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RENÉ KREMPKOW
Karriereperspektiven für Nachwuchsforschende
in Deutschland
Abstract
Der Beitrag gibt einen Überblick über Karriereperspektiven für Nach-
wuchsforschende in der Wissenschaft in Deutschland. Er stellt hierfür
ausgewählte empirische Ergebnisse des dritten BuWiN (2017) sowie von
Vorläuferberichten zum Thema vor, ordnet diese ein und ergänzt sie um
aktuelle Ergebnisse. Schwerpunkte bilden hierbei die Planbarkeit, Berechen-
barkeit und Transparenz der Karriereperspektiven in der Wissenschaft auf
dem Weg zur Professur, die Leistungsselektivität und Chancengerechtigkeit,
sowie die Entwicklung der befristeten bzw. unbefristeten Stellen und damit
der Chancen auf eine unbefristete Stelle neben der Professur. Darüber hi-
naus diskutiert der Beitrag einige gängige Erklärungen für die Entwicklun-
gen in den letzten Jahren anhand empirischer Daten, wie den Zusammen-
hang von Drittmittelfinanzierung und Befristung sowie wissenschaftlicher
Qualifizierung und Befristung. Schließlich werden im Ausblick Gestaltungs-
möglichkeiten für Politik und Hochschulen zur Weiterentwicklung der Kar-
riereperspektiven für Nachwuchsforschende aufgezeigt.
Dr. René Krempkow
Stabsstelle Qualitätsmanagement, Humboldt-Universität zu Berlin
E-Mail: rene.krempkow@uv.hu-berlin.de
H. A. Mieg, C. Schnell, & R. E. Zimmermann (Hrsg.). (2021). Wissenschaft als
Beruf. Wissenschaftsforschung Jahrbuch 2020. Wissenschaftlicher Verlag Berlin.
René Krempkow
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30!
1. Planbarkeit, Berechenbarkeit und Transparenz der Karrie-
reperspektiven in der Wissenschaft
Wie sehen die Karriereperspektiven in der Wissenschaft aus und wie haben
sie sich in den letzten 15 Jahren entwickelt? Eines der am meisten diskutier-
ten Ergebnisse aus den Bundesberichten Wissenschaftlicher Nachwuchs
(BuWiN 2017, 2013, 2008) waren (neben dem Befristungsanteil) die Plan-
barkeit und Chancengerechtigkeit für den wissenschaftlichen Nachwuchs in
Deutschland.
1
Zum Thema Planbarkeit der Berufsperspektiven heißt es im
BuWiN (2017, S. 58):
2
„In der öffentlichen Diskussion der vergangenen
Jahre sind die (mangelnde) Planbarkeit einer akademischen Karriere sowie
die (unsicheren) Karriereperspektiven insbesondere von Post-docs an
Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen in den Mit-
telpunkt gerückt. In zahlreichen Stellungnahmen und Beiträgen unter-
schiedlicher Akteure wird vor allem die sogenannte Flaschenhalsproblema-
tik thematisiert: So steht einer großen Anzahl an Nachwuchswissen-
schaftlerinnen und -wissenschaftlern eine vergleichsweise geringe Zahl
vakanter oder frei werdender Professuren gegenüber.“ Demnach hat nur
jede/r 24. Promovierte eine statistische Chance auf eine Professur. Im Bu-
WiN gibt es bislang keine differenzierten Berechnungen der in den einzel-
nen Fächerkulturen sehr unterschiedlichen Berufungschancen.
3
Hinzu
!
1
Hier wird – obgleich kritikwürdig – Begrifflichkeit und Definition des BuWiN
(2017, S. 65f.) übernommen. Zentrale Definitionsmerkmale sind demnach eine
wissenschaftliche Tätigkeit (d.h. Forschung und Lehre) und das Alter der Perso-
nen, sowie das Verfolgen einer wissenschaftlichen Qualifikation. Insbes. zählen
dazu Promovierende, andere Wissenschaftler*innen ohne Promotion in wissen-
schaftlicher Lehre und Forschung (bis unter 35 Jahre), Habilitierende, Nach-
wuchsgruppenleiter*innen, Juniorprofessor*innen, andere Wissenschaftler*innen
mit Promotion in wissenschaftlicher Lehre und Forschung (bis unter 45 Jahre).
2
Andere aktuelle größere Studien hierzu sind nicht bekannt, allerdings ist eine von
der Max-Traeger-Stiftung in Arbeit zu: „Entwicklung der Arbeits- und Beschäfti-
gungsbedingungen in der Wissenschaft. Eine Längsschnittanalyse (2007-18); deren
Ergebnisse sollen im Herbst 2020 vorliegen. Die Ergebnisse einer 2020 beauftrag-
ten Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes werden laut Bundesministe-
rium für Bildung und Forschung (BMBF 2020, S. 3) erst „voraussichtlich im Früh-
jahr 2022 präsentiert“.
