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DigiShop Harz - Dorfladen 2.0: Machbarkeitsstudie

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Eine funktionierende Nahversorgung mit Lebensmitteln und Gütern des alltäglichen Bedarfs ist ein wesentlicher Gelingensfaktor für eine als zufriedenstellend empfundene Lebenssituation in ländlichen Räumen. Aufgrund des demografischen Wandels sowie der – stellenweise inzwischen verlangsamten oder sogar gestoppten – Abwanderung in die alten Bundesländer, ergeben sich insbesondere in ländlichen Räumen in den neuen Bundesländern zunehmend Defizite in der täglichen Versorgung. Wenn nach der letzten Arztpraxis, dem letzten Frisör und der letzten Postannahmestelle auch noch die letzte Dorfkneipe und der letzte Supermarkt oder Discounter im oder am Ort schließen, sind weniger mobile Menschen – und damit insbesondere der ältere und finanziell weniger leistungsfähige Teil der Einwohnerschaft – auf ständige Unterstützung aus der Familie oder Nachbarschaft, auf einen leider oft unzureichend ausgebauten ÖPNV oder auf Lieferdienste und „rollende Supermärkte“ angewiesen. In zahlreichen solcher Ortschaften gab und gibt es Bestrebungen engagierter Anwohnerinnen und Anwohner, die lokale Nahversorgung über nachbarschaftliche Fahrdienste, über mobile Versorger oder über die Einrichtung eines genossenschaftlich oder individuell geführten Dorflandes aufrechtzuerhalten. Nicht selten ist der Betrieb eines derartigen Geschäfts jedoch ein stetiger Kampf um das eigene wirtschaftliche Überleben. Da Dorfläden sowohl mit Blick auf das Warenangebot als auch mit Blick auf die Öffnungszeiten nicht mit größeren Anbietern in benachbarten Ortschaften konkurrieren können, können sie den noch mobilen Teil ihrer potentiellen Kundschaft oft nur in äußerst geringem Umfang an sich binden. Selbst mobile Anwohnerinnen und Anwohner, die aus „lokalpatriotischen Erwägungen“ den letzten noch verbliebenen Nahversorger im Ort unterstützen wollen, sind aufgrund der nicht selten auf wenige Stunden an einzelnen Wochentagen beschränkten Betriebszeiten längst nicht immer zur Nutzung des örtlichen Angebots in der Lage. Ähnlich sieht es mit mobilen Versorgern aus, deren lokale Erreichbarkeit ebenfalls auf kurze Zeiten an einzelnen Tagen beschränkt bleibt. Im Rahmen der vorliegenden Machbarkeitsstudie soll evaluiert werden, inwieweit existierende (oder neu zu schaffende) Dorfläden durch eine geeignete technische Ausstattung in die Lage versetzt werden können, ihre Öffnungszeiten um personalfreie Betriebszeiten zu erweitern, um Einkaufsmöglichkeiten auch außerhalb der Zeiträume anbieten zu können, in denen das Geschäft personell besetzt ist. Dabei geht es ausdrücklich nicht darum, das vorhandene Personal zu ersetzen oder deren Einsatzzeiten zu reduzieren, sondern um eine „echte“ Erweiterung der Öffnungszeiten sowie um die damit einhergehende Vergrößerung des Absatz- und Entwicklungspotentials von Dorfläden als wichtige Nahversorgungsstrukturen und bedeutende Zentren sozialer Kohäsion.
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Wernigeröder Automatisierungs- und Informatik-Texte Ausgabe 04 | 2021
DigiShop Harz
Doraden 2.0
Machbarkeitsstudie
Thomas Schatz, Kathleen Vogel, Peter Kußmann, Christian Reinboth,
Prof. Dr. Ulrich H. P. Fischer-Hirchert
Impressum
Inhaltlich verantwortlich
Autor/-in der Abschlussarbeit
Institution
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Die Hochschule Harz ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie wird durch den
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Umsatzsteuer-Identifikationsnummer
DE231052095
Adresse
Hochschule Harz
Fachbereich Automatisierung und Informatik
Friedrichstraße 57-59
38855 Wernigerode
Kontakt
Dekanin des Fachbereiches Automatisierung und Informatik
Prof. Dr. Andrea Heilmann
Tel.: +49 3943 659 300
Fax: +49 3943 659 399
E-Mail: dekanin-ai@hs-harz.de
Aufsichtsbehörde
Das Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung des Landes Sachsen-
Anhalt (MW), Hasselbachstraße 4, 39104 Magdeburg, ist die zuständige Aufsichtsbehörde.
ISSN 2702-2293
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- dass die Hochschule Harz von etwaigen Ansprüchen Dritter (z.B. Mitautor/-in,
Miturheber/-in, Verlage) freigestellt ist
Machbarkeitsstudie
DigiShop Harz
Dorfladen 2.0
Verfasst von:
Thomas Schatz
Kathleen Vogel
Peter Kußmann
Christian Reinboth
Prof. Dr. Ulrich H.P. Fischer-Hirchert
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
Finalfassung Seite 2 von 104 13.11.2019
Inhalt
1. Vorwort................................................................................................................................................ 4
2. Einführung und Zielstellung ................................................................................................................. 6
2.1 Einführung ..................................................................................................................................... 6
2.2 Zielstellung .................................................................................................................................... 8
2.3 Aufbau und Methodik ................................................................................................................. 11
2.4 Begriffsdefinitionen ..................................................................................................................... 14
3. Juristische Fragestellungen ............................................................................................................... 18
3.1 Verpflichtung zur Rücknahme von Pfandgut ............................................................................... 18
3.2 Verbraucherschutzkonforme MHD-Kontrolle ............................................................................. 19
3.3 Bindung an die gesetzlichen Öffnungszeiten .............................................................................. 22
3.4 Verkauf von Alkoholika und Tabakwaren .................................................................................... 23
4. Wirtschaftliche Fragestellungen ........................................................................................................ 25
4.1 Eigenschaften geeigneter Orte und Immobilien ......................................................................... 25
4.2 Ermittlung des Mindestwarenangebots ...................................................................................... 26
4.3 Musterkalkulation ....................................................................................................................... 29
4.4 Bedeutung regional produzierter Waren .................................................................................... 33
4.5 Verkauf regionaler Waren über Automaten ............................................................................... 40
4.6 Prozessunterstützung durch Warenwirtschaftssysteme............................................................. 42
4.7 Zusätzliche Angebote in Dorfläden ............................................................................................. 44
5. Technische Fragestellungen .............................................................................................................. 48
5.1 Ermittelte Versorgungsansätze ................................................................................................... 48
5.2 Ermittelte technische Lösungen .................................................................................................. 52
5.3 Geeignete Systeme zur Diebstahlsicherung ................................................................................ 59
5.4 Datenschutzkonformität der Systeme ........................................................................................ 64
5.7 Kombination mit Verkaufsautomaten ......................................................................................... 64
5.5 Umgang mit Technikakzeptanzhürden ........................................................................................ 66
5.6 Aufwandsschätzung einer Eigenentwicklung .............................................................................. 71
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
Finalfassung Seite 3 von 104 13.11.2019
5.7 Empfehlungen für ein einzusetzendes System............................................................................ 72
6. Umsetzung im Harz ........................................................................................................................... 87
6.1 Der Landkreis Harz....................................................................................................................... 87
6.2 Geeignete Standorte ................................................................................................................... 88
6.3 Geeignete Immobilien ................................................................................................................. 93
7. Fazit und Empfehlungen .................................................................................................................... 97
8. Verwendete Quellen ......................................................................................................................... 99
Die Erstellung dieser Studie wurde unter der ZD-Nummer 158853700039 im Rahmen des Entwicklungspro-
gramms für den ländlichen Raum des Landes Sachsen-Anhalt 2014 2020 (EPLR) gemäß der Maßnahme „Un-
terstützung für die lokale Entwicklung LEADER (CLLD)“ und im Schwerpunktbereich „Förderung der lokalen
Entwicklung in ländlichen Gebieten“ aus Mitteln des Europäischen Landwirtschaftsfonds zur Entwicklung des
ländlichen Raumes (ELER) und des Landes Sachsen-Anhalt gefördert.
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
Finalfassung Seite 4 von 104 13.11.2019
1. Vorwort
Eine funktionierende Nahversorgung mit Lebensmitteln und Gütern des alltäglichen Bedarfs ist ein we-
sentlicher Gelingensfaktor für eine als zufriedenstellend empfundene Lebenssituation in ländlichen
Räumen. Aufgrund des demografischen Wandels sowie der stellenweise inzwischen verlangsamten
oder sogar gestoppten Abwanderung in die alten Bundesländer, ergeben sich insbesondere in länd-
lichen Räumen in den neuen Bundesländern zunehmend Defizite in der täglichen Versorgung. Wenn
nach der letzten Arztpraxis, dem letzten Frisör und der letzten Postannahmestelle auch noch die letzte
Dorfkneipe und der letzte Supermarkt oder Discounter im oder am Ort schließen, sind weniger mobile
Menschen und damit insbesondere der ältere und finanziell weniger leistungsfähige Teil der Einwoh-
nerschaft auf ständige Unterstützung aus der Familie oder Nachbarschaft, auf einen leider oft unzu-
reichend ausgebauten ÖPNV oder auf Lieferdienste und „rollende Supermärkte“ angewiesen.
In zahlreichen solcher Ortschaften gab und gibt es Bestrebungen engagierter Anwohnerinnen und An-
wohner, die lokale Nahversorgung über nachbarschaftliche Fahrdienste, über mobile Versorger oder
über die Einrichtung eines genossenschaftlich oder individuell geführten Dorflandes aufrechtzuerhal-
ten. Nicht selten ist der Betrieb eines derartigen Geschäfts jedoch ein stetiger Kampf um das eigene
wirtschaftliche Überleben. Da Dorfläden sowohl mit Blick auf das Warenangebot als auch mit Blick auf
die Öffnungszeiten nicht mit größeren Anbietern in benachbarten Ortschaften konkurrieren können,
können sie den noch mobilen Teil ihrer potentiellen Kundschaft oft nur in äußerst geringem Umfang
an sich binden. Selbst mobile Anwohnerinnen und Anwohner, die aus „lokalpatriotischen Erwägungen“
den letzten noch verbliebenen Nahversorger im Ort unterstützen wollen, sind aufgrund der nicht sel-
ten auf wenige Stunden an einzelnen Wochentagen beschränkten Betriebszeiten längst nicht immer
zur Nutzung des örtlichen Angebots in der Lage. Ähnlich sieht es mit mobilen Versorgern aus, deren
lokale Erreichbarkeit ebenfalls auf kurze Zeiten an einzelnen Tagen beschränkt bleibt.
Im Rahmen der vorliegenden Machbarkeitsstudie soll evaluiert werden, inwieweit existierende (oder
neu zu schaffende) Dorfläden durch eine geeignete technische Ausstattung in die Lage versetzt werden
können, ihre Öffnungszeiten um personalfreie Betriebszeiten zu erweitern, um Einkaufsmöglichkeiten
auch außerhalb der Zeiträume anbieten zu können, in denen das Geschäft personell besetzt ist. Dabei
geht es ausdrücklich nicht darum, das vorhandene Personal zu ersetzen oder deren Einsatzzeiten zu
reduzieren, sondern um eine „echte“ Erweiterung der Öffnungszeiten sowie um die damit einherge-
hende Vergrößerung des Absatz- und Entwicklungspotentials von Dorfläden als wichtige Nahversor-
gungsstrukturen und bedeutende Zentren sozialer Kohäsion.
Die Autorinnen und Autoren sowie der Vorstand des TECLA e.V. hoffen, dass dieses Ziel mit der vorlie-
genden Machbarkeitsstudie erreicht wird, die perspektivisch allen interessierten Betreiberinnen und
Betreibern zur Verfügung gestellt werden soll. Zu danken ist an dieser Stelle der LEADER-Aktionsgruppe
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
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Harz (LAG Harz) für die großzügige Förderung der Erstellung dieser Studie namentlich insbesondere
der LEADER-Koordinatorin für den Landkreis Harz, Frau Fricke, und dem Projektverantwortlichen im
Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt, Herrn Waldeck. Ganz besonders würde sich der Vereinsvor-
stand über die Möglichkeit freuen, den Pilotbetrieb eines Dorfladens mit personalfreien Öffnungszei-
ten im Rahmen eines weiteren Fördervorhabens im Förderbereich der LAG Harz begleiten zu dürfen.
Wernigerode / Halle im November 2019
Uwe Witczak Thomas Schatz Christian Reinboth
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
Finalfassung Seite 6 von 104 13.11.2019
2. Einführung und Zielstellung
2.1 Einführung
In zahlreichen europäischen Ländern ist ein schleichender, streckenweise aber durchaus bereits be-
schleunigter Rückgang der fußläufig erreichbaren Möglichkeiten der Nahversorgung in ländlichen Räu-
men festzustellen (vgl. Kuhlicke et al. 2005, S. 13). Mussten um 2005 erst 17% der ländlichen Bevölke-
rung mehr als 1.000 m Wegstrecke zum nächsten Nahversorger zurücklegen (vg. Kuhlicke et al. 2005,
S. 27), waren es 2014 bereits 48% - eine Entwicklung, die mit einem Rückgang an entsprechenden
Ladengeschäften um 54% allein in der Zeit zwischen 1990 und 2010 einherging (vgl. Küpper & Tautz
2015, S. 143)
1
. Es ist davon auszugehen, dass in abgelegeneren ländlichen Regionen bereits mehr als
drei Viertel der Bevölkerung über 1.000 m vom nächsten Lebensmittelgeschäft entfernt leben. Zu den
Treibern dieser Entwicklung gehören laut Küpper & Tautz (2015, S. 139-140) unter anderem „gestie-
gene Anforderungen an Auswahl, Qualität und Preis der Nachfrager sowie wachsender Konkurrenz-
druck und unvorteilhafte Lieferkonditionen insbesondere für kleinere Läden auf der Anbieterseite so-
wie die „Neuorganisation des Sektors in großen Konzernen oder Zusammenschlüssen“ zur Senkung
der Einkaufspreise durch Akkumulation von Marktmacht. Als Hauptgrund des Ladensterbens ist Kuhli-
cke et al. (2005, S. 96) zufolge jedoch die stetig zunehmende Mobilität eines Großteils der Kunden-
gruppen zu betrachten: Während in den 1980ern noch gut die Hälfte aller Einkaufswege fußläufig zu-
rückgelegt wurde und die andere Hälfte anteilig auf ÖPNV und Auto entfielen, lag der Anteil der Auto-
fahrten bereits zur Jahrtausendwende bei rund 60%.
Parallel zu dieser Entwicklung verlaufende gesellschaftliche Tendenzen wie insbesondere der demo-
grafische Wandel sowie der Trend zu mehr Einpersonenhaushalten führen dazu, dass mehr und mehr
Menschen auf Hilfe bei der Nahversorgung angewiesen sind (vgl. Warburg 2011, S. 133). Dabei bedin-
gen sich die Prozesse gegenseitig: Durch den demografischen Wandel (siehe zu diesem Thema u.a.
Carretero et al. 2012, Haustein & Mischke 2011 oder Grünheid & Ahmed 2013) sinkende Einwohner-
zahlen erzeugen in ländlichen Ortschaften eine Situation, in welcher die im Ort verbleibende Nachfrage
nicht mehr ausreicht, um einen klassischen Nahversorgungsbetrieb kostendeckend zu betreiben. Nicht
selten geraten solche Kommunen in eine Negativspirale: Nach und nach werden Poststellen, Arztpra-
xen und Händler aufgrund fehlender Nachfrage geschlossen und jede dieser Schließungen trägt (nicht
zuletzt aufgrund der keinesfalls zu unterschätzenden sozialen Kohäsionswirkung solcher Geschäfte,
siehe hierzu etwa Quiring 2014, S. 15) ihrerseits zur Verminderung der Lebensqualität im Ort bei, was
1
Eine Entwicklung, die sich nicht nur auf die Bundesrepublik beschränkt: Laut Küpper & Tautz (2013, S. 142) ist
etwa in Finnland die Anzahl an Einzelhändlern zwischen 1978 und 2010 um 65% gesunken. Die Entwicklung be-
trifft auch dort in besonderer Weise den ländlichen Raum, wo der Rückgang an kleineren Läden zwischen 1992
und 2011 bei 72% lag.
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
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wiederum zu mehr Wegzug und damit zu einer weiter sinkenden Nachfrage und neuen Schließungen
führt (vgl. Slupina & Kröhnert 2012, S. 4; Meessen et al. 2012, S. 177).
Insbesondere ältere Menschen, die im Mittel sowohl zu Fuß als auch mit ÖPNV und Auto weniger mobil
sind, werden von dieser Entwicklung zunehmend abgekoppelt (vgl. Kuhlicke et al. 2005, S. 106; Slupina
& Kröhnert 2012, S. 5). Während die mobileren Familien und jüngeren Menschen ihre Ausgaben ein-
fach auf die reichhaltigen Angebote nahegelegener Bevölkerungszentren umlagern, sitzen ältere Men-
schen insbesondere dann, wenn sie durch gesundheitliche Probleme in ihrer Mobilität eingeschränkt
sind oder aber über keinen eigenen PKW verfügen in abgehängten Orten mit schlechter ÖPNV-An-
bindung fest und sind für die Versorgung auf die Hilfe von Nachbarn oder Familienmitgliedern ange-
wiesen. Gerade in Bundesländern wie Sachsen-Anhalt, in denen viele jüngere Menschen aus berufli-
chen Gründen den ländlichen Raum verlassen haben, ist diese Hilfe oft nur eingeschränkt verfügbar.
Gleiches gilt neben der Zielgruppe Älterer auch für Menschen aller Altersgruppen mit gesundheitlichen
Einschränkungen (vgl. Kuhlicke et al. 2005, S. 93), womit die im Rahmen dieser Machbarkeitsstudie
angestellten Überlegungen und Empfehlungen nicht nur als Beitrag zur Herstellung der grundgesetz-
lich verbrieften gleichen Lebensverhältnisse, sondern auch als Beitrag zur Verbesserung der allgemei-
nen Barrierefreiheit sowie zur Erhaltung von Eigenständigkeit und Kompetenz zu verstehen sind.
Ging man noch zur Jahrtausendwende davon aus, dass der Einkauf von Waren über das Internet die
sich im ländlichen Raum abzeichnenden Versorgungslücken schließen würde, muss mittlerweile fest-
gestellt werden, dass sich diese Erwartungen bislang nicht erfüllt haben, da gerade ältere Konsumen-
tinnen und Konsumenten zum einen stark an einmal erlernten Einkaufsgewohnheiten festhalten und
zum anderen nur selten bereit oder finanziell dazu in der Lage sind, die im Online-Handel unvermeid-
lichen Liefer- oder Versandkosten zu tragen (vgl. Schatz 2017, S. 7).
In vielen unterversorgten Ortschaften bemühen sich engagierte Bürgerinnen und Bürger nach Kräften
darum, die Engpässe mit individuell oder genossenschaftlich betriebenen Dorf-, Gemeinschafts- oder
Hofläden zu schließen. Küpper & Tautz 2013 (S. 142) zufolge, existierten in Deutschland um 2010 be-
reits 250 dieser neuen Nahversorgungseinrichtungen, deren Zahl jährlich um etwa 20 zunimmt. Neben
ihrer Versorgungsfunktion fördert die Existenz von Dorfläden vielerorts die soziale Kohäsion sowie die
Kontakthäufigkeit und stärkt bürgerschaftliches Engagement und dörfliche Identität (ebd., S. 139).
2
Nicht selten scheitern solche Läden jedoch an der Wirtschaftlichkeit sowie an den Gegebenheiten des
Marktes immerhin bedeutet der grundsätzlich breit vorhandene Wunsch nach einer lokalen Einkaufs-
möglichkeit auch außerhalb der Zielgruppe der Älteren nicht, dass diese auch in einem für den wirt-
schaftlichen Betrieb erforderlichen Umfang genutzt wird. So beschreibt etwa Grundert 2010 (S. 114
2
Die Förderung solcher Geschäfte fällt damit übrigens exakt in die Förderziele des LEADER-Programms.
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
Finalfassung Seite 8 von 104 13.11.2019
ff.) den wirtschaftlich problematischen Betrieb eines Dorfladens im hessischen Krombach: Obwohl die-
ser in einer repräsentativen Erhebung der Dorfbevölkerung von 91% der Befragten als wichtig bis sehr
wichtig für den Ort eingeschätzt wird, kauft ein Großteil der Bevölkerung dort nur selten bis sehr selten
ein. Ursächlich für diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit sind vielfach das für (noch)
mobile Kundinnen und Kunden attraktivere Warenangebot von im weiteren Umkreis erreichbareren
Supermärkten und Discountern sowie die unzeitgemäßen Öffnungszeiten vieler Dorfläden, die nicht
selten auf nur wenige Stunden an zwei oder drei Tagen je Woche begrenzt sind.
Abbildung 1: Dorfladen in Landscheid in der Eifel (Foto: Götz Feige, Lizenz: CC BY 3.0).
2.2 Zielstellung
Wie dargestellt, können Dorfläden in einer Zeit des Wandels für den ländlichen Raum eine wesentliche
Rolle einnehmen, sind zugleich jedoch wirtschaftlich limitiert und scheitern an den Rahmenbedingun-
gen, die ihre Existenz erst möglich gemacht haben: Bei einem limitierten Kundenklientel in meist nied-
rigem vierstelligem Bereich sowie einem beschränkten Platzangebot und ungünstigen Lieferkonditio-
nen lassen sich auf Dauer oft weder ein attraktives Warenangebot noch akzeptable Öffnungszeiten
aufrechterhalten. Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) können hier Abhilfe
schaffen und werden gänzlich neue Formen der wohnortnahen Versorgung mit Lebensmitteln und Gü-
tern des täglichen Bedarfs ermöglichen. Für strukturarme Regionen bietet die Digitalisierung damit
neue Chancen zur Schaffung generationengerechter und barrierefreier Versorgungsinfrastrukturen.
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
Finalfassung Seite 9 von 104 13.11.2019
Insbesondere rückt durch Selbstbedienungskassen, Authentifikationssysteme und die Integration von
RFID-Chips in immer mehr Produktverpackungen eine Situation näher, in der Dorfläden zumindest zeit-
weise personalfrei betrieben werden könnten, wodurch sich die Öffnungszeiten ausdehnen und damit
die Attraktivität erheblich steigern ließe. Die Vorstellung von einem solchen „Smart Market“ sind nicht
einmal besonders neu: Bereits 2009 beschrieben Zhang et al. einen Supermarkt, in dem die Kundinnen
und Kunden über im Laden verteilte Terminals beim Einkauf unterstützt werden und die gekaufte Ware
anschließend an einer Selbstkasse abrechnen, ohne dass Personal involviert ist. Einen ersten Vorstoß
in Richtung personalfreier Märkte unternimmt seit 2016 der US-Handelsriese Amazon mit den Amazon
Go-Märkten, in denen Kunden mittels eines QR-Codes identifiziert und ihr Einkauf über KI-gestützte
Kamera- und Sensorsysteme verfolgt und abrechenbar gemacht wird (vgl. Meier et al., S. 182).
Abbildung 2: Kundinnen an der Selbstkasse eines spanischen Supermarkts (Foto: Nuno Carvalho, Lizenz: CC-BY ND 4.0).
Auch wenn dieses Konzept für den Einsatz in Dorfläden noch zu futuristisch (da kostspielig) sein dürfte,
ist der weitgehend personalfreie Betrieb von Märkten, in denen die Kundinnen und Kunden die ge-
wählte Ware eigenständig an Selbstbedienungskassen abrechnen, eine vieldiskutierte, in der dörfli-
chen Praxis (außerhalb der skandinavischen Länder) bis dato jedoch noch nirgendwo umgesetzte, tech-
nologiegetriebene Alternative zum klassischen Dorfladen. Basierend auf ersten Untersuchungen von
Schatz (2017), der eine Erweiterung der klassischen Öffnungszeiten von Dorfläden um personalfreie
Öffnungszeiten empfiehlt, sollen im Rahmen dieser Machbarkeitsstudie die allgemeinen wirtschaftli-
chen und technischen Rahmenbedingungen des Betriebs zeitweilig personalfreier Dorfläden unter be-
sonderer Berücksichtigung der Rahmenbedingungen in der LEADER-Region Harz untersucht werden.
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
Finalfassung Seite 10 von 104 13.11.2019
Ein besonderes Augenmerk soll dabei u.a. auf den folgenden Fragestellungen liegen:
Wie kann das Zutrittsmanagement zu einem personalfreien Dorfladen mit möglichst gerin-
gem Aufwand und bei gleichzeitig maximal möglicher Barrierefreiheit realisiert werden?
Welche bereits marktverfügbaren Selbstkassen- und Abrechnungssysteme könnten
unter den örtlichen Rahmenbedingungen wirtschaftlich genutzt werden?
Welches Warensortiment muss bzw. sollte ein solcher Dorfladen mindestens
vorhalten, um langfristig Bestand haben zu können?
Welche Anforderungen stellen die Kundinnen und Kunden an das verfügbare
Angebot sowie an die Benutzerfreundlichkeit der zu verwendenden Technik?
Kann ein Dorfladen trotz personalfreier Öffnungszeiten zu einem sozialen Nebenzentrum
erwachsen und damit zur sozialen Kohäsion der jeweiligen Dorfgemeinschaft beitragen?
An diese hier skizzierten Fragen knüpft sich eine ganze Reihe nachgelagerter, für die Vorbereitung ei-
nes wirtschaftlich erfolgreichen Marktbetriebs jedoch entscheidender Fragestellungen an. Diese be-
treffen u.a. den Umgang mit der deutschen Rücknahmepflicht für Pfandgut, diverse datenschutzrecht-
liche Fragen, die Akzeptanz von Selbstbedienungskassen in unterschiedlichen Technikgenerationen so-
wie die Möglichkeiten der Integration von regionalen Produkten in das Sortiment eines Dorfladens 2.0.
Mit dieser Machbarkeitsstudie soll eine inhaltliche Grundlage für die Einrichtung und Erprobung eines
solchen Dorfladens in der LEADER-Region Harz geschaffen werden.
Im Sinne einer möglichst breiten Nutzung der im Rahmen dieses Projekts erarbeiteten Inhalte, muss
keine Beschränkung auf den Bereich der Nahversorgung stattfinden. So liegt dem Projektteam unter
anderem eine Anfrage aus der Gemeinde Hohe Börde vor, in der eine ehemalige Kirche in einen Cowor-
king Space d.h. einen flexiblen und gemeinsam nutzbaren Arbeitsraum für Freiberufler und Künstler
umgewandelt werden soll. Für dieses Gebäude wird ähnlich wie für den Dorfladen 2.0 außerhalb
der personell untersetzten Öffnungszeiten eine flexible und dennoch sichere Zutrittslösung auf Basis
einer Kombination von ID-Token und PIN oder Passwort benötigt. Auch für andere Lokalitäten im länd-
lichen Raum man denke etwa an Büchereien oder Dorfmuseen könnte das in dieser Machbarkeits-
studie beschriebene Zutrittssystem von grundsätzlichem Interesse sein.
Als Auftraggeber dieser Machbarkeitsstudie fungiert der im Jahr 2012 in Wernigerode gegründete Ver-
ein TECLA e.V.
