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Journal
Orchideen
Europäischer
M
Mitteilungsblatt des AHO Baden-Württemberg
53 (1) : 1 - 132. 2021 Journal Europäischer Orchideen
Orchideen
Mitteilungsblatt des AHO Baden-Württemberg
Vol. 53 Heft 1 Juli 2021
Autorenexemplar - copyright by AHO Baden-Württemberg
Journal Europäischer Orchideen 53 (1): 2021. 65
Kurzbeiträge und Mitteilungen
Richard Lorenz
Die bunten Brunellen vom Puflatsch in Südtirol – nehmen die
Bedrohungen kein Ende?
Im letzten Heft dieses Journals 52(2-4) haben LORENZ, HEDRÉN,
KELLENBERGER, MADL, & SCHLÜTER (2020) auf die besorgniserregende
Bedrohung der Puflatsch-Brunellen mit ihren einzigartigen Farbmorphen durch
Überweidung und Düngung hingewiesen. Die Arbeit wurde dem
Landeshauptmann Arno Kompatscher und allen zuständigen Mitgliedern der
Südtiroler Landesregierung und der Verwaltung zum Jahresende 2020 zur
Verfügung gestellt. Das Amt für Natur, Bozen hat daraufhin schriftlich zugesagt,
die Situation im Frühjahr 2021 mit den Grundstückseigentümern zu besprechen
und notwendige Maßnahmen zu erörtern. Bei einer Nachfrage nach dem
Fortschritt der Bemühungen erfuhr der Autor Ende April d.J., dass das Amt
selbst erst kürzlich von einem neuen Projekt zur Errichtung eines
Speicherbeckens zur Kunstschneeerzeugung im Gebiet des Puflatsch erfahren
habe. Die Grundvoraussetzungen hierfür hatte der Kastelruther Gemeinderat in
Abstimmung mit der Landesregierung (AUTONOME PROVINZ BOZEN –
SÜDTIROL 2019) mit der vorgesehenen Änderung des Bauleitplanes allerdings
bereits vor gut zwei Jahren geschaffen. Danach hätte das Speicherbecken ein
Fassungsvermögen von 80.000 m³ [das Vierfache der bisher auf der Seiser Alm
bestehenden fünf Becken!], das Gebiet umfasse eine Fläche von 36.500 m² Die
endgültige Genehmigung der Abänderung des Bauleitplans durch die
Landesregierung steht jedoch noch aus (LARCHER 2021: 36). Eine
Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) muss noch durchgeführt werden.
Unwiederbringlich verloren wären beim Bau des geplanten Speicherbeckens
große Teile der Kernbereiche der Orchideenwuchsorte nach LORENZ et al. (2020:
258, Abb. 25), und zwar der Nordosten des Kernbereichs 3 und nahezu völlig
der Kernbereich 5. Während der Bauphase wären jedoch weitere wesentliche
Teile des Gebietes betroffen. Die Auswirkungen des Projektes unter
Berücksichtigung der Bautätigkeiten, Zwischenlagerung des Aushubs und
Reduzierung der Schäden durch Milderungsmaßnahmen sollen zur Blütezeit
Mitte Juli bei einem Lokalaugenschein mit den Projektanten erörtert werden, zu
dem auch der Autor eingeladen werde. Im Anschluss sollte auch mit den
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weiteren Grundstückseigentümern über die Gefährdung durch Überdüngung
und Überweidung gesprochen werden.
Um sich ein Bild der neuen Situation machen zu können, wurde dem Autor auf
Veranlassung des Amtes für Natur der von einem freiberuflichen Gutachter
erstellte diesbezügliche „Umweltbericht n. Art 13 LandesGesetz 2007 Nr. 2“ zur
„Errichtung des Speicherbeckens Puflatsch Berg für die technische Beschneiung
der Skipisten“ v. 5.8.2020 zur Verfügung gestellt.