3
Im BuWIN selbst (2017, S. 194) finden sich zwar fächerunspezifische Zahlen zu
Berufungschancen. Diese zeigen für 2014 das Verhältnis von insgesamt 45.378
Bewerbungen zu insgesamt 2.007 erfolgreichen Berufungen, also eine Relation
von 1:24 (oder 4%). Das Problem dieser Zahlen zu Berufungschancen ist aber,
dass sie aus der Vergangenheit direkt auf die Zukunft schließen, ohne die voraus-
Karriereperspektiven für Nachwuchsforschende 31
!
kommt nicht nur die stark gestiegene Anzahl der Nachwuchsforschenden
(siehe auch weiter hinten die Ausführungen im 3. Gliederungspunkt)
4
–
und diese ist deutlich stärker gestiegen als die Zahl der Professuren und der
weiteren unbefristeten Beschäftigungsverhältnisse. Vielmehr gibt es noch
vier weitere im BuWiN als kritisch eingeschätzte zentrale Aspekte zur Plan-
barkeit und Transparenz: Erstens resultiere aus der Gleichzeitigkeit bereits
etablierter (Habilitation) und neuer Zugangswege (v.a. Juniorprofessur,
Nachwuchsgruppenleitung oder anderweitig erbrachte habilitationsadäquate
Leistungen) eine gewisse Unübersichtlichkeit, „die nur schwer zu durch-
dringen und international kaum zu vermitteln ist. Zweitens erfolge die Be-
rufung in Deutschland erst spät im Lebens- und Karriereverlauf. Drittens
herrsche eine vergleichsweise geringe Transparenz bei den Berufungsver-
fahren (was sich insbesondere für Nachwuchswissenschaftlerinnen negativ
auswirke). Und viertens sei in Deutschland die Berufung auf eine Professur
an derselben Hochschule, an der die Postdoc-Phase verbracht wurde, nur in
begründeten Ausnahmefällen möglich, woraus sich insbesondere im Zu-
sammenfallen mit der Familiengründungsphase für viele Nachwuchsfor-
schende ein hinderliches, sehr hohes räumliches Mobilitätserfordernis ergibt
(vgl. BuWiN 2017, S. 59). Zusammenfassend heißt es hierzu (ebd.): „Insge-
samt stimmen die verschiedenen Akteure in der Problemdiagnose in hohem
Maße überein, und es wird politischer Handlungsbedarf gesehen.“ (vgl.
auch Wissenschaftsrat 2004).
Zusammenfassend lässt sich zur Planbarkeit i.S.v. Berechenbarkeit der
Karriereperspektiven in der Wissenschaft formulieren: Die im BuWiN 2017
verfügbaren Zahlen zu Berufungschancen haben zwar nur begrenzte Aus-
sagekraft für die zukünftige Situation, aber sie ermöglichen es in Verbin-
dung mit weiteren Datenquellen, die Berufungschancen auch differenziert
nach Fächerkulturen einzuschätzen: Diese sehen in den Ingenieurwissen-
schaften mit ca. 1:5 um ein mehrfaches besser aus als in den Sozialwissen-
schaften mit ca. 1:20 (Krempkow 2017a).
5
Diese Informationen dürften
!
sichtlich freiwerdenden Professuren zu berücksichtigen, und ohne die Unterschie-
de der Fächerkulturen zu berücksichtigen – obwohl dies zu berechnen möglich ist
(vgl. hierzu Krempkow 2017a).
4
Dieser Beitrag ist die grundlegend überarbeitete und gekürzte Fassung eines frühe-
ren Textes (Krempkow 2020).
5
Auf längere Sicht sollte noch eine bessere Datenbasis und -aufbereitung geschaf-
fen werden, insbes. auch für Berufsperspektiven in der Wissenschaft neben der
Professur, inkl. des Berufsfeldes Wissenschaftsmanagement (vgl. hierzu ein aktuel-
les BMBF-Projekt in URL: www.kawum-online.de).
René Krempkow
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32!
auch dabei helfen, Nachwuchsforschenden eine bewusste Entscheidung für
(oder gegen) einen dauerhaften Verbleib im Wissenschaftssystem zu ermög-
lichen und letztlich, „die Besten gewinnen“ zu helfen (vgl. hierzu ausführli-
cher Krempkow 2017b).
2. Leistungsselektivität und Chancengerechtigkeit
Ein wie gerade angedeutet mit der Planbarkeit zwar verwandtes, aber davon
zu unterscheidendes Thema, welches im BuWiN (2017) – auch mangels
zum damaligen Zeitpunkt noch nicht vorliegender aktuellerer Studien – nur
v.a. bezogen auf Gender vorkam, ist die Leistungsselektivität und Chancen-
gerechtigkeit, insbesondere für am Verbleib in der Wissenschaft interessier-
te Promovierte.
6
Hierzu gibt es inzwischen neuere Studien, die bei diesem
Thema eine besondere Dringlichkeit der Aspekte Leistungsselektivität und
Herkunftsungleichheiten nahelegen (vgl. ausführlicher Krempkow 2019, S.
28f.).
