutschland durchaus in Einklang. So verhindert etwa das sogenannte
Sachleistungsprinzip des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) „ein auto-
nomes, den eigenen Bedürfnissen angepasstes Wirtschaften, da die Leistungen
nicht variabel eingesetzt und individuelle Mehr- und Minderbedarfe nicht gegen-
20 Zur biographischen Erfahrung des Flüchtlingsdaseins Hannah Arendts während der
1930/40er Jahre vgl. Young-Bruehl 1986: insb. Kap. II.4.
176 | Grenzen de r Menschenrechte
einander ausgeglichen werden können“ (Mahler 2012: 2). Die Vergabe von Le-
bensmitteln, Kleidung und Hygieneartikeln in Form von Wertgutscheinen für
bestimmte Kategorien und Geschäfte verunmöglicht ein Handeln gemäß rudi-
mentären Formen von Autonomie, von differenzierteren Aktivitäten in gesell-
schaftlichen Bereichen ganz abgesehen. Zwar wird die gesetzliche Handhabung
von Menschenrechtstheoretiker_innen kritisiert, indem sie als sowohl den men-
schenrechtlichen als auch den verfassungsrechtlichen Vorgaben eines eigenver-
antwortlichen Wirtschaftens widersprechend bewertet wird (vgl. ebd.). Doch
drückt sich in den Vorgaben des Asylbewerberleistungsgesetzes eine Vorstel-
lung aus, der zufolge das nackte Überleben eines Menschen als menschenrecht-
lich zu schützen gilt, weiter reichende Maßnahmen zur Teilhabe am sozialen und
gesellschaftlichen Leben jedoch nicht. Die bereits erwähnte Mobilitätsbeschrän-
kung durch die Residenzpflicht (z.B. für Asylbewerber_innen mit Aufenthalts-
gestattung und für Geduldete) oder die sogenannte ‚Sichere Drittstaaten‘-
Regelung, die für Asylbewerber_innen gilt, sowie Beschränkungen bei der Wahl
der Wohnung und der Arbeit zeigen, dass der Staat gerade nur die notwendigen
Rahmenbedingungen des menschlichen Lebens hinsichtlich Ernährung, Obdach
und Bekleidung zur Verfügung stellt. Alle diese Regelungen stellen dabei jedoch
äußerliche Einschränkungen individueller Freiheit dar freilich, ohne das physi-
sche Überleben ernsthaft zu gefährden. Dennoch werden sie von subtileren For-
men der Ausgrenzung aus den Bereichen Bildung, Kultur und gesellschaftlichen
Lebens flankiert, bei denen z.B. die Unterbringung von Flüchtlingen und Asyl-
bewerber_innen in zumeist dezentral gelegenen Heimen einen entscheidenden
Faktor darstellt.
Es gibt Stimmen, die die aktuelle Asylrechtsregelung insgesamt infrage stel-
len und in der nationalstaatlichen Beschränkung von Migration aufgrund von in
ihren Augen zweifelhaften Kriterien eine prinzipielle Unvereinbarkeit mit men-
schenrechtlichen Ansprüchen von Individuen sehen (vgl. Bielefeldt 2006; Hay-
den 2009; Cyrus 2010). So wertet etwa der Weltentwicklungsbericht der UNDP
das Motiv, das eigene Herkunftsland zu verlassen in der Hoffnung auf eine Mög-
lichkeit zur Verbesserung der individuellen Lebenschancen, als Entscheidungs-
spielraum, der als „Schlüsselmoment menschlicher Freiheit“ (UNDP 2009: 1,
deutsch zit. n. Cyrus 2010: 317) gelesen werden sollte und nicht als unstatthafter
Grund, der einen Staat wie die Bundesrepublik Deutschland veranlasst, keinen
Asyl- oder Flüchtlingsstatus zu verleihen. Menschen ohne staatliche Duldung,
d.h. Personen, die sich weiterhin in dem Zielland ihrer Migration aufhalten, ohne
dass ihre Gründe zur Migration offiziell als Flucht aufgrund von politischer Ver-
folgung oder gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt wurden, oder
die illegal eingereist sind und darum unter dem Begriff ‚irreguläre Migranten‘
Grenzen der Mensc henrechte | 177
geführt werden, sollten aus Sicht der Kritiker_innen der gängigen Praxis den-
noch als Menschen mit unveräußerlichen Rechten angesehen werden. Aus nor-
mativer Sicht bestehe nämlich eine Hierarchie der Rechtsnormen, bei der Men-
schenrechten oberste Bedeutung zukomme. Nominell unterliege auch die staatli-
che Einwanderungspolitik menschenrechtlichen Bindungen, so seien mindestens
Schutz- und Aufnahmeverpflichtungen gegenüber Flüchtlingen, faire Verfah-
rensregeln zur Prüfung von Asylbegehren, die Achtung des Rechts auf gemein-
sames Familienleben, der Ausschluss rassistischer Kriterien bei der politischen
Gestaltung der Zuwanderung, nicht zuletzt auch die diskriminierungsfreie Ge-
währleistung wirtschaftlicher und sozialer Rechte der Immigrierten zu beachten.
Die staatliche Befugnis, Zuwanderung rechtlich zu regeln, werde dabei nicht be-
stritten, doch seien insbesondere die sogenannten sozialen Menschenrechte für
Zuwander_innen, gerade wenn es sich bei ihnen um undokumentierte bzw. ‚irre-
guläre‘ Migrant_innen handele, wichtig (vgl. Bielefeldt 2006: 81ff.). Die ver-
hältnismäßig junge UN-Wanderarbeiterkonvention (International Convention on
the Protection of the Rights of all Migrant Workers and Members of Their Fami-
lies, kurz: ICRMW)21 aus dem Jahr 1990 stellt hierbei, auch wenn sie bislang nur
in wenigen Ländern überhaupt ratifiziert wurde, eine wichtige Orientierung für
die theoretische wie praktische Auseinandersetzung mit der menschenrechtlichen
Situation der Betroffenen in den jeweiligen Aufenthaltsländern dar. Anders als
andere Internationale Abkommen geht die Wanderarbeiterkonvention auf undo-
kumentierte Migrant_innen explizit ein etwa mit dem Verbot jeglicher arbeits-
rechtlicher Diskriminierung, die ihren Grund im Migrationsstatus hat (Art. 25
ICRMW 1990). Zugleich wird unmissverständlich festgestellt, dass aus den in
ihr enthaltenen Rechten keine automatische staatliche Legalisierung im Aufent-
haltsland folgt. Die Konvention bekräftigt zunächst eine Reihe an Rechten, die
bereits im UN-Zivilpakt (1966) aufgeführt werden, u.a. das Recht auf Leben
(Art. 9 ICRMW 1990), das Verbot von Folter (Art. 10 ICRMW 1990), von Skla-
verei (Art. 11 ICRMW 1990), sowie das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art.
16 ICRMW 1990) oder das Recht auf Freizügigkeit (Art. 8 ICRMW 1990). Dar-
über hinaus konkretisiert sie diese Rechte hinsichtlich der spezifischen Situation
der Migrant_innen, z.B. mit dem Verbot kollektiver Ausweisung (Art. 22
ICRMW 1990) oder dem Recht auf Rückkehr in den Herkunftsstaat (Art. 8
21 Vgl. A/Res/45/158 (18.12.1990). Erst im Jahre 2003 konnte die Wanderarbeiterkon-
vention in Kraft treten, nachdem die erforderlichen 20 Ratifikationen erfolgt waren.
Im Jahre 2018 betrug die Anzahl an ratifizierenden Staaten 54, vgl. https://
treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=IV-13&chapter=4
&lang=en (24.11.2018).
178 | Grenzen de r Menschenrechte
ICRMW 1990). Aufschlussreich ist, dass die UN-Wanderarbeiterkonvention
(1990) bislang allerdings ausschließlich von Ländern ratifiziert wurde, aus denen
Arbeitsmigrant_innen stammen, während ihr keines der typischen Aufnahme-
länder beigetreten ist. Während also vor allem westafrikanische, südamerikani-
sche und ostasiatische Staaten zu den Unterzeichnern gehören, hat keine einzige
sogenannte Industrienation die Konvention ratifiziert. Eine Ratifizierung
Deutschlands ist nach Ansicht von Menschenrechtsbeobacher_innen in absehba-
rer Zeit nicht zu erwarten (vgl. Bielefeldt 2006: 86). Umso mehr sind Mig-
rant_innen ohne legalen Aufenthaltsstatus der Gefahr ausgesetzt, Situationen
faktischer Rechtlosigkeit, wie sie Arendt beschreibt, ausgeliefert zu sein. Aus-
beuterische und sklavenähnliche Arbeitsverhältnisse, Bedrohungen und die Vor-
enthaltung von Lohn auf Baustellen, in Bordellen oder privaten Haushalten sind
keine Seltenheit. Daher kommt Art. 24 ICRMW (1990), die Garantie der Rechts-
fähigkeit, die auch mit Art. 16 IPBPR (1966) bereits im UN-Zivilpakt enthalten
ist, besondere Bedeutung zu. Staaten würden sich mit der Wanderarbeiterkon-
vention zumindest verpflichten, Menschen auch ohne legalen Aufenthaltstitel
Zugang zum Recht zu ermöglichen. Damit ist jedoch noch nicht viel über eine
weiter reichende soziale, geschweige denn politische Teilhabe gesagt. Zugang zu
Bildung, Gesundheit, Mobilität oder gesellschaftliche Inklusion sind vor dem
Hintergrund mangelnden politischen Willens, dem menschenrechtlichen Status
undokumentierter Migrant_innen Rechnung zu tragen, nach wie vor utopische
Ziele einer möglichen Einwanderungspolitik, die sich in einem weiteren Schritt
eventuell für die politische Inklusion öffnen könnte. Insbesondere in letzterem
Punkt greift die Wanderarbeiterkonvention ohnehin zu kurz, da sie sich vor al-
lem auf den humanitären Aspekt des Schutzes von Betroffenen bezieht. Aller-
dings böte sie unter den gegebenen Umständen bei einer entsprechenden Ratifi-
zierung durchaus Ansatzpunkte für eine Ermächtigung der Migrant_innen, für
bessere Lebensbedingungen in dem Aufenthaltsland zu kämpfen und die korre-
lierenden (Menschen-)Rechte einzufordern. Am Beispiel von undokumentierten
Migrant_innen und Asylbewerber_innen zeigt sich die Situation faktischer
Rechtlosigkeit, die sich u.a. in schwerwiegenden Formen der Marginalisierung
oder Exklusion äußert. Wenn Arendt in diesem Zusammenhang einerseits von
‚Heimatverlust‘, andererseits von Verlust der Zugehörigkeit zur Menschheit
(vgl. Arendt 1986a: 610, 613, 621) spricht, mag dies zunächst sowohl unverhält-
nismäßig als auch beliebig anmuten. Worauf sie mit diesen disparaten Formulie-
rungen hinauswill, ist der Umstand, dass es sich beim Ausschluss aus der politi-
schen und sozialen Gemeinschaft nicht um ein graduelles, sondern um ein fun-
damentales Problem handelt.
Grenzen der Mensc henrechte | 179
5.3 POLITISCHE PARTIZIP ATION
Das Paradox der Menschenrechte, einen Anspruch auf Universalität zu erheben
und zugleich exkludierende Wirkungen zu zeitigen, wird in Bezug auf die Mög-
lichkeit zur politischen Partizipation besonders sichtbar. Vertreter_innen sowohl
der moralischen als auch der juridischen Auffassung von Menschenrechten se-
hen darin kein Paradox, da sie davon ausgehen, dass es nicht dem Gehalt der
Menschenrechte per se entspricht, politische Partizipation zu gewährleisten, son-
dern dass mit ihnen vielmehr der Anspruch auf die Implementierung einer sol-
chen (nationalen, inter-, supra- oder transnationalen) rechtlichen Ordnung for-
muliert wird. Erst diese vermag die Möglichkeit der politischen Partizipation zu
garantieren. Menschenrechten als moralischen Ansprüchen ist nach dieser Auf-
fassung die juridische Dimension bereits inhärent, die wiederum in Form von
staatlich verbürgten Grundrechten oder international garantierten Abkommen
zum Tragen kommt (vgl. Lohmann 2010). Ebenso ist in der moralischen Kon-
zeption von Menschenrechten eine politische Dimension enthalten, die nur dort
vollends realisiert wird, wo Menschenrechte erkämpft und einklagbar gemacht
worden sind und sich als demokratische Legitimationsbedingungen souveräner
Herrschaft verstehen lassen. In dieser Argumentationslinie lassen sich Men-
schenrechte als vorpositive, aber durchaus politisch begründete Ansprüche ge-
genüber einer öffentlichen Ordnung auf juridisch zu realisierende, einklagbare
Grundrechte verstehen, die es darüber hinaus zudem völkerrechtlich abzusichern
gilt. Aus dieser Perspektive fällt die begriffliche Spannung zwischen Menschen-
und Bürgerrechten nicht ins Gewicht. Stattdessen wird das Spannungsverhältnis
als Modus der Arbeitsteilung gelesen: Nationales wie transnationales Recht hat
Sorge für die Realisierung des den Menschenrechten innewohnenden Anspruchs
auf Implementierung zu tragen. Der Moral kommt hingegen die Aufgabe zu, die
Einhaltung der Menschenrechte durch entsprechende Funktionsträger_innen mit
„motivationalen Ressourcen“ (Pollmann 2012c: 362) zu versorgen. Daher inte-
ressieren in diesem Zusammenhang auch eher die programmatischen Fragen,
welche Forderungen an Nationalstaaten oder transnationale Ordnungssysteme
sich aus moralisch begründeten universalen und egalitären Ansprüchen politi-
scher Teilnahmerechte ergeben. Mehrere Varianten werden in der derzeitigen
Forschung diskutiert. Neben der Forderung einer Demokratisierung sämtlicher
Staaten auf der Grundlage, die AEMR (1948) in ihre nationalen Verfassungen zu
integrieren, steht die Etablierung eines politischen Weltbürgerstatus zur Debatte,
der Menschen aller Staaten der Welt parallel bzw. ergänzend zu ihren national-
180 | Grenzen de r Menschenrechte
staatlich verliehenen Mitbestimmungsrechten gleiche politische Mitwirkungs-
rechte ermöglicht (vgl. Lohmann 2010: 149).22
In der Debatte um die institutionellen Rahmenbedingungen für eine mög-
lichst breitenwirksame Implementierung der Menschenrechte wird jedoch ver-
gessen, dass angesichts des Primats nationalstaatlicher Souveränität weder mora-
lisch basierte noch rechtlich-institutionell begründete Ansätze denjenigen Indivi-
duen Rechnung tragen, denen der Zugang zu politischer Partizipation deshalb
versagt bleibt, weil sie nicht über Staatsbürger_innenrechte verfügen (vgl. Zhang
2014: 244). In den vorangegangen Abschnitten wurde die Bedrohung der sozia-
len, kulturellen und lebenspraktischen Isolation, die für Menschen ohne Staats-
bürgerschaft besteht, bereits angesprochen. Hinzu kommt das besondere Ausmaß
der Exklusion aus der politischen Sphäre, von der Staatenlose, Flüchtlinge, Asyl-
bewerber_innen und undokumentierte Migrant_innen betroffen sind. Und auch
Migrierende mit permanentem Aufenthaltsstatus, jedoch ohne Staatszugehörig-
keit, werden in ihren politischen Partizipationsmöglichkeiten beschränkt. Die
Ausgrenzung aus der politischen Sphäre ist im täglichen Leben möglicherweise
nicht in ähnlich konkreter Weise zu spüren wie die Formen sozialer Missach-
tung, die Iris Marion Young u.a. als Ausbeutung, Marginalisierung und kulturel-
le Diskriminierung benennt (vgl. Young 1996) und die sich auch in einzelnen
(dabei durchaus wiederkehrenden) Handlungsmustern und Interaktionen im All-
tag ausdrücken. Dennoch ist für Betroffene deutlich zu bemerken, dass die
staatsbürgerliche Grenze nicht allein entlang der territorialen Demarkationslinie
verläuft, sondern im gesellschaftlichen, kulturellen und zwischenmenschlichen
Geschehen permanent präsent ist. Diese Grenzziehung führt dazu, dass bestimm-
te Menschen zu einem apolitischen Leben gezwungen werden, obwohl sie per-
manent von politischen Entscheidungen betroffen sind. Étienne Balibar hat diese
ubiquitäre Grenze als neuen Rassismus bezeichnet, insofern die Ausgrenzung,
die sich vordergründig als ‚kulturelle Differenz‘ ausgibt, diejenigen betrifft, die
aufgrund mangelnder Staatsbürgerschaft wie Bürger zweiter Klasse behandelt
werden (vgl. Balibar 2004a: 122). Selbst diejenigen Migrant_innen, die im Rah-
men von Lohnarbeit an sozialen Rechten beteiligt werden, bleiben in Bezug auf
politische Rechte depriviert.
Die Resolution 1617 der Parlamentarischen Versammlung des Europarats
aus dem Jahre 2008 gibt eine Empfehlung für die Gewährung eines erleichterten
22 Vgl. zur Debatte über politische Mitbestimmung im Zusammenhang mit Menschen-
rechten u.a. Alexy 1998; Böckenförde 1998; Wellmer 1998; Dworkin 1998; Haber-
mas 1999a.
Grenzen der Mensc henrechte | 181
Zugangs von Migrant_innen zu Bürger_innenrechten, insbesondere zu politi-
schen Rechten wie dem Wahlrecht:
„[T]he Assembly recalls that the essence of democracy is that all those concerned by a de-
cision must be directly or indirectly part of the decision-making process. Otherwise the
dignity of a person is not respected. That is why representativeness is of crucial im-
portance and it is unacceptable that large groups of the population are excluded from the
democratic process. This situation must be remedied by facilitating access to citizenship or
extending political rights, including voting rights, to non-citizens. (Parlamentary As-
sembly 2008)
Die in der Resolution aufgeführten politischen Rechte auf Teilhabe sollen hier-
bei Migrant_innen zugutekommen, die bereits über eine langfristige Aufent-
haltsgenehmigung verfügen. Undokumentierte Migrant_innen bleiben auch hier
ausgeschlossen. Das ist angesichts der bestehenden Gesetzeslage folgerichtig.
Allerdings zeigt sich anhand der Empfehlungen immerhin für diejenigen legali-
sierten Migrant_innen, die jedoch keine Staatsbürger_innen im engeren Sinne
sind, dass die Parameter der Zumessung von politischer Teilhabe einen konstru-
ierten Charakter haben und nicht zuletzt anfechtbar sind, sei es von Betroffenen
selbst, von der Zivilgesellschaft oder von sich als zuständig begreifenden Reprä-
sentant_innen. Seyla Benhabib verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass
innerhalb von Europa seit geraumer Zeit verschiedene Vorstöße zu beobachten
sind, bestimmten Migrant_innengruppierungen durchaus politische Teilhaber-
echte zuzugestehen, die bestehenden gesetzlichen Gepflogenheiten zuwiderlau-
fen und damit konstitutive Kriterien wie nationale Zugehörigkeit und Citizenship
nachhaltig in Frage stellen (vgl. Benhabib 2008c: 59ff.).23 Benhabib setzt mit
Blick auf die Zukunft daher auf das Potential demokratischer Iterationen inner-
halb von öffentlichen Diskursen, die nicht auf nationale Debatten beschränkt
bleiben müssen und möglicherweise zu Bedeutungs- und Geltungsverschiebun-
gen von Zugehörigkeitskriterien führen könnten, deren Ergebnisse heute noch
23 Als Beispiel nennt Benhabib das Gesetz des Bundeslandes Schleswig-Holstein vom
21. Februar 1989, das eine Änderung des Wahlrechts bezüglich der Teilnahme an
Gemeinde- und Kreiswahlen vorsah: Allen seit mehr als fünf Jahren in Schleswig-
Holstein lebenden Menschen mit gültiger Aufenthaltserlaubnis, die aus den Ländern
Dänemark, Irland, Niederlande, Norwegen, Schweden oder Schweiz (die Auswahl be-
stimmte sich nach dem Reziprozitätsprinzip) stammen, sollte kommunales Wahlrecht
gewährt werden. Allerdings wurde dieses Gesetz vom Bundesverfassungsgericht als
nicht verfassungskonform erklärt (vgl. BVerfGE 83, 40).
182 | Grenzen de r Menschenrechte
nicht absehbar sind. Es sei daher an dieser Stelle analog zur historischen Situati-
on der aus dem Bereich der Politik ausgeschlossenen Frauen während der Auf-
klärungs- und Revolutionszeit im ausgehenden 18. Jahrhundert daran erinnert,
dass so manche politische oder soziale Selbstverständlichkeit erst aus zeitlicher
Distanz betrachtet als eklatanter Widerspruch erkennbar wird. Während es heut-
zutage, im Abstand von über 200 Jahren, als nur noch schwer nachvollziehbar
erscheint, dass der Widerspruch zwischen der Erklärung universeller Menschen-
und Bürgerrechte und dem Ausschluss von Frauen in der damaligen Zeit nicht
stärker skandalisiert wurde, so ist womöglich nicht auszuschließen, dass nach-
folgende Generationen weder das liberale Trennungsschema zwischen Sozialem
und Politischem bzw. zwischen Privatem und Öffentlichem noch die Unter-
scheidung zwischen Staatsbürger_innen und ‚Aus-Länder_innen‘ als plausibel
erachten. In diesem Sinne mag sich eine entsprechende heute noch durchaus
naiv anmutende Hoffnung in die Zukunft ausdrücken:
„In der Nichtunterscheidung der Rechtssubjektivität von Menschen und Bürgern in den
Französischen Deklarationen von 1789, 1791 und 1793 steckt das Postulat, alle Menschen
schon heute so zu achten, als wären sie Mitbürger, und in Zukunft alle, die es heute noch
nicht sind, zu solchen zu machen.“ (Brunkhorst 2002: 109/110)
Hinsichtlich der Mehrzahl an Nationalstaaten bedeutet dies, dass ausschließlich
die Inhaber_innen der Staatsbürgerschaft auch über das Recht zur politischen
Teilhabe in vollem Umfang verfügen.24 In der Bundesrepublik Deutschland be-
steht zumindest für EU-Bürger_innen ein Recht auf politische Mitbestimmung
auf der kommunalen Ebene. Allen übrigen Migrant_innengruppen (inklusive
Flüchtlingen, Asylbewerber_innen und Undokumentierten) bleibt die Möglich-
keit zu politischer Partizipation im Sinne eines Wahlrechts faktisch verwehrt.25
Abgesehen von einem aktiven Wahlrecht, das von diesen Personengruppen nicht
ausgeübt werden kann, sind die Chancen dafür, dass ihre Belange über andere,
z.B. sozial-partizipative Kanäle in der Öffentlichkeit Gehör finden und somit
über einen indirekten Weg in die politische Sphäre eingehen, ebenfalls gering, da
ihre Themen und Anliegen kaum repräsentiert werden. Obwohl beispielsweise
viele Migrant_innen im sozialen, kulturellen und sportbezogenen Bereich in ei-
nem ähnlichen Umfang wie Staatsbürger_innen ehrenamtlich engagiert sind (vgl.
Roth 2009: 28f.), ist die Trennung zwischen dem privaten bzw. gesellschaftli-
chen Bereich und der öffentlich-politischen Sphäre für diese Bevölkerungsgrup-
24 Vgl. dazu ausführlicher Martinsen 2014.
25 Vgl. die Beiträge in Morlok/Poguntke/Bukow 2014.
Grenzen der Mensc henrechte | 183
pe schier unüberwindlich. Aufgrund mangelnder Repräsentation bleibt der politi-
sche Ausschluss dieser Personengruppe zudem mehr oder weniger unsichtbar,
denn auch diejenigen politisch Aktiven, die einen sogenannten Migrationshinter-
grund aufweisen, selbst aber im Zuge der Einbürgerung ihrer selbst oder ihrer
Eltern das Recht auf politische Partizipation erhalten haben und entsprechend
ausüben können, vertreten nur selten die Interessen von Nicht-Wahlberechtigten.
In Bezug auf politische (und soziale) Anliegen besteht somit häufig ein Teufels-
kreis, den die Betroffenen selbst ohne Weiteres nicht zu durchbrechen vermö-
gen. Nach Auffassung Birgit Sauers besteht hier eines der Probleme im System
der Repräsentation selbst nämlich dass soziale Verhältnisse und Konflikte im
Modus der Trennung zwischen Repräsentiertem und zu Repräsentierendem not-
wendigerweise unsichtbar gemacht würden, weil es im Raum des Politischen
keine Entsprechungen für die Belange von Nicht-Repräsentiertem gebe.
„Repräsentation wird zum Ersatz für gesellschaftliche Auseinandersetzungen, ja als solche
Ersatzhandlung simuliert sie gleichsam soziale Auseinandersetzungen und stellt so die Il-
lusion sozialer Gleichheit her. Diese hegemoniale Konstellation bringt die Bürger_innen
im Akt der Repräsentation zum Zustimmen zu und zum Verstummen gegenüber sozialer
Ausgrenzung und Ungleichheit.“ (Sauer 2011a: 134)
Dieser Mechanismus wird im Falle der Migrant_innen ohne EU-Bürger_in-
nenstatus und damit ohne jegliches Wahlrecht dadurch verschärft, dass zum Pa-
radox der Verschleierung sozialer Ungleichheiten auch noch das bereits ange-
sprochene Paradox demokratischer Legitimität (vgl. Benhabib 2008c; Colliot-
Thélène 2011: 140ff.) hinzutritt. Dieses Paradox besagt, dass die aus der Sphäre
des Politischen Ausgeschlossenen, die gleichzeitig aber zur Gesellschaft dazu
zählen, keine Möglichkeit haben, über die Bedingungen einer möglichen Zu-
gangsberechtigung mitzubestimmen. Stattdessen werden sie der liberalen Logik
entsprechend als ‚das Andere‘ konstruiert: Nachdem die ehemals Exkludierten
Arbeiter_innen und Frauen im Zuge der sozialpolitischen Kämpfe des 19. und
frühen 20. Jahrhunderts in Bezug auf das aktive und passive Wahlrecht gleichge-
stellt wurden, sind es in heutigen liberal-demokratischen Ländern diejenigen, die
nicht über den Staatsbürger_innenstatus verfügen. Sie gelten, darauf wurde
schon mehrfach verwiesen, zudem in doppelter Weise als das ‚Andere‘:26 Zum
einen sind sie das ‚Andere‘ des politischen Partizipations- und Repräsentations-
prozesses, aus dem sie aufgrund ihres sogenannten Migrations-‚Hintergrundes‘
26 Vgl. Kap. 5.2. Zur Hervorbringung von Migrant_innen als ‚Andere‘ im politischen
Repräsentationsprozess vgl. ausführlicher Bausch 2014.
184 | Grenzen de r Menschenrechte
(der häufig nicht einmal auf eine Geburt außerhalb des Aufenthaltsstaates rekur-
riert, sondern in Bezugnahme auf die Herkunft der Eltern- bzw. Großelterngene-
ration zugeschrieben wird), aufgrund ihrer eigenen ausländischen Herkunft oder
aufgrund eines Status undokumentierter bzw. ‚irregulärer‘ Zuwanderung ausge-
schlossen sind. In einer zweiten Hinsicht werden oftmals insbesondere Mig-
rant_innen als das ‚Andere‘ wahrgenommen, und zwar durch kulturelle, religiöse
oder schichten- und milieubezogene Zuschreibungen innerhalb der gesellschaft-
lichen Sphäre. Diese Variante des ‚Andersseins‘ ist insofern doppelt prekär, als
die Betroffenen weder politisch repräsentiert noch gesellschaftlich vollständig
anerkannt werden, obwohl sie, auch dies wurde schon angesprochen, Teil der
Gesamtgesellschaft sind und insbesondere in ökonomischer, sozialer und kultu-
reller Hinsicht, etwa in Form von privater Hausarbeit, Kinderbetreuung oder
Dienstleistungen im Care-Bereich, aktiv zu deren Erhalt beitragen. Diese doppel-
te Prekarisierung fördert ein für die Belange von Marginalisierten und Exkludi-
erten ungünstiges Wechselverhältnis: Durch die Abschließung der politischen
Sphäre gegenüber denjenigen, die aufgrund des Staatsbürgerschaftskriteriums
keinen Zugang zu ihr erhalten, werden wiederum sozioökonomische Ungleich-
heiten fortgeschrieben und verfestigt. Die politische Ordnung vermag daher die
Mechanismen des politischen Ausschlusses von Nicht-Staatsbürger_innen unter
den gegebenen Umständen nicht zu überwinden, da es Exludierten nicht möglich
ist, ihre Anliegen in die politische Sphäre einzubringen. Darüber hinaus wird es
ihnen erschwert, wenn nicht sich selbst, so doch ihre Anliegen über andere, die
zur politischen Partizipation berechtigt sind, wenigstens zu Objekten der Reprä-
sentation zu machen. An diesem Punkt wird also die Grenze der herkömmlichen
Menschenrechte gegenüber einem Recht auf politische Partizipation deutlich.
Dadurch, dass es Individuen ohne Staatsbürgerschaft weder möglich ist, aktiv an
der Entscheidung über Belange, von denen sie betroffen sind (oder potentiell be-
troffen sein könnten), mitzuwirken, noch gestattet, ihre Interessen und Anliegen
in gleichberechtigter Weise in den Raum des Politischen hineinzutragen, bleiben
sie auf die barmherzige Unterstützung derjenigen, die über das Recht auf Mit-
wirkung verfügen, angewiesen. Dies ist jedoch aus drei Gründen problematisch:
1) Zunächst einmal werden Menschenrechte auf den Status einer reinen Orientie-
rungshilfe für moralische Motivationen von Personen, die sich für die Belange
von Benachteiligten einsetzen wollen, reduziert. Dies mag durchaus gut gemeint
sein. In der Asymmetrie zwischen der Gruppe von Nicht-Berechtigten und der
Gruppe Berechtigter zum Zugang zur politischen Sphäre liegt jedoch sowohl die
Gefahr der Abhängigkeit der ersten Gruppe von der zweiten als auch die Gefahr
eines wohlwollenden Paternalismus letzterer gegenüber ersteren.
Grenzen der Mensc henrechte | 185
2) Menschenrechte stützen aufgrund der Trennung zwischen einer moralisch-
humanitären und einer politischen Sphäre eine Unterscheidung menschlicher
Existenzweisen, bei der bestimmten Individuen lediglich das Recht zu einem
moralisch relevanten, nicht aber zu einem politisch-selbstbestimmten Leben zu-
geschrieben wird. Dieser Personengruppe wird damit ein apolitisches Leben auf-
genötigt oder zumindest ein Leben mit vollumfänglicher politischer Teilhabe
vorenthalten.
3) Daher ist im Zusammenhang der menschenrechtlich basierten Trennung zwi-
schen Moralität und Politischem der Umstand, dass Individuen ohne Staatsange-
hörigkeit das Recht auf politische Autonomie versagt wird, auch deshalb als hei-
kel anzusehen, weil damit fraglich wird, welchen Stellenwert ‚Freiheit‘ innerhalb
einer Konzeption von Menschenrechten hat. Unter der Prämisse der Unterschei-
dung zwischen Menschen- und Bürger_innenrechten wird Freiheit auf private
Autonomie verkürzt.
Die Freiheitsrechte, die die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948)
vorsieht, umfassen neben den liberalen Rechten auf Freiheit von Versklavung
(Art. 4 AEMR 1948) oder Folter (Art. 5 AEMR 1948), Gedanken-, Gewissens-,
Religionsfreiheit (Art. 18 AEMR 1948) sowie Freiheit der Meinung (Art. 19
AEMR 1948) auch soziale und wirtschaftliche Rechte, die als befähigende Rech-
te, also als Freiheit zu etwas,verstanden werden könnten (vgl. Art. 22-28 AEMR
1948, in denen u.a. „soziale Sicherheit“, freie Berufswahl, Teilhabe an Bildung
und Kultur als Rechte formuliert werden).27 Explizit bedeutet außerdem das
Recht auf Mitwirkung an den öffentlichen Angelegenheiten (Art. 21 AEMR
1948) ein Recht auf politische Freiheit. Dennoch klaffen Menschen- und Bür-
ger_innenrechte in den meisten nationalstaatlichen Verfassungen dahingehend
auseinander, dass die Möglichkeit zur Beteiligung an Wahlen für Nicht-Staats-
bürger_innen eingeschränkt oder ihnen gänzlich verwehrt wird. In diesem Fall
verbleibt Freiheit nur noch als Gestaltungsmöglichkeit des vornehmlich privaten
Raums, wobei je nach legalem Status des Individuums innerhalb eines Staates
auch gerade die Ausübung basaler Lebensfunktionen wie Ernährung oder
Wohnen, aber auch die Teilhabe an sozialen und kulturellen Aktivitäten, wie be-
reits am Beispiel des Asylbewerberleistungsgesetzes deutlich wird, Einschrän-
kungen unterliegt. Aus Sicht vieler normativer demokratietheoretischer Konzep-
tionen von Partizipation lässt sich private Autonomie von politischer Autonomie
nicht einfach trennen, weil der Terminus ‚Autonomie‘, wenn er die Selbstbe-
27 Zur Problematik sozialer Autonomie vgl. ausführlicher Kreide 2008.
186 | Grenzen de r Menschenrechte
stimmungsmöglichkeit des Individuums unter Berücksichtigung struktureller
und institutioneller Bedingungen bedeuten soll, nicht ohne Weiteres begrifflich
aufzuspalten ist in einen privaten und einen öffentlichen Bereich (vgl. u.a. Alexy
1998: 261; Habermas 1996b: 301f.).
Wenn Menschenrechte auch für Nicht-Staatsangehörige Autonomie verbür-
gen können sollen, muss ein entsprechender Katalog den Zusammenhang zwi-
schen privater und politischer Autonomie deutlicher machen. Dieser Zusammen-
hang ist insbesondere mit Blick auf Theorien transnationaler Demokratie und die
Diskussion über Möglichkeiten politischer Partizipation jenseits des National-
staates relevant. Hier wird das sogenannte Betroffenheitsprinzip („all-affected“-
principle), nach dem alle Personen, die von einer Entscheidung betroffen sind,
ebenfalls das Recht haben, diese mitzubestimmen (vgl. Karlsson 2006: iii; Näs-
ström 2011), nicht nur in Bezug auf die Frage nationalstaatsübergreifender De-
mokratie diskutiert. Auch hinsichtlich der Frage, inwieweit ein inklusives Recht
auf Partizipation, unabhängig von Staatsbürgerschaft, begründet werden könne,
ist das Betroffenheitsprinzip von hoher Relevanz. Die Grundannahme dieses
Prinzips besteht darin, dass bei politischen Entscheidungen sämtliche Personen
beteiligt werden müssen, die direkt oder auch nur indirekt von ihr betroffen
sind. Es werden mit dieser Auffassung somit alle die Ansätze herausgefordert,
die von einem selbstkonstituierenden Volk als legitimatorischer Grundlage für
politische Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse ausgehen und übli-
cherweise auf das Unterworfenheitsprinzip rekurrieren. Sie nehmen als Basis ei-
ner Demokratietheorie ein bereits bestehendes oder sich konstituierendes Volk
an und diskutieren allenfalls die normative Reichweite des von ihm ausgehenden
Entscheidungsfindungsprozesses:
„What is significant for the all-subjected principle is that it takes the existence of a politi-
cal unit for granted. It assumes the state as a primary boundary or threshold for inclusion
and exclusion and then argues that all those subjected to political rule within its bounda-
ries ought to have a say in its making.(ebd.: 117)
Angesichts der Globalisierung und zunehmenden transnationalen Vernetzung
wird jedoch offensichtlich, dass eine Beschränkung der Entscheidungsreichweite
auf ein Volk oder Territorium in vielen Hinsichten nicht mehr als adäquat anzu-
sehen ist. Das Betroffenheitsprinzip kehrt also die Definitionsrichtung, wie sie
üblicherweise mit dem Unterworfenheitsprinzip beschrieben wird, um: D.h.
nicht eine bestimmte Personengruppe wie beispielsweise der Demos eines gege-
benen Nationalstaates konstituiert die Reichweite politischer Entscheidungen,
sondern die Entscheidungsreichweite konstituiert die Personengruppe, die an ihr
Grenzen der Mensc henrechte | 187
beteiligt werden soll. Insbesondere in Fragen des Umweltschutzes oder des in-
ternationalen Friedens wird deutlich, dass eine legitimatorische Rückbindung le-
diglich an die Personen, die einer bereits vorfindlichen Zuordnung unterliegen,
nicht angemessen ist. Das Betroffenheitsprinzip erlaubt im Unterschied zum Un-
terworfenheitsprinzip, das ‚people-making‘ selbst zum Gegenstand politischer
Entscheidungen zu machen. Vertreter_innen des Betroffenheitsprinzips heben
hervor, dass der Nationalstaat heutzutage schließlich selbst eine kontestierte po-
litische Größe sei, die sich ins Verhältnis zu lokalen, regionalen und zwischen-
und transnationalen Einheiten setzen muss. Sowohl ihre Autorität in demokrati-
schen Entscheidungsfindungen als auch ihre legitimatorische Quelle für die Bin-
dungskraft dieser Entscheidungen stehen daher zur Disposition, sofern der Kreis
der Betroffenen über ihre Angehörigen und Bewohner_innen hinausreicht. Das
Betroffenheitsprinzip beansprucht nun, zwischen unterschiedlichen demokrati-
schen Zielen besser vermitteln zu können als das Unterworfenheitsprinzip, wenn
es darum geht, die Bereiche von Betroffenheit genauer zu bestimmen, um Ent-
scheidungen so differenziert und verbindlich wie möglich zu treffen. Drei zentra-
le Funktionen kommen dem Betroffenheitsprinzip zu: Diagnose, Bestimmung
und Rechtfertigung der Konturen des Personenkreises von Betroffenen. Dieser
mag mit den Grenzen eines Demos übereinstimmen, kann aber darüber hinaus-
gehen (vgl. ebd.: 117ff.). Alle drei Funktionen stellen dabei selbst bereits politi-
sche Herausforderungen für die Demokratietheorie dar, denn häufig geschieht es
Theoretiker_innen, dass sie im Zuge der Rechtfertigung des Betroffenen-Perso-
nenkreises auf ein traditionelles Demokratiemodell zurückgreifen, bei dem das
Volk als Quelle und nicht als Gegenstand der theoretischen Auseinandersetzung
über politische Legitimität begriffen wird. Stattdessen wird versucht, dasjenige
bereits als gegeben anzunehmen, das eigentlich erst zu ermitteln wäre die nor-
mative Reichweite politischer Entscheidungen (vgl. ebd.: 118). Inwiefern damit
intendiert wird, die nicht zuletzt konfliktanfällige Aushandlung über die Kri-
terien des Betroffenenkreises zu umgehen, sei dahin gestellt. Tatsächlich ist die-
ser Aushandlungsprozess selbst zu reflektieren, was die Ausführung dieser An-
gelegenheit der Demokratietheorie nicht einfacher macht (vgl. Karlsson 2006:
1). Nichtsdestotrotz liegt genau hierin der Vorzug von politischen Theorien, die
dem all-affected-Prinzip den Vorrang geben, da sie die Frage nach den Ak-
teur_innen, die die Konturen des Betroffenenkreises definieren, transparent ma-
chen, statt auf statische Konstrukte eines gegebenen Demos zu rekurrieren. Zu-
gleich eröffnen sie die normative Diskussion über die Frage, „[T]o whom do we
owe such justification?“ (Näsström 2011: 118). Diese Diskussion sieht sich
zweifellos ebenso Anfechtungen ausgesetzt wie die Diagnose und Bestimmung
der Konturen des Betroffenenkreises, da diese nicht zuletzt von dissensanfälligen
188 | Grenzen de r Menschenrechte
Interessenvertretungen abhängig sind. Dennoch scheint es aus normativer Sicht
keine Alternative zur öffentlich-diskursiven Aushandlung dieser stets aufs Neue
zu ziehenden Grenzen eines jeweiligen Betroffenenkreises zu geben. Zwar be-
steht Nancy Frasers Einwand gegen das Betroffenheitsprinzip (all-affected-
principle) genau in jener Problematik des potentiellen ‚misframing‘ und damit
verbundenen (nicht-intendierten) Ungerechtigkeiten in Form von Marginalisie-
rung und Exklusion,
„wenn die Grenzen einer Gemeinschaft fälschlicherweise so gezogen sind, dass sie Men-
schen vollständig von der Teilnahme an internen Debatten ausschließen. Als Nichtmit-
glieder Klassifizierte werden in diesem Fall zu Unrecht aus dem Kreis jener ausgeschlos-
sen, die an den internen Überlegungen über Verteilung, Anerkennung und gewöhnliche
politische Repräsentation innerhalb des Gemeinwesens teilnehmen dürfen.“ (Fraser 2008:
60)
Doch übersieht Fraser dabei, dass genau jene Reflexion möglicher ungerechter
Grenzziehung überhaupt nur unter der Prämisse des Betroffenheitsprinzips mög-
lich wird sofern seine Handhabung innerhalb der politischen Meinungs- und
Willensbildungsprozesse offen für die Selbstkorrektur und diskursive Lernpro-
zesse bzw. für deren Sichtbarmachung ist (vgl. Habermas 2001: 774; Schmalz-
Bruns 2012: 130).