3
(Förderverein für technische Pflegeassistenzsysteme), welcher auf ehrenamtlicher Ba-
sis sowohl die Arbeit des BMWi-geförderten ZIM-NEMO-Netzwerks TECLA
4
(2010 2013), als auch der
beiden BMBF-geförderten Senioren-Technik-Beratungsstellen in Halberstadt und Wanzleben-Börde
3
http://www.mytecla.de
4
https://www.hs-harz.de/forschung/ausgewaehlte-forschungsprojekte/tecla-nemo/
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
Finalfassung Seite 11 von 104 13.11.2019
(2014 2015) fortführt. Der Satzungszweck des Vereins ist die Unterstützung älterer und hilfebedürf-
tiger Personen in ihrem Bestreben nach einer möglichst autonomen Lebensführung. Dieser Satzungs-
zweck wird insbesondere durch die Schaffung niederschwelliger Informations- und Beratungsangebote
für unterstützungsbedürftige Personen, deren Angehörige und professionelles Betreuungs- und Pfle-
gepersonal, durch die Durchführung wissenschaftlicher Veranstaltungen und die Initiierung und Be-
gleitung von Forschungsvorhaben in den Bereichen Telepflege, AAL (Ambient Assisted Living) und Da-
seinsvorsorge sowie durch die Schaffung von Foren für die Kooperation und den themenbezogenen
Wissenstransfer zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und öffentlicher Verwaltung verwirklicht.
2.3 Aufbau und Methodik
Beteiligte Parteien und Studienaufbau
Die vorliegende Machbarkeitsstudie zerfällt in drei wesentliche inhaltliche Bereiche, die jeweils unter
Mitarbeit von Mitgliedern des TECLA e.V. durch zwei externe Auftragnehmer bearbeitet wurden.
Während sich nach einem Vorwort in Kapitel 1 und einigen methodischen und definitorischen Grund-
lagen in Kapitel 2 die Kapitel 3 und 4 den juristischen Fragestellungen sowie den wirtschaftlichen
Grundlagen des Betriebs eines Dorfladens mit personalfreien Öffnungszeiten widmen, wird in Kapitel
5 ein realistisches technisches Szenario für eine finanzierbare Realisierung erarbeitet. Kapitel 6 und 7
sind dagegen der Betrachtung der aktuellen Nahversorgungssituation im Bereich der LAG Harz sowie
der Frage gewidmet, welche Ortschaften und bereits existierenden Geschäfte für die lokale Realisie-
rung eines Dorfladens mit personalfreien Öffnungszeiten am besten geeignet wären.
Während die wirtschaftlichen und juristischen Fragestellungen wesentlich durch Frau Kathleen Vogel
eine studierte Betriebswirtin und freiberufliche Wirtschaftsberaterin mit jahrelangem beruflichem
Background im Einzelhandel- und Discountbereich bearbeitet wurden, zeichnen sich für die Erarbei-
tung des technischen Konzepts Herr Prof. Dr. Ulrich H.P. Fischer-Hirchert
5
sowie Herr Peter Kußmann
von der Hochschule Harz
6
verantwortlich. Prof. Fischer-Hirchert studierte Physik an der Freien Univer-
sität Berlin, die er 1988 mit dem Doktor-grad Dr. rer. nat. verließ. Anschließend war er sowohl in der
Lehre (zunächst als Dozent an der FHTW Berlin sowie seit 2001 als Professor für Telekommunikations-
technik an der Hochschule Harz) als auch in der Forschung (als leitender Mitarbeiter am Heinrich-Hertz-
Institut für Nachrichtentechnik in Berlin) tätig. An der Hochschule Harz leitete er in den vergangenen
Jahren zahlreiche Forschungsprojekte (aktuell tecLA LSA AiA
7
sowie das BMBF-finanzierte 2020-Kon-
sortium fast care
8
), die sich mit Technik-Interaktionen durch Seniorinnen und Senioren sowie deren
5
https://www.hs-harz.de/ufischerhirchert/
6
http://www.hs-harz.de
7
http://tecla.hs-harz.de
8
http://fastcare.hs-harz.de
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
Finalfassung Seite 12 von 104 13.11.2019
Angehörige und Pflegepersonal auseinandersetzen. Herr Kußmann ist als Ingenieur für Kommunikati-
onstechnik seit vielen Jahren Mitglied in von Prof. Fischer-Hirchert geleiteten Projektteams.
Erfassung und Sichtung relevanter Literatur
Die theoretische Grundlage für die Erarbeitung der in den Kapiteln 3 bis 5 dieser Machbarkeitsstudie
angestellten Betrachtungen, ist eine zu Jahresbeginn durch den TECLA e.V. durchgeführte wissen-
schaftliche Literaturrecherche, die anschließend durch die beiden Auftragnehmer ergänzt wurde. Hier-
bei wurde wie nachfolgend beschrieben vorgegangen.
Zwischen dem 10.01.2019 und dem 11.01.2019 wurde über die akademischen Suchmaschinen
EconBiz
9
,
OpenGrey
10
,
Science.gov
11
,
Google Scholar
12
,
Microsoft Academic Search
13
,
BASE
14
(Bielefeld Academic Search Engine)
und das DOAJ
15
(Directory of Open Access Journals)
sowie über die akademischen Netzwerke
Academia
16
,
Mendeley
17
und Research Gate
18
und die akademischen Repositorien
arXiv
19
und SSOAR
20
(Social Science Open Access Repository)
9
https://www.econbiz.de
10
http://www.opengrey.eu
11
http://www.science.gov
12
https://scholar.google.de
13
https://academic.microsoft.com
14
https://base-search.net
15
https://doaj.org
16
https://www.academia.edu
17
https://www.mendeley.com
18
https://www.researchgate.net
19
https://arxiv.org
20
https://www.gesis.org/ssoar/home/
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
Finalfassung Seite 13 von 104 13.11.2019
sowie im Statistik-Datendienst Statista
21
nach wissenschaftlichen Publikationen und anderen Fachver-
öffentlichungen gesucht, die unter einem der nachfolgend aufgeführten und im Vorfeld der Recherche
durch das Projektteam als themenrelevant identifizierten Schlagworte bzw. unter einer der nachfol-
gend aufgeführten Schlagwort-Kombinationen aufgefunden werden konnten.
Schlagworte und Schlagwort-Kombinationen in deutscher Sprache:
„Dorfladen“
„Regionale Produkte“
„Pfand“ + „Rücknahme“
„Diebstahl“ + „Supermarkt“
„Personalfrei“ + „Supermarkt“
„Selbstbedienungskasse“
„Selbstzahlerkasse“
Schlagworte und Schlagwort-Kombinationen in englischer Sprache:
„Village Shop“
„Country Store“
Regional Products
Return Deposit Bottle“
„Theft“ + „Supermarket“
„Self-Checkout“
Um in die Grundmenge der nachfolgend zu sichtenden Quellen aufgenommen zu werden, mussten die
aufgefundenen Veröffentlichungen neben einer im Titel oder Abstract klar erkennbaren inhaltlichen
Relevanz die nachfolgend aufgeführten weiteren Kriterien erfüllen:
Publikation in deutscher oder englischer Sprache
Veröffentlichung im Zehn-Jahres-Zeitraum zwischen 2009 und 2018
Frei (Open Access) oder über das Campusnetz der Hochschule Harz verfügbar
Diese initiale Suche erbrachte 82 Veröffentlichungen, die in der Literaturdatenbank Citavi
22
im Volltext
erfasst und kategorisiert wurden. Diese 82 Veröffentlichungen wurden von den beiden Auftragneh-
mern um weitere 36 Publikationen ergänzt, so dass die Datenbank zum Zeitpunkt der Finalisierung
dieser Machbarkeitsstudie insgesamt 118 erfasste, kategorisierte und ausgewertete Quellen beinhal-
tet. Bei den erfassten Quellen handelt es sich größtenteils um Monografien und peer-reviewte Beiträge
21
http://www.statista.de
22
https://www.citavi.com
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
Finalfassung Seite 14 von 104 13.11.2019
in Fachzeitschriften unterschiedlicher Disziplinen, darüber hinaus wurden aber auch einige akademi-
sche Abschlussarbeiten, Gesetzestexte, Presseveröffentlichungen sowie Publikationen erfasst, welche
der sogenannten Grauen Literatur (d.h. White Paper, Projektberichte etc.) zuzuordnen sind.
Der Großteil der auf diese Weise erfassten Veröffentlichungen fand als Quellen Eingang in diese Mach-
barkeitsstudie. Da die Literaturdatenbank neben freien Veröffentlichungen auch solche Veröffentli-
chungen umfasst, die über die On-Leihe der Hochschule Harz bezogen wurden, kann sie bei Interesse
lediglich in gekürzter Form elektronisch zur Verfügung gestellt werden.
2.4 Begriffsdefinitionen
Bevor im dritten Kapitel dieser Machbarkeitsstudie der Einstieg in die eigentlichen inhaltlichen Frage-
stellungen erfolgt, sollen noch einige für die nachfolgenden Ausführungen wesentlichen Begriffe sau-
ber eingegrenzt bzw. definiert werden.
Nahversorgung
Als Nahversorgung ist die lokale Versorgung mit Waren des täglichen Bedarfs in einer Entfernung de-
finiert, welche die Kundin oder der Kunde noch zu Fuß zurücklegen können. In der Fachliteratur exis-
tieren unterschiedliche Auffassungen darüber, welche Distanz hier anzusetzen ist: Während Kuhlicke
et al. (2005, S. 28) von einer Maximaldistanz von 500 m ausgehen, ziehen Küpper & Tautz (2013, S.
139) die Grenze der zumutbaren Distanz bei 1.000 m. Zu beobachten ist dabei eine Ausweitung der
Distanz mit der Zeit so finden sich in (nicht betrachteten, da außerhalb des Zeitraums der Literatur-
recherche liegenden) Publikationen aus den 1990ern teilweise noch Angaben von 200 m bis 300 m,
wohingegen jüngste Veröffentlichungen zu Dorfläden davon ausgehen, dass sich deren Betrieb erst
dann rechnet, wenn die Distanz zum nächstgelegenen Nahversorger mehr als 5 km beträgt.
Dorfladen
Unter einem Dorfladen wird ein stationäres Gewerbe verstanden, welches in Ortschaften mit weniger
als 5.000 Einwohnern auf einer Verkaufsfläche von bis zu 400 m² ein breites Sortiment von Gütern des
täglichen Bedarfs sowie ggf. die Erbringung von Dienstleistungen wie etwa Post- und Bankdienstleis-
tungen anbietet. Eine Befragung von 103 derartigen Läden durch Küpper (2014, S. 8 ff.) ergab, dass die
Geschäftsformen im Median 2.000 Artikel anbieten und etwa 1.000 Kundinnen und Kunden pro Woche
bedienen. Etwa die Hälfte der Geschäfte verfügt über einen gastronomischen Bereich, ungefähr jeder
fünfte Dorfladen ist vollständig oder teilweise von ehrenamtlicher Mitarbeit abhängig. Verkaufsfläche
und Angebot kommen dabei den Konsumpräferenzen älterer Kundinnen und Kunden entgegen: Diese
wünschen sich nach Kuhlicke et al. (2005, S. 93) „kleine, übersichtlichere Geschäfte mit freundlicher
Bedienung“ und bevorzugen „wohnortnahe Geschäfte gegenüber Filialen.“
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
Finalfassung Seite 15 von 104 13.11.2019
Drei von vier Dorfläden generieren einen jährlichen Umsatz von weniger als einer halben Million Euro,
jeder dritte Laden ist noch keine zwei Jahre alt, nur sehr wenige sind bereits fünf Jahre und älter. Ein
Großteil der Geschäfte befindet sich in einem ständigen Überlebenskampf: Von den 103 im Jahr 2014
von Küpper befragten Inhaberinnen und Inhabern, waren zehn um Zeitpunkt der Erhebung im Begriff,
ihren Dorfladen wieder zu schließen oder hatten dies schon getan, während weitere elf angaben, die
definitive Entscheidung für eine Aufgabe bereits getroffen zu haben. Als eine wesentliche Eigenschaft
von Dorfläden kann neben den benannten Kenngrößen zu Umsatz, Größe, Sortiment und Kundschaft
das hohe persönliche und nicht selten ehrenamtliche bzw. unvergütete Involvement der zumeist
ortsansässigen Betreiberinnen und Betreiber gelten (vgl. Meesen et al. 2012, S. 178).
Die meisten Dorfläden firmieren dabei in Rechtsformen, in denen sich die Bindung an Einzelpersonen
sowie an die Dorfgemeinschaft wiederspiegelt. Dies können neben der GbR und dem eK bei Einzelper-
sonen insbesondere Genossenschaften, gGmbHs und Vereine bei kollektiven Unternehmungen sein.
Gründungen in Form von KGs und GmbHs existieren, sind aber unüblich. Insbesondere bei Kollektiv-
gründungen offenbart sich, auf welch breitem Boden manche Dorfläden stehen. So berichten zum Bei-
spiel Krämer (2014, S. 119) aus Altendorf und Slupina & Köhler (2012, S. 28) aus Heiligersdorf und
Barmen von Gründungen, bei denen weit über 100 Einwohnerinnen und Einwohner der kleinen Ge-
meinden Anteile an den entstehenden Genossenschaften respektive an der GmbH & Co. KG zeichne-
ten. Wie Küpper und Tautz (2013, S. 141) feststellen, ist unabhängig von der Rechtsform zu konsta-
tieren, dass Anwohnerinnen und Anwohner unterversorgter Orte sich häufig durch Zurverfügungstel-
lung von günstigem Kapital, Betriebsflächen und ehrenamtlicher Mitarbeit in besonderem Maße für
„ihren“ Dorfladen engagieren und sich mit diesem identifizieren.
Hofladen
Im Gegensatz zu Dorfläden werden Hofläden nicht der Nahversorgungs-Infrastruktur zugerechnet, ins-
besondere da sie in der Regel nicht alle für die Absicherung des täglichen Bedarfs erforderlichen Güter
im Sortiment führen. Der Schwerpunkt liegt meist im Vertrieb landwirtschaftlicher Erzeugnisse eines
oder mehrerer angeschlossener oder umliegender Betriebe; neben den Einheimischen gehören meist
auch Touristen und durchreisende Pendler zur Zielkundschaft (vgl. Quiring 2014, S. 21). Mittlerweile
finden sich insbesondere dort, wo sonst keine andere Nahversorgungs-Infrastruktur mehr existiert
allerdings auch Hofläden, die Produkte vertreiben, welche in Betrieben hergestellt wurden, die in ei-
nem deutlich größeren Radius liegen und die ihr Sortiment zudem um nicht-landwirtschaftliche Er-
zeugnisse des täglichen Bedarfs (wie etwa Toilettenpapier, Kosmetika oder Spülmittel) aufgestockt ha-
ben. Vor diesem Hintergrund wurden im Rahmen der Machbarkeitsstudie etwa bei der Betrachtung
der Nahversorgungssituation im Landkreis Harz in Kapitel 6 neben den Dorfläden ausdrücklich auch
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
Finalfassung Seite 16 von 104 13.11.2019
Hofläden erfasst. Aufgrund einer fehlenden Datenbasis nicht gesondert erfasst wurden dagegen frei-
stehende landwirtschaftliche Verkaufsautomaten, die als Vorstufe von Hofläden zu betrachten sind.
Abbildung 3: Angebot eines Hofladens (Foto: Mario Dian, Lizenz: CC BY 2.0).
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
Finalfassung Seite 17 von 104 13.11.2019
Waren des täglichen Bedarfs
Waren des täglichen Bedarfs sind kurzlebige Verbrauchsgüter, die Konsumenten möglichst bequem in
der Nähe ihrer Wohnungen oder Arbeitsplätze einkaufen möchten. Sie werden wiederholt, häufig und
ohne intensive Vorbereitung gekauft. Im Normalfall handelt es sich dabei um Güter, die zu einem ver-
gleichsweise niedrigen Preis vertrieben werden.
23
Zu den Waren des täglichen Bedarfs zählen Lebens-
mittel, Getränke, Tabak, Drogerieartikel sowie Zeitungen und Zeitschriften. Im Jahr 2017 wendete ein
Haushalt in der Bundesrepublik durchschnittlich ca. 400 EUR pro Monat für Waren des täglichen Be-
darfs aus (vgl. Statistisches Bundesamt 2019a). In Sachsen-Anhalt liegen die privaten Konsumausgaben
ca. 15 % unter dem Bundesdurchschnitt (vgl. Statistisches Landesamt 2015, S. 53). Für kalkulatorische
Zwecke werden im Rahmen dieser Machbarkeitsstudie folgerichtig Ausgaben für Waren des täglichen
Bedarfs von 340 EUR pro Monat und Haushalt angesetzt.
23
vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Konsumgut
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
Finalfassung Seite 18 von 104 13.11.2019
3. Juristische Fragestellungen
Der Betrieb eines Dorfladens, dessen Öffnungszeiten neben den Zeiten, an denen sich eine Mitarbei-
terin oder ein Mitarbeiter vor Ort befindet, der die Kundinnen und Kunden bei ihren Anfragen unter-
stützt und beratend zur Seite steht, durch Zeiten ergänzt werden soll, an denen sich kein Personal in
den Räumlichkeiten befindet, wirft einleitend einige juristische Fragestellungen auf. Insbesondere sind
neben der Bindung der Verkaufsstätte an den Rahmen der gesetzlichen Öffnungszeiten auch die Rah-
menbedingungen für die Einhaltung des Jugendschutzes, die Notwendigkeit der Rücknahme von
Pfandartikeln sowie die lebensmittelrechtlich korrekte Kontrolle der Sortimentsartikel auf Verkaufsfä-
higkeit zu beachten.
3.1 Verpflichtung zur Rücknahme von Pfandgut
Werden durch Einzelhändler pfandpflichtige Einweggetränkeverpackungen in den Verkauf gebracht,
so sind diese auch zur Rücknahme aller pfandpflichtigen Einweggetränkeverpackungen der Materialart
verpflichtet, welche sie vertreiben. Die Rücknahmepflicht hängt nicht davon ab, ob die Verpackungen
vom Einzelhändler selbst oder von einem Wettbewerber stammen. Damit ist ein Händler, der nur PET-
Einwegflachen anbietet, nicht in der Pflicht Dosen oder Glasflaschen zurückzunehmen, jedoch alle PET-
Pfandflaschen, unabhängig von ihrer Größe, Form oder Marke
24
.
Die gesetzliche Grundlage, die diese Rücknahmepflicht begründet, findet sich in § 9 der Verpackungs-
verordnung (VerpackV). Im § 9 Abs. 1 dieser Verordnung ist geregelt, dass Pfand für Einweggeträn-
keverpackungen von 0,1 bis 3,0 l Füllvolumen erhoben werden muss. Dieses Pfand von 0,25 EUR je
Einzelverpackung muss bei Verpackungen, die diesbezüglich betroffen sind, auch beim Inverkehrbrin-
gen als pfandpflichtig gekennzeichnet werden.
Abbildung 4: Logo des Deutschen Pfandsystems (© DPG Deutsche Pfandsystem GmbH)
24
vgl. https://dpg-pfandsystem.de
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
Finalfassung Seite 19 von 104 13.11.2019
Um die Abwicklung der gegenseitigen Pfanderstattungsansprüche untereinander zu ermöglichen, ist
die Teilnahme an einem bundesweit tätigen Pfandsystem notwendig. Anbieter eines einheitlichen
Pfandsystems für Einweggetränkeverpackungen ist die Deutsche Pfandsystem GmbH. Das einheitliche
Logo signalisiert allen Beteiligten, dass es sich um eine Verpackung handelt, die in den Recyclingkreis-
lauf für Einweggetränke eingebracht werden muss.
Da sich bei einem Dorfladen, welcher eine geringe Verkaufs- und Lagerfläche aufweist, aufgrund der
Rücknahme Kapazitätsprobleme ergeben könnten, die sowohl die Abwicklung als auch die Lagerung
der rückgenommenen Pfandgebinde betreffen, hat sich der Gesetzgeber für eine Entlastung kleinerer
Betriebe entscheiden. Demnach regelt § 6 Abs. 8 der VerpackV, dass sich die Rücknahmepflicht für
Betriebe unter 200 Verkaufsfläche nur auf Verpackungen der Art, Form und Größe sowie solcher
Waren, die der Vertreiber in seinem Sortiment führt, beschränkt. Verweigert der Händler dem Kunden
trotz der Voraussetzungen der vorgenannten Bedingungen zur Rücknahme diese und erstattet kein
Pfand, begeht er eine Ordnungswidrigkeit, die mit einem Bußgeld geahndet werden kann.
3.2 Verbraucherschutzkonforme MHD-Kontrolle
Die Lebensmittelsicherheit spielt gerade im aktuellen Kontext von Lebensmittelskandalen eine wich-
tige Rolle. Die Beziehung des Kunden ist wesentlich durch das Vertrauen in den Händler geprägt, dass
dieser nur Waren in den Verkauf bringt, welche bereits bei Anlieferung durch Sicht- und Temperartur-
kontrollen den Anforderungen an Lebensmitteln entsprechen, sowie auch dass diese entsprechend
ihrer spezifischen Eigenschaften gelagert und verkauft werden.
Was im Sinne des Rechts Lebensmittel sind, regelt die EU-Verordnung (EG) Nr. 178/2002 in Absatz 2.
Demnach sind „Lebensmittel alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach
vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem
oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. Anforderungen an die Lebens-
mittelsicherheit regelt u.a. die Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 in Artikel 14 Abs. 1 („Lebensmittel, die
nicht sicher sind, dürfen nicht in Verkehr gebracht werden.“) und Abs. 3: „Bei der Entscheidung der
Frage, ob ein Lebensmittel sicher ist oder nicht, sind zu berücksichtigen: [...] Die dem Verbraucher
vermittelten Informationen einschließlich der Angaben auf dem Etikett oder sonstige ihm normaler-
weise zugängliche Informationen über die Vermeidung bestimmter die Gesundheit beeinträchtigender
Wirkungen eines bestimmten Lebensmittels oder einer bestimmten Lebensmittelkategorie.“
Da Lebensmittel sich wesentlich dadurch auszeichnen, dass sie von Menschen aufgenommen werden,
offeriert Abs. 5 dieser Verordnung Möglichkeiten, die dazu führen können, dass Lebensmittel nicht
mehr für den menschlichen Verzehr geeignet sind. Bei der Entscheidung der Frage, ob ein Lebensmittel
für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet ist, ist zu berücksichtigen, ob das Lebensmittel in-
folge einer durch Fremdstoffe oder auf andere Weise bewirkten Kontamination, durch Fäulnis,
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
Finalfassung Seite 20 von 104 13.11.2019
Verderb oder Zersetzung ausgehend von dem beabsichtigten Verwendungszweck für den Verzehr
durch den Menschen inakzeptabel geworden ist. Da durch Lebensmittel und deren (mangelnde) Hygi-
ene bei unsachgemäßer Behandlung und Lagerung direkte Auswirkungen auf das menschliche Wohl-
befinden und im Extremfall auch eine direkte Gefahr für Leib und Leben ausgehen, regelt die Lebens-
mittelhygiene-Verordnung (LMHV) die Anforderungen an die Hygiene beim Herstellen, Behandeln und
Inverkehrbringen ebendieser. Nach § 3 LMHV muss durch entsprechende Sorgfalt im Umgang mit Le-
bensmitteln eine nachteilige Beeinflussung vermieden werden.
Nachteilige Beeinflussungen nach § 2 Abs. 1 dieser Verordnung sind u.a. „eine Ekel erregende oder
sonstige Beeinträchtigung der einwandfreien hygienischen Beschaffenheit von Lebensmitteln, wie
durch Mikroorganismen, Verunreinigungen, Witterungseinflüsse, Gerüche, Temperaturen, Gase,
Dämpfe, Rauch, Aerosole, tierische Schädlinge, menschliche und tierische Ausscheidungen sowie
durch Abfälle, Abwässer, Reinigungsmittel, Pflanzenschutzmittel, Tierarzneimittel, Biozid-Produkte
oder ungeeignete Behandlungs- und Zubereitungsverfahren, […]“
Um im Sinne des Verbraucherschutzes sicherzustellen, dass Lebensmittel nur von entsprechend ge-
schultem Personal hergestellt, behandelt und in Umlauf gebracht werden, müssen nach § 4 Abs. 1
LMHV Fachkenntnisse durch Schulung im Umgang mit Lebensmitteln nachgewiesen werden, die Wis-
sen in Bezug auf Warenkontrolle, Haltbarkeitsprüfung und Kennzeichnung, Anforderungen an Kühlung
und Lagerung des jeweiligen Lebensmittels und Vermeidung einer nachteiligen Beeinflussung des je-
weiligen Lebensmittels vermitteln.
Lebensmittel bedürfen folglich bei Herstellung, Lagerung und dem Inverkehrbringen besonders sen-
sibler und sicherer Verfahren. Um sicherzustellen, dass ein Lebensmittel noch den Ansprüchen der
Lebensmittelsicherheit genügt, gibt es zur Kontrolle dieser zwei wesentlichen Daten: Zum einen das
Verbrauchsdatum und zum anderen das Mindesthaltbarkeitsdatum.
Laut EU-Verordnung Nr. 1169/2011 Artikel 24 ist das Verbrauchsdatum das Datum, welches verpflich-
tend bei „in mikrobiologischer Hinsicht sehr leicht verderblichen Lebensmitteln, die folglich nach kur-
zer Zeit eine unmittelbare Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellen können“ angegeben wer-
den muss. „Nach Ablauf des Verbrauchsdatums gilt ein Lebensmittel als nicht sicher im Sinne von Ar-
tikel 14 Absätze 2 bis 5 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002.“ Folglich gelten Lebensmittel, die das Ver-
brauchsdatum überschritten haben, als nicht sicher und müssen zwingend entsorgt werden. Solche
Lebensmittel sind z.B. Hackfleisch oder rohes Geflügelfleisch. Dementgegen ist das Mindesthaltbar-
keitsdatum (MHD) das auf einer Ware angebrachte Datum, bis zu dem diese unter angemessenen Auf-
bewahrungsbedingungen ihre spezifischen Eigenschaften behält.
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
Finalfassung Seite 21 von 104 13.11.2019
Das Mindesthaltbarkeits- und das Verbrauchsdatum gehören zu den verpflichtenden Angaben auf Le-
bensmitteln. Nach der EU-Lebensmittelinformationsverordnung Nr. 1169/2011 sind Ausnahmen von
der Pflicht zur Angabe eines MHD für einige Lebensmittel wie beispielsweise frisches Obst und Gemüse
(einschließlich Kartoffeln), das nicht geschält, geschnitten oder auf ähnliche Weise behandelt worden
ist, Wein, Likörwein, Schaumwein, Getränke mit einem Alkoholgehalt von 10 oder mehr Volumenpro-
zent, Backwaren, die ihrer Art nach normalerweise innerhalb von 24 Stunden nach der Herstellung
verzehrt werden, Essig, Speisesalz, Zucker in fester Form, Zuckerwaren, die fast nur aus Zuckerarten
mit Aromastoffen und/oder Farbstoffen bestehen, Kaugummi und ähnlichen Erzeugnissen zum Kauen
vorgesehen.
Gerade aus Sicht der Nachhaltigkeit und mit Blick auf das sinnlose Wegwerfen und Verschwenden von
Lebensmitteln ist einsichtig, dass viele Lebensmittel auch noch nach dem Ablauf des Mindesthaltbar-
keitsdatums verzehrfähig sind. Die Beschaffenheit des Lebensmittels muss jedoch auch danach noch
einwandfrei sein. Daher sind regelmäßige und strukturierte Kontrollen der Haltbarkeitsdaten der Le-
bensmittel notwendig. Ob das Lebensmittel nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums wertgemin-
dert oder nicht mehr zum Verzehr geeignet ist, ergibt sich nicht allein aus dem MHD. Eine Wertminde-
rung oder eine Ungeeignetheit zum Verzehr kann jedoch sehr wohl vorliegen, muss aber in jedem Ein-
zelfall geprüft werden. Dabei obliegt demjenigen, der Lebensmittel mit einem abgelaufenen Mindest-
haltbarkeitsdatum in Verkehr bringt, eine erhöhte Verantwortung.