7
Angesichts in den nächsten Jahren anstehender etlicher Tenure-
Entscheidungen im Rahmen des 1.000 Tenure-Track-Professuren-Pro-
gramms des Bundes und der Länder (und darüber hinaus geschaffener
Tenure-Professuren) erhält dies besondere Relevanz. Denn für Karrierewe-
ge in der Wissenschaft könnte dies ein wichtiges positives Signal für mehr
Berechenbarkeit und tatsächliche Umsetzung des Leistungsprinzips sein.
8
Diese Signalwirkung kann aber nur entstehen, wenn die Leistungsselektion
funktioniert. Anderenfalls könnte es auch ein sehr ernüchterndes Signal
sein. Ergebnisse aus zwei jüngeren Veröffentlichungen zu diesem Aspekt
werden daher hier nachfolgend zusammengefasst.
Zentrale Ergebnisse einer jüngsten Studie zu Juniorprofessuren von
Zimmer (2018) sind, dass zwar rund drei Viertel der Juniorprofessuren den
Sprung in eine unbefristete Professur schaffen,
9
weshalb die Juniorprofes-
sur keineswegs als gescheitert anzusehen sei. Dabei ist aber in Anlehnung
!
6
Es gibt im jüngsten BuWiN (2017) durchaus Hinweise darauf. So findet u.a. die
vergleichsweise geringe Transparenz bei Berufungsverfahren kritische Erwähnung
(ebd., S. 59). Dies wird jedoch nicht vertiefend diskutiert.
7
Nachfolgender Abschnitt ist eine Zusammenfassung des Beitrages, auf den hier
verwiesen wird.
8
Wenngleich es rein zahlenmäßig – auf die Anzahl der Hochschulen und die An-
zahl in Frage kommender Nachwuchsforschender gerechnet – nur ein Tropfen
auf den heißen Stein zu sein scheint, ist die Signalwirkung nicht zu unterschätzen.
9
Zu ähnlichen Ergebnissen beim Berufungserfolg kamen frühere Studien (Burk-
hardt/Nickel 2015, S. 310; Bunia 2014).
Karriereperspektiven für Nachwuchsforschende 33
!
an Bourdieu (1992) für den Berufungserfolg v.a. soziales Kapital ein starker
Einflussfaktor, und nicht etwa wissenschaftliches Kapital: Wichtige Ein-
flussfaktoren auf den Berufungserfolg sind demnach im Einzelnen v.a.
Kontakte in die Professorenschaft und Aufenthalt(e) an Universitäten der
Ivy League (USA) oder des Golden Triangle (UK).
10
Als eigenes wissen-
schaftliches Kapital bzw. als Leistungskriterien wahrgenommene Einfluss-
faktoren wie Zeitschriftenartikel mit Peer Review, Drittmittelprojekte oder
Konferenzbeiträge hatten dagegen keine statistisch nachweisbaren Effekte
11
auf den Berufungserfolg (vgl. Zimmer 2018, S. 262). Wenngleich die Studie
eine sehr gute Rücklaufquote hatte (56%) und bezüglich Fächergruppenver-
teilung sowie Hochschultypen als der bundesdeutschen Verteilung sehr
ähnlich eingeschätzt wurde, musste sie sich aus Ressourcengründen auf drei
Bundesländer beschränken (Rheinland-Pfalz, Hessen und Saarland) und
sparte Exzellenzuniversitäten aus. Letzteres ist besonders bedauerlich,
schließlich wäre bei Exzellenzuniversitäten eine noch stärkere soziale Selek-
tivität zu vermuten. Dass es nur eine "Kinderkrankheit" der Juniorprofessur
ist, kann kaum als zutreffend angenommen werden. Denn die Ergebnisse
bzgl. Leistungsselektion vs. anderen Einflussfaktoren decken sich in ihrer
Grundtendenz auch mit anderen jüngeren Analysen. Demnach ist der Zu-
gang zur Professur insgesamt nach den bisher vorliegenden über mehrere
Jahrzehnte vergleichbaren Ergebnissen so sozial selektiv wie noch nie in
den letzten 50 Jahren. Hierbei ist die Juniorprofessur allerdings im Ver-
gleich besonders sozial selektiv (vgl. Möller 2018, S. 266, 269). Leider be-
zieht sich deren Studie zwar auf das größte Bundesland Deutschlands,
NRW, aber nur auf eines. Aktuelle bundesweite Studien, die über einzelne
Fächer hinausgehen, sind nicht verfügbar.
Eine starke soziale Selektivität ist nach den verfügbaren Informationen
aber im deutschen Hochschulsystem insgesamt weit verbreitet und nicht auf
den Zugang zur Professur beschränkt, wenngleich für das Studium in den
letzten Jahrzehnten eine gewisse soziale Öffnung festzustellen war. Viel-
!
10
Andere Studien zeigen, dass solche Aufenthalte an ausländischen Hochschulen
insbesondere Angehörige aus höheren sozialen Schichten in ihren Bildungsbiogra-
fien vorweisen können, womit dies keineswegs umstandslos als Signal für beson-
dere Leistungsfähigkeit gelten kann (vgl. Jaksztat 2018). Darüber hinaus finden
sich geschlechterdifferente Effekte der Elternschaft auf das Mobilitätsverhalten
(vgl. ebd.) dahingehend, dass Mütter seltener Auslandsaufenthalte haben.
