Content uploaded by Henriette S. Haas
Author content
All content in this area was uploaded by Henriette S. Haas on Oct 24, 2021
Content may be subject to copyright.
Psychologische Gesprächsführung:
Das Geständnis
Henriette Haas 2002
Vo r tr a g v o r d er S ta at s an w a lt s ch a ft des Kantons St.Gallen
2
Die Befragung als Doppel-Trichter
(mit Ideen von Th. Hansjakob & Ch. ILL)
1. Vor-Phase: Personalien, Erklärungen gemäss StPO
2. Offene Phase: Kognitives Interview, aktives Zuhören
3. Unspezifisches Nachfragen: W-Fragen
4. Spezifisches Nachfragen und Klären (Vorhalte)
5. Verhör-Taktiken zum Aufdecken von Unwahrheiten,
direkte Konfrontation
6. Das Geständnis: Täterwissen detailliert erfragen
7. Vertief end e Fr agen zu r K ausa lität u nd zur sub jekti ven
Schuld
Kog. Int.
®
W-Frag
®
Vorha.
®
Verhör
®
Geständnis
®
Täterwis.
®
Kausalität
®
sub Schuld
3
Das Geständnis
>Das Geständnis ist die zentrale Zeugenaussage an sich.
>Statistisch gesehen vermindert die Abwesenheit eines
Geständnisses die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung
beträchtlich (Ribeaud & Manzoni).
>Falsche Geständnisse unterscheiden von richtigen, indem
man detailliertes Täterwissen erfragt (ebenso Motive der
Tat und des Geständnisses).
4
Die falsche Selbstbezichtigung
>Ein schlechter Scherz (bei Jugendlichen)
>Schuldwahn bei depressiver Psychose
>Geltungsbedürfnis = im Fall Olaf Palme mehr als 1000
Selbstbezichtigungen
>Mythomanie, Münchhausen-Syndrom, chronische Lügner
>um eine Person zu schützen,
>wegen Erpressung oder Bestechung (white collar z.B.
Bankangestellter, der die Schuld für eine Geldwäscherei
auf sich nimmt und dafür « abgefunden » wird, org.
Verbrechen)
5
Das Geständnis als Beziehungsangebot
>Ein Geständnis beruht immer auf einer Form von
Beziehung zwischen den Beschuldigten und dem UR
>Der UR soll auf Signale, welche eine Beziehungssuche
beinhalten achten und solche Angebote pflegen.
>Im Geständnis manifestieren sich alle Phänomene der
Psychopathologie d.h. die Beziehung kann auch eine sehr
pathologische sein.
>der Angeschuldigte möchte bewundert werden,
>verstanden werden,
>einen Freund haben,
>möchte gerne triumphieren über jemanden,
>jemanden «zur Sau machen»,
>sich klüger fühlen, oder auf die gleiche Ebene kommen
6
Normale Motive für das Geständnis
>Schuldgefühle können ein Motiv sein, sind es aber nicht in
jedem Fall.
>Hinter echten Schuldgefühlen steht der Wunsch, trotz
seinen Fehlern geliebt zu werden. z.B. Pilot, welcher die
Atombombe auf Hiroschima abwarf.
>Der Wunsch zu sühnen und wieder gut zumachen (bei
Verke hrst ätern , de ren sub jektiv e S chu ld g ering ist)
>Sich vom Stress und der Angst entdeckt zu werden
befreien.
>Hat andere (falsche) kulturelle Erwartungen an die Justiz,
glaubt damit davon zu kommen, glaubt an eine
Kronzeugenregelung.
>Einsamkeit durch Isolation in U-Haft.
7
Neurotische Motive
>Magisches Denken: Gott straft sofort, er sieht alles
>Die Erfahrung in der Therapie mit Drogenabhängigen hat
folgendes gezeigt:
>Manche Drogensüchtigen wollen sich manchmal quasi
psychisch « entleeren » und erzählen dann das ganze
Elend. Dies tritt vor allem beim Erstkontakt auf, da dann
die Ängste vor zwischenmenschlicher Nähe noch klein
sind, das Bedürfnis sich jemandem anzuvertrauen aber
gross ! Eine solche Gelegenheit muss man sofort ergreifen
und nötigenfalls die Einvernahme zeitlich verlängern.
