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Integration und Charakterisierung von Lasteinleitungspunkten in recycel-
te Faservlieslaminate zum Einsatz im Sportgerätebereich
– M.Sc. Martin Zießler –
Kurzfassung
Verbindungen faserverstärkter Kunststoffe werden in der Regel mit Lasteinleitungselementen in Form von
Inserts oder Onserts realisiert. Recycelte Wirrfasermatten bieten im Gegensatz zu klassischen endlosfaser-
verstärken Laminaten den Vorteil eines nahezu isotropen Werkstoffverhaltens, das die direkte Integration
von Gewindegängen zulässt. In der vorliegenden Arbeit werden die Potenziale solcher Verbindungen am
Beispiel von Board-Sportgeräten aufgezeigt und eingehend diskutiert. Verschiedene Konzepte zur Integrati-
on wurden erarbeitet und nach der Probekörperherstellung einer makroskopischen und mikroskopischen
Beurteilung unterzogen. Zur mechanischen Charakterisierung der Lasteinleitungspunkte wurden im An-
schluss Auszugsversuche und Untersuchungen zum Überdrehmoment unter Berücksichtigung verschiede-
ner Faservolumengehalte, Probendicken und Einschraublängen durchgeführt. Die integrierten Gewinde
zeigten eine sehr gute Formgebung und die mechanischen Kennwerte liegen grundsätzlich auf dem Niveau
klassischer Board-Sportgeräte. Sowohl die optischen, als auch die mechanischen Versuchsreihen beweisen
im Wesentlichen die Prinziptauglichkeit und Leistungsfähigkeit der Prozessintegration von Lasteinleitungen
in Wirrfaserlaminaten für den Sportgerätebereich. Daraus resultierend leisten die durchgeführten Untersu-
chungen einen Beitrag zur Verbreitung der Anwendungsfelder von recycelten Fasermaterialien und nach-
haltigen Reduktion des CO2-Fußabdurcks faserverstärkter Kunststoffe.
Stichwörter
Kohlefaser-Vlies, Gewindeintegration, Recycling
Einleitung
Zum Verbinden von Strukturen verschiedener oder
gleicher Art kommen im Wesentlichen drei unter-
schiedliche Verbindungstechniken zur Anwendung,
die je nach Einsatzbedingungen und Anforderungen
ihre Daseinsberechtigung besitzen. Neben einem
Kraftschluss (z.B. Klemmen) stellen der Formschluss
(z.B. Bolzen, Schlaufenanschluss) und der Stoff-
schluss (Kleben, Schweißen) die Hauptgruppen der
Verbindungstechnik dar [1]. Insbesondere wenn
Bauteile beispielsweise zu Reparaturzwecken oder
zum Austausch von Komponenten wieder demon-
tiert werden sollen oder zum Fügen ungleicher
Werkstoffe, bilden klassische Schraubenverbindun-
gen (Kombination aus Kraft- und Formschluss) die
am häufigsten eingesetzte Verbindungsart [2], [3].
Im Bereich der Faserverbundkunststoffe (FVK) wird
die Lastübertragung bei dicken, flächigen Bauteilen
mittels Krafteinleitungselementen aus Stahl, Alumi-
nium oder Titan vorgenommen [1]. Alternativ kann,
bei geringeren Belastungen der Fügepartner, das
Gewinde auch direkt in den Verbund geschnitten
werden [4]. Wesentliche Vorteile liegen dabei in
den reduzierten Teilekosten, der kürzeren Ferti-
gungsdauer und des geringeren Recyclingaufwands.
Als Nachteil sind hingegen die, im Vergleich zur
Inserttechnologie, reduzierte Remontagefähigkeit
und die höhere Vorspannkraftrelaxation anzusehen
[2], [5]. Unabhängig der eingesetzten Methode
stellt diese Art der Lasteinleitung eine Schwächung
des Verbundes dar, da zum einen Endlosfasern zer-
teilt werden und zum anderen Rissbildung oder
Delaminationen des Verbundes aufgrund ihrer Be-
lastung in Dickenrichtung bei der Fertigung oder im
Betrieb auftreten können [5], [6]. Untersuchungen
von Weinert [7] zufolge stellt dabei die Qualität der
2
Kernlochbohrung den größten Einfluss auf die Vor-
schädigung der Gewindeflanken dar. Neben Faser-
rissen und -ausbrüchen sind bei der Gewindeferti-
gung je nach Gewindetiefe mit Temperaturen des
Schneidwerkzeugs von bis zu 400 °C zu rechnen.