11
Darüber hinaus finden sich in einzelnen Fächergruppen teilweise etwas abwei-
chende Ergebnisse, was auch hier auf eine starke fachkulturelle Prägung hindeutet
(vgl. ausführlicher Zimmer 2018).
René Krempkow
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34!
mehr zieht sich die soziale Imbalance in unterschiedlicher Ausprägung
durch alle Qualifikationsstufen des deutschen Bildungs- und Hochschulsys-
tems. Dies zeigte auch der Schwerpunktteil im Hochschul-Bildungs-Report
2017/18 des Stifterverbandes (Krempkow 2017c): Danach hat ein Akade-
mikerkind von der Grundschule an über alle Qualifikationsstufen hinweg
gesehen etwa dreimal so hohe Chancen auf einen Bachelor und sogar
zehnmal so hohe Chancen, eine Promotion abzuschließen, wie ein Nichtak-
ademikerkind. Beim Zugang zur Professur ist die Chance von Akademiker-
kindern dann nach Möller (2018, S. 266) noch einmal vierfach höher. Auch
Möller (2018, S. 266) kam zudem im Zeitvergleich zu dem Schluss, dass
sich nicht nur der Zugang zur Professur, sondern auch der Zugang zur
Promotion für untere Sozialschichten im zuletzt betrachteten Jahrzehnt
spürbar verengt hat.
12
Sie sieht hier auch einen Zusammenhang mit der
zeitgleich stattgefundenen "Prekarisierung" der Beschäftigungsbedingungen
in der Wissenschaft.
3. Entwicklung der befristeten und unbefristeten Stellen in den
letzten 15 Jahren
Wie sieht es nun aus mit den Karriere- bzw. Berufsperspektiven für Stellen
neben der Professur, z.B. für unbefristeten Stellen als Forschungskoordina-
tor*in o.ä.? Hierfür sind der Anteil der Befristungen bzw. der unbefristeten
Stellen in der Wissenschaft und ihre Entwicklung zu betrachten. Die jüngs-
ten verfügbaren Daten zur Befristung sind die aus dem BuWiN und stam-
men aus den Jahren vor 2017. Wo es möglich ist, werden daher neuere
Daten hinzugezogen, so vom Statistischen Bundesamt. Dem BuWIN zu-
folge lag der Befristungsanteil zuletzt bei 93%
13
und ist damit innerhalb
!
12
Zu ähnlichen Ergebnissen, dass die Herkunftsungleichheiten analog den ge-
schlechtsbezogenen Ungleichheiten beim Promotionsübergang in den letzten
Jahrzehnten zunahmen, kam auch Jaksztat (2018) anhand einer Analyse von sechs
Kohorten eines Absolventenpanels, sowie weitere dort zitierte Analysen.
13
An außeruniversitären Forschungseinrichtungen lag der Anteil mit 84% etwas
niedriger (BuWiN 2017, S. 129). Außerdem heißt es: „Die Befristungsanteile in
anderen Sektoren des Arbeitsmarkts sind auch unter Berücksichtigung des Alters
und der Qualifizierung deutlich niedriger.“ So lag er in der Privatwirtschaft in For-
schung und Entwicklung bei 9% (ebd., S. 130). Im Wissenschaftsmanagement in
Deutschland sind aktuell 28% befristet beschäftigt (vgl. Höhle/Krempkow 2020,
S. 59). Dessen Relevanz als Berufsfeld unterstreicht neben dem Anteil von Wis-
senschaftsmanager*innen mit abgeschlossener Promotion (52%, ebd.) auch der
Karriereperspektiven für Nachwuchsforschende 35
!
einer Dekade erheblich gestiegen (2005: 86%; vgl. BuWiN 2017, S. 127).
Zugleich stieg lt. BuWiN (2017, S. 88) nicht nur der prozentuale Anteil der
Befristungen, sondern auch die absolute Zahl der betroffenen Personen: So
beträgt die Anzahl der Promovierenden nach den letzten Berechnungen des
Statistischen Bundesamtes zum Jahr 2016 ca. 200.000, im frühesten iden-
tisch berechneten Jahr 2010 waren es ca. 180.000 (vgl. ausführlich Häh-
nel/Schmiedel 2017, S. 114).
14
Insbesondere ist auch die Anzahl der Promovierten, also der Personen
mit abgeschlossener Promotion, in den letzten Jahren deutlich gestiegen: Wa-
ren es 2005 ca. 25.000, so stieg deren Zahl zwischenzeitlich (Stand 2016)
auf fast 30.000, um nach den letzten Zahlen des Statistischen Bundesamtes
(Stand 2018) auf ca. 28.000 wieder etwas zu sinken. Ein Teil der Promovier-
ten qualifiziert sich weiter (ca. 50.000, vgl. Krempkow 2016), eine anderer
arbeitet ohne wissenschaftliche Weiterqualifikation in der Wissenschaft.