Dieser Umweltbericht erscheint nach intensiver Prüfung durch den Autor
insgesamt als sehr oberflächlich und bagatellisierend, die wirklichen natürlichen
Gegebenheiten des Gebietes werden nicht berücksichtigt, da
• in keiner Weise auf das Vorhandensein einer reichhaltigen, geschützten
Orchideenflora mit dem weltweit einzigartigen Vorkommen der Bunten
Puflatsch-Brunellen (Nigritella rhellicani Farbmorphen) eingegangen
wird,
• die Klassifizierung der betroffenen Habitate in wesentlichen Teilen nicht
korrekt ist, ihr aktueller Zustand fälschlicherweise als stark anthropogen
überformt dargestellt wird, „dass es infolge der Umsetzung des Projektes
zu geringfügigen negativen Beeinträchtigungen für Lebensräume und
Flora, weniger für die Fauna, im Vergleich zum Ausgangszustand
kommt“,
• die vorhandenen Borstgrasrasen als „Borstgrasweide der subalpinen bis
alpinen Stufe 45120“ klassifiziert werden, welche keinem geschützten
Lebensraum gemäß FFH-Richtlinie 92/48/EWG. entsprächen. Im Gegen-
teil gehören diese nach dem für Südtirol verbindlichen Handbuch von LA-
SEN & WILHALM (2004) zum prioritären Habitat "Artenreiche montane
Borstgrasrasen auf Silikatböden" (Natura 2000: Code 6230).
• die vorgeschlagenen Milderungsmaßnahmen wie Entnahme von Ra-
sensoden ungeeignet erscheinen. Nach Zwischenlagerung (nicht definier-
ter Dauer) sollen diese zur Abdeckung der Dämme des Speicherbeckens
wiederverwendet werden. Ein solches Verfahren mag zur Wiederbegrü-
nung geeignet sein, aber nicht für die Erhaltung von komplexen Ökosys-
temen wie Orchideen mit ihrer Bodenpilzen und Bestäubern; es liegen
hierzu auch keine einschlägigen Erfahrungen vor.
• vorgeschlagene Ausgleichsmaßnahmen wie Schaffung von Teichen für
Amphibien den Verlust der örtlichen Lebensräume mit den dort vorkom-
menden Orchideen und Nigritella rhellicani-Farbmorphen im unmittelba-
ren Eingriffsbereich de facto nicht ausgleichen können.
Insgesamt ergibt sich, dass bei der Realisierung des geplanten Speicherbeckens
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und der nachfolgenden Verlegung von Wasserleitungen für u.a. auch im
Brunellen-Gebiet neu zu errichtende Beschneiungsanlagen große Teile des
Vorkommens der Farbmorphen unwiederbringlich zerstört würden. Weitere
Beeinträchtigungen durch Intensivierung und Verlängerung des Skibetriebs sind
zu erwarten. Dadurch ist eine Unterschreitung der für langfristiges Überleben
notwendigen Mindestgröße der Populationen der Puflatsch-Brunellen und ihrer
Bestäuberfauna zu befürchten.
Anzumerken ist, dass die Pferdebeweidung in den Kernbereichen 3 und 5 trotz
Hinweisen des Amtes bereits im Juni d.J. vor der Blütezeit wieder aufgenommen
wurde.
In Anbetracht der weit fortgeschrittenen Planungen und Vorgenehmigungen
erschien es nach Beratung des Autors mit dem „Dachverband für Natur- und
Umweltschutz und Südtirol“ notwendig, die Öffentlichkeit in Südtirol über eine
Pressemitteilung zu informieren, um die Umsetzung des Projektes in den
geplanten Dimensionen breit zu diskutieren und noch zu verhindern. Diese
Pressemitteilung wurde am 21. Mai 2021 zum Tag der Biodiversität
veröffentlicht (DVN 2021). Sie wird im Folgenden wiedergegeben:
„DVN+Verbände – Land der Artenvielfalt: Nagelprobe auf dem Puflatsch
Gemeinsame PM von Alpenverein Südtirol – Dachverband für Natur- und
Umweltschutz Südtirol – Heimatpflegeverband Südtirol – Lia per Natura y
Usanzes – Vereinigung Südtiroler Biologen
Welttag der biologischen Vielfalt - Morgen am 22. Mai ist Welttag der biologischen
Vielfalt. Er steht unter dem Motto „Wir sind Teil der Lösung“. Das Land Südtirol,
welches gerne auch ein Land der Artenvielfalt sein und werden möchte, kann jetzt
zeigen, ob dieses Motto auch bei uns gilt. Auf dem Puflatsch findet sich ein
europaweit einzigartiges Vorkommen von genetisch bedingten Farbvarianten bei
Brunellen, einer geschützten Orchideen-Art. Doch dieses Vorkommen ist akut durch
den Bau eines Speicherbeckens für die Schneeerzeugung bedroht. Wofür wird sich
die Politik entscheiden? Für den Schutz oder die Zerstörung?