Sobald das Betroffenheitsprinzip ernst genommen wird, sortieren sich man-
che üblich gewordenen Zuordnungen innerhalb der Politischen Theorie neu. Die
weit verbreitete Aufteilung etwa der Bereiche privater und öffentlicher Autono-
mie (vgl. Habermas 1994: Kap. 3), lässt sich dann nicht mehr ohne Weiteres auf-
rechterhalten. Sie wird selbst zur politischen Frage. In der Debatte um die Mög-
lichkeit zur politischen Teilhabe unabhängig von nationalstaatlicher Zugehörig-
keit zeigt sich, dass eine Zuweisung der privaten Autonomie in den Geltungsbe-
reich der Menschenrechte und der öffentlichen Autonomie in den Bereich der
Volkssouveränität hinfällig wird. Spätestens in dieser Frage steht die legitimato-
rische Bezugsgröße der Volkssouveränität in Zweifel. Und ebenso wenig ist eine
Lesart der Menschenrechte als Verbürgung vorstaatlicher Schutz- und Freiheits-
rechte adäquat. Interessanterweise teilt auch Ingeborg Maus, eigentlich eine de-
zidierte Verfechterin der Theorie der Volkssouveränität, in diesem Punkt die
Auffassung, dass Autonomie nicht teilbar sei und Menschenrechte daher nicht
als vorpolitisch zu verstehen seien (vgl. Maus 2011: Kap. 5; s. auch Alexy 1998:
261).
Die These einer Unteilbarkeit privater und politischer Autonomie ist in der
Rede von einem ‚einzigen‘ Menschenrecht enthalten, das in Arendts Texten eine
Grenzen der Mensc henrechte | 189
zentrale Rolle spielt. Es besteht ihrer Ansicht nach in dem „Recht, Rechte zu ha-
ben“ (Arendt 1986a: 614), und wird von ihr in einem allgemeinen Sinne als
„Recht jedes Menschen, zur Menschheit zu gehören“ (ebd.: 617), verstanden.
Diese Vollmundigkeit ist uns in ihrer Umkehrung bereits in Kap. 5.2 begegnet,
als die Exklusion aus der sozialen Zugehörigkeit als Problem der Grenze von
Menschenrechten thematisiert wurde. In jenem Zusammenhang spricht Arendt
davon, dass der Verlust der Heimat und der Zugehörigkeit zu einer spezifischen
politischen Gemeinschaft mit dem Verlust der Zugehörigkeit zur Menschheit zu-
sammenfalle und durch die Zuschreibung von abstrakten Menschenrechten nicht
aufgehoben werde. Bei dem Recht auf Rechte handelt es sich in begrifflicher
Hinsicht um ein Recht, das sich angeblich „grundsätzlich von allen Staatsbürger-
rechten unterscheidet“ (Arendt 1986a: 607). Das fundamentale „Recht, einer po-
litisch organisierten Gemeinschaft zuzugehören“ (Arendt 2011: 401), erweckt al-
lerding den Anschein, als wolle Arendt damit dem Inhalt von Art. 15 AEMR
(1948) („Jeder hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit“) lediglich eine Vor-
rangstellung gegenüber anderen Menschenrechten zuweisen, wenn sie schreibt:
„Der Mensch hat rein als Mensch nur ein einziges Recht, das über alle seine verschieden-
artigen Rechte als Staatsbürger hinausgeht: das Recht, niemals seiner Staatsbürgerschaft
beraubt zu werden, das Recht, niemals ausgeschlossen zu werden von den Rechten, die
sein Gemeinwesen garantiert.“ (Arendt 2011: 409)
Das von Arendt geforderte Recht auf Rechte unterscheidet sich jedoch insofern
prinzipiell von einem allgemeinen Recht, Schutzanspruch durch einen Staat zu
erlangen, als ihre Konzeption ein originär politisches Recht, also das Recht auf
Teilhabe in einem politischen Gemeinwesen vorsieht. Aus diesem Grund ist eine
Lesart, nach der das Set der Artikel 15, 19, 20 und 21 der Allgemeinen Erklärung
der Menschenrechte (1948) bereits als ausreichend einzuschätzen wäre, um das
Erfordernis der Ermöglichung politischer Teilhabe zu gewährleisten (vgl. Bay-
nes 2009b: 374ff.; Lohmann 2010: 146), abzulehnen. Problematisch an dieser
Lesart wäre nämlich vor allem, wie bereits in der Einleitung erörtert, dass sie die
zentrale Bedeutung der Staatsbürgerschaft (vgl. Art. 15 AEMR 1948), die die
Voraussetzung für die vollumfängliche Ausübung der Gestaltung der öffentli-
chen Angelegenheiten (vgl. Art. 21 AEMR 1948) darstellt, ignoriert. Tatsächlich
sieht die Allgemeine Menschenrechtsdeklaration ein Recht auf Meinungsfreiheit
(vgl. Art. 19 AEMR 1948)28 sowie das Recht zur friedlichen Versammlung (vgl.
28 Der vollständige Wortlaut des Art. 19 AEMR (1948) heißt hier: „Jeder hat das Recht
auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit
190 | Grenzen de r Menschenrechte
Art. 20 AEMR 1948)29 vor, die auch unabhängig von der Staatsbürgerschaft je-
dem Menschen zugesprochen werden. Doch lassen sich aufgrund der unscharfen
Bestimmung des Personenkreises der Rechtsträger_innen genau diese Rechte
durch verfassungsrechtliche Grundrechteregelungen innerhalb von Nationalstaa-
ten wiederum einschränken. Die sehr allgemein gehaltene Formulierung des
Menschenrechtskatalogs der Allgemeinen Erklärung lässt in dieser entscheiden-
den Hinsicht genügend Spielraum, um wie z.B. im Deutschen Grundgesetz
das Versammlungsrecht auf Staatsangehörige zu beschränken (vgl. Art. 8 GG;
siehe auch bereits die Erläuterungen in Kap. 3.3). Daher ist zu fragen, worin der
Gehalt eines Menschenrechts auf politische Teilhabe genau bestehen müsste.
In den Texten zur Menschenrechtsproblematik erläutert Arendt das von ihr
geforderte Recht auf Rechte nicht ausführlicher. Sie gibt jedoch Hinweise, wie
dieses Recht im Kontext ihrer politischen Theorie der Freiheit zu verstehen sei.
Das Recht, Rechte zu haben, bedeutet laut Arendt, „in einem Beziehungssystem
zu leben, wo man nach seinen Handlungen und Meinungen beurteilt wird“
(Arendt 2011: 401; vgl. auch Parekh 2004). Dieses „Beziehungssystem“ lässt
sich vor dem Hintergrund ihres partizipatorischen Politikverständnisses erläu-
tern. „Der Sinn von Politik ist Freiheit“ heißt es an mehreren Stellen ihres Werks
(vgl. Arendt 1994: 210, Arendt 1993: 28). Freiheit werde dadurch konstituiert,
dass Menschen sie sich durch das Miteinanderhandeln im öffentlichen Raum
wechselseitig gewähren (vgl. Arendt 1998: 213ff.). Freiheit verweist somit auf
den Begriff der Praxis, genauer: auf eine bestimmte Praxis aktiver Teilhabe am
politischen Geschehen. Erst die Möglichkeit zur politischen Partizipation, so
lässt sich schlussfolgern, garantiert dem Menschen, ein vollgültiges Mitglied der
Menschheit zu sein. Mit ihrem ‚Recht auf Rechte‘ erhebt Arendt somit in der Tat
auf etwas Anspruch, das in der Allgemeinen Erklärung in dieser Form nicht als
Menschenrecht formuliert wird. Zwar geht Art. 21 Abs. 1 AEMR (1948) davon
aus, dass jeder das Recht habe, „an der Gestaltung der öffentlichen Angelegen-
heiten seines Landes unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter mitzuwir-
ken“. Doch ist hierbei die Garantie von politischen Grundrechten für die Staats-
angehörigen eines Landes gemeint. Aus dem Deklarationstext selbst ist nicht ab-
ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne
Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und
zu verbreiten.“ www.un.org/depts/german/menschenrechte/aemr.pdf (24.11.2018).
29 Vollständig lautet Art. 20 AEMR (1948): „1. Alle Menschen haben das Recht, sich
friedlich zu versammeln und zu Vereinigungen zusammenzuschließen. 2. Niemand
darf gezwungen werden, einer Vereinigung anzugehören. www.un.org/depts/ger
man/menschenrechte/aemr.pdf (24.11.2018).
Grenzen der Mensc henrechte | 191
zuleiten, dass diese politischen Grundrechte Flüchtlinge und Staatenlose einbe-
zögen. Vielmehr bestätigt Art. 21 AEMR (1948) den von Arendt kritisierten be-
grifflichen Zusammenhang von Menschenrechts- und Nationalstaatsbürger-
rechtsstatus. Daher ist auch eine Kombination aus Art. 15 und Art. 21 AEMR
(1948) für Arendt keine Lösung. Selbst wenn das Recht auf politische Beteili-
gung mit dem Recht auf Staatsbürgerschaft verknüpft würde, ergibt sich eine
Zweiteilung der Sphären menschlicher Existenz: zum einen in eine vorpolitische
Sphäre, in der dem Individuum unabdingbare und unveräußerliche Freiheit zuge-
sprochen wird, die jedoch, wird sie nicht durch positivierte Bürger_innenrechte
verbürgt, abstrakt bleibt. Zum anderen in eine politische Sphäre, in der Men-
schen zusammen an der gemeinsam errichteten politischen Wirklichkeit teilha-
ben. Dabei unterscheidet sich jene unabdingbare und unveräußerliche Freiheit,
auf die der Mensch als solcher ein Recht hat, von der politischen Freiheit, die es
für Arendt nur als konkrete Freiheit des in-der-Welt-Seins gibt (vgl. Arendt
1986a: 604). Arendts Einwände gegen die Menschenrechte lassen sich vor dem
Hintergrund ihres politiktheoretischen Gesamtwerks daher vornehmlich als Kri-
tik an einem einseitigen Verständnis menschlicher Freiheit, das lediglich den
abstrakten Menschen betrifft, lesen. Somit ist ihre Wendung, dass es nur ein
„einziges“ Menschenrecht gebe, auch wenn es daran erinnert, nicht mit Kants
einzigem Menschenrecht, dem Recht auf Freiheit (vgl. Kant 1977b: 345), zu
verwechseln. Vielmehr setzt Arendt gegen die naturrechtlich-liberalistische Tra-
dition ein Konzept, das die politische Dimension von Freiheit betont. Orientie-
rungspunkt ist hier Aristoteles’ Konzeption des guten menschlichen Lebens, zu
der die aktive Teilnahme am politischen Prozess unabdingbar gehört (vgl. Aris-
toteles 1995b: 1253a10-15, 1264b17, 1280b29-1281a4 u. 1323b29-36). Wie
Aristoteles versteht Arendt Freiheit weniger als persönliche Entfaltungsmöglich-
keit jenseits von Beschränkungen durch Staat und Gesellschaft, wie es die libera-
listische Konzeption vorsieht, sondern hauptsächlich als (kollektiven) Gestal-
tungsraum des gemeinsamen politischen Handelns von Individuen.
Aufgrund Aristoteles problematischer Differenzierung zwischen oἶkos und
pólis, zwischen dem privaten Raum des Haushalts und dem öffentlichen der Po-
litik, die Arendt, darüber besteht kein Zweifel, affirmierend übernimmt, provo-
ziert ihre Diagnose der Aporie von Menschenrechten selbst jedoch scharfen Wi-
derspruch. So wirft Jacques Rancière Arendt vor, dass überhaupt erst die ontolo-
gische Prämisse der Distinktion zwischen menschlichen Lebensformen zu der
vermeintlichen Diagnose einer Aporie der Menschenrechte führe. Erst dadurch,
dass Arendt das „bloße“ Leben mit dem „nackten“ Menschsein und das „gute“
Leben (im Sinne des aristotelischen eudaimonischen Lebens) mit dem Dasein
des politischen Bürgers identifiziere, depolitisiere sie die Menschenrechte, die
192 | Grenzen de r Menschenrechte
dem „bloßen Menschen“ zugedacht sind (vgl. Rancière 2011a: 482/483; Schaap
2011: 23). Statt in Ausweglosigkeit zu münden, führe das Spannungsverhältnis
zwischen Menschen- und Bürgerrechten in Wahrheit in einen politischen Raum
der Auseinandersetzung über den Gehalt der Menschenrechte: „Die Unterschei-
dung zwischen Mensch und Bürger ist kein Zeichen der Trennung, das beweisen
würde, daß die Rechte entweder leer oder tautologisch sind. Es ist vielmehr die
Öffnung eines Intervalls, in dem politische Subjektivierung möglich ist.“ (Ranci-
ère 2011a: 484) Anhand der „Sans Papiers“-Bewegung in Frankreich lässt sich
der von Rancière angeführte Prozess einer politischen Subjektwerdung exempli-
zifizieren: Undokumentierten Migrant_innen, die in formaler Hinsicht nicht über
die Staatsbürger_innenrechte des Landes ihres Aufenthaltes verfügen, erweisen
sich durch den öffentlichen Verweis auf ihrer rechtlosen Situation und die damit
verbundene Forderung nach politischer Gleichberechtigung in konkreter Hin-
sicht als politisch Handelnde (vgl. Krause 2008: 340ff.; Schaap 2011: 34).30 Auf
der einen Seite verfügen die Sans Papiers faktisch nicht über die gleichen Rechte
wie die französischen Staatsbürger_innen, obwohl sie Träger_innen universeller
Menschenrechte sind. Auf der anderen Seite verkörpern die Sans Papiers durch
ihr politisches Handeln jedoch genau jenes Paradox, dass sie auf der Grundlage
der Menschenrechtsdeklaration eigentlich die Rechte haben (= beanspruchen),
die sie positivrechtlich betrachtet nicht haben (= nicht zur Geltung bringen
können). Indem sie sich aber öffentlich Gehör verschaffen, werden sie zu politi-
schen Subjekten mit dem Anspruch auf Gleichbehandlung. Die Mitglieder der
Sans Papiers-Bewegung handeln also ‚als ob‘ sie die gleichen Rechte hätten wie
die Staatsbürger_innen des Landes.
Rancière übersieht in seiner Kritik an Arendt jedoch, dass der Einwand, ihre
Argumentation beruhe auf einer ontologischen Differenz der Lebensweisen von
Menschen, nicht stichhaltig ist. Mit Arendt lassen sich die Auswirkungen von
Menschen- bzw. Bürger_innenrechten auf das Leben von Individuen unter den
Bedingungen beispielsweise von Flucht oder Staatenlosigkeit als Trennlinie zwi-
schen „bloßem“ und „gutem“ Leben interpretieren, sie werden damit nicht un-
weigerlich festgeschrieben. Im Gegenteil, es lässt sich zeigen, dass Arendts Poli-
tikverständnis weniger weit entfernt von Rancières Auffassung ist, als dieser
vorgibt. James D. Ingram etwa verweist darauf, dass ihr Politik- und Freiheits-
verständnis nachdrücklich am Ideal der Isonomie orientiert sei (vgl. Ingram
2008: 410). Anders als dies Rancière moniert, muss politische und rechtliche
Gleichheit somit nicht notwendigerweise als vorgängiger, metaphysischer Zu-
stand verstanden werden, sondern vielmehr als etwas, das in einem wechselseiti-
30 Für eine ausführliche Auseinandersetzung vgl. Ludwig 2008.
Grenzen der Mensc henrechte | 193
gen Handlungsprozess, also durch die politische Praxis selbst, etabliert wird (vgl.
Arendt 1993: 40). In diesem Sinne meint Arendt wohl, dass „das Recht auf
Rechte oder das Recht jedes Menschen, zur Menschheit zu gehören, von der
Menschheit selbst garantiert werden“ muss (Arendt 1986a: 617). Diese Formu-
lierung lässt sich hingegen, und zwar durchaus mit Arendt, als Verweis auf einen
demokratischen Aushandlungsprozess denn auf die Verabsolutierung des aristo-
telischen Ideals einer elitären Aktivbürgerschaft lesen.
6 Aporie versus Aspiration
Bislang scheint es so, als ob angesichts der Widersprüchlichkeit und Grenzhaf-
tigkeit der Menschenrechte nur die sokratische Diagnose des Aporetischen blie-
be. Jüngere Ansätze der Politischen Philosophie versuchen entsprechend, die di-
lemmatische Dimension von Hannah Arendts Kritik der Menschenrechte aufzu-
greifen (vgl. Ingram 2008: 408f.; Gündoğdu 2012: 19) und als epistemologische
Unausweichlichkeit zu deklarieren unter bewusstem Verzicht auf einen klaren
Lösungsansatz. Diese Position vermeint nahezulegen, dass der Anspruch von
Theorie, über den akademischen Elfenbeinturm hinauszuweisen, grundsätzlich
aufgegeben werden sollte. Damit würde jedoch der aspirative Überschuss einer
Kritik der Menschenrechte übersehen und verleugnet. Vielmehr lässt sich gerade
anhand des Beispiels der Sans Papiers-Bewegung veranschaulichen, dass die
Frage nach der Möglichkeit einer Sphäre politischer Partizipation jenseits eines
an Territorial- und Abstammungsprinzipien orientierten nationalstaatlichen
Rahmens dringlich ist, und dass ebenjene Frage nicht nur Gegenstand akademi-
scher Reflexion, sondern vor allem auch des politischen Aushandlungsprozess
selbst werden muss. Im Spannungsfeld zwischen theoretischem Anspruch und
politischer Praxis, dies lässt sich mit Blick auf die konkrete Arbeit von Men-
schenrechtsorganisationen, zivilgesellschaftlichen Aktivist_innen, aber auch z.B.
angesichts offizieller Verlautbarungen von UNO-Institutionen (vgl. UNHCR
2008) nachvollziehen, bilden sich Erwartungen an die Entfaltung einer streitba-
ren Öffentlichkeit aus (vgl. Colliot-Thélène 2009a, 2011), in der die arendtsche
Kritik der Menschenrechte einen möglichen Ansatzpunkt für den dynamischen
Prozess einer entsprechenden politischen Auseinandersetzung über Reichweite
und inhaltliche Ausgestaltung der Menschenrechte darstellen könnte. Diese Er-
wartungen richten sich weder ausschließlich an offizielle Institutionen, Amts-
und Entscheidungsträger_innen noch ausschließlich an Theoretiker_innen. Im
Gegenteil, sie richten sich prinzipiell an alle Menschen weltweit und insbesonde-
re an sie als Beteiligte einer solchen Öffentlichkeit, bei der jede und jeder
196 | Grenzen de r Menschenrechte
„are encouraged to rethink their own citizenship practices in a democratic way. These
practices of solidarity across the line drawn by the state between citizen and non-citizen
could be the beginning of an active citizenship that changes the state and affects everyone
who is part of the state. (Krause 2008: 345)
Somit wären unter den gegenwärtigen Bedingungen einer nationalstaatlich ver-
fassten Welt sowohl diejenigen, die das Glück haben, über eine Staatsbürger-
schaft und damit über politische Rechte zu verfügen, als auch jene, die von dem
entscheidenden Recht, dazuzugehören, ausgeschlossen sind, prinzipiell in den
Auseinandersetzungsprozess involviert.
Der Ausgang dieses Aushandlungs- und Verständigungsprozesses steht si-
cherlich nicht von vornherein fest. Zum heutigen Zeitpunkt ist nicht entschieden,
welche konkreten Schlussfolgerungen aus einer Menschenrechtskritik wie der
hier vorgenommenen zu ziehen sind hier reicht die Bandbreite der Ansätze von
ambitionierten Überlegungen zu Gleichstellungspolitiken für Flüchtlinge und
Staatenlose innerhalb von Nationalstaaten, etwa der Aktion Die Charta von
Lampedusa (vgl. Melting Pot Europa 2014) über die Konzeption einer transnati-
onalen Staatsbürgerschaft (vgl. u.a. Cabrera 2010) bis hin zur Vorstellung einer
globalen politischen Sphäre einer Demokratie ‚ohne Demos‘ (vgl. Colliot-
Thélène 2011). Den Ansätzen zur Überwindung national begründeter Staatsbür-
gerlichkeit liegt beispielsweise die Annahme zugrunde, dass Staatenlosigkeit
kein Symptom kontingenter politischer Praktiken sei, sondern den prinzipiellen
internen Widersprüchen von Nationalstaatlichkeit selbst entspringt (vgl. Krause
2008: 344). Denkbar wäre ebenso eine transnationale Staatsbürgerschaft die
weit über die Dimension des historischen Nansen-Passes hinausginge und bei
der es darauf ankommen dürfte,
„von innen heraus die Perspektive der eigenen Bürgerrechte schrittweise so zu erweitern,
dass schließlich nicht nur die Fremden auf dem eigenen Territorium, sondern jeder
Mensch bei der demokratischen Selbstregierung Berücksichtigung findet. Nicht eine Er-
zwingung globaler Gerechtigkeit ‚von oben‘, durch supranationale Organisationen, son-
dern deren Verwirklichung durch rechtliche Reformen ‚vor Ort‘, innerhalb der jeweils
schon demokratisierten Staaten oder Staatsverbände, scheint weiterhin der verlässlichere
Weg zu sein, um den Missständen und Notlagen großer Teile der Weltbevölkerung Abhil-
fe zu schaffen.“ (Honneth 2013: 270)
Der Schritt zur Etablierung einer globalen Ordnung, in der alle Menschen
gleichberechtigte Weltbürger_innen sind, wäre an diesem Punkt dann nicht mehr
weit. Dass diese Ansätze, selbst wenn sie in normativer Hinsicht wünschenswert
Aporie versus Aspiration | 197
erscheinen, gleichwohl utopisch anmuten oder zumindest als nicht realisierbar
gelten, bewirkt innerhalb des Diskurses viel Ablehnung. Alex Demirović erin-
nert jedoch daran, dass im Laufe der geschichtlichen Entwicklung vieles „in den
Kanon der Menschenrechte […] aufgenommen wurde, was den Erfahrungen und
den sozialen Kämpfen der vergangenen Jahrhunderte entspricht“ (Demirović
2008: 117). Ähnlich verweist auch Lynn Hunt darauf, dass die Verbreitung der
Idee der Menschenrechte, historisch betrachtet, einem dynamischen sozialen und
politischen Prozess geschuldet war. So führte die Gewährung von Rechten für
bestimmte Gruppen im Verlauf der Geschichte jeweils zu aspirativen Ansprü-
chen bei den Ausgeschlossenen: „The notion of ‚the rights of man‘, like revolu-
tion itself, opened up an unpredictable space for discussion, conflict, and change.
The promise of those rights can be denied, suppressed, or just remain unfulfilled,
but it does not die.(Hunt 2007: 175)
In diesem Sinne gehen manche Autor_innen so weit, zu sagen, dass die de-
mokratische Praxis, verstanden in einem weiteren Sinne als in der funktionalen
Hinsicht einer nationalstaatlichen Regierungsform, selbst als Menschenrecht
aufzufassen sei, und zwar
„[i]nasmuch as people are social beings, or […] ‚individuals in relations‘, engaging in
common or joint activities with others can be seen as itself one of the prime conditions for
their freedom. Common activities are here broadly understood to be activities orientated to
shared goals. If none are to dominate others in these joint activities, they must have equal
rights to participate in determining their course.(Gould 2013: 292)
Demokratie würde in diesem Licht einen Modus der Entscheidungsfindung unter
der Bedingung gleicher Rechte auf Partizipation darstellen. Demokratie wäre
dann der Ausdruck positiver Freiheit, die wiederum als Teilhabe an freiheitli-
chen kollektiven Handlungen auch über räumliche Distanzen hinweg zu be-
greifen ist. Und positive Freiheit wäre nach diesem Verständnis erst dann erfüllt,
wenn Individuen über das Recht verfügten, in gleicher Weise über die politi-
schen Bedingungen ihres Lebens als Einzelne und in Gemeinschaft selbst zu be-
stimmen. Nichts anderes wäre mit einem Menschenrecht auf Demokratie ge-
meint. An ihm würde offenbar, dass die Wirkmächtigkeit der Menschenrechts-
idee in ihrer aspirativen Kraft liegt, die durch politische Aushandlungsprozesse
zur Geltung kommen und letztlich auch in praktischer Hinsicht Gestalt anneh-
men kann. Auf der einen Seite gilt: „Human Rights are a suspect project this
seems the only sensible starting point today“ (Hoover 2013b: 935), doch auf der
anderen Seite ist ebenso wahr, dass Menschenrechte das Synonym für ein un-
stillbares und legitimes „desire for universal rights“ (ebd.) darstellen. Trotz ihres
198 | Grenzen de r Menschenrechte
unleugbar ambivalenten Charakters können Menschenrechte letztlich durchaus
als ein universelles politisches Ethos, das auf Pluralisierung und Demokratisie-
rung globaler Politik ausgerichtet ist, verteidigt werden. Nicht eine abgeschlos-
sene Deutung der Menschenrechte, wie sie etwa das vorpolitische Verständnis
einer naturrechtlichen Begründung vorgibt, wäre das Ziel solcher „Kämpfe ums
Recht“. Vielmehr ginge es um „das politische Ur-Recht, sich das Recht zu neh-
men“ (Raimondi 2011: 379, Herv. i. Orig.), und dieses besteht sicherlich zualler-
erst darin, neue Vorschläge für dessen Deutungs- und Umsetzungsmöglichkeiten
vorzubringen.
6.1 MENSCHENRECHTE UND (GLOBALE) DEMOKRATIE
Wenn Menschenrechte sowohl Bedingung als auch Bestandteil politischer Aus-
handlungsprozesse sein sollen, ist ihr konzeptuelles Verhältnis zueinander zu
klären. Die Diskussion über die Frage, ob Menschenrechte und Demokratie zwei
Seiten derselben Medaille oder eher zwei voneinander unabhängige Medaillen
sind (vgl. Steiner 2008), konzentriert sich dabei weniger auf die Thematik, ob
Demokratie die beste Regierungsform für einen Nationalstaat, der die Men-
schenrechte schützen soll, ist. Vielmehr geht es um eine Auseinandersetzung
darüber, inwiefern das Verhältnis von Menschenrechten und Demokratie als
konflikthaft oder als begrifflich kompatibel anzusehen ist. Zu diesem Zweck soll
im Folgenden unter ‚Demokratie‘ nicht im engeren Sinne der klassischen Ver-
fassungsformenlehre ein bestimmtes Regierungsmodell, sondern in einem weite-
ren Sinne eine Praxis verstanden werden, die auf Freiheit, Gleichheit und Inklu-
sion in Bezug auf die politische Teilhabe aller zielt.
Vor diesem Hintergrund werde ich mich zunächst jedoch mit der relativ weit
verbreiteten These auseinandersetzen, dass Menschenrechte und Demokratie in-
sofern in einem Spannungsverhältnis stehen, als der vorpositive und vorstaatli-
che Charakter der Menschenrechte die Entscheidungsfreiheit der politischen Ak-
teur_innen (in der klassischen Lehre ‚Volkssouveränität‘ genannt) durch morali-
sche Vorgaben einschränkt.1 In den vorhergehenden Kapiteln wurde schon eini-
ges dazu gesagt, inwiefern ein Verständnis der Menschenrechte als moralische
Rechte nicht als adäquat anzusehen ist. Im Folgenden möchte ich daran anknüp-
fend herausarbeiten, dass eine moralische Lesart der Menschenrechte nicht nur
in historischer Hinsicht problematisch, sondern in Bezug auf die Erörterung der
1 Vgl. u.a. Gosepath 1998: 209; Michelman 1999; Martinsen/Meisterhans/Schmalz-
Bruns 2008; Kreide 2009: 353.
Aporie versus Aspiration | 199
begrifflichen Möglichkeit eines Menschenrechts auf politische Partizipation un-
abhängig von nationalstaatlicher Zugehörigkeit regelrecht hinderlich ist. Um ei-
ne alternative Lesart, die Menschenrechte als politisch sowohl umkämpfte als
auch zugleich politisch zu generierende Rechte begreift, argumentativ untermau-
ern zu können, muss zunächst das Verhältnis zwischen Menschenrechten und
Demokratie hinsichtlich seiner möglichen Konfliktlinien untersucht werden. An-
schließend zeige ich, inwiefern sich beide zwar durchaus unter bestimmten Vor-
zeichen in einem unlösbar anmutenden Spannungsverhältnis zu befinden schei-
nen. Bei genauerem Hinsehen besteht jedoch eine plausible Option, Menschen-
rechte nicht als Gegensatz zu, sondern als vereinbar mit demokratischen Erfor-
dernissen zu verstehen.
Eine Konfliktlinie zwischen Menschenrechten und Demokratie kann darin
bestehen, dass demokratisch verfasste Staaten Menschenrechte nicht nur schüt-
zen, sondern sie mitunter auch verletzen. Diese Verletzungsgefahr der Men-
schenrechte, die daraus entsteht, dass demokratische Entscheidungen Menschen-
rechte beschränken können, wird in liberalistischen Ansätzen mit einem Vorrang
der Menschenrechte gegenüber demokratischen Prinzipien gelöst. Menschen-
rechte dienen hier vor allem der Herrschaftsbegrenzung. Als positivierte Grund-
rechte schützen sie in erster Linie die Freiheitsrechte des Individuums vor Ein-
griffen des Staates und vor Übergriffen seitens einer (tyrannischen) Mehrheit.
Am Beispiel der Religionsfreiheit zeigt sich, dass Menschenrechte somit durch-
aus Bereiche schützen, die sozusagen staatsfreie Bereiche sind und undemokra-
tisch gestaltet sein können, d.h. in ihnen gelten andere Prinzipien als die der
Mitbestimmung oder der Gleichheit (vgl. Somek 2012: 363f.). Wird den Men-
schenrechten in dieser Hinsicht der Vorrang vor demokratischen Strukturen ge-
geben, ist es also möglich, innerhalb des rechtlichen Rahmens eines Staates vor-
demokratische Verhältnisse in privatisierter Form zu erhalten.2
Das Problem, dass damit Menschenrechte auf ihren moralisch unantastbaren
Status festgeschrieben werden und mit ihnen eine demokratiefreie Sphäre etab-
liert wird, in welcher der unbedingte Schutzanspruch der individuellen Freiheit
nicht als relevantes Kriterium für die private wie politische Autonomie, sondern
hinsichtlich vordemokratischer Verhältnisse wie wirtschaftlicher oder religiöser
Praktiken gilt, wurde bereits in Kap. 3.3 angesprochen. Die Gegenposition des
sogenannten demokratischen Liberalismus besteht darin, der Demokratie eine so
2 Ihre Legitimationskraft erhalten Menschenrechte aber nicht nur in Bezug auf die Mög-
lichkeit der Erhaltung von Räumen, die vor dem Zugriff des Staates geschützt bleiben,
sondern auch hinsichtlich der Frage des Schutzes von Minderheiten gegenüber der
Mehrheitsgesellschaft (vgl. Tocqueville 1986: 369ff.).
200 | Grenzen de r Menschenrechte
starke Rolle zuzuweisen, dass unter Berücksichtigung menschenrechtlich ver-
bürgter prozeduraler Rahmenbedingungen ein Zusammenfallen von Menschen-
und Bürger_innenrechten tatsächlich ermöglicht wird (vgl. Maus 2011). Dieser
Ansatz läuft jedoch Gefahr, von menschenrechtsskeptischen Positionen verein-
nahmt zu werden, die sich in kulturrelativistischer Absicht oder aus ideologi-
schen Verdachtsmomenten gegenüber den liberalen Verzerrungen einer wirt-
schaftlich orientierten Klientelpolitik heraus gegen eine normative Einhegung
demokratischer Prozesse durch Menschenrechte aussprechen.
Die Auffassung, dass Menschenrechte als moralische Rechte aufzufassen
seien, die den Anspruch auf rechtlich-institutionelle Konkretisierung im Rah-
men entweder eines demokratischen Rechtsstaates oder einer demokratischen in-
ternationalen Rechtsordnung zwar formulieren, diesen aber nicht selbst schon
enthalten, steht Ansätzen gegenüber, die von einem begrifflichen Zusammen-
hang zwischen Menschenrechten und Demokratie ausgehen.3 Dieser Zusammen-
hang kann grob so dargestellt werden, dass demokratische Prozesse ohne Be-
rücksichtigung von Menschenrechten in normativer Hinsicht nicht zu rechtferti-
gen wären, weil Mehrheitsentscheidungen ohne qualitative Evaluation durch ei-
ne Kompatibilität mit menschenrechtlichen Kriterien keine Legitimität bean-
spruchen können. Umgekehrt verweisen Menschenrechte letztlich auf eine einzi-
ge legitime Form ihrer Realisierung, nämlich in demokratischen Prozessen, in
denen Gleichheit und Freiheit nicht nur Voraussetzung, sondern auch Modus der
Gestaltung sozialer und politischer Angelegenheiten sind (vgl. Somek 2012:
365f.).
Diese mit der recht holzschnittartigen Charakterisierung nur sehr pauschal
skizzierten Ansätze unterscheiden sich noch einmal untereinander hinsichtlich
des angenommenen Grades an Verknüpfung von Menschenrechten und Demo-
kratie, der entweder als enger oder als weiter angesehen wird, sowie hinsichtlich
ihrer jeweiligen Gewichtung, denn nicht alle Theorien teilen die habermassche
Grundthese einer Gleichursprünglichkeit der beiden (vgl. Habermas 1994:
151ff., 1996: 299ff.). Sie stellt sicherlich eine der berühmtesten zeitgenössischen
Auffassungen des Verhältnisses von Menschenrechten und Volkssouveränität
dar. Ihr sind jedoch einige konzeptuelle Implikationen eigen allen voran der
Fokus auf nationalstaatlich verfasste Demokratien , die ihre Anschlussfähigkeit
für eine Diskussion über globale Demokratie erschweren (vgl. Martinsen/Mei-
sterhans/Schmalz-Bruns 2008). Darüber hinaus werde ich in den folgenden Ab-
schnitten dieses 6. Kapitels das der These zugrunde liegende Verständnis der
Menschenrechte hinsichtlich ihrer bereits angesprochenen Verkürzungen auf ei-
3 Vgl. hierzu ausführlicher Martinsen/Meisterhans/Schmalz-Bruns 2008.
Aporie versus Aspiration | 201
ne moralisch-privatistische Dimension kritisieren und stattdessen für ein alterna-
tives Verständnis argumentieren, das dem Anspruch, Individuen zu politischer
Partizipation zu befähigen, besser gerecht wird.