15
Insgesamt sind als hauptberufliches wissenschaftliches Personal (ohne
Professuren) an Hochschulen und (öffentlich finanzierten) außeruniversitä-
ren Forschungseinrichtungen in Deutschland nach Daten des Statistischen
Bundesamtes im Jahr 2018 185.311 Personen beschäftigt; im Jahr 2005
waren es nur 119.785. Dies entspricht einer Steigerung um über 50%.
16
Und
hierbei wurden weitere mehr als 140.000 per definitionem nebenberufliche
Beschäftigte noch nicht mitgezählt: Deren Anzahl stieg ebenfalls sehr
!
BuWiN (2017, S. 196), der auch die Zahl von 25.000 in diesem Bereich Beschäf-
tigten nennt.
14
Entgegen der ersten Erhebung des Statistischen Bundesamtes (vgl. StBA 2011, S.
24) zur Anzahl der Promovierenden, die auf ca. 200.400 kam, wurde diese Zahl in
späteren Berechnungen durch Zurückrechnen auf 182.800 korrigiert (vgl. Häh-
nel/Schmiedel 2017, S. 114). Damit bestätigt sich im Nachhinein eine Kritik, dass
der Berechnungsansatz der ersten Erhebung des Statistischen Bundesamtes die
Anzahl deutlich überschätzte (vgl. Krempkow 2012). Aktuellere und genauere
bundesweite Berechnungen zur Anzahl der Promovierenden gibt es derzeit nach
eigener Einschätzung des Statistischen Bundeamtes nicht (vgl. Vollmar 2019).
15
Leider ist die genaue Anzahl der Personen in Deutschland, die sich in einer Post-
doc-Phase wissenschaftlich qualifizieren, unbekannt. Schätzungen (u.a. auf Basis
des Indikatorenmodells für die Berichterstattung zum wissenschaftlichen Nach-
wuchs 2014) lagen zuletzt bei 50.000 (+/- 13.000) Personen (vgl. Krempkow
2016). Im BuWiN (2017, S. 92) wird eine ca. 7-fach höhere Zahl aller Promovier-
ten bis 45 Jahren genannt – unabhängig davon, ob sie in einer wissenschaftlichen
Qualifikation sind oder (meist ohne Rückkehrabsicht) in der Privatwirtschaft,
weshalb dies als ungeeignet zu betrachten ist.
16
Vergliche man es mit Mitte der 90er Jahre, wäre es sogar etwa eine Verdopplung
(vgl. Gassmann 2020, S. 36).
René Krempkow
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36!
stark.
17
Insgesamt arbeiten deutlich mehr Personen als wissenschaftliche
Mitarbeiter*in als letztlich promovier(t)en.
18
So werden letztlich immer
mehr Daueraufgaben von befristetem Hochschulpersonal erledigt, was die
Perspektiven auf einen dauerhaften Verbleib in der Wissenschaft entspre-
chend negativ beeinflusst. Damit wird zugleich eine Tätigkeit in der akade-
mischen Wissenschaft weniger attraktiv
19
– worauf auch im Zusammenhang
mit dem Thema Planbarkeit und Berechenbarkeit bereits eingegangen wur-
de.
Angesichts des oft bei Drittmittelfinanzierung vertretenen Argumen-
tes, dass der Befristungsanstieg zwangsläufig damit zusammenhänge, stellt
sich hierzu noch die Frage: Inwieweit kann dies empirisch bestätigt werden?
Zwar liege es laut BuWiN (2017, S. 29) tendenziell auch an einer Zunahme
des drittmittelfinanzierten Personals, da Drittmittel in der Regel für zeitlich
begrenzte Projekte gewährt werden. Denn wissenschaftliche Mitarbeiter*in-
nen, die über Drittmittel finanziert werden, sind häufiger befristet beschäf-
tigt. Allerdings ist auch der Befristungsanteil der über Grundmittel finan-
zierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seit dem Jahr 2000 gestiegen (vgl.
ebd.). Hinzuzufügen ist, dass der Befristungsanteil schneller stieg als die
Drittmittel. Zudem fokussierte die „sehr kritische Diskussion bezüglich der
Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ als einen der Hauptkritikpunkte
!
17
Das nebenberufliche wissenschaftliche und künstlerische Personal umfasste lt.
BuWiN (2017, S. 97) im Jahr 2014 insgesamt 144.905 Personen. Hiervon waren
98.944 Lehrbeauftragte und 44.314 wissenschaftliche Hilfskräfte, der Rest Gast-
professor/inn/en/ u.ä.. Insbesondere in der Gruppe der wissenschaftlichen Hilfs-
kräfte zeigt sich seit 2000 ein starker Anstieg (Faktor 3,3). Auch die Gruppe der
Lehrbeauftragten wuchs deutlich (Faktor 2,1).
18
Für eine ähnliche Interpretation vgl. Gassmann (2020, S. 44). Dafür sprechen auch
im Rahmen des ersten BuWiN (2008) durchgeführte Analysen: Demnach lag der
Anteil derjenigen Hochschulabsolventen, die ca. ein Jahr nach Abschluss angaben,
eine Promotion anzustreben, bei 23-33% (ohne Medizin, vgl. Burkhardt 2008).
