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Studie über das Verständnis von Stellenwerten
Wie ein flexibles Interview durchgeführt und metakognitives Denken gefördert werden kann
Stefan Meyer (02.02.2021, überarbeitete Version)
Abstract
The essay presents a flexible interview from Sharon Ross (1986) about the decimal place value, which was
published by Constance Kamii (1989). Since 1991 I used it in workshops and diagnostics in the School
Psychology of the Canton of Solothurn. Since 2001, various studies and thousands of case studies have been
carried out at the HfH, in which this task has been replicated and further developed (Brugger et al., 2007). The
task was presented in the MKT-2 to a representative sample of 267 children from German-speaking Switzerland
and the Principality of Liechtenstein. 44% of second graders were able to complete it at the end of the school year
(see Meyer & Wyder, 2017).
The essay explains how to conduct a flexible interview in a pedagogical situation. Subsequently, metacognitive
questions are suggested, which are carried out in free conversation with the children or with groups. Thus, the
child's maximally possible thinking operations are explored and fostered in a school of thinking cf. Adey, 2008).
This procedure expresses the dynamic character of the flexible interview or, as it is also called, the method of
critical exploration.
Abstract
Im Aufsatz wird ein flexibles Interview von Sharon Ross (1986; zit. nach Kamii, 1989) über das dezimale
Stellenwertsystem vorgestellt. Seit 1991 habe ich es in Workshops und in der schulpsychologischen Diagnostik
im Kanton Solothurn eingesetzt. Seit 2001 wurden an der HfH verschiedene Studien und Tausende von
Fallstudien durchgeführt, in denen diese Aufgabe repliziert und weiterentwickelt wurde (Brugger et al., 2007). Die
Aufgabe wurde im MKT-2 einer repräsentativen Stichprobe von 267 Kindern aus der deutschsprachigen Schweiz
und dem Fürstentum Liechtenstein vorgelegt. 44 % der Zweitklässler konnten sie am Ende des Schuljahres lösen
(vgl. Meyer & Wyder, 2017).
Der Aufsatz erklärt, wie ein flexibles Interview in einer pädagogischen Situation durchgeführt werden kann. Im
Anschluss werden metakognitive Fragen vorgeschlagen, die im freien Gespräch mit den Kindern oder mit
Gruppen durchgeführt werden. Damit werden die maximal möglichen Denkoperationen des Kindes in einer Art
Denkschulung ausgelotet und gepflegt (vgl. Adey, 2008). Dieses Vorgehen bringt den dynamischen Charakter
des flexiblen Interviews oder, wie es auch genannt wird, der Methode der kritischen Exploration zum Ausdruck.
Einleitung
Der Essay stellt ein klassisches flexibles Interview von Sharon Ross 1986 vor, welches von Constance
Kamii (1989) in Buchform publiziert worden ist. Ich habe es 1991 für den Schulpsychologischen Dienst
des Kantons Solothurn übersetzt und in der Weiterbildung sowie in der Diagnostik eingesetzt. Von
2001 an wurden an der HfH verschiedene Studien und tausende von Fallübungen durchgeführt, in
denen diese Aufgabe repliziert und weiterentwickelt worden ist. Brugger et al. (2007) bestätigten die
Entwicklungstendenzen gemäss Ross (1986) anhand einer repräsentativen Stichprobe aus der
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Innerschweiz. Die Aufgabe wurde im MKT-2 einer repräsentativen Stichprobe von 267 Kinder aus der
deutschen Schweiz und dem Fürstentum Liechtenstein vorgelegt. 44% der Zweitklässler konnte sie
am Ende des Schuljahres lösen (vgl. Meyer & Wyder, 2017).
Das flexible Interview wird zu den qualitativen Forschungsmethoden gezählt (vgl. Clement, 2000;
Wagoner, 2015). Piaget (zit. nach Bringuier, 1977, S.24; Übersetzung S. Meyer) hatte sich gleich zu
Beginn seiner Forschungstätigkeit wie folgt festgelegt: "Von Anfang an habe ich das gemacht, was ich
seither tue: qualitative Analysen, anstatt Statistiken über richtige und falsche Antworten zu erstellen."
Diese qualitativen Analysen vereinigten auf kreative und kritisch-explorative Art und Weise die
Methoden der Beobachtung, der Befragung (conversation libre), des Experiments und des Tests.
Piaget nannte die qualitativen Analysen auch Methode der kritischen Exploration (vgl. Inhelder,
Sinclair & Bovet, 1974, S.35; Duckworth, 2004). Diese bewährt sich weltweit in der
Grundlagenforschung der Kognitionspsychologie, der Entwicklungspsychologie und der Lernforschung
(Clement, 2000).