Anfang Juni 2019 riefen Landeshauptmann Kompatscher, Landesrätin
Hochgruber-Kuenzer sowie Landesrat Schuler in einer gemeinsamen
Pressekonferenz zu größerem Bewusstsein für die Artenvielfalt auf. Man wolle in
den kommenden Jahren weitere Schritte hin zum "Land der Artenvielfalt" setzen.
Wie ernst die Politik ihren eigenen Aufruf und die politischen Versprechen nimmt,
kann sie jetzt unter Beweis stellen.
Einzigartige Orchideen am Puflatsch
Brunellen (Kohlröschen, wissenschaftlich Nigritella rhellicani) gehören zu den
wildwachsenden europäischen Orchideen der Alpen und sind an der
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dunkelbraunen Färbung und dem vanilleartigen Geruch ihres kugelförmig-
zylindrischen Blütenstands leicht zu erkennen. Bunt gefärbte Formen kommen
extrem selten vor, mit einer großen Ausnahme: die seit über 100 Jahren europaweit
bekannte Puflatsch-Population. Sie weist einen ungewöhnlich hohen Anteil an
roten, rotweißen, weißroten, weißen und gelben Farbvarietäten auf. Nach neuen
molekulargenetischen DNA-Analysen liegt die Ursache für die Vielfalt ihrer
Farbvarietäten in einzigartigen Genvarianten. Damit ist der Brunellen-Bestand auf
dem Puflatsch europaweit einzigartig und verdient aufgrund seines hohen Wertes
für die Biodiversität und die genetische Integrität nicht nur besondere
Aufmerksamkeit, sondern auch entsprechende Bemühungen zum Schutz und Erhalt.
Speicherbecken zerstört Juwel der Südtiroler Natur
Nun sind die bunten Puflatsch-Brunellen akut bedroht: Nahe der Bergstation
Puflatsch will die Rabanser Seilbahnen GmbH ein Speicherbecken für die
Schneeerzeugung mit 82.770 m³ Fassungsvermögen bauen. Durch das
Speicherbecken selbst, die Baustelle und die Ablagerung des Aushubmaterials
würde ein Großteil dieses Brunellenbestandes zerstört werden oder zumindest eine
für das Überleben kritische Grenze unterschreiten.
Politik und Verwaltung wissen seit mindestens einem halben Jahr von diesem
einzigartigen Juwel der Südtiroler Natur, dessen ökologische und vor allem
evolutionsbiologische Bedeutung weit über die Grenzen Südtirols hinaus geht und
bekannt ist.
Nicht genug damit: Orchideen sind in Südtirol durch das Naturschutzgesetz streng
geschützt. Der Rasen, in dem die Brunellen wachsen, entspricht dem EU-weit und
damit auch landesweit geschützten Lebensraum „Artenreiche Borstgrasrasen“.
Landschaftsschutzgebiet Seiser Alm bewahren statt degradieren
Auch das durch die massiven Eingriffe der letzten Jahre ohnehin stark lädierte
Landschaftsbild der Seiser Alm droht mit dem neuen Speicherbecken weiteren
Schaden zu nehmen. Nicht ohne Grund ist die Seiser Alm mit ihren noch
vorhandenen artenreichen hochalpinen Bergwiesen eines der beliebtesten
Fotomotive der Südtiroler Tourismuswerbung und ein ikonisches
Identifikationsmotiv der Südtiroler Bevölkerung. Die Entscheidungsträger in
Politik und Tourismusindustrie täten gut daran, dieses Landschaftsschutzgebiet in
seiner Einzigartigkeit zu erhalten und Projekten wie dem geplanten Speicherbecken
einen Riegel vorzuschieben.