Diese Klienten haben nämlich in aller Regel beim nächsten
mal Angst (und zwar vor der Nähe in der Beziehung und
nicht wegen der Konsequenzen). Dann kommen sie
unabgemeldet nicht und sie öffnen sich auch nicht mehr.
8
Persönlichkeitsgestörte Motive
>Abwehr von Schuldgefühlen: die Gesellschaft und das
Gesetz gewaltsam verändern -ich mache was ich will.
>Der Wunsch trotz der Gesetzesüberschreitung als
moralisch-guter Mensch geachtet zu werden, bei
narzisstischen Persönlichkeiten mit idiosynkratischer
Auslegung des Rechts, z.B. politisch motiviertem
Vanda lism us, He lfers ynd rom mi t Üb erid entif izier ung ,
Wirtschaftsdelikten oder bei Veruntreuung um Löcher zu
stopfen
>Selbstzerstörerisches Ve rh alten , Se lbst hass , Wuns ch n ach
Bestrafung, Masochismus
9
Psychopathische Motive
>Geltungsbedürfnis und Prahlerei: ich bin der grösste
Kriminelle aller Zeiten; ich bin eiskalt; seht wie ich Euch
allen ein Schnippchen geschlagen habe
>Herostrat, der 356 v. Ch. den Artemis-Tempel (eines der 7
Weltwunder) in Ephesos anzündete um berühmt zu werden)
>Rache an Komplizen, Rache an den Eltern
>Lust am Risiko, Spiel mit den Behörden
>Das Geständnis als Zugeständnis, um wichtigere Vorgänge
zu verdecken
>Das Geständnis im Sinne einer erpresserischen Ehrlichkeit,
damit man im Gefängnis dann die besseren Karten in der
Hand hat, um seine Besserung zu beweisen
10
Geisteskranke und schwachsinnige Motive -
Unzurechnungsfähigkeit
>Eigentliche Unzurechnungsfähigkeit: der Täter ist sich des
Unrechts gar nicht bewusst und hat deshalb keine
Hemmungen.
>Psychose: z.B. die Stimmen haben befohlen zu gestehen.
>Schwachsinn oder Demenz: Plaudern unkontrolliert.
11
Der sekundäre Gewinn durch das Justizsystem
>Wunsch ins Gefängnis zu kommen (Obdachlose im
Winter).
>Illegal anwesende Ausländer, welche in ein Kriegsgebiet
ausgeschafft würden oder in die Armee eingezogen
würden.
>Unfähigkeit ausserhalb einer Institution zu leben,
Hospitalismus, Drehtür-Effekt
>Geltungsbedürfnis: man verkehrt von nun an mit Richtern,
Anwälten, Psychiatern etc. statt mit Verkäuferinnen und
Hilfsarbeitern
12
Feststellen von Kausalität
>Was ist Kausalität in den Sozialwissenschaften ?
>Gemäss teleologischer Definition in Anlehnung an
Aristoteles (zit. in Nordby (2000, S.204):
>Was (und wer) hat den Prozess, der zum Delikt
führte, in Gang gebracht ?
>Welche Mittel wurden dazu verwendet ?
>Wie wurde das Ganze durchgeführt ?
>Welches Ziel wurde dabei verfolgt ?
13
Kausalität : situative Aspekte der Tat
>Was war geplant, wie sollte das ausgeführt werden, wurde
das Geplante erreicht oder war es kein „Erfolg“ ?
>Wie war die Dynamik des Geschehens, passierten
unvorhergesehene, ungeplante Dinge ?
>Gruppendynamik: wer ist Anführer, wer Mitläufer, wer hat
angestiftet, wer hat andere bedroht und zum Mitmachen
gezwungen ?
>Gibt es Mitwisser ?