Ferner ist es nach § 11 Abs. 2 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs (LVGB) zum Schutz des
Verbrauchers vor Täuschung verboten, „Lebensmittel, die hinsichtlich ihrer Beschaffenheit von der
Verkehrsauffassung abweichen und dadurch in ihrem Wert, insbesondere in ihrem Nähr- oder Genuss-
wert oder in ihrer Brauchbarkeit nicht unerheblich gemindert sind oder […] die geeignet sind, den An-
schein einer besseren als der tatsächlichen Beschaffenheit zu erwecken, ohne ausreichende Kenntlich-
machung in den Verkehr zu bringen.“
Die Frische der Lebensmittel wird neben der korrekten Kontrolle und Sicherstellung der Einhaltung der
gegebenenfalls notwendigen Kühlketten durch die Einlagerung im Lager und der Verräumung in den
Verkaufsräumlichkeiten beeinflusst. Damit sichergestellt werden kann, dass diejenige Ware, die als
erstes angeliefert wurde und damit auch im Regelfall das MHD besitzt, welches in nächster Zukunft
liegt, auch wieder als erstes das Lager (und durch Abverkauf die Verkaufsstätte) verlässt, muss konse-
quent das Prinzip First-in-first-out zur Umsetzung der Frische auf allen Stufen eingehalten werden.
Die kontinuierliche Kontrolle von Wareneingänge und Lagerbeständen nach Restlaufzeiten bis zum
MHD ist personal- bzw. kostenintensiv, da Waren kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums ggf.
nur zu reduzierten Preisen abgesetzt werden können (vgl. Hennig & Schneider). Dieser Vorgang ist aus
lebensmittelrechtlicher und betriebswirtschaftlicher Sicht jedoch notwendig und unumgänglich und
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
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kann durch Warenwirtschaftssysteme, die die MHD-Erfassung Wareneingangserfassung dokumentie-
ren, unterstützt werden (vgl. Schütte & Vering 2011, S. 278).
3.3 Bindung an die gesetzlichen Öffnungszeiten
In den letzten Jahrzehnten wurden im stationären Handel die Ladenöffnungszeiten immer weiter aus-
gedehnt. So wurde vor gut 30 Jahren der lange Donnerstag eingeführt, an dem bis 20:30 Uhr eingekauft
werden konnte. Mit der Förderalismusreform im Jahr 2006 ging die Hoheit der über die Ladenöffnungs-
zeiten fast vollständig auf die Bundesländer über, was eine weitere Ausweitung der Verkaufszeiten zur
Folge hatte: An Werktagen haben viele Geschäfte inzwischen von 7:00 bis 22:00 Uhr geöffnet nur an
den Sonn- und Feiertagen ist der Handel weiterhin reglementiert (vgl. Deutscher Bundestag 2009).
Zum einen dienen die bis in die tiefen Abendstunden verlängerten Öffnungszeiten den Bedürfnissen
der Konsumenten. Durch höhere Ansprüche an Flexibilisierung in den Arbeitszeitmodellen lassen sich
so die Waren des täglichen Bedarfs beschaffen, sobald sich im Tagesablauf ein Freiraum bietet. Zum
anderen war 2006 der Anteil des Online-Handels am gesamten Einzelhandel mit gerade einmal 1,9%
fast noch verschwindend gering. In den letzten dreizehn Jahren hat sich dieser jedoch mehr als ver-
fünffacht und macht mittlerweile mit 10,8% einen immer größeren Anteil aus (vgl. HDE 2019). Die län-
geren Öffnungszeiten gehen mit einer Verschlechterung der Arbeitszeiten für die Beschäftigten einher.
Derzeit sieht der Gesetzgeber neben einigen Ausnahmeregelungen zu Sonntagsöffnungen keine wei-
tere Ausdehnung der Ladenöffnungszeiten vor. Vielmehr unterliegen Sonn- und Feiertag dem beson-
deren staatlichen Schutz durch das Grundgesetz. Laut Art. 140 GG iVm. Art. 139 WRV „[bleiben] der
Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung
gesetzlich geschützt.“ Ein geändertes freizeitorientiertes Einkaufsverhalten rechtfertigt damit nicht per
se die Ausweitung der Ladenöffnungszeiten auf die Sonn- und Feiertage, vgl. hierzu das BVerfG-Urteil
vom 9. 6. 2004 - 1 BvR 636/02.
Nach dem Grundgesetz befasst sich auch das Landesrecht mit den Anforderungen an die Arbeitsruhe
und die besondere Schutzstellung dieser Tage. Nach §1 des Gesetzes über Sonn- und Feiertage des
Landes Sachsen-Anhalt (FeiertagG LSA) sind Sonn- und Feiertage von 0:00 bis 24:00 Uhr gesetzlich ge-
schützt und daher auch Tage allgemeiner Arbeitsruhe (§ 3 FeiertagG LSA). Ausnahmen von den Rege-
lungen, die den besonderen Schutz würdigen, können nur beim Vorliegen dringender Gründe erfolgen
(§ 7 FeiertagG LSA), wenn keine erhebliche Beeinträchtigung des Sonn- und Feiertagsschutzes damit
einhergeht. Werden bemerkbare Arbeiten ausgeführt, ist die sonn- und feiertägliche Ruhe gestört, was
im Fall eines Dorfladens, welcher sich im Zentrum eines Dorfes als zentraler Einkaufs- und Begegnungs-
ort befindet, durchaus vorstellbar ist. Bei Zuwiderhandlungen ist mit einer Geldbuße bis zu 1.500 EUR
zu rechnen (§ 10 Abs. 2 FeiertagG LSA). Derartige Verstöße könnten bereits an- und abfahrende Autos
oder sonstige motorisierte Verkehrsmittel des Individualverkehrs als auch sonstige ruhestörenden
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
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Aktivitäten konstituieren, obwohl auch an einem Sonntag generell ein personenunabhängiger Betrieb,
der die Arbeitsruhe würdigt, vorstellbar wäre. Ohne eine Genehmigung des Betriebes aus dringenden
Gründen, die mit einem Antrag auf Gewährung beim Landkreis zu stellen wäre, ist jedoch auch ein
personalfreier Betrieb an Sonn- und Feiertagen nicht möglich. Welche Arbeiten und Handlungen genau
als Ruhestörung zu bezeichnen sind, regeln die jeweiligen Satzungen der Gemeinden.
Um Gründe für Rechtfertigungen anzuführen, die eine sonn- und feiertägliche Öffnung der Verkaufs-
stelle ermöglichen würden, gibt der Gesetzgeber ein Stufenmodell vor, nachdem die „Rechtfertigungs-
anforderungen für Ladenöffnungen an Sonn- und Feiertagen umso höher anzusetzen sind, je weitrei-
chender und intensiver die durch die Ladenöffnung bewirkten Beeinträchtigungen der sonn- und fei-
ertäglichen Arbeitsruhe ausfallen“ (vgl. Dietlein 2007).
Ein Dorfladen, auch wenn er zeitweise nicht durch Personal besetzt ist, ist im Sinne des § 2 LÖffZeitG
LSA eine Verkaufsstelle. Daher darf der Dorfladen nach § 3 LÖffZeitG LSA an Werktagen von Montag
bis Freitag von 0:00 bis 24:00 Uhr und am Samstag von 0:00 bis 20:00 Uhr geöffnet sein, jedoch nicht
an Sonn- und Feiertagen. Würden an Sonn- und Feiertagen nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 überwiegend selbst
erzeugte oder verarbeitete land-, wein-, fisch- und forstwirtschaftliche Produkte angeboten werden,
dann wäre eine Öffnung für fünf zusammenhängende Stunden erlaubt. Überwiegend als unbestimm-
ten Rechtsbegriff könnte man im allgemeinen Verständnis mit mehr als der Hälfte definieren dies
hängt jedoch bei konkreter Entscheidung vom Ermessen des Beurteilenden ab.
Zusammenfassend kann daher festgestellt werden, dass werktägliche Öffnungszeiten von Montag 0:00
Uhr bis Samstag 20:00 Uhr im gesetzlichen Rahmen möglich sind und lediglich 28 Stunden von Sams-
tagabend 20:00 Uhr bis Sonntag 24:00 Uhr bzw. an gesetzlichen Feiertagen nicht ohne hinreichende
Gründe, die ein öffentliches Interesse nach § 9 LÖffZeitG rechtfertigen, zum Verkauf von Waren zur
Verfügung stehen.
3.4 Verkauf von Alkoholika und Tabakwaren
Zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit legt der Gesetzgeber Altersgrenzen fest, unter denen Kin-
der und Jugendliche bestimmte Genussmittel nicht erwerben dürfen. Da nach § 2 JuSchG eine Prü-
fungs- und Nachweispflicht „für Personen, bei denen nach diesem Gesetz Altersgrenzen zu beachten
sind“, besteht, haben Gewerbetreibende das Alter zu überprüfen.
Nach den §§ 9 und 10 JuSchG dürfen alkoholhaltige Getränke und Tabakwaren an Kinder und Jugend-
liche nicht abgeben bzw. ihnen der Konsum dieser Genussmittel erlaubt werden. Die Umsetzung der
Kontrolle dieser Altersgrenzen ist im stationären personengebundenen Handel einfach zu realisieren,
indem man zum Altersnachweis bei Kaufinteresse ein amtliches Ausweisdokument vorzeigen lässt. Im
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
Finalfassung Seite 24 von 104 13.11.2019
Umfeld des personalfreien Szenarios wird die Kontrolle durch Sichtprüfung schwierig und bedarf des
Einsatzes von technischen Unterstützungsmöglichkeiten.
Die Firma Yoti Ltd. bietet in den USA bereits eine technische Lösung an, welche eine Altersverifizierung
mithilfe von künstlicher Intelligenz und basierend auf neuronalen Netzwerken ermöglicht. Bei dieser
visuellen Kontrolle des Altersnachweises beim Abschluss des Rechtsgeschäftes könnte z.B. an einem
Kassenterminal mittels Gesichtsscan das Alter der Person ermittelt werden (vgl. Yoti 2019, S. 5). Diese
Variante zeichnet sich jedoch durch hohe Investitionskosten aus, die bei einem Dorfladen kaum amor-
tisierbar wären.
Darüber hinaus würde durch die im Rahmen von Kapitel 5 beschriebene Zugangskontrolle mittels Au-
thentifikation über eine Mitgliedskarte sichergestellt, dass nur solche Personen Zugang zu den Ver-
kaufsräumen erhalten, welche zum geschlossenen Kundenkreis gehören, der wiederum ausschließlich
aus unbeschränkt geschäftsfähigen Personen besteht, die sich durch ihre Volljährigkeit nach § 2 BGB
auszeichnen. Damit könnten ebenfalls Alkoholika und Tabakwaren vertrieben werden.
Dementgegen ist zu bemerken, dass sowohl Alkohol als auch Tabakwaren zu denjenigen Warengrup-
pen gehören, welche durch ihren hohen Warenwert diebstahlgefährdet sowie leicht wiederverkäuflich
sind. Der Verkauf solcher Waren sollte demnach aus betriebswirtschaftlicher Sicht und unter dem As-
pekt von Einbruch- und Diebstahlgefahr, wenn überhaupt, nur zu Zeiten erfolgen, an denen Personal
im Dorfladen zugegen ist.
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
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4. Wirtschaftliche Fragestellungen
4.1 Eigenschaften geeigneter Orte und Immobilien
Eigenschaften geeigneter Orte
Um einen geeigneten räumlichen Standort für die Immobilie, in die ein Dorfladen Einzug halten kann,
zu bestimmen, ist es notwendig, eine Analyse der lokalen Kaufkraft vorzunehmen. Hierzu muss das
Einzugsgebiet betrachtet werden, welches die potentielle Kaufkraft bündelt.
An erster Stelle stehen die Funktion und damit die Zielgruppe des Dorfladens. Ein Dorfladen nimmt im
ländlichen Raum die Rolle des Nahversorgers ein. Nahversorgung beinhaltet die Grundversorgung der
Menschen mit Gütern des täglichen Bedarfs unter Einbeziehung der Komponente Entfernung. Nah im
subjektiven Verständnis bedeutet zumeist, dass eine fußläufige Erreichbarkeit möglich sein muss. Nah-
versorgung ist dann gegeben, wenn eine Entfernung von maximal 1.000 m, eher nur 500 m überwun-
den werden muss, um die nächste Einrichtung zu erreichen. De facto kann neben einem Einzelanbieter
auch eine Kombination aus mehreren Kleinanbietern, wie Bäcker und Metzger vorhanden sein, damit
die Nahversorgungsfunktion erfüllt ist (vgl. Kuhlicke et al. 2005, S. 27).
Die Erreichbarkeit von Supermärkten und Discountern, welche ebenfalls eine Nahversorgungsfunktion
innehaben, liegt in Sachsen-Anhalt bei durchschnittlich 4 km, in den ländlichen Gegenden sogar bei
fast 5 km (vgl. Neumeier 2014). Daran wird deutlich, dass eine fußläufige Erreichbarkeit zwar per se
unterstellt werden kann, jedoch benötigen Menschen in Sachsen-Anhalt, die in ländlichen Kreisen mit
geringer Dichte wohnen, ca. eine Stunde, um einen Markt zu erreichen. Mit Unterstützung des moto-
risierten Individualverkehrs schrumpft diese Distanz zwar auf wenige Fahrminuten, lässt jedoch Men-
schen mit Mobilitätseinschränkungen außen vor.
Nach Kuhlicke et al. (2005, S. 11) unterscheidet sich das Mobilitätsverhalten zwischen den Bevölke-
rungsgruppen wesentlich, denn insbesondere Ältere, Menschen mit Behinderung und Einkommens-
schwache gehören zum weniger mobilen Anteil. Eine Verschlechterung der Nahversorgung wirkt sich
damit besonders auf diese Bevölkerungsgruppen negativ aus, was durch den demografischen Wandel
mit einem höheren Anteil an älteren Menschen noch weiter verschärft wird. Von der schlechten Er-
reichbarkeit von Nahversorgern im ländlichen Raum sind damit vor allem Rentnerinnen und Rentner
sowie junge Erwachsene betroffen, da ihnen am häufigsten kein eigener PKW zur Verfügung steht (vgl.
Neumeier 2014).
Bezüglich der Mindesteinwohnerzahl, die für einen wirtschaftlich erfolgreichen Betrieb eines Dorfla-
dens zum Einzugsgebiet gehören müssen, ist die derzeitige Studienlage nicht eindeutig. So gehen etwa
die Betreiber des Dorfladen-Netzwerks von 500 Menschen als Untergrenze aus, die bei einem Kleinflä-
chenkonzept ausreichend sind. Andere Autoren sehen 700 Einwohner als unterste Orientierungsgröße,
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
Finalfassung Seite 26 von 104 13.11.2019
um eine rentable Umsatzgröße zu erreichen (vgl. Kuhlicke et al. 2005, S. 111). Zum Vergleich: Für Su-
permärkte oder Discounter liegen die Einzugsgebiete bei 5.000 bis 15.000 Einwohnern, um das vor-
handene Marktpotential zu erschließen (vgl. Kuhlicke et al. 2005, S. 31). Damit die Grenze zur Wirt-
schaftlichkeit für einen neuen Dorfladen realisierbar wird, sah bereits das Bundesministerium für Ver-
kehr, Bau und Wohnungswesen im Konzept „Nachbarschaftsladen 2000“ eine Mindestentfernung von
5 km zum nächsten Geschäft vor (vgl. Kuhlicke et al. 2005, S. 110). Schatz (2017, S. 14) gibt zur Berech-
nung des Umsatzpotentials eines Dorfladens folgende Formel an:
Umsatzpotential / Jahr = Einwohnerzahl x Kaufkraft pro Einwohner x 0,2
Eine beispielhafte Anwendung dieser Formel auf den Ort Dardesheim ergibt:
750 Einwohner x 2.250 EUR *0,2 = 337.500 EUR
Eigenschaften geeigneter Immobilien
Bei der Auswahl der Immobilie für den Dorfladen ist die soziale Komponente als bestimmend anzuse-
hen. Ein guter Standort ist damit jede zentrale Ortslage, welche gut mit allen Verkehrsmitteln erreich-
bar ist sowie ausreichend Park- und Wirtschaftsfläche zur Belieferung mit Waren bietet (vgl. Quiring
2014, S. 26). In der Ortsmitte befinden sich meist auch weitere und besonders für ältere Menschen
wichtige Orte wie etwa die Kirche. Durch die Identifikation von leerstehenden Gebäuden, kann der
Ortskern wieder stärker zur Gestaltung des Gemeinschaftslebens beitragen (vgl. Krämer 2014, S. 116).
Eine geeignete Immobilie kann damit auf zwei Wegen gefunden werden: Einerseits könnte ein bereits
etablierter Dorfladen technisch so umgerüstet werden, dass ein personalfreier Betrieb möglich wird.
Andererseits könnte aber auch ein neuer Dorfladen in einer leerstehenden Immobilie im Ortskern er-
schlossen werden. Je nach Größe der Fläche, welche mindestens 100 Verkaufsraum ausweisen
sollte, können bei größeren Immobilien andere Infrastruktureinrichtungen zusammengelegt werden.
Dem Rückgang von vorhandener Infrastruktur in ländlichen Gebieten kann damit durch das bauliche
Zusammenlegen von zentralen Einrichtungen wie Schule, Dorfladen, Post, Gemeindeverwaltung und
Bibliothek entgegengewirkt werden. Damit kann auch dem Verfall der Bausubstanz Einhalt geboten
werden (vgl. Hauke 2014, S. 207). Durch derartige Kopplungseffekte kann die Kundenfrequenz nach-
weislich wesentlich verbessert und der soziale Alltag in der Dorfgemeinschaft mit attraktiver Wohn-
und Lebensqualität gestärkt werden.
4.2 Ermittlung des Mindestwarenangebots
Je nach Verkaufsfläche lassen sich unterschiedliche Warenkonzepte realisieren, die wiederum die Sor-
timentsgestaltung beeinflussen. Während Supermärkte und immer mehr auch Discounter eine große
Sortimentsbreite aufweisen, sind Dorfläden aus Wirtschaftlichkeits- und Flächengründen begrenzt.
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
Finalfassung Seite 27 von 104 13.11.2019
Dorfläden sind für die Nahversorgung der Bürger dennoch von großer Bedeutung. Die Konzepte auf
kleinen Verkaufsflächen von unter 100 bis 300 konzentrieren sich auf ausgewählte Waren und be-
schränken sich bezüglich der Sortimentstiefe.
Das Sortiment soll sich an den Bedürfnissen der Kunden ausrichten, aber auch den Warenbestand und
die Warenumschlagshäufigkeit der einzelnen Produkte berücksichtigen. Um den Warenbestand in den
einzelnen Warengruppen an deren Umschlag anzupassen, eignen sich in den Warengruppen vorrangig
die sogenannten Schnelldreher, Rennerartikel oder auch Fast Moving Consumer Goods (FMCG). All
diese Begrifflichkeiten bezeichnen Artikel, die sich durch eine sehr hohe Anzahl an Abverkäufen in ei-
nem bestimmten Zeitintervall auszeichnen (vgl. Ahlert et al. 2018, S. 236). Zu den FMCGs zählen Kon-
sumgüter des täglichen Bedarfs wie Nahrungsmittel, Körperpflegeprodukte, Reinigungsmittel etc., die
Konsumenten häufig und ohne langes Abwägen einkaufen. Schnelldreher zeichnen sich als Güter des
täglichen Bedarfs durch niedrige Preise und eine einfache Substituierbarkeit aus. Rennerartikel finden
sich vorrangig bei Lebensmitteln und Waren des täglichen Bedarfs im Warenbereich Food in den Wa-
rengruppen Trockensortiment, Frischwaren, Molkereiprodukte, Getränke, Wasch-/Putz und Kosmetik.
Artikel, die einen schlechteren Warenumschlag aufweisen (im Fachjargon auch als Penneratikel be-
zeichnet), sollten nur in geringer Anzahl im Randsortiment vorhanden sein.
Die Wirtschaftlichkeit eines Dorfladens hängt wesentlich vom Angebot und dem Preis der Artikel ab.
In den letzten Jahren sind die Konsumausgaben für Nahrungsmittel (ohne Getränke und Tabakwaren)
privater Haushalte in Deutschland kontinuierlich gestiegen. Sie bezifferten sich im Jahr 2018 auf rund
159,3 Milliarden Euro und machen damit einen Anteil von rund 14% der Gesamtausgaben der Haus-
halte aus. Verbraucher müssen beim Einkauf von Lebensmitteln zwischen Preis und Qualität abwägen.
Somit kämpfen die Eigenmarken der Handelskonzerne gegen Markenartikel bei Konsumenten um den
Platz im Einkaufswagen. Kriterien wie Nachhaltigkeit in der Produktion und im Absatz und Label wie
auch Biowaren und regional produzierte Waren gewinnen immer stärker an Bedeutung.
Die nachfolgende Tabelle gibt abschließend eine kurze Übersicht über das Sortiment, welches in den
einzelnen Warengruppen vorgehalten werden sollte:
Warengruppe
Artikelgruppen
Geeignet für den personal-
freien Betrieb
Trockensortiment
Grundnahrungsmittel, Konserven, Fertig-
produkte, Würzmittel, Fette/ Öle, Süßwa-
ren, Dauerbackwaren, Frühstücksartikel,
Kaffee/ Tee, H-Produkte aus dem Molke-
reibereich
Ja
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
Finalfassung Seite 28 von 104 13.11.2019
Frischwaren
Obst und Gemüse, Eier, Fleisch- und
Wurstwaren, Molkereiprodukte, Eier,
Fisch, Brot und Backwaren
Ja, mit Einschränkungen
Getränke incl. Alkohol
Alkoholfreie Getränke, Alkoholische Ge-
tränke, Spirituosen
Ja, alkoholfreie Getränke
Wasch/ Putz/ Tier
Waschmittel, Putzmittel, Reinigungsmit-
tel, Tiernahrung
Ja
Kosmetik
Kosmetik und Körperpflege, Hygiene- und
Papierprodukte
Ja
Bei den einzelnen Artikeln sollte eine ausgewogene Mischung aus Handels- und Herstellermarken er-
folgen, denn laut IFH-Befragung aus dem Jahr 2018 ist für 68% der Verbraucher bei der Wahl der Ein-
kaufsstätte relevant, dass der Lebensmittelhändler einen guten Mix aus Eigen- und Herstellermarken
anbietet. Damit können sowohl die preisbewussten als auch die qualitätsbewussten Käuferinnen und
Käufer gleichermaßen angesprochen werden.
Nicht alle Produkte eignen sich für den Verkauf zu den personalfreien Öffnungszeiten Artikelgruppen
aus den Frischebereichen und Alkoholika stellen den Händler hier vor besondere Herausforderungen.
Auf den Bereich der alkoholischen Produkte ist bereits in Kapitel 3 im Zuge der Betrachtung der Ju-
gendschutzproblematik und Diebstahlsicherung kurz eingegangen worden. Alkoholika könnten grund-
sätzlich bei erfolgreicher Authentifizierung von Kunden durch eine Mitgliedskarte mit PIN-Code sicher
an Personen verkauft werden, die zum Erwerb berechtigt sind jedoch stellt diese preisintensive Wa-
rengruppe ein Diebstahlrisiko dar und es sollte aus wirtschaftlicher Sicht zu den Zeiten, an denen sich
kein Mitarbeiter im Laden befindet, auf den Verkauf verzichtet werden.
Produkte der Warengruppe Frische, die Brot- und Backwaren enthalten sowie loses Obst und Gemüse,
können nur bedingt zu personalfreien Zeiten angeboten werden. Die Hygiene im Umgang mit losen
Backwaren kann nicht sichergestellt werden und birgt somit ein Risiko für Händler und Käufer. Back-
waren könnten daher nur vorkonfektioniert in abgepackten Tüten verkauft werden auch hier ist ein
Grundsortiment wie etwa ein bis zwei Sorten Brot und Brötchen in bedarfsgerechten Stückzahlen voll-
kommen ausreichend und minimiert das Risiko von Nicht-Verkäufen.
Loses Obst und Gemüse ist ebenso auf eine hygienische und druckneutrale Behandlung angewiesen.
Weiterhin werden diese Waren aufgrund der unterschiedlichen Größe seltener als Stück verkauft, son-
dern vielmehr als Wiegeware auch hier könnten vorher abgepackte Waren zum Einsatz kommen.
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
Finalfassung Seite 29 von 104 13.11.2019
Kühlpflichtige Produkte wie Molkereiprodukte, Wurst oder Käse könnten grundsätzlich auch zu perso-
nalfreien Zeiten im Angebot sein, jedoch darf durch die Herausnahme aus dem Kühlmöbel und ein
eventuelles Ablegen der Ware an einem anderen Platz bei Nichtgefallen etc. pp. die Kühlkette, welche
die Lebensmittelsicherheit gewährleistet, nicht unterbrochen werden. Daher wäre auch hier ein Ver-
kauf kritisch zu sehen. Damit auf den Verkauf derartiger Produkte jedoch nicht ganz verzichtet werden
muss, wenn sich kein Personal im Laden befindet, könnte ein Verkauf über Verkaufsautomaten erfol-
gen, auf die unter Punkt 4.7 noch eingegangen wird.
Die Produkte, welche zu den personalfreien Öffnungszeiten des Dorfladens im Sortiment sein sollten,
müssten nachfolgende Eigenschaften erfüllen:
Die Erfassung der Ware an der Kasse muss mittels Barcodes (EAN bzw. GTIN) möglich sein.
Die Produkte dürfen nicht kühlpflichtig bzw. leicht verderblich sein.
Die Produkte sollten nicht besonders diebstahlgefährdet sein, d.h. keine kleinen und/oder
hochpreisigen Produkte (z.B. Rasierklingen, Batterien, Kosmetika, Alkohol).
Damit ergeben sich in Summe nur wenige Einschränkungen für Produkte, die zu den Zeiten angeboten
werden, an denen kein Personal vor Ort ist. Da neben der Grundversorgung die Waren des täglichen
Bedarfs in Dorfläden der regionale Bezug von besonderer Bedeutung ist, soll im Nachfolgenden der
Aspekt der regionalen Produkte für die Sortimentsgestaltung herausgearbeitet werden.
4.3 Musterkalkulation
Grundlage jedes Dorfladenbetriebs ist dessen wirtschaftliche Überlebensfähigkeit. Wie in jedem Un-
ternehmen müssen dazu Umsatz und Kosten im richtigen Verhältnis stehen. Entscheidend dafür sind
einerseits die potenzielle Nachfrage und andererseits der mit dem Handel verbundene Aufwand.
Generell steigen mit wachsenden Einwohnerzahlen auch die Erfolgschancen eines Dorfladens. Im Ab-
schnitt 2.4 wurde dargelegt, dass Haushalte in Sachsen-Anhalt im Durchschnitt 340 EUR pro Monat für
Waren des täglichen Bedarfs aufwenden. In diesem Bundesland leben in einem Haushalt wiederum
durchschnittlich 1,9 Personen (vgl. Statistisches Bundesamt 2019b, S. 48). Dies bedeutet, dass in einem
Ort mit 1.000 Einwohnern 527 Haushalte Waren des täglichen Bedarfs beziehen und dafür jährlich
rund 2,15 Millionen Euro ausgeben.
Da die meisten Landbewohnerinnen und Landbewohner aber zur Arbeit in Städte pendeln und dort
ihre Einkäufe tätigen, geht ein großer Teil dieser Kaufkraft für Dorfläden verloren. Auch viele Ruhe-
ständler nutzen den PKW oder den ÖPNV für Fahrten zu Einkaufsmärkten außerhalb des Wohnortes,
wenn dort kein Discounter beheimatet ist. Einschlägige Studien gehen deshalb davon aus, dass nur ein
kleiner Teil ca. 10 bis 20 % der Ausgaben für Waren des täglichen Bedarfs dem Dorfladen eines
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
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Ortes zugutekommen, auch wenn dieser die einzige Bezugsquelle in der Gemeinde ist (vgl. Eberhardt
et al. 2014, S. 5 f.; Landwirtschaftskammer 2015, S. 7).