Mit der Methode soll die Entwicklung des Erkennens und Verstehens erforscht werden. Ihre
Ursprünge reichen zurück bis zur "Hebammenkunst" bei Platon und dem klinischen Interview der
Psychiatrie.
Die Erforschung der Entwicklung des Verständnisses des dezimalen Stellenwertsystems wurde
weltweit vorangetrieben (vgl. z.B. Cervasoni, 2011; Herzog et al., 2019). – Auf den Punkt gebracht
lauten die Ergebnisse, dass sich das Verständnis des dezimalen Stellenwertsystems über mehrere
Jahre entwickelt und erst in der 5. Primarstufe von den meisten Kindern verstanden wird. Herzog et al.
(2019) weisen darauf hin, dass das Verständnis auch bei grossen Zahlen untersucht und auf den
höheren Schulstufen geübt werden muss.
Die Förderung ist anspruchsvoll, vielseitig und erfordert Weitblick (vgl. Moser Opitz, 2007; Ruflin,
2008). Ein Aspekt, der im Zusammenhang mit dem flexiblen Interview besonders hervorgehoben
werden soll, ist die Schulung des Denkens mit Hilfe der Metakognition. Diese besteht aus einer
Mischung der Maximen von Piaget, nämlich der reflexiven Abstraktion in freier Konversation sowie der
Ko-Konstruktion von Wissen und Einsicht nach Wygotski (vgl. Adey, 2008).
Etwas statisch zu testen, ist kein flexibles Interview, es ist blosses Abfragen. Die Methode der
kritischen Exploration, wie das flexible Interview auch genannt wird, ist freie Konversation unter
Verwendung von Darstellungsmitteln. Dabei werden die maximal möglichen Denkoperationen erörtert
und metakognitiv überdacht.
Die folgenden Abschnitte erläutern exemplarisch, wie ein flexibles Interview zum Verständnis des
dezimalen Stellenwerts durchgeführt und ausgewertet wird. Im Anschluss werden metakognitive
Fragen vorgeschlagen, welche in freier Konversation mit den Kindern und Jugendlichen oder mit
Gruppen durchgeführt werden.
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Pädagogische Vorbemerkung zum ersten Teil
Der erste Teil enthält die Übersetzung eines flexiblen Interviews, welches von Ross (1986, zitiert nach
Kamii, 1989, S.15-16) erprobt und validiert worden ist. – Das flexible Interview wurde von Piaget und
den Mitarbeiterinnen auch als Methode der kritischen Exploration bezeichnet (vgl. Inhelder, Sinclair &
Bovet, 1974), welche im Essay für eine pädagogische Situation vorbereitet wird. Damit diese Situation
als etwas Bedeutsames und Freudvolles erfahren werden kann, sollten die Kinder oder Jugendlichen
einige Tage im Voraus über die Hauptpunkte informiert werden:
• Die Einladung und die Information über die Erkenntnisinteressen der Pädagogin oder
des Pädagogen: «Hallo NN, ich möchte dich zu einem Arbeitstreffen einladen. Du und ich
untersuchen in einem Gespräch, was du über die Bedeutung der Zahlen weisst. Dabei werden
wir auch mit Zahlen und mit Material experimentieren, wie richtige Forscher und
Forscherinnen. Das, was wir herausgefunden haben, werden wir im Unterricht und in
Gesprächen mit den Eltern weiterverwenden.»
• Einblick geben in das Material, das Wecken der Aufmerksamkeit und der Wortschatz:
«Es freut mich, dass du mitmachen möchtest. Sieh mal, hier ist das Material (Holzstäbchen,
Salzstangen, Geld: Münzen und Banknoten, Dienes-Material, Papier, Schreibzeug). Damit
werden wir morgen arbeiten.»
Wenn das Kind oder der Jugendliche die Gegenstände noch nicht benennen kann, so sollte
dies im Prozess der Vorbereitung (i.S. von Preteaching (vgl. Munk et al., 2010), vorgenommen
werden. «Du kannst die Gegenstände morgen in diese Schachtel einpacken.» Die
Mitverantwortung und die Mitsprache bei der Vorbereitungsarbeit soll beim Kind oder dem
Jugendlichen den Wortschatz, die Partizipation und die Aktivitäten sichern helfen.
• Einstimmung mit einem Gespräch: Das flexible Interview – die Methode der kritischen
Exploration - ist das Gegenteil von Abfragen wie aus dem nichts! Girtler (2009) erinnert in
diesem Zusammenhang an Gespräche in der Odyssee von Homer und definiert den Begriff
des «ero-epischen Gesprächs»:
Beim ero-epischen Gespräch sind beide, Forscher und Gesprächspartner, möglichst gleichgestellt.
Im Eigenschaftswort "ero-episch" stecken die altgriechischen