Zwar kann die Wärme aufgrund der hohen Leitfä-
higkeit der Kohlefasern schnell abgeführt werden,
eine lokale Schädigung der Matrix im Gewindebe-
reich ist jedoch nicht vollends auszuschließen [8].
Des Weiteren geht die nachträgliche Erzeugung des
Gewindes mit einer Freilegung der Faserenden ein-
her. Insbesondere bei kohlenstofffaserverstärkten
Laminaten führt dies aufgrund der hohen Potential-
differenz im Vergleich zu den meisten metallischen
Werkstoffen bei Vorhandensein eines Elektrolyts
zur elektrochemischen Korrosionsreaktion [4], [6].
Um dem Leichtbau- und dem immer stärker in den
Vordergrund rückenden Nachhaltigkeitsgedanken
gerecht zu werden, wurde in Zusammenarbeit mit
der High Tech Sport Goods (HTSG) GmbH im Rah-
men des von der AiF Projekt GmbH geförderten
Forschungsprojektes „Herstellung von Sportgeräten
aus Sekundärwerkstoffen zur Erhöhung der Res-
sourceneffizienz und Verringerung des CO2-
Fußabdrucks von Faserverbundmaterialien“ die
Funktionsintegration von Gewindegängen in Kohle-
faservlieswerkstoffe untersucht. Zur Vermeidung
der dargestellten Problematiken in Bezug auf Dela-
mination beim Gewindeschneiden, Recyclingfähig-
keit und Korrosion, wurde die Erzeugung der Ge-
winde direkt in den Fertigungsprozess integriert.
Insbesondere die Verwendung von recycelten
Vlieswerkstoffen ist aufgrund des nahezu isotropen
Werkstoffverhaltens für eine direkte Gewindein-
tegration gegenüber klassischen endlosfaserver-
stärkten Materialien mit deren limitierten mechani-
schen Eigenschaften senkrecht zur Laminatebene
überlegen. In dieser Veröffentlichung werden ver-
schiedene Konzepte zur Gewindeintegration aufge-
zeigt und hinsichtlich fertigungstechnischer, me-
chanischer und wirtschaftlicher Aspekte untersucht
sowie miteinander verglichen. Eine Bewertung der
Ergebnisse und der Anwendbarkeit speziell im
Board-Sportgerätebereich findet im letzten Teil der
vorliegenden Schrift mit einer eingehenden Erläute-
rung und Diskussion statt.
Konzepte der prozessseitigen Gewindein-
tegration in Faservlieswerkstoffe
Im Rahmen der Untersuchungen zur Prozessintegra-
tion von Gewindegängen in faserverstärkte Vlies-
werkstoffe wurden verschiedene Konzepte erarbei-
tet und unter mechanischen, fertigungstechnischen
und großserientauglichen Gesichtspunkten bewer-
tet. Grundlegend ist bei allen Varianten ein mög-
lichst hoher Faservolumengehalt im Gewindegang
anzustreben, damit die Eigenschaften des Vlies-
werkstoffes nahezu vollständig ausgenutzt werden
können. Den Ansatz aller in Betracht gezogenen
Konzepte bildet das Abformen einer konventionel-
len, metrischen Schraube direkt im Laminierpro-
zess. Hierbei sind unterschiedliche Variationen
denkbar, die unter theoretischen Überlegungen die
gegebenen Anforderungen erfüllen. Eine erste Me-
thode bildet das Laminieren der Kohlefaservliesla-
gen direkt um das Gewinde. Dies bietet den wesent-
lichen Vorteil, dass die Fasern in ihrer Länge nicht
beeinflusst werden und um die Schraube herumlau-
fen. Aus fertigungstechnischer Sicht ist jedoch jede
Lage einzeln über die Schraube zu führen, was eine
erhöhte Fertigungsdauer mit sich bringt. Diesem
Effekt kann mit einer Stanzung der Faserlagen auf
das Kernlochmaß des Gewindes vorgebeugt wer-
den. Daraus folgt zum einen eine Verkürzung des
Fertigungsprozesses und zum anderen laufen die
entstandenen Faserenden direkt in den Gewinde-
gang hinein. Bei beiden Konzepten ist der Faservo-
lumengehalt jedoch werkstoffbedingt auf ca. 30 %
limitiert. Eine Umwicklung mit einem Kohlefaserro-
ving kann beispielsweise zur lokalen Erhöhung des
Faservolumengehalts im Gewindegang dienen. Die
zusätzliche Ablage des Rovings erfordert zwar einen
weiteren Arbeitsschritt, daraus sollten jedoch bes-
sere mechanische Eigenschaften des Lasteinlei-
tungspunktes resultieren. Problematisch ist bei
diesem Konzept hingegen die Ablage der Vlieslagen
anzusehen, da dies zu einem Herunterschieben des
3
Rovings von der Schraube führen kann. Daher fin-
den zur Überprüfung der Machbarkeit bei diesem
Konzept für die weiteren Untersuchungen grund-
sätzlich beide zuvor dargestellten Varianten mit und
ohne Stanzung des Rohmaterials Anwendung.