Zunächst soll kurz dargelegt werden, warum die Annahme, dass Menschen-
rechte und Demokratie nicht in einem begrifflichen Verweisungszusammenhang,
sondern lediglich in einem externen Verhältnis zueinander stehen, als nicht plau-
sibel erachtet werden kann und daher im Weiteren nicht mehr behandelt wird.
Gegen die Annahme einer wechselseitigen Verwiesenheit von Menschenrechten
und Demokratie wird eingewandt, dass Menschenrechten als moralischen und
damit vorstaatlichen Rechten ein Demokratieprinzip im Sinne einer auf instituti-
onelle Ausgestaltung ausgerichteten Form der Selbstregierung nicht in konstitu-
tiver Weise innewohnt. Das Demokratieprinzip bleibt nach dieser Vorstellung
den Menschenrechten insofern äußerlich, als deren begründungstheoretische Ge-
nese selbst nicht politisch-demokratischer Natur ist. Während Menschenrechte
gemäß einer gängigen Konzeption aus einem Begriff menschlicher ‚Natur‘ bzw.
‚Würde‘ hergeleitet werden, ist das Demokratieprinzip hingegen im wechselvol-
len und nicht per se normativ verfassten politischen Aushandlungsprozess selbst
zu verorten. Menschenrechte dienen gemäß diesem Verständnis durchaus der
Orientierung für aspirative Verrechtlichungs- und Institutionalisierungsabsich-
ten, enthalten aber nicht selbst schon die institutionelle Dimension von rechtli-
cher Verbürgung. Sie gelten daher in erster Linie als vorgelagerte normative
Standards für die Legitimität von Regeln, Verfahren und Institutionen, nicht aber
als unmittelbare Legitimationsgrundlage für herrschaftsbegründende (staatliche)
Strukturen selbst (vgl. Chwaszcza 2007). Unplausibel an dieser Lesart eines ex-
ternen Verhältnisses von Menschenrechten und Demokratie ist, dass sie nicht zu
erklären vermag, inwiefern vornehmlich moralisch verstandenen Menschenrech-
ten überhaupt normative Durchsetzungsmacht zur Etablierung von demokrati-
schen Institutionen in der Sphäre jenseits des Nationalstaats zukommen könnte.
Nicht nur bliebe die normative Gültigkeit von Menschenrechten dem Verdacht
der sprichwörtlichen Ohnmacht des Sollens (vgl. Hegel 1986a: 265) anheimge-
stellt, sie bliebe letztlich kontingent. Außerdem wird gegen die Annahme einer
wechselseitigen Verwiesenheit von Menschenrechten und Demokratie der kon-
servativ-demokratieskeptische Einwand formuliert, dass in liberal-mehrheitsde-
mokratischen Praktiken stets die Gefahr einer Nivellierung bzw. ‚Vermassung
menschenrechtlicher Belange liege, die nur durch eine strikte Trennung beider
Bereiche vermieden werden könne. Die These einer begrifflichen Unabhängig-
keit kann also, wie sich zeigt, aus sehr unterschiedlichen Richtungen, sowohl aus
marxistischer wie schmittianischer Perspektive vertreten werden (vgl. Men-
ke/Pollmann 2007: 175). Die These einer begrifflichen Unabhängigkeit korres-
202 | Grenzen de r Menschenrechte
pondiert häufig mit der These einer normativen Unabhängigkeit von Menschen-
rechten und Demokratie. Sie wird bei demokratietheoretisch argumentierenden
Theoretiker_innen motiviert und gestützt durch menschenrechtskritische Argu-
mente, die in einer Hinwendung zu Menschenrechten die Abkehr von originären
Demokratieprinzipien bzw. der normativen Verbindlichkeit ihrer Entscheidungs-
ergebnisse sehen so liege z.B. im Schutz ziviler Rechte wie Vertragsfreiheit
die Gefahr, demokratisch legitimierte Sozialgesetzgebungen auszuhebeln (vgl.
Somek 2012: 365f.). Während diese Ansätze sich für einen normativen Vorrang
der Demokratie aussprechen, befürworten die ihnen konträr gegenüberstehenden
Ansätze einen normativen Vorrang der Menschenrechte, um z.B. Minderheiten-
schutz zu gewährleisten oder bestimmte Verfassungsinhalte vor mehrheitsent-
scheidungsinduzierten Veränderungen zu bewahren.
Gegen die Annahme einer begrifflichen und normativen Unabhängigkeit von
Menschenrechten und Demokratie lassen sich allerdings eine Reihe von Gründen
anführen: Zum einen den sowohl in rezeptionsgeschichtlicher als auch systema-
tischer Hinsicht gewichtigen historischen Aspekt, dass in den relevanten Texten
des 18. Jahrhunderts von einem Zusammenhang von Menschenrechten und De-
mokratie (bzw. Volkssouveränität) ausgegangen wird. Zum anderen den in kon-
zeptueller Hinsicht relevanten Aspekt, dass politische Rechte und Gleichheitsga-
rantien, die für demokratische Prozesse konstitutiv sind, als nicht anders denn als
menschenrechtliche Ansprüche zu begreifen sind. So ist etwa die normative Bin-
dungskraft demokratischer Mehrheitsentscheidungen nur durch ihre menschen-
rechtliche Legitimierung möglich (vgl. Dworkin 1978). Andernfalls blieben die
Ergebnisse demokratischer Entscheidungen dem Belieben anheimgestellt. Um-
gekehrt lässt sich an dieser Stelle als dritter Grund benennen, dass Menschen-
rechte ohne demokratische Strukturen nicht zur Verwirklichung gelangen kön-
nen. Die Demokratie stellt nach Ansicht vieler Theoretiker_innen die einzige
menschenrechtsadäquate Form ihrer Realisierung dar. Als vierter Grund lässt
sich anführen, dass sich Menschenrechte nicht von selbst spezifizieren, sondern
ihre Gehalte überhaupt erst im Rahmen demokratischer Prozesse zu formulieren
und auszugestalten sind. Ihre normative Legitimität (im Unterschied zu einer
rein beliebigen Ergebnisorientierung) beziehen demokratische Aushandlungs-
prozesse über Menschenrechtsgehalte daher idealerweise aus dem öffentlichen
Gebrauch der Vernunft.4 Und schließlich spricht in diesem Zusammenhang ein
fünftes Argument gegen eine begriffliche und normative Fundamentalunter-
scheidung. Auch Menschenrechte sollten fallibilistisch verstanden werden, ihre
spezifischen Gehalte sollten gerade in normativer Hinsicht nicht vollständig dem
4 Vgl. u.a. Habermas 1999a; Cohen 2004, 2006; Fraser 2007; Forst 2007; Kreide 2008.
Aporie versus Aspiration | 203
demokratischen Prozess enthoben bleiben. Dies schließt jedoch nicht aus, dass
der Geltungsanspruch der Menschenrechte selbst zur Debatte steht oder dass be-
stimmte fundamentale Rechte besonders geschützt werden, z.B. dadurch, dass
sie verfassungsrechtlichen Status erhalten. Das Paradox einer jeden national-
staatlichen Verfassung, dass diejenigen politischen Entscheidungsprozesse, in
deren Verlauf Menschenrechte als Grundrechte festgeschrieben werden und da-
mit zu Ergebnissen führen, die fortan den politischen Entscheidungsprozessen
enthoben sind (vgl. Alexy 1999), lässt sich dann zwar nicht beheben, sondern
nur mildern. So besteht zum einen die Forderung nach einer demokratisch legi-
timierten Überwachung grundrechtlich relevanter Entscheidungsprozesse (z.B.
durch eine unabhängige Verfassungsgerichtsbarkeit). Zum anderen kann der le-
gitimatorische Zusammenhang von Demokratie und Menschenrechten so ver-
standen werden, dass der politische Prozess so zwischen beiden vermitteln sollte,
dass demokratische Entscheidungen der Idee nach als Ausdruck der menschen-
rechtlich verbürgten Freiheit und Gleichheit der Teilhabe gelten können (vgl.
Pollmann 2012a 133; Habermas 1999a). Genau an diesem Punkt jedoch stellt
sich die Frage nach der normativen Rechtfertigung des Rechts eines National-
staates, den Trägerkreis partizipatorischer Grundrechte zu beschränken. Die weit
verbreitete Auffassung, die darin besteht, dieses Recht mit der kollektiven
Selbstbestimmung des (Staats-)Volks zu rechtfertigen (vgl. Alexy 1998), kann
allenfalls mit pragmatisch-organisatorischen oder historischen Gesichtspunkten
erläutert werden. Eine normative Rechtfertigung lässt sich aus den bisher ge-
nannten Argumenten nicht plausibilisieren.
Die Lesart, nach der Menschenrechte und Demokratie in einem internen
Verweisungszusammenhang stehen, bietet daher eine überzeugendere Variante
für die Erläuterung eines politischen Verständnisses der Menschenrechte, denn
mit ihr werden zumindest die konzeptuellen Weichen für die weitere Argumen-
tation gestellt. Die dieser Lesart folgenden Ansätze müssen jedoch deutlich ma-
chen, in welchem Verhältnis genau Menschenrechte und Demokratie zueinander
stehen. Aus historischer Perspektive ist, wie gesagt, die Vermutung eines engen
Zusammenhangs naheliegend, da schon die Virginia Declaration of Rights
(1776) mit ihrem Artikel 1 besagt, dass all men are by nature equally free and
independent, and have certain inherent rights, of which, when they enter into a
state of society, they cannot, by any compact, deprive or divest their posterity“.5
Und Artikel 2 lautet: „[A]ll power is vested in, and consequently derived from,
the people“.6 Ebenso findet sich in der Französischen Erklärung der Menschen-
5 http://edu.lva.virginia.gov/docs/VADeclaration.pdf (24.11.2018).
6 http://edu.lva.virginia.gov/docs/VADeclaration.pdf (24.11.2018).
204 | Grenzen de r Menschenrechte
und Bürgerrechte (1789) mit Artikel 2 folgende Aussage: „Le but de toute
association politique est la conservation des droits naturels et imprescriptibles de
l’Homme“,7 und in Artikel 6: „La loi est l’expression de la volonté générale.
Tous les Citoyens on droit de concourir personnellement, ou par leurs Représen-
tants, à sa formation“,8 womit der Verweisungszusammenhang zwischen der
Zielsetzung der politischen Gemeinschaft in Form von Menschenrechten und der
Mitwirkung aller daran konturiert wird (vgl. Brunkhorst 2012b: 102). Doch die
Verklammerung von Menschenrechten und Demokratie z.B. in der französischen
Menschen- und Bürgerrechtserklärung, die von einigen Theoretiker_innen in
systematischer Hinsicht affirmiert wird (vgl. Brunkhorst 1996; Maus 2011: Kap.
5), stellt eine spezifische historische Variante der Behauptung einer Kongruenz
von Menschen- und Bürgerrechten durch die Etablierung von Volkssouveränität
dar, die auf die Funktionsweise eines entsprechenden Nationalstaates angewie-
sen ist, um diese Behauptung zu bestätigen. Damit ist jedoch noch keine harmo-
nische Verbindung zwischen beiden gegeben. Viel eher scheint es so zu sein,
dass Volkssouveränität und Menschenrechte durchaus einander konterkarieren
können. Werden Menschenrechte nämlich als unantastbare normative Vorgaben
der Gesetzgebung angesehen, so entstehen mögliche Konfliktlinien zwischen
Menschenrechten als der Demokratie vorgegebene Moral- bzw. Rechtsprinzi-
pien, die die demokratische Selbstbestimmung beschneiden, auf der einen Seite
und demokratischen Prozessen, die die normative Gültigkeit von Menschen-
rechtsprinzipien zu unterhöhlen drohen, auf der anderen. Diesem Problem lässt
sich nicht mit der pragmatischen Feststellung begegnen, dass Menschenrechte
und Demokratie spätestens dann in einem konstitutiven Wechselverhältnis mit-
einander stehen, wenn erstere nicht nur als moralische Ansprüche formuliert,
sondern faktisch vollzogen werden: „[D]emokratische Diskurse gibt es ja nur, wo
liberale und demokratische Grundrechte bereits in einer […] konkretisierten
Form anerkannt sind“ (Wellmer 1998: 270, Herv. i. Orig.). Hier werden Men-
schenrechte jedoch als Grund- bzw. Bürger_innenrechte von bereits verfassten
7 https://www.legifrance.gouv.fr/Droit-francais/Constitution/Declaration-des-Droits-de-
l-Homme-et-du-Citoyen-de-1789 (24.11.2018). Dt.: „Das Ziel jeder politischen Ver-
einigung ist die Erhaltung der natürlichen und unverzichtbaren Menschenrechte“ (zit.
n. Fritzsche 2004: 193).
8 https://www.legifrance.gouv.fr/Droit-francais/Constitution/Declaration-des-Droits-de-
l-Homme-et-du-Citoyen-de-1789 (24.11.2018). Dt.: „Das Gesetz ist der Ausdruck des
allgemeinen Willens. Alle Bürger sind berechtigt, persönlich oder durch ihre Vertreter
an seiner Gestaltung mitzuwirken“ (zit. n. Fritzsche 2004: 194).
Aporie versus Aspiration | 205
politischen Gemeinschaften betrachtet, was ihren originären Charakter als unab-
hängige Menschenrechte abschwächt.
Habermas These der Gleichursprünglichkeit von privater und öffentlicher
Autonomie umgeht dieses Problem, da hier beide, Menschenrechte und Demo-
kratie, als gleichberechtigte Prinzipien anzusehen sind und keines der beiden im
Verhältnis zum anderen relativiert wird. Vielmehr ergänzen sie sich einander be-
gründungstheoretisch. Das heißt, weder muss das Moralprinzip dem Demokra-
tieprinzip noch das Recht der Moral subsumiert werden, um ein Verhältnis
wechselseitiger Erfüllung herzustellen. Das Individuum ist in dieser Konzeption
nicht nur Privatperson und Bürger_in in Personalunion, sondern vor allem, wie
es die Idee der Selbstgesetzgebung fordert, zugleich Autor_in und Adressat_in
des Rechts (vgl. Habermas 1994: 151ff.). Das Zusammenfallen von Autor_in
und Adressat_in in einer Person ist hier kein kontingentes, sondern ein begriff-
lich notwendiges: Die private Autonomie des Individuums, die in Habermas
Lesart durch die Menschenrechte gesichert wird, und die politische (des Indivi-
duums wie der gesamten Gemeinschaft) können einander erst im gleichberech-
tigten Wechselverhältnis gegenseitig hervorbringen und garantieren. Während
die private Autonomie in Form von staatlich verbürgten Menschenrechten zum
Ausdruck kommt, wird die politische Autonomie des Individuums durch die
Menschenrechte legitimiert, und zwar dadurch, dass sie in Form von diskursthe-
oretisch begründeten Grundrechten die normative Grundlage politischer Verfah-
ren und Strukturen liefern. Dies bedeutet schließlich aber auch: Nur eine Kon-
zeption von Menschenrechten als grundrechtlichen Bürgerrechten vermag die
begriffliche Doppelfunktion von Autor_innen- und Adressat_innenschaft der
Bürger_innen überhaupt zu gewährleisten. Die Gleichursprünglichkeitsthese be-
zieht sich also zunächst auf den demokratischen Rechtsstaat mit nationalstaatli-
cher Begrenzung, der sowohl epistemisch als auch rechtlich zwischen Mitglied
und Nicht-Mitglied unterscheidet (vgl. Habermas 1998: 161). Habermas vertritt
hier die Auffassung, dass der Staat insofern den konzeptuellen Rahmen für die
Gleichursprünglichkeitsthese bietet, da er überhaupt nur aufgrund dieser Unter-
scheidung Bürger_innen die Doppelrolle von Autor_in und Adressat_in zu-
schreiben kann. Zudem verfügt er bislang am effektivsten über entsprechende
konstitutive wie reflexive Institutionen.
Der Verweisungszusammenhang zwischen Menschenrechten und Demokra-
tie besteht für die habermassche Variante der deliberativen Demokratietheorie
darin, dass Menschenrechte in Gestalt von subjektiven Rechten eine notwendige
Bedingung des demokratischen Prozesses darstellen, da faire Verfahren politi-
scher Partizipation zur Grundlage die Gleichheit der Betroffenen haben müssen.
Menschenrechte sind somit nicht nur Bedingungen von Demokratie, zugleich
206 | Grenzen de r Menschenrechte
werden die subjektiven Rechte, verstanden als Menschenrechte, erst innerhalb
des demokratischen Prozesses thematisiert, interpretiert und institutionalisiert
(vgl. Habermas 1996a: 222; Kreide 2009: 354). Zentral an Habermas Gleichur-
sprünglichkeitsthese ist die Annahme, dass der Verweisungszusammenhang zwi-
schen Menschenrechten und Demokratie dadurch besteht, dass Menschenrechte
von vornherein als juridische und nicht als moralische Rechte verstanden wer-
den. Dieser Variante soll hier jedoch nicht gefolgt werden, weil sie nur im Rah-
men der konventionellen Lesart von Menschenrechten (vgl. Kap. 3.1) als rein ju-
ridische Rechte verstanden werden können.
Der Sinn der Gleichursprünglichkeitsthese bleibt hingegen erhalten, wenn
der Charakter der Menschenrechte nicht als juridisch, sondern als politisch be-
schrieben wird. Ihr juridischer Charakter kommt in allen Anwendungsfragen zur
Geltung, wenn es darum geht, Menschenrechte zu positivieren, sei dies im natio-
nalstaatlichen Rahmen oder auf transnationaler Ebene, z.B. im Kontext der Ver-
einten Nationen: „Im Gewand des Rechts sind Menschenrechte nicht nur ein-
klagbare Verfassungsrechte, sondern Baustein neuer Formen transnationaler
Rechtsbildung.“ (Kreide 2009: 355)
Im politiktheoretischen Diskurs über Demokratie jenseits des Nationalstaates
werden die Möglichkeiten einer Übertragung der Gleichursprünglichkeitskon-
zeption auf die transnationale Ebene auch entsprechend diskutiert. Allerdings
wird eine monistische Transferierung, die auf einen Weltstaat hinausliefe, dabei
für nicht erstrebenswert gehalten, übrigens auch von Habermas selbst nicht.9 Ha-
bermas zufolge wäre eine monistische Übertragung der Gleichursprünglichkeits-
konzeption von Menschenrechten und Volkssouveränität auf die transnationale
Ebene mit dem Resultat eines Weltstaates in keinem Fall wünschbar „selbst
wenn sie zu haben wäre“ (Habermas 2007: 428). So unrealistisch eine gewis-
sermaßen ins Große projizierte Gleichursprünglichkeitsthese abgesehen von ih-
rer Wünschbarkeit auch scheint; ihr Problem liegt nicht so sehr in der Unattrak-
tivität einer Verstaatlichung der transnationalen Sphäre, bei der unklar bliebe,
wie vor dem Hintergrund kultureller und weltanschaulicher Diversität Verbind-
lichkeit über die normativen Leitkriterien herzustellen wäre, sondern darin, dass
mit einer monistischen Transferierung wie unter einem Brennglas begriffliche
Schwierigkeiten der Gleichursprünglichkeitsthese deutlich werden, die bereits
auf der Ebene des Nationalstaates bestehen.
Habermas nimmt an, dass im Rahmen einer begrenzten politischen Gemein-
schaft dem demokratischen Willensbildungsprozess aufgrund seiner Verklam-
9 Vgl. Habermas 1998: 165ff., 2004: 134ff., 2007: 426; siehe die Beiträge in Niesen/
Herborth 2007.
Aporie versus Aspiration | 207
merung mit institutionell gesicherten Prozessen ‚Vernünftigkeit‘ (vgl. Habermas
1994: 207) zu bescheinigen sei. Damit meint Habermas die menschenrechtliche
Verbürgung von auf Gleichheit und Freiheit beruhender Rechtsstaatlichkeit. Die-
se ist in Nationalstaaten jedoch von Exklusion anhand des Kriteriums der Staats-
bürgerschaft gekennzeichnet, die, wie wir in Kap. 5.1 bereits gesehen haben,
durchaus rassistische Konnotationen tragen kann, was wiederum den Menschen-
rechten widerspricht. Doch abgesehen davon vermag die Gleichursprünglich-
keitsthese die epistemologische Trennung zwischen Individuen und (Staats-)Bür-
ger_innen, die alle Nicht-Bürger_innen ausschließt, nicht wirklich aufzuheben.
Fatal wäre diese Unterscheidung im Hinblick auf einen potentiellen Weltstaat,
bei dem nicht auszuschließen wäre, dass es analog zur Staatsbürgerschaft ähnli-
che Ein- und damit Ausschlusskriterien gäbe. Ein Individuum ohne Weltbür-
ger_innenstatus hätte nicht einmal mehr die Aussicht auf Erwerb einer anderen
Staatsbürgerschaft. Arendts polemisch formulierte Befürchtung, dass der Aus-
schluss aus der politischen Gemeinschaft einem Ausschluss aus der Menschheit
gleichkomme (vgl. Arendt 2011: 397, 402), würde sich hier auf dramatische
Weise bestätigen. Die Gewährleistung von Menschen- alias Bürger_innenrech-
ten würde zwar nicht, wie von Arendt kritisiert, von der Bereitschaft der jeweili-
gen Nationalstaaten abhängen, doch die Gefahr, nicht in ihren Genuss zu kom-
men, bliebe insoweit bestehen, als die Möglichkeit der Aberkennung der Welt-
Staatsbürgerschaft nicht prinzipiell ausgeschlossen wäre. Genau in diesem Punkt
wird deutlich, dass die These einer Übereinstimmung von Autor_innen- und Ad-
ressat_innen des Rechts eine mehr oder weniger stillschweigende Vorabbestim-
mung des als ‚(Staats-)Bürger_innen‘ zu bezeichnenden Personenkreises voraus-
setzt, der nicht eigens reflektiert wird. Inwiefern die Gleichursprünglichkeitsthe-
se ohne Rückgriff auf einen Begriff des (Staats-)Volks oder einer anderweitig
homogenisierenden Gruppierung von politisch berechtigten Individuen vom
Kontext des Nationalstaates gelöst werden könnte, um die exkludierende Konno-
tation des Konzepts ‚öffentlicher Autonomie‘ zu durchbrechen, wird in Kap. 6.2
anhand von Catherine Colliot-Thélènes Konzeption einer „Demokratie ohne
Volk“ (Colliot-Thélène 2011) genauer beleuchtet.
Angesichts der Herausforderungen, die die Globalisierungs- und Denationa-
lisierungsprozesse für die gegenwärtige Demokratietheorie darstellen, plädiert
Habermas selbst für eine dualistische Konzeption. Sein Modell einer „Weltin-
nenpolitik ohne Weltregierung“ (Habermas 1998: 163) richtet den Blick auf pri-
vat- bzw. organisationsrechtliche Körperschaften vordergründig, um die begriff-
lichen wie praktischen Fallstricke voreiliger monistischer Konstitutionalisie-
rungsbestrebungen zu vermeiden (vgl. ebd.: 132). Doch der Verdacht liegt nahe,
dass er diese Strategie auch wählt, um der Frage nach Weltstaat oder Staatenwelt
208 | Grenzen de r Menschenrechte
zu entgehen (vgl. Schmalz-Bruns 2007: 270). Für Habermas taucht am Horizont
transnationaler Demokratiekonzeptionen zumindest die Option einer Republik
von Weltbürger_innen auf, der Menschenrechte als normativ allgemein verbind-
liche, in internationalem Recht verbürgte Grundsätze zugrunde liegen, die dabei
jedoch durchaus Volkssouveränität im Rahmen von partikularen politischen
Gemeinschaften vorsieht. Menschenrechte wären dann universalisierte Rechte,
die zugleich lokal interpretiert werden können. Lokale oder regionale Interpreta-
tionen sind jedoch nicht mit (kultur-)relativistischen Lesarten zu verwechseln,
die in zentralen Punkten den universalen Ansprüchen entgegenstehen könnten
(vgl. Moller-Okin 1998; Pollmann 2009). Mit lokalen Interpretationen ist ge-
meint, dass zumindest insofern partikulare Auslegungsspielräume gewährt wer-
den können, als es sich bei diesen um legitime nämlich demokratisch zustande
kommende Interpretationen handelt. Doch gestaltet sich dieses dualistische
Modell nicht so harmonisch, wie es auf den ersten Blick scheint, vielmehr be-
steht das Problem, dass das Demokratieprinzip quasi in Konkurrenz zu sich sel-
ber gerät. Außerdem bleibt offen, wie sich lokale und transnationale Rechtsgel-
tungen zueinander verhalten, ob Legitimationsprozesse als Bottom-up- oder als
Top-down-Dynamiken begriffen werden sollten. So stellt sich etwa die konkrete
Frage, welchen normativen Standards die Entscheidungsprozesse auf inter- und
supranationaler Ebene genügen können sollten. Den Asymmetrien, die sich aus
dezentralen demokratischen Strukturen ergeben können, ist nicht mit dem Ver-
weis auf eine möglicherweise übergeordnete globale Menschenrechtsordnung zu
begegnen, solange deren Status in Bezug auf lokale, partikulare Willensbil-
dungsordnungen nicht geklärt ist. Unter asymmetrischen Bedingungen ist jedoch
die Vernünftigkeit sowohl der Verfahren als auch der in Verfahren vorgebrach-
ten Gründe, die das zentrale Kriterium einer deliberativ-demokratischen Konzep-
tion darstellt (vgl. Buchanan/Keohane 2006: 409; Forst 2007), nicht mehr gege-
ben. Drei Gründe sprechen daher dagegen, die Legitimität supranationaler Insti-
tutionen von der Legitimationszufuhr vonseiten einzelner (auch demokratischer)
Staaten abhängig zu machen (vgl. Buchanan/Keohane 2006: 414-416). Erstens
steht zu befürchten, dass das normative Kriterium der Freiwilligkeit der Zustim-
mung durch die strukturelle Verletzbarkeit insbesondere schwacher Staaten un-
terlaufen wird. Zweitens nehmen Staaten einen zu großen Stellenwert in der Le-
gitimationskette ein, wodurch allein die Zustimmung von Repräsentant_innen
der jeweiligen Staaten und nicht direkt von (Welt-)Bürger_innen zählt. Drittens
besteht zumindest auf absehbare Zeit das Problem, dass die mitbestimmungsbe-
rechtigten Repräsentant_innen nicht in allen Fällen Angehörige demokratischer
Staaten sind, so dass mögliche Einigungen nicht der potentiellen Mehrheitsmei-
Aporie versus Aspiration | 209
nung der Gesamtheit an Weltbürger_innen entspricht oder ihr sogar zuwiderläuft
(vgl. Buchanan/Keohane 2006: 415f.).10
Als umso fraglicher scheint es, ob bei dem dualistisch begründeten weltre-
publikanischen Modell überhaupt noch von einem internen Zusammenhang von
Menschenrechten und Demokratie gesprochen werden kann, weil Menschen-
rechte hier eher als moralisch richtige Werte und weniger als legitimationsbezo-
gene Kriterien gelten, solange nicht von einem Menschenrecht auf Demokratie
ausgegangen werden kann. Wolfgang Böckenförde spricht sich daher dafür aus,
strikt zwischen der Annahme eines begrifflichen Zusammenhangs von Men-
schenrechten und Demokratie und der moralischen Forderung eines Menschen-
rechts auf Demokratie zu unterscheiden. Er schlussfolgert daraus, dass darauf
verzichtet werden solle, Demokratie als universales und unbedingt gültiges poli-
tisches Ordnungsprinzip zu proklamieren, weil
„nicht als ‚input‘ kategorisch geboten, als Menschenrecht unbedingt gefordert sein [kann],
was den ‚output‘, die Erreichung der um der Menschen, ihres Zusammenlebens in Recht
und Freiheit, notwendigen Zwecke und darauf bezogenen Entscheidungen, sicher verhin-
dert oder empirisch fundiert unabsehbar gefährdet.“ (Böckenförde 1998: 240)
Sobald Menschenrechte nicht allein als humanitäre, sondern in einem originären
Sinne als politische Rechte verstanden werden, ist jedoch Böckenfördes syste-
matische Unterscheidung nicht mehr ohne Weiteres haltbar. In diesem Moment
sind Menschenrechte nicht mehr als Kontrapunkt zum Demokratieprinzip zu se-
hen, sondern die Demokratie ist dann eine Forderung der Menschenrechte, und
zwar nicht im Sinne eines auf die Praxis zielenden Instruments, sondern als Pra-
xis der Verwirklichung von Menschenrechten selbst. Demokratie lediglich als In-
strument der Menschenrechte anzusehen, würde den Status der Menschenrechte
verabsolutieren, ohne dass näher erläutert würde, wodurch sowohl ihr normativer
Gehalt als auch ihre prioritäre Stellung gegenüber demokratischen Prozessen
selbst legitimiert wird. Außerdem wird bei dieser Lesart außer Acht gelassen,
dass neben nationalen wie internationalen Gerichten demokratische Debatten,
insbesondere in deliberativen Foren, eine entscheidende Rolle bei der Interpreta-
tion von Menschenrechten spielen (vgl. Menke/Pollmann 2007: 172).
Die Lesart, nach der Demokratie in konzeptioneller Hinsicht als Praxis der
Verwirklichung von Menschenrechten bzw. als Forderung der Menschenrechte
10 Zu den Herausforderungen, vor die sich eine transnationale Form globaler reflexiv-
demokratischer Vermittlung gestellt sieht, vgl. ausführlicher Martinsen/Meisterhans/
Schmalz-Bruns 2008.
210 | Grenzen de r Menschenrechte
aufgefasst wird, war lange Zeit innerhalb des politiktheoretischen Diskurses
stark umstritten (vgl. u.a. Rawls 1999). In neueren Diskursen mehren sich aller-
dings insbesondere im Kontext der Debatte über globale Demokratieformen die
Stimmen, die Menschenrechten eine zentrale Rolle zuweisen (vgl. u.a. Bohman
2007; Goodhart 2008; Erman 2011). Eva Erman kritisiert, dass viele Ansätze den
konzeptuellen Stellenwert der Menschenrechte für die Demokratie zu wenig her-
ausarbeiteten. Ein schlichter Verweis auf die Bedeutung der Menschenrechte als
normativen Beurteilungsstandard für die Politik sei nicht ausreichend für eine
plausible Rechtfertigung von Vorschlägen zur transnationalen Demokratie. Er-
man ist der Ansicht, dass es zugleich die häufig im Ungefähren belassenen Defi-
nitionen von Demokratie seien, die dazu führten, dass zu wenig über die norma-
tiven Erfordernisse in Bezug auf politische Bindungskraft (political bindingness)
und politische Gleichheit (im Gegensatz zu bloß moralisch geforderter Gleich-
heit) innerhalb demokratischer Prozesse reflektiert wird. Es sei daher wichtig,
eine stärkere Differenzierung zwischen Demokratie als normativem Ideal und
Demokratie als interaktiver und kommunikativer Entscheidungsfindungspraxis
vorzunehmen. Erman selbst unterscheidet dabei zwischen kosmopolitischen De-
mokratieansätzen, denen es vor allem um die Einrichtung von Institutionen und
Kanälen der Repräsentation aller Individuen auf der Welt gehe, so dass diese
idealerweise entweder parallel zu ihrer jeweiligen nationalstaatlichen Zugehö-
rigkeit oder unabhängig davon als „directly represented in global affairs“ (Ar-
chibugi 2002: 32) anzusehen seien. Dagegen stellen Konzeptionen zivilgesell-
schaftlicher Demokratien wie etwa die von Michael Goodhart vertretene das
Empowerment, d.h. im engeren Sinne die Befähigung und/oder Ermächtigung
der Einzelnen im Sinne einer universalen Emanzipation durch die Sicherung ba-
saler Menschenrechte, die als enabling rights verstanden werden, ins Zentrum ih-
rer Theorie. Schließlich orientiert sich die von einem Plural an demoi ausgehen-
de republikanisch-föderalistische Version einer transnationalen Demokratie, wie
sie etwa James Bohman (2007) vertritt, stärker an den zentralen Werten von
Freiheit und Nondomination. Der habermasschen Idee einer Weltinnenpolitik
ohne Weltregierung nicht unähnlich, weil sie ebenfalls in öffentlichen deliberati-
ven Foren eine notwendige Bedingung für demokratische Prozesse sieht, ver-
steht Bohmans Ansatz politische Rechte in erster Linie als „rights against domi-
nation“ (Bohmann 2007: 13). Alle der hier genannten Ansätze entkoppeln den
Begriff der Demokratie von seiner traditionellen Bedeutung als Selbstgesetzge-
bung durch ein definiertes Volk und tendieren zu einer offeneren Konzeption
demokratischer Selbstbestimmung (self-determination), die ebenfalls begrifflich
aus einem territorial abgesteckten Rahmen gelöst wird und damit nicht auf eine
als ‚Volk‘ definierte Personengruppe beschränkt bleibt. Stattdessen wird Demo-
Aporie versus Aspiration | 211
kratie im Wesentlichen durch zwei Prinzipien bestimmt, durch das Unterworfen-
heitsprinzip („all-subjected-principle“ oder „subjected-to-law-principle“) und
das Betroffenheitsprinzip („all-affected-principle“),11 und zwar unter strikt egali-
tären Voraussetzungen: Charakteristisch für eine Demokratie im Sinne von
Selbstbestimmung ohne Rückbezug auf eine begrenzte und begrenzende Größe
wie Nationalstaat, Volk oder Territorium ist dann, dass „democracy as a system
of self-determination which anyone who is affected by or subjected to a political
decision […] has the free and equal possibility of participating (directly or indi-
rectly) in egalitarian decision-making about it“ (Erman 2011: 469). Andernfalls,
so kritisiert etwa Christina Lafont, könnte ein politisches System, dessen Mit-
glieder zwar politischen Entscheidungen unterworfen seien, aber nicht deren Au-
tor_innen, nicht als demokratisch bezeichnet werden (vgl. Lafont 2010: 17). Ge-
nau hierin liegt nun aber, wie bereits an mehreren Stellen kritisch aufgezeigt
wurde, das Problem, dass die Autor_innenschaft von Recht bzw. einer politi-
schen Ordnung nicht vollständig von Mitgliedschaft zu einem Demos sei die-
ser nun einer innerhalb einer Pluralität von demoi oder die (in den meisten Kon-
zeptionen jedoch eher fiktiv verbleibende) expandierte Version eines Weltdemos
abgelöst werden kann. Das alleinige Kriterium des all-affected ist für die Her-
stellung von politischer Bindungskraft zu schwach (vgl. Erman 2011: 472ff.).
Wird Demokratie hingegen als Praxis der Verwirklichung von Menschen-
rechten angesehen, muss eine Gesellschaft, die der gleichen Berücksichtigung
verpflichtet ist, unweigerlich eine Demokratie sein (vgl. Dworkin 2000: 185;
Gosepath 2004: 345). Gleichheit und Freiheit sind die grundlegenden menschen-
rechtlichen Erfordernisse. Sollen diese nicht rein formale und damit gegebenen-
falls leere Formeln bleiben, muss eine entsprechende politische Ordnung so
strukturiert sein, dass Freiheit eben nicht nur auf den Schutz der Privatsphäre
und Gleichheit nicht auf die Gleichheit in Bezug auf einen nicht näher spezifi-
zierten und damit praktisch dehnbaren Begriff der Würde reduziert wird, sondern
Freiheit in Form öffentlicher Autonomie und Gleichheit in Form von gleichem
Zugang zu Partizipation realisiert wird. Einige politikphilosophische Ansätze
versuchen das Verhältnis von Menschenrechten und Demokratie so zu erläutern,
dass beiden Konzepten ein gemeinsames Prinzip zugrunde liegt, nämlich das
moralische Prinzip gleicher Achtung. Die moraltheoretische Herleitung ge-
schieht häufig im Rückgriff auf anthropologische Annahmen über geteilte
menschliche Eigenschaften einerseits oder im Rekurs auf einen Begriff der Wür-
de andererseits. Dabei läuft sie jedoch Gefahr, entweder essentialisierende oder
metaphysische Implikationen zu enthalten, die sich ihrerseits als problematisch
11 Vgl. Karlsson 2006; Lafont 2010; Näsström 2011.
212 | Grenzen de r Menschenrechte
erweisen, wenn sie unreflektiert universalisiert werden. Auch wird einer solcher-
art moralisch verfassten Konzeption von Menschenrechten ein apriorischer Sta-
tus zugeschrieben. Unhinterfragt führt dieser apriorische Status zu einem asym-
metrischen Verhältnis zwischen Menschenrechten und Demokratie, weil letztere
nachrangig gegenüber ersterer betrachtet wird und damit Gefahr läuft, doch nur
als Instrument der vorgängigen und prioritären Menschenrechte zu dienen. Diese
Fallstricke können hingegen dadurch umgangen werden, dass das sowohl Men-
schenrechten als auch Demokratie gemeinsam zugrunde liegende Prinzip glei-
cher Achtung politisch gedeutet wird. Dann ist Demokratie (durchaus im Sinne
der historisch-revolutionären Erklärungen) als Gestalt des Politischen zu begrei-
fen, die Menschenrechte in praktischer Hinsicht zum Ausdruck bringt (vgl.