Unter Berücksichtigung der im Ort verbleibenden Kaufkraft sind durch die Kombination mit allgemei-
nen Richtwerten des Einzelhandels Modellkalkulationen für Dorfläden durchführbar (vgl. hierzu etwa
Landwirtschaftskammer 2015, S. 8; MWVLW 2009, S. 38). Um die ökonomischen Potenziale der Digi-
talisierung eines Dorfladens abzubilden, wurde nachfolgend das Beispiel einer Ortschaft mit 1.000 Ein-
wohnern betrachtet.
Dazu wurden zunächst zwei Kalkulation für einen herkömmlichen Dorfladen unter der Annahme auf-
gestellt, dass
jeweils 10 % bzw. 15 % des im Ort verfügbaren Kaufkraftvolumens für Waren des täglichen
Bedarfs im Dorfladen getätigt werden,
die angesetzte Investitionssumme für die Her- und Einrichtung eines Dorfladens aus dem Ei-
genkapital des Betreibers bestritten wurde und daher Kapitalkosten nicht zu berücksichtigen
sind und
Beratungs-, Werbe- sowie allgemeine Betriebs- und Verwaltungskosten wie Versicherungen,
Porto, Telefon- und Breitbandanschluss in einer Kategorie „Sonstiges“ zusammengefasst wer-
den können.
Es wird weiterhin davon ausgegangen, dass nur wenige Haushalte den Dorfladen nutzen, um dort ihren
gesamten Bedarf an Waren des täglichen Bedarfs zu decken. Vielmehr wird das Geschäft i.d.R. für Er-
gänzungskäufe genutzt werden. So könnte die Bindung von 10 % der Kaufkraft in einem Dorf mit 1.000
Einwohnern (527 Haushalte) bedeuten, dass z. B.
50 % der Haushalte (264) mehrmals pro Monat im Dorfladen einkaufen und dabei im Durch-
schnitt insgesamt 20 % ihres Budgets für Waren des täglichen Bedarfs (68 €) ausgeben, oder
75 % der Haushalte (396) den Dorfladen regelmäßig frequentieren und dabei durchschnittlich
13 % der Summe ausgeben (45 €), die für Waren des täglichen Bedarfs monatlich zur Verfü-
gung stehen.
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
Finalfassung Seite 31 von 104 13.11.2019
1000 Einwohner
527 Haushalte
allgemeine
Richtwerte
getätigte
Annahme
10 %
Kaufkraftbindung
getätigte
Annahme
15%
Kaufkraftbindung
jährl. Kaufkraft
2.150.160,00 €
Anfangsinvestition
95.000 €
Brutto-Umsatz
215.016 €
322.524 €
- USt.-Inkasso
8,0%
17.201 €
8,0%
25.802 €
Netto-Umsatz
197.815 €
296.722 €
- Wareneinkauf
71-77%
73,5%
145.394 €
73,0%
216.607 €
- Personalkosten
12-15%
12,0%
23.738 €
12,0%
35.607 €
- Raumkosten
2-5%
3,5%
7.000 €
3,4%
10.000 €
- Energiekosten
2-4%
2,0%
3.956 €
2,0%
5.934 €
- Sonstiges
4-6%
3,5%
7.000 €
3,5%
10.385 €
- Reparaturen
2%
1,8%
3.500 €
1,5%
4.500 €
- Abschreibungen
2-4%
3,0%
2.850
3,0%
2.850 €
Summe Kosten
193.438 €
285.883 €
Gewinn
4.377 €
10.839 €
Die Beispiele zeigen auch, dass eine 15 %-ige Kaufkraftbindung ein anspruchsvolles Unterfangen ist,
das mit Mehraufwand für Verkaufsräume, Sortiment, Servicepersonal usw. verbunden sein dürfte.
Insgesamt scheint die wirtschaftliche Situation für Dorfläden prekär zu sein, viel Arbeit bei geringem
Ertrag. Allerdings sollte nicht vergessen werden, dass die Kalkulation nur den Verkauf von Waren des
täglichen Bedarfs erfasst. Mögliche Umsätze aus begleitenden gastronomischen Angeboten oder Ein-
nahmen aus integrierten Post-, Lotto- oder Paketshops sind nicht abgebildet.
Die oben dargelegte Bedeutung der kleinteiligen Ergänzungskäufe möglichst vieler Haushalte belegt,
dass ein Dorfladen für das Erreichen der prognostizierten Umsätze grundsätzlich auf eine hohe Akzep-
tanz angewiesen ist, um dauerhaft erfolgreich zu wirtschaften (vgl. Landwirtschaftskammer 2015, S. 8
ff.). Diese notwendige Voraussetzung ist vor allem vor dem Hintergrund der Preissensibilität der Kun-
dinnen und Kunden beachtenswert: Durch die vergleichsweise kleinen Absatzmengen, kaufen die Be-
treiber von Dorfläden im Vergleich zu Discounter- oder Supermarktketten relativ teuer ein und
müssen diesen Einkaufsnachteil in Form hoher Verkaufspreise auch an die Kunden weitergeben. Den
Preiskampf können Dorfläden nicht gewinnen, sie bleiben, was sie sind: Teuer.
Der Trumpf des Dorfladens ist hingegen die einfache Erreichbarkeit. Wird dieser Standortvorteil aus-
gebaut, so die These, steigen die Erfolgsaussichten der dörflichen Nahversorgung. Dies kann in statio-
nären Shops insbesondere durch die Verlängerung der Öffnungszeiten, etwa in den Morgen- und
Abendstunden oder durch den Verzicht auf eine Mittagsschließzeit, erreicht werden. Durch die zusätz-
lichen Öffnungszeiten entstehen Gelegenheiten, Ergänzungskäufe im Dorfladen zu tätigen, die bisher
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
Finalfassung Seite 32 von 104 13.11.2019
nicht möglich waren. Damit würde Kaufkraft in den Ort zurückfließen und dauerhaft gebunden wer-
den.
Die Autorinnen und Autoren gehen davon aus, dass durch die Digitalisierung der Verkaufsprozesse die
Verkürzung der Schließzeiten ohne Erhöhung der Personalkosten realisiert werden können. Gleichzei-
tig würden aber andere Kostenpositionen durch den gesteigerten technischen und energetischen Auf-
wand anwachsen. Um diese Effekte abzubilden, wird die obenstehende Kalkulation aufgegriffen und
angenommen, dass durch die Installation von Zutritts-, Sicherheits- und Abrechnungssystemen im Ge-
samtwert von 25.000 Euro personalfreie Öffnungszeiten möglich sind. Weitere Annahmen im Vergleich
zur Ausgangskalkulation sind:
Erhöhung des Umsatzes durch eine Ausdehnung der personalfreien Öffnungszeiten um 20 %,
d. h. Steigerung der gebundenen Kaufkraft von 10% auf 12% sowie von 15% auf 18%
relative Senkung des Personalkostenanteils um 10 %, (durch erhöhten Umsatz bleibt der ab-
solute Betrag der Personalkosten etwa konstant)
konstante Raumkosten
Erhöhung der sonstigen Kosten um 1.000 EUR, hervorgerufen durch erhöhten IT-Bedarf (z. B.
Lizenzen und Beratungsleistungen)
Erhöhung der Reparaturkosten um 1.000 EUR, insbesondere durch Wartung und Reparatu-
ren der für die Digitalisierung benötigten Geräte und Systeme
Erhöhung Energiekosten um 500 EUR (ca. 1,40 EUR täglich) durch den Energieverbrauch der
für die Digitalisierung benötigten Geräte und Systeme
zusätzlicher Investitionsbedarf in Höhe von 25.000 EUR und dadurch erhöhte Abschreibun-
gen
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
Finalfassung Seite 33 von 104 13.11.2019
An der oben dargelegten Modellkalkulation ergeben sich damit folgende Änderungen:
1000 Einwohner
527 Haushalte
allgemeine
Richtwerte
getätigte
Annahme
12 %
Kaufkraftbindung
getätigte
Annahme
18%
Kaufkraftbindung
jährl. Kaufkraft
2.150.160,00 €
Anfangsinvestition
95.000 €
Digitalisierungsinvest.
25.000 €
Brutto-Umsatz
236.518 €
354.776 €
- USt.-Inkasso
8,0%
18.921 €
8,0%
28.382 €
Netto-Umsatz
217.596 €
326.394 €
- Wareneinkauf
71-77%
73,5%
159.933 €
73,0%
238.268 €
- Personalkosten
12-15%
10,8%
23.500 €
10,8%
35.251 €
- Raumkosten
2-5%
3,2%
7.000 €
3,1%
10.000 €
- Energiekosten
2-4%
2,0%
4.456 €
2,0%
6.434 €
- Sonstiges
4-6%
3,7%
8.000 €
3,5%
11.385 €
- Reparaturen
2%
2,1%
4.500 €
1,7%
5.500 €
- Abschreibungen
2-4%
3,5%
4.200 €
3,5%
4.200 €
Summe Kosten
211.590 €
311.037 €
Gewinn
6.007 €
15.357 €
Im Fazit ist festzustellen, dass personalfreie Öffnungszeiten die Wirtschaftlichkeit eines Dorfladens mit
hoher Wahrscheinlichkeit verbessern, die prekäre wirtschaftliche Situation jedoch grundsätzlich fort-
besteht. Gleichwohl kann ein um einige tausend Euro höherer Gewinn in individuellen Überlegungen
eines Betreibers über die Fortführung oder die mögliche Schließung eines Dorfladens den entschei-
denden Unterschied ausmachen.
4.4 Bedeutung regional produzierter Waren
Nach einer Annäherung zur Begriffsklärung zur Regionalität soll im Rahmen dieses Abschnitts die Be-
deutung regional produzierter Waren für Händler und Verbraucher herausgestellt werden. Für den
Bereich Harz wird zudem näher auf die Regionalmarke „Typisch Harz“ eingegangen.
Was sind regionale Produkte?
Entgegen der klassischen Möglichkeit zur Annäherung an eine Begrifflichkeit unter Hinzuziehung von
Normen auf juristischer Basis, ist der Begriff der Region nicht gesetzlich definiert. Sowohl in der Wis-
senschaft als auch in der Praxis existiert keine allgemeingültige und trennscharfe Definition regionaler
Lebensmittel oder des Regionsbegriffes (vgl. Heinze et al. 2014, S. 6).
Davon unbenommen, sollen nachfolgend Kriterien herausgearbeitet werden, welche regionale Pro-
dukte charakterisieren. Dies sind insbesondere:
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
Finalfassung Seite 34 von 104 13.11.2019
Die Vorprodukte bzw. die zur Produktion notwendigen Roh- und Hilfsstoffe stammen wei-
testgehend aus der Region, in welcher sie auch wieder verarbeitet und vermarktet werden.
Somit ist die gesamte Produktion in der Region verankert, Kernprozesse der Produktion
erfolgen in der jeweiligen Region (vgl. Berger 2010).
Die Produktion erfolgt in klein- oder mittelbetrieblichen Strukturen durch eine
handwerkliche Produktionsweise (vgl. Berger 2010).
Vor allem regionale Lebensmittel sind nur saisonal und in begrenzter Menge verfügbar.
Landwirtschaftsbetriebe sind von herausgehobener Bedeutung (vgl. Berger 2010).
Die Vermarktung erfolgt ebenfalls in der Region: Die räumliche Nähe zwischen Erzeuger und
Verbraucher begünstigt das Entstehen einer gewissen Vertrautheit. Die Menschen, die das
Produkt herstellen und die, die es erwerben, sind in derselben (Heimat-)Region lokalisiert
(vgl. Berger 2010).
Dadurch, dass die Wertschöpfung in der Region stattfindet, werden regionale Arbeitsplätze
erhalten und Pendlerströme reduziert (vgl. Bauer et al. 2012, S. 4).
Hohe Qualität und Klasse: Durch die begrenzte saisonale Verfügbarkeit wird mit regionalen
Produkten eine hohe Qualität assoziiert, da „Klasse statt Masse“ einen besonderen Reiz
bietet. (vgl. Arens-Azevedo 2012, S. 151152).
Es liegt bei regional produzierten Waren auf der Hand, dass diese durch kürzere Transport-
wege zum Endverbraucher klimaschonender sind. Über die Qualität insbesondere im Hinblick
auf Schadstoffe, die durch Behandlung der Lebensmittel während der Zucht bzw. dem
Wachstum in diese eingebracht wurden, sagt Regionalität dagegen nichts aus.
Aus Sicht von Gesetzgebern und Verbänden soll die EG-Verordnung zum Schutz von geografischen An-
gaben und Ursprungsbezeichnungen von Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln die Glaubwürdigkeit
beim Verbraucher erhöhen sowie die Transparenz im Lebensmittelmarkt sicherstellen. Gemäß Artikel
2 der Verordnung (EG) Nr. 510/2006 wird das Gütesigel „Geschützte Geografische Angabe (g.g.A.)“ nur
dann verliehen, wenn das Lebensmittel „aus dieser Gegend, diesem bestimmten Ort oder diesem be-
stimmten Land stammt, seine Güte oder Eigenschaften überwiegend oder ausschließlich den geogra-
phischen Verhältnissen einschließlich der natürlichen und menschlichen Einflüsse verdankt und in dem
abgegrenzten geographischen Gebiet erzeugt, verarbeitet und hergestellt wurde.“
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
Finalfassung Seite 35 von 104 13.11.2019
Abbildung 5: Die beiden Gütesiegel Geschützte Geografische Angabe (g.g.A.) und Geschützte Ursprungsbezeichnung (g.U.)
(Quelle: Europäische Kommission).
In der DOOR-Datenbank
25
der Europäischen Kommission (Database of Origin and Registration) können
die Produkte aus Sachsen-Anhalt eingesehen werden, welche dieses Siegel tragen. Zum Stand heute
tragen in Sachsen-Anhalt nur drei Lebensmittel eine regional geschützte Bezeichnung: Elbe-Saale-Hop-
fen, Salzwedeler Baumkuchen und Halberstädter Würstchen.
Ein weiteres Gütesiegel ist das EU-Gütezeichen „Geschützte Ursprungsbezeichnung“ (g.U.). Dieses
wird ebenfalls in der o.g. Verordnung dahingehend spezifiziert, dass das Lebensmittel oder das Ag-
rarerzeugnis „aus dieser Gegend, diesem bestimmten Ort oder diesem Land stammt, das seine Güte
oder Eigenschaften überwiegend oder ausschließlich den geografischen Verhältnissen einschließlich
der natürlichen und menschlichen Einflüsse verdankt und das in dem abgegrenzten geografischen Ge-
biet erzeugt, verarbeitet und hergestellt wurde“. Der enge Zusammenhang zwischen den Produkt-
merkmalen und seiner geografischen Herkunft muss folglich bestehen. Leider trug zum Zeitpunkt der
Erstellung dieser Machbarkeitsstudie kein Produkt aus Sachsen-Anhalt dieses Gütesiegel.
Auf nationaler Ebene hat sich das Regionalfenster als Indikator für eine lokale Produktherkunft etab-
liert. Die Prüfung der Kriterien und die Umsetzung der Lizenzen wird von der Regionalfenster Service
GmbH
26
organisiert. Um das Gütesiegel verliehen zu bekommen, muss eine Region definiert werden,
die kleiner als Deutschland ist und klar und eindeutig nachvollziehbar sein muss. Die Region kann hier-
bei über ihre politisch-administrativen Grenzen, über den Kilometerradius, über eine Großraumregion
oder als eine begrifflich eindeutig definierte Region (wozu der Harz gehört) festgelegt werden. Ferner
müssen die erste Hauptzutat und die wertgebenden Zutaten (z.B. Milch im Käse) zu 100% aus der ge-
nannten Region stammen und mindestens 51% des Gesamtgewichtes des Produktes ausmachen. Zum
Stand Juli 2019 gab es deutschlandweit bisher über 4.200 lizensierte Regionalfenster-Produkte. Das
Regionalfenster kann als ein Schritt in die richtige Richtung betrachtet werden und gibt den Verbrau-
cherinnen und Verbrauchern Orientierung beim Kauf von Lebensmitteln. Für die Region Sachsen-
25
https://ec.europa.eu/agriculture/quality/door/list.html?locale=de
26
http://www.regionalfenster.de
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
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Anhalt sind rund 80 Produkte bei der Regionalfenster Service GmbH registriert. Es ist bisher kein Pro-
dukt für die Region Harz angemeldet
27
.
Abbildung 6: Das Regionalfenster (© Regionalfenster Service GmbH).
Welche Bedeutung hat Regionalität?
Dass Regionalität längst nicht mehr nur ein Trend, sondern fester Bestandteil der Kaufentscheidungen
ist, ist nicht von der Hand zu weisen. Welche ökonomische Bedeutung die Eigenschaft Regionalität
hat, soll nachfolgend näher beleuchtet werden.
Grundsätzlich ist festzustellen, dass Regionalität und Nachhaltigkeit in einem engen Verhältnis zuei-
nanderstehen. Denn Themen wie Frische, die Förderung der lokalen Wirtschaft, die Schonung der Um-
welt durch kurze Lieferwege und das Wissen, woher Produkte kommen, sind sowohl in der Regionalität
als auch in der Nachhaltigkeit fest verankert (vgl. Bauer et al. 2012, S. 35). Einflussfaktoren wie Qualität
und Sicherheit sowie das gestiegene Ernährungs- und Gesundheitsbewusstsein veranlassen den Käufer
dazu, sich durch die emotionale Bindung zur eigenen Region immer stärker auf den Konsum von regi-
onalen Produkten zu konzentrieren.
Da bei älteren Menschen die Neigung zu regionalen Produkten beim Lebensmittelkauf stärker ausge-
prägt ist als bei Jüngeren, führt der demografische Wandel zu einer steigenden Nachfrage. Ebenso ist
auch im Osten der Bundesrepublik die Regionalverbundenheit stärker als in anderen Regionen (vgl.
Arens-Azevedo 2012, S. 152). Die emotionale Bindung zu derartigen Produkten lässt sich in Ost und
West gleichermaßen besonders gut über das Vertrauen in Marken realisieren. Die stärkere Veranke-
rung von Regionalmarken als von nationalen oder internationalen Marken bei Ostdeutschen ist durch
die Migrationsbewegungen in die neuen Bundesländer zu erklären, da sich die Regionalmarken von
„zu Hause“ auf persönliche Erfahrungen stützen und damit auch in der Ferne ein Stück Heimatgefühl
geben (vgl. Heinze et al. 2014, S. 10).
Eine Emotionalität bei Kaufentscheidungen ist bei der Mehrheit aller Deutschen zu beobachten, stellt
doch die Herkunft der Lebensmittel ein wesentliches Merkmal dar, welches bei der Wahl für eine Pro-
dukt Beachtung findet. Produkte aus der Heimatregion, wenigstens aber aus Deutschland, werden von
27
Diese Auskunft wurde auf schriftliche Anfrage von der Marketingabteilung der Regionalfenster GmbH erteilt.
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74% der Kundinnen und Kunden bevorzugt. Dabei ist ein Imagetransfer von der Heimatregion auf die
dort hergestellten Produkte festzustellen, denn die eigene Region wird zumeist als sympathischste Re-
gion eingestuft, mit der eine starke Eigenidentifikation feststellbar ist (vgl. Heinze et al. 2014, S. 8).
Neben den kurzen Transportwegen und der Identifizierung mit den Produkten, ist vorrangig die Frische
ein Grund für den Kauf regionaler Lebensmittel. Der regionale Ursprung bei Frischwaren bzw. bei un-
verarbeiteten Lebensmitteln, zu denen Eier, Fleisch, Milch, Milchprodukte, Brot, Backwaren sowie
Obst und Gemüse gehören, ist für die Konsumenten dabei am wichtigsten. Eine Studie von A.T.
Kearney zeigt, dass bei mehr als der Hälfte der Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland,
Österreich und der Schweiz jede Woche regionale Lebensmittel auf dem Tisch landen (vgl. ATKearney
2013). Im Jahr 2018 stimmten 18,47 Millionen Deutsche der Aussage "Ich bevorzuge nach Möglichkeit
Produkte hier aus der Region" voll und ganz zu, was über 26% der Bevölkerung ausmacht. Mehr als ein
Fünftel der regionalen Produkte wurden laut einer Umfrage unter Konsumenten 2017 direkt im Hofla-
den bzw. beim Bauern erworben. Für die meisten Konsumentinnen und Konsumenten stand dabei die
Authentizität beim Einkaufen regionaler Produkte im Vordergrund.
Große Handelskonzerne und Supermarktketten etablieren vor diesem Hintergrund nach und nach Re-
gionalmarken, die die Wertschöpfung in der Region betonen und damit Identität für Verbraucher
schaffen wollen
28
. Neben der geografischen Abgrenzung, die eine regionale Produktion und ein Absatz
in der Nähe des Produktionsstandortes vorsieht, beeinflusst auch die wahrgenommene und tatsächli-
che Qualität der regionalen Waren die Kaufentscheidung der Konsumentinnen und Konsumenten.
Qualität steht hierbei in einem engen Zusammenhang mit Vertrauen.
Regionale Produkte aus dem Harz
In der Region Harz hat sich die Regionalmarke „Typisch Harz“ als Auszeichnung für Produkte besonde-
rer Qualität aus dem Harz etabliert. Entwickelt vom damaligen Harzer Förderkreis, wird bei der
Vergabe der Auszeichnung an Betriebe darauf geachtet, dass neben den zu erfüllenden Kriterien die
qualitative Wertigkeit des Produktes nach dem Grundsatz „Klasse statt Masse“ eine zentrale Rolle
spielt. Für Produkte und Betriebe im Bereich der Ernährung und Landwirtschaft soll dieses Siegel einen
einheitlich anerkannten Ausdruck einer art- und umweltgerechten Erzeugung von Lebensmitteln in der
Harzregion darstellen. Die Region Harz ist im Verständnis der Marke über die Gebiete der Landkreise
Goslar, Harz, Mansfeld-Südharz, Nordhausen und Osterode am Harz definiert.
Das Label wird für Produkte aus den Produktgruppen tierische Produkte (Fisch, Fleisch, Wild), pflanzli-
che Rohprodukte, verarbeitete / veredelte Nahrungsmittel sowie handwerkliche Produkte vergeben.
Ebenso können die Auszeichnung gastronomischen Betriebe für einzelne Gerichte oder für den
28
vgl. z.B. http://www.zukunftleben.de von Edeka.
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gesamten Betrieb sowie touristischen Einrichtungen für harztypische Angebote erlangen. Im Oktober
2019 waren 58 Betriebe im Harz mit ihren Produkten unter dem Label „Typisch Harz“ zertifiziert.
29
Abbildung 7: Das Siegel der Regionalmarke Typisch Harz (© HTV e.V.).
Wird ein Zertifizierungsantrag beim Harzer Tourismusverband e.V. gestellt, muss der beantragende
Betrieb unabhängig vom Erfolg des Antragsverfahren einmalig 50 EUR für die Lizensierungsgebühr auf-
bringen. Sollte der Betrieb mit seinem Produkt oder seiner Dienstleistung die Zertifizierung erhalten,
wird ja nach Betriebsgröße (gemessen an der Anzahl der Vollzeit-Beschäftigten) eine jährliche Gebühr
von 150 bis 250 EUR fällig. Diese Gebühr beinhaltet eine Mitgliedschaft im „Typisch-Harz“-Marketing-
pool. Die Mitglieder haben somit neben den regionalen Vermarktungsvorteilen auch überregionale
Marketingmöglichkeiten, da der HTV die Ansprache von Touristen in der Harzregion übernimmt.
Über die Regionalmarke hinaus gibt es im Harz wie überall in Deutschland regionale Erzeuger, die
ihre Produkte direkt vermarkten. Das Internetportal „Direktvermarktung in Sachsen-Anhalt“
30
erteilt
als der zentrale Informationsservice des Landes Sachsen-Anhalt in Zusammenarbeit mit der Agrarmar-
ketinggesellschaft Sachsen-Anhalt Auskunft über Betriebe, welche sowohl konventionelle als auch
ökologische Produkte anbieten, wobei das Spektrum der erfassten Angebote sowohl tierische und
pflanzliche Produkte als auch Dienstleistungen einschließt.
29
https://www.harzinfo.de/erlebnisse/regionalmarke-typisch-harz/hintergruende-zur-regionalmarke.html
30
www.direktvermarkter-lsa.de/regionen/
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Abbildung 8: Regionen der Direktvermarkter des Internetportals www.direktvermarkter-lsa.de/regionen/.
Die Region Harz ist wie in oben gezeigter Abbildung definiert und erstreckt sich weit bis in den Südos-
ten des Landes. Derzeit sind hier 37 Betriebe als Direktvermarkter registriert, darunter Produzenten,
welche bereits das Siegel „Typisch Harz“ tragen, als auch Hofläden, Bauernläden und Landmärkte, die
selbst hergestellte Produkte und zugekaufte weitere Artikel vermarkten.
Um die weitere Direktvermarktung zu unterstützen, hat das Land Sachsen-Anhalt mit Unterstützung
aus Mitteln des Europäischen Landwirtschaftsfonds zur Entwicklung des Ländlichen Raums (ELER) das
Agrarinvestitionsförderungsprogramms (AFP) aufgelegt. In diesem Förderprogramm können Betriebe
Investitionen im Einzelfall von bis zu 4 Millionen Euro „in eine wettbewerbsfähige, nachhaltige, beson-
ders umweltschonende, besonders tiergerechte und multifunktionale Landwirtschaft“ mit öffentlichen
Mitteln beantragen. Ebenso werden „Maßnahmen zur Verbesserung der Produktions- und Arbeitsbe-
dingungen, zur Rationalisierung und Senkung der Produktionskosten und zur Erhöhung der betriebli-
chen Wertschöpfung unter besonderer Berücksichtigung der Verbesserung des Verbraucher-, Tier-,
Umwelt- und Klimaschutzes“ gefördert. Dies können Investitionen in langlebige Wirtschaftsgüter sein,
die der Erzeugung, Verarbeitung oder Direktvermarktung von Erzeugnissen dienen.
Neben der Direktvermarktung werden auch regionale Produkte in den Regalen der großen Super-
märkte und Verbrauchermärkte in Sachsen-Anhalt angeboten. So kennzeichnet z.B. Kaufland seine re-
gionalen Produkte aus Sachsen-Anhalt mit einem emotional aufgeladenen Label am Regal. Diese Pro-
dukte aus dem Harz sind z.B. Halberstädter Würstchen oder Blankenburger Wasser.
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Abbildung 9: Das Kaufland-Label „Aus unserer Region“ (Quelle: www.kaufland.de).
Regionalität hat also auf allen Vertriebswegen (egal ob direkt oder über Betriebe in der Region) beim
Kauf von Lebensmitteln einen hohen Stellenwert, der im Angebot eines jeden Lebensmittelhändlers
Beachtung finden sollte.
4.5 Verkauf regionaler Waren über Automaten
Wie in Kapitel 5 näher ausgeführt werden wird, wird die Gruppe derer, die einen Dorfladen während
der personalfreien Öffnungszeiten betreten können, aus Gründen der Sicherheit beschränkt werden
müssen. Dennoch der Dorfladen auch Kundinnen und Kunden außerhalb dieses eingeschränkten Nut-
zerkreises Zugang zu ausgewählten Waren bieten. Um hier niederschwellig und in einem kleineren
Umfang insbesondere kühlpflichtige Waren wie etwa regionale Molkereiprodukte oder Fleisch- und
Wurstwaren anbieten zu können, könnte der Verkauf über Automaten erfolgen.