Die beschriebenen Konzepte sind in der nachfol-
genden Tabelle zusammenfassend schematisch
dargestellt.
Tabelle 1: Konzeptübersicht
Konzept
Abbildung
K1
K2
K3
K4
Experimenteller Ansatz
Die Charakterisierung der Lasteinleitungspunkte
wurde im Rahmen des Projektes anhand qualitati-
ver und quantitativer Methoden an generischen
Probekörpern durchgeführt. Makroskopische und
mikroskopische Aufnahmen dienten dabei im ersten
Schritt zur Bewertung der Abformgenauigkeit, auf-
tretenden Schädigungen und des Faservolumenge-
halts des erzeugten Gewindes. Im Anschluss wurden
Auszugsversuche und Versuche zur Ermittlung des
Überdrehmoments vorgenommen.
Als Fasermaterial kam für alle Untersuchungen das
isotrope, unvernadelte Kohlefaservlies C N450-
IS/NF der Firma SGL Technologies GmbH mit einem
Flächengewicht von 450 g/m² und einer durch-
schnittlichen Faserlänge von 40 mm zum Einsatz.
Die Matrix für die Versuchskörper bildete das Epo-
xidharz-L mit EPH 161 Härter der R&G Faserver-
bundwerkstoffe GmbH. Als Lasteinleitungspunkt
kam ein M6 Gewinde zur Anwendung, da dies einen
Standard für die meisten Anbindungen im Board-
Sportgerätebereich darstellt. Die Probenherstellung
erfolgte in einem kombinierten Nasslaminier-Press-
Prozess im Tauchkantenwerkzeug (Abbildung 1).
Dieser Werkzeugtyp bietet den Vorteil, dass das
Vlies während des Pressvorgangs in der Kavität ge-
halten und somit ein möglichst hoher Faservolu-
mengehalt des Probekörpers sichergestellt wird.
Abbildung 1: Tauchkantenwerkzeug mit eingelegten
Faserlagen
Die Bewertung der Ausformung und des Faservolu-
mengehalts des Gewindes bzw. Gewindegangs er-
folgte mittels mikroskopischer Aufnahmen des Pro-
benquerschnitts. Zur Charakterisierung der Aus-
zugswerte wurde im Rahmen des Projektes eine
Auszugsvorrichtung nach Vorgaben des „Insert De-
sign Handbook“ der European Cooperation for
Space Standardization [9] entwickelt (Abbildung 2).
Abbildung 2: Auszugsvorrichtung mit eingespannter
Probe
4
Die aus dem Probenhalter des Prüfstands resultie-
rende Probengröße beträgt 135 mm x 135 mm mit
einer Lasteinleitung im Zentrum des Versuchskör-
pers. Die Probendicke wurde auf eine für Board-
Sportgeräte typische Wandstärke von 10 mm fest-
gelegt und die Tiefe des Gewindes beträgt 7 mm.
Darüber hinaus wurden der Einfluss des Faservolu-
mengehalts (K1.3, K3.3), der Probendicke (K1.2,
K3.2) und der Einschraublänge auf die Auszugskraft
untersucht. Probekörper von konventionellen
Board-Sportgeräten dienen als Referenzmessung
für die Vliesproben mit prozessintegrierter Lastein-
leitung. Sowohl Snow-, als auch Kite- und Wa-
keboards wurden in die Betrachtung mit einbezo-
gen. Aus den dargelegten Ausführungen ergibt sich
der folgende Versuchsplan zur Bestimmung der
Auszugswerte.
Tabelle 2: Versuchsplan Charakterisierung Auszugskraft
Nr.