Tatsächlich einen Promotionsabschluss erwarben innerhalb von 4-5 Jahren ledig-
lich 14%. Auch lt. Briedis (2007), arbeiten seit langem deutlich höhere Anteile von
Hochschulabsolvent*innen als wissenschaftliche Mitarbeiter*in als promovier(t)en.
19
Über vier Fünftel der Promovierenden sehen als längerfristiges berufliches Ziel
ihrer Qualifikation nicht die Professur (und nur dafür ist eine Promotion zwin-
gende Voraussetzung), sondern die Mehrheit sieht sich in einer Tätigkeit in der
Wirtschaft (67%) oder in der Wissenschaft jenseits der Professur (19%); selbst
über die Hälfte der Promovierten sieht dies so (vgl. Krempkow u.a. 2016, S. 32,
ähnlich auch spätere Studien wie z. B. NACAPS, die am 27.02.2020 erste Ergeb-
nisse veröffentlichte: https://nacaps-datenportal.de/indikatoren/E1.html, sowie
…E2.html).
Karriereperspektiven für Nachwuchsforschende 37
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auch nicht allein den hohen Anteil bei Promovierenden oder Drittmittel-
beschäftigten, sondern insgesamt „den sehr hohen Anteil an wissenschaftli-
chen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an Hochschulen und außeruniversi-
tären Forschungseinrichtungen, die befristet beschäftigt sind“ (BuWiN
2017, S. 60). Wie bereits im BuWiN (2013, S. 184) dargestellt, ist der Befris-
tungsanteil bei angestellten wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen an Univer-
sitäten im Zeitverlauf ebenfalls deutlich gestiegen: Im Jahr 2005 betrug der
Anteil 80%, 2010 bereits 90%. Er ist seitdem bis 2018 nicht spürbar gesun-
ken.
20
Abbildung 1: Entwicklung der Befristungsanteile in Deutschland (eigene Darstel-
lung, Daten: Stat. Bundesamt)
!
20
Die Erhöhung der Befristung von zehn Prozentpunkten entspricht der Erhöhung
für die gesamten wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen an den Universitäten und
vergleichbaren Hochschulen, jedoch auf einem etwas höheren Niveau. In Gass-
mann (2020, S. 61) findet sich eine Fortschreibung der auf bundesamtlichen Daten
basierenden Zeitreihe nach derselben Systematik wie im BuWiN; demnach betrug
der Befristungsanteil 90% bzw. zuletzt 89%. Damit zeige sich kein Effekt der letz-
ten Änderung des WissZeitVG 2016, da der Rückgang von einem Prozentpunkt
nicht als Einfluss bewertet werden könne. Jedoch sei ebenfalls, wie zuvor, eine
Erhöhung wie nach der Einführung des WissZeitVG zu erkennen; von 2007 bis
2008 erhöhte sich der Befristungsanteil um vier Prozentpunkte. Demnach nutzten
die Universitäten die Befristungsmöglichkeiten des WissZeitVG ab 2007 (vgl.
Gassmann 2020, S. 62). Kritisch ist hierzu anzumerken, dass es sich lediglich um
einen zeitlichen Zusammenhang handelt, der zwar eine Kausalvermutung nahe-
legt, dies jedoch nicht zweifelsfrei empirisch belegen kann. !
René Krempkow
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Im BuWiN (2017, S. 60) heißt es zu diesem Thema: „Insbesondere
wird die Tatsache kritisch gesehen, dass ein unbefristetes Beschäftigungs-
verhältnis nicht nur für Promovierende, sondern auch für Promovierte an
Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen die Aus-
nahme darstellt.“ Ähnlich hatten sich zuvor auch die Expertenkommission
Forschung und Innovation der Bundesregierung – EFI (2016), die Hoch-
schulrektorenkonferenz – HRK (2015) und der Wissenschaftsrat – WR
(2014) geäußert und mehr unbefristete Stellen neben der Professur gefor-
dert.
Im März und April 2020 ist angesichts des Shut-down der Wissen-
schaftseinrichtungen in Deutschland im Zusammenhang mit dem Corona-
Virus das Befristungsthema erneut aufgeflammt. Bundesforschungsministe-
rin Anja Karliczek (CDU) teilte hierzu nach Forderungen u.a. von Nach-
wuchsforschenden- und Mittelbau-Initiativen im April mit, dass das Wiss-
ZeitVG um eine zeitlich befristete Übergangsregelung ergänzt wird: "Be-
schäftigungsverhältnisse zur Qualifizierung, die zwischen dem 1. März 2020
und dem 30. September 2020 bestehen, können zusätzlich um sechs Mona-
te verlängert werden.", heißt es auf vom BMBF (2020, S. 2) zum „Wissen-
schafts- und Studierendenunterstützungsgesetz“ (Bundestags-Drs. 19/
18699), welches im Mai vom Bundestag beschlossen wurde. Dadurch haben
die Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen als Arbeitgeber die Mög-
lichkeit, die Arbeitsverträge etwa für Promovierende und Habilitanden über
die bisherigen Höchstbefristungsgrenzen hinaus fortzusetzen. Ähnlich gilt
dies auch, wenn sich ein Forschungsprojekt aufgrund der aktuellen Aus-
nahmesituation verzögert (vgl. ebd.). Damit können sicherlich einige Pro-
jektabschlüsse gesichert werden und akute Notlagen gemindert werden, die
längerfristige berufliche Perspektive ändert dies nicht.