Automaten können als Monotypen betrieben werden, die nur ein Produkt (z.B. Frischmilch) anbieten,
oder mehrere unterschiedliche Waren in einem Gerät kombinieren. Gerade bei Milchautomaten, die
Investitionskosten im fünfstelligen Bereich erfordern, müssen pro Tag mehr als 25 l Milch verkauft
werden, um die Investitions-, Betriebs- und Warenkosten zu decken und Gewinn zu erwirtschaften
31
.
Eine andere Möglichkeit des Verkaufs von mehreren Artikeln in einem Verkaufsautomaten bietet z.B.
der Hersteller Mayer & Stüwer GmbH & Co. KG mit seinem Produkt „Regiomat“. Der Regiomat wird als
maßgeschneiderte Lösung angeboten, lässt sich mit Frischeprodukten, Tiefkühlprodukten oder kon-
servierten Lebensmitteln wie Wurstdosen bestücken und bietet somit sowohl die Möglichkeit der Di-
rektvermarktung als auch die der Vermarktung zugekaufter Produkte. Die Anschaffungskosten für ei-
nen Verkaufsautomaten liegen zwischen 14.000 und 30.000 EUR. Hinzu kommen Betriebskosten, von
ca. 7,70 EUR pro Tag (vgl. Deutsch 2017).
31
https://www.merkur.de/lokales/dachau/landkreis/erfahrungen-vier-landwirten-rentieren-sich-milchtankstel-
len-6475418.html
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Abbildung 10: Verkaufsautomat vom Typ "Regiomat" der Fleischerei Münch bei Bad Suderode (eigenes Foto).
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Die Verkaufsautomaten, welche sich in einem Vorraum vor dem eigentlichen Dorfladen im Gebäude
befinden sollten, um allen potentiellen Käufern den Zugang zu ermöglichen, können in beliebiger An-
zahl miteinander kombiniert werden. Die Sortimente können sich also beispielsweise auf Produktgrup-
pen beschränken. Ein Automat könnte mit Eiern, Milch und anderen Molkereiprodukten bestückt wer-
den, der daneben befindliche mit Wurstwaren (Frischware/Konserven). Ein nächster Automat könnte
ungekühlte Produkte bereitstellen und somit sogar Kosmetika wie beispielsweise Mund- und Körper-
pflegeprodukte vorhalten. Ein Zugang zu diesen Waren wäre rund um die Uhr möglich.
Die Bezahlung kann analog der Abrechnung zum Dorfladen zu den personalfreien Öffnungszeiten er-
folgen möglichst bargeldlos, um das Risiko des Einbruchs zu minimieren. Auf Details der möglichen
Arten der Zahlungsabwicklung wird in Kapitel 5 näher eingegangen.
4.6 Prozessunterstützung durch Warenwirtschaftssysteme
Um im Einzelhandel die Möglichkeiten der Unterstützung durch Technik in den Alltag des Händlers zu
integrieren, eignen sich sogenannte Warenwirtschaftssysteme. Die Warenwirtschaft umfasst alle Tä-
tigkeiten eines Handelsbetriebes, die der Steuerung des Warendurchflusses dienen. „Ein Warenwirt-
schaftssystem (WWS) ist die informationstechnische Abbildung der Warenprozesse und die zielorien-
tierte Verarbeitung aller warenbegleitenden Daten“ (vgl. Lackes et al.).
Abbildung 11: Übersicht zu Warenwirtschaftssystemen aus dem Gabler Wirtschaftslexikon (© Gabler Wirtschaftslexikon).
Warenwirtschaftssysteme unterstützen dabei alle Prozesse der Verkaufsstätte vom Einkauf über die
Lagerung bis zum Verkauf, welche dispositive, logistische und abrechnungsbezogene Aktivitäten um-
fassen (vgl. Schütte & Vering 2011, S. 19). Der Händler erfährt konkret technische Unterstützung durch
den Einsatz von Software, die ihn bei sämtlichen Warenbewegungen unterstützt und die so zu jeder
Zeit Informationen in den einzelnen Prozessstufen bereitstellen kann.
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Es gibt zwei Arten von Warenwirtschaftssystemen, die sich durch die Informationsbasis, welche erfasst
wird, unterscheiden: Offene und geschlossene Warenwirtschaftssysteme:
Offene Warenwirtschaftssysteme erfassen entweder die Wareneingangs- oder die Warenausgangsda-
ten. Geschlossene Warenwirtschaftssysteme hingegen erfassen alle Phasen des Warenflusses von der
Disposition bis zum Warenausgang. Die Erfassung erfolgt sowohl mengen- und wertmäßig als auch
artikelgenau. Warenprozesse und Warenbewegungen können bei einer automatischen Erfassung der
Warenein- und Warenausgänge in Echtzeit abgebildet werden. In offenen Warenwirtschaftssystemen
ist die Fortschreibung der Warenein- bzw. Warenausgänge im Rahmen des Warenwirtschaftssystems
erforderlich, wohingegen bei geschlossenen Warenwirtschaftssystemen diese artikelgenau erfasst
werden und ebenso eine artikelgenaue Bestandsführung erfolgt, bei der Bruch und Verderb ebenso
aufgenommen werden (vgl. Hertel et al. 2011, S. 247). Dies bedeutet zwar unter Umständen erst ein-
mal einen zusätzlichen organisatorischen und personellen Aufwand, der jedoch durch die vielen Infor-
mationen und daraus resultierender Planungsmöglichkeiten gerechtfertigt ist.
Auch ein kleiner Laden, der zeitweise nicht von Personal besetzt ist, kann, gerade weil man hier mög-
lichst wenig Zeit für Warenpflege und Disposition im herkömmlichen Sinne aufwenden sollte, von ei-
nem Warenwirtschaftssystem profitieren:
Der komplette Prozess vom Einkauf über Lagerhaltung, Verkauf, Controlling und Inventur ist
über das System abzubilden.
Jederzeit können in Echtzeit Warenbestände eingesehen werden.
Jeder Lieferschein wird im System erfasst und kann neben der Menge bereits Charge und da-
mit auch das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) erfassen. Diese Listen können ausgeben wer-
den und helfen bei der Kontrolle und eventuellen Abpreisung MHD-kritischer Waren.
Renner/ Penner-Listen erleichtern die Auswertungen bezüglich der Disposition.
Durch angebundene Peripherie-Geräte (MDE-Gerät; MDE = Mobile Datenerfassung) können
sowohl Stammdaten gepflegt und Abschriften erfasst werden, als auch die Überwachung und
Auswertung der MHDs stattfinden.
Die Jahresinventur sowie mögliche unterjährige Inventuren werden vereinfacht, da jederzeit
der aktuelle Warenbestand verfügbar ist.
Keine Medienbrüche: Das Einpflegen von Listen entfällt nahezu bei richtigem und effizientem
Einsatz der Technik.
Es existiert die Möglichkeit der Auswertung der Daten aus dem Kassensystem. Bondaten
wie etwa die Höhe des durchschnittlichen Bons oder die Zeiten der Einkäufe liefern pla-
nungsrelevante Daten.
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Die Abverkäufe aktivieren bei Erreichung eines absatzrelevanten kritischen Meldebestandes
der Waren automatische Bestellvorschläge für den Händler auf Prognose seiner Bestellhäu-
figkeit.
Am Markt befinden sich etliche Anbieter von Warenwirtschaftssystemen, die ja nach Anzahl der ein-
gebrachten Module (Stammdaten, Wareneingang, Lager, Verkauf, Inventur, Controlling etc.) verschie-
dene Preismodelle anbieten. Hierbei ist auch die Anbindung und Kompatibilität der Schnittstelle zum
Kassensystem zu beachten, worauf auch in Kapitel 5 noch einmal Bezug genommen werden wird.
4.7 Zusätzliche Angebote in Dorfläden
Bei der Betrachtung von bereits existierenden Dorfläden fällt auf, dass zahlreiche wenn nicht sogar
die meisten dieser Geschäfte neben dem eigentlichen Sortiment noch eine ganze Reihe zusätzlicher
Dienstleistungen anbieten, welche die Bedeutung von Dorfläden als soziokulturelle Zenten ihrer jewei-
ligen Ortschaften unterstreichen
32
. Darüber hinaus erhöhen solche Angebote wenn sie korrekt kon-
zeptioniert und bepreist sind durch die Ermöglichung von Kopplungsgeschäften die Wirtschaftlichkeit
der Läden. Die Dorfläden folgen hier letztendlich nur der Erkenntnis der Betreiber großer Galerien und
„Malls“, die schon vor Jahren damit angefangen haben, Dienstleistungen und Kleingeschäfte aller Art
als „Frequenzbringer“ (siehe Kuhlicke et al. 2005, S. 110) in ihre Zentren zu holen, um die Kundinnen
und Kunden möglichst lange an einem Ort zu binden. Der zusammenfassende Blick in die Fachlitera-
tur
33
identifiziert u.a. die nachfolgend aufgeführten Zusatznutzungen für Dorf- und Hofläden:
Café
Postagentur
Kopiergeräte
Internetterminals
Reinigungsannahme
Bankautomatenraum
Bestellterminals (z.B. für Amazon)
Buchungszentrale für pflegerische Dienstleistungen
Buchungszentrale für haushaltsnahe Dienstleistungen
Mietbarer Multifunktionsraum z.B. für Veranstaltungen
Buchungszentrale für Nachbarschafts- oder Einkaufshilfe
32
Wie Hauke (2014, S. 387) anmerkt, ist dieser soziokulturelle Effekt kein nebensächlicher Aspekt, sondern dient
vielmehr der Stärkung der Heimatbildung sowie dem Ausgleich mangelnder Mobilität und damit dem „im Grun-
gesetz geforderten Zugang zu öffentlichen Informationsquellen“. Diese Betrachtungsweise eröffnet Möglichkei-
ten der Förderung von Dorfläden, die über den reinen Nahversorgungsauftrag hinausgehen.
33
Siehe hierzu Krämer 2014; S. 119, Hauke 2014, S. 387; Schatz 2017, S. 23ff., Slupina & Kröhnert 2012, S. 28 und
Kuhlicke et al. 2005, S. 110.
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
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Automatenraum (z.B. für regionale Waren, Briefmarken, Passfotos…)
Auslage von Infomaterial (z.B. Bürgerblatt, Infos von Stadtwerken und Stadtreinigung etc.)
Hinzu kommt, dass die Betreiberinnen und Betreiber von Dorfläden in vielen Ortschaften die Rolle von
„Kümmerern“ angenommen haben, die auch schon mal das Schreiben einer Versicherung interpretie-
ren oder bei der Reiseplanung helfen bisweilen übrigens durchaus riskante Hilfestellungen, da sie
sich im Bereich der Rechtsberatung bewegen, die in Deutschland an Zulassungsvoraussetzungen ge-
knüpft ist, die vermutlich kaum ein Dorfladenbetreiber erfüllen dürfte.
Einige häufig angebotene Zusatzleistungen sollen nachfolgend detaillierter betrachtet werden.
Café/ Cafeteria: An einigen Tischen, die sich in der Nähe der Kasse bzw. einer zentralen Verkaufstheke
befinden, können Kaffeespezialitäten und ein kleines Angebot an Kuchen und Snacks serviert werden.
Damit verbessert sich das Einkaufserlebnis und die Qualität während des Einkaufs. Ein kleines Café im
Dorfladen kann für alle Bewohner und insbesondere die Älteren zu einem sozialen Treffpunkt im Dorf
werden. Für ältere Menschen bieten Sitzgelegenheiten, die zum kurzen Verweilen einladen, auch die
Möglichkeit, sich auszuruhen, um den anstehenden bzw. gerade erfolgreich durchgeführten Einkauf
körperlich stemmen zu können. Ein solches Café kann auch von Schülerinnen und Schülern frequen-
tiert werden, sollte sich der Dorfladen nahe der Schulbushaltstelle befinden. Die Wartezeiten auf den
Bus bzw. die Zeit nach Schulende können so mit kleinen Einkäufen wie etwa von Getränken, Obst und
Backwaren im Dorfladen ausgefüllt werden (vgl. Schatz 2017, S. 25).
Reinigungsannahme: Da sich der Betrieb von Textilreinigungen in kleinen Dörfern nicht mehr wirt-
schaftlich gestaltet, der Bedarf aber noch da ist, kann die Abgabe der zu reinigenden Wäschestücke
zentral im Laden erfolgen. In einem festen Rhythmus bringt dann ein Mitarbeiter des Dorfladens im
Rahmen eines anderen Wegs, die gesammelten Reinigungsstücke zur nächstgelegenen Reinigung. Die
Ausgabe kann dann analog zu einem festen Termin erfolgen.
Postshop/ Paketshop: Die Versorgung auf dem Lande ist nicht nur bei Gütern des täglichen Bedarfs
zunehmend schwieriger, sondern auch bei anderen Waren. Diesen Strukturmangel und die Zunahme
des Online-Shoppings könnte man durch eine Paketannahme- bzw. -ausgabe ergänzen. Möglich wäre
hier ein kleiner Postshop, in dem auch Briefe versandt werden können oder der Paketshop eines an-
deren Dienstleisters wie Hermes, GLS, UPS oder DPD. Vorteilhaft ist, dass die Adresse des Ladens als
Lieferadresse für die Kunden hinterlegt werden kann und diese sich eine Sendung somit direkt dorthin
schicken lassen können. Dieser Service wird verstärkt nachgefragt und von den Paketdienstleistern
auch gewünscht, da die letzte Meile der Zustellung die teuerste ist, denn die Abnehmer sind zu den
Zeiten der Zustellung oft nicht zu Hause und die Sendung muss dann trotzdem in den nächsten Pakets-
hop transportiert werden, um auf Abholung zu warten. Ebenso könnten Kundinnen und Kunden auf
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den Dorfladen aufmerksam werden, die aus benachbarten Orten kommen, da der Laden vielleicht auf
dem Heimweg liegt. Der Nachteil entsteht im erhöhten Platzbedarf für die Sendungen und die Not-
wendigkeit, dass Personal zu den Zeiten im Laden ist, zu denen Pakete von Dienstleister gebracht oder
abgeholt werden.
Kassenauszahlungen: Die Kosten für die Aufstellung von Bankautomaten sind für die Banken nicht
mehr lukrativ. Erklärbar ist dies ist durch die hohen Investitionskosten für Automaten, die hohen Kos-
ten für die Verzinsung der bereitgestellten Bargeldbestände sowie durch den Rückgang der Transkati-
onen im Handel und bei Dienstleitungen, die generell mit Bargeld durchgeführt werden. Erstmals 2018
waren die Transaktionen im deutschen Einzelhandel, die per Kartenzahlung abgewickelt wurden, hö-
her als die Bargeldzahlungen (vgl. EHI Retail Institute 2019). Bei Bargeldabhebungen entstehen zwar
geringe Transaktionsgebühren, die in diesem Falle der Händler (also der Dorfladen) übernimmt, aber
mit jeder Abhebung ist auch immer ein Mindestumsatz im Laden verbunden, der somit den Umsatz
steigert. Ebenso entfällt damit die Notwendigkeit der Entsorgung größerer Bargeldbestände durch den
Händler, die durch die Abbuchungen gleichermaßen verringert werden.
Behördengänge: Sollten sich entsprechend befähigte (vornehmlich ehrenamtliche) Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter finden, die die Kundinnen und Kunden bei Anträgen für Ämter, Banken oder Versiche-
rungen unterstützen und diese dann an die entsprechenden Stellen weiterleiten, kann ein weiterer
sozialer Integrationspunkt im Dorfladen bzw. im Dorfzentrum geschaffen werden (vgl. Slupina & Kröh-
nert 2012, S. 29). Hier werden gerade wieder ältere Bewohner angesprochen, die diese Dinge oft nicht
mehr allein bewältigen können, jedoch so lange es geht selbstständig und autonom ihren Alltag be-
wältigen wollen. Diese „Formularsprechstunden“ müssten jedoch unter Einhaltung datenschutzrecht-
licher Bestimmungen in einer gesonderten abgetrennten Räumlichkeit durchgeführt werden. Weiter-
hin ist der Aufwand für die Verkaufskraft im Dorfladen zu hoch, dies neben dem täglichen Geschäfts-
ablauf zu erbringen. Hier könnten auch andere haushaltsnahe Dienstleitungen vermittelt werden.
Multifunktionsraum: Im Gebäude des Dorfladens sollte ein abschließbarer Raum integriert werden,
den externe Gewerbetreibende als Fläche vorübergehend anmieten können, um dort ihre Dienstleis-
tungen anzubieten. Diese könnten etwa Fotografie- und Passbilddienste, Fußpflege, Reparaturdienste,
etc. pp. sein (vgl. Schatz 2017, S. 28).
Bestellterminal: Die Lebensqualität von Kundinnen und Kunden, die eine geringe Technikaffinität auf-
weisen, kann durch ein Serviceangebot erweitert werden, das besonders ältere Menschen anspricht:
Kleidung oder andere Waren des täglichen Bedarfs werden von Älteren zwar nachgefragt, können aber
durch unzureichende Möglichkeiten bezüglich Mobilität und dem Umgang mit moderner Technik nicht
mehr so einfach werden. Eine Servicestelle kann diese Waren an einem Bestellterminal bei Händlern
bestellen, die eine zeitnahe Lieferung anbieten (z.B. Amazon). Bei Lieferung können sich die Kundinnen
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und Kunden diese abholen und auf eigene Rechnung bei den Online-Shops bezahlen, so dass das Risiko
bei den Bestellenden verbleibt. Finanziert werden könnte dieser digitale Service durch eine Pauschale
pro Bestellung (vgl. Schatz 2017, S. 23).
Gemeinsam haben alle Zusatzangebote in Dorfläden, dass sie die Rolle des Ladens als soziales Zentrum
durch zusätzliche Dienstleistungen ergänzen. Diese Angebote steigern die Frequenz der Kunden und
die Reichweite des Ladens über die Dorfgrenzen hinaus und können so zu Umsatzsteigerungen im
Kerngeschäft beitragen. Da manche Angebote nur in zusätzlichen Räumlichkeiten erbracht werden
können bzw. zusätzliche Lagerfläche notwendig ist, ist hier der Einzelfall zu betrachten. Ferner ist das
Angebot von umfangreichen Dienstleistungen nicht mit der im Laden vorhandenen Verkaufskraft zu
betreuen, sondern müsste durch weitere Aushilfskräfte bzw. Ehrenamtliche ergänzt werden.
Aus Sicht der Autorinnen und Autoren sollte neben allen oben genannten Zusatznutzen für den in
der LEADER-Region Harz angestrebten Dorfladen mit personalfreien Öffnungszeiten in jedem Fall eru-
iert werden, inwiefern auch der Vertrieb regional produzierter Lebensmittel an Seniorenheime, Hotels,
Ferienwohnungs-Betreiber, Sozialstationen oder Pflegedienste ein Betätigungsfeld für Dorfläden sein
könnte und ob die Monitore von Selbstkassen- und Authentifizierungssystemen sinnvollerweise dazu
genutzt werden könnten, den Besucherinnen und Besuchern des Ladens Informationen von lokaler
Relevanz und Interesse anzuzeigen (z.B. Spielergebnisse lokaler Sportvereine, Veranstaltungstermine
oder Bürgerinformationen der übergeordneten Stadtverwaltung).
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5. Technische Fragestellungen
5.1 Ermittelte Versorgungsansätze
Neben den bereits ausführlich beschriebenen und definierten Dorfläden, finden sich in Fachpublikati-
onen zur Herausforderung der Aufrechterhaltung der Nahversorgung in ländlichen Räumen noch wei-
tere Versorgungsansätze, die nachfolgend kurz betrachtet werden sollen.
Kleine Ableger großer Ketten: Die bereits existierenden Engpässe in der ländlichen Nahversorgung ha-
ben auch auf Seiten klassischer Nahversorger zur Ausbildung neuer Konzepte geführt. So gehören etwa
zur Edeka-Firmengruppe neben den namentlich als solchen erkennbaren Edeka-Märkten (Edeka aktiv-
markt, Edeka Neukauf, Edeka Center) auch die in kleineren Ortschaften zu findenden „nah & gut“-
Märkte. Diese zeichnen sich laut Kuhlicke et al. (2005, S. 46) durch eine kleine Verkaufsfläche (unter
400 m²), ein eingeschränktes Angebot sowie den selbständigen Betrieb in Sinne eines Franchise aus.
Abbildung 12: Volg-Markt in Wasterkingen (Foto: Didi Weidmann, Lizenz: CC BY-SA 3.0).
Derartige Versuche klassischer Nahversorger, den ländlichen Raum mit neuen Konzepten zu bedienen,
sind auch bei den europäischen Nachbarn zu beobachten. So berichten etwa Küpper und Tautz (2013,
S. 144-145) von entsprechenden Entwicklungen in der Schweiz und in Frankreich, wo dörfliche Ableger
großer Supermarktketten als Superettes bezeichnet werden. In der benachbarten Schweiz hat sich mit
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der in Winterthur ansässigen Handelskette Volg
34
sogar ein Großunternehmen auf die Versorgung des
ländlichen Raumes spezialisiert. Volg betreibt knapp 1.000 als „Dorfläden“ bezeichnete Läden, die mit
Blick auf Verkaufsfläche (unter 400 m²), Warenangebot (unter 3.000 Artikel, Integration regionaler
Produkte), Zusatzangebote (Postannahme, Reinigungsdienste etc.) und Standort (keine Städte) durch-
aus viele Eigenschaften inhabergeführter Dorfläden (siehe Definition in Kapitel 2) aufweisen.
Zu den in Deutschland aktiven Nahversorgungs-Ablegern großer Marktketten gehört laut Meessen et
al. (2012, S. 178) neben nah & gut (Edeka) auch nahkauf (REWE). Andere große Einzelhändler wie Bela
und Markant beliefern mit „Ihr Kaufmann“ und „Nah & Frisch“ wiederum eigene Dorfladen-Ketten und
tragen auf diese Weise zur Stabilisierung der Nahversorgung in ländlichen Räumen bei.
Mobile Versorgungsangebote: Zu den mobilen Versorgungsangeboten gehören die Lieferdienste von
Supermärkten, der Online-Versandhandel mit Lebensmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs sowie
mobile Tiefkühldienste wie Bofrost
35
oder Eismann
36
. Während sich mobile Angebote abgesehen von
den größeren Tiefkühldienstleistern, die jedoch nur einen Teil der erforderlichen Warenbreite abbil-
den in Deutschland bislang lediglich punktuell etablieren konnten, erfreut sich diese Form der Nah-
versorgung in den Niederlanden größerer Beliebtheit. Dort etablierte ein Zusammenschluss von Groß-
händlern bereits in den 1960ern den „SRV-Mann“ (Samen Rationeel Verkopen gemeinsam effizient
Verkaufen) als Versorgungsmodell für den ländlichen Raum, das auch von jüngeren Menschen positiv
angenommen wird (vgl. Küpper & Tautz 2013, S. 145).
In anderen Ländern befinden sich die mobilen Lösungen dagegen bereits wieder auf dem Rückzug. So
berichten Küpper und Tautz (2013, S. 145) aus Finnland von einem Rückgang der Anzahl an registrier-
ten mobilen Supermärkten von über 700 in den 1960er und 1970er Jahren auf lediglich 26 im Jahr
2010. In Deutschland liegen die meisten Erfahrungen bislang mit Supermarkt-Lieferdiensten zurück,
die allerdings fast nirgendwo flächendeckend etabliert werden konnten.
Aus persönlichen Gesprächen mit dem Betreiber eines Supermarktes in Wernigerode, der einen Lie-
ferdienst für weniger mobile Anwohnerinnen und Anwohner sowie für unterversorgte Ortschaften im
Oberharz aufbauen wollte, ist den Autorinnen und Autoren bekannt, dass dieser Versuch daran schei-
terte, dass es nicht gelang, ein tragfähiges Verhältnis zwischen der Zeitdauer einer telefonischen Be-
stellung sowie dem bestellten Warenwert zu etablieren. Gerade ältere Kundinnen und Kunden nutzten
den Dienst erkennbar für kleinere Plaudereien und verteilten Einkäufe von insgesamt geringem Wa-
renwert auf mehrere Bestellungen, um den zwischenmenschlichen Kontakt zu maximieren. Die Be-
obachtung unterstreicht den Wert, den Dorfläden als Kommunikations- und Begegnungsraum für die
34
https://www.volg.ch
35
https://www.bofrost.de
36
https://shop.eismann.de
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psychische und damit auch die physische Gesunderhaltung älterer Menschen im ländlichen Raum ha-
ben können.
Abbildung 13: Im Südharz operierender rollender Supermarkt (hier in Wieda, Niedersachsen; eigenes Foto).
Ehrenamtliche Nachbarschaftshilfen: Wie Slupina und Kröhnert (2012, S. 5) ausführen, werden kleine
Hilfestellungen für ältere Menschen (wie etwa Fahrten zu ärztlichen Terminen oder Einkäufe), die bis
dato primär von jüngeren Angehörigen übernommen wurden, im ländlichen Raum zunehmend Gegen-
stand ehrenamtlicher Betätigung werden. Ursächlich hierfür ist die Entleerung solcher Räume durch
den meist arbeitsbedingten Wegzug gerade jüngerer Menschen, der dazu führt, dass „der Kreis
derjenigen, die sich kümmern, über familiäre Bindungen hinaus erweitert werden“ muss.
Zu diesen Nachbarschaftshilfen gehören neben dem „Mitbringen“ von Gütern des täglichen Bedarfs
aus fußläufig nicht mehr erreichbaren Märkten auch Fahrdienste, die selbst nicht der Nahversorgung
zuzurechnen sind, sondern lediglich darauf abzielen, r weniger mobile Menschen einen alternativen
Zugang zu weiter entfernt liegender Nahversorgung zu schaffen (vgl. Quiring 2014, S. 22). Da die Exis-
tenz derartiger ehrenamtlicher Strukturen mit dem demografischen Trend kollidiert (in vielen Regio-
nen sind mehr ältere Menschen zu versorgen, während gleichzeitig die Anzahl potentieller Ehrenamt-
lerinnen und Ehrenamtler sinkt), steht allerdings zu befürchten, dass es sich hierbei um eher kurzlebige
Angebote handelt, die in der Fläche punktuell durchaus nicht aufrecht zu erhalten sein werden.
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
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Abbildung 14: Handel auf einem Wochenmarkt (Foto: Philipp Gerbig, Lizenz: CC BY-ND 2.0).
Einkaufsfahrten mit dem Taxi: Einzelne Supermärkte und Taxiunternehmen haben in den vergangenen
Jahren Serviceangebote entwickelt, um Kunden ohne eigenen PKW zu binden. So werden im Gebiet
der LAG Harz durch Anzeigen in der Wochenzeitung GeneralAnzeiger und auf den Internetseiten ver-
schiedener Taxibetreiber Einkaufsfahrten offeriert, die z. B. Einwohner ländlicher Ortsteile zu Discoun-
tern oder Supermärkten transferieren
37
. Die Angebote umfassen sowohl einen Abhol- und Bringser-
vice, bei dem die vornehmliche ältere Kundschaft die Einkäufe selbst tätigt, als auch die vollständige
Übernahme der Besorgung inklusive der Anlieferung der Waren an die Haus- oder Wohnungstür.
Wochen- und Bauernmärkte: Im Rahmen der Debatte um die ländliche Nahversorgung werden gele-
gentlich auch fahrende wie regionale Wochen- und Bauernmärkte als Flächenversorger genannt. Wäh-
rend solche Märkte zweifelsfrei dazu dienen können, das Dorfleben zu aktivieren und Anwohnerinnen
und Anwohner in ansonsten unterversorgten Ortschaften mit hochwertigen regionalen Lebensmitteln
zu versorgen, bieten sie ähnlich wie Tiefkühl-Lieferdienste keine für die Nahversorgung geeignete
vollständige Warenpalette, da etwa Güter wie Toilettenpapier, Zahnpasta oder Kosmetika fehlen.