Probe
Abmessungen
[mm]
FVG
[%]
Anzahl
1
Kiteboard
135x135x10
-
3
2
Wakeboard
135x135x10
-
3
3
Snowboard
135x135x10
-
3
4.1
K1.1
135x135x10
15
3
4.2
K1.2
135x135x8
15
3
4.3
K1.3
135x135x8
20
3
5.1
K2.1
135x135x10
15
3
5.2
K2.2
135x135x10
15
3
6.1
K3.1
135x135x10
15
3
6.2
K3.2
135x135x8
15
3
6.3
K3.3
135x135x8
20
3
7
K4
135x135x10
15
3
Abschließende Untersuchungen zum maximalen
Anzugs- bzw. Überdrehmoment wurden mit einem
Drehmomentschlüssel und stufenweiser Steigerung
des Moments bis zum Versagen des Gewindes
durchgeführt.
Ergebnisse der qualitativen Bewertung der
Lasteinleitungselemente
Grundsätzlich weisen alle untersuchten Konzepte
bei Betrachtung der makroskopischen Aufnahmen
eine sehr gute Abformung des Gewindes auf
(Abbildung 3). Es sind weder Abplatzungen, noch
Risse oder andere Schädigungen des Gewindegangs
zu beobachten. Lediglich kleinere Poren oder Luf-
teinschlüsse traten sehr vereinzelt in den Gewinde-
gängen auf. Des Weiteren führen die Stanzungen
des Vliesmaterials bei K2 und K4 zu geringeren Fa-
serumlenkungen bei steigender Probendicke im
Bereich der Lasteinleitung.
Abbildung 3: makroskopische Aufnahme K1 (a), K2 (b),
K3 (c), K4 (d)
Der durchschnittliche Faservolumengehalt der Pro-
ben zur qualitativen Charakterisierung der Lastein-
leitung beträgt ca. 15 % mit einem Porengehalt von
maximal 3 %. Demgegenüber steht ein Faservolu-
mengehalt von 20 % bei den Probennummern 4.3
und 6.3. Mit der Erhöhung des Faservolumengehalts
geht gleichermaßen eine Verringerung des Poren-
gehalts einher. Bei Betrachtung der mikroskopi-
schen Aufnahmen stellt sich bei allen Proben ohne
zusätzliche Rovingumwicklung der Schraube ein
geringer Faservolumenanteil im Gewindegang ein.
Insbesondere bei K1 bestehen die Gewindegänge
nahezu ausschließlich aus Matrixwerkstoff
(Abbildung 4 a). Bei den Versuchskörpern K2 sind
hingegen Gewindebereiche zu beobachten bei de-
nen der Faservolumengehalt in etwa dem der Probe
entspricht (Abbildung 4 b). Die Umwicklung der
Schraube aus K3 und K4 erbrachte eine Steigerung
der Faseranteils auf bis zu 40 % (Abbildung 4 c).
a
b
d
c
5
Abbildung 4: Mikroskopische Aufnahme K1 (a), K2 (b),
K3 (c), K4 (d)
Ergebnisse der quantitativen Bewertung der
Lasteinleitungselemente
Die Auszugskräfte der Referenzproben weisen
grundsätzlich für die verschiedenen Board-
Sportgeräte unterschiedliche Werte auf. Während
das erste Versagen der Lasteinleitung das Kite-
boards schon bei durchschnittlich 2,5kN (σ = 0,34
kN) liegt, wurden Auszugkräfte von 3,2 kN (σ = 0,17
kN) für das Snowboard und 4,8 kN (σ = 0,21 kN) für
das Wakeboard ermittelt. Die Auszugswerte aller
Recycling-Vliesproben liegen mindestens auf einem
ähnlichen Niveau, wie die des Kiteboards. Für K1.1
konnte ein durchschnittlicher Auszugswert von
4,6kN (σ = 0,49 kN) gemessen werden, der nähe-
rungsweise im Bereich des Wertes der getesteten
Wakeboardproben liegt. K3.1 und K4 sind mit Aus-
zugswerten um 3,6 kN im Bereich des Snowboards
anzusiedeln. Die Verringerung der Plattendicke
führt bei K1.2 zu einer Abnahme des Auszugswertes
um 33 % auf 3 kN (σ = 0,21 kN) und bei K3 um 35 %
auf 2,5 kN (σ = 0,2 kN). Für erhöhte Faservolumen-
gehalte (K1.3 und K3.3) konnte keine signifikante
Änderung des Auszugswertes festgestellt werden.