Menke/Pollmann 2007: 177). Umgekehrt heißt dies aber auch, dass unter der
Prämisse, Demokratie und Menschenrechte gleichermaßen als Aspekte des Poli-
tischen zu betrachten, Menschenrechte selbst einem Interpretationsprozess an-
heimgestellt werden. Dieser Gedankengang lässt sich nur rechtfertigen, wenn mit
Demokratie nicht einfach Mehrheitsentscheidungen ohne qualitative Evaluation,
sondern diskursive, zwar ergebnisoffene, aber bestimmte fundamentale Prinzi-
pien wie Freiheit und Gleichheit nicht verletzende Prozesse gemeint sind. An-
ders als in einem nicht-exklusiven demokratischen Meinungs- und Willensbil-
dungsprozess können die Inhalte von Menschenrechten nicht formuliert und ge-
bildet werden, wenn ihr Anspruch auf Verwirklichung von Freiheit, Gleichheit
und Inklusion nicht in einen Selbstwiderspruch geraten soll. In Analogie zu dem,
was Albrecht Wellmer im Zusammenhang mit seiner Kritik an Arendts Men-
schenrechtsskepsis über Grundrechte schreibt (vgl. Wellmer 1999), sind Men-
schenrechte in konzeptioneller Hinsicht nicht als „Axiome eines Ableitungsver-
fahrens, sondern als Prinzipien der Urteilsbildung ‚gegeben‘“ zu verstehen, „und
sie ‚existieren‘ immer nur in einer geschichtlich konkreten Gestalt, nämlich als
ein System von Institutionen und Interpretationen“ (ebd.: 146). In praktischer
Hinsicht bedeutet dies, dass dem (demokratisch verfassten) System von Instituti-
onen und Interpretationen eine normative Aufgabe auferlegt ist, nämlich die
normative Forderung, eine Praxis der Anerkennung jedes einzelnen Menschen
als gleichberechtigt Partizipierenden zu ermöglichen. In diesem Sinne ist Demo-
kratie weniger als Verfassungs- und Herrschaftsform denn als Praxisform zu
verstehen. Diese kann sich im Rahmen von Nationalstaaten vollziehen, ist aber
nicht auf diesen Radius beschränkt, sondern kann theoretisch die globale Sphäre
umspannen.
Die Tendenz zur Einbeziehung aller ist dem demokratischen Prozess ur-
sprünglich eigen. D.h. Inklusivität ist für die Demokratie konzeptuell gesehen
mindestens ebenso zentral, wenn nicht sogar weitaus charakteristischer, als die
Aporie versus Aspiration | 213
Begrenzung auf ein (Staats-)Volk. Auf diesen Aspekt wird im folgenden Teilab-
schnitt (Kap. 6.2) noch ausführlicher anhand von Catherine Colliot-Thélènes
Konzeption einer Demokratie, die sich von der Verklammerung mit einem De-
mos löst (vgl. Colliot-Thélène 2011), zu sprechen kommen sein. An dieser Stelle
sei darauf verwiesen, dass eine Ausweitung der Demokratie auf die transnationa-
le Ebene in begrifflicher Hinsicht ohnehin kein Problem darstellt, sofern Demo-
kratie weniger als Verfassungsform eines Staatsvolks, sondern als Teilhabemo-
dus von Individuen betrachtet wird. Dann lässt sich mit Étienne Balibar sagen,
„daß die Demokratie nicht nur ein Staat ist, der auf gleichem Recht beruht, d.h.
auf gleichförmiger Behandlung ihrer Mitglieder […], sondern auch ein histori-
scher Prozeß, indem diese Rechte auf die ganze Menschheit ausgedehnt werden“
(Balibar 1993: 204, Herv. i. Orig.). Dies ist ein Gedankengang, der von Colliot-
Thélène stark gemacht wird. Er basiert auf der Annahme, dass Demokratie nicht
ausschließlich und nicht notwendigerweise auf eine Staats- bzw. Regierungsform
zu beschränken ist. Stattdessen ist in konzeptioneller wie normativer Hinsicht die
Frage nach der Zugehörigkeit zu einer politischen Gemeinschaft nicht in natio-
nalstaatlichen Termini zu behandeln, sondern als Frage der Gewährung des
Rechts auf Freiheit, Gleichheit und Teilhabe. Der Gegensatz zwischen Demokra-
tie und Menschenrechten löst sich auf, sobald die politische Dimension der De-
mokratie richtig verstanden wird. Mit Claude Lefort lässt sich zeigen, dass ers-
tens die Anerkennung dieses Rechts nicht einer homogen verfassten Entität wie
dem Demos zukommt, sondern dass Individuen sich dieses Recht wechselseitig
zuerkennen, und zwar als je Einzelne, unabhängig von nationaler Zugehörigkeit
(vgl. Lefort 1990: 246). Lefort zufolge findet in einer so verstandenen Demokra-
tie eine „Dekorporierung von Macht und Recht“ (ebd.: 259) statt. Als souverän
ist dann eine Vielheit unterschiedlicher Individuen anzusehen statt eine mittels
nationaler, ethnischer oder anderweitiger Kriterien konstruierte Einheit. Dieses
Recht der vielen Einzelnen, das in der Demokratie zum Ausdruck kommt, meint
somit eine Teilhabe, die nicht die Integration von Einzelnen in einen Volkskör-
per bedeutet, sondern die Anerkennung des Einzelnen im politischen Prozess
(vgl. Menke/Pollmann 2007: 182/183). Und in dasselbe Horn stößt Balibar,
wenn er darauf verweist, dass die Einzelnen das Recht auf Teilhabe nicht als be-
stimmte Mitglieder, sondern als unbestimmte Einzelne haben (vgl. ebd.: 185):
„What is at stake in this conception, which for us represents both the incontestable and
uncomfortable heritage of modernity, is in the first place an extensive universality that
is, a cosmopolitical horizon, approached in different degrees by various national or federal
citizenships, or, better yet, by the articulation of national citizenship and international law.
But even more important is what I would call an intensive universality, which gives as a
214 | Grenzen de r Menschenrechte
support or ‚subject‘ for political participation common humanity, the Gattungswesen or
‚species-being‘ as Hegel and Feuerbach called it, the man without particular qualities (if
not without properties). This intensive universality excludes exclusion, forbids the denial
of citizenship in the name of determinations of condition, status, or nature.(Balibar
2004b: 312, Herv. i. Orig.)
Für Balibar gibt es also zwei Arten der Universalisierung der Demokratie, eine
intensive und eine extensive. Auf die extensive Variante, die in der Ausdehnung
bestimmter Werte der Moderne, u.a. der Idee einer auf Gleichheit und Freiheit
beruhenden Demokratie, über den ganzen Globus besteht, folgt eine intensive
Variante, die in Bezug auf Demokratie als Praxis die entscheidendere ist. Sie
vollzieht sich durch die Verwirklichung der Idee einer Demokratie als inklusiver
Praxis, d.h. der Idee, dass nicht nur Mitglieder eines bestimmten politischen
Gemeinwesens, sondern prinzipiell alle Menschen als politisch Partizipierende
anzusehen sind.
6.2 WELTWEITE BÜRGER_INNENRECHTE
Im Zusammenhang der Diskussion über Bedingungen und Möglichkeiten trans-
nationaler Demokratie bzw. eines demokratischen Weltbürgerrechts12 wird seit
den 1990er Jahren u.a. die Idee eines Weltbürgertums revitalisiert, die bereits im
18. Jahrhundert von verschiedenen Theoretiker_innen behandelt wurde. Neben
der berühmten und breit rezipierten Weltbürgerrechtsidee Immanuel Kants fin-
den sich weitere Ansätze zu einer Konzeption kosmopolitischer Bürgerschaft
u.a. bei Christoph Martin Wieland, Anarchasis Cloots, Georg Forster und No-
valis (vgl. Kleingeld 2012). Der jeweilige Rekurs auf einen zunächst als Ideal
gefassten Kosmopolitismus fällt dabei recht unterschiedlich aus. So gibt es indi-
vidualistische Zugänge, die ausgehend von einer kosmopolitischen Gesinnung
der Einzelmenschen eine entsprechende moralisch-ethische Verbundenheit uni-
verseller Reichweite entwerfen, kulturelle Ansätze eines in identitärer Hinsicht
offenen Kosmopolitismus der Vielfalt bis hin zu rechtlichen und politischen Ge-
staltungsideen für eine bürgerliche Weltordnung. Anhand vier dieser Kosmopoli-
tismusvarianten kann hier exemplarisch aufgezeigt werden, dass das Weltbürger-
tum sowohl als Möglichkeit der Transzendenz parochialer zwischenmenschli-
cher Interaktionsformen als auch als Imago einer alternativen Politikgestaltung
gefasst wird. Weltbürgerschaft wird vornehmlich, aber nicht ausschließlich als
12 Vgl. u.a. die Beiträge in Lutz-Bachmann/Bohman 1996 sowie Gabriëls/Kreide 2002.
Aporie versus Aspiration | 215
metaphorische Überschreitung lokal beschränkter Strukturen und Handlungsop-
tionen verstanden. Gleichzeitig zeigen die Varianten nicht zuletzt auch in zeitdi-
agnostischer Perspektive, dass eine national begrenzte Vorstellung von politi-
schen Handlungsspielräumen der Realität grenzenüberschreitender Betroffenheit
vielfältiger Bevölkerungsgruppen, z.B. in der Folge von Kriegen, Veränderun-
gen territorialer Grenzen und anderer binnen- wie außenpolitischer Aktionen,
nicht gerecht wird. In normativer Hinsicht erhält die kosmopolitische Idee durch
die Erwartung einer befriedenden und verbindenden Kraft besonderes Gewicht
in der Debatte um eine Ergänzung oder gar Ersetzung nationalstaatlich orientier-
ter Politik.
1) Eine moralische Variante des Kosmopolitismus vertritt z.B. Wieland, der un-
ter Weltbürgertum eine Idee versteht, die der moralischen Gesinnung und der
Identitätsstiftung des Individuums förderlich ist. In seiner 1788 publizierten
Schrift „Das Geheimniß des Kosmopolitismus-Ordens“ postuliert er eine Ethik
der Vorurteilslosigkeit und Unparteilichkeit in kulturellen und politischen Be-
langen. Diese Ethik wiederum steht im Zusammenhang mit der stoizistischen
Idee eines allerdings eher metaphorisch verstandenen gemeinsamen ‚Staa-
tes‘, dem alle Menschen, die sich als Kosmopoliten verstehen, angehören:
„Die Kosmopoliten führen den Nahmen der Weltbürger in der eigentlichsten und eminen-
testen Bedeutung. Denn sie betrachten alle Völker des Erdbodens als eben so viele Zweige
einer einzigen Familie und das Universum als einen Staat, worin sie mit unzähligen an-
dern vernünftigen Wesen Bürger sind, um unter allgemeinen Naturgesetzen die Vollkom-
menheit des Ganzen zu befördern, indem jedes nach seiner besondern Art und Weise für
seinen eigenen Wohlstand geschäftig ist.“ (Wieland 1857: 406)
Wieland versinnbildlicht den Weltstaat als weltumspannendes Reich kosmopoli-
tischer Sitten, dem jedoch keine konkretere Annahme über politische, gar institu-
tionelle Strukturen und Organisationsformen zugrunde liegt. Gleichwohl werden
aus dem kosmopolitischen Sittlichkeitsethos durchaus politische Pflichten abge-
leitet. Die Abschaffung etwa moralischer, aber auch sozialer Missstände auf der
Welt begreift Wieland als eine politische Angelegenheit über Grenzen hinweg,
die letztlich nicht von Individuen allein, sondern institutionell zu bewerkstelligen
sei (vgl. ebd.: 410f.). Eine Grenzziehung zwischen einem ‚rein‘ moralischen und
einem politischen Kosmopolitismus erscheint insofern nicht plausibel, als die
kosmopolitische Moral den politischen Kurs vorgibt (vgl. Kleingeld 1999: 508).
Während die Vorstellung einer institutionellen Umsetzung freilich vage bleibt
statt radikaler Reformen, geschweige denn Revolutionen, sei eine kosmopoliti-
216 | Grenzen de r Menschenrechte
sche Ordnung allein mit den ‚Waffen der Vernunft‘ durchzusetzen (vgl. Wieland
1857: 415) meint Wieland immerhin anhand des Kriteriums der Vernunft ‚ech-
te‘ Kosmopoliten von bloßen Erdbewohnern, die sich lediglich in lokalen (Denk-
und Aktions-)Radien bewegen, unterscheiden zu können. Nur ‚kluge‘ Bürger
seien zum echten Kosmopolitismus befähigt, womit Wieland den späteren Typus
des gebildeten Jet-Set-Kosmopoliten mehr oder weniger vorwegnimmt, den
Kwame Anthony Appiah in karikierender Weise dem provinziellen Durch-
schnittsbürger gegenüberstellt: „You imagine a Comme des Garçons-clad so-
phisticate with a platinum frequent-flyer card regarding, with kindly condescen-
sion, a ruddy-faced farmer in workman’s overalls. And you wince. (Appiah
2006: xiii)
2) Komplementär zum moralischen bzw. ethisch-sittlichen Kosmopolitismus, der
die Menschheit als große, in ethischer Gemeinschaft vereinte Familie imaginiert,
betont die Variante des kulturellen Kosmopolitismus die Differenzen zwischen
einzelnen Menschen und Kulturen und damit den Pluralismus innerhalb der
Menschheit als Ganzes. Dabei wird die Kulturdiversität als etwas intrinsisch
Wertvolles aufgefasst, deren Erfahrung die eigene Weltanschauung zu berei-
chern vermag. Das Gewicht auf der Differenz muss daher nicht unbedingt einen
kulturrelativistischen oder ethnozentrischen Beigeschmack haben (vgl. Kleingeld
1999: 517). Analog dazu wird die Förderung des wechselseitigen Verständnisses
der Kulturen aus intrinsischen Gründen begrüßt. Die dieser Version des Kosmo-
politismus zugrunde liegende Annahme lautet, dass alle menschlichen Kulturen
von gleichwertiger Bedeutung seien, weil alle Menschen über die gleichen es-
sentiellen natürlichen Anlagen Vernunft, Gefühle, Vorstellungskraft verfüg-
ten, die sich nicht zuletzt in Abhängigkeit von äußeren Umständen entwickelt
hätten, wie etwa Georg Forster 1791 in seinem Aufsatz Über lokale und allge-
meine Bildung schreibt (vgl. Forster 1990: 45-56). Mit dem Verweis auf die uni-
versal-essentielle Beschaffenheit des Menschen wird die (moralische) Ebenbür-
tigkeit und Gleichwertigkeit der Menschen nochmalig unterstrichen. Georg Fors-
ter, einer der ersten Globetrotter im buchstäblichen Sinne des Wortes, kann auf-
grund seiner persönlichen Erfahrung, die er in zahlreichen Reisen um die Welt,
seiner Kontaktfreude gegenüber Menschen aus anderen Teilen der Erde die er
dem damaligen Lesepublikum anhand von plastischen Schilderungen erfahrbar
macht (vgl. Forster 2007) als die Verkörperung eines Kosmopolitismus der
Neugierde und Offenheit gegenüber dem ‚Anderen‘ gelten. Fraglich bleibt je-
doch, inwiefern Forster seine Privilegierung als Weißer und Wissenschaftler im
damaligen Kontext reflektieren konnte seine persönliche Biographie stellt in
der damaligen Zeit eine Ausnahme dar.
Aporie versus Aspiration | 217
3) Neben dem moralischen und dem kulturellen Kosmopolitismus, die sich den
aufklärerischen Ideen verpflichtet sehen, bildet sich kurze Zeit später erstmalig
auch eine aufklärungskritische Haltung aus, die sich gegen das Primat des Ratio-
nalismus, d.h. gegen die vereinseitigende Dominanz von Vernunftrecht und
-prinzipien wendet. Autoren wie Friedrich Schlegel oder Novalis entwickeln Vi-
sionen eines sogenannten intrinsisch guten Kosmopolitismus, der auf morali-
schen Grundlagen basiert und als hoffnungstragendes Ideal der Humanität aufge-
laden wird (vgl. Schlegel 1988: 69). Ähnlich wie Schlegels letztlich unscharf
bleibende Vorstellungen einer metaphysischen Kosmopolis enthält Novalis Bild
eines länderübergreifenden menschlichen Miteinanders, das er in seiner Rede
über „Die Christenheit oder Europa“ aus dem Jahre 1799 entwirft, die nebulöse
Impression einer im mittelalterlichen Europa verorteten Gegenwelt zur rationa-
listischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts. In der Projektion eines vermeintlich
goldenen Mittelalters, das im Ideal einer spirituellen Gemeinschaft, der Parousia,
gipfelt (vgl. Novalis 1969: 517), verortet Novalis einen romantisch-utopischen
Kosmopolitismus, dessen Eurozentrismus ebenso wie die Überhöhung christli-
cher Werte insofern als besonders problematisch zu erachten sind, als damit die
Zugehörigkeit zur Parousia zu einer spirituellen und damit esoterischen Angele-
genheit gemacht wird. Exklusivität ist dieser Kosmopolitismus-Variante inhä-
rent, womit sie der eigentlich intendierten Idee weltweiter Verbundenheit wider-
spricht, die bereits in den antiken Ansätzen zu kosmopolitischem Denken eine
Rolle spielt. Seneca etwa schreibt: „Patriam meam esse mundum sciam et prae-
sides deos“ (1999: 20, 5).13 und meint damit, dass der Mensch gleichermaßen
sowohl in einer lokalen Gemeinschaft mit ihren spezifischen Sitten und Gepflo-
genheiten als auch in einer weiter gefassten, ideellen Gemeinschaft, der Kosmo-
polis, lebt.14 Während innerhalb der Stoa das Verhältnis der moralischen Pflich-
ten gegenüber der lokalen politischen Gemeinschaft und der globalen Gemein-
schaft auszutarieren ist, besteht für einen spirituell aufgeladenen Kosmopolitis-
13 Dt.: „Mein Vaterland ist die Welt, weiß ich, und dessen Leiter die Götter.
14 Epiktet sieht die Bürgerpflichten gegenüber der jeweiligen Gemeinschaft als bedeut-
sam an, obwohl er betont, dass der Mensch Bürger des Kosmos sei und damit eben-
falls der „göttlichen Weltregierung“ (Epiktet 1994: 2, 10) unterstellt. In ähnlicher
Weise weisen Autoren des 18. Jahrhunderts Möglichkeiten für einen Mittelweg zwi-
schen einem Kosmopolitismus, der nationale, kulturelle oder politische Zugehörigkeit
als zweitrangig oder gar irrelevant hält, und einem Nationalismus, der unbedingte Va-
terlandstreue verlangt, auf. So äußert etwa Johann Bernhard Basedow: „Meine Ab-
sichten und Arbeiten sind zugleich patriotisch und weltbürgerlich. (Basedow 1771,
zit. n. Horstmann 1976: 1162)
218 | Grenzen de r Menschenrechte
mus kein Loyalitätskonflikt, da sich die Parousia als Fluchtperspektive anbietet,
ohne die bestehenden politischen Verhältnisse anzutasten.
4) Auf eine Umgestaltung realpolitischer Strukturen hingegen zielt der internati-
onal-föderative Kosmopolitismus, der ebenfalls im ausgehenden 18. Jahrhundert
entwickelt wird und der sich weniger mit dem Individuum und seiner ethischen
Haltung gegenüber anderen und der Welt als mit der Vorstellung eines mögli-
chen weltweiten Staatenbundes beschäftigt. Kant, als sicherlich prominentester
Vertreter eines solchen kosmopolitisch inspirierten transnationalen Föderalis-
mus, zeigt sich allerdings als ambivalenter Theoretiker eines Weltbürgerrechts,
wie gleich noch zu zeigen sein wird. In seiner kurzen Abhandlung über die Idee
zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (1784) rechtfertigt
Kant eine Nationengemeinschaft, die eine stärkere Kohäsion der Föderation auf
der Grundlage eines supranationalen Gesetzes anstrebt und die man daher auf-
grund ihrer ansatzweise staatlichen Elemente als Staat der Staaten, nämlich als
„künftigen großen Staatskörper […], wovon die Vorwelt kein Beispiel aufzuzei-
gen hat“, auffassen kann (Kant 1977c: 47). Ein Jahrzehnt später hingegen, in der
Schrift Zum ewigen Frieden (1795), stellt Kant die föderative Gemeinschaft eher
als Bündnis zwischen Staaten ohne übergeordnete institutionelle Struktur dar,
das in erster Linie der Sicherung des zwischenstaatlichen Friedens dient. Johann
Gottlieb Fichte setzt sich mit Kants Idee einer Weltrepublik zustimmend ausei-
nander und interpretiert sie als Zwischenstation auf dem Wege hin zum Völker-
staat analog zur Einzelstaatsentwicklung über Schutzbündnisse: „[D]er von
Kant vorgeschlagene Völkerbund zur Erhaltung des Friedens ist lediglich ein
Mittelzustand, durch welchen die Menschheit zu jenem grossen Ziele wohl dürf-
te hindurchgehen müssen.“ (Fichte 1971c: 433) Obgleich Fichte in seinen Schrif-
ten nach 1800 seine kosmopolitischen Ideen widerruft und sich zunehmend nati-
onalistisch äußert (vgl. Fichte 1971b), argumentiert er im „Grundriss des Völker-
und Weltbürgerrechts“ (1796) wenn nicht für einen Völkerstaat, so doch für ein
Bündnis der Staaten. Fichte stellt einen vertragsrechtlichen Bund von Staaten vor
(vgl. Fichte 1971a: § 16), die sich reziprok jeweils Unabhängigkeit sowie die
Unverletzlichkeit des gemeinsamen Vertrags garantieren. Als gemeinsames
Bündnis übertragen sie sich wechselseitig die Macht, andere Staaten, die den
Bund nicht anerkennen oder vertragsbrüchig werden, „auszutilgen“ (Fichte
1971a: 379). Eine solch drastische Idee einer über die einzelstaatliche Souveräni-
tät hinausgehenden Koerzitivmacht findet sich in Kants Friedenschrift hingegen
nicht. Allerdings betont Fichte, dass aus dieser Macht, zu zwingen, kein Völker-
staat folgt. Aus der gegenseitigen vertraglichen Unabhängigkeitsanerkennung
resultiert ein freiwilliger Bund von Staaten (vgl. ebd.: 380).
Aporie versus Aspiration | 219
Keine der hier benannten historischen Kosmopolitismusvarianten vermag wirkli-
che Anknüpfungspunkte für ein demokratisches Weltbürgerrecht zu bieten, auch
wenn seit den 1990er Jahren versucht wird, insbesondere Kants Konzeption ei-
nes vernunftrechtlich-weltbürgerlichen Kosmopolitismus im Zuge des 200. Jubi-
läums seiner Friedensschrift für die Debatte über die Bedingungen der Möglich-
keit einer globalen Bürger_innenschaft fruchtbar zu machen. Während sich die
Debatte vornehmlich auf die zentralen friedenstheoretischen Aspekte kon-
zentriert, werden darüber hinaus sowohl das Weltbürgerrecht als auch die Idee
einer weltbürgerlichen Verfassung unter demokratietheoretischen und gerechtig-
keitsphilosophischen Gesichtspunkten gewürdigt.15 Dabei dürften einige der sich
mit Kants hoffnungsfrohen Formulierungen verbindenden normativen Erwartun-
gen hinsichtlich eines globalen Bürgerrechts jedoch auch enttäuscht worden sein.
Kant schreibt zwar, dass durch das Weltbürgerrecht „entfernte Welttheile mit ei-
nander friedlich in Verhältnisse kommen, die zuletzt öffentlich gesetzlich wer-
den, und so das menschliche Geschlecht endlich einer weltbürgerlichen Verfas-
sung immer näher bringen können“ (Kant 1977d: 214). Doch bei genauerem
Hinsehen stellt seine Idee eines Weltbürgerrechts kein Recht dar, das eine Basis
für eine globale demokratische Bürger_innenschaft, geschweige denn eine trans-
nationale politische Ordnung begründet. Nicht erst die ambitionierte Beschäfti-
gung mit Kants Friedensschrift gegen Ende des 20. und Beginn des 21. Jahrhun-
derts führt zu einer missverständlichen Rezeption des kantischen Weltbürger-
rechts. Schon Fichte interpretiert es vor der Hintergrundfolie des Kontraktualis-
mus im Lichte einer vermeintlich menschenrechtlichen Konzeptionalisierung:
Da der „fremde Ankömmling“ im Voraus kein wechselseitiges Vertragsverhält-
nis mit dem besuchten Staat eingehen konnte, welches für die Bewohner des
Landes Grundlage aller Rechtlichkeit darstellt, gilt für den Besucher „das ur-
sprüngliche Menschenrecht, das allen Rechtverträgen vorausgeht, und allein sie
möglich macht: das Recht auf die Voraussetzung aller Menschen, dass sie mit
ihm durch Verträge in ein rechtliches Verhältnis kommen nnen“ (Fichte
1971a, 383f., Herv. i. Orig.). Fichte begreift dieses kosmopolitische Privatrecht
jedoch fälschlicherweise als Ausgangspunkt für eine transnationale Rechtsord-
nung, die eine Alternative zum herkömmlichen Völkerrecht, das lediglich Inter-
aktionen zwischen Staaten, nicht aber zwischen Staaten und Individuen vorsieht,
darstellt. Der Kern eines solchen kosmopolitischen Rechts bestünde darin, dass
Staaten und Individuen, die Bürger anderer Staaten sind, unmittelbar Beziehun-
gen miteinander aufnehmen können (vgl. Kleingeld 1999: 513). Fichtes Interpre-
tation des kantischen Weltbürgerrechts beruht auf der in begrifflicher Hinsicht
15 Vgl. die Beiträge in Lutz-Bachmann/Bohman 1996 und in Merkel/Wittmann 1996.
220 | Grenzen de r Menschenrechte
problematischen Gleichsetzung von Menschenrechten mit vorstaatlichem, kos-
mopolitischem Privatrecht. Damit liegt er in Bezug auf Kant nicht falsch, wie
gleich zu erläutern sein wird. Nur eignet sich Kants Konzeption eines Weltbür-
gerrechts nicht dafür, ein demokratisches Weltbürger_innentum zu plausibilisie-
ren.
Kant bezieht sich zunächst auf das für das ausgehende 18. Jahrhundert cha-
rakteristische Faktum, dass,
„[d]a es nun mit der unter den Völkern der Erde einmal durchgängig überhand genomme-
nen (engeren oder weiteren) Gemeinschaft so weit gekommen ist, […] die Rechtsverlet-
zung an einem Platz der Erde an allen gefühlt wird: so ist die Idee eines Weltbürgerrechts
keine phantastische und überspannte Vorstellungsart des Rechts, sondern eine notwendige
Ergänzung des ungeschriebenen Kodex, sowohl des Staats- als Völkerrechts zum öffentli-
chen Menschenrechte überhaupt, und so zum ewigen Frieden, zu dem man sich in der
kontinuierlichen Annäherung zu befinden, nur unter dieser Bedingung schmeicheln darf.
(Kant 1977d, 216f., Herv. i. Orig.)
Mit dem Weltbürgerrecht meint Kant, anders als das Zitat zu verheißen ver-
spricht, allerdings lediglich ein Recht der „Wirtbarkeit“, also ein Besuchsrecht.
Der Wortlaut des dritten Definitivartikels lautet: „Das Weltbürgerrecht soll auf
Bedingungen der allgemeinen Hospitalität eingeschränkt seyn“ (ebd.: 213, Herv.
i. Orig.). Diese Hospitalität umfasst das Recht von Individuen, „vermöge des
Rechts des gemeinschaftlichen Besitzes der Oberfläche der Erde, auf der, als
Kugelfläche, sie sich nicht ins Unendliche zerstreuen können, sondern endlich
sich doch neben einander dulden müssen“ (ebd.: 214), in einem anderen Land,
das nicht die eigene Nation ist, als Besucher aufgenommen zu werden. Die Auf-
nahme in einem fremden Land stellt allerdings keinen (moralischen oder politi-
schen) Anspruch dar, den das Individuum generell geltend machen könnte. So-
mit können Staaten die Einreise eines Besuchers prinzipiell untersagen, unter ei-
ner Ausnahme allerdings, wenn dessen Leben bedroht ist:
„[D]a bedeutet Hospitalität (Wirtbarkeit) das Recht eines Fremdlings, seiner Ankunft auf
dem Boden eines andern wegen, von diesem nicht feindselig behandelt zu werden. Dieser
kann ihn abweisen, wenn es ohne seinen Untergang geschehen kann.“ (Ebd.: 213).
Das Weltbürgerrecht stellt eine „notwendige Ergänzung des ungeschriebenen
Kodex, sowohl des Staats- als Völkerrechts zum öffentlichen Menschenrechte
überhaupt, und so zum ewigen Frieden“ (ebd.: 216) dar. In anderen Worten, es
besteht im Wesentlichen in einem Recht, das parallel zum Recht des Staates
Aporie versus Aspiration | 221
bzw. zum Völkerrecht Individuen zuzusprechen ist, die sich im transnationalen
Raum bewegen.
Besuchsrecht bedeutet bei Kant, dass einem sogenannten Fremdling der Zu-
tritt zu einem Land nicht verwehrt werden darf, sofern dieser friedliche Absich-
ten hegt. Gleichwohl kann er abgewiesen werden, sofern keine humanitären
Gründe, etwa in Form der Gefahr seines „Untergang[s]“ (ebd.: 213), dagegen
sprechen. Kant selbst betont, dass es sich bei dem Besuchsrecht nicht um ein
Gastrecht handelt, als das es allerdings in der Rezeption häufig missverstanden
wurde. Das Besuchsrecht leitet sich aus dem ursprünglich gemeinsamen Besitz
am globalen Erdboden ab. Erläutert wird dieses Argument anhand des in der Me-
taphysik der Sitten hergeleiteten subjektiven Rechts, des „suum“, das von Kant
aufgeteilt wird einerseits in ein inneres Recht im Sinne der angeborenen Freiheit,
die sich im Besitz des eigenen Körpers und der natürlichen Ehre ausdrückt, und
andererseits in ein äußeres, also erworbenes Recht (Privatrecht) (vgl. Kant
1977b: 345, 346; Brandt 2004: 143, 144). Aus dem Besitz am eigenen Körper
folgt nämlich, dass jeder Mensch einen Ort auf der Welt haben müsse: „Alle
Menschen sind ursprünglich (d.i. vor allem rechtlichen Act der Willkür) im
rechtmäßigen Besitz des Bodens, d.i. sie haben ein Recht, da zu sein, wohin sie
die Natur, oder der Zufall (ohne ihren Willen) gesetzt hat.(Kant 1977b: 373)
Die Aufteilung des Erdbodens in staatliche Territorien kann dieses ursprüngliche
Recht nicht vollständig trumpfen, weshalb ein Besuchsrecht Fremden prinzipiell
zu gewähren sei. Gleichwohl kann der Staat es, wie bereits erwähnt, aufgrund
seiner Souveränität durchaus einschränken. Kant vertraut jedoch ganz offenkun-
dig darauf, dass Staaten ein Interesse an dem Besuch von Fremden haben. Im 18.
Jahrhundert waren dies vornehmlich Handelsreisende, und vom Handelsgeist
verspricht sich Kant eine friedenstiftende Wirkung, weil er den in der ökonomi-
schen Zielverfolgung verkörperten Eigennutz als auf Wechselseitigkeit beruhen-
den ansieht. Dabei übersieht er jedoch geflissentlich, dass auf etlichen Kontinen-
ten des Globalen Südens genau aus solchermaßen ökonomisch motivierten Ge-
biets- und Rohstoffansprüchen die von ihm moralisch verurteilte Kolonisierung
ebenso wie die mit ihr einhergehende Versklavung unzähliger Menschen auf der
Tagesordnung steht. Seine moralische Verurteilung kolonialistischer und imperi-
alistischer Handlungen resultiert aus der Annahme, dass sich das Hospitalitäts-
recht allein auf eine Befugnis fremder Ankömmlinge „auf die Bedingungen der
Möglichkeit, einen Verkehr mit den alten Einwohnern zu versuchen“ (Kant
1977d: 213, Herv. i. Orig.), erstreckt. Die Wahrscheinlichkeit herrschaftsbezo-
gener und gewaltförmiger Implikationen wirtschaftlicher Interessen wird hinge-
gen von Kant ausgeklammert. Dem angeblich so friedlich-unschuldigen Han-
delsgeist schreibt Kant überdies eine Natürlichkeit zu, die von staatlich definier-
222 | Grenzen de r Menschenrechte
tem, d.h. willentlich gesetztem, Recht akzeptiert werden muss. Zum einen be-
dient er sich hierbei einer zeittypischen anthropologischen Erläuterung, wenn
von einem naturgegebenen wechselseitigen Eigennutz die Rede ist, zum anderen
einer phänomenologischen, da in der Tat Handelswege notwendigerweise territo-
rienübergreifend sind. Beide Argumentationsstränge zielen jedenfalls weniger
darauf ab, ein individuelles Recht zu begründen, als vielmehr die mutmaßlich
befriedende Funktion des Besuchsrechts hervorzuheben. Mit beiden Argumenta-
tionssträngen werden zudem ökonomisch motivierte Interaktionen zwischen
Staaten und Individuen, die in der Regel auf Handelverträgen beruhen, entpoliti-
siert. Das Recht auf Hospitalität erweist sich letztendlich als ein überhaupt nur
auf eine bestimmte, exklusive Personengruppe zutreffendes und anwendbares
Recht, das eher moralischen Charakter hat. Hinzu kommt, dass Kants Verortung
des Besuchsrechts im Friedensdiskurs dem Weltbürgerrecht einen instrumentel-
len Beigeschmack gibt, da es kein Recht auf individuelle grenzüberschreitende
Freizügigkeit darstellt, sondern ein Recht, das vornehmlich zum Zwecke zwi-
schenstaatlichen Friedens zu gewähren ist. Nun mag Frieden durchaus kein hoch
genug zu schätzendes Gut sein. Dennoch verfügt das kantische Weltbürgerrecht
nicht über das Potential, im Sinne eines menschenrechtlich begründeten, univer-
sal gültigen Bürger_innenrechts gelesen zu werden, das sämtlichen Individuen
des Globus zugesprochen würde. Es gilt nur für Menschen, die nicht die Absicht
haben, ihren Aufenthalt länger als nur für ‚einen Besuch‘ in einem fremden Land
zu gestalten. Und obwohl es sich bei dem Besuchsrecht tatsächlich um ein kos-
mopolitisches Recht handelt, das dem Aufbau einer geeinten politischen Welt
dient was für Kant keinesfalls gleichbedeutend mit einem Weltstaat ist , ist es
gerade dieser kosmopolitische Aspekt, der in der heutigen Rezeption des kanti-
schen Ansatzes zu Missverständnissen führt. Daher ist zu betonen, dass es Kant
beim Weltbürgerrecht nicht um ein Gastrecht, sondern um ein Recht auf allge-
meine Gastfreundlichkeit geht. Das bedeutet, dass Kant ein universales Recht auf
das Betreten fremden Bodens ohne zeitliche Begrenzung keinesfalls vorsieht. Im
Gegenteil, seine Formulierung ist unmissverständlich, so lautet die Unterüber-
schrift des entsprechenden Dritten Definitivartikels, in dem das Weltbürgerrecht
erläutert wird, wie bereits oben zitiert: „Das Weltbürgerrecht soll auf Bedingun-
gen der allgemeinen Hospitalität eingeschränkt seyn.“ (Kant 1977d: 213, Herv.
i. Orig.)16
16 Das kantische Besuchsrecht stellt somit den einzigen Inhalt des Weltbürgerrechts dar,
es kann weder für eine aktuelle Interpretation des Asyl- noch eines Aufenthaltsrechts
in Anspruch genommen werden (vgl. Colliot-Thélène 2011: 148; Simmons 1998).
Abgesehen davon, dass das Ansinnen, ein Weltbürger_innenrecht im Kontext von
Aporie versus Aspiration | 223
In der doppelten Absicht, zum einen Kants Engführung des Weltbür-
ger_innenrechts auf ein global zu respektierendes Besuchsrecht zu vermeiden,
zum anderen ein globales Bürger_innenrecht als echtes subjektives Recht zu
konzipieren, entwirft Catherine Colliot-Thélène die Idee einer ‚Demokratie ohne
Demos‘ (vgl. Colliot-Thélène 2011). Ihr Ansatz ist dabei durchaus im Anschluss
an die in Kap. 6.1 diskutierte Idee einer Demokratie als Praxis zu verstehen. Im
Mittelpunkt der Ausführungen zu einer weltweiten Bürger_innenschaft steht die
Konzeptualisierung eines entsprechenden politischen Subjekts globaler Demo-
kratie. Zunächst kritisiert Colliot-Thélène an der zeitgenössischen Debatte über
das Verhältnis von Menschenrechten und Demokratie, dass die Frage nach dem
politischen Subjekt falsch gestellt sei, solange dieses vornehmlich in Kollektiven
wie der Nation, dem Demos oder dem Nationalstaat verortet werde. Die Fokus-
sierung auf Kollektive, die darüber hinaus in ihrer historischen Entwicklung
ebenso wie in ihrer konzeptuellen Konstruktion durchaus skeptisch zu betrachten
seien, verhindere eine Auseinandersetzung mit deren internen Spannungen und
Widersprüchen in Bezug auf die Exklusion von bestimmten Individuen oder
Gruppen von Individuen. Ihr zentrale These bezieht sich hingegen darauf, dass
sich das moderne politische Subjekt einer begrifflichen Zuordnung zur Gemein-
schaft entziehe (Colliot-Thélène 2011: 9, 193ff.).17 Colliot-Thélène entkoppelt
den Status des politischen Subjekts radikal von der Mitgliedschaft zu einer defi-
nierten politischen Gemeinschaft, indem sie argumentiert, dass keine begriffliche
Notwendigkeit dafür vorliegt, das politische Subjekt als Akteur_in einer demo-
kratischen Praxis auf die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Demos festzulegen
und damit auf das Kriterium der Mitgliedschaft zu reduzieren. Diese Annahme
Asyl- oder Aufenthaltsrecht zu verorten, auch unabhängig von Kant als wenig weiter-
führend für den hier interessierenden Kontext zu erachten ist, beziehen sich Asyl- und
Aufenthaltsrecht stets auf eine definierte politische Gemeinschaft, die über die Ge-
währung entsprechender Rechte, an dieser Gemeinschaft temporär oder auf Dauer im
Sinne einer nicht-vollumfänglichen, sondern eingeschränkten Mitgliedschaft teilzuha-
ben, entscheidet. Wie bereits in den Teilkapiteln 3.3, 5.1, 5.2 und 5.3 thematisiert,
konterkariert die normenhierarchische Priorität des Kollektivs jedoch in begründungs-
theoretischer Hinsicht die Idee subjektiver Rechte. Überdies werden die Betroffenen
auf eine bestimmte Identität als Ausländer_in reduziert, ohne dass ihre tatsächlichen
vielfältigen Interessen und Affiliationen sowie ihre eigenen Selbstzuschreibungen
eventuell gar ein bestehendes oder beabsichtigtes ‚Gefühl der Zugehörigkeit‘ – in Be-
zug auf das Zielland ihrer Migration berücksichtigt werden (vgl. Kostakopoulous
2009: 287).