Smark Boxes: Die smark GmbH hat mit der smark Box ein umsetzfähiges Konzept für stationäres digi-
tales Shopping entwickelt, das derzeit in Kooperation mit der SB-Warenhauskette real an einem Stand-
ort in Baden-Württemberg getestet wird. Hinter der smark Box verbirgt sich ein Warenautomat, der
37
vgl. z.B. https://www.taxi-ilsenburg.de/einkaufsfahrten; https://www.taxi-peggy.de/unsere-fahrten
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
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Kunden ein Sortiment von bis zu 500 Produkten bietet. Das System kann in vorhandene Geschäfts-
räume integriert oder installiert in einem Seecontainer an beliebigen Orten aufgestellt werden.
Kunden bestellen die Waren per App oder auf Displays am Automaten, Warenausgabe und Bezahlung
erfolgen ohne Einsatz von Verkaufspersonal
38
. Mit der Container-Variante bietet die smark Box, zu-
mindest theoretisch, einen überzeugenden Ansatz für die Nahversorgung in ländlichen Regionen: Wo
der autonome Warenautomat steht, wären haltbare Lebensmittel und Drogerieartikel durch digitales
Shopping 24 Stunden an 7 Tagen in der Woche verfügbar, ohne dass dafür Investitionen in Verkaufs-
und Lagerräume getätigt werden müssten. So scheint es denkbar, dass ein Händler um eine bemannte
Hauptniederlassung in verschiedenen Ortschaften ein Netz digitaler smark Box-Filialen betreibt, in de-
nen der Personaleinsatz weitgehend auf die Warenlogistik sowie die Reinigung beschränkt wäre.
Wie der Vergleich der Angebotsalternativen zeigt, kann das Fehlen eines Dorfladens perspektivisch im
Grunde nur durch einen anderen stationären Nahversorger (wie etwa nah & gut), eine Smark Box oder
einen breit aufgestellten fahrenden Supermarkt ausgeglichen werden. Andere Alternativen bieten ent-
weder zumindest derzeit nicht die erforderliche Warenbreite (Wochenmärkte, Bauernmärkte, Tief-
kühl-Dienste) oder sind zu stark von ehrenamtlichen oder anderweitig volatilen Strukturen abhängig
(Fahrdienste, Einkaufsdienste, Nachbarschaftsdienste), deren dauerhafter Bestand in der Fläche nicht
als gesichert betrachtet werden kann.
5.2 Ermittelte technische Lösungen
Self-Checkout als Trend
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich in zahlreichen Branchen der Trend etabliert, Kundinnen und
Kunden stärker in die Leistungserbringung zu involvieren und dabei Aufgaben, die früher durch das
Personal des Leistungserbringers übernommen wurden, ganz oder teilweise auf diese zu übertragen.
Fällt diese Aufgabenübertragung in den Bereich des Erfassens und Abrechnens von Waren, wird die
Wortschöpfung Self-Checkout als Oberbegriff für die drei wesentlichen Lösungsansätze verwendet
(vgl. Boslau 2009, S. 13; Beck 2011, S. 10; Beck 2018, S. 6). Dabei handelt es sich um die Erfassung von
Waren durch den Kunden während des Einkaufs (etwa über sogenannte Smart Carts, tragbare Scanner
oder eine App, die auf dem eigenen Smartphone installiert wird), um die Erfassung und Abrechnung
von Waren durch den Kunden nach Abschluss des Einkaufs (an einer Selbstzahlungs-Kasse, kurz SB-
Kasse) sowie um die Trennung von Warenabrechnung und Bezahlung (etwa durch Zahlung an einem
Automaten mittels Bon nach Erfassung der Waren durch eine Kassiererin oder einen Kassierer).
Während die Erfassung während des Einkaufs aufgrund der Investitionshöhe (eine SB-Kasse wird durch
eine Vielzahl von Scannern oder Smart Carts ersetzt) für Dorfläden vermutlich eher unattraktiv ist, ist
38
vgl. https://t3n.de/news/emmas-enkel-real-startet-amazon-1192753/
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
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sowohl der Einsatz von SB-Kassen als auch der Einsatz von Bezahlautomaten grundsätzlich vorstellbar.
Tatsächlich können die Autorinnen und Autoren aus eigener Anschauung berichten, dass sich im Hof-
laden von „Brockenbauer Thielecke“
39
in Tanne seit Jahren ein entsprechender Bezahlautomat im Ein-
satz befindet. Beispiele für die Nutzung von SB-Kassen in Abwesenheit von unterstützendem oder
überwachendem Personal, konnten im Rahmen der Erstellung dieser Machbarkeitsstudie für Dorflä-
den nicht ermittelt werden. Da bei der Nutzung von Bezahlautomaten ohne Kassenfunktion Personal
anwesend sein muss, wird nachfolgend lediglich der Stand der Technik für den stationären Self-Check-
out sowie für den mobilen Self-Checkout betrachtet.
Abbildung 15: Self-Checkout in einer Bücherei (Foto: Steven Walling, Lizenz: CC BY-SA 3.0).
Stationärer Self-Checkout
Wie Boslau (2009, S. 7) feststellt, hat sich der Vorgang der Abrechnung an Supermarktkassen trotz
technischer Verbesserungen an den Kassen zwar beschleunigt, in seinem Ablauf zumindest aus Kun-
densicht aber kaum verändert. Eine solche Änderung ist auch durch den allmählichen Zuwachs an SB-
Kassen (33% aller deutschen Einzelhändler testeten oder betrieben im Jahr 2015 bereits SB-Kassensys-
teme, bei weiteren 13% war ein Test oder Betrieb geplant, vgl. bitkom e.V. 2015, S. 11, zum aktuellen
Stand der Marktdurchdringung siehe auch Taylor 2016, S. 554) nicht zu erwarten, da der Vorgang des
Kassierens selbst unverändert bleibt: Die Ware muss an der Kasse einzeln und vollständig mit Hilfe
eines Scanners erfasst werden, anschließend ist der Verkaufspreis zu entrichten und der Vorgang ab-
zuschließen. Im Grunde wird an einer SB-Kasse der Vorgang der Erfassung und Abrechnung von Waren
39
https://www.brockenbauer.de
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
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1:1 vom Kassenpersonal auf die Kundinnen und Kunden übertragen ein Umstand, auf den im Rahmen
der Betrachtung der Technikakzeptanzhürden noch näher eingegangen werden wird.
Der Versuch, SB-Kassen im Einzelhandel einzusetzen, ist nicht neu: Bereits in den 1960ern experimen-
tierte der Schweizer Großhändler MIGROS mit einem Selbstzahlsystem, welches allerdings die aufwän-
dige manuelle Eingabe langer Produktnummern erforderte und daher nicht gut angenommen wurde.
Die ersten modernen SB-Kassen mit Barcode-Scanner wurden im Jahr 1992 in den USA sowie ab Mitte
der 1990er in einigen europäischen Ländern eingesetzt (vgl. Taylor 2016, S. 552), schafften aber erst
2003 über den Handelsriesen Metro den Sprung nach Deutschland (vgl. Boslau 2009, S. 37).
Abbildung 16: Self-Checkout in einem US-Supermarkt (Foto: Magnus Manske, Lizenz: CC BY 2.0).
Nach Recherchen des WDR-Magazins Servicezeit
40
werden in Deutschland derzeit in rund 530 Geschäf-
ten SB-Kassen eingesetzt, wobei es sich größtenteils um Einzelfilialversuche größerer Ketten handelt.
Zu diesen gehören neben den Lebensmitteleinzelhändlern Edeka, Kaufland, real, Netto und rewe die
Baumarkt- und Möbelhändler Bauhaus und IKEA, die Drogeriekette dm, die Großbäckerei Kamps und
der Sportausstatter Decathlon. Neben SB-Kassen sind in einigen dieser Handelsketten auch Kombina-
tionen aus SB-Kassen und sogenannten RFID Checkout Areas im Einsatz, um den gewollten wie auch
40
Servicezeit, WDR, Sendung vom 13.03.2018
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
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den ungewollten Diebstahl zu reduzieren. Besonders populär sind SB-Kassen im schwedischen Einzel-
handel in den 2020ern dürfte hier die Zahl der SB-Kassen bereits die der personalgeführten Kassen
übertreffen (vgl. Awe 2018, S. 8). Für den deutschen Einzelhandel hat die Einführung von SB-Kassen
dagegen derzeit keine Priorität und rangiert im Ranking der Wichtigkeit von IT-Projekten wie eine
Erhebung des Einzelhandelsinstituts (EHI) im Auftrag der bitkom im Jahr 2015 zeigt deutlich hinter
der Einführung von Mobile Payment, verbessertem Stammdatenmanagement, der Echtzeit-Analyse
von Abverkaufsdaten oder der weiteren Optimierung des Supply Chain Managements.
Abbildung 17: Bedeutung von IT-Projekten im Einzelhandel (© EHI Retail Institute).
Aufbau und Funktionsweise einer typischen SB-Kasse werden unter anderem von Taylor (2016, S. 553),
Boslau (2009, S. 15f.) und Silberer (2010, S. 57) beschrieben. Die meisten Kassensysteme verfügen über
einen stationären oder beweglichen Barcode-Scanner, eine Waage (zum Erfassen wiegepflichtiger Wa-
ren wie etwa Obst und Gemüse, eine zusätzliche Waage im Abpackbereich kann zur Diebstahlpräven-
tion genutzt werden), einen Touchscreen für Kontrollfeedback und Benutzereingaben, ein Inkassomo-
dul für verschiedene Zahlungsarten, einen Bon-Drucker, eine interne Schnittstelle zum jeweiligen Wa-
renwirtschaftssystem sowie ein optisches oder akustisches Warnsystem, welches bei Problemen das
umstehende Personal herbeiruft. Die Bestimmung des Preises einer Ware erfolgt somit durch die Iden-
tifikation derselben über den Barcode sowie über den Abgleich mit den für die Ware im vernetzten
Warenwirtschaftssystem hinterlegten Daten. Die Funktionsweise eines Barcodes wird unter anderem
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
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in Berdaliyev und James (2016, S. 1) erläutert. Kurz zusammengefasst handelt es sich bei einem Bar-
code (auch als Strich-, Balken- oder Streifencode bezeichnet) um eine Abfolge von schwarzen Balken
unterschiedlicher Breiten und Abstände, die eine optoelektronisch lesbare Schrift darstellen. Aufgrund
der Prävalenz von Barcodes auf Produktverpackungen kann nahezu jede in einem Dorfladen gängige
Ware außer Frischwaren und lokal produzierten Gütern
41
über einen Barcode identifiziert werden.
Abbildung 18: Beispiel für einen EAN 13-Barcode (Quelle: Wikimedia Commons, Lizenz: gemeinfrei).
Der Kunde wird über den Bildschirm durch den Vorgang geführt und in der Regel darum gebeten, alle
Waren entweder über einen stationären 360°-Scanner zu ziehen oder einen Handscanner auf den auf
der Verpackung angebrachten Barcode auszurichten. Bei vielen gängigen Kassensystemen müssen die
Waren von einer Waage im Scanbereich in Tüten platziert werden, die sich zwecks Gewichtskontrolle
auf einer zweiten Waage befinden (Scan & Bag) oder sie auf ein Förderband legen („Scan & Pass“),
das ebenfalls mit einem Gewichtssensor ausgestattet ist, die Waren aber darüber hinaus an einem
Kamerasystem vorbeiführt, welches zusätzlich zum Gewicht noch Abmessungen oder Farben abglei-
chen kann
42
. Ist die Erfassung aller Waren abgeschlossen, wird auf dem Kundenscreen der Kasse der
Endpreis angezeigt und der Zahlvorgang gestartet, der je nach Kassenmodell mit oder ohne Bargeld
erfolgen kann. Ist eine Altersverifikation etwa beim Kauf von Alkohol oder Zigaretten erforderlich,
muss für bei fast allen gängigen Kassenmodellen ein Mitarbeiter gerufen werden.
Eine stationäre Alternative zu SB-Kassensystemen bieten die sogenannten RFID Checkout Areas, wie
sie von Zheng et al. (2011, S. 610) beschrieben werden. Dabei betreten die Kundinnen und Kunden
eine räumlich abgeschirmte Abrechnungszone, die nach Betritt verriegelt wird. Sobald der Abrech-
nungsvorgang gestartet wurde, werden alle sich in diesem Bereich befindlichen RFID-Tags (mehr zur
Funktionsweise von RFID im nachfolgenden Abschnitt) ausgelesen und der kombinierte Warenwert
kalkuliert. Waren, die der Nutzer doch nicht zu kaufen gedenkt, können zu diesem Zeitpunkt noch über
41
Damit im Dorfladen während der personalfreien Öffnungszeiten nicht vollständig auf diese beiden Warengrup-
pen verzichtet werden muss, ließe sich das Angebot im zutrittsgesicherten Verkaufsraum durch Automatenver-
ufe ergänzen ein Ansatz, der im letzten Abschnitt des fünften Kapitels noch im Detail ausgeführt wird.
42
Zur Diebstahlsicherung an Systemkasten siehe Abschnitt 5.4.
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
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die Ablage in einen abgeschirmten Behälter zurückgegeben werden. Wurde der zu zahlende Betrag am
Inkassomodul in Bargeld oder bargeldfrei entrichtet, öffnet sich die Verriegelung des Raumes wie-
der, so dass der Nutzer den Raum verlassen und der nächste ihn betreten kann.
Abgesehen von der gerade im Vergleich zu Barcodes noch zu geringen Verbreitung von RFID-Tags
an Produktverpackungen schnell drehender Konsumgüter (vgl. bitkom e.V. 2015, S. 11), muss die
grundsätzliche Eignung dieses Abrechnungsmodells für personalfreie Geschäfte trotz ihrer offensicht-
lichen Vorteile (die Waren müssen nicht mehr gewogen oder gescannt werden, der Vorgang ist in Se-
kundenschnelle abgeschlossen) bezweifelt werden. Während in Geschäften mit Personal bei Proble-
men jederzeit eingegriffen werden kann, würden Nutzer in Abwesenheit von Personal sich vermutlich
nur äußerst ungern einschließen lassen so dies allein schon mit Blick auf die Versicherbarkeit von
entsprechenden Systemen überhaupt möglich sein sollte. Selbst wenn die Prävalenz von RFID-Tags in
Produktverpackungen zunehmen sollte, ist somit davon auszugehen, dass RFID Checkout Areas zu-
mindest in ihrem gegenwärtigen Design keinen Einzug in Dorfläden mit personalfreien Öffnungszei-
ten halten werden.
Mobiler Self-Checkout
Auch wenn der mobile Checkout aufgrund der höheren Investitionskosten statt einer SB-Kasse am
Endpunkt des Einkaufs müsste eine Reihe mobiler Systeme angeschafft werden, damit mehrere Kun-
dinnen und Kunden das Geschäft gleichzeitig nutzen können für einen Dorfladen unattraktiver als
der stationäre Self-Checkout ist, sollen die zugrundeliegenden technischen Konzepte an dieser Stelle
trotzdem kurz betrachtet werden. In der Literatur finden sich zwei wesentliche Ausführungsvarianten:
Mobiler Barcode-Scan: Bei dieser Variante werden Kundinnen und Kunden mit einem mobilen Bar-
code-Scanner ausgestattet, wobei es sich um ein Handgerät oder einen in den Einkaufswagen inte-
grierten Scanner handeln kann. Die gewählten Waren können somit bereits bei der Entnahme aus dem
Regal gescannt werden, womit an der SB-Kasse lediglich noch ein Datenaustausch zwischen Scanner
und Kasse stattfinden muss, damit der Bezahlvorgang abgeschlossen werden kann, was z.B. via Wi-Fi
(vgl. Berdaliyev & James 2016, S. 2) oder ZigBee (vgl. Yewatkar et al. 2016, S. 795) möglich wäre. Ein
solches System, wie es etwa von Sainath et al. (2014) oder Beridalyev und James (2016) beschrieben
wird, unterscheidet sich somit hinsichtlich der Abläufe nur unwesentlich vom stationären Self-Check-
out, beseitigt aber den zeitlichen Flaschenhals der Warenerfassung an der Kasse selbst und sorgt somit
für einen stetigeren Fluss von Kunden und Waren. Problematisch bleibt allerdings das Erfassen rabat-
tierter oder noch zu wiegender Waren, das mit Handscannern derzeit (noch) nicht möglich ist. Zu be-
achten ist, dass mobile Systeme mittels Batterien oder Akkus versorgt werden müssen, wobei jederzeit
sichergestellt sein muss, dass ein Versagen während des laufenden Betriebs ausgeschlossen ist.
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
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RFID Smart Carts: Eine optimierte Variante des mobilen Barcode-basierten Checkouts ist der mobile
RFID-basierte Checkout, wie er etwa von Yewatkar et al. (2016) skizziert wird. Im Gegensatz zur Iden-
tifikation von Waren über einen auf der Verpackung aufgedruckten Barcode geschieht die Identifika-
tion der gewählten Ware hier über das Auslesen von RFID-Chips bzw. RFID-Transpondern, die in die
Produktverpackung integriert wurden.
Bei RFID (Radio Frequency Identification) handelt es sich um ein System zur berührungsfreien Übertra-
gung von Daten mittels elektromagnetischer Wellen zwischen einem Lesegerät und einem Transpon-
der, die symmetrisch zueinander aufgebaut sind. „Das Lesegerät besteht […] aus einem Hochfrequenz-
modul, einer Kontrolleinheit, einem Koppelelement zum Transponder sowie einer zusätzlichen Schnitt-
stelle, um die erhaltenen Daten an ein weiteres Datenverarbeitungssystem […] weiterzuleiten. Auch
der Transponder enthält ein Koppelelement sowie einen elektronischen Mikrochip, auf dem die Infor-
mationen gespeichert werden“ (Petzold & Gebert 2011, S. 3). Dabei wird zwischen aktiven und passi-
ven Transpondern unterschieden. Während die passiven lediglich ausgelesen werden können, senden
die aktiven permanent, weshalb sie über eine eigene Stromversorgung verfügen müssen alternativ
muss ansonsten das Lesegerät entsprechend bestromt werden (vgl. Yewatkar et al. 2016, S. 794).
Gegenüber einem Barcode-basierten mobilen Checkout hätte ein RFID-basiertes System wesentliche
Vorteile. So lässt sich auf einem RFID-Chip eine Vielzahl von Produktinformationen speichern, die bei
Bedarf abgerufen werden können. Eine Warnung vor Lebensmitteln, die man etwa bei einer Unver-
träglichkeit gegenüber bestimmten Zusatzstoffen nicht konsumieren dürfte, könnte somit personali-
siert ausgegeben werden. Darüber hinaus wäre sowohl bei der mobilen Lösung als auch in der RFID
Checkout Area ein nahezu perfekter Schutz vor Diebstahl gegeben. Da die RFID-Transponder anders
als Barcodes nicht auf die Packung aufgedruckt, sondern von außen nicht sichtbar in dieser integriert
sind, ist sowohl deren Manipulation als auch ein versehentliches oder bewusstes Nichterfassen von
Waren ausgeschlossen.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass mobile Lösungen aufgrund der oben erwähnten Ein-
schränkungen und Probleme (höhere Investitionskosten durch multiple Systeme, zu geringe Verbrei-
tung von RFID-Produkttags) für einen Dorfladen mit personalfreien Öffnungszeiten nach Einschätzung
der Autorinnen und Autoren grundsätzlich weniger geeignet sind, als stationäre (und Barcode-ba-
sierte) SB-Kassensysteme. Hinzu kommt, dass der wesentliche Vorteil mobiler Systeme die kürzeren
Wartezeiten am Checkout Point in einem Dorfladen aufgrund der geringeren Kundenfrequenz kaum
zum Tragen kommt. Darüber hinaus darf hinterfragt werden, ob kurze Wartezeiten in Dorfläden im
Gegensatz zu Supermärkten und Discountern aufgrund der Möglichkeit der Konversation nicht sogar
als Teil des sozialen Einkaufserlebnisses und weniger als Lästigkeit wahrgenommen werden.
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
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5.3 Geeignete Systeme zur Diebstahlsicherung
Diebstahl an SB-Kassen
In den von den Autorinnen und Autoren geführten Gesprächen mit den Betreiberinnen und Betreibern
mehrerer Dorfläden spielte die Frage der Diebstahlsicherung neben der Amortisation der Investiti-
onskosten eine bedeutende Rolle. Offenbar assoziieren potentielle Anwenderinnen und Anwender
die Vorstellung einer personalfreien Kasse, an der Kundinnen und Kunden unbegleitet selbst die ge-
wählten Waren abrechnen sollen, mit einem deutlich erhöhten Risiko für kleinere und größere Dieb-
stähle sowie Bedienungsfehler, die ebenfalls zu Schwund und damit zu Verlusten führen können. Wie
hoch dieses Risiko tatsächlich ist und welche Möglichkeiten zur Prävention existieren, wird Gegenstand
des nachfolgenden Kapitels sein.
Grundsätzlich ist festzustellen, dass Schwund bei Discountern und Supermärkten unterschiedliche Ur-
sachen haben kann. Während Diebstahl durch Externe von vielen Akteuren als wesentlicher Treiber
betrachtet wird, weist Beck 2011 (S. 11) darauf hin, dass sich die Schäden durch externen Diebstahl
mit den Schäden durch internem Diebstahl sowie mit den Schäden durch Korruption und Betrug zwi-
schen Unternehmen mit jeweils etwa einem Drittel Beitrag zur Schadenshöhe die Waage halten. Hinzu
kommt Schwund durch „ehrliche“ administrative und organisatorische Fehler (vgl. Taylor 2016, S. 555).
Tatsächlich kommt es auch bei ausgebildetem Kassenpersonal durch mangelnde Motivation, Bedien-
fehler oder Begünstigung von Bekannten und Verwandten zu Schwund bei der Abrechnung von Waren.
Um zu ermessen, ob durch die Einführung von SB-Kassen eher eine Abnahme oder eher eine Zunahme
des Schwundvolumens zu erwarten wäre, muss man zunächst verstehen, wie es an SB-Kassen über-
haupt ob gewollt oder ungewollt zu Schwund kommen kann. Eine Sichtung der bislang publizierten
Ergebnisse zu dieser Problematik (z.B. Taylor 2016, S. 559 oder Beck 2018, S. 2) zeigt, dass Schwund an
SB-Kassen insbesondere aus drei Gründen eintritt:
Regulärer Diebstahl: In diese Kategorie fällt der Versuch, eine SB-Kassenzone zu verlassen, ohne die
SB-Kasse überhaupt zu nutzen, d.h. das „Durchmarschieren“ mit den gewählten Waren. Auch das plan-
mäßige Überlisten von Kassensystemen (also z.B. das Erfassen einer teuren DVD als Gemüse des etwa
gleichen Gewichts) ist dieser Kategorie zuzurechnen. Die meisten entsprechenden „Maschen“ basieren
darauf, ein teureres Produkt als ein preisgünstigeres Produkt abzurechen oder mehrere gleichartige
Produkte gemeinsam so zu erfassen, dass nur ein Teil der Produkte richtig verbucht wird. In beiden
Fällen wird dabei in der Regel so vorgegangen, dass ein weniger aufmerksamer Beobachter den Ein-
druck erhält, dass die Waren in Wirklichkeit korrekt abgerechnet werden.
Kleine „Tricksereien“: Erstaunlicherweise scheinen SB-Kassen neben den in Supermärkten schon im-
mer zu beobachtenden geplanten Diebstählen mit klarer Bereicherungs- bzw. Betrugsabsicht noch
zu einer zweiten, eher spielerischen Form von Diebstahl animieren, an der sich auch Kundinnen und
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Kunden beteiligen, die weder im Verkaufsraum noch an einer personalgeführten Kasse einen Diebstahl
auch nur in Betracht ziehen würden. Häufig merken diese Kunden aufgrund von Versehen oder Bedi-
enfehlern an SB-Kassen, dass diese einen Diebstahl grundsätzlich zulassen. Dadurch fühlen einige Kun-
den sich offenbar dazu herausgefordert, entsprechende Fehler zu wiederholen, um die Grenzen des
Systems auszutesten. Findet sich ein erfolgreicher Weg, die Sicherheitsmechanismen der Kasse zu um-
gehen, wird dieser aus unterschiedlichsten Motivationen heraus bestritten: Langeweile, Spaß am Spiel
mit dem Risiko, Kompensation für lange Wartezeiten oder gestiegene Preise etc. pp. Da die wenigsten
dieser Personen sich selbst als Diebe bezeichnen würden, hat sich für sie in der Fachliteratur das Akro-
nym SWIPERS eingebürgert Seemingly Well-Intentioned Patrons Engaging in Routine Shoplifting
(Scheinbar anständige Kunden, die routinemäßig stehlen).
Bedienfehler: Wie bereits erwähnt, bemerken Kundinnen und Kunden oft erst durch versehentliche
Bedienfehler, dass und wie sich SB-Kassensysteme überlisten lassen. Insofern tragen auch „ehrliche“
Fehler im Umgang mit der Technik erwartungsgemäß zum Schwund bei. Wie von Beck 2018 (S.2) aus-
geführt wird, nimmt das Risiko von Fehlern nicht nur mit der Unerfahrenheit von Nutzerinnen und
Nutzern sowie des Bedienkomforts der Kasse, sondern auch mit der Anzahl der abzurechnenden Wa-
ren zu: Während ein Bedienfehler bei 50 abzurechnenden Items mit einer Wahrscheinlichkeit von 60%
eintritt, steigt diese bereits bei 100 abzurechnenden Items auf 90%.
Eine Befragung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Supermärkten mit SB-Kassensystemen durch
Beck (2011, S. 34) ergab, dass alle der oben aufgeführten Varianten bereits beobachtet wurden. Dabei
gaben 62% der Befragten an, schon mindestens einmal Zeugin oder Zeuge des bewussten oder unbe-
wussten Nichtscannens von Waren geworden zu sein, während 61% bereits mindestens einmal mit der
bewussten oder unbewussten Wahl einer falschen Produktkategorie konfrontiert wurden. Dass Kun-
dinnen oder Kunden durch eine SB-Kassenzone „durchmarschieren“, ohne ihre Waren überhaupt an
der Kasse zu registrieren, wurde immerhin bereits von 55% der Befragten beobachtet, während andere
Formen des Fehlverhaltens (Bedienfehler, Eingabe falscher Preise, falscher Umgang mit Coupons, Kre-
ditkartenbetrug etc.) deutlich seltener bemerkt wurden.
Studienlage zu SB-Kassendiebstahl
Wie dargelegt, bieten SB-Kassen somit zweifelsohne neue Möglichkeiten für Gelegenheitsdiebe aber
kommt es deshalb bei deren Einsatz auch zu deutlich mehr Schwund? Die diesbezügliche Datenlage ist
alles andere als eindeutig. So fasst beispielsweise Beck (2011) mehrere Studien zu SB-Kassen zusam-
men, in deren Rahmen kein erhöhtes Diebstahlrisiko fest. Tatsächlich besagen jüngste Erkenntnisse,
dass das reguläre Kassenpersonal sogar mit mehrfach höherer Wahrscheinlichkeit das Scannen eines
Produkts übersieht, als es ein aufmerksamer Kunde an einer SB-Kasse tut. Eine 2016 medial breit rezi-
pierte Erhebung unter deutschen Einzelhandelsunternehmen ergab, dass an Express- und SB-Kassen
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
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nicht mehr gestohlen wird, als an personalgeführten Kassen und die Masse der Diebstähle unabhän-
gig vom jeweils verwendeten Kassensystem ohnehin im Verkaufsraum und nicht an der Kasse erfolge
43
.