Die Erhöhung der Einschraubtiefe (K2.2) erbrachte
hingegen eine Steigerung von rund 33 % der Aus-
zugskraft von 2,7 kN (σ = 0,61 kN) auf 3,6 kN (σ =
0,65 kN). Alle Ergebnisse der Auszugsversuche sind
zusammenfassend in Abbildung 5 dargestellt.
Abbildung 5: Auszugskräfte generische Probekör-
per
In Abbildung 6 ist beispielhaft der Kraft-Weg-
Verlauf einer Kiteboardprobe mit seinen charakte-
ristischen Punkten dargestellt. Alle weiteren Kraft-
Weg-Verläufe der getesteten Referenzboard-
Sportgeräte besitzen einen ähnlichen Verlauf, der
sich lediglich durch die Position der spezifischen
Punkte unterscheidet. Der erste Punkt (P1) kenn-
zeichnet das Anreißen der Deckschicht mit einem
Schubversagen der Polyurethan-Einbettmasse des
Inserts unter 45°.
Abbildung 6: Auszug Kiteboard
Das Schubversagen geht dabei stets von Stellen mit
hoher Kerbwirkung und damit verbunden hohen
Spannungsspitzen an der Rondenkante oder des
Übergangs von Insert zu Ronde aus. Das sich daran
a
b
d
c
b
6
anschließende Kraftplateau (B1) ist durch die Riss-
ausbreitung der oberen Lage und Durchbiegen der
Versuchsprobe gekennzeichnet. Im zweiten charak-
teristischen Punkt (P2) löst sich das Insert von der
unteren Deckschicht, woraus ein abrupter Lastabfall
resultiert. Die fehlende Anbindung von Insert und
umgebenden Material führt zum charakteristischen
Bereich (B2), in dem das Lasteinleitungselement aus
der Probe herausgezogen wird. Dabei verformt sich
die Blechronde des Inserts plastisch, da in diesem
Bereich lediglich die obere Decklage eine tragende
Wirkung besitzt.
Ähnlich den Referenzproben der Board-Sportgeräte,
weisen alle Recycling-Vliesproben eine vergleichba-
re Kraft-Weg-Kurve auf. Exemplarisch ist der cha-
rakteristische Verlauf eines Versuchskörpers aus der
Reihe K1.1 in Abbildung 7 dargestellt.
Abbildung 7: Auszug Recyclingvlies
Bei Beobachtung der Kurve wird deutlich, dass sie
durch lediglich zwei wesentliche Bereiche gekenn-
zeichnet ist. Dies ist darauf zurückzuführen, dass es
sich hierbei um eine monolithische Struktur von
Lasteileitung und Grundmaterial handelt. Im ersten
Punkt (P1) versagt das Vlieslaminat am Schrauben-
ende unter einem Winkel von 45°. Der weitere Ver-
lauf des Versagens hängt maßgeblich von der An-
ordnung des Wirrfaservlieses in der Probe ab. Bei
einigen Proben läuft der Riss ausgehend vom
Schraubenende unter 45° bis zur Oberfläche aus
und bei anderen flacht der Versagenswinkel nach
dem ersten Riss entlang einer Wirrfaserlage bis zur
Oberfläche ab. Der anschließende Bereich (B1) ist
stets durch das Ausziehen des Lasteinleitungsele-
ments und den weiteren Rissfortschritt bis zum
vollständigen Versagen geprägt. Des Weiteren ist zu
beobachten, dass der Weg bis zum ersten Versagen
(P1), bei gleichzeitig steileren Anstieg der Kraft-
Weg-Kurve der Recycling-Vliesproben im Verglich zu
den Board-Sportgeräten, deutlich geringer ist. Wäh-
rend sich das vollständige Versagen der Referenz-
proben je nach Einbettung des Lasteinleitungsele-
ments zwischen 2,5 mm und 4,5 mm einstellt, tritt
das Versagen für die Vliesproben nach maximal 1,5
mm auf. Die höhere Steifigkeit des Auszugverhal-
tens der Vliesproben kann mit dem steiferen Werk-
stoff um die Lasteinleitung begründet werden.