14
Beziehungsdynamik unter Komplizen
>Natur von Komplizenbeziehungen: zusammen gegen das
Gesetz = paranoide Beziehungsbasis.
>Das Gefangenen Dilemma (Watzlawick).
>Wenn es mehrere Täter gibt, ist meistens einer Anführer
(starke Persönlichkeit) und die andern sind Mitläufer,
schwache Persönlichkeit.
>Die Schwachen gestehen eher.
>Geständnis um sich einen persönlichen Vorteil
herauszuholen, den andern ans Messer zu liefern.
>Menschliche Beziehungen ändern sich im Lauf der Zeit -
nach Jahren -kann ein Geständnis ev. doch noch kommen.
15
Erfassen der subjektiven Schuld
>Wie rechtfertigt sich der Beschuldigte gegenüber dem
Unrecht seiner Handlungen ?
>Kennt er die gesetzlichen Normen ?
>Sieht er das Unrecht ? Kennt er die gesellschaftlichen
(kulturellen) Normen ?
>Konnte er sein Verhalten entsprechend seinen Einsichten
steuern ?
>In welchem Zusammenhang steht die Tat mit der
Persönlichkeit des Beschuldigten und seiner Entwicklung ?
>Wie sieht er seine Lebensgeschichte ?
>Hier müssen bereits vor der psychiatrischen Begutachtung
einige Pflöcke eingeschlagen werden !
16
Mühsame umständliche Klienten
>Schwatzhafte Zeugen, die ihr ganzes Leben erzählen
wollen.
>Der UR in « Arztfunktion »: Endlich haben sie eine
«wichtige » Person gefunden, der sie das Unrecht der Welt
anvertrauen können
>Dialog sanft umlenken auf Sachverhalt
>Falls der Fall wichtig ist: dem Zeugen sagen, seine
Aussage zur Sache sei sehr wertvoll, loben
>Falls der Fall unwichtig ist, subtil in Frage stellen, ob der
Zeuge überhaupt etwas Relevantes zu sagen hat, da er ja
nie zur Sache kommt
17
Literaturliste
Bender & Nack (1995) : Tatsachenfeststellung vor Gericht. München.
Farrelly F. & Brandsma J.M. (1986) : Provokative Therapie. Springer-Ver la g, B er li n.
Fisher R., Geiselmann R., Raymond D., Jurkevich L. & Warhaftig M. (1987) : « Enhancing enhanced
eyewitness memory :Refining the cogitive interview. » Journal of Police Science and
Administration, 15,291-97.
Fisher R., Geiselmann R. & Amador M. (1989) : « Field test of the cognitive interview :Enhancing the
recollection of actual victims and witness of crime. » Journal of Applied Psychology, 74,722-727.
Geiselmann, Fisher, Mackinnon & Holland (1985) : “Eyewitness memory enhancement in police
interview: cognitive retrieval mnemonics versus hypnosis.” Journal of Applied Psychology, 70, 401-
412.
Manzoni P. & Ribeaud D. (1996) : Die Beurteilung von Gewaltkriminalität durch die Justizinstanzen am
Beispiel Basel-Stadt.Lizentiatsarbeit phil.Fakultät I. Universität Zürich.
Nordby. J. (2000) : Dead Reckoning.The Art of Forensic detection.CRC Press Was hingto n D.C.
Rogers C. (1973): Le développement de la personne.Dunod, Paris.
Ross, Read & Toglia (Eds.) (1994): Adult Eyewitness Testimony. Cambridge University Press.
Schooler J. & Engstler-Schooler T. (1990): « Verb a l overshadowing of visual memories:Some things are
better left unsaid.».Cognitive Psychology,22,36-71.
Watzlaw ick P., Beavin J. & Jackson D. (1967) : The Pragmatics of Human Communication. A Study of
Interactional Patterns, Pathologies, and Paradoxes.Norton &Co.New York .
Yes c hk e C. (1997): The Art of Investigative Interviewing.Butterworth-Heinemann Boston.