Dies führt Taylor (2016, S. 564) zu der Vermutung, dass die durch Diebstahl zu erwartenden Verluste
bei einer Einführung von SB-Kassen in der Breite deutlich geringer als die durch den Personalabbau zu
erzielenden Einsparungen ausfallen dürften.
Zu anderen Ergebnissen kommen Studien aus Großbritannien einem Land, in dem SB-Kassen bereits
deutlich weiter verbreitet sind, als dies bislang in Deutschland der Fall ist: Hier betrügt angeblich jeder
fünfte Kunde zumindest geringfügig an SB-Kassen im durchschnittlichen Monatswert von 18 Euro ein
Verhalten, das immerhin schon von jedem dritten Supermarktmitarbeiter beobachtet wurde (vgl. Beck
2011, S. 39). Tatsächlich liegt der durch bewusste wie unbewusste Handlungen sowie technische
Probleme beeinflusste Anteil von Einkäufen mit Fehlscans beim Test von SB-Kassen bei über 40%,
der Anteil an falsch abgerechneten Waren bei fast 5% (vgl. Beck 2018, S. 2). Ähnlich wie die bislang
größtenteils positiven Erfahrungen mit SB-Kassensystemen aus Deutschland, werden auch die negati-
ven Erfahrungen in England durch empirische Beobachtungen gestützt: Parallel zum verstärkten Auf-
kommen von SB-Systemen meldet der britische Einzelhandel seit Jahren eine stetige Zunahme der Ver-
luste durch Diebstähle und allgemeinen Schwund (vgl. Taylor 2016, S. 555).
Geeignete Lösungsansätze
In welchem Umfang an SB-Kassen bzw. in Supermärkten oder bei Discountern überhaupt gestohlen
wird, ist nach Beck (2011, S. 44) wesentlich von vier Rahmenfaktoren bzw. individuellen Einschätzun-
gen des potentiellen Ladendiebs abhängig: Der Einschätzung des Risikos einer Entdeckung, der Ein-
schätzung des Schwierigkeitsgrads des Diebstahls an sich, der Einschätzung des zu erwartenden Ge-
winns im Erfolgsfall sowie der Einschätzung der zu erwartenden Strafe im Falle einer Entdeckung. Sys-
teme zur Verringerung des Diebstahlrisikos können theoretisch wie praktisch bei allen vier Faktoren
ansetzen: Sie können das Risiko steigern (etwa durch Videoüberwachung), den Diebstahl an sich er-
schweren (etwa durch große und schwierig zu öffnende Verpackungen), den zu erwartenden Gewinn
senken (etwa durch den Verzicht auf größere Bargeldbestände oder leicht verkaufbare Hehlerwaren)
oder die zu erwartende Strafe maximieren (etwa durch Hausverbote oder Strafanzeigen).
Abgesehen von der physischen Erschwernis des Diebstahlvorgangs (Maßnahmen, die einen Diebstahl
zeitaufwändiger machen, entfalten in einer Umgebung, in der man sich möglicherweise über längere
Zeit vollkommen allein aufhält, keine abschreckend Wirkung) sind alle genannten Aspekte für die Dieb-
stahlprävention in Dorfläden von Bedeutung und sollen daher nachfolgend kurz betrachtet werden.
43
https://www.faz.net/aktuell/finanzen/meine-finanzen/geld-ausgeben/selbstbedienungskassen-im-test-
14135404.html
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Vorab soll festgehalten werden, dass die Autorinnen und Autoren das Diebstahlrisiko bei Dorfläden im
Vergleich zu klassischen Supermärkten und Discountern aufgrund zweier Faktoren für grundsätzlich
geringer halten. Zum einen ist die Kundschaft nicht anonym, sondern dem Betreiber des Ladens (sowie
auch zu großen Teilen untereinander) bekannt. Zum anderen liegt die Hemmschwelle, einen vermeint-
lich „kleinen“ Einzelhändler zu bestehlen, bei den meisten Menschen höher als der als der sozial we-
niger schädlich betrachtete Diebstahl von Waren aus dem Sortiment einer großen Handelskette.
Risikosteigerung: Neben einer Videoüberwachung, wie sie heutzutage in fast allen Supermärkten und
Discountern (und sogar bereits in einigen Dorfläden) üblich ist, sind hier insbesondere Sicherungsmaß-
nahmen an der SB-Kasse zu nennen, die nicht nur bewusste, sondern auch unbewusste Diebstähle
minimieren soll, die sich insbesondere durch Unachtsamkeiten und Bedienungsfehler ergeben. Zu den
marktverfügbaren technischen Lösungen gehören insbesondere:
Gewichtskontrollen
Optische Kontrollen
Personalkontrollen
Virtuelle Assistenten
Die am weitesten verbreitete Form der Diebstahlsicherung an SB-Kassen ist dabei laut Beck (2018, S.
2) die automatische Gewichtskontrolle der erfassten Waren. Dabei ist zwischen solchen Systemen zu
unterscheiden, die das Gewicht von erfasster Ware auf Plausibilität prüfen (Steht auf der Waagschale
tatsächlich nur ein Sixpack, oder wurden zwei übereinandergestapelt? Passt das Gewicht zu einem
Beutel Tomaten, oder wurde für eine schwerere Ware ein falscher Barcode gescannt?), und solchen,
bei denen die Kunden die zu erfassende Ware von einer Waagschale mit Scanvorrichtung für den Bar-
code nach der Erfassung auf eine andere Waagschale umlegen müssen, wobei das Gewicht aller am
Ende aus dem Laden mitgenommenen Waren mit dem kumulierten Gewicht der einzelnen gescannten
Waren übereinstimmen muss. Gewichtsscan-Systeme lassen sich gut in SB-Kassensysteme integrieren
(vgl. Zhang et al., S. 609; Bobbit et al. 2011, S. 585), gelten aber als kaum benutzerfreundlich und wur-
den daher von einigen Handelsketten bereits wieder abgeschafft bzw. auch in Märkten mit Personal
vom bekannten Kundenselbstscan in der Obst- und Gemüseabteilung zurück an die personalgeführte
Kasse verlagert (vgl. Beck 2018, S. 2).
Neben gewichtsbasierten existieren auch visuelle Präventionssysteme, die auf farbsensitiven Kameras
basieren. Über diese kann eine Software etwa beim Abrechnen einer Banane kontrollieren, ob es sich
bei dem abgerechneten Item um ein farblich passendes Objekt, oder etwa doch um ein teureres Stück
Fleisch handelt. Wie Bobbit et al. (2011, S. 590) zeigen, funktionieren derartige Systeme auch unter
den unvermeidbaren Einschränkungen des praktischen Einsatzes (Item ist nicht richtig ausgeleuchtet,
Item wird teilweise durch Schattenwurf verdeckt etc. pp.) besser als gewichtsbasierte Alternativen.
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
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Wie Zheng et al. (2011, S. 609) anmerken, findet in den meisten Geschäften, in denen SB-Kassen zum
Einsatz kommen, zudem eine Überwachung der Kassen durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter statt,
die, anstatt selbst eine Einzelkasse zu besetzen, zwischen mehreren SB-Kassen hin- und herlaufen und
die dortigen Vorgänge überwachen, Kundinnen und Kunden bei Problemen unterstützen oder auch
Zufallskontrollen bei einzelnen Personen durchführen (vgl. Beck 2011, S. 10). Obwohl diese Form der
Kontrolle bei Umfragen unter Ladenbetreibern als sehr sicher gilt, zeigt eine von Beck (2011, S. 37)
durchgeführte Personalerhebung, dass über die Hälfte (52%) der Befragten der Ansicht sind, die sich
in ihrem Verantwortungsbereich befindlichen Kassen bei hohem Kundenverkehr (38%) oder sogar ganz
generell (14%) nicht mit zufriedenstellender Genauigkeit (38%) überwachen zu können.
Da mit dem im Rahmen dieser Machbarkeitsstudie zu entwickelndem Konzept ausdrücklich ein perso-
nalfreier Betrieb angestrebt wird, ist die nähere Betrachtung der Vor- und Nachteile einer personalba-
sierten Prävention an dieser Stelle nicht zielführend. Perspektivisch von Interesse könnte allerdings
der Rückgriff auf KI-gestützte digitale Assistenten sein, die beispielsweise über die Kassenbildschirme
Hilfestellungen geben und dabei nicht nur versehentliche Eingabefehler vermeiden, sondern auch ein
potentielles Korrektiv für bewusstes Fehlverhalten darstellen. In einem Versuch mit virtuellen und
akustischen Assistenzsystemen konnten Payne et al. (2011, S. 62) belegen, dass die Fehlerraten bei der
Erfassung von Waren an SB-Kassen mit solchen Assistenten erheblich reduziert werden können um
50% bei virtuellen Assistenzsystemen und sogar um 65% bei akustischen Assistenzsystemen. Diese ex-
perimentellen Erkenntnisse sowie erste Erfahrungen im praktischen Einsatz sprechen sehr für die An-
nahme, dass sich entsprechende Assistenzsysteme vermutlich in den kommenden Jahren etablieren
und zur komplementären Standardausstattung von SB-Kassen werden dürften und damit perspekti-
visch auch für Dorfläden mit personalfreien Öffnungszeiten von Interesse sein werden.
Gewinnsenkung: Die beiden wesentlichen Maßnahmen zur Gewinnsenkung der Verzicht auf größere
Mengen von Bargeld sowie auf besonders leicht weiterzuverkaufende und hochpreisige Waren sind
grundsätzlich auch für Dorfläden anzuraten. Systeme zur Bezahlung von Waren, die während der per-
sonalfreien Öffnungszeiten verkauft werden, sollten idealerweise bargeldlos funktionieren, so dass
sich zu keinem Zeitpunkt eine größere Menge an Bargeld in einem personalfreien Laden befindet. Al-
lein schon aus juristischen Gründen die in Kapitel 3 näher ausgeführt werden ist ohnehin davon
auszugehen, dass die meisten Dorfläden mit personalfreien Öffnungszeiten während dieser Zeiten
keine alkoholischen Getränke oder Tabakwaren anbieten werden, wodurch zwei besonders häufig ge-
stohlene Produktgruppen aus dem Sortiment fallen.
Strafmaximierung: Mit Blick auf die besonderen Rahmenbedingungen, unter denen Dorfläden operie-
ren (fast ausschließlich lokale Klientel, kleine Ortsdichte, hohe Frequenz an Sozialkontakten) dürfte
insbesondere dieser Aspekt für die Diebstahlsicherung gegen Kunden nicht gegen Einbruchdiebstahl
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
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aufgrund der zu erwartenden sozialen Abstrafung durch die Dorfgemeinschaft von herausragender
Bedeutung sein. Hinzu kommen die für Dorfläden üblichen Formen der kollektiven Firmierung. Wer als
Mitglied eines Vereins, einer Genossenschaft oder einer GmbH selbst Anteile am Dorfladen hält, wird
nach Einschätzung der Autorinnen und Autoren kaum in Versuchung geraten, dem Unternehmen ei-
nen finanziellen Schaden zuzufügen. Nicht völlig auszuschließen ist allerdings, dass hier auch gegentei-
lige Effekte („Ich habe hier immerhin 100 Euro investiert, da kann ich jetzt auch mal eine Ware für die
50 Cent mitnehmen, die mir gerade an zusätzlichem Prepaid-Guthaben fehlen.“) greifen. Für den Um-
gang mit solchen neuartigen Motivatoren fehlen derzeit entsprechende Präzedenzfälle. Wie bereits
geschrieben, ist nach derzeitigem Kenntnisstand allerdings nicht davon auszugehen, dass eine solche
Problemlage in ernstzunehmendem Umfang eintreffen könnte.
5.4 Datenschutzkonformität der Systeme
Die Datenschutzkonformität von handelsüblichen SB-Kassensystemen wird als weitgehend unkritisch
bewertet: Entsprechende Systeme sind seit vielen Jahren punktuell im Einsatz, ohne dass es zu medial
bekannt gewordenen Beanstandungen, Verfahren oder Klagen gekommen ist. Aufgrund der weit ver-
breiteten Kunden- und Rabattkartensysteme ist eine personalisierte Zuordnung von Einkäufen, wie sie
an einer SB-Kasse denkbar wäre, theoretisch auch heute schon technisch möglich, ohne dass es eines
Systems zur Selbstabrechnung bedarf. Tatsächlich halten einige Autoren wie etwa Bobbit et al. (2011,
S. 585) SB-Kassensysteme sogar für datenschutzfreundlicher, da insbesondere in kleineren Läden, in
denen das Verkaufspersonal die Kundinnen und Kunden ggf. persönlich kennt oder zumindest nament-
lich zuordnen kann an einer SB-Kasse niemand beobachtet, welche Waren gekauft werden.
Mit Blick auf das im Rahmen dieser Machbarkeitsstudie zu entwerfende Konzept ist festzustellen, dass
die sich am Markt befindlichen technischen Komponenten von der SB-Kasse über das Zutrittskon-
trollsystem bis hin zur Diebstahlsicherung letztendlich zu heterogen für ein Pauschalurteil sind. Es
muss sich daher darauf verlassen werden, dass marktverfügbare Technik grundsätzlich auch eingesetzt
werden darf. Von wesentlicher Bedeutung für die Frage, ob eine konkrete Kombination technischer
Komponenten, wie sie in den nachfolgenden Abschnitten vorgeschlagen werden wird, die Freigabe
einer Datenschutzbehörde erhalten würde, wird die Frage sein, ob auf die Speicherung personenbe-
zogener Daten auf dem verwendeten Zugangstoken verzichtet werden kann.
5.7 Kombination mit Verkaufsautomaten
Wie in Kapitel 4 dargestellt wurde, ergeben sich aus der Integration von Verkaufsautomaten in das
Konzept eines Dorfladens mit personalfreien Öffnungszeiten interessante Verwertungsoptionen. Dies
trifft insbesondere dann zu, wenn die Automaten in einem Vorverkaufsraum platziert werden können,
so dass sie auch von nichtregistrierten Kundinnen und Kunden genutzt werden können, die nicht über
ein Zutrittstoken für den eigentlichen Verkaufsraum verfügen. Neben regionalen Waren und
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
Finalfassung Seite 65 von 104 13.11.2019
bestimmten Frischeprodukten, die in Abwesenheit von Personal außerhalb eines Automaten nicht
problemfrei abverkauft werden könnten, können über Automaten eine Vielzahl von Artikeln und sogar
Dienstleistungen verkauft werden, die der Ladenbetreiber selbst nicht anbieten können oder wollen.
Die Spannweite reicht dabei von Briefmarken und Heißgetränke bis hin zu Süßwaren und Zigaretten.
Abbildung 19: Nutzung eines Verkaufsautomaten für regionale Frischmilch (eigenes Foto).
Für den Fall eines erfolgten positiven Urteils zur Sinnhaftigkeit von Verkaufsautomaten, sollte im
Rahmen dieser Machbarkeitsstudie betrachtet werden, welche Automatentypen sinnvoll mit den in
Frage kommenden Zahlungssystemen kombiniert werden können. Da sich wie in Abschnitt 5.5 ge-
zeigt wurde für Dorfläden mit personalfreien Öffnungszeiten insbesondere ein Zahlungssystem auf
Basis von QR-Codes eignen dürfte, entfällt diese Aufgabe, da keine marktverfügbaren Automaten mit
einem solchen Feature existieren. Da es sich jedoch anbieten dürfte, als Medium für den QR-Code eine
handelsübliche Chipkarte zu nutzen, die wiederum mit entsprechenden Chipsystemen kombinierbar
wäre, ist das Problem leicht und ohne eine aufwändige Eigenentwicklung umgehbar: Da so gut wie
alle marktgängigen Verkaufsautomatensysteme Kundenkarten mit Prepaid-Funktion als Zahlungsträ-
ger akzeptieren
44
, kann ein Kundenkarten-System, wie es in 5.5 sowie im Detail in Kapitel 6 umrissen
44
Siehe z.B. https://xl-automaten.de oder http://www.agridee.ch/nayax.
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
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wird, leicht so implementiert werden, dass es mit gängigen Verkaufsautomaten kombinierbar ist. Die
Verwendung eines solchen Systems wäre zudem unter Ausschluss der Option des Einkaufs mit Bar-
geld nicht mit einem wesentlich erhöhten Einbruchsrisiko in der Verkaufsstelle verbunden.
5.5 Umgang mit Technikakzeptanzhürden
Bedeutung von Technikakzeptanz
Für den erfolgreichen Betrieb eines Dorfladens mit personalfreien Öffnungszeiten ist die Akzeptanz
der eingesetzten Technik insbesondere des Selbstkassensystems, aber auch des Systems zur Zutritts-
kontrolle von entscheidender Bedeutung. Nicht alles, was technisch möglich ist, wird auch vom End-
nutzer akzeptiert oder gar gewünscht (vgl. Silberer 2010, S. 56). Vor diesem Hintergrund wird im nach-
folgenden Abschnitt zunächst das theoretische Konstrukt der Technikakzeptanz betrachtet, bevor an-
schließend basierend auf den wenigen diesbezüglich existierenden Veröffentlichungen die bisheri-
gen Erkenntnisse hinsichtlich der positiven wie negativen Einflussfaktoren auf die Akzeptanz von SB-
Kassen durch Kundinnen und Kunden aggregiert werden.
Der Begriff der Technikakzeptanz entstammt dem Bereich der Arbeitswissenschaften und ist dort als
„positive Annahme oder Übernahme einer Idee, eines Sachverhaltes oder eines Produktes […], und
zwar im Sinne aktiver Bereitwilligkeit und nicht nur im Sinne reaktiver Duldung“ definiert (Gaul et al.
2010, S. 1-2). Ein akzeptiertes technisches Hilfsmittel ist demnach eines, das sowohl durch die Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter als auch durch die im Kontext des Dorfladen-Szenarios wichtigeren
Kundinnen und Kunden nicht nur (ggf. sogar widerwillig) genutzt, sondern vielmehr begrüßt und gerne
verwendet wird. Die Faktoren, die einen hohen Grad der Technikakzeptanz begünstigen, werden mit
Blick auf IT-Produkte und -Dienstleistungen seit den 1980ern untersucht, wobei insbesondere der Ver-
ein Deutscher Ingenieure (VDI) und das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI)
wesentlich zum aktuellen Stand der Forschung beigetragen haben (vgl. Hübner et al. 2013, S. 21). Ne-
ben den Eigenschaften der technischen Lösungen selbst werden dabei auch demografische Faktoren
wie Alter, Geschlecht, Bildungshintergrund und technische Sozialisation bzw. bisherige (positive wie
negative) Technikerfahrungen als Einflussfaktoren betrachtet. Zentrales Erfolgskriterium der Technik-
akzeptanzforschung ist letztendlich die konkrete positiv-freiwillige Nutzungsabsicht durch den Kunden,
die eine Akzeptanz der jeweiligen Technik induziert (vgl. Schliewe et al. 2012).
Das derzeit meistgenutzte Akzeptanzmodell wurde von Anfang der 2000er von Viswanath Venkatesh
von der University of Maryland unter dem Akronym UTAUT (Unified Theory of Acceptance and Use of
Technology) begründet (vgl. Venkatesh et al. 2003). Nach diesem Modell wird der Grad der Akzeptanz
neuer Technologien von vier Faktoren bestimmt: Der subjektiven Nützlichkeit der Technologie aus
Sicht der Anwenderinnen und Anwender („Was habe ich von der SB-Kasse?“), der zu erwartenden Ver-
ringerung des Arbeitsaufwands („Bin ich an der SB-Kassen schneller fertig?“), den Erwartungen des
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
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sozialen Umfelds („Nutzen meine Nachbarn / Kollegen etc. pp. ebenfalls SB-Kassen? Wie stehe ich da,
wenn ich mich verweigere?“) und dem Vorhandensein der erforderlichen Infrastruktur („Gibt es in der
Nähe überhaupt einen fußläufig erreichbaren Laden mit SB-Kasse?“). Welche dieser vier Determinan-
ten sich in welchem Umfang auswirkt, hängt von der betrachteten Zielgruppe (Mitarbeiter oder Kun-
den) sowie von einer ganzen Reihe demografischer Faktoren (z.B. Alter, Geschlecht oder Techniker-
fahrung) ab. Es gilt als gesichert, dass sich mit Hilfe des UTAUT-Modells bis zu 70% der Varianzen in der
Nutzungsintention aufklären lassen (vgl. Hübner et al. 2012, S. 21). Für das Anwendungsfeld von SB-
Kassensystemen hält Silberer (2010, S. 57) die subjektive Nützlichkeit für den wichtigsten Aspekt.
Technikakzeptanz von SB-Kassensystemen
Auf ein wesentliches Element der Akzeptanz von SB-Kassen durch Kundinnen und Kunden wurde be-
reits im Rahmen der Kurzvorstellung der SB-Kassentechnologie hingewiesen: SB-Kassen lagern ur-
sprünglich bezahlte Arbeit auf den Nutzer aus, ohne ihm dafür einen Rabatt oder eine anderweitige
Gratifikation zu gewähren. Sie sind Teil des ebenfalls bereits erwähnten Self-Checkout- bzw. Self-
Service-Trends, der neben SB-Kassen u.a. den Tankvorgang an Tankstelle, das Abheben von Geld an
Bankautomaten oder das Buchen von Reisen und Eventtickets über das Internet einschließt. Im Rah-
men dieses Trends werden Kundinnen und Kunden zunächst mit kleineren Incentives dazu gebracht,
auf entsprechende Dienstleistungen durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu verzichten, bevor die-
ses Incentive schließlich wegfällt, sobald eine kritische Masse an Nutzern erreicht wird. Dies lässt sich
etwa bei der Selbstbedienung an Tankstellen beobachten, die zunächst mit einem Rabatt incentiviert
wurde, der jedoch wegfiel, nachdem sich eine ausreichend große Anzahl von Nutzern an die Über-
nahme dieser Aufgabe gewöhnt hatte. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich derzeit für den Verkauf von
Bahntickets konstatieren: Während der Kauf im Internet und am Automaten (noch) mit kleinen Rabat-
ten belohnt wird, lässt der Rückbau von Verkaufsstellen deutlich erkennen, dass auf eine weitgehende
Einstellung des Schalterbetriebs hingearbeitet wird. Neben der preislichen Incentivierung und der Zei-
tersparnis fallen damit perspektivisch auch zahlreiche Arbeitsplätze weg, während die ursprünglich
vom Unternehmen bezahlte Arbeitsleistung auf die Kundinnen und Kunden übergeht. Nachvollzieh-
barerweise sind Entwicklungen in Richtung von mehr Self-Service daher regelmäßig Gegenstand der
Kritik von Arbeitnehmervertretern, Verbraucherschützern sowie der Politik.
Dies gilt auch für Geschäfte des Einzelhandels, in denen wie etwa Andrews (2009) anmerkt die
Kundinnen und Kunden seit der Verdrängung der klassischen Theken- durch Selbstbedienungsge-
schäfte ohnehin schon viel Arbeit (wie etwa die Suche nach bestimmten Produkten oder deren Trans-
port zur Kasse) selbst leisten und zukünftig wohl noch mehr leisten werden. Für die Anbieter ist das
in der Tat ein gutes Geschäft so berichtet etwa Taylor (2016, S. 554), dass der US-Handelsriese Wal-
Mart pro Sekunde an eingesparter Personalzeit im Check-Out-Prozess 12 Millionen US-Dollar im Jahr
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
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an Personalkosten spart. Trotz der vergleichsweise hohen Kosten von SB-Kassensystemen vertreten
daher die meisten Autorinnen und Autoren die Ansicht, dass sich der Einsatz solcher Systeme nicht nur
für große Ketten, sondern auch für kleine Einzelunternehmen lohnen kann wenn er mit einem ent-
sprechend konsequenten Abbau von Arbeitsplätzen verbunden wird. So weist etwa Beck (2011, S. 8)
darauf hin, dass sich der Einsatz von SB-Kassen auch unter der (unbewiesenen) Prämisse lohnt, dass
der Diebstahl erheblich zunimmt, da der durch Schwund verursachte Verlust die eingesparten Perso-
nalkosten nicht übersteigt. Hinzu kommt, dass SB-Kassen in der Regel einen deutlich geringeren Platz-
bedarf als herkömmliche Servicekassen aufweisen, was Einzelhändlern wiederum eine Vergrößerung
der zur Verfügung stehenden Präsentations- und Verkaufsfläche gestattet.
Da die mit dem Self-Service-Trend verbundenen arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Erwägungen im
Kontext von Dorfläden-Szenarien von geringerer Bedeutung sind, soll nachfolgend vor allem auf die
die Technikakzeptanz fördernden und hemmenden Faktoren eingegangen werden, die unmittelbar mit
der Technik selbst insbesondere deren Bedienbarkeit und Fehleranfälligkeit zu tun haben.
Negative Aspekte aus Kunden- und Mitarbeitersicht
Wie Taylor (2016, S. 554) und Sauerwein (2016, S. 11f.) anmerken, sind Kundinnen und Kunden mit
den Erfahrungen bei der Nutzung von SB-Kassen nicht immer zufrieden. Zu den häufig kritisierten As-
pekten gehören Probleme bei der Erfassung loser Ware oder von Kombipackungen (z.B. Gebinde von
Getränken), die Falscherfassung von rabattierten Waren, das Warten auf Mitarbeiter bei Fehlern oder
Problemen und der gefühlte Verlust der Servicequalität. Wie eine im Juli 2019 durch das Marktfor-
schungsunternehmen Marketagent
45
durchgeführte bevölkerungsrepräsentative Erhebung unter Ös-
terreicherinnen und Österreichern zur Zukunft des Einzelhandels zeigt, wird ein vollständig personal-
freier Supermarkt auch von jüngeren Kundinnen und Kunden eher als eine verstörende Dystopie denn
als eine wünschenswerte Utopie wahrgenommen lediglich 3% der Befragten würden ein solches Kon-
zept als große Bereicherung empfinden. Die gleiche Studie ergab zudem, dass sich immerhin 30% der
Befragten nicht vorstellen können, dass ein vollständig personalfreier Supermarkt technisch überhaupt
realisierbar wäre (vgl. Marketagent 2019). Das Ergebnis unterstreicht somit nicht nur die Bedeutung
der sozialen Komponente für das Einkaufsempfinden, sondern ist auch als Hinweis auf die Höhe der zu
überwindenden Akzeptanzhürden zu werten.
Neben der Wahrnehmung der Systeme durch Kundinnen und Kunden, ist in der Literatur auch deren
Wahrnehmung durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Bedeutung. Hierzu berichten Sauerwein
und Horst (2016, S. 10), dass neben der Sorge vor mehr Diebstahl und einer Überforderung der Kun-
dinnen und Kunden verständlicherweise auch die Angst vor einem Stellenabbau zu einer eher
45
http://www.marketagent.com
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
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skeptischen Haltung gegenüber SB-Kassen führt. Eine Befragung von Beck (2011, S. 27) von Mitarbei-
terinnen und Mitarbeitern mit SB-Praxiserfahrung ergab, dass Probleme beim Wiegen (von 82% aller
Befragten beobachtet), bei der Altersverifikation (77%), und bei der Diebstahlsicherung (53%) häufig
beobachtet wurden, Probleme beim Scannen (Doppeltes Scannen, Wechselgeld vergessen, Teile nicht
identifizierbar) dagegen nur gelegentlich und Probleme beim Bezahlen äußerst selten.
Positive Aspekte aus Kunden- und Mitarbeitersicht
Abbildung 20:Umfrage zum Alter potentieller SB-Kassennutzer (© Statista).
Grundsätzlich ist eine Erneuerung des Checkout-Prozesses aus Kundensicht von positivem Interesse,
da von vielen Kundinnen und Kunden kaum ein Element eines typischen Einkaufsvorgangs als so stark
frustrierend wahrgenommen wird, wie das Anstehen an einer Kasse und die dortige Abrechnung der
Waren (vgl. Zheng et al. 2011, S. 608). Bisherige Studien, die in Silberer (2010, S. 57f.), Boslau (2009, S.