Das Überdrehmoment wurde exemplarisch an den
Konzepten K1.1 und K3.1 mit und ohne Unterleg-
scheibe ermittelt. Alle Varianten weisen ein Über-
drehmoment von ca. 4 kN auf. Bei Beobachtung der
Versuchsergebnisse (Abbildung 8) wird deutlich,
dass insbesondere die ermittelten Werte für K3.1
eine hohe Streuung (σ = 4,32 kN) aufweisen. Wei-
terhin kann sowohl für K1.1 als auch K3.1 eine Ab-
nahme des durchschnittlichen Überdrehmoments
von 10 % bzw. 47 % des Moments bei der Prüfung
mit Unterlegscheibe festgestellt werden.
Abbildung 8: Überdrehmoment Konzept K1.1 und
K3.1
Darüber hinaus sind bei den Untersuchungen zum
Ein- und Ausschraubverhalten bei allen Konzepten
keine optischen Schädigungen des Gewindegangs
nach 50 Zyklen aufgetreten.
7
Diskussion
Die Abformung der Gewindegänge ist für alle Pro-
bekörper als sehr gut anzusehen. Kleinere Fehlstel-
len am Gewindeeinlauf resultierten zum einen aus
der Vielzahl an Abformungen und zum anderen aus
der Qualität des Tauchkantenwerkzeugs. Bei Ver-
wendung eines Metallwerkzeugs im Rahmen einer
Serienfertigung ist von einer fehlerfreien Abfor-
mung auszugehen. Fehlstellen im Gewindegang sind
hingegen fertigungstechnischer Natur. Es konnten
vereinzelt immer wieder kleinere Lufteinschlusse im
Gewindegang beobachtet werden, die das Tragver-
halten reduzieren. Daher ist grundsätzlich große
Sorgfalt bei der Integration der Lasteinleitungen
bereits bei der Fertigung und höchstmögliche Fa-
servolumengehalte unabdingbar.
Die Tragfähigkeit der Gewinde sind nach Hoppmann
[1] ein wesentliches Qualitätsmerkmal für die
Lasteinleitungsintegration. Grundsätzlich liegen alle
Auszugswerte mindestens über denen des Kite-
boards (2,5 kN) und erreichen sogar die des Wa-
keboards (4,8 kN). Die zum Teil große Streuung der
Auszugskraft ist mit einem starken fertigungsspezi-
fischen Einfluss zu begründen. Dieser Aspekt wird
durch die mikroskopischen Aufnahmen bestätigt,
indem der Faservolumengehalt in den Gewindegän-
gen mitunter stark variiert. Trotzdem konnten unter
Berücksichtigung der Standardabweichung die Aus-
zugsanforderungen an das Kiteboard mindestens
erreicht werden.
Aus fertigungstechnischen Gesichtspunkten erleich-
tert die Stanzung des Vlieses den Ablageprozess der
Einzellagen im Fertigungsprozess. Damit verbunden
ist jedoch bei Betrachtung der Versuchsergebnisse
für K1.1 und K2.1 eine Abnahme der Auszugskraft
um 38 %. Als Ursache könnte ein geringerer Faser-
volumengehalt in den Gewindegängen aufgeführt
werden, da sich die Stanzung des unvernadelten
Vlieses schon unter kleinstem Kraftaufwand weitet.
Der Vergleichsweise geringere Faservolumengehalt
in den Gewindegängen von K2.1 wiederspricht zwar
im ersten Moment den mikroskopischen Untersu-
chungen, ist aber durch das mögliche Aufziehen der
Stanzung im Laminier- oder Pressprozess durchaus
nachvollziehbar. Bei den mit Roving (K3.1, K4) um-
wickelten Proben hingegen konnte kein Unterschied
zwischen den gestanzten (K3.1) und ungestanzten
(K4) Versuchskörpern festgestellt werden, da hier
ein gleichbleibender Faservolumengehalt durch den
Roving sichergestellt wird.
Weiterhin führt eine Erhöhung des Faservolumen-
gehalts der Probe nicht zu höheren Auszugswerten.
Daraus folgt die Annahme, dass sich trotz der räum-
lich höheren Wirrfaserdichte nicht mehr der freilie-
genden Fasern in die Gewindegänge legen. Bedingt
durch die begrenzte Höhe des Versuchswerkzeugs
war es nicht möglich weitere Untersuchungen zum
Einfluss des Faservolumengehalts durchzuführen.