4. Ausblick auf Gestaltungsmöglichkeiten
Nachfolgend werden als Ausblick einige ausgewählte Beispiele aufgezeigt,
die Beispiele guter Praxis oder zumindest Anhaltspunkte für eine intensive-
re Befassung sein können. Hierbei geht es darum, Gestaltungsmöglichkeiten
aufzuzeigen; die ausführliche Erörterung bleibt eigenständigen Beiträgen
dazu vorbehalten.
Leistungsselektivität, Chancengerechtigkeit und Berechenbarkeit
fördern: Über attraktive Karrierewege hinaus – die Voraussetzung für ein
breites Rekrutierungspotential zwecks "Bestenauswahl" sind – wäre für eine
systematische Personalauswahl zur besseren Ausgewogenheit von Merito-
Karriereperspektiven für Nachwuchsforschende 39
!
kratie und persönlicher Passung noch Einiges zu tun (vgl. z.B. Peus u.a.
2015; Kanning 2017; Becker 2019). Mit transparent(er)en Verfahren und
Kriterien für die Entfristung von Tenure-Track-Professuren, wie sie 2019
auch an der Humboldt-Universität zu Berlin vom Senat beschlossen wur-
den, wäre ein wichtiger Schritt dafür getan. Dies kann dazu beitragen, dass
es künftig bei Tenure-Track-Professuren meritokratischer funktioniert als
bisher bundesweit bei den Juniorprofessuren (die bislang meist ohne echten
Tenure-Track auskommen müssen – vgl. Krempkow u.a. 2016). Auch bzgl.
sozialer Selektivität ist es keineswegs so, dass diese im deutschen Wissen-
schaftssystem quasi naturgegeben und unbeeinflussbar wäre, wie internatio-
nal zahlreiche diesbezüglich besser dastehende Länder zeigen, und wie auch
vereinzelte Erfolge in Deutschland zeigten (vgl. Möller 2018, S. 266).
21
Möglicherweise kommt man dennoch zu der Einschätzung, dass eine stär-
kere Leistungsselektion nicht umsetzbar ist, entweder weil die Leistungs-
unterschiede so gering sind, dass sie nicht als Auswahlkriterium taugen
(oder weil es wissenschaftspolitisch keine Mehrheiten findet). Dann gäbe es
grundsätzlich auch noch eine andere Möglichkeit, zu einem fairen, nicht
sozial selektiven Auswahlverfahren und zu einer von der statistischen
Chance her gegebenen Berechenbarkeit zu kommen: In diesem Fall wäre
ein statistisches Zufallsauswahlverfahren unter allen entsprechend geeigne-
ten Vorqualifizierten wahrscheinlich ein geeignetes Instrument, welches
soziale Schieflagen im Auswahlverfahren von vornherein in jeder Hinsicht
vermeiden, sowie Diversität und Chancengleichheit fördern könnte.
22
Die
Volkswagen-Stiftung hat hierzu ihre „Experiment“-Förderung
23
aufgelegt,
!
21
Dass es möglich ist, zu mehr Chancengerechtigkeit zu kommen, zeigt auch die
langsame, aber stetige Erhöhung des Frauenanteils an Professuren, die u.a. auf das
Professorinnenprogramm zurückgeführt wird. Dass allerdings nach den letzten
Analysen wie beschrieben die soziale Selektivität gestiegen ist, könnte als nicht in-
tendierter Nebeneffekt angesehen werden, der nun erhöhter Aufmerksamkeit und
der Nachsteuerung bedarf. Zudem gibt es Aspekte der Chancengerechtigkeit, wo
sich allen bisherigen Anstrengungen zum Trotz auch nach jüngsten verfügbaren
Daten in über einer Dekade keine Veränderung zeigte: Dies betrifft die Internati-
onalität der Professuren, denn der Anteil aus dem Ausland kommender Profes-
sor*innen liegt nach wie vor bei etwa 7% (vgl. ausführlicher hierzu Jacob/
Krempkow 2020).
22
Nach Klaus/Alamo (2019) ist Peer Review nicht treffsicherer als Zufallsauswahl
per Losentscheid.
23
URL: www.volkswagenstiftung.de/unsere-foerderung/unser-foerderangebot-im-
ueberblick/experiment (15.04.2020).
René Krempkow
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40!
womit sie ein solches Zufallsverfahren unter allen Geeigneten erstmals in
Deutschland testet – und derzeit auch wissenschaftlich evaluieren lässt.