4) Siah und Fam (2017, S. 491) und Sauerwein (2016, S. 8f.) zusammengefasst werden, deuten darauf
hin, dass SB-Kassen insbesondere dann gerne genutzt werden, wenn sie einen Geschwindigkeitsvorteil
versprechen ein Vorteil, der insbesondere jüngeren Nutzerinnen und Nutzern (U40) wichtig ist. Ne-
ben der Zeitersparnis werden in Erhebungen regelmäßig die Selbstbestimmtheit des Vorgangs, der
Spaß im Umgang mit der Technik und die Nutzung von Rabattmöglichkeiten genannt.
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
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Abbildung 21: Umfrage zur Nutzungsmotivation potentieller SB-Kassennutzer (© Statista).
Wie Sauerwein und Horst (2016, S. 10) berichten, gibt es auch Gründe, aus denen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter SB-Kassen schätzen. Zu diesen gehören insbesondere der Wegfall des Bargeldhand-
lings und die damit geringere Eigenverantwortung, die höhere Zufriedenheit von Kundinnen und Kun-
den aufgrund kürzerer Wartezeiten sowie die Aufwertung des eigenen Arbeitsumfelds durch Nutzung
von Technologie mit hohem Innovationscharakter.
Empfehlungen für SB-Kassensysteme
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass durch die stetig sinkenden Investitionskosten für SB-Kas-
sen sowie durch die zunehmende Etablierung von kundenpartizipativen Serviceprozessen in anderen
Bereichen (z.B. Self-Check-In am Flughafen oder Tankvorgang an Tankstellen) damit zu rechnen ist,
dass die Akzeptanz solcher Systeme perspektivisch zunehmen wird (vgl. Ahlert et al. 2018, S. 46).
Folgt man vor dem Hintergrund dieses die Akzeptanz begünstigenden Gewöhnungsprozesses den Aus-
führungen von Boslau (2009, S. 40), ist davon auszugehen, dass SB-Kassen insbesondere fünf Eigen-
schaften aufweisen müssen, um aus Kundensicht als akzeptabel zu gelten:
Schnelligkeit: Der Abrechnungsvorgang darf nicht (viel) länger dauern, als es bei einer perso-
nenbesetzen Kasse der Fall wäre.
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
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Nutzerfreundlichkeit: Es muss zu jedem Zeitpunkt klar sein, welche Handlungen der Nutzer
vorzunehmen hat, um das Kassensystem korrekt zu bedienen.
Zuverlässigkeit: Es darf bei der Bedienung nicht zu Fehlern kommen, die für den Nutzer nach-
teilig wären (z.B. versehentliche Mehrabrechnung).
Spaß: Die Technik muss einen zum Umgang animieren, es muss mit Freude verbunden sein,
die Kasse zu bedienen (z.B. durch Integration einfacher Gamification-Elemente oder durch
persönliche Ansprache).
Kontrolle: Die Nutzer müssen das Gefühl haben, den Abrechnungsvorgang zu jedem Zeit-
punkt selbst zu kontrollieren und dürfen sich nicht als Getriebene des Systems fühlen.
Wie aktuellste Untersuchungen von Awe (2018, S. 44) zeigen, ist von diesen Eigenschaften vermutlich
die Nutzerfreundlichkeit die bedeutendste. Bei der Auswahl eines SB-Kassensystems sollte dennoch
idealerweise im Rahmen des budgetären Rahmens auf alle benannten Eigenschaften geachtet wer-
den. Ein unter diesen Rahmenbedingungen als geeignet zu bewertendes und realistisch finanzierbares
SB-Kassensystem ist Gegenstand des technischen Detailvorschlags in Abschnitt 5.10.
5.6 Aufwandsschätzung einer Eigenentwicklung
Vor Beginn des DigiShop-Vorhabens wurde neben einer Kombination bereits marktverfügbarer Tech-
nik auch die Option der Eigenentwicklung eines Authentifikations- und Kassensystems diskutiert. Der
wesentliche Treiber dieser Idee war die Annahme, dass eine Eigenentwicklung, die exakt auf die tech-
nischen Bedürfnisse kleiner Hof- und Dorfläden zugeschnitten werden kann, sich in der Realisierung
als kostengünstiger erweisen könnte, als marktverfügbare Technik, mit der die deutlich höheren tech-
nischen Anforderungen größerer Supermarkt- und Discounterketten erfüllt werden müssen. Aus den
nachfolgend kurz dargelegten Gründen wurde von dieser Möglichkeit jedoch im Rahmen der Erarbei-
tung dieser Machbarkeitsstudie wieder Abstand genommen.
Für die Versicherbarkeit einer Eigenentwicklung mit dem Ziel einer Authentifikation bzw. Zutrittskon-
trolle zu einem Dorfladen während der personalfreien Öffnungszeiten entscheidend ist die Konformi-
tät der Technik mit der VdS-Richtlinie 2358
46
, welche die technischen Anforderungen an zuverlässige
Zutrittskontrollen aus Sicht der Versicherungswirtschaft definiert. Bei der VdS
47
handelt es sich um ein
aus dem ehemaligen Verband der Sachversicherer hervorgegangenes Institut, welches Risikobeurtei-
lungen und Anlagenzertifizierungen im Auftrag der Versicherungswirtschaft durchführt und die für
diese Branche bedeutenden VdS-Richtlinien erarbeitet und publiziert. Die oben erwähnte VdS-
46
https://vds.de/de/security/richtlinien/
47
http://www.vds.de
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
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Richtlinie 2358 definiert, welche technischen Voraussetzungen ein elektronisches System zur Absiche-
rung der Zutrittskontrolle erfüllen muss, um nach VdS-Standards versicherungsfähig zu sein.
Im Rahmen der Erarbeitung dieser Machbarkeitsstudie wurde durch die Hochschule Harz mehrfach
versucht, Einblick in diese Richtline zu erhalten ein Ansinnen, das jedoch mit dem Verweis darauf
abgelehnt wurde, dass VdS-Richtlinien nur den nachweisbar in den jeweiligen Bereichen tätigen Un-
ternehmen zur Einsicht zur Verfügung stehen. Eine Einsichtnahme in die Richtlinie durch die in die
Erarbeitung dieser Machbarkeitsstudie eingebundenen Mitarbeiter des Fachbereichs Automatisierung
und Informatik der Hochschule Harz war dagegen nicht möglich.
Vor diesem Hintergrund sowie angesichts der positiven Marktentwicklung im Bereich der Kassen- und
Zutrittssysteme wurde darauf verzichtet, die Option einer Eigenentwicklung im Rahmen dieser Mach-
barkeitsstudie weiter zu verfolgen. Die Nutzung eines Zutrittskontrollsystems, welches möglicherweise
keine Versicherung gegen Warendiebstahl zulässt, dürfte aus Sicht eines Dorfladenbetreibers ein völlig
inakzeptables Risiko darstellen. Die fehlende Möglichkeit der Einsichtnahme in die VdS-Richtlinie führt
zudem dazu, dass durch die Autorinnen und Autoren dieser Studie nicht nachvollzogen werden konnte,
wie elektronische Zutrittssysteme aus Sicht der Versicherungswirtschaft auf Eventualitäten wie etwa
medizinische Notfälle eingerichtet werden müssen, die einen sofortigen Zutritt von Ersthelfern und
Notfallpersonal zu Räumlichkeiten erforderlich machen, für welche diese Personen nicht über eine re-
guläre Zugangsberechtigung verfügen.
5.7 Empfehlungen für ein einzusetzendes System
Nicht verfolgte Lösungsansätze
Bevor nachfolgend die Empfehlungen der Autorinnen und Autoren für ein einzusetzendes System vor-
gestellt werden, soll kurz dargelegt werden, warum bestimmte im Rahmen von Kapitel 5 teilweise
bereits erwähnte Technologien nicht in die finale Systemarchitektur aufgenommen wurden. Über den
begründeten Ausschluss einzelner Technologien wird zudem klarer, warum die jeweiligen Alternativen
Teil der vorgetragenen Empfehlungen wurden.
a) RFID-basierte Lösung oder Barcodescanner? Wie die Ausführungen in Abschnitt 5.2 verdeutlicht ha-
ben, wäre eine RFID-basierte Lösung nicht nur technisch performanter und diebstahlsicherer, sondern
für die Anwenderinnen und Anwender auch mit einem höheren Komfort verbunden, da in einer RFID-
Zone die Notwendigkeit für die nachgelagerte Identifikation jedes einzelnen Items gegenüber dem
Kassensystem entfallen würde. Die Autorinnen und Autoren vermuten daher, dass RFID-Lösungen zu-
künftig etwa bei Elektronik-Discountern mit viel hochpreisiger und langsam drehender Ware eine
größere Rolle spielen und perspektivisch sogar die sich in diesen Bereichen bereits im Einsatz befindli-
chen SB-Kassensysteme ablösen könnten.
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
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Einen Großteil ihrer Vorteile kann die Technologie im Dorfladen letztlich jedoch nicht ausspielen: Die
Diebstahlsicherung ist aufgrund der in Abschnitt 5.4 dargelegten Rahmenbedingungen hier ein deut-
lich geringeres Problem als in den größeren Märkten urbaner und suburbaner Zentren, die bessere
technische Performanz wird mit höheren Kosten erkauft, die gerade für ein kleines Ladengeschäft nur
schwer zu stemmen sein werden und die wegfallenden Warteschlangen sind in Geschäften mit nied-
riger Kundenfrequenz ebenfalls kaum vorteilhaft. Gerade innerhalb der Zielgruppe der älteren Men-
schen ist zudem wie bereits dargelegt nicht davon auszugehen, dass der derzeit das Marktangebot
dominierende „Schleusen-Ansatz“ auf Akzeptanz stößt insbesondere nicht dort, wo im Falle eines
Problems nicht unverzüglich Marktpersonal vor Ort sein kann. Hinzu kommt, dass RFID-Chips derzeit
im Gegensatz zu den universell verfügbaren Barcodes nur in einem kleinen Teil aller Produktverpa-
ckungen integriert werden, die besonders hochpreisige Waren beinhalten. Solange sich das nicht än-
dert was für niedrigpreisige Convenience-Produkte und Lebensmittel derzeit realistischerweise nicht
zu erwarten ist sind RFID-Lösungen, obwohl technisch superior, sicherer und (größtenteils) benut-
zerfreundlicher, für Dorfläden keine viable Option.
Die oben aufgezählten Gründe sowie die bessere Marktverfügbarkeit bezahlbarer SB-Kassensysteme,
die geringere Anzahl an noch zu lösenden technischen Problemen sowie die Kombinierbarkeit von Zah-
lungs- und Zutrittssystem bei einer SB-Kassenlösung sprechen deutlich dafür, von einer RFID-basierten
Lösung zugunsten einer SB-Kassenlösung Abstand zu halten.
b) Elektronischer Personalausweis oder QR-Chipkarte? Die Authentifikation von zutrittsberechtigten
Personen wäre neben einem „markteigenen“ QR-Kartensystem grundsätzlich auch über den neuen
elektronischen Personalausweis möglich, über den mittlerweile ein Großteil aller Bürgerinnen und Bür-
ger verfügt. Um allerdings Daten aus einem Ausweisdokument herauslesen zu können, wäre ein Be-
rechtigungszertifikat der Bundesdruckerei erforderlich, welches jährlich erworben und mit Kosten von
rund 4.000 EUR pro Jahr eingeplant werden müsste. Es darf als äußerst unwahrscheinlich betrachtet
werden, dass sich eine solche Investition für einen Dorfladen rechnen würde, wenn eine Authentifika-
tion alternativ auch über eine kostengünstige QR-Chipkarte darstellbar wäre. Auch wenn die Kundin-
nen und Kunden so zwar persönlich identifiziert werden könnten, was mutmaßlich eine abschre-
ckende Wirkung mit Blick auf das Diebstahlrisiko hätte, ist der ePerso-Ansatz nicht nur aus Kostengrün-
den, sondern auch aus Gründen des Datenschutzes zu verwerfen.
Festlegungen zur Systemarchitektur
Basierend auf den Ergebnissen zweier Strategieworkshops des DigiShop-Projektteams an der Hoch-
schule Harz, wurden die nachfolgend dargelegten Festlegungen zur Systemarchitektur getätigt.
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
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1) Geschlossene Benutzergruppe: Der Laden soll während der personalfreien Öffnungszeiten aus Grün-
den der Sicherheit ausschließlich von Mitgliedern einer geschlossenen Benutzergruppe betreten wer-
den dürfen. Für diese Gruppe soll gelten, dass eine Mitgliedschaft nur persönlicher Natur sein kann
(also z.B. keine Familien- oder Vereinsmitgliedschaften existieren), so dass eine Aufnahme in die ge-
schlossene Benutzergruppe nicht nur verweigert, sondern eine Mitgliedschaft etwa bei Fehlverhalten
zu jedem späteren Zeitpunkt wieder entzogen werden kann. Aus Gründen des Datenschutzes und
der Vertragsfähigkeit empfiehlt es sich, Mitglieder erst ab einem Mindestalter von 18 Jahren (ggf. aber
auch bereits ab 16 Jahren) zuzulassen. Es ist zu diskutieren, ob bei der Aufnahme in die Benutzergruppe
(d.h. dem Beginn der „Mitgliedschaft“) eine Art Kaution (etwa als Pfand für die übergebene Chipkarte)
zu hinterlegen ist. Diese würde zwar eine zusätzliche Anmeldehürde darstellen, könnte aber zugleich
den Wert einer Mitgliedschaft („Ich musste etwas für die Möglichkeit zahlen, hier einkaufen zu können
nun muss ich sie auch in Anspruch nehmen“) sowie den Wert der mit Anmeldung übergebenen Chip-
karte („Für diese Karte musste ich einen Pfand hinterlegen ich sollte sie nicht verlieren“) in den Augen
der Kundinnen und Kunden steigern. Überlegenswert ist eine Kaution zwischen 10 und 30 EUR. Es muss
möglich sein, das Zugangstoken (d.h. die Chipkarte) bei Verlust zeitnah zu sperren, so dass ein Miss-
brauch bei Auffinden eines verlorengegangenen Tokens sicher ausgeschlossen werden kann.
Es wird davon ausgegangen, dass die persönliche Identifizierbarkeit der Karteninhaberinnen und Kar-
teninhaber die Hemmschwelle auch für kleinste Tricksereien an der Kasse erheblich erhöht. Inwiefern
eine persönliche Ansprache datenschutzrechtlich darstellbar ist, ist im Rahmen der konkreten Umset-
zung mit dem Büro des Landesbeauftragten für den Datenschutz zu klären. Da jedoch davon ausge-
gangen werden darf, dass die persönliche Ansprache ihre psychologische Wirkung auch dann entfaltet,
wenn es zu keiner dauerhaften Speicherung weiterer personenbezogener Daten im System kommt,
sind CCTV-ähnliche Lösungen mit bewusst auf nur wenige Stunden (oder sogar Minuten) begrenzten
Speicherdauer denkbar, die auf datenschutzrechtlich unbedenkliche Weise zu lösen sein sollten.
An dieser Stelle ist kritisch anzumerken, dass diese Form des Betriebs in der Tat Durchreisende und
insbesondere Touristinnen und Touristen von der Nutzung des Ladens während der personalfreien
Öffnungszeiten ausschließt. Dies ist mit vermutlich aber äußerst geringen Umsatzverlusten zu ver-
bunden, mit Blick auf das angestrebte Sicherheitsniveau sowie das empfohlene Betreiberkonzept aber
unvermeidbar. Um zumindest Touristinnen und Touristen versöhnlich zu stimmen und zu einem Be-
such während der Öffnungszeiten mit Personal zu besuchen, wird auf die angestrebte Nutzung von
Verkaufsautomaten mit regionalen Produkten im Vorraum des Ladens verwiesen, welcher auch ohne
Zugangstoken betretbar sein soll.
2) Zahlung nur per Bank- oder Prepaidkarte: Für das zu konzipierende SB-Kassensystem kommen vier
Zahlungsmethoden in Frage: Die Zahlung per Bargeld, die Zahlung per Bank-, Geld- oder Kreditkarte,
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die Zahlung per Prepaid-Guthabenkarte sowie der Kontoeinzug nach persönlicher Authentifikation an
der Kasse. Zwei dieser vier Zahlungsformen scheiden aus praktischen Erwägungen aus: Die Barzahlung,
um ein gestiegenes Einbruchsrisiko durch Bargeldbestände während personalfreier Zeiten zu vermei-
den, sowie die personengebundene Authentifikation an der Kasse aus Gründen des Datenschutzes und
insbesondere der Nutzerakzeptanz. Damit verbleiben die Zahlung per gängiger Bank-, Geld- oder Kre-
ditkarte sowie die Nutzung eines eigenen Prepaid-Kartensystems als zu implementierende Optionen.
Die zu verwendende Prepaid-Karte könnte während der personalbesetzten Öffnungszeiten manuell an
der Kasse oder ggf. auch über einen Automaten aufgeladen werden (was aber wiederum mit dem Ver-
bleib von Bargeld im Automaten verbunden und somit nicht empfehlenswert wäre).
3) Konzeptionierung des Prepaid- und Authentifikationskartensystems: Zur Authentifikation des Kun-
den vor dem Zutritt zum Verkaufsraum wird eine QR-Code-basierte Lösung empfohlen. Bei einem QR-
Code (engl. für Quick Response) handelt es sich um einen in den 1990ern für Toyota in Japan entwi-
ckeltes System, welches es gestattet, Informationen in einer zweidimensionalen Matrix zu codieren,
die etwa über das Kamerasystem eines Smartphones ausgelesen werden kann. Eine Kundennummer
könnte zusammen mit weiteren unbekannten Informationen, damit der Code ohne Besitz der Kun-
denkarte nicht replizierbar ist mittels dieses Systems codiert und auf einer Kundenkarte aufgebracht
werden. r den Authentifizierungsvorgang wird ein zweistufiges Verfahren empfohlen: Ein QR-Lese-
gerät überprüft den Code einer vorgehaltenen Karte, wobei ein Abgleich mit einem internen Verzeich-
nis gültiger Kundenkarten und -nummern vorgenommen wird.
Wurde eine gültige Karte vorgehalten, wird in der zweiten Stufe ein PIN-Tastenfeld bestromt und damit
aktiviert. In dieses ist wiederum ein gültiger PIN einzugeben, um ein elektronisches Türschloss zu öff-
nen, welches in eine bereits vorhandene Tür integriert werden kann. Das System setzt damit sowohl
den Besitz der Karte als auch die Kenntnis der PIN voraus, womit eine der zentralen Voraussetzungen
für ein gutes Authentifikationssystem erreicht wäre: Zutritt erhält nur, wer sowohl über die Karte mit
dem QR-Code das Zugangstoken als auch über eine gültige PIN verfügt. Damit ist ausgeschlossen,
dass der Finder einer verlorenen Karte oder eine Person, die zufällig Kenntnis von einer gültigen PIN
erhält, sich allein mit diesem Wissen Zutritt zum Verkaufsraum verschaffen können. Das Generieren
neuer QR-Code-Karten und PINs sowie das Sperren verlorener Karten oder kompromittierter PINs müs-
sen für den Betreiber zu jedem Zeitpunkt unkompliziert möglich sein, um z.B. auf die Meldung von
Kartenverlusten reagieren zu können. Zu diskutieren ist, ob jeder Kundenkarte ein eigenständiger PIN
zugeordnet werden muss, oder ob bei Besitz einer gültigen Kundenkarte die Kenntnis eines „General-
PINs“ für die Öffnung der Tür ausreichend sein sollte. Die Verwaltung individueller PINs auch wenn
man diese als Anwender intuitiv erwarten würde wäre mit einem deutlich höheren technischen Auf-
wand in der Umsetzung verbunden und würde lediglich den vergleichsweise unwahrscheinlichen
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Problemfall unterbinden, dass sich ein bereits registrierter Kunde im Besitz einer gültigen PIN mit der
verlorenen Karte eines anderen Kunden Zutritt verschafft.
Abbildung 22: Beispiel für einen QR-Code (Quelle: Wikimedia Commons, Lizenz: gemeinfrei).
Abbildung 23: Wandmontierbares PIN-Keypad (Foto: Chris Yarzab, Lizenz: CC BY 2.0).
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Da die meisten gängigen SB-Kassen und zahlreiche Verkaufsautomaten den Umgang mit in Deutsch-
land üblichen Bank-, Geld- und Kreditkartenformaten problemlos beherrschen, kann diese Form der
bargeldlosen Bezahlung wie bereits weiter oben dargestellt unabhängig von der konkreten techni-
schen Ausgestaltung des Systems in jedem Fall angeboten werden. Darüber hinaus wird empfohlen,
ein kundenkartenbasiertes Prepaid-System zu nutzen, welches mit der QR-Codekarte verbunden wer-
den kann. Dieser Schritt würde es ermöglichen, den Kunden mit einer einzigen, individuell (d.h. mit
Kundennummer sowie ggf. Werbung und CI des Dorfladens) bedruckbaren Karte auszustatten, die so-
wohl einen aufgedruckten QR-Code zur Entriegelung der Tür als auch einen Prepaid-Chipsatz zur Se-
kundärnutzung der Karte als bargeldloses Zahlungssystem bietet.
4) Nutzung eines SB-Kassensystems: Die Abrechnung am POS (Point of Sale) soll mittels einer handels-
üblichen SB-Kasse erfolgen, an der die Waren durch die Kundin oder den Kunden mittels eines Hand-
scanners über den Barcode auf der Verpackung selbst erfasst werden. Der Verkauf von Barcode-freien
Frischwaren ist damit während der personalfreien Öffnungszeiten nicht darstellbar. Da die Kassen zur
Minimierung des Diebstahlsrisikos kein Bargeld enthalten sollen, soll eine Bezahlung nur entweder mit
gängigen Bank-, Geld- und Kreditkarten oder über das markteigene QR-Kartensystem möglich sein.
Geeignete Kassentypen sollen mit der im Rahmen dieser Machbarkeitsstudie durchgeführten Markter-
kundung und Angebotsbeiziehung identifiziert werden.
Da unabhängig von der konkreten Ausgestaltung des Systems mit initialen Problemen der Kundinnen
und Kunden bei der Bedienung der SB-Kassen etwa bei der Erfassung loser Artikel oder von 10er-
und 6er-Flaschensets gerechnet werden muss, soll das Verkaufspersonal während der regulären Öff-
nungszeiten Nutzerschulungen anbieten. Zu empfehlen ist außerdem die Produktion von kurzen In-
fosequenzen oder Animationen zur Bedienung, die bei Bedarf sowie während Leerzeiten auf dem Bild-
schirm der SB-Kasse angezeigt werden könnten. Das zu verwendende SB-Kassensystem muss zwingend
mit einem existierenden Warenwirtschaftssystem vernetzbar sein oder ein eigenes und benutzer-
freundliches Warenwirtschaftssystem beinhalten. Aufgrund des zu erwartenden hohen Anteils an äl-
teren Nutzerinnen und Nutzern sollte zudem auf eine möglichst seniorenfreundliche Ausgestaltung
des Systems (großes Display mit großen Anzeigen, große Tasten etc. pp.) geachtet werden.
5) Diebstahlsicherung: Zur Verringerung von Schwund durch Diebstahl wird eine sichtbare Videoüber-
wachung an den beiden neuralgischen Punkten Eingangs- und Kassenbereich empfohlen. Es wäre zu
diskutieren, inwiefern es zur Maximierung dieses Effekts erforderlich wäre, eine Live-Übertragung auf
einen sichtbar aufgehängten Monitor zu arrangieren bzw. ob überhaupt der Einsatz funktionsfähiger
Kameras erforderlich ist, oder ob Attrappen den gleichen Zweck erfüllen würden.
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Wie in Kapitel 3 dargelegt, wird darüber hinaus empfohlen, Zigaretten maximal über einen Automaten
im Vorverkaufsraum sowie Alkohol ausschließlich während der personalgeführten Öffnungszeiten an-
zubieten, so dass zwei der für Diebstähle besonders populären Warengruppen entfallen würden.
Mit Blick auf die in Kapitel 5 diskutierte Bedeutung des sozialen Korrektivs sowie des kollektiven Mit-
eigentums, raten die Autorinnen und Autoren zudem zu einer etwas ungewöhnlichen Form der Dieb-
stahlprävention: Die Veröffentlichung von Zahlen zum Schwund. Was in einer großen Filiale eher eine
einladende, denn eine abschreckende Wirkung entfalten dürfte (denn wo bereits viel gestohlen wird,
ist Diebstahl offensichtlich einfach), könnte in einem Dorfladen den gegenteiligen Effekt haben: Da
steigender Schwund mit einem steigenden Risiko einhergeht, dass die personalfreien Öffnungszeiten
wieder gestrichen werden (oder der Dorfladen sogar gänzlich schließt), erhöht das Öffentlichmachen
des Problems das Bewusstsein der Kundinnen und Kunden, dass sie mit jeder noch so kleinen Betrugs-
masche letztlich sich selbst sowie die Dorfgemeinschaft schädigen. Eine präventive Wirkung könnte
zudem von der namentlichen Begrüßung des Kunden über den Kassenbildschirm ausgehen, die bei
Umsetzung der Empfehlungen zum Authentifikationssystem ebenfalls technisch darstellbar wäre.
Abbildung 24: Generelles Layout des zu konzipierenden Systems (eigene Darstellung).
Machbarkeitsstudie DigiShop Dorfladen 2.0 TECLA e.V.
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6) Automatennutzung: Die Integration sekundärer Verkaufsautomaten zur Erweiterung des Ange-
botsspektrums sowie zur Steigerung der Besucherfrequenz in das Betreiberkonzept ist wünschens-
wert. Es wird empfohlen, diese Automaten soweit räumlich möglich getrennt vom zutrittsgesicher-
ten Verkaufsraum aufzustellen, um eine Nutzung auch außerhalb des registrierten Kundenkreises zu
ermöglichen. Zur Verringerung des Einbruchsrisikos sollte die Bezahlung an allen eingesetzten Auto-
maten lediglich bargeldlos (VISA/Geldkarte) möglich sein idealerweise unter Einbindung des zur Au-
thentifikation verwendeten Kundenkarten-/Prepaid-Systems.
Konkreter Realisierungsvorschlag
Im Rahmen der Erstellung dieser Machbarkeitsstudie wurden für alle im vorigen Abschnitt vorgestell-
ten technischen Komponenten entsprechende Markterkundungen vorgenommen und Gespräche mit
Anbietern geführt. Nach Vorgaben des Projektteams wurde im Juli 2019 ein konkretes Angebot für das
SB-Kassensystem durch die in Bad Driburg ansässige Kassen-Systemhaus Simply POS GmbH
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erstellt,
welches nachfolgend vorgestellt und konzeptionell um weitere Komponenten zur Authentifikation und
Diebstahlprävention erweitert werden soll.
Abbildung 25: Honeywell Genesis 7580g (links) und Posiflex XT-5315 (rechts) (Bildrechte: Posiflex / Honeywell).
Der Systemvorschlag kombiniert eine SB-Kasse vom Typ XT-5315 des global agierenden Kassenherstel-
lers Posiflex
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mit einem sekundären Kundenmotor und einem Handscanner vom Typ Genesis 7580g
des US-Herstellers Honeywell
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. Zusammen mit Zubehör (Kassenlade, Thermodrucker für Bons) und
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http://www.simply-pos.de
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http://www.posiflex.com
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https://www.honeywell.com
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Software (Kassenadministration, Kunden- und Prepaidkartenverwaltung, einfaches Warenwirtschafts-
system und Software zur Bespielung der Kassenmonitore mit flexiblen