Im Laminierprozess muss mit einem deutlichen
Harzüberschuss gearbeitet werden, um eine
gleichmäßige Durchtränkung der Vlieslagen sicher-
zustellen. Daraus resultierend bauen die Einzellagen
sehr stark auf, wodurch die maximale Werkzeughö-
he schnell erreicht wurde. Es ist jedoch davon aus-
zugehen, dass durch eine weitere Erhöhung des
Faservolumengehalts nicht mehr Fasern im Gewin-
degang vorzufinden sind, was wiederum zu höheren
Auszugskräften führt. Der Faseranteil kann dem-
nach für reine Wirrfaservlieslaminate ohne Roving-
verstärkung nur über nachträglich zum Fertigungs-
prozess eingebrachte Gewinde erreicht werden.
Vergleichsuntersuchungen zeigten trotz der in der
Einleitung beschriebenen Nachteile, wie Ausbrüche
der Gewindeflanken oder lokale Überhitzung des
Matrixwerkstoffs im Kernlochbereich, bei gleicher
Einschraublänge um bis zu 30 % höhere Auszugs-
werte.
Abbildung 9: Makroskopische und mikroskopische
Aufnahme eines mechanisch eingebrachten Ge-
windes
8
Die höheren Auszugskräfte der Proben mit größerer
Einschraublänge (K2.2) sind mit den im Eingriff be-
findlichen Gewindegängen zu begründen. Grund-
sätzlich tragen die Gewindeflanken bei in Kunststof-
fen integrierten Lasteinleitungen aufgrund des im
Vergleich zum Schraubenwerkstoff niedrigeren E-
Moduls, nahezu gleichmäßig die aufgebrachten
Lasten. Ergänzende, am Institut durchgeführte,
FEM-Simulationen unterstützen diese Aussage
(Abbildung 10). Insbesondere bei fortschreitender
Auszugsbewegung verteilen sich die anfangs lokalen
Spannungen von den oberen Gewindegängen auf
den gesamten Bereich des Gewindes.
Abbildung 10: Spannungsplots des Gewindes mit
fortschreitender Auszugsbewegung (von links nach
rechts)
Nach Onasch [10] besteht ein linearer Zusammen-
hang sowohl zwischen der Auszugskraft, als auch
zwischen dem Eindrehmoment und der Schrauben-
länge.
Das Überdrehmoment erfüllt im Gegensatz zur Aus-
zugskraft für eine Einschraublänge von 6 mm die in
der Norm DIN ISO 10958-1 (minimales Anzugsmo-
ment 5 Nm) für Snowboards festgelegten Werte.
Auch an dieser Stelle sind der fehlende bzw. unter-
schiedliche Faservolumengehalt in den Gewinde-
gängen und der damit einhergehende fertigungs-
technische Einfluss für das schlechte Überdrehmo-
ment und die mitunter hohen Streuung der Werte
anzuführen. Zwar liegt das Überdrehmoment weit
über dem eines reinen Matrixgewindes (<1 Nm),
erfüllt die Anforderungen der Norm jedoch nur
vereinzelt. Vergleichsuntersuchungen an nachträg-
lich eingebrachten Gewinden erbrachten ein Über-
drehmoment von 12 Nm und liegen damit bei ge-
ringerer Streuung um den Faktor 2,8 höher als die
direkt eingebrachten Lasteinleitungen. Die Reduzie-
rung des Überdrehmoments mit Unterlegscheibe ist
mit der gleichzeitigen Reduktion der im Eingriff
befindlichen Gewindegänge zu erklären. Der genaue
Einfluss der Einschraublänge wurde in den durchge-
führten Untersuchungen nicht betrachtet. Auf
Grundlage der in der Literatur zugänglichen Publika-
tionen und den erbrachten Ergebnissen in Bezug auf
die Auszugskraft ist allerdings eine Erhöhung des
Überdrehmoments mit größerer Einschraublänge zu
erwarten.
Ein nicht zu vernachlässigender Aspekt im Board-
Sportbereich ist das Auszugsverhalten der Lastein-
leitung. Während bei den Untersuchungen der Re-
ferenzproben ein zum Teil sehr gutmütiges bzw.
tolerables Versagensverhalten mit langem Aus-
zugsweg des Inserts zu beobachten ist, ist bei den
integrierten Gewinden eher ein abrupter Abfall der
Kurve durch die fehlende Abstützung der versagen-
den Gewindegänge charakteristisch. Das Aufreißen
der Faserlage führt zwar nach dem anfänglich
sprunghaften Abfall der Kraft um ca. 40 % zu einer
über den Weg näherungsweise gleichmäßigen Sen-
kung der Kraft, inwiefern das Resttragverhalten im
Versagensfall noch tolerabel ist, müssen die Versu-
che prozessintegrierter Lasteinleitungen unter Re-
albedingungen zeigen.