17 Vgl. dazu ausführlicher Martinsen 2015a.
224 | Grenzen de r Menschenrechte
einer konzeptuellen Unabhängigkeit von politischem Subjekt und Zugehörigkeit
konfligiert allerdings, darauf wurde schon mehrfach hingewiesen, mit der Idee
demokratischer Selbstregierung, für die nach herkömmlichem Verständnis die
Zugehörigkeit der Beteiligten zu einer wie auch immer definierten politischen
Gemeinschaft bedeutsam ist. Ich habe jedoch bereits gezeigt, dass das Konzept
der Zugehörigkeit vor allem insofern problematisch ist, als die Unterscheidung
zwischen Zugehörigen und Nicht-Zugehörigen zum Dreh- und Angelpunkt des
Zugangs zur politischen Teilhabe gemacht wird. Unter den Bedingungen natio-
nalstaatlicher Souveränität bedeutet die Differenzierung zwischen Staatsbür-
ger_innen und Nicht-Staatsbürger_innen einen Unterschied ums Ganze hinsicht-
lich der Möglichkeit zur Mitwirkung an demokratischen (Entscheidungs-)Pro-
zessen. Nachdem (männliche) Arbeiter und schließlich Frauen im Laufe der his-
torischen Kämpfe um Gleichberechtigung bezüglich des Rechts auf politische
Teilhabe erfolgreich waren, hat der Status der Ausländer_in bis heute dem Pro-
zess einer Angleichung von Rechten widerstanden. Die Unterscheidung zwi-
schen Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit ist im Hinblick auf das Recht poli-
tischer Teilhabe eine fundamentale. Das Recht auf Mitgestaltung der politischen
Angelegenheiten erweist sich aufgrund seiner Abhängigkeit von einer Staatsbür-
gerschaft bereits historisch als ein oligarchisches Gut (vgl. Kostakopoulou 2009:
276ff.) und zeitigt nun global gesehen Auswirkungen, die, wie bereits in Kap.
4.1 thematisiert, als Apartheid bezeichnet werden können (vgl. Balibar 2004a:
43f., 121ff.; Hayden 2009: 80). Die konzeptuelle Unterscheidung zwischen Men-
schen- und Bürger_innenrechten führt zudem dazu, dass sich unter den Bedin-
gungen nationalstaatlicher Souveränität sogar Menschenrechte für bestimmte
Personengruppen als faktisch wirkungslos erweisen. Für Flüchtlinge, Staatenlose
und undokumentierte Migrant_innen steht in vielen Fällen das nackte Überleben
auf dem Spiel, wie es die Flüchtlingskatastrophen auf dem Mittelmeer offenba-
ren (vgl. u.a. Heck 2011; Kopp 2011).18 Die Abschottung vieler Länder des Glo-
balen Nordens bzw. Westens gegenüber Migrierenden gerät somit in krassen
Widerspruch zumindest zu dem universalen normativen Anspruch der Men-
schenrechte. Sowohl die gegenwärtige Demokratietheorie als auch der Men-
18 Im Einzelnen mögen sich die Aussichten in Bezug auf einen legalen Status im Ziel-
land und verbesserte Lebensbedingungen der genannten Personengruppen unterschei-
den. Hier geht es um den Umstand, dass bestimmte zentrale Bereiche eines men-
schenwürdigen Lebens wie z.B. ein gesicherter Aufenthalt, eine angemessene Ge-
sundheitsversorgung sowie soziale und vor allem politische Rechte für die Mehrzahl
der Betroffenen von Migration, Flucht oder Staatenlosigkeit mehr oder weniger unzu-
gänglich bleiben.
Aporie versus Aspiration | 225
schenrechtsdiskurs muss sich nach Ansicht von Colliot-Thélène daher mit den
Exklusion begünstigenden Implikationen des Begriffs der Volkssouveränität
stärker auseinandersetzen. Solange, wie dieser sich „so hartnäckig hält“ (Colliot-
Thélène 2011: 190), sei etwa das Problem der Rechte für Ausländer_innen in-
nerhalb von Nationalstaaten nicht im Rahmen einer Menschenrechtstheorie zu
lösen, da der Rekurs auf ein Kollektiv wie den Demos immer schon die Exklusi-
on ‚der Anderen‘ beinhalte. Zugleich warnt Colliot-Thélène jedoch davor, das
demokratische Volk für seine territoriale und konzeptionelle Abgeschlossenheit
verantwortlich zu machen. Sie geht davon aus, dass sich die rechtliche Kodifi-
zierung des Unterschieds zwischen Staatsbürger_in und Ausländer_in nicht
zwangsläufig aus der Demokratie ergibt. Die Ausschlussmechanismen von Nati-
onalstaaten (bzw. supranationalen Gebilden wie der EU) gründen nicht in der
Demokratie, sondern, umgekehrt, das Demokratieverständnis erhält erst durch
die Exklusionspraxis von Staaten seine Engführung mit einem begrenzten De-
mos (vgl. ebd.: 194). Mit Colliot-Thélène ist daher vielmehr „anzuerkennen,
dass allein die Forderung nach Gleichheit der Rechte die gemeinschaftszentrierte
Logik aufbricht, die das Postulat des souveränen Volkes beinhaltet“ (ebd.: 195-
196). Statt in der Bildung eines nach außen sich begrenzenden Kollektivs würde
der Sinn moderner Demokratie im Kampf für gleiche Rechte aller Individuen
verortet werden und dies unabhängig von nationalstaatlicher Zugehörigkeit.
Der Kampf um gleiche Rechte aller setzt keinen Demos, keine begrenzte Ge-
meinschaft, kein identitätsstiftendes Kollektiv voraus. Er ist herausgelöst aus ei-
nem nationalstaatlichen Rahmen, der lediglich eine historische Erscheinungs-
form und in begrifflicher Hinsicht nicht konstitutiv für eine demokratische Pra-
xis ist (vgl. Kap. 6.1). Eine solchermaßen verstandene „Demokratie ohne Volk“
(Colliot-Thélène 2011) bedeutet allerdings nicht ein Verschwinden demokrati-
scher Akteur_innen. Vielmehr bedeutet sie, dass der Kreis der politischen Sub-
jekte nicht auf einen begrenzten Demos festgelegt wird. Die Wendung ‚Demo-
kratie ohne Volk‘ steht somit für ein Nachdenken über das Politische, das an-
schlussfähig für Überlegungen zu globalen Bürger_innenrechten und transnatio-
naler Demokratie ist. Der Fokus richtet sich nämlich auf die Figur des individu-
ellen Rechtssubjektes, das die Nachfolge der Nation bzw. des Demos antritt. Je
mehr Bedeutung die Figur des Rechtssubjektes für das Verständnis von Demo-
kratie erhält, desto mehr verliert die Fiktion der Selbstgesetzgebungsidee an
Glaubwürdigkeit (vgl. ebd.: 29f.). Die Etymologie des Demokratiebegriffs
scheint Colliot-Thélènes Ansatz Lügen zu strafen. Doch sollte nicht vergessen
werden, dass es in programmatischer Hinsicht zwei historische Errungenschaften
sind, die größere Relevanz für ein adäquates Verständnis moderner demokrati-
scher Partizipation haben als die Idee der ‚Herrschaft‘ (‚kratía‘) eines Volkes
226 | Grenzen de r Menschenrechte
(‚dēmos‘). Den individualitäts- und pluralitätsvergessenden Konnotationen des
Begriffs Demos, die in dem hier zu untersuchenden Feld als problematisch ein-
zustufen sind, stehen zum einen der historischen Errungenschaft der Idee der
Gleichheit der Individuen (vgl. Menke 2000), zum anderen der seit dem 18.
Jahrhundert aufkommenden und seitdem nachhaltigen Idee subjektiver Rechte
gegenüber.
Die Herausbildung eines subjektiven Rechtsverständnisses ist eines der mar-
kanten Merkmale der Moderne. Max Weber, darauf wurde in Kap. 2.3 bereits
eingegangen, erläutert die Etablierung der Figur des Rechtssubjekts anhand von
zwei Faktoren, zum einen anhand der grundlegenden Veränderung der politi-
schen Ordnung, bei der das ständebezogene Geflecht vielfältiger intermediärer
Rechte und Pflichten durch den modernen Staat, der sich das zentralistische Ge-
waltmonopol aneignet, ersetzt wird (vgl. Weber 1980: 97ff.).
Ungefähr zeit-, aber nicht deckungsgleich spielt der zweite Faktor, die Ent-
stehung der bürgerlich-gesellschaftlichen Sphäre, die sich von den mittelalterlich
geprägten Regulierungskräften löst, eine entscheidende Rolle. Hier bildet sich
eine Sphäre aus, in der die Freiheit der Individuen, vornehmlich, um wechselsei-
tige Privatverträge abzuschließen, staatlichen Schutzes bedarf. Es ist jedoch auch
genau diese zweigleisige Entwicklung, die im Zusammentreffen der Schutzrech-
te für Bürger durch den Staat eine Doppeldeutigkeit in die Figur subjektiver
Rechte einschreibt, die bis heute bestimmend ist (vgl. Menke 2009: 2). Exempla-
risch zeigt sie sich an der „unaufgelösten Spannung im Verständnis rechtlich
verbürgter Freiheit“, die schon bei Kant im Begriff des Rechts insofern besteht,
als hier die Idee vernünftiger Autonomie und der Begriff privater Willkür „hart
aufeinander[treffen]“ (ebd.; vgl. auch Habermas 1994: 142f.). Es ist die Span-
nung zwischen dem Aspekt des Potentials zur Ermächtigung der Individuen
durch subjektive Rechte einerseits, die sich in unterschiedlichen Formen der
Teilnahme an sozialen Praktiken ausdrücken kann, und dem Aspekt der Abwehr
äußerer Bemächtigungen andererseits. ‚Ermächtigung durch subjektive Rechte‘
bedeutet hierbei die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Rechtstitels, der in
einer Verpflichtung anderer und zwar asymmetrisch, nicht wechselseitig! re-
sultiert. In ein Spannungsverhältnis tritt das Rechtssubjekt als soziales Mitglied
der Gesellschaft mit dem privaten Individuum, dessen Freiräume gegen Zugriffe
seitens anderer Individuen und insbesondere seitens des Staates geschützt wer-
den sollen (vgl. Menke 2009: 2f.).
Die Figur des Rechtssubjekts versucht nun Colliot-Thélène trotz deren inhä-
renten Spannung zwischen Ermächtigung und privater Willkür für die Debatte
über ein Konzept weltweiter Bürger_innenrechte fruchtbar zu machen. Ihre
Grundannahme besteht darin, dass das Rechtssubjekt mit der Figur des politi-
Aporie versus Aspiration | 227
schen Subjekts zu identifizieren sei. Da es ihrer Ansicht nach keinen begriffli-
chen Grund für die Herleitung des politischen Subjekts aus einem vorab definier-
ten Kollektiv gibt, kann dieses als unabhängig von einer Zuordnung zur Gemein-
schaft verstanden werden. Politische Teilhabe ist der Inbegriff des Rechts des
politischen Subjekts. Doch steht Teilhabe in dieser Lesart dem Subjekt per se zu
und wird ihm nicht erst durch ein Kollektiv verliehen. Gewöhnungsbedürftig ist
daher auch die entsprechende Schlussfolgerung aus diesen Annahmen denn
wenn das Recht nicht etwas qua Mitgliedschaft Gegebenes ist, bedeutet dies
wiederum, dass es sich die Gewährung seines Rechts erkämpfen bzw. im Fall,
dass es über dieses bereits verfügt, aktiv bewahren muss. Bürger_in ist demnach
der Mensch, „der aktiv wird, um seine Rechte zu verteidigen oder neue zu er-
streiten“ (Colliot-Thélène 2011: 233). Für Colliot-Thélène stellt diese Interpreta-
tion der Figur des politischen Subjekts die einzig angemessene unter den Bedin-
gungen einer zunehmenden Aushöhlung von nationalstaatlicher Souveränität
dar. Sie ist dabei der Auffassung, dass sich die moderne Demokratie in Zukunft
stärker als je mit der Idee des Rechtssubjekts verbinden werde und daher ent-
sprechend das vorherrschende Demokratieverständnis unweigerlich einer „tief
greifenden Revision“ (ebd.: 14) zu unterziehen sei. Und dies, obwohl die Vo-
raussetzung für dessen Herausbildung, nämlich das Rechtssetzungsmonopol des
Staates, im Zuge der Transnationalisierung von Recht und Souveränität bereits
am Verschwinden ist. Mit dieser These bezieht Catherine Colliot-Thélène nicht
nur gegen die in der französischen Diskussion des ausgehenden 20. Jahrhunderts
häufig anzutreffende republikanistische Argumentationslinie Stellung, der zufol-
ge der ‚Wert‘ von Demokratie vor allem in der ‚Gemeinschaft‘ liege sei es nun
in der Gemeinschaft des Staates (wie z.B. bei Hegel) oder in der der Bür-
ger_innen (wie z.B. bei Rousseau). Sie geht so weit, zu argumentieren, dass der
Sinn von Demokratie nicht in erster Linie oder gar ausschließlich in der soge-
nannten Herrschaft des Volkes bestehe. Ihrer Auffassung nach liegt der Sinn von
Demokratie in der politischen Verwirklichung einer Gleichheit vor dem Gesetz.
Dabei sei jedoch zu beachten, dass Gleichheit vor dem Gesetz nichts Vorfindli-
ches sei, sondern etwas, um das immer wieder gekämpft und gerungen werden
müsse (vgl. Colliot-Thélène 2009b: 236, 2011: 90 sowie 2005). Dieser Kampf
um Gleichheit sei im Grunde genommen gleichbedeutend mit dem Kampf um
den Status, ein politisches Subjekt zu sein.
Mit der Bezeichnung ‚Kampf um gleiche subjektive Rechte‘ ist bereits Col-
liot-Thélènes demokratietheoretische Programmatik in wenigen Worten umris-
sen, sie wird jedoch nur verständlich, wenn die historische Bedeutung der Figur
des Rechtssubjekts herausgestellt werden kann. Die Figur des Rechtssubjekts hat
nach Colliot-Thélènes Auffassung ein Element in die Politik eingeführt, das zur
228 | Grenzen de r Menschenrechte
tief greifenden Änderung von Herrschaftsstrukturen beitrug. Die Herausbildung
der Rechtssubjekt-Figur, die im Zusammenhang mit der Etablierung des moder-
nen Nationalstaats stattfand, hatte die Demontage des bis dahin bestehenden
Rechtspluralismus zur Folge, der zuvor große Unterschiede in der Gewährung
von Rechten und Privilegien gegenüber Personen zugelasen hatte. Im Gegensatz
zu feudalistischen und regionalen Ausprägungen des Rechts kommt der Status
des modernen Rechtssubjekts jedem Menschen zu. Colliot-Thélène betont hier-
bei, dass die Loslösung des politischen Subjektstatus von feudalen Privilegien
zwar im Rekurs auf den durchaus problematischen Begriff der menschlichen Na-
tur begründet worden sei, dass das Rechtssubjekt als politisch relevante Figur je-
doch vielmehr ein „Produkt der Geschichte“ (Colliot-Thélène 2011: 219) selbst,
nämlich der Zerschlagung ständischer Rechte durch die Macht des Staates, sei.
Die Gleichheitsidee, die dem Begriff des Rechtssubjekts zugrunde liege, komme
auch dem modernen politischen Subjekt zu: Das Besondere an der modernen
Konzeption des politischen Subjekts sei es, dass sie sich ableite „von dem Indi-
viduum, das als solches befugt ist, Rechte geltend zu machen“ (Colliot-Thélène
2011: 219, Herv. d. Verf.). Die entscheidende Bedeutung erhält der Demokratie-
begriff somit nicht durch die ‚Herrschaft des Volkes‘, wie der etymologische
Wortsinn es nahezulegen scheint, sondern durch die Fokussierung auf das Indi-
viduum in seiner Eigenschaft als Rechtssubjekt. Demokratie werde erst dann
richtig verstanden, wenn sie als Austragung von Auseinandersetzungen um die
Verwirklichung bestimmter Rechte von Individuen aufgefasst werde (vgl. ebd.:
91, 176ff. u. 218ff.). Die Emphase gegenüber der Idee der Volkssouveränität,
wie sie bei etlichen Theoretiker_innen im Kontext der französischen Revolution
und in deren Vorfeld anzutreffen ist, teilt Colliot-Thélène keineswegs, sie hält
sie vielmehr für heutzutage überholt (vgl. ebd.: 28). Das Konzept der Selbstge-
setzgebung durch das Volk betrachtet sie dabei durchaus mit historischem Inte-
resse, war doch die Profilierung der Idee, dass das ‚Volk‘ anstelle eines Monar-
chen oder einer aristokratischen Elite das politische Geschehen bestimmt, für
den Prozess der Überwindung feudaler Herrschaftsstrukturen maßgeblich. Prob-
lematisch am Begriff der Volkssouveränität ist in ihren Augen allerdings die
konzeptuelle Verknüpfung des Rechts auf politische Partizipation mit der Idee
der Zugehörigkeit zu einem bestimmten (Staats-)Volk. Insbesondere die klassi-
sche Sicht auf den Gesellschaftsvertrag als Ursprungsmoment der Konstituie-
rung eines souveränen Volkes lege zudem zu viel Gewicht auf den Aspekt der
Selbstregierung und vernachlässige dabei die Bedeutung der Gleichheit vor dem
Gesetz. Zentral für Colliot-Thélènes Interpretation der Demokratie als Gleichheit
der Rechtssubjekte ist daher der Gedankengang Immanuel Kants: Gleiche Frei-
heit für alle wird hier als der eigentliche Sinn des Gesellschaftsvertrags und da-
Aporie versus Aspiration | 229
mit als das einzige Kriterium für die Legitimität von Gesetzen verstanden (vgl.
ebd.: 97f. sowie Kant 1977b: 345f.). Andersherum gewendet ist gleiche Freiheit
allein im Status des Rechtssubjekts verbürgt, das begrifflich unabhängig von ei-
nem (vorgängigen) Kollektiv gefasst wird.19
Wenn Colliot-Thélène heute, 200 Jahre später, alles daran setzt, die Ver-
knüpfung von Volkssouveränität und Demokratie wieder zu entzerren, dann liegt
der Grund in der historischen Kontingenz der Verbindung von Demokratie, Na-
tion und Staat. Die Verschränkung von politischer Teilhabe und Staatszugehö-
rigkeit wurde durch das Aufkommen des modernen Staates begünstigt er fun-
gierte erfolgreich als Garant für die Gewährung genau jener subjektiven Rechte
von Individuen, die Colliot-Thélène als zentral für eine Demokratieform unab-
hängig vom Staat ansieht. Historisch gesehen geht die Errungenschaft der sub-
jektiven Rechte tatsächlich einher mit der Profilierung der Idee eines ‚Staats-
volks‘, die sich umso rascher etablierte, wie in ihr das Potential einer Verwirkli-
chung der emanzipativen Vorstellungen freier und gleicher Individuen in Form
eines kollektiven Entschlusses, sich selbst Gesetze zu geben, entdeckt wurde.
Die Texte der Revolutionszeit gelten in der Politischen Ideengeschichte als
wichtige Wegbereiter für die nachhaltige Ausgestaltung der Idee demokratischer
Volkssouveränität. Anhand von ausgewählten Texten, etwa Maximilien Robe-
spierres oder auch des Marquis d’Argenson (vgl. D’Argenson 1985), versucht
Colliot-Thélène aufzuzeigen, dass es in der Zeit des ausgehenden 18. Jahrhun-
derts gleichwohl einen Schlüssel für ein alternatives Verständnis von Demokra-
tie gibt: Im Unterschied zur Idee der Selbstregierung durch das Volk liege dieser
im Begriff der Gleichheit im Sinne voller Bürgerrechte. Nach Colliot-Thélène
lässt sich Demokratie somit weniger als bestimmte Herrschaftsbeanspruchung
eines Volkes (im Sinne eines Herrschaftsanspruchs der Vielen im Gegensatz zu
19 Aus genau diesem Grund ist die kantische Konzeption des Rechtssubjekts für Colliot-
Thélènes Demokratieverständnis so entscheidend: Während in der rousseauschen Les-
art das Moment der Volkssouveränität konstitutiv für die Begründung legitimer Zu-
schreibung von Rechten ist, betrachtet Kant diese als davon losgelöst. Der wesentliche
Unterschied zwischen beiden Ansätzen besteht jedoch darin, dass Rousseau aufgrund
seiner Fokussierung auf das Kriterium der Volkssouveränität die Differenz zwischen
dem realen und dem fiktiv gesetzten souveränen Volk mithilfe der Vorstellung ei-
ner Ursprungsvereinigung in Form einer Unterwerfung unter die volonté générale zu
eliminieren sucht. Für Kant hingegen sei die Differenz zwischen Real- und Fiktivvolk
nicht erheblich, da für ihn das Kriterium einer legitimen Staatsform in der formalen
Gleichheit der Rechtssubjekte liegt.
230 | Grenzen de r Menschenrechte
dem der Wenigen) denn als allgemeine Öffnung des Status voller Bürgerrechte
für alle begreifen (vgl. Colliot-Thélène 2011: 72ff.).
Colliot-Thélène schaut also auf die Anfänge der Diskussion um die Bedeu-
tung der Demokratie in der Absicht zurück, hier auf einen bislang wenig beach-
teten Zusammenhang zwischen Demokratie und Rechtssubjektfigur aufmerksam
zu machen, den sie für ihre eigene Lesart fruchtbar zu machen beansprucht. Ge-
nerell ist beim Rekurs auf Autoren des 18. Jahrhunderts sicherlich zu beachten,
dass weder Kant noch Rousseau von ‚Demokratie‘ im heutigen Verständnis, also
in einem von einer über mehrere Jahrzehnte bestehenden rechtsstaatlichen Praxis
geprägten Verständnis, sprechen, wenn es um die Frage nach der Gestalt und der
Ausprägung der Herrschaftsform einer politischen Gemeinschaft geht. Beide
verwenden den für ihre Zeit typischen Begriff der ‚Republik‘, also einen Termi-
nus, der einen bürgerlich-rechtlichen Zustand benennt. Genau diesen Bedeu-
tungsgehalt, nämlich die Markierung eines Rechtsstatus, aus dem das politische
Subjekt hervorgehen kann, meint Colliot-Thélène nun enger an den Begriff der
Demokratie knüpfen zu können, als es die Mehrheit der heutigen Demokratieauf-
fassungen vorsieht, die eher die konzeptuelle Verschränkung des Demokratiebe-
griffs mit der Idee der Volkssouveränität beinhalten. Ja, ihre Argumentation gip-
felt in der Aussage, dass „dem Begreifen der Realität moderner Demokratien
hauptsächlich die Idee der Selbstgesetzgebung entgegensteht“ (ebd.: 15).
Das Erfordernis eines Kampfes der politischen Subjekte um Rechte verweist
auf einen weiteren Aspekt, der für die Konzeption einer Demokratie ‚ohne Volk‘
relevant ist: Es ist die Öffnung, die durch Demokratie erreicht wird. Der eigent-
liche Clou einer vom Volksbegriff entkoppelten Demokratie besteht für Colliot-
Thélène übrigens ebenso wie für Lefort oder Rancière nämlich darin, dass
Demokratie einen öffnenden statt abschließenden Charakter erhält. Diese Auf-
fassung beruht, wie bereits erläutert, auf der Ansicht, dass Demokratie eine be-
stimmte Praxis verkörpert und damit nicht lediglich ein Produkt der Geschich-
te, sondern die Geschichte selbst darstellt. Dieser zweite Aspekt steht im Kontext
einer bestimmten Erwartungshaltung gegenüber der Politischen Philosophie ins-
gesamt. Soll diese sich als kritisch erweisen, muss sie, so ließe sich in Anleh-
nung an die genannten Autor_innen sagen, durchaus den markanten Phänome-
nen der Globalisierung Rechnung tragen können. Eines der entscheidendsten
Merkmale der Globalisierung ist die Aushöhlung des nationalstaatlichen
Rechtsmonopols. Nachdem die „moderne Philosophie unzweifelhaft eine Philo-
sophie des souveränen Staats gewesen“ sei, müsse sie nun jedoch ihr begriffli-
ches und kriterielles Fundament überdenken. Wenn das politische Subjekt im in-
dividuellen Rechtssubjekt verortet wird, verlieren die Konzepte der Nation und
des Staates ihre prioritäre Bedeutung und werden in den geschichtlichen Kontext
Aporie versus Aspiration | 231
gerückt. Eine reflektierte Politische Theorie erhält durch die derzeitigen ge-
schichtlichen Prozesse durchaus die „Mittel an die Hand, die Voraussetzungen
der Politik nach dem Ende des staatlichen Machtmonopols zu denken“ (ebd.:
231).
Es mag an dieser Stelle eingewandt werden, dass die Eindringlichkeit, mit
der etwa Colliot-Thélène die regelrecht romantische Aufgabe eines globalen
Bürger_innentums beschwört, gemeinsam für eine politische Gleichberechti-
gung, das heißt für das Recht auf gleiche politische Teilhabe für alle, zu kämp-
fen, befremdlich anmutet. Die Annahme einer kollektiv geteilten Zugehörigkeit
zu einem globalen Weltbürger_innentum erinnert an die historischen Varianten
eines ethischen bzw. kulturellen Kosmopolitismus, die zu Beginn dieses Teilka-
pitels vorgestellt wurden. Colliot-Thélène schreibt einem vermeintlich offenen,
nicht-exklusiven Kreis globaler Bürger_innen eine nicht näher begründete, mut-
maßliche Übereinstimmung hinsichtlich einer normativen Beantwortung der
Frage nach der Öffnung von politischen Gemeinwesen zu, die zumindest in em-
pirischer Hinsicht dahingestellt bleiben muss. Angesichts der verschiedenen
Ängste, Hoffnungen und Erwartungen, die sich mit den Phänomenen der Globa-
lisierung verbinden, dürften die Einstellungen zur Frage einer Überwindung der
nationalstaatlich organisierten Sphäre, abhängig von regionaler, kultureller und
sozialer Verortung, umso heterogener ausfallen. So zeugen sowohl die europäi-
sche Außenpolitik als auch die staatlichen Politiken mehrerer europäischer Län-
der eher von der Haltung der Abschließung gegenüber ‚Fremden‘ und Nicht-
Staatsbürger_innen sowie des Rückbezugs auf einen eng auf die nationale Zuge-
hörigkeit zugeschnittenen Volksbegriff. Und auch auf der formaljuristischen
Ebene wird in vielen Ländern auf ebenjenen Volksbegriff rekurriert, der von
Colliot-Thélène kritisiert wird. In Deutschland werden z.B. Vorstöße zu einer
Ausweitung des Wahlrechts für Nicht-Staatsbürger_innen vom Bundesverfas-
sungsgericht abgelehnt, indem argumentiert wird, dass laut Verfassungstext die
Staatsgewalt vom Volke ausgehe, von dessen Zugehörigkeit Nicht-Staatsan-
gehörige ausgeschlossen seien.20
Demgegenüber lässt sich jedoch auf bestehende Bestimmungen einiger we-
niger Nationalstaaten verweisen, die Nicht-Staatsbürger_innen ein Recht auf po-
litische Teilhabe über die Grenzen kommunaler Politik hinaus gewähren. In aus-
gewählten skandinavischen Ländern sowie in den Niederlanden können Men-
schen auch ohne nationale bzw. EU-Staatsbürgerschaft aktiv und passiv am poli-
tischen Prozess teilhaben, zumindest dann, wenn sie eine bestimmte Mindestau-
20 Vgl. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG sowie BVerfGE Bd. 83 (1990), 39 (Abs. 25) und 50
(Abs. 53). Vgl. hierzu Benhabib 2008a.
232 | Grenzen de r Menschenrechte
fenthaltsdauer in dem Land nachweisen können.21 Die Gewährung hängt z.T.
von bilateralen Verträgen ab, d.h. die politische Partizipation wird nicht um-
standslos und inklusiv allen Ausländer_innen erlaubt, sondern häufig lediglich
bestimmten Gruppen von Ausländer_innen, die aus Staaten stammen, mit denen
es spezielle Abkommen gibt. Dennoch wird in diesen Fällen die Gleichheit vor
dem Gesetz über die Zugehörigkeit zum (national definierten) Volk gestellt. Ob
die politische Inklusion von Nicht-Staatsbürger_innen über den Weg eines poli-
tischen Kampfes auf der Straße oder über den Weg einer Verfassungstextände-
rung vollzogen wird, wäre aus Sicht Colliot-Thélènes vermutlich unerheblich.
Viel wichtiger wäre wohl, dass die Politische Philosophie schon eine adäquate
Menschenrechtskonzeption bereithält, die für das Recht auf politische Partizipa-
tion offen ist.
6.3 EIN MENSCHENRECHT AUF DEMOKRATIE
ABER WIE?
In den Jahren 1999, 2008 und 2011 gibt es innerhalb der Vereinten Nationen
Vorstöße, ein Recht auf Demokratie im Rahmen von UN-Resolutionen zu defi-
nieren.22 Diese Vorstöße verweisen auf eine Leerstelle im Menschenrechtskata-
log der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948), die zum Teil, aber
nicht ausschließlich mit dem spezifischen historisch-politischen Entstehungskon-
text im Spannungsfeld der Sieger- und späteren Blockmächte zu erklären ist.
Während der Jahre 1946 bis 1948 behandelte der Unterausschuss der Menschen-
rechtskommission im Zuge der Diskussion über den Entwurf für eine internatio-
nale Menschenrechtserklärung die Frage, welche Regierungsform am besten zur
Beförderung von Menschenrechten geeignet sei (vgl. Morsink 1999: 59ff.). Eine
eindeutige Antwort war angesichts der weltanschaulichen und politischen Diffe-
renzen zwischen den politischen Mächten nicht möglich. Innerhalb der Debatte
konnte sich offensichtlich nicht auf eine klare Vorgabe hinsichtlich einer demo-
kratischen Grundordnung von politischen Gemeinschaften, geschweige denn auf
ein unmissverständliches Bekenntnis zu einem individuellen Recht auf demokra-
tische Teilhabe verständigt werden. Ungeachtet des insgesamt als diplomati-
21 So können etwa in Schweden Nicht-Staatsbürger_innen und Nicht-EU-Bürger_innen
nach drei Jahren Aufenthaltsdauer sowohl aktiv als auch passiv politisch partizipieren
(vgl. Bauer 2008: 4).
22 Vgl. CHR Res. 1999/57, „Promotion of the right to democracy“ (27.04.1999);
A/HRC/Res/8/5 (18.06.2008); A/HRC/RES/18/6 (13.10.2011).
Aporie versus Aspiration | 233
schen und diskurspolitischen Erfolg zu bezeichnenden Resultats einer gemein-
samen Erklärung fiel das Ergebnis der entsprechenden Verhandlungen zwischen
den beteiligten Parteien daher wenig überraschend in Bezug auf den Status
demokratischer Mitbestimmung eher konturenlos aus. Zum einen findet sich im
Menschenrechtskatalog Art. 21 Abs. 1 AEMR (1948), der ein Recht des Indivi-
duums auf Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten innerhalb seines jewei-
ligen Landes formuliert. Hier ist jedoch nicht explizit von einem Recht auf De-
mokratie die Rede (vgl. Charlesworth 2013). Im Zusammenhang mit Rechten
und Pflichten des Individuums innerhalb der politischen Gemeinschaft themati-
siert Art. 29 AEMR (1948) zum anderen, dass allein ein Gesetz, das „die Aner-
kennung und Achtung der Rechte und Freiheiten anderer zu sichern und den ge-
rechten Anforderungen der Moral, der öffentlichen Ordnung und des allgemei-
nen Wohles in einer demokratischen Gesellschaft zu genügen“ vorsieht, dazu be-
rechtigt sei, den Einzelnen Beschränkungen aufzuerlegen.23 Die Bezugnahme auf
eine demokratische Gesellschaft stellt jedoch eine recht weiche und unklare Be-
stimmung dar. Mit ihr ist kaum etwas über die konkrete Ausgestaltung der öf-
fentlich-rechtlichen Ordnung eines politischen Gemeinwesens und erst recht
nichts über ein individuelles Recht auf demokratische Partizipation gesagt.
Umso mehr erstaunt das Fortbestehen der Leerstelle auch über die 1990er
Jahre hinaus, und die drei genannten Versuche, das Thema auf die politische
Agenda der Vereinten Nationen zu bringen, ist auch als Verweis auf ein wichti-
ges Desiderat in Bezug auf die Praxis der Menschenrechte zu lesen. Gleichwohl
wird dem Anliegen einer Verankerung eines Rechts auf Demokratie durchaus
auch mit einer gewissen Skepsis begegnet. Die Vorstellung eines regelrecht vor-
schriftsmäßigen Zwangs zur Demokratie mutet kontraintuitiv an, wie bereits in
der Einleitung angedeutet wurde (vgl. Peter 2015: 481). Gegner_innen eines
Menschenrechts auf Demokratie sehen in ihm eine Gefahr für das Menschen-
recht auf Selbstbestimmung, das Völkern die Wahl ihrer eigenen Verfassung und
23 Vollständig lautet Art. 29 AEMR (1948): „1. Jeder hat Pflichten gegenüber der Ge-
meinschaft, in der allein die freie und volle Entfaltung seiner Persönlichkeit möglich
ist. 2. Jeder ist bei der Ausübung seiner Rechte und Freiheiten nur den Beschränkun-
gen unterworfen, die das Gesetz ausschließlich zu dem Zweck vorsieht, die Anerken-
nung und Achtung der Rechte und Freiheiten anderer zu sichern und den gerechten
Anforderungen der Moral, der öffentlichen Ordnung und des allgemeinen Wohles in
einer demokratischen Gesellschaft zu genügen. 3. Diese Rechte und Freiheiten dürfen
in keinem Fall im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Natio-
nen ausgeübt werden. www.un.org/depts/german/menschenrechte/aemr.pdf (24.11.
2018).
234 | Grenzen de r Menschenrechte
Entwicklung zuschreibt. Genau diese Wahlfreiheit würde durch ein Menschen-
recht aus Sicht etlicher Theoretiker_innen unterminiert. Zwar könne diese Ge-
fahr durch ein richtiges Verständnis des Rechts auf Selbstbestimmung als Recht
auf Demokratie gebannt werden (vgl. Christiano 2015b), doch müsse dafür die
Prioritätenreihenfolge zwischen beiden Rechten geklärt werden bzw. plausibili-
siert werden, dass diese im Idealfall miteinander identifiziert werden können. In
dieser Lesart würde das Recht auf Selbstbestimmung als Recht interpretiert, das
im Schutz gleicher Interessen an Demokratie gründet (vgl. Gould 2006; Alt-
man/Wellman 2009). Folgt man dieser Argumentation einer Ineinssetzung beider
Rechte, wodurch jeglicher Konflikt zwischen beiden ausgeschlossen würde, ent-
steht jedoch der Eindruck einer Tautologie als ob ein Recht auf Demokratie
nur für ohnehin demokratisch verfasste Völker gälte (vgl. Peter 2015: 481).
In der Tat wird im Diskurs des Internationalen Rechts die Idee eines Men-
schenrechts auf Demokratie eher skeptisch betrachtet. In Bezug auf die genann-
ten Vorstöße seitens der Vereinten Nationen zeigt sich die Komplexität der wi-
derstreitenden Auffassungen zwischen der Perspektive der normativen Politi-
schen Demokratietheorie und der Perspektive des Internationalen Rechts beson-
ders deutlich. Wird die Rolle der Menschenrechte generell darin verortet, Stan-
dards zur Beurteilung staatlichen Handelns und des Handelns von internationa-
len Institutionen bereitzustellen (vgl. Koskenniemi 2011), stellt sich die Frage,
worin genau der Standard eines Menschenrechts auf Demokratie bestehen könn-
te. Die Antwort hängt dabei entscheidend davon ab, ob die Idee eines Menschen-
rechts auf Demokratie als individuelles Recht auf demokratische Partizipation
oder als Recht auf kollektive Selbstbestimmung zu verstehen ist. Beide Varian-
ten sind, dies wurde bereits im Rahmen der Erläuterung verschiedener Facetten
des Verhältnisses zwischen Menschenrechten und Demokratie (vgl. insb. Kap.
6.1) angedeutet, umstritten. So wird gegen eine Lesart des Menschenrechts auf
Demokratie im Sinne eines universalen Standards, der auf jeglichen nationalen
Kontext anzuwenden wäre, eingewandt, dass der Fokus auf Nationalstaatlichkeit
die demokratischen Potentiale auf transnationaler Ebene ignoriert. Der eigentli-
che Konfliktpunkt liegt jedoch in der Kontroverse, inwiefern ein Menschenrecht
auf Demokratie als subjektives Recht des Individuums verstanden werden könne
(vgl. Steiner 2008). Aus Sicht des Internationalen Rechts böten die bislang vor-
liegenden Dokumente keinen Anlass zu der Annahme eines individuellen Rechts
auf Demokratie. Daher ignoriere die optimistische Lesart des UN-Menschen-
rechtsausschusses (Human Rights Committee, kurz HRC), der zufolge der Arti-
kel 25 IPBPR (1966) „at the core of democratic government based on the
consent of the people“ (General Comment 25 on Article 25, 1996) liege, dass es
sich hier eigentlich nur um eine recht dünne Konzeption von Demokratie hande-
Aporie versus Aspiration | 235
le. Als dünn ist die Konzeption deshalb anzusehen, weil sie politische Partizipa-
tion im Wesentlichen als Recht des/der Staatsbürger_in auf Wahlen versteht.