Befristungsanteile in Europa und Bundesländer-Unterschiede zeigen
Gestaltungsmöglichkeiten: In der deutschen Diskussion wird oft verges-
sen, dass die Befristungsanteile in anderen Industrienationen Europas, wie
zum Beispiel den Niederlanden (mit 40 Prozent) oder Norwegen (mit 50
Prozent), in Lehre und Forschung deutlich niedriger sind (vgl. Höhle 2015,
S. 5) und dies dort keineswegs mit einer geringeren wissenschaftlichen Pro-
duktivität oder einer Verstopfung des Wissenschaftssystems einhergeht.
Ähnlich gilt dies auch z. B. für Irland und Polen (vgl. Ates/Brechelmacher
2013).
24
Zwischen den deutschen Bundesländern betragen die Differenzen
der Befristungsanteile bis zu elf Prozentpunkte (vgl. Gassmann 2020, S. 63),
also mehr als die Differenz zur Änderung des WissZeitVG 2007. Dies zeigt,
dass auch innerhalb Deutschlands unter denselben rechtlichen Bedingungen
und bei ähnlichen Drittmittelfinanzierungen deutlich unterschiedliche Be-
fristungsanteile existieren.
25
Senkung des Befristungsanteils auf durchschnittlich ca. 60% ist
Wunsch der Hochschulen: Eine Senkung des Anteils an befristeten Stel-
len forderten in den vergangenen Jahren wie erwähnt u.a. der Wissen-
schaftsrat (2014), die HRK (2015) und die EFI (2016). Selbst in der HRK
hält man 70% Befristungsquote als Richtwert für angemessen (vgl. Pior-
kowski 2019, S. 7). Dies ist aber nicht nur der Wunsch von Vertretungen
der Wissenschaftspolitik. Vielmehr ist eine moderate und zugleich spürbare
Senkung des Befristungsanteils auf durchschnittlich 62% (im Bereich der
Forschung) und 58% (im Bereich der Lehre) das Ergebnis einer bundeswei-
ten Befragung von Hochschulen, wie die letzte Erhebung des Stifterver-
bandes zur Personalentwicklung für den wissenschaftlichen Nachwuchs
zeigte (vgl. Krempkow u. a. 2016, S. 56). Dies entspräche auch zugleich
immer noch der Forderung der Universitätskanzler*innen, dass die Zahl der
!
24
Allerdings geht dies in mehreren Ländern mit einer stärkeren (Leistungs-) Selekti-
vität beim Zugang zur Promotion und damit einer früheren Auseinandersetzung
mit den beruflichen Chancen im Wissenschaftssystem und einer früheren bewuss-
ten Entscheidung dafür oder dagegen einher, was aber auch für Deutschland be-
reits häufiger empfohlen wurde.
25
Der Maßstab sollte allerdings auch hier – wie in anderen Bereichen immer wieder
betont – die internationale Wettbewerbsfähigkeit sein, welche insbes. für die Rek-
rutierung von geeigneten Promovierten in den letzten Jahren immer wieder und
verstärkt in Frage gestellt wurde (vgl. z. B. Johann/Neufeld 2018).
Karriereperspektiven für Nachwuchsforschende 41
!
befristeten Beschäftigungsverhältnisse für wissenschaftliches Personal über-
wiegt (Vereinigung der Kanzlerinnen und Kanzler der Universitäten
Deutschlands 2019). Hier könnte möglicherweise eine Förderung von (Pi-
lotprojekten an) Hochschulen für Entfristungen von Stellen auch jenseits
der Professur, z. B. ähnlich dem Bund-Länder-Programm für Tenure-
Track-Professuren, wichtige Impulse geben. Als Good-Practice-Beispiele
für Karrierewege in der Wissenschaft und im Wissenschaftsmanagement,
die mehr Berechenbarkeit und wieder mehr Meritokratie bringen könnten,
sind neben dem bekannten Faculty Tenure Track der TU München das
Karrierewegemodell der RWTH Aachen zu nennen, sowie jüngst das Mo-
dell der "multiplen Karrierepfade" der TU Berlin.
26
Gassmann (2020, S. 99)
weist zudem darauf hin, dass an weiteren Hochschulen Dauerstellenkon-
zepte oder Benchmarkings für Befristungsquoten diskutiert werden.
Entfristungen auch aus befristeten Mitteln planbar: Oft wird betont,
dass eine Verringerung des Anteils befristeter Stellen aus Drittmittel- und
Projektfinanzierung nicht möglich sei. Dagegen hat Stricker (2018) die Ge-
staltungsspielräume als Dekan hervorgehoben, die einzelne Fachbereiche in
den vergangenen Jahren intensiv nutzten: Durch Kenntnis und Berücksich-
tigung der Altersstruktur des gegebenen Personals und professionelles Per-
sonalmanagement war es möglich, acht unbefristete Professuren aus Hoch-
schulpakt- und Landesmitteln zu schaffen (vgl. Stricker 2018; S. 7). Die
neue personelle Situation habe auch der Forschung am Fachbereich wichti-
ge Impulse gegeben. Dies zeigt, dass hier erhebliche Gestaltungsspielräume
bestehen, die bisher oft noch ungenutzt blieben (vgl. auch WR 2014, S. 56).
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