Fazit und Ausblick
Grundsätzlich konnte mit den durchgeführten Un-
tersuchungen gezeigt werden, dass die prozessseiti-
ge Integration von Gewindegängen in Faservlies-
werkstoffe möglich ist und den Anforderungen an
Board-Sportgeräte genüge trägt. Insbesondere in
Bezug auf die Auszugswerte konnte das Niveau von
klassisch aufgebauten Sportgeräten erreicht wer-
den. Kritisch ist hingegen das mit der untersuchten
Einschraublänge erbrachte Überdrehmoment anzu-
sehen, da es nur vereinzelt die Norm DIN 10958-1
erfüllt. Wie bereits vom vorangegangenen Kapitel
beschrieben korreliert die Erhöhung des Überdreh-
moments mit einer Erhöhung der Einschraublänge
und ist dadurch mit gleichzeitiger Änderung der
Auszugskraft unter Berücksichtigung der für den
Anwendungsfall geltenden geometrischen Rah-
menbedingungen anpassbar. Doch nicht nur für den
Board-Sportbereich könnten in Wirrfaservliese di-
9
rekt integrierte Gewinde Anwendung finden. So-
wohl in der Automobil-, als auch in der Flugzeugin-
dustrie oder im Maschinenbau im Allgemeinen ist
der Einsatz von Faservlieslaminaten mit hoher Funk-
tionsintegration denkbar. Als Beispiele seien hierbei
Abdeckungen, Kfz-Sitzrückwände, Heckspoiler oder
Maschinentraversen aufgeführt.
Das Fertigungsverfahren bietet nach wie vor noch
nicht erschöpfte Potenziale, da ein hoher Faservo-
lumengehalt in den Gewindegängen nicht gleich-
mäßig und reproduzierbar sichergestellt werden
konnte. Hierzu sind weitere Versuchsreihen erfor-
derlich, da dies eine Grundvoraussetzung für den
Serieneinsatz darstellt. Darüber hinaus muss ein
innovatives Werkzeugkonzept für die Gewindein-
tegration entwickelt werden, welches eine Serien-
fertigung zulässt. Einen alternativen Ansatz bildet
an dieser Stelle auch eine teilweise Prozessintegra-
tion der Lasteinleitung, indem nur das Kernloch des
angestrebten Gewindes im Bauteil abgeformt wird.
Hierdurch kann der auftretenden Schädigung des
Kernlochbohrens und den damit verbunden Faser-
rissen und Ausbrüchen an den Gewindeflanken bei
gleichzeitiger Reduktion der Fertigungsschritte ent-
gegengewirkt werden. Weitere Untersuchungen
sollen zeigen welche Auszugskräfte und Überdreh-
momente mit einem solchen Verfahren erreicht
werden können. Darüber hinaus sind Versuche zum
Korrosionsverhalten der Lasteinleitungspunkte zum
Einsatz in feuchten Umgebungen durchzuführen.
In den Untersuchungen fand bisher nur die Betrach-
tung unter statischen Lastbedingungen statt, die die
Basis für dynamische Versuchsreihen bilden. Dabei
stellen zum einen das Hysteresis Messverfahren
und zum anderen der Laststeigerungs- und Einstu-
fendauerschwingversuch geeignete Verfahren zur
Ermittlung der dynamischen Grenzlasten und Cha-
rakterisierung der Entwicklung des Schädigungsver-
haltens bis zum endgültigen Versagen dar.
Für den Einsatz prozessintegrierter Lasteinleitungen
wurde mit den dargelegten Untersuchungen ein
wesentlicher Grundstein gelegt, der als Basis für
weiterführende Versuchsreihen dient und die ho-
hen Potenziale der Funktionsintegration recycelter
Faservlieswerkstoffe aufzeigt. Hierdurch können
neue Anwendungsfelder erschlossen und der CO2-
Fußabdruck faserverstärkter Kunststoffe nachhaltig
gesenkt werden.
Danksagung
Die vorliegenden Arbeiten wurden von der AiF Pro-
jekt GmbH im Rahmen des Zentralen Innovations-
programms Mittelstand finanziell gefördert und in
Zusammenarbeit mit der High Tech Sports GmbH
erstellt. Ihnen gilt unser ausdrücklicher Dank.
Quellen
[1]
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