Weder sei damit ein Recht auf demokratische Selbstbestimmung im starken Sin-
ne noch ein individuelles Recht auf Teilhabe an dieser demokratischen Selbstbe-
stimmung gemeint (vgl. Charlesworth 2013: 275).
Als ebenso dünn liest sich beispielsweise der Bezug auf Demokratie in der
Satzung des Europarats (EGMR-E 1) aus dem Jahre 1949, bestätigt sie doch le-
diglich
„ihre unerschütterliche Verbundenheit mit den geistigen und sittlichen Werten, die das
gemeinsame Erbe ihrer Völker und von jeher die Quelle für Freiheit der Einzelperson, po-
litische Freiheit und Herrschaft des Rechts sind, jene Prinzipien, welche die Grundlage je-
der wahren Demokratie bilden.“24
Und auch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)25 des Jahres
1950 behandelt Demokratie nicht an zentraler Stelle, sondern als weder ausführ-
licher definierte noch näher differenzierte Rahmenbedingung der Gewährung
von Menschenrechten innerhalb der Mitgliedstaaten des Europarates und der Eu-
ropäischen Union. Art. 10 und 11 EMRK (1950) beinhalten übereinstimmend
mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948) lediglich ein Recht
24 http://conventions.coe.int/Treaty/GER/Treaties/Html/001.htm (24.11.2018).
25 https://www.echr.coe.int/Documents/Convention_DEU.pdf (24.11.2018).
236 | Grenzen de r Menschenrechte
auf Freiheit der Meinungsäußerung26 und auf Versammlungs- und Vereinigungs-
freiheit27.
Als etwas forciertere Lesart lässt sich eventuell die Charta von Paris für ein
neues Europa (1990) begreifen. Sie sieht für die EU-Mitgliedstaaten die Aufga-
be vor, „die Demokratie als die einzige Regierungsform unserer Nationen aufzu-
bauen, zu festigen und zu stärken.“28 Und ähnlich schlägt die Charter of the Or-
ganization of American States (OAS) vor, dass die Staaten promote and consol-
26 Artikel 10 Freiheit der Meinungsäußerung: „1. Jede Person hat das Recht auf freie
Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein,
Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staats-
grenzen zu empfangen und weiterzugeben. Dieser Artikel hindert die Staaten nicht,
für Radio-, Fernseh- oder Kinounternehmen eine Genehmigung vorzuschreiben. 2.
Die Ausübung dieser Freiheiten ist mit Pflichten und Verantwortung verbunden; sie
kann daher Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen
unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesell-
schaft notwendig sind für die nationale Sicherheit, die territoriale Unversehrtheit oder
die öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von
Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral, zum Schutz des guten Rufes
oder der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Informatio-
nen oder zur Wahrung der Autorität und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung.“,
https://www.echr.coe.int/Documents/Convention_DEU.pdf (24.11.2018).
27 Artikel 11 Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit: „1. Jede Person hat das Recht,
sich frei und friedlich mit anderen zu versammeln und sich frei mit anderen zusam-
menzuschließen; dazu gehört auch das Recht, zum Schutz seiner Interessen Gewerk-
schaften zu gründen und Gewerkschaften beizutreten. 2. Die Ausübung dieser Rechte
darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer
demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale oder öffentliche Sicher-
heit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum
Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten an-
derer. Dieser Artikel steht rechtmäßigen Einschränkungen der Ausübung dieser Rech-
te für Angehörige der Streitkräfte, der Polizei oder der Staatsverwaltung nicht entge-
gen.“ https://www.echr.coe.int/Documents/Convention_DEU.pdf (24.11.2018). Zur
Bedeutung der EMRK für den Menschenrechtsdiskurs, vor allem hinsichtlich ihrer
Wirkung auf Instrumentarien und Institutionen des Menschenrechtsschutzes, vgl. insb.
Lemke 2009.
28 https://www.bundestag.de/blob/189558/.../charta-data.pdf (24.11.2018).
Aporie versus Aspiration | 237
idate representative democracy, with due respect for the principle of non-inter-
vention“.29
Insgesamt betrachtet lässt sich konstatieren, dass im Internationalen Recht
nach langjähriger Zurückhaltung seit den 1990er Jahren ein institutioneller Zu-
gang zu Demokratie (allerdings begrenzt auf die Beteiligung in repräsentations-
basierten Wahlprozessen) Konsens ist. Nach wie vor wird auf internationaler
Ebene davor zurückgeschreckt, ein substantielles Verständnis von Gleichheit zu
befürworten. Zwar wird durchaus ein enger Zusammenhang von Menschenrech-
ten und Demokratie angenommen Demokratie gilt als entscheidend für die
Gewährleistung und Beförderung von Menschenrechten, der Respekt der Men-
schenrechte wiederum als essentiell für demokratische Verhältnisse , doch ge-
schieht dies zumeist um den Preis einer recht vagen Konzeption der Menschen-
rechte, die weit entfernt davon ist, ein explizites Menschenrecht auf Demokratie
zu formulieren (vgl. Charlesworth 2013: 277). Dies liegt sicherlich auch daran,
dass ein ‚right to democracy‘ durchaus mit einer nicht unumstrittenen ‚pro-
democratic intervention‘ (vgl. Reisman 2000) identifiziert werden kann. Aus
diesem Grund wird das Verhältnis von Menschenrechten und Demokratie aus
der Perspektive des Internationalen Rechts zwar als „mutual dependence“
(Charlesworth 2013: 279) angesehen, doch folgende Problem stünden einer Ka-
tegorisierung als Menschenrecht auf Demokratie entgegen: Zum einen würde
vermutlich die Annahme eines Menschenrechts auf Demokratie Staaten, die oh-
nehin zu imperialistischen Praktiken neigen, verstärkt dazu animieren, um de-
mokratischer Ziele willen weltweit zu intervenieren und die Selbstbestimmungs-
rechte politischer Kollektive zu missachten. Diese Praxis könnte sich auf eine
bereits bestehende, aber bislang kontrovers beurteilte Auffassung innerhalb des
internationalen Rechtsdiskurses berufen, nach der die Legitimität staatlicher Au-
torität von externen Kriterien abhängig gemacht werden könnte. Hierbei würde
ein international vereinbartes Recht auf Demokratie eine entscheidende Rolle
spielen. Allerdings bestünde zum anderen die Gefahr, dass dieses Menschenrecht
auf Demokratie letztlich aus pragmatischen Gründen lediglich mit einem einfa-
chen System regelmäßiger Wahlen gleichgesetzt würde, ohne weitergreifende
Formen demokratischer Gleichheit zu berücksichtigen (vgl. Marks/Clapham
2005: 70).
29 http://www.oas.org/en/sla/dil/inter_american_treaties_A-41_charter_OAS.asp (24.11.
2018). Siehe auch die Inter-American Democratic Charter (2001), die mit Art. 7 und
21 ein Recht auf Demokratie enthält, vgl. http://www.oas.org/charter/docs/resolutio
n1_en_p4.htm (24.11.2018) sowie Charlesworth 2013: 277.
238 | Grenzen de r Menschenrechte
Hilary Charlesworth hält dagegen, dass die Rolle des Internationalen Rechts
genau dadurch stark gemacht werden könne, dass sein Potential, ein „authoritati-
ve vocabulary of critique of institutional power and standards by which power
can be held accountable“ (Charlesworth 2013: 281; vgl. auch Koskenniemi
2011: 324), hervorgehoben werde. Hierfür sei es erforderlich, Demokratie als
kritisches Instrument zu betrachten, und zwar Demokratie verstanden als Praxis
der Selbstbestimmung auf einer Basis der Gleichheit von Bürger_innen. An die-
sem Punkt müsste m.E. allerdings die Voraussetzung dafür bestehen, dass statt
einer Beschränkung auf Staatsbürger_innen von begrenzten Nationalstaaten ein
Recht auf Demokratie gemeint ist, das mit einer prinzipiellen Öffnung demokra-
tischer Strukturen und Rechte zur transnationalen Sphäre vereinbar ist. Ein sol-
chermaßen verstandenes Menschenrecht auf Demokratie würde das gemeinhin
übliche reduktionistische Verständnis von Demokratie als Modus von Wahlen
(das in der realpolitischen Praxis insbesondere in Transformationsgesellschaften
nicht selten mit gegebenen hierarchischen und traditionalen Strukturen kompati-
bel ist) herausfordern und im Idealfall die Option demokratischer Ermächti-
gungskämpfe eröffnen (vgl. Colliot-Thélène 2011: 233; vgl. auch die Diskussion
dieses Punktes im vorherigen Abschnitt 6.2).
Im Folgenden soll der Blick von der Diskussion über die Potentiale des In-
ternationalen Rechts hinsichtlich eines Menschenrechts auf Demokratie wieder
zurück zur systematischen Debatte gelenkt werden, die in den beiden ersten Ab-
schnitten des 6. Kapitels die Beleuchtung zentraler Aspekte des Verhältnisses
von Menschenrechten und Demokratie zum Gegenstand hatte. Nachdem in Kap.
6.1 die enge begriffliche Verflechtung von Menschenrechten und Demokratie
dargelegt und in Kap. 6.2 Catherine Colliot-Thélènes Ansatz eines weltweiten
Bürger_innenrechts vorgestellt und aufgrund ihrer vorschnellen Identifizierung
von Menschen- und Bürger_innenrechten entkräftet wurde, widmet sich der letz-
te Abschnitt dieses Kapitels der Frage nach der Integration eines Menschen-
rechts auf Demokratie in eine politische Konzeption der Menschenrechte.
Es ist bereits auf das sogenannte Paradox demokratischer Legitimität hinge-
wiesen worden, dem zufolge der Ausschluss betroffener Personen(-gruppen) aus
dem Bereich der Mitbestimmung als nicht statthaft anzusehen ist (vgl. Benhabib
2008c: 61). Sowohl anhand der Rekonstruktion feministischer Kritik am Begriff
individueller Autonomie (vgl. Kap. 4.2) als auch der Erläuterung der begriffli-
chen Grenzen der derzeitigen Menschenrechtskonzeption in Bezug auf die Ge-
währung von Teilhabe im gesellschaftlich-sozialen und politischen Bereich (vgl.
Kap. 5.2 und 5.3) konnte gezeigt werden, dass das Problem der Exklusion eine
besondere Herausforderung für die Diskussion über ein Menschenrecht auf poli-
tische Partizipation darstellt. Demokratische Legitimität wird zum einen als Be-
Aporie versus Aspiration | 239
dingung dafür angesehen, dass Menschenrechte einen Anspruch auf Gültigkeit
erheben können. Zum anderen folgt aus dem begrifflichen Erfordernis der Inklu-
sion in normativer Hinsicht, dass eine Begrenzung demokratischer Teilhabe auf
ein nationalstaatlich verfasstes Gemeinwesen als nicht plausibel anzusehen ist.
In dieser Lesart eines wechselseitigen Verweisungszusammenhangs von demo-
kratischer Legitimität und Menschenrechten verhält es sich gerade umgekehrt so,
dass Menschenrechte ihre politische Legitimität einbüßen, wenn sie kein Recht
auf politische resp. demokratische Teilhabe enthalten (vgl. Peter 2013: 2-5). Im
Verlauf der Untersuchung konnte dargelegt werden, dass das Problem des Aus-
schlusses bestimmter Personengruppen aus dem Bereich der politischen Mitbe-
stimmung mit der Idee universalisierbarer Menschenrechte in einen normativen
wie begrifflichen Konflikt gerät. Im folgenden Abschnitt dieser Studie soll nun
diskutiert werden, inwiefern die Annahme eines Menschenrechts auf politische
Partizipation bzw. eines Menschenrechts auf Demokratie, wie es von einigen
Theoretiker_innen gefordert wird,30 plausibel zu machen ist.
Zunächst einmal ist zu sagen, dass sich in begründungstheoretischer Hinsicht
die Ansätze, die für ein Menschenrecht auf Demokratie plädieren, danach unter-
scheiden lassen, ob ihre jeweilige Argumentation auf intrinsische oder instru-
mentelle Gründe aufbaut. Eine intrinsische Begründung besteht z.B. im Schutz
wesentlicher normativ gerechtfertigter Rechte von Individuen, die nur im Rah-
men demokratischer regionaler, nationaler und internationaler politischer Ge-
meinschaften im Sinne einer ‚minimally egalitarian democracy‘ gewährleis-
tet werden (vgl. Christiano 2011: 143ff.). Instrumentelle Gründe stellen hinge-
gen zum einen die Sicherstellung binnenstaatlichen Friedens, zum anderen das
Streben nach internationaler Stabilität und zum dritten empirische Befunde wie
beispielsweise die Begünstigung sozialer und persönlicher Integrität innerhalb
von demokratisch verfassten Staaten dar.31 Bei der intrinsischen Begründung
stellt sich jedoch stärker noch das Problem einer Rechtfertigung der universellen
Reichweite angesichts einer pluralistisch verfassten Welt. Während interkulturel-
le Ansätze versuchen, die Legitimation der Menschenrechte anhand der grundle-
genden Werte, beispielsweise Freiheit, zu rechtfertigen, gehen Konzeptionen
vernünftiger Übereinkunft davon aus, dass Menschenrechte auf der Grundlage
des Rechtfertigungs- und Betroffenheitsprinzips Bedingungen für entsprechende
30 Vgl. exemplarisch die eher skeptischen Ansätze bei Reidy 2012; Christiano 2015a,
2015b; Miller 2015 und die eher zustimmenden bei Cohen 2004; Christiano 2011;
Lister 2012; Benhabib 2012; Gould 2013; Peter 2013.
31 Vgl. Christiano 2011: 117ff.; siehe außerdem Czempiel 1996 sowie dagegen Geis
2001.
240 | Grenzen de r Menschenrechte
Institutionen formulieren (vgl. Kreide 2008: 143; siehe auch Habermas 1999b).
Einen breiteren bzw. offeneren Ansatz vertritt hier, wie gesagt, Carol Gould, die
davon ausgeht, dass Menschenrechte und Demokratie gleichermaßen in einer
weit gefassten Konzeption positiver Freiheit wurzeln, die im Wesentlichen da-
von ausgeht, dass Menschen befähigt sein sollten, über die Bedingungen ihres
gemeinschaftlichen Seins entscheiden zu können. Die Teilhabe an einer demo-
kratischen Bestimmung dieser Bedingungen sei daher jedem Menschen zuzuge-
stehen (vgl. Gould 2013: 288ff.). Die überzeugendste Variante, einen solchen
Zugang zu gewähren, besteht darin, ihn als Menschenrecht zu bezeichnen. Zum
Kern eines jeglichen Menschenrechtskatalogs muss in dieser Lesart das Recht
auf Mitbestimmung zählen. Menschenrechte vermögen somit Ansprüche auf die
Bedingungen zu formulieren, die gegeben sein müssen, damit jedes Individuum
gleichberechtigt am politischen wie gesellschaftlichen Leben teilhat (vgl. auch
Kreide 2008: 180f.). Ob Teilhabe ausschließlich in Form von Inklusion in eine
begrenzte politische Gemeinschaft oder ob sie unabhängig davon gewährt wer-
den kann, z.B. im Rahmen einer globalen Gemeinschaft (vgl. Baynes 2009a: 6),
bleibt an dieser Stelle offen.
Interessant ist jedoch in Bezug auf diese Frage die Beobachtung, dass trotz
der teilweise nicht zu überbrückenden Differenzen innerhalb des politiktheoreti-
schen Diskurses bezüglich der Begründung eines Menschenrechts auf Demokra-
tie in jüngerer Zeit ein Fluchtpunkt im arendtschen ‚Recht auf Rechte‘ gesucht
wird. Dieses wird von vielen Theoretiker_innen in merkwürdiger Übereinstim-
mung als Matrix eines Menschenrechts auf Mitbestimmung gedeutet und zwar
merkwürdig in doppelter Hinsicht. Zum einen unterscheidet sich diese Interpre-
tation von der ursprünglichen Intention Arendts, die das Recht auf Rechte am
ehesten als präexistierendes politisches Ur-Recht auf Zugehörigkeit zu einer po-
litischen Gemeinschaft verstanden wissen wollte. Zum anderen erstaunt der ge-
meinsame Fluchtpunkt angesichts der Heterogenität der Begründungsansätze,
stehen sich hier interessebasierte (vgl. Christiano 2011) handlungsbasierten An-
sätzen (vgl. Birmingham 2006) gegenüber, die sich wiederum von diskurstheore-
tischen Theorien einer gründegeleiteten Übereinkunft (vgl. Cohen 2004, 2006)
unterscheiden.
Abweichend von Arendts freilich recht vage gebliebener Bestimmung
des Rechts auf Rechte als grundlegendes Recht auf Zugehörigkeit zu einer politi-
schen Gemeinschaft lesen also heutige Ansätze es mehrheitlich als Grund-Men-
schenrecht. Es wird folglich als ein abstraktes Prinzip, das interpretiert und mit
Bedeutung gefüllt werden kann, verstanden. So liest Rainer Forst etwa das Recht
auf Rechte nicht als ein Recht auf Mitgliedschaft, sondern als ein prinzipielles
Recht eines jeden Individuums auf Rechtfertigung: Dieses grundlegende Recht
Aporie versus Aspiration | 241
konstituiert den inneren Kern einer jeglichen gerechtfertigten sozialen oder poli-
tischen Struktur ohne dass dieses dessen legale Regeln und Institutionen ein-
fach spiegelt. Vielmehr geht es um einen begrifflich-diskursiven, reziproken
Verständigungsprozess aller Betroffenen über seinen Gehalt (vgl. Forst 1999:
49). In diesem Sinne wird es jedoch zumeist als moralisches Recht verstanden,
das seine volle Wirkung erst durch eine Transformation in staatsbürgerliches
Recht (das nicht notwendigerweise nationalstaatlich definiert sein muss) erhält.
Im Rahmen von demokratischen Iterationen, so Benhabib, sei dieses gefäßhafte
Recht in Abhängigkeit der jeweiligen politischen Gemeinschaft mit unterschied-
lichen Gehalten zu füllen (vgl. Benhabib 2012: 195).32 Sowohl Forst als auch
Benhabib begründen das Recht auf Rechte diskurstheoretisch bzw. in Bezug auf
die für die Diskurstheorie zentrale Theorie des Sprechaktes, die eine wechselsei-
tige Verpflichtung von Sprecher_innen und Zuhörer_innen bei der Darlegung
von Gründen vorsieht. Benhabibs Anliegen besteht vor allem darin, Rechtferti-
gungsstrategie und Herleitung des Gehalts von Menschenrechten zu verlagern
weg von der auf Rawls zurückgehenden, mittlerweile weit verbreiteten Mini-
malkonzeption33 hin zu einem diskurstheoretischen Verständnis von Menschen-
rechten als Ergebnis vernünftiger Übereinkunft über Gründe (Benhabib 2012:
194).34 Benhabib begreift Menschenrechte somit als moralische Rechte, die in
ein System legaler Normen einzubetten sind, um kommunikative Freiheit zu ga-
rantieren. Eine entscheidende Rolle kommt hierbei dem grundlegenden Recht
auf Rechte zu sei es in Form eines Rechts auf Rechtfertigung, eines Rechts auf
basale Freiheit oder des Rechts auf öffentlichen Vernunftgebrauch. Benhabib
32 Vgl. kritisch dazu Zafer/Millan 2014; Meckled-Garcia 2014.
33 Zuweilen mutet die Auslegung des Rechts auf Rechte bei Benhabib nach einem Recht
an, das die Elemente der rawlsschen Minimalliste enthält: „The core content of human
rights would form part of any conception of the right to have rights as well: these
would include minimally the rights to life, liberty […]; some form of personal proper-
ty; equal freedom of thought (including religion), expression, and association. Fur-
thermore, liberty requires provisions for the ‚equal value of liberty‘ (Rawls) through
the guarantee of socio-economic goods, including adequate provisions of basic nour-
ishment, shelter and education.(Benhabib 2000: 19)
34 Allerdings findet sich hier die Problematik, dass vernunft- und gründebasierte Ansät-
ze, wie sie etwa Habermas, Benhabib und Forst vertreten, sich mit der begründungs-
theoretischen Frage auseinandersetzen müssen, ob Rechte entweder aus den (meta-
physischen) Bedingungen kommunikativer Freiheit abgeleitet werden oder aber aus
der vernünftigen Reflexion der Betroffenen über ihre Praktiken und Institutionen (vgl.
Baynes 2009a: 1-3).
242 | Grenzen de r Menschenrechte
versucht diese drei Spezifizierungen des diskurstheoretischen Begründungs-
spektrums in der Annahme zu bündeln, dass jeder Mensch als moralisches We-
sen zur (kommunikativen) Freiheit fähig sei und somit das fundamentale Recht
auf Rechte die Anerkennung dieser Fähigkeit darstelle, die sich darin ausdrückt,
sowohl als ein allgemeines als auch ein spezifisches ‚Anderes‘ angesehen zu
werden (vgl. Benhabib 1992: 35ff.). Bei der Begründung des Rechts auf Rechte
durch eine diskurstheoretische Konzeption von Freiheit besteht der Vorteil darin,
dass hierfür keine metaphysische Auffassung von Menschen- oder gar Natur-
rechten benötigt wird. Im Unterschied zu einem handlungsbezogenen Ansatz
wird hier von Individuen ausgegangen, die sich prinzipiell wechselseitig aner-
kennen und sich im Zuge dieser Anerkennung reziprok das Recht auf Rechte
zugestehen (vgl. Benhabib 2012: 198). Das Recht auf Rechte erhält somit zwei
Dimensionen, zum einen in substantieller Hinsicht als spezifischer Inhalt eines
als fundamental angesehenen Menschenrechts, zum anderen in rechtfertigender
Hinsicht, insofern es die Bedingungen des öffentlichen Vernunftgebrauchs bei
der Übereinkunft über Gehalte der Menschenrechte konturiert (vgl. Cohen 2004,
2006).
Gould, die bei ihrer Begründung eines Menschenrechts auf Demokratie
ebenfalls auf das arendtsche Recht auf Rechte rekurriert, versucht hingegen in
ihrem Begründungsansatz eine Vermittlung zwischen einem handlungs- und ei-
nem interessebasierten Zugang zu finden (Gould 2013: 290). Ihr Ansatz ähnelt
dabei Peggy Birminghams Interpretation des Rechts auf Rechte, die davon aus-
geht, dass „[t]he right to have rights is inspired by a new principle of humanity;
the principle of publicness that demands that each actor by virtue of the event of
natality itself has the right to temporary sojourn on the face of the earth(Bir-
mingham 2006: 58). Gould legt den Schwerpunkt allerdings weniger auf den
Aspekt der Natalität, der für Arendt so bedeutsam ist, sondern bestimmt den Ge-
halt des sogenannten temporären Aufenthalts eines jeden Individuums auf der
Erde als positive Freiheit, d.h. als Möglichkeit zur Teilhabe an individuellen und
gemeinsamen Handlungen (vgl. Gould 2013: 294). Ein entsprechendes Recht auf
Rechte habe die Garantie dieser Freiheit zum Ziel, und das sei am plausibelsten
in Form eines Rechts auf demokratische Teilhabe zu verwirklichen. Es ist also
der enge begriffliche Zusammenhang zwischen privater und politischer (öffentli-
cher) Autonomie, von dem sich Gould eine mögliche Überwindung der Dicho-
tomie zwischen moralischen Rechten, die im Bereich der privaten, und politi-
schen Rechten, die im Bereich der öffentlichen Selbstbestimmung anzusiedeln
sind, verspricht.
Im Unterschied zu Joshua Cohen, dessen Auffassung, dass Demokratie als
eine Forderung der Gerechtigkeit zu verstehen sei und daher Demokratie aus den
Aporie versus Aspiration | 243
Menschenrechten abzuleiten seien und nicht umgekehrt, Gould grundsätzlich
teilt, betont sie, dass ein Menschenrecht auf Demokratie im Sinne des Rechts auf
Rechte allen Menschen, unabhängig von einer Staatsbürgerschaft, zukommen
müsse (vgl. ebd.: 288). Dieses Recht auf Menschenrechte ermögliche es den In-
dividuen, an der Mitbestimmung über die politischen Bedingungen für die Ent-
wicklung und Beförderung menschlicher Handlungen teilzuhaben. Gould
erläutert diesen Zusammenhang wie folgt:
„Inasmuch as people are social beings, or […] ‚individuals in relations‘, engaging in
common or joint activities with others can be seen as itself one of the prime conditions for
their freedom. Common activities are here broadly understood to be activities orientated to
shared goals. If none are to dominate others in these joint activities, they must have equal
rights to participate in determining their course.(Ebd.: 292)
Goulds Konzeption des Rechts auf Rechte stellt somit im Kern ein Recht auf
Ausübung positiver Freiheit dar. Positive Freiheit ist ihrer Ansicht nach nur im
Rahmen von Demokratie möglich. Doch ist an diesem Punkt zu fragen, was un-
ter Demokratie genauer verstanden werden sollte. Gould geht hier weiter als die
meisten Definitionen von Demokratie als Form der Entscheidungsfindung auf
der Grundlage von gleichen Rechten. Weder will sie den Prozess der Entschei-
dungsfindung auf eine begrenzte politische Gemeinschaft beschränkt sehen noch
die Reichweite potentieller Betroffenheit aus dem Blick verlieren. Im Gegenteil,
gemäß dem „all-affected“-Prinzip sieht Gould keinen hinreichenden Grund, de-
mokratische Partizipation zu beschränken. Daher betrachtet sie Demokratie we-
niger als eine spezifische nationale oder transnationale Regierungs- und Herr-
schaftsform, sondern als ein individuelles politisches Recht im Sinne des arendt-
schen Rechts auf Rechte.
Wie bereits in den Kapiteln 6.1 und 6.2 erläutert wurde, kann davon ausge-
gangen werden, dass Menschenrechte und Demokratie nicht in Konflikt zuei-
nander stehen müssen, sondern durchaus als wechselseitig aufeinander verwie-
sen angesehen werden können. Die Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass
Demokratie nicht reduziert wird auf das Prinzip der Volkssouveränität. Stattdes-
sen kann Demokratie vornehmlich als Inhalt des subjektiven Rechts eines jeden
Individuums auf politische Praxis begriffen werden. Dann gestaltet sie sich als
Praxis von Individuen, die sich auf dieses Recht im Sinne eines Ermächtigungs-
rechts berufen. Unter einer solchen Prämisse der Demokratie ohne Zugehörig-
keitserfordernis ergänzen Menschenrechte und Demokratie einander nicht nur
auf nationaler, sondern auch auf transnationaler Ebene sofern ein entsprechen-
des institutionelles Setting diesen spezifischen öffentlichen Raum ermöglicht
244 | Grenzen de r Menschenrechte
(vgl. Archibugi et al. 2010). Auch wenn nicht viele Theoretiker_innen so weit
gehen wie Catherine Colliot-Thélène, die argumentiert, dass die Identifizierung
von Demokratie und Volkssouveränität vollständig aufzugeben sei, teilen einige
zumindest implizit durchaus die These, dass die Möglichkeit zur demokrati-
schen Teilhabe zum Kernbestand eines Menschenrechtskatalogs zählen sollte.
Für Fabienne Peter zählt zumindest ein Recht auf politische Partizipation zur
Minimalliste der Menschenrechte (vgl. Peter 2013: 1), d.h. es gehört zu den un-
verzichtbaren Rechten, die kulturspezifischen oder rechtlichen Interpretationen
der Menschenrechtsgehalte enthoben sind. Im Zentrum von Peters Interesse liegt
jedoch nicht nur die Frage, ob ein Recht auf politische Partizipation Teil des
Kernbestands an Menschenrechten sei. Sie behandelt diese Thematik innerhalb
eines größeren Rahmens, der die Frage nach der politischen Legitimität der
Menschenrechte umfasst. Ihre Ausführungen sind insofern für den hier interes-
sierenden Zusammenhang relevant, als sie explizit dafür argumentiert, ein Recht
auf politische Partizipation nicht als moralisches Recht, das erst einer politischen
Verwirklichung im Sinne eines „juridico-civil sense“ (Baynes 2009a: 4) bedarf,
zu begreifen, sondern bereits als politisches Recht. Peters These lautet, dass eine
Liste an Menschenrechten gleich welchen Umfangs keine politische Legiti-
mität für sich beanspruchen könne, solange ein Recht auf politische Partizipation
ausgeklammert bleibe. Fehle ein solches Recht, ergeben sich zwei gravierende
Probleme: Erstens seien die anhand der Liste konturierten Menschenrechtsstan-
dards nicht mit den demokratischen Prinzipien nationaler und transnationaler In-
stitutionen kompatibel. Zweitens lassen sich die aus einer entsprechenden Liste
abzuleitenden Menschenrechtsstandards in normativer Hinsicht nicht rechtferti-
gen, wenn diese die Option politischer Mitbestimmung außen vor lassen. Mit
anderen Worten: Das Erfordernis politischer Legitimation bedeute, dass Men-
schenrechtsstandards nicht einfach nur normative Vorgaben für politische Hand-
lungen formulieren, sondern dass diese Standards selbst politisch gerechtfertigt
werden können müssen. Im Unterschied zu moralischen Konzeptionen der Men-
schenrechte rekurriert Peters Auffassung von Menschenrechten nicht auf einen
abstrakten Begriff von Humanität, sondern auf ebenjenes Erfordernis politischer
Legitimität (vgl. Peter 2013: 2ff., 2015: 482). Dieses erläutert sie aus einer kanti-
schen Perspektive. Das Problem zeitgenössischer Ansätze politischer Legitimität
besteht für Peter in deren Neigung, den verpflichtenden Charakter, ja die Rolle
des Zwangs (coercion) dabei herunterzuspielen. Dieses Problem lässt sich nach
Auffassung Peters mit Kants Konzeption des Rechts umgehen: Das Recht ist
nämlich, wie dem berühmten § D der Kantischen Rechtslehre zu entnehmen ist,
mit der Befugnis, zu zwingen, verbunden (vgl. Kant 1977b: 338f.). Die Zwangs-
befugnis erfüllt jedoch zugleich das kantische Erfordernis der Rechtfertigbarkeit,
Aporie versus Aspiration | 245
denn dieses sogenannte strikte Recht verbürgt allein die „Möglichkeit der Ver-
knüpfung des allgemeinen wechselseitigen Zwanges mit jedermanns Freiheit“
(ebd.: 339). Und genau auf diese Rechtfertigbarkeit der Zwangsbefugnis kommt
es nun Peter an. Ausgehend von Kants Konzeption des Rechts,
„political legitimacy is seen as related to the justification of coercion. The significance of
coercion, in Kant’s political philosophy, stems from his relational concept of rights.
Rights, according to Kant, shape external relations between individuals, not the fulfillment
of an isolated individual’s interests.(Peter 2013: 9)
In der Rechtslehre der Metaphysik der Sitten erachtet Kant Freiheit als das ein-
zige natürliche, angeborene Recht des Menschen, und diese Freiheit könne z.B.
in sozialen Kontexten nur unter der Bedingung wechselseitiger Einschränkung
beschränkt werden. Rechte sind also notwendig für den Erhalt wechselseitiger
Symmetrie individueller Freiheit. Doch setzt dies wiederum voraus, dass sie
auch tatsächlich genau jenen Zwang ausüben, der verhindert, dass die Freiheit
des einen Individuums durch den Freiheitsgebrauch anderer Individuen behin-
dert wird.35 Peter argumentiert, dass politische Legitimität nur durch Recht ent-
steht, dem alle Individuen gemäß öffentlicher Vernunft beistimmen können, wo-
bei sie abweichend von Kant unter öffentlicher Vernunft nicht eine substantielle
Idee, sondern die von allen öffentlich geteilte Vernunft versteht. Der Fokus liege
somit weniger darauf, was im Einzelnen zu rechtfertigen sei, sondern unter wel-
chen Bedingungen die Rechtfertigung stattfinden sollte dies ist ein wichtiger
Aspekt, der auch für meine eigene Argumentation wichtig ist. Denn es geht bei
der Diskussion um ein Menschenrecht auf politische Partizipation weniger um
die Inhalte der Partizipation im Detail, sondern um das grundlegende Recht, an
der öffentlichen Willensbildung und Entscheidung tatsächlich teilzuhaben. Am
Beispiel von Art. 21 AEMR (1948) verdeutlicht Peter, dass das in ihm benannte
Recht auf die Mitgestaltung der öffentlichen Angelegenheiten eines Landes aus
kantischer Perspektive einen wichtigen, wenn nicht den zentralen Stellenwert in-
nerhalb des Menschenrechtskatalogs einnehmen müsse, da politische Legitima-
tion, richtig verstanden, nur durch die Teilhabe an politischen Prozeduren, in de-
ren Rahmen Rechtfertigungsprozesse stattfinden können, erlangt wird.
Mit Peter lässt sich somit eine politische Konzeption der Menschenrechte
umreißen, die anders als moralphilosophisch argumentierende Menschenrechts-
theorien davon ausgeht, dass Menschenrechte spezifische Rechte sind, die im
Rahmen öffentlicher Auseinandersetzungen ermittelt und gerechtfertigt werden.
35 Vgl. Kant 1977b: 338; vgl. auch Ripstein 2004:8; Flikschuh 2008: 389f.
246 | Grenzen de r Menschenrechte
Auf eine Begründung im engeren (meta-)moraltheoretischen Sinne wird dabei
verzichtet, da es für die Plausibilität weltweit gültiger Menschenrechte nicht auf
letztbegründende Argumente ankommt, sondern auf eine Verständigung über öf-
fentlich ausgetauschte und prinzipiell falsifizier- und revidierbare Vernunftgrün-
de. Das heißt, Menschenrechte beziehen weder ihren Gehalt noch ihre Gültigkeit
aus dem Konstrukt einer menschlichen Natur oder „from essential features of
humanity as such, but from institutionalized relations between individuals and
their governments and other political agents“ (Peter 2013: 3). Damit sind Men-
schenrechte nicht als zeitlos (vgl. Beitz 2009: 109f.) und dennoch als universal
(vgl. Raz 2010: 41) zu erachten, und zwar universal in dem Sinne, dass univer-
selle Normen in normativer Hinsicht globale Reichweite, unabhängig von der
Implementierung bestimmter Regierungen (vgl. auch Nickel 2007: 10), haben.
Menschenrechte definieren Standards für die Evaluation und die Kritik gemäß
einer globalen öffentlichen Vernunft, sie richten sich in erster Linie an politische
Institutionen und Akteur_innen, die im Idealfall Partizipierende einer demokrati-
schen Praxis sind. Somit bilden Menschenrechte die Basis für einen Bereich von
Gleichheit in einer globalisierten Welt, indem sie nationalstaatliche Entschei-
dungsprozesse beschränken und zugleich den Raum öffnen für transnationale
demokratische Auseinandersetzungen. Peter selbst hält ein Menschenrecht auf
demokratische Partizipation für ein Ideal, das flexibler charakterisiert werden
und auch schwächere Interpretationen von politischer Partizipation zulassen soll-
te. Diese Auffassung ist insofern als problematisch anzusehen, als möglicher-
weise das Recht auf freie Meinungsäußerung als bereits hinreichendes Kriterium
politischer Beteiligung innerhalb eines politischen Gemeinwesens oder auf glo-
baler Ebene erachtet werden könnte, ohne dass vom Wahlrecht weiterhin ausge-
schlossene Personen damit eine echte Chance auf Mitbestimmung erhielten. Mit
Gould müsste daher eine solche Ermäßigung des Rechts auf Demokratie auf ein
sehr basal gehaltenes Recht auf politische Partizipation mit dem Verweis, dass
ein Recht auf öffentliche Meinung das Kriterium der Ausübung positiver Frei-
heit nicht zu erfüllen vermag, abgelehnt werden. Und auch ein Verweis auf die
globale Reichweite öffentlicher Vernunftgründe, z.B. in Form einer Beteiligung
an weltweiten öffentlichen Debatten, würde es Menschen ohne Staatszugehörig-
keit nicht ermöglichen, über die Bedingungen des politischen und sozialen Le-
bens im Aufenthalts- oder Zielland mitzubestimmen.
Ich möchte daher das Augenmerk auf einen weiteren Ansatz zur Bestim-
mung des arendtschen Rechts auf Rechte als ein Menschenrecht auf Demokratie
lenken. Sofia Näsström bietet nicht nur eine eindeutige Bestimmung des arendt-
schen Rechts auf Rechte, sondern zudem eine neuartige Interpretation seines
normativen Fundaments an (vgl. Näsström 2014). Das Recht, Rechte zu haben,
Aporie versus Aspiration | 247
sollte laut Näsström nicht nur einfach als politisches Recht auf Teilhabe verstan-
den werden. Für Näsström gibt es nur eine einzige plausible Auslegung dieses
Rechts auf Rechte, und diese besteht darin, es als Menschenrecht auf Demokratie
zu begreifen. Es geht Näsström nicht so sehr darum, zu beurteilen, inwiefern ei-
ne globale Umsetzung dieses fundamentalen Rechts möglich oder wahrschein-
lich ist. Stattdessen lässt sie sich auf das originäre Anliegen Arendts ein, die Pa-
radoxie moderner Demokratien aufzuzeigen: Die Ausweitung der Zuschreibung
eines Rechts auf politische Teilhabe innerhalb von demokratischen Nationalstaa-
ten geht einher mit dem Ausschluss einer großen Anzahl an Menschen aus dem
Bereich des Politischen. Aufgrund der Nicht-Identität von Menschen- und Bür-
ger_innenrechten können bestimmte Menschen ausgeschlossen werden, sofern
sie nicht über eine Staatsbürgerschaft verfügen. Dieser Umstand hat eine doppel-
te Dimension: Dadurch, dass den Exkludierten das Recht auf Mitgliedschaft in
einer organisierten politischen Gemeinschaft verwehrt wird, werden sie nicht
mehr als Gleiche gezählt, d.h. selbst wenn sie vor Ort anwesend sind, werden sie
nicht gleichermaßen berücksichtigt. Damit aber stehe die menschliche Würde
auf dem Spiel, die eigentlich in modernen Demokratien geschützt werden sollte,
und dies macht die Brisanz aus, die im Ausschluss aus dem politischen Bereich
liegt (vgl. ebd.: 544). Arendts Verständnis von Demokratie beschränkt sich al-
lerdings nicht auf eine Staats- oder Regierungsform, sondern begreift sie, weiter
gefasst, als freiheitliche politische Handlungen in Gleichheit, die nicht an be-
stimmte Institutionen gebunden sind, sondern als menschliche Aktivitäten in Er-
scheinung treten. Ihr Begriff von politischen Handlungen bietet jedoch in seiner
Unbestimmtheit keine normative Basis, um z.B. die Exklusion von Nicht-
Bürger_innen aus dem Bereich des Politischen als problematisch zu beurteilen.