Wo bleibt die Kohärenz der Südtiroler Politik zum Schutz der Artenvielfalt?
Das Verfahren zur Änderung des Bauleitplanes ist zwar bereits abgeschlossen und
das Speicherbecken somit im Bauleitplan eingetragen, doch bedeutet dies nicht,
dass auch das Projekt selbst positiv begutachtet und zwingend gebaut werden muss.
Eine Änderung des Bauleitplanes kann jederzeit wieder rückgängig gemacht
werden.
An den europaweit einzigartigen Brunellen am Puflatsch wird sich zeigen, wie
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kohärent die Politik zum Schutz der Artenvielfalt steht. Die Versprechen dazu
wurden bereits gegeben, jetzt braucht es die entsprechenden Taten.
Alpenverein Südtirol – Dachverband für Natur- und Umweltschutz Südtirol –
Heimatpflegeverband Südtirol – Lia per Natura y Usanzes – Vereinigung
Südtiroler Biologen“
So bleibt noch eine Menge zu tun, um großen Schaden von den Puflatsch-
Brunellen abwenden zu können. Hoffentlich weist der Landeshauptmann
KOMPATSCHER (2021: 5) kürzlich nicht umsonst auf die Notwendigkeit einer
nachhaltigen Entwicklung entsprechend den „Sustainable Development Goals“
der Vereinten Nationen hin, wenn er schreibt: „Wir wollen, nein wir müssen
unseren Kindern einen Planeten hinterlassen, auf dem es möglich ist, gut zu
leben. Nach einer langen Zeit des Höher und Mehr stehen wir vor großen
Herausforderungen, die uns zu einem Umdenken zwingen und vor allem ein
neues Handeln verlangen. … Auf unserem Weg der Nachhaltigkeit liegt das Ziel
darin, von den Erträgen zu leben, anstatt den Kapitalstock weiter abzutragen.“.
Literatur
AUTONOME PROVINZ BOZEN – SÜDTIROL (2019): Beschluss der Landesregierung 764
vom 10.9.2019. Betreff: Gemeinde Kastelruth, Teilweise Genehmigung von
Abänderungen zum Bauleitplan, Landschaftsplan und Gefahrenzonenplan der
Gemeinde. Ratsbeschluss Nr. 4 vom 26/02/2019 und Ratsbeschluss Nr. 19 vom
04/04/2019 (GAB 620/2017). Vorschlag vorbereitet von Abteilung / Amt Nr.
28.2:1-17.
https://www.provinz.bz.it/land/landesregierung/beschluesse.asp?act_search=&a
ct_subjectDe=&act_number=764&act_from=&act_to=&act_type=&act_action
=0s [eingesehen 20.6.2021].
DVN (2021): DVN+Verbände – Land der Artenvielfalt: Nagelprobe auf dem
Puflatsch. Gemeinsame PM von Alpenverein Südtirol – Dachverband für Natur-
und Umweltschutz Südtirol – Heimatpflegeverband Südtirol – Lia per Natura y
Usanzes – Vereinigung Südtiroler Biologen.
https://www.umwelt.bz.it/aktuelles/presse/dvnverbände-land-der-artenvielfalt-
nagelprobe-auf-dem-puflatsch.html [eingesehen 21.5.2021].
KOMPATSCHER, A. (2021): Nachhaltigkeit als Weg.- Heimat & Welt – Zeitschrift für
Südtiroler in der Welt, Juli 2021: 5.
LARCHER, M. (2021): Das Puflatsch-Gen.- FF-Media GmbH/Srl 2021 Nr. 23: 34-36.
LASEN, C. & T. WILHALM (2004): Natura 2000-Lebensräume in Südtirol.- Abteilung
Natur und Landschaft, Autonome Provinz Bozen-Südtirol.
LORENZ, R., HEDRÉN, M., KELLENBERGER, R.T., MADL, J. & P.M. SCHLÜTER (2020):
Die bunten Brunellen vom Puflatsch in Südtirol – ein bedrohtes Naturwunder.-
J. Eur. Orch. 52 (2-4): 249-278.
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