Somit kann auch die Unbestimmtheit der Normativität des Rechts auf Rechte in
der Tat nicht aufgehoben werden schließlich gilt, „[th]e right to have rights has
no other guarantee than the one we accomplish through our own deeds“ (ebd.:
551). Das Recht auf Rechte bildet somit einen normativen Hohlraum („lacuna“).
Und genau hierin liegt nach Ansicht Sofia Näsströms der Schlüssel für ein an-
gemesseneres und entsprechend überzeugenderes Verständnis des Rechts auf
Rechte. Die Einsicht nämlich, dass unsere Rechte von nichts anderem abhängen
als von politischen Handlungen, ist eine Bürde, die sich Menschen im Rahmen
politischer Handlungen unter demokratischen Bedingungen selbst auferlegen
und zwar allen, sowohl den Zugehörigen als auch den Ausgeschlossenen. Die
normative Kraft des Rechts, Rechte zu haben, besteht gerade in seiner öffentli-
chen Einforderung („claiming“), die sowohl von Zugehörigen als auch Exkludi-
erten geäußert werden kann. An dieser Stelle kommt in Arendts Argumentation
Montesquieus Idee verschiedener politischer Prinzipien ins Spiel, die jeweils ei-
248 | Grenzen de r Menschenrechte
ne bestimmte politische Verfassungsform motivieren und zugleich charakterisie-
ren. Nach ihrer Auffassung ist Freiheit das Prinzip der Demokratie (einer Regie-
rungs- und, zumindest in Arendts Sinne, Handlungsform, die Montesquieu in der
heutigen Ausgestaltung freilich nicht denken konnte). Näsström hingegen ist der
Überzeugung, dass Arendts Perspektive, Freiheit als das Prinzip politischer
Handlungen zu verstehen und damit die Normativität des Rechts auf Rechte zu
erläutern, den eigentlichen Punkt verfehlt. Die Forderung nach einem Recht auf
Rechte zielt nicht allein auf die Ermöglichung von Handeln in Freiheit, wie ge-
meinhin angenommen wird (vgl. Ingram 2008), sondern das Ziel, das betont
Näsström mit Nachdruck, „is to enact a responsibility which, if not limited and
divided between equals, denies us the right to be human“ (Näsström 2014: 551).
Menschen tragen in modernen Demokratien die Verantwortung36 für die Abwe-
senheit einer höheren Ordnung der Politik, und in Abwesenheit eines Gottes oder
eines anderen transzendenten Prinzips ist diese Verantwortung prinzipiell unbe-
grenzt (vgl. ebd.: 557). Diese Verantwortung zu tragen, bedeutet zum einen tat-
sächlich Freiheit, zum anderen jedoch, insbesondere in ihrer Unbegrenztheit,
auch eine Bürde. Gleichwohl besteht allein in der Übernahme dieser Verantwor-
tung die Chance, niemanden auszuschließen. Um Missverständnisse zu vermei-
den, sei hier betont, dass es Näsström nicht um moralische Verantwortung im
Sinne des Mitleids und ethischer Fürsorge mit Ausgeschlossenen geht. Es ist
vielmehr eine demokratische Verantwortung, die von allen gemeinsam zu tragen
ist, weil es keine andere Möglichkeit gibt, die zu gewährleistenden politischen
Rechte mittels einer höheren Ordnung zu rechtfertigen. Arendt (und in ihrem
Gefolge auch Näsström) argumentiert daher im Grunde genommen dafür, das
Recht auf Rechte als Recht auf Zugehörigkeit zu verstehen: „By granting every-
one a right to citizenship, it establishes a room for freedom, a constitution in
which everyone are equally responsible for deciding and judging what is right
and wrong.(Ebd.: 558) Näsström scheint eine Konstruktion vorzuschweben,
bei der alle Menschen gemeinsam die Verantwortung dafür tragen, dass jeder
Mensch als zugehörig gezählt wird. Diese Verantwortung hätten die Bür-
ger_innen eines Nationalstaates sowohl gegenüber Landsleuten als auch gegen-
über Nicht-Angehörigen des Staates. Sofia Näsström konstatiert in diesem Zu-
sammenhang das Wachstum einer prekären Klasse, unabhängig von national-
staatlichen Grenzen. In erster Linie meint sie damit wie Arendt Migrant_innen,
36 Für Konzeptionen gemeinsamer Verantwortung vgl. u.a. Young 2006, 2007. Diese
ebenso wie Näsströms Ansatz grenzen sich ab von der sogenannten Responsibility to
Protect (z.B. der Internationalen Gemeinschaft), die üblicherweise mit ‚politischer‘
Verantwortung identifiziert wird (vgl. Beardsworth 2015).
Aporie versus Aspiration | 249
Flüchtlinge und Staatenlose, doch sie geht darüber hinaus und begreift auch Ar-
me und Arbeitslose, die in demokratisch verfassten Staaten zwar qua Staatsbür-
gerschaft über das formale Teilhaberecht verfügen, aber in sozialer und kulturel-
ler Hinsicht zunehmend ausgeschlossen werden, mit ein. Wenn also Näsström
argumentiert, dass die Exklusion aus dem Bereich der politischen Partizipation
falsch sei, weil es das Recht auf Demokratie verletze, dann ist damit kein zirku-
lärer Schluss gemeint, sondern der Umstand, dass es sich um ein basales Men-
schenrecht handele, das nicht verletzt werden dürfe (vgl. Näsström 2014: 561).
Dieser Punkt ist nur zu verstehen, wenn wir uns vor Augen halten, dass es sich
bei dem Recht auf Rechte um ein spezifisches Recht handelt, das nicht wie
dies von vielen Menschenrechtskonzeptionen häufig getan wird als in der
menschlichen Natur oder in einem abstrakten Begriff der Würde ‚gründend‘ ver-
standen werden kann. Es ist ein Recht, das in seiner Beanspruchung zum Tragen
kommt und seine normative wie faktische Wirkmächtigkeit im Akt seiner Inan-
spruchnahme erst entfaltet:
The right to have rights cannot be grounded, be it in nature or in history. It only exists in
its actualization. This performative or political reading of the right to have rights has the
merit of avoiding the fallacy of the natural and the historical account. […] Instead of fall-
ing into the trap of conferring the right on those who already enjoy citizenship in a politi-
cal community, it makes political action itself into the guarantor of right.(Ebd.: 549)
Übereinstimmend mit James D. Ingram geht Näsström davon aus, dass das Recht
auf Rechte überall dort ‚erscheint‘, wo Menschen sich auf es berufen, auch wenn
es ihnen verwehrt wird (vgl. Ingram 2008: 413f.). Dies kann innerhalb von de-
mokratisch verfassten Gemeinschaften stattfinden, wenn Personen, die vom all-
gemeinen Wahlrecht ausgeschlossen sind oder über keinen offiziellen Aufent-
haltsstatus verfügen, für ein Recht auf Mitbestimmung demonstrieren; dies kann
transnationale Kontexte betreffen, z.B. die globale Zivilgesellschaft, in der Be-
troffene über nationalstaatliche Grenzen hinweg ein Anliegen haben und um ent-
sprechendes Recht kämpfen. In diesem Sinne spricht Monika Krause auch von
der „portable polis“ (Krause 2008: 342). Krause begreift die Proteste und De-
monstrationen undokumentierter Migrant_innen, die in westlichen Demokratien
für bestimmte Rechte kämpfen, als Beispiel dafür, wie politische Handlungen im
öffentlichen Raum als Antithese zur vorherrschenden Rechtsordnung entstehen
können. Sie bezieht sich hier auf Jennifer Rings Auseinandersetzung mit Arendts
Figur des Parias als politisch handelnder Person (vgl. Ring 1991). Der Paria als
politischer Akteur hat in der Arendt-Rezeption weniger Beachtung gefunden als
der griechische Polisbürger. Als Außenseiter der Geschichte steht der Paria in
250 | Grenzen de r Menschenrechte
Arendts Werk dem griechischen Polis-Akteur gegenüber. Während dieser als re-
gelrechter Heros im Lichte der Öffentlichkeit das Idealbild des Aktivbürgers
verkörpert, agiert jener als „Außenseiter der Geschichte“ (ebd.: 433, übers. v.
F.M.) durchaus ebenfalls politisch jedoch vornehmlich im Verborgenen. Weil
der Paria keinen festen Ort für seine politischen Handlungen hat der Zugang
zum Bouleuterion und Ekklesiasterion ist ihm verwehrt benötigt er „a place for
political action that must at times be portable, capable of retreating in hiding if
necessary“ (ebd.: 440). Auf diese Form der tragbaren Polis soll gleich noch am
Beispiel der Sans Papiers ausführlicher zu sprechen kommen sein. Vorerst lassen
sich die Ansätze von Näsström, Ingram und Krause dahingehend zusammenfas-
sen, dass sie im arendtschen Recht auf Rechte ein Ermächtigungsprinzip entde-
cken, das dort in Anspruch genommen wird, wo Menschen auf Rechte pochen,
die ihnen (noch) nicht zugestanden werden. Genau hierin liegt der von Näsström
angesprochene normative Hohlraum, die Lücke zwischen der Forderung nach
dem Recht auf Mitbestimmung und der Gewährung dieses Rechts (vgl. das in
Kap. 5.2 diskutierte Beispiel von Judith Butler über die auf Spanisch gesungene
Nationalhymne der USA). Diese Lücke betrifft genau jene politische Trennlinie
zwischen denen, die aufgrund ihrer bereits bestehenden Teilhabe an der Volks-
souveränität den politischen Raum mitsamt seinen Gesetzen und Institutionen
gestalten, und jenen, die auf die Lücke, die in diesem Raum entsteht, zurückge-
worfen sind. Näsström geht nun noch einen Schritt weiter, indem sie diese Lücke
nicht nur benennt, sondern argumentiert, dass das Recht auf Rechte kein Recht
ist, das Menschen als politische, sondern ausschließlich als demokratische Le-
bewesen teilen, die die Verantwortung dafür annehmen müssen, dass es kein hö-
heres Recht in der Politik gibt. Dies bedeutet, dass Exklusion von ‚Anderen‘
immer eine Entscheidung ist, für die Verantwortung übernommen werden muss.
Die politische Autonomie derjenigen, die über sie faktisch verfügen, müsste sich
in dieser Lesart normativ mit der von Gould geforderten Möglichkeit der Ge-
währung positiver Freiheit für alle verbinden lassen. Näsström nennt dies das Er-
fordernis eines „binding of freedom“ (Näsström 2014: 562). Der Clou ihrer In-
terpretation des Rechts auf Rechte liegt also darin, das montesquieusche politi-
sche Prinzip von Demokratien in der gemeinsamen Verantwortung, demokrati-
sche Teilhabe als Menschenrecht zu gewähren, zu verorten.
Der emphatisch aufgeladene Verantwortungsbegriff erweist sich jedoch inso-
fern als problematisch, als es Exkludierte in die Abhängigkeit derjenigen bringt,
die über das Recht zur politischen Teilhabe bereits verfügen. Mit Rancière lässt
sich dagegen anführen, dass statt auf Verantwortung auf Selbstermächtigung in
Form von politischer Subjektivation gesetzt werden sollte (vgl. Rancière 1997:
72f., 77 sowie 2002b: insb. 47/48 u. 52f.). Anhand des Beispiels der „Sans Pa-
Aporie versus Aspiration | 251
piers“-Bewegung in Frankreich in den 1990er Jahren soll daher die partizipative
Einbringung von Anliegen außerhalb bestehender Strukturen in das politische
Forum als ein solcher Ermächtigungskampf um positive Freiheit erläutert wer-
den.37 So singulär dieses Beispiel zunächst anmuten mag, verdeutlicht es doch
genau jene Kämpfe ums Recht unabhängig von der Zugehörigkeit zu einem Na-
tionalstaat.38 Rancière bezeichnet die Protestaktionen der „Sans Papiers“ als den
Prozess einer politischen Subjektwerdung von Menschen, die als Flüchtlinge o-
der Staatenlose zwar nicht über Staatsbürger_innenrechte verfügen, durch den
öffentlichen Verweis auf ihre rechtlose Situation und die damit verbundene For-
derung nach politischer Gleichberechtigung sich aber quasi als politisch Han-
delnde erweisen.39 Auf der einen Seite verfügen die Sans Papiers faktisch nicht
über die gleichen Rechte wie die französischen Staatsbürger_innen. Auf der an-
deren Seite werden sie, indem sie sich öffentlich Gehör verschaffen, nach An-
sicht von Rancière jedoch zu politischen Subjekten, die den Anspruch auf
Gleichbehandlung nicht nur hinsichtlich ihrer sozialen Stellung, sondern auch in
Bezug auf zu erkämpfende politische Rechte formulieren.
Den Prozess der politischen Subjektivierung entfaltet Rancière u.a.40 an dem
historischen Beispiel der Diskrepanz zwischen deklarierten allgemeinen Men-
schen- und Bürgerrechten und dem Ausschluss von Frauen aus ebendiesem Gel-
tungsbereich während der Französischen Revolution (vgl. Rancière 2011b: 73f.):
Olympe de Gouges Gegenentwurf zu den „droits de l’homme et du citoyen“,
nämlich die analoge Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin (1791), geht
von der historischen Erfahrung aus, dass Frauen, obwohl sie nicht über politische
Rechte verfügen, dennoch für ihre politische Meinung und entsprechendes öf-
fentliches Handeln durchaus bestraft werden konnten, und zwar, weil dies als
„unerwünschte Einmischung“ in die den Männern vorbehaltene Sphäre aufge-
fasst wurde (Burmeister 1999: 8; Jung 1989: 86). Aus dem Recht, das Schafott
zu besteigen, schlussfolgert de Gouges das Recht auf politische Partizipation:
„Die Frau hat das Recht, das Schafott zu besteigen; sie muss gleichermaßen das
37 Ausführlicher dazu vgl. Martinsen 2014.
38 Dass das Beispiel der Sans Papiers mittlerweile weder singulär noch auf den Kontext
des französischen Nationalstaates beschränkt geblieben ist, zeigen die vielfältigen öf-
fentlichen Proteste von Flüchtlingen, Migrant_innen und Staatenlosen in fast sämtli-
chen westlichen Demokratien.
39 Vgl. Rancière 2011a: 480; vgl. auch Ludwig 2008: 40f.; Krause 2008: 340ff. und
Schaap 2011: 34f. sowie Schwenken 2009.
40 An anderer Stelle erläutert Rancière den Prozess des Subjektstatuserwerbs anhand der
proletarischen Subjektivierung (vgl. Rancière 2002b: 50f.).
252 | Grenzen de r Menschenrechte
Recht haben, die Tribüne zu besteigen.“ (De Gouges 1999: 162) Nach Rancières
Deutung beruht de Gouges „Syllogismus“ (Rancière 2011b: 73) auf einer Ablei-
tung aus der politischen Gleichheit, die durch die Maßgabe des politischen Bür-
gers gesetzt, von einer massiven (sozialen) Ungleichheit allerdings konterkariert
wird, der die Individuen, die nicht politisch werden können, sondern privat ver-
bleiben, ausgesetzt sind. Wird zugleich die universelle Gültigkeit von Menschen-
und Bürgerrechten propagiert, resultiert daraus schließlich folgender Wider-
spruch: „Die ‚Rechte der Frau und Bürgerin‘ sind die Rechte derjenigen, die
nicht die Rechte haben, die sie haben, und die die Rechte haben, die sie nicht ha-
ben. (Ebd.: 74) Willkürlich würden den Frauen also die Rechte vorenthalten,
die die Erklärung der Menschenrechte unterschiedslos den Mitgliedern der fran-
zösischen Nation und der menschlichen Gattung zuspricht. „Durch ihr Handeln
aber üben sie gleichzeitig das Recht von Bürgerinnen aus, das das Gesetz ihnen
nicht zugesteht, und dadurch zeigen sie, dass sie sehr wohl diese ihnen verwehr-
ten Rechte haben.“ (Ebd.: 74)
Regelrecht emphatisch entwirft Rancière in diesem Zusammenhang das Bild
eines demokratischen Prozesses, der Handlungen von Akteur_innen umfasst,
„die auf das Intervall zwischen den Identitäten einwirken und so die Aufteilun-
gen von Privatem und Öffentlichem, Universalem und Partikularem verändern“
(ebd.: 65). Die Verwendung des Begriffs „Intervall“ ist dabei sogar nicht einmal
in einem metaphorischen, sondern durchaus in einem konkreten Sinne zu verste-
hen. Der Raum, der sich zwischen denjenigen, die innerhalb, und denjenigen, die
außerhalb der Ordnung stehen, befindet, wird in dem Moment durch letztere ein-
genommen, in dem sie ihn, ohne dass ihnen das Recht zustünde, durch ihre De-
monstration besetzen. Bereits in den 1990er Jahren beginnen undokumentierte
Migrant_innen in Frankreich Kirchen zu besetzen und im Rahmen von Demonst-
rationen im öffentlichen Raum gegen die Bedingungen ihrer Illegalität zu protes-
tieren (vgl. Ludwig 2008: 81ff.). Durch solcherlei Usurpationen des öffentlichen
(im Falle der Kirche halb-öffentlichen) Raumes wird das (staatsbürgerliche)
Publikum Zeuge einer regelrecht paradoxalen Situationen u.a. einer Szene wie
jener, in der „neben dem demokratischen Monument der Bastille undokumen-
tierte Migrant_innen per Megaphon ihr Rechte einfordern, Abschiebungen und
exekutive Gewalt anklagen, während Polizisten sich unterhaltend danebenstehen
und die Straße gesperrt halten“ (ebd.: 81). Im Anschluss an die Demonstrationen
und Protestaktionen von undokumentierten Migrant_innen in Frankreich charak-
terisiert Andrew Schaap ebenfalls die spezifischen Merkmale politischer Subjek-
tivation anhand des von Rancière betonten „Unrechts“ (Rancière 1997: 71,
2002b: 50), das in ebenjener paradoxalen Form sichtbar wird und das Ausge-
Aporie versus Aspiration | 253
schlossenen den Anlass bietet, sich im Sinne eines politischen ‚Handelns als ob‘
dennoch das Recht zu nehmen, am politischen Prozess teilzuhaben:
„By publicizing their political exclusion, the sans papiers draw attention to their plight and
the ways in which they are denied the same universal human rights from which the French
state claims to derive its legitimacy. […] They demonstrate their equality as speaking be-
ings despite being deprived of legal personhood. The sans papiers enact the right to have
rights when they speak as if they had the same rights as the French nationals they address.
They occupy a church to draw attention to their economic participation within French so-
ciety rather than remaining unseen and unheard on threat of deportation. Instead of hiding
from the police they turn up to police headquarters and say ‚we are the sans papiers of
Saint-Bernard and we have business in this building‘.(Schaap 2011: 34, Herv. i. Orig.)
In dieser Szene taucht nicht nur der sogenannte „Anteil[…] der Anteillosen [la
part des sans-part]“ (Rancière 2002a: 22) plötzlich und unerwartet im öffentli-
chen Raum auf, in dem er gemäß der herkömmlichen Logik der Repräsentati-
onsordnung nicht erscheinen dürfte. Darüber hinaus bemächtigt sich dieser
„Anteil der Anteillosen“ außerdem der spezifischen Handlungsweisen politischer
Partizipation, und zwar so, als ob ihm diese zustünden. Das Paradox dieser Er-
mächtigungsstrategie drückt sich darin aus, dass nicht nur auf das Unrecht der
Nicht-Teilhabe aufmerksam gemacht wird, sondern dass das Aufmerksamma-
chen selbst bereits eine politische Handlung darstellt, die eigentlich ausgeschlos-
sen ist. Der Kern dieser politischen Handlung besteht in der Forderung nach
Teilhabe, und zugleich, während diese Forderung öffentlich ausgesprochen wird,
wird Teilhabe im Grunde genommen bereits praktiziert. Kurzum: Die Exkludier-
ten vollziehen in diesem Augenblick eine „Praktik des Als-ob“ (Rancière 2002c:
101), sie sind zwar rechtlos, aber „nicht ohne Stimme“ (Schwenken 2006).
Es ist allerdings fraglich, ob Rancières kritische Absicht, die Kontingenz und
teilweise Willkürlichkeit des Rechtsstatus (von dem jedoch kategorial sowohl
der Zugang zu als auch der Ausschluss aus dem politischen Raum abhängt) an-
hand von (Selbst-)Ermächtigungsstrategien, d.h. bottom-up, zu skandalisieren,
nicht durch seine Überhöhung eines zu weit gefassten und damit unspezifischen
Begriffs von politischer Partizipation infrage gestellt wird. Ähnlich wie bei
Sauers Konzeption die Gefahr besteht, dass mit der Affirmation von Praxen so-
zialer Partizipation, die bestimmten Bevölkerungsgruppierungen zugeschrieben
werden, eher eine Essentialisierung dichotomer Rollenbilder stattfindet, so droht
eine zu starke Affirmation der subversiven Einbringung in das bestehende ge-
sellschaftliche und politische System bestimmte Personengruppen auf Identitäts-
und Betroffenenpolitiken festzuschreiben, die von den Betroffenen selbst even-
254 | Grenzen de r Menschenrechte
tuell nicht beansprucht werden. Es ist letztlich nicht ausgemacht, ob Mig-
rant_innen überhaupt hauptsächlich oder gar ausschließlich unter dem Rubrum
ihrer spezifischen Betroffenheit als Nicht-Repräsentierte/Ausgeschlossene wahr-
genommen werden wollen.41 Naheliegender ist eventuell, dass Migrant_innen in
einem viel allgemeineren und zugleich bescheideneren Sinne politisch aktiv sein
wollen, einfach, indem sie am politischen Prozess, im Rahmen von Wahlen, teil-
nehmen können wie alle anderen auch. Als Teilhabeberechtigten stünde es ihnen
dann frei, Identitäts- und Betroffenenbelange, z.B. delegiert an die Repräsen-
tant_innen, in den politischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess
einzuspeisen (vgl. Martinsen 2014: 210f.).
Meines Erachtens verweisen sowohl das Konzept einer sozial-partizipativen
Fundierung von Repräsentation als auch die Ermächtigung im Sinne einer politi-
schen Praxis „als ob“ – unabhängig von ihren erwartbaren Effekten hinsichtlich
einer Vitalisierung bestehender demokratischer Strukturen allein schon aufgrund
des Sensationscharakters der Protestaktionen und der daraus eventuell ausgehen-
den Impulse für (tages-)politische Debatten über die Rechte von Migrant_innen
auf ein gänzlich anders gelagertes Problem. Unter den Bedingungen des beste-
henden Repräsentationssystems müsste eine Einbringung ‚von unten‘, wie be-
reits erörtert wurde, in jedem Fall ‚von oben‘ aufgefangen werden. Mit anderen
Worten: Die Sichtbarmachung eines Anliegens im öffentlichen Raum, und sei es
durch die Betroffenen selbst, reicht nicht aus, um tatsächlich Relevanz für die
demokratischen Entscheidungsverfahren zu erhalten; seine Inhalte müssten von
potentiell solidarischen Repräsentierenden in die bestehenden demokratischen
Prozesse übertragen werden. Unter dem wirksamen Dispositiv gesetzlicher Ge-
währung von Teilhabe am politischen System ausschließlich für Staats- bzw.
EU-Bürger_innen impliziert sowohl das partizipativ fundierte Konzept von Re-
präsentation als auch das politische ‚Handeln als ob‘, dass potentielle Repräsen-
tant_innen nicht nur eine hohe politische, sondern darüber hinaus insbesondere
auch moralische Sensibilität für die Belange von Nicht-Repräsentierten aufwei-
sen müssten. Aus diesem Grund bleiben Zweifel angebracht, ob ein solches be-
41 Laut Studien über die vielerorts in Deutschland existierende Institution sogenannter
Ausländerbeiräte bzw. Migrationsausschüsse, in denen sich Migrant_innen ohne
Wahlrecht beratend an der kommunalen Politik beteiligen können, zeigt sich, dass vie-
le Mitglieder die Arbeit in diesen speziellen Gremien als besonders schwierig und
hürdenreich ansehen, obwohl das Interesse der Migrant_innen an der politischen Ar-
beit groß ist. Als besonders problematisch wird dabei angesehen, dass eine messbare
Resonanz auf die geleistete Arbeit oftmals ausbleibt und das Erleben von politischer
Ohnmacht dadurch eher verstärkt denn abgebaut wird (vgl. Roth 2009: 23ff.).
Aporie versus Aspiration | 255
sonderes Gespür für Betroffenen-Belange als die Regel von politischen Vertre-
ter_innen angenommen werden kann. Darüber hinaus besteht in dieser Konstel-
lation von nicht-repräsentierten Betroffenen einerseits und moralisch in spezifi-
scher Weise geforderten potentiellen Repräsentant_innen andererseits eine er-
höhte Gefahr für die Ausprägung paternalistischer Einstellungen bei sich zustän-
dig fühlenden politischen Vertreter_innen. Ein demokratisches System, dessen
normative Grundlage eine inklusive Berechtigung zur Teilhabe darstellt, sollte
jedoch weniger vom Goodwill Einzelner abhängig sein, sondern auf sowohl ver-
lässlichen als auch effektiven legitimen Strukturen und Institutionen aufruhen,
auf deren Grundlage Individuen ihre politischen Belange einbringen können. Al-
lerdings erweisen sich weder die stärkere Einbringung von Basisanliegen in das
System der politischen Repräsentation über Brückenwege aus dem Bereich des
Sozialen noch ein politisches ‚Handeln als ob‘ als tragfähige Alternativen zur
Überwindung der dargestellten Defizite der Repräsentationslogik. Im Gegenteil,
der grundlegende Widerspruch, „dass nämlich diejenigen, über deren Recht auf
Inklusion oder Exklusion über deren Recht auf Zugehörigkeit zum Demos also
entschieden wird, nicht die sein werden, die die Regel festsetzen“ (Benhabib
2008c: 61/62, Herv. i. Orig.), bleibt bestehen. Die Diskussion über die Defizite
demokratischer Repräsentation macht Folgendes deutlich: Einzig und allein das
Recht auf politische Teilhabe mindestens in Form eines umfassenden Wahl-
rechts verbürgt die Chance, Benachteiligung zu artikulieren und bekämpfen zu
können. Mit einem originären Recht auf Teilhabe ist explizit nicht lediglich die
Option zur Sensibilisierung derjenigen Repräsentant_innen, die das Anliegen ei-
gentlich nicht repräsentieren, gemeint. Vielmehr geht es hier um das viel grund-
sätzlichere, geradezu aristotelische Recht auf Mitbestimmung über die Bedin-
gungen des Politischen, das als zum menschlichen Leben, und das heißt unab-
ngig von Staatsbürgerschaft, zugehörig begriffen werden müsste.42
Das Recht auf Mitbestimmung über die Bedingungen des Politischen lässt
sich auch noch einmal aus einer gänzlich anders ausgerichteten Perspektive be-
trachten. Judith Butler bezieht sich in ebenfalls überraschender Weise auf
Arendts Recht auf Rechte, und zwar auf Arendts Kritik an der klassisch-liberalen
Konzeption des Individualismus, nach der Individuen vorsätzlich bestimmte
Verträge eingingen. Diese Auffassung unterstelle, dass Personen nur für diejeni-
gen durch Vereinbarungen getroffenen Beziehungen verantwortlich seien. Nach
Arendt habe jedoch niemand das Vorrecht, zu wählen, mit wem er auf der Erde
42 Vgl. Aristoteles 1995b: 1253a10-15, 1264b17, 1280b29-1281a4 und 1323b29-36; vgl.
auch Arendt 2011: 401.
256 | Grenzen de r Menschenrechte
zusammenleben wolle.43 Sicherlich sei es Individuen anheimgestellt, über die
Art und Weise des Zusammenlebens vor Ort zu entscheiden. Doch bestehe die
politische Bedingung des Menschseins in einer Freiheit im Sinne von pluralem,
nicht individuellem Handeln: „Ohne diese Pluralität, gegen die wir uns nicht ent-
scheiden können, haben wir keine Freiheit und daher keine Wahlmöglichkeit.
(Butler 2012: 698) Diese nicht gewählte und nicht wählbare Bedingung von
Freiheit kann einzig und allein bedeuten, dass wir, indem wir frei sind, etwas im
Hinblick auf das, was von uns nicht gewählt wird, bejahen. Der Versuch, über
diese Unfreiheit, die ihre Bedingung ist, hinauszugehen, drohe, menschliche Plu-
ralität sowie genau jenen Status des zoon politikon aufs Spiel zu setzen (vgl.
ebd.). Daher bestehe die politische Aufgabe darin,
„Institutionen und Politiken [zu] entwerfen, die aktiv den nicht-gewählten Charakter der
offenen und pluralen Kohabitation bewahren und festigen. Nicht nur leben wir faktisch
mit denjenigen, die wir uns niemals ausgesucht haben und bei denen wir möglicherweise
kein unmittelbares Gefühl von gesellschaftlicher Zugehörigkeit empfinden, vielmehr sind
wir auch verpflichtet, diese Leben und die offene Pluralität, die die Weltbevölkerung dar-
stellen, zu bewahren.“ (Ebd.: 699)
Als wesentlicher Bestandteil sowohl des von Näsström aufgeworfenen Prinzips
gemeinsamer demokratischer Verantwortung als auch der von Butler geforderten
Institutionen und Politiken pluralistischer Kohabitation sowie der von Gould
postulierten politischen Praxis zur Beförderung demokratischer Teilhabe an der
Entscheidung über die Bedingungen positiver Freiheit ist dabei das Menschen-
recht auf Demokratie anzusehen. Dass dieses selbst nicht von vornherein inhalt-
lich definiert sein kann, sondern offen für Auslegungen, Kontestationen und
fortwährende Auseinandersetzung bleiben muss, um bestehende politische Auto-
ritäten und die Bedeutung des Begriffs ‚Menschheit‘ im Sinne einer politischen
Zuschreibung (vgl. Hoover 2013a: 217) zu befragen, ergibt sich aus dem spezifi-
schen „Lücke“-Charakter des fundamentalen Rechts auf Rechte, das allen, die
sich in einem Ermächtigungsprozess befinden, zusteht.
43 Arash Abizadeh hat in einem systematisch anders gelagerten, für die Frage der unwei-
gerlichen Koexistenz relevanten Kontext problematisiert, dass die staatliche Grenzho-
heit demokratietheoretisch nicht zu legitimieren sei, da über den Grenzverlauf bzw.
die Passierbarkeit von Grenzen weder von Staatsangehörigen eines Territoriums noch
von den Nicht-Staatsangehörigen, die jedoch ebenfalls von ihnen betroffen sind, abge-
stimmt wird (vgl. Abizadeh 2017).
7 Ausblick
Anlässlich einer von Aktivist_innen humanitärer Organisationen wie Médecins
du Monde und Terre des Hommes veranstalteten Pressekonferenz im Juni 1981
im Zusammenhang mit der Gründung eines internationalen Komitees zum
Schutz vietnamesischer Boat People (Comité International contre le Piraterie,
kurz: CICP) verliest Michel Foucault einen emphatischen Text, in dem er die
kollektive Untätigkeit seitens westlicher Regierungen sowie internationaler Or-
ganisationen in Bezug auf mögliche Hilfe für die Betroffenen von Entführung,
Folterung und Vergewaltigung skandalisiert. Zugleich beabsichtigt er mit seiner
öffentlichen Wortmeldung unter dem Titel „Den Regierungen gegenüber: die
Rechte des Menschen“ (Foucault 2005b), eine öffentliche Diskussion über die
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948) anzustoßen, ja eventuell eine
neue Menschenrechtserklärung zu initiieren (vgl. Lemke 2001: 270f.). Der Text
wird erst drei Jahre nach seinem Tod in der Zeitschrift Libération veröffentlicht,
er enthält folgende emphatische Losung: 1
„Es gibt eine internationale Bürgerschaft, die ihre Rechte hat, die ihre Pflichten hat und
die dazu verpflichtet, sich gegen jeden Machtmissbrauch zu erheben, wer auch immer des-
sen Urheber ist und wer auch immer dessen Opfer sind. Schließlich sind wir alle Regierte
und insofern miteinander solidarisch verbunden. […] Es ist die Pflicht dieser internationa-
len Gemeinschaft von Bürgern, vor Augen und Ohren der Regierungen das Elend der
Menschheit einzuklagen. Es stimmt nicht, daß sie dafür keine Verantwortung tragen.
1 Vgl. „Face aux gouvernements, les droits de l’homme“ in der Ausgabe vom 30. Ju-
ni/1. Juli 1984, Nr. 967: 22, einsehbar unter: http://1libertaire.free.fr/MFoucault
162.html (24.11.2018): „Il existe une citoyenneté internationale qui a ses droits, qui a
ses devoirs et qui engage à s’élever contre tout abus de pouvoir, quel qu’en soit
l’auteur, quelles qu’en soient les victimes. Après tout, nous sommes tous des gou-
vernés et, à ce titre, solidaires.“
258 | Grenzen de r Menschenrechte
Menschliches Unglück darf niemals ein stummes Überbleibsel der Politik sein. Im Gegen-
teil begründet es ein absolutes Recht, sich aufzulehnen und sich an diejenigen zu wenden,
die Macht ausüben.“ (Foucault 2005b: 874)
Foucault spricht hier von einer internationalen Bürger_innenschaft, die sowohl
über Rechte als auch über Pflichten verfügt. Es mag erstaunen, dass Foucault ein
Vokabular bedient, das seiner üblichen Machtkritik eigentlich nicht standhielte.
Und tatsächlich verwendet er Begriffe wie ‚Bürgerschaft‘, ‚Recht‘ und ‚Pflicht‘
auch in einer Weise, die herkömmliche Verwendungsweisen verschiebt und mit-
unter konterkariert. So unterlässt er eine Unterscheidung zwischen Recht und
Pflicht, da er es zugleich als Pflicht wie auch als ‚absolutes‘ Recht der internati-
onalen Bürger_innenschaft bezeichnet, das Leid der Betroffenen zu benennen
und sich gegen Missstände aufzulehnen. Die Differenz zwischen Rechten und
Pflichten, die für die gängigen Menschenrechtstheorien relevant ist, wird in einer
neuen Rechtsvorstellung aufgehoben, die sich nicht mehr auf die bekannten Ko-
ordinaten von Staat, Regierung, Recht und Gesetz und deren asymmetrisches
Geflecht von Rechten und korrelierenden Pflichten stützt. Bei diesem neuen
Recht handelt es sich also weder um die klassischen Abwehrrechte gegen den
Staat noch um Eingriffspflichten des Staates selbst. Wenn bei Foucault von ‚Re-
gierungen‘ und ‚Regierten‘ die Rede ist, handelt es sich um Macht- und Herr-
schaftsbeziehungen, nicht um Akteur_innen, denen bestimmte Rechte oder
Pflichten zugeordnet werden. Vielmehr geht es um die Formulierung eines neuen
Rechts, das „im Moment nicht zu begründen ist, aber sich in Zukunft vielleicht
einmal begründen lassen wird“, und zwar „in dem Maße, wie es Menschen gibt,
die für dieses Recht eintreten“ (Lemke 2001: 275). Überraschend für Foucault,
begegnet uns hier eine normative Bezugnahme auf Begrifflichkeiten von Rech-
ten und Pflichten. Allerdings ist mit diesem Gebrauch etwas anderes beabsich-
tigt, geht es doch genau um jene Bildung eines neuen politischen Subjekts, um
die Konstitution einer globalen Bürger_innenschaft, die sich ein Recht nimmt,
das sich nicht von einer bestehenden Ordnung her ableitet und mit dem niemand
anderes repräsentiert wird außer sie selbst. Überhaupt nur aus diesem Grund,
dass sie niemanden anderen repräsentiert, kann diese globale Bürger_innenschaft
sprechen und zwar nur für sich selbst und im eigenen Namen (vgl. ebd.:
271ff.). Als Gruppe von Individuen nimmt diese in Formation begriffene Bür-
ger_innenschaft Bezug auf ein neues bzw. neu zu schaffendes Recht,
„nämlich das Recht von Privatpersonen, wirksam in die Ordnung der internationalen poli-
tischen Zielsetzungen und Strategien einzugreifen. Der Wille der Individuen muß sich in
eine Realität einschreiben, welche die Regierungen für sich allein in Anspruch nehmen
Ausblick | 259
wollten ein Monopol, das man ihnen Tag für Tag und Stück für Stück entreißen muß.
(Foucault 2005b: 874)
Interessanterweise spricht Foucault an dieser Stelle von ‚Privatrecht‘. Mit dieser
Bezeichnung ist jedoch nicht das private im Sinne von moralischem und vorpoli-
tischem Recht im Gegensatz zum öffentlichen Recht als Teil einer gegebenen
Gesetzesordnung gemeint. Vielmehr ist dieses ‚Privatrecht‘ bereits als politi-
sches Recht zu verstehen, allerdings nicht im herkömmlichen Sinne eines qua
Nationalstaat verliehenen staatsbürgerlichen Rechts, sondern im Sinne eines
selbstermächtigenden Rechts. Foucaults Forderung an die Akteur_innen besteht
darin, einen ‚Schritt voraus zu gehen‘,2 und zwar insofern, als das neu zu entwer-
fende Recht Freiheit herstellt und sie nicht voraussetzt (vgl. Lemke 2001: 275).
In diesem Aspekt steckt eine Grundintuition, die derjenigen des arendtschen
Rechts auf Rechte nicht unähnlich ist, die jedoch angesichts der unauflösbaren
begrifflichen Spannung zwischen Menschen- und Bürger_innenrechten keinen
adäquaten Ausdruck finden kann, sofern sie sich nicht schlichtweg in Handlung
zur Geltung bringt: Statt in Abhängigkeit von einem (Volks-)Souverän oder ei-
ner juridischen Autorität auf die Gnade der Gewährung von Freiheit zu warten,
sind Individuen, die nicht ‚dazugezählt‘ werden und deshalb Anteillose sind, laut
Rancière dazu aufgefordert, sich auf das Recht der Freiheit zu berufen und durch
diese Praxis Freiheit zu generieren. Im Interview mit der Zeitschrift Skyline im
März 1982 erläuterte Foucault seine Skepsis gegenüber zu hohen Erwartungen
an Institutionen und Gesetze, was die Ermöglichung und Garantie von Freiheit
anbelangt:
„Die Freiheit der Menschen wird nie von Institutionen oder Gesetzen garantiert, deren
Aufgabe es ist, Freiheit zu garantieren. Deshalb kann man die meisten dieser Gesetze und
Institutionen drehen und wenden. Nicht weil sie mehrdeutig wären, sondern weil man
‚Freiheit‘ nur ausüben kann. […] Ich glaube nicht, dass die Struktur von Dingen Freiheit
zu garantieren vermag. Nur Freiheit garantiert Freiheit.“ (Foucault 2005a: 330)
Eine eventuell noch radikalere Affirmation auszuübender, also vollumfänglich
auf Praxis basierender, Freiheit findet sich, wie bereits in Kap. 4.1 angesprochen,
2 Bei Foucault heißt es im Original: „Nous devons encore, je pense, faire un pas en
avant.“ (Foucault 1994: 1555) Thomas Lemke übersetzt dies in Abweichung von der
deutschen Übertragung von Hans-Dieter Gondek („einen Schritt nach vorne“,
Foucault 2005c: 911) mit „einen Schritt darüber hinaus“ (Lemke 2001: 275), womit er
einen stärker progressiven Akzent setzt, als dies eventuell von Foucault intendiert war.
260 | Grenzen de r Menschenrechte
in Michael Hardts und Antonio Negris revolutionsheischendem, wenngleich
nicht gerade konturenscharfen Bild einer globalen politischen Subjektivation, die
vor allem durch Widerstand gegen das ‚Empire‘ zu verwirklichen sei.3 Der Be-
griff ‚Empire‘ steht hier pauschal für die derzeit vorherrschende, nationalstaat-
lich verfasste Weltordnung, gegen die sich das Subjekt widerständigen Handelns
die Multitude aus der Basis, ja aus der Mitte des Empires heraus formiert.
Eine neue Gesellschaftsform werde somit nicht erst von außen an das bestehende
System herangetragen, sondern als ein gleichermaßen gerechtes, freiheitliches
und demokratisches Miteinander von innen heraus etabliert. Die ‚Multitude‘ er-
scheint in diesem Bild als regelrecht mit messianischer Bedeutung aufgeladen,
zumindest wird ihr das Potential, durch die Intensivierung gemeinschaftlichen
Handelns im Rahmen von gesellschaftspolitischen Emanzipationskämpfen „eine
neue Menschheit“ (Hardt/Negri 2004: 240) erstehen lassen zu können, beschei-
nigt. Unscharf bleibt dieses Bild der Befreiung allerdings nicht nur in Bezug auf
die nicht näher spezifizierten Merkmale der zukünftigen Gegen-Gesellschaft.
Auch die konkreter klingende Forderung nach der Einrichtung einer Weltbür-
ger_innenschaft, die für alle Menschen auf der Welt Gleichheit, Gerechtigkeit
und Demokratie verbürgen und die Menschenrechtsidee einer egalitären und
nachhaltigen Gesellschaft verwirklichen können soll, erhält in den Ausführungen
von Hardt und Negri keine deutlicheren Umrisse. Die Möglichkeit zur Emanzi-
pation der Multitude wird eher negativ erläutert denn anhand von konkreten
Merkmalen plausibilisiert.4 Zwar beinhaltet die Vorstellung von Emanzipation
die euphorisch herbeibeschworene Vision einer „Ermöglichung der Möglichkeit
einer Demokratie, die auf freier Ausdrucksmöglichkeit und dem Leben im Ge-
meinsamen beruht“ (ebd.: 227). Doch bleibt eine eingehendere Darstellung die-
ser sogenannten absoluten5 Demokratie (ebd.: 109, 386f.), die sich ein Vorbild
3 Vgl. ausführlicher Martinsen 2015b.
4 Das Problem der Unklarheit zentraler Begriffe bei Hardt und Negri, etwa des schil-
lernden Begriffs der Multitude selbst (vgl. Wolf 2004: 105; Maresch 2005: 195f.; Saar
2006: 193ff.; Schultz 2011: 130), des euphemistischen Verständnisses von Demokra-
tie (vgl. Ziegler 2004) oder der emphatisch-ontologisierenden Konzeption einer Macht
der Multitude (vgl. Saar 2006: 196ff.), wurde in der Vergangenheit daher auch viel-
fach moniert. Ähnlich bleibt der Weg der Emanzipation, den die Multitude angeblich
zu ebnen befähigt sei, wenig ausgeleuchtet.
5 Hardt/Negri 2004: 109; vgl. auch Hardt/Negri 2004: 386f.
Ausblick | 261
an Spinozas Konzeption einer durch die Macht der Multitude6 legitimierten, par-
tizipatorischen Demokratie nimmt, im Werk der beiden Autoren aus.7
Anhand dieser modifizierten spinozistischen Multitude-Konzeption lässt sich
allerdings die konzeptuelle wie praktische Problematik einer ermächtigenden In-
anspruchnahme des Rechts, das entweder (noch) nicht existiert oder den Be-
troffenen (noch) nicht gewährt wird, verdeutlichen. Akteur_innen von Emanzi-
pationsbestrebungen sehen sich erklärtermaßen mit folgendem Paradox konfron-
tiert: Einerseits müssen sie um der emanzipatorischen Forderung willen frei-
heitsversprechendes Recht anrufen, andererseits stellt sich jedoch zugleich das
Problem ein, dass sie sich dabei bestimmter Strukturen und Instrumente der zu
bekämpfenden Rechtsordnung unweigerlich bedienen. Auf Wendy Browns
Thematisierung dieses Paradoxes am Beispiel der Ambivalenz sogenannter
Frauenrechte in Bezug auf feministische Emanzipationsbelange (vgl. Brown
2011a) wurde schon in Kap. 4.2 verwiesen. Brown erläutert anhand feministi-
scher Bemühungen im Kampf gegen geschlechtsbezogene Diskriminierungen
von Frauen, dass der Bezug auf Rechte zwar zur Abmilderung manches patriar-
chalisch begründeten Unrechts zu führen, nicht aber die Rechtsordnung selbst zu
überwinden vermag, weil der den Rechtsstrukturen eingeschriebene Androzent-
rismus nicht im Modus der Berufung auf Recht zu eliminieren sei. Analog dazu
lässt sich, wie bereits erläutert, eine spezifische Ambivalenz der Menschenrechte
ausmachen einerseits sollen sie individuellen Schutz vor staatlichen Übergrif-
fen sowie die Befähigung zur sozialen und politischen Teilhabe gewährleisten.
Ihre Schutz- und Befähigungsfunktion leisten sie in vollem Umfang jedoch an-
dererseits nur, sofern es sich auch um Staatsbürger_innen handelt, die von ihnen
Gebrauch machen können. Eine alternative Forderung etwa nach einer adhocisti-
schen, aktionistischen Weltbürger_innenschaft birgt hingegen den Widerspruch,
dass Rechte eigentlich als zum Inventar der zu bekämpfenden Ordnung (der ‚Po-
lizei‘ bzw. des ‚Empires‘) zugehörig aufgefasst werden müssen, zugleich jedoch
einen zentralen Bestandteil von Ermächtigungsstrategien bei der Etablierung ei-
ner Gegen-Ordnung zu bedeuten scheinen. Für Rancière zumindest können sol-
che Formen kurzfristiger Subjektivation tatsächlich dazu führen, dass die beste-
hende polizeiliche Ordnung nicht nur Risse erhält, sondern und sei dies zu-
6 Vgl. Spinoza 2010: Kap. II, § 17; siehe auch Celikates 2006: 48ff.; vgl. kritisch ge-
genüber Hardts und Negris Spinoza-Adaption Saar 2006: 199ff.
7 In einem jüngst erschienenen Band (vgl. Hardt/Negri 2013) widmen sich die beiden
Autoren zwar konkreteren Optionen des sozialpolitischen Protestes. Doch verglichen
mit dem programmatischen Titel „Demokratie!“ bleiben auch hier die Vorschläge zu
ihrer institutionellen Umsetzbarkeit eher vage.
262 | Grenzen de r Menschenrechte
nächst nur temporär durchbrochen wird (vgl. Rancière 2008: 15ff.). Wenn
überhaupt, dann genau aus diesem Kräftespiel zwischen basaler Angewiesenheit
auf eine Ordnung und dem Begehren nach ihrer produktiven Durchbrechung
scheint das emanzipative Potential einer Multitude erwachsen zu können. Denn
das Empire kann sich nur erhalten, solange die Multitude „die Rolle des vernutz-
baren, verwertbaren Körpers auch wirklich zu spielen bereit bleibt“ (Saar 2007:
814). Kündigt sie diese Bereitschaft auf, wird die Struktur des Empire instabil.
Die Imagination einer Multitude als in unmittelbarer Bereitschaft zur Revo-
lution stehender Akteurin ist allerdings nicht nur als naiv einzustufen, sie ver-
zerrt auch den eigentlichen Kern der hier geführten Diskussion um ein Men-
schenrecht auf politische Partizipation.8 Wenn ich im Verlauf meiner Studie und
insbesondere hier im abschließenden Abschnitt den Blick auf Beispiele für Ak-
teur_innen einer politischen Subjektivation bzw. auf Beteiligte der ‚Multitude‘
werfe, die sich im Kampf um Ermächtigung und politische Gleichheit auf ein
Recht auf politische Partizipation berufen, grenze ich mich gleichzeitig unmiss-
verständlich gegen eine undifferenzierte Heilserwartung ab, wie sie etwa Hardt
8 Hardt und Negri geht es im Übrigen noch nicht einmal um eine ernsthafte Auseinan-
dersetzung mit Potentialen und Optionen spontaner Revolutionen. Ganz offensichtlich
verbleiben ihre Ausführungen zum Prozess der Etablierung einer Gegenmacht zu all-
gemein und unspezifisch. Es bleibt lediglich bei vagen Aussagen, etwa, dass die Bil-
dung einer Gegenmacht sich in einem Feld von Singularitäten vollziehe, als „offenes
Beziehungsgeflecht“ (Hardt/Negri 2002: 116), in dem die „Positivität des Antagonis-
mus und der Kreativität“ (ebd.: 74) herrsche. Vielmehr scheint es ihnen um eine Dar-
legung zu gehen, inwiefern die Multitude prinzipiell über die Macht verfüge, eine Ge-
genmacht zu werden. Mit anderen Worten: Es soll gezeigt werden können, dass der
Multitude aufgrund der ihr inhärenten Autonomie (und das heißt: trotz aller Hierar-
chie-, Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse innerhalb des Empires) ein origi-
näres emanzipatives Potential innewohnt (vgl. ebd.: 405f.). Struktur und Charakter der
Multitude seien vermeintlich prädestiniert dafür, das Herrschaftsagglomerat des Em-
pire von innen her zu bekämpfen, es aufzulösen und zu überwinden. Hierbei seien es
insbesondere die Mechanismen und Wirkweisen postfordistischer Arbeit, denen die
Mehrheit der Weltbevölkerung unterliegt, die im Grunde genommen genau jene Vo-
raussetzung dafür böten, sich als soziale und politische Gegen-Formation zu bilden:
Zum einen die Tendenz der immateriellen Arbeit bzw. der Produktion immaterieller
Güter wie Information, Wissen, Ideen, Bilder, Beziehungen und Affekte zur Über-
schreitung des rein Ökonomischen und zur (Re-)Produktion der Gesellschaft als Gan-
zer, zum anderen die Neigung zur Netzwerkbildung (vgl. ebd.: 84; vgl. auch Lemke
2011: 115ff.).
Ausblick | 263
und Negri an den Tag legen. Trotz zu beobachtender weltweiter Vernetzungsak-
tivitäten unter dem Motto der Menschenrechte ist m.E. nicht davon auszugehen,
dass die verschiedenen Akteur_innenkollektive sich auch nur annähernd zu ei-
nem globalen Demos oder zu einem Pendant einer weltweiten Arbeiterklasse zu-
sammenschließen. Aufgrund der Heterogenität der unterschiedlichen Gruppie-
rungen ist eine vereinende Motiv- und Interessenlage ebenso unwahrscheinlich
wie ein gemeinsames Fundament an normativen Vorstellungen.
Allerdings vermögen Menschenrechte und dies ist zunächst einmal eine
vergleichsweise bescheiden anmutende Rolle in Prozessen der Subjektivation
insofern eine bedeutsame Rolle zu spielen, als sie zum einen Bezugspunkte für
historische politische und soziale Kämpfe um politische Gleichheit und die Er-
langung von Rechten bilden, zum anderen eng verknüpft mit der Vorstellung ei-
ner globalen demokratischen Ordnung jenseits des Empire (resp. polizeilicher
Ordnungen) sind. Anders als die marxistische und postmarxistische Skepsis ge-
genüber dem ideologischen Charakter von Menschenrechten beziehen sich bei-
spielsweise feministische und postkolonialistische Aktivist_innen durchaus ex-
plizit auf die demokratisierenden Potentiale des Menschenrechtsdiskurses.
Gleichwohl gilt zu beachten, dass die affirmative Bezugnahme auf Menschen-
rechte als Leitidee für Strategien des Empowerments nicht mit einem Einver-
ständnis mit der bereits bestehenden Version der Menschenrechtskonzeption,
wie sie in Form der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948) vorliegt,
zu identifizieren ist. Vielen menschenrechtsaffinen, aber zugleich kritischen An-
sätzen ist eine dezidierte Wachsamkeit gegenüber der Gefahr anzumerken, dass
die Implementierung von Menschenrechten nicht nur emanzipatorische Effekte
zeitigt. Sie kann ebenso gut die Stabilisierung von Herrschaft und die Auswei-
tung von Gouvernementalitätspraktiken des Empire befördern. Die Befürchtung,
dass eine Internationalisierung der Rechtsordnung auch zu einer Perpetuierung
des Ungleichheitsgefälles zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen
Süden führen kann (vgl. Saar 2007: 812f.), u.a. dadurch, dass ökonomische Pre-
kariatsverhältnisse verschärft, Migrationsbewegungen stärker reguliert und damit
politische Exklusionsmechanismen eher zementiert denn abgebaut werden, steht
nach wie vor im Raum.
Wird bei der Betrachtung von Subjektivationsprozessen allerdings der Ak-
zent stärker auf den Aspekt der Befragung bestehender Menschenrechtsver-
ständnisse und auf den des Widerstands gegen vorherrschende Ordnungsmuster
wie das hardt/negrische Empire bzw. gegen die rancièresche Polizei gelegt, bie-
tet sich die Chance, die Voraussetzungen für die Herausbildung einer neuen
normativen Gegenordnung zu beleuchten: Durch fortwährendes Attackieren der
Ordnung, die wiederholte Überschreitung von begrifflichen wie territorialen
264 | Grenzen de r Menschenrechte
Grenzen sowie durch das Sammeln von Widerstandserfahrungen können Ak-
teur_innen sich als kollektives politisches Subjekt konstituieren, das dadurch
nicht notgedrungen zu einer homogenen Einheit verschmelzen muss, sondern
sich seine Vielfalt bewahrt.
In diesem Sinne lassen sich vor allem postkolonialistische Ansätze fruchtbar
machen, die von Menschenrechten als einer „insurrectionary praxis“ (Baxi 2006:
22; vgl. Ingram 2015) ausgehen (vgl. auch Kap. 2.1). In dieser Lesart werden
Menschenrechte als Arena einer transformativen politischen Praxis betrachtet,
die aus vielfältigen, auch heterogenen, Bewegungskämpfen gegen die Auswir-
kungen kolonialer Herrschaft an unterschiedlichen Orten der Welt hervorgeht.
Dafür sei es unerlässlich, internationale Menschenrechtsstandards nicht eindi-
mensional mit westlichen Normen und Werten zu identifizieren, da dies in kolo-
nialer Tradition die binäre Opposition zwischen ‚West/Nicht-West‘ bzw. ‚Nord/
Süd‘ als ‚rational/irrational‘ bzw. ‚entwickelt/unterentwickelt‘ reartikuliere (vgl.
Merz 2011: 88). Mit einer postkolonialistischen Sichtbarmachung und damit
einhergehenden Dekonstruktion der Konnotationen des Menschenrechte tragen-
den Subjekts innerhalb des vorherrschenden Diskurses als vergeschlechtlicht,
rassistisch markiert und sozial privilegiert könne trotz einer weit verbreiteten
Skepsis gegenüber der westlich dominierten Menschenrechtspraxis (vgl. Spivak
2008) erreicht werden, dass auch Subalterne sich als Subjekte ihrer eigenen Ge-
schichte begreifen und sich zu politischer Handlungsfähigkeit ermächtigen. Da-
für sei es unabdinglich, eine alternative Vorstellung von Universalität zu entwi-
ckeln, die per se plural verfasst sei und nicht als statische Einheit gedacht wer-
den dürfe. Ein Denken in Menschenrechten kann nach Auffassung postkolonia-
ler Theoretiker_innen in subalternen Kontexten durchaus als strategische Aneig-
nung gelesen werden, um juridische und politische Privilegien zu genießen, ohne
jedoch das „ihnen zugrunde liegende Selbstverständnis eines atomisierten, nut-
zenmaximierenden Individuums notwendigerweise teilen zu müssen“ (Merz
2011: 91). Statt also Menschenrechte vereinseitigend aufgrund ihres unbe-
streitbar eurozentrischen Ursprungs und ihrer häufigen Funktionalisierung für
Machtzwecke gänzlich zu verwerfen, scheint die Frage, inwiefern sich das Kon-
zept der Menschenrechte ändert, sobald eine postkolonial-feministische Perspek-
tive als eine spezifisch kritische Denkweise eingenommen wird, produktiver zu
sein. In Rekurs auf Edward Saids Traveling Theory (vgl. Said 1991; Ehrmann
2009) lässt sich daher festhalten: Sobald Menschenrechte als eine
„reisende (traveling) Idee verstanden werden, die in einem bestimmten historischen Kon-
text entstanden ist und sich von dort über Raum und Zeit hinweg in andere Kontexte ver-
pflanzt (transplanting), dann stellt sich nicht so sehr die statische, auf kulturelle ‚Ursprün-
Ausblick | 265
ge‘ fixierte Problematik von Genese und Geltung der Menschenrechte, sondern vielmehr
die nach der Dynamik ihrer Übersetzung (translating) in andere Kontexte.“ (Ehrmann
2009: 84)
Es geht also darum, die kritische Funktion der Menschenrechte und mit ihr die
Möglichkeit der Politisierung von Unrecht und Unterdrückung in der postkoloni-
alen Welt zu bewahren, ohne sie in ein hegemoniales Instrument der Beherr-
schung umschlagen zu lassen (vgl. ebd.: 84). Hierin liegt genau jenes emanzipa-
torische Potential der Menschenrechte, in das sowohl die Texte des ausgehenden
18. Jahrhunderts als auch zahlreiche aktuelle Ansätze ihre Hoffnung setzen. Mit
ihr richten sich bestimmte normative Erwartungen an Menschenrechte als In-
strumente der Politisierung von Unrecht und an Menschenrechte als artikulierte
Forderung nach einer verbürgten „Offenheit gegenüber der imaginierten Hand-
lungsfähigkeit der Anderen (Spivak 2008: 39).
Menschenrechte können somit als ‚Platzhalter‘ fungieren –r immer wieder
neue, öffentliche Thematisierungen von Demütigungen, Verletzungen und für
Revisionen bestehender Menschenrechts-Interpretationen (vgl. Kreide 2008: 35).
Aus genau diesem Grund sind sich die meisten Theoretiker_innen einig, dass
Menschenrechte, wie in Kap. 4.3 dargelegt wurde, nicht ‚nicht gewollt‘ werden
können (vgl. Kapur 2006: 682). Menschenrechte können wirkmächtige Instru-
mente im Kampf um Gleichberechtigung und Teilhabe darstellen. Allerdings ist
im Durchgang durch diese Studie ebenfalls deutlich geworden, dass ein gewisser
skeptischer Unterton die befürwortenden Haltungen gegenüber Menschenrechten
begleitet: „Human rights seem a preferable, though a flawed ideal, to no rights at
all“ (ebd.), heißt es bei Ratna Kapur, und Wendy Brown stimmt ihr bei, wenn sie
Menschenrechten bescheinigt, angesichts ihres liberalistisch-imperialistischen
Charakters allenfalls der Deckmantel für globale Praxen von Ausbeutung, Ent-
rechtung und Unterdrückung zu sein. Ihrer Ansicht nach hätten Menschenrechte
höchstens das Potential, Leid abzuschwächen, nicht aber, die Strukturen des
weltweiten kapitalistisch geprägten Staatengefüges von Grund auf zu verändern
(vgl. Brown 2011b: 132f.). Solange sie hauptsächlich in ihrer Rolle als morali-
sche Rechte bloß für kosmetische Korrekturen zuständig seien, bleibe zu fragen,
wie aussichtsreich ihr eigentliches Versprechen, Individuen zur Freiheit zu befä-
higen, ist. Das gegenwärtige Menschenrechtsregime erwecke den Eindruck, als
fehle ihm vor allem die Fähigkeit zur Erkenntnis, dass die Verwirklichung von
Menschenrechten nicht in einer Vergrößerung bestimmter marktkonformer
Wahlfreiheitsoptionen besteht, sondern dass ihre Bedrohungen vielmehr gerade
in dessen vielfach undemokratisch und hegemonial durchgesetzten interventio-
nistischen Abhilfemaßnahmen gegenüber sogenanntem ‚Leid‘ bestehen. Brown
266 | Grenzen de r Menschenrechte
will dabei nicht in Abrede stellen, dass menschliches Leid zu bekämpfen sei,
dennoch bezweifelt sie, ob Prävention und Linderung von Leid letztlich „the
most that can be hoped for“ (ebd.: 145) sei, weil die Hoffnungen auf echte Ge-
rechtigkeit in Form von Teilhabe und demokratischer Gleichberechtigung als
utopisch oder undurchsetzbar gelten müssen. Dem Pessimismus bzw. regelrech-
tem Fatalismus Wendy Browns ist allerdings die folgende Aussage Claude Le-
forts entgegenzusetzen, wobei auch diese vor allem im Kontext der späten
1980er Jahre zu lesen ist. Gleichwohl spricht aus ihr die auf Said zurückgehende
traveling idea, deren emanzipative Strahlkraft eventuell zum jetzigen Zeitpunkt
erst noch am Anfang ihrer Entfaltungsmöglichkeiten steht:
„Politik der Menschenrechte und demokratische Politik, das sind zwei Varianten der Ant-
wort auf die gleiche Anforderung, die da lautet: Ressourcen der Freiheit und Kreativität
auszuschöpfen, aus denen eine Erfahrung ihre Kraft zieht, die die Auswirkungen der Tei-
lung auszuhalten vermag; der Versuchung zu widerstehen, die Gegenwart gleichsam ge-
gen die Zukunft auszutauschen, sondern im Gegenteil die Anstrengung zu unternehmen, in
der Gegenwart die Erfolgsaussichten aufzuspüren, die sich durch die Verteidigung erwor-
bener Rechte und die Forderung nach neuen Rechten abzeichnen, und dabei zu lernen,
diese von der bloßen Befriedigung von Interessen zu unterscheiden. Und wer behaupten
wollte, daß es einer solchen Politik an Kühnheit mangelt, der wende seinen Blick zu den
Russen, Polen, Ungarn oder Tschechen oder den Chinesen, die gegen den Totalitarismus
revoltieren: Sie sind es, die uns den Sinn der politischen Praxis entziffern lehren.“ (Lefort
1990: 279)
In einer Zukunft, die die Bedeutung eines fundamentalen Rechts auf politische
Mitbestimmung über die Bedingungen positiver Freiheit und über die Bedingun-
gen des Miteinanders in einer Welt, die als gemeinsamer Aufenthaltsort aller
Menschen nicht wählbar ist, erkannt hat, wird es vermutlich keine bedeutsamen
Identitätszuschreibungen anhand von Nationalitäten mehr geben. Die emanzipa-
torischen Handlungen von ‚Russ_innen‘, ‚Pol_innen‘ oder ‚Chines_innen‘ wer-
den nunmehr Erinnerungen an politische Kämpfe im Rahmen von nationalstaat-
lichen Kontexten sein, in denen Menschen ausgeschlossen waren von der Mög-
lichkeit auf politische Teilhabe jenseits national oder ethnisch definierter Staats-
bürgerschaft. Eine Welt, in der allen Menschen gleichermaßen ein Menschen-
recht auf Demokratie zukommt, würde vermutlich kaum noch Züge unserer der-
zeitigen politischen Realität tragen, wie überhaupt ihre Strukturen und Institutio-
nen uns Heutigen mit hoher Wahrscheinlichkeit unvertraut wären. Ob wir dieser
Zukunft, von der ungewiss ist, ob sie jemals und wenn ja, in welcher Weise
eintritt, eher skeptisch oder optimistisch entgegenblicken sollten, stellt sich nicht
Ausblick | 267
ernsthaft als Frage. Doch sollte im Verlauf der meiner Studie zumindest plausi-
bilisiert worden sein, dass die aktuelle Exklusion einer großen Anzahl an Men-
schen, die als ‚Fremde‘, ‚Geflüchtete‘, ‚Staatenlose‘ oder schlichtweg ‚Andere‘
markiert werden, nicht nur ein moralisches, sondern ein politisches Problem dar-
stellt, das ebenso wie der Ausschluss von Arbeiter_innen und Frauen im 19. und
20. Jahrhundert zu einem historischen Faktum gemacht werden sollte.
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ticipation in the Transition to Democracy, in: Shirin M. Rai (Hg.), Interna-
tional Perspectives on Gender and Democratization, London: Macmillan, S.
166-181.
Danksagung
Ich bedanke mich bei allen Kolleg_innen, die im Rahmen von Kolloquien und
Tagungen wichtige Rückfragen zu Vorstufen meiner Studie gestellt und kritische
Anmerkungen formuliert haben. Nach Einreichung meiner Habilitationsschrift,
die die Grundlage des vorliegenden Buches bildet, haben in Bremen Anna Hol-
lendung, Martin Nonhoff und Frieder Vogelmann wichtige Impulse zu Textaus-
schnitten gegeben, für die ich ebenso dankbar bin wie für die erhellenden Dis-
kussionen mit den Teilnehmer_innen des Greifswalder Theorie-Kolloquiums
und den Teilnehmer_innen des von Andreas Niederberger geleiteten Kolloqui-
ums in Essen. Mein besonderer Dank gilt Christiane Lemke (Hannover), Regina
Kreide (Gießen) und Rainer Schmalz-Bruns (Hannover), deren Habilitationsgut-
achten dazu beigetragen haben, dass ich im Jahr 2016 die venia legendi an der
Philosophischen Fakultät der Leibniz Universität Hannover erwerben konnte. El-
tje Böttcher danke ich für das ausgesprochen hilfreiche Korrektorat und Samia
Mohammed für die umsichtige Formatierung des Textes.
Oliver Flügel-Martinsen war der erste und der kritischste Leser meiner
Habilitationsschrift. Ihm danke ich wie immer für seine geduldige Unterstüt-
zung.
Angaben zur Autorin
PD Dr. Franziska Martinsen ist Privatdozentin an der Leibniz Universität Han-
nover und lehrt und forscht als Gast- und Vertretungsprofessorin für Politische
Theorie und Ideengeschichte an verschiedenen Universitäten im In- und Aus-
land. Sie hat zahlreiche Monographien, Sammelbände, Buchkapitel und Zeit-
schriftenartikel in den Bereichen Politische Philosophie, Politische Theorie und
Ideengeschichte sowie Gender Theorie publiziert. Zu ihren aktuellen Veröffent-
lichungen zählt u.a. (als Mitherausgeberin zus. m. D. Comtesse, O. Flügel-
Martinsen, M. Nonhoff): Radikale Demokratietheorie. Ein Handbuch. Berlin:
Suhrkamp 2019 (im Erscheinen).
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten
finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Politikwissenschaft
Thomas Kruchem
Am Tropf von Big Food
Wie die Lebensmittelkonzerne den Süden erobern
und arme Menschen krank machen
2017, 214 S., kart., zahlr. Abb.
19,99 (DE), 978-3-8376-3965-0
E-Book: 16,99 (DE), ISBN 978-3-8394-3965-4
EPUB: 16,99 (DE), ISBN 978-3-7328-3965-0
Torben Lütjen
Partei der Extreme: Die Republikaner
Über die Implosion des amerikanischen Konservativismus
2016, 148 S., kart.
14,99 (DE), 978-3-8376-3609-3
E-Book: 12,99 (DE), ISBN 978-3-8394-3609-7
EPUB: 12,99 (DE), ISBN 978-3-7328-3609-3
Angela Nagle
Die digitale Gegenrevolution
Online-Kulturkämpfe der Neuen Rechten von 4chan
und Tumblr bis zur Alt-Right und Trump
2018, 148 S., kart.
19,99 (DE), 978-3-8376-4397-8
E-Book: 17,99 (DE), ISBN 978-3-8394-4397-2
EPUB: 17,99 (DE), ISBN 978-3-7328-4397-8
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten
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Politikwissenschaft
Ines-Jacqueline Werkner
Gerechter Frieden
Das fortwährende Dilemma militärischer Gewalt
2018, 106 S., kart.
14,99 (DE), 978-3-8376-4074-8
E-Book: 12,99 (DE), ISBN 978-3-8394-4074-2
Alexander Schellinger, Philipp Steinberg (Hg.)
Die Zukunft der Eurozone
Wie wir den Euro retten und Europa zusammenhalten
2016, 222 S., kart.
19,99 (DE), 978-3-8376-3636-9
E-Book: 17,99 (DE), ISBN 978-3-8394-3636-3
EPUB: 17,99 (DE), ISBN 978-3-7328-3636-9
Karl-Siegbert Rehberg, Franziska Kunz, Tino Schlinzig (Hg.)
PEGIDA
Rechtspopulismus zwischen Fremdenangst
und »Wende«-Enttäuschung?
Analysen im Überblick
2016, 384 S., kart.
29,99 (DE), 978-3-8376-3658-1
E-Book: 26,99 (DE), ISBN 978-3-8394-3658-5
EPUB: 26,99 (DE), ISBN 978-3-7328-3658-1
Article
Aktuell wird vielfach ein menschenrechtliches Einknicken in der Migrations- und Asylpolitik festgestellt. Auch in der Menschenrechtsbildung sollten nicht einfach die politischen Notwendigkeiten der Migrationskontrolle hingenommen werden. Aber ein aufrechtes Verteidigen universeller Normen ohne Vermittlung mit der öffentlichen Diskussion reicht auch nicht aus. Anlässlich eines Nürnberger Bildungsprojekts sollen normative und didaktische Gesichtspunkte der Menschenrechtsgarantien reflektiert werden.
Chapter
The aim of our chapter is to propose an ethical justification for why the EU has certain duties towards refugees and to assess the actual fulfilment of these duties in the current political situation. We will first describe the challenges for the EU in this respect, that is, the current practices and discourses in the EU that are contesting the human rights of protection seekers arriving in its member states. These include the treatment of asylum seekers at the borders as well as in the refugee camps and during the asylum procedures. To create a theoretical foundation for a critique of these practices and discourses, we will then refer to the concept of “The Right to have Rights” of every person and the corresponding duties of states towards non-nationals to fulfil this right. For this, we will start from the essay “We refugees” by Arendt (Menorah J 36:69–77 1943), in which she first establishes the concept, and explains its implications for political action according to Arendt. To further develop Arendt’s ideas, we will use the work of Robert E. Goodin (*1950) and differentiate dimensions, addressees, and bearers of such duties in the global perspective, particularly with reference to the notion of moral division of labour. To apply these ethical–political frames to the current situation, we will shortly discuss the framework of international law and the supranational institutional context of the EU. We will both recognise the potential of the EU as well as identify necessary implications and reforms for the EU politics from the perspective of its duties in protecting the human rights of refugees.
Chapter
Full-text available
Inklusion ist ein mehrdeutiger sozialer, politischer und pädagogischer Begriff, der von einer Vielzahl an Disziplinen zunehmend auch als analytische Kategorie gefasst wird. Die Beiträger*innen erweitern diesen theoretisierenden Zugang und setzen dabei den Fokus auf das Verhältnis von Inklusion und Grenzen. Aus interdisziplinärer Perspektive zeigen sie, dass Grenzen und Grenzziehungen nicht nur dem Gegenstand Inklusion immanent sind, sondern Inklusion selbst die Logiken und Grenzen disziplinärer Diskurse verschiebt - was einen neuen Blick auf politische Partizipationsfragen, wechselseitige Zu- und Anerkennungsverhältnisse und pädagogische Imperative zulässt.
Chapter
Full-text available
Inklusion ist ein mehrdeutiger sozialer, politischer und pädagogischer Begriff, der von einer Vielzahl an Disziplinen zunehmend auch als analytische Kategorie gefasst wird. Die Beiträger*innen erweitern diesen theoretisierenden Zugang und setzen dabei den Fokus auf das Verhältnis von Inklusion und Grenzen. Aus interdisziplinärer Perspektive zeigen sie, dass Grenzen und Grenzziehungen nicht nur dem Gegenstand Inklusion immanent sind, sondern Inklusion selbst die Logiken und Grenzen disziplinärer Diskurse verschiebt - was einen neuen Blick auf politische Partizipationsfragen, wechselseitige Zu- und Anerkennungsverhältnisse und pädagogische Imperative zulässt.
Chapter
Full-text available
While ‘cancel culture’ is commonly regarded as limiting freedom of speech and artistic freedom, this article proposes a new understanding of ‘cancel culture’ as emancipatory norm-setting that is key for democratization. On a non-governmental level of the self-regulation of the art world, the argument for artistic freedom ignores the fact that art is permeated by power. The introduction of ‘politically correct’ norms leads to a justified redistribution of such power. On a parastatal level of public broadcasting and state cultural funding, neutrality is necessary but should be understood materially to include marginalized voices. Restrictions of freedom of speech and artistic freedom do occur on the state-level of hate-speech regulation. Here, the danger of a potential shift from emancipatory regulation to a harmful restriction is particularly virulent, as a discussion of the German BDS ban shows.KeywordsDemocratic theoryRadical democracyConstitutional rightsSocial protestIntersectionalityIdentity politics
Article
Full-text available
Irreguläre Migration in die Europäische Union und nach Deutschland ist rückläufig. Auf Bundes- und Landesebene signalisieren politische Entscheidungsträger zunehmend Unterstützung für die Einführung und Umsetzung effektiver Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte auch irregulärer Migranten. Dabei konzentriert sich die aktuelle Diskussion auf die fünf Bereiche des Rechts auf Bildung von Kindern ohne Aufenthaltsstatus, der Gesundheitsversorgung, dem Rechtsschutz in der Beschäftigung, der Bewertung der Übermittlungspflichten und der Strafbarkeit des Aufenthalts sowie Eröffnung möglicher Wege aus der Illegalität. In diesem Beitrag soll der Stand der Diskussion dargestellt werden. Abschließend wird auf Überlegungen zur Ermöglichung von Migration hingewiesen.
Chapter
Nationalism is one of the most serious political problems in the world today. This volume is a collection of papers which address the topic of the ethics of nationalism. The contributors include some of the most eminent political philosophers and political scientists active today. The bulk of the literature on nationalism is in the social sciences and tends to focus on descriptive and prescriptive themes and issues of policy. This collection, however, focuses on the deeper moral issues that must be addressed if a policy prescription is to be well grounded.
Article
The adoption of the ASEAN Human Rights Declaration on 18 November 2012 represents an important stage in the development of the human rights system of the Association of Southeast Asian Nations (ASEAN). It follows commitment to the establishment of a regional human rights body in the ASEAN Charter of 2007 and the establishment of the ASEAN Inter-governmental Commission on Human Rights (AICHR) in 2009. This article argues that the ASEAN Human Rights Declaration consists of three constitutive elements: politics (or a political context), process and product. It examines each in turn, arguing that the product is less important than the process and political context that shaped it. It concludes by mapping out possible future directions in the development of the ASEAN human rights system.
Chapter
»Humanismus« ist ein junger, offener - und daher umstrittener - Begriff. Hubert Cancik zeichnet in diesem Band die Wurzeln des Humanismus nach, die aus Konzepten bestehen, die in Philosophie und Kunst, Ethik und Politik, Wissenschaft und Recht der Antike entwickelt wurden. In von Brüchen und Verwerfungen gekennzeichneten Rezeptionsschüben sind diese in die europäische Geschichte eingegangen und haben beim Aufbau einer zivilen Gesellschaft und der Proklamation der Menschenrechte mitgewirkt. Deren Anspruch, Gemeingut aller Menschen zu sein, unabhängig von Ethnien, Religionen, Klassen und Machtmitteln, ist, so zeigt dieses Buch, die Basis eines kritischen Humanismus, also des Angebots, eine Welt-Gesellschaft menschlich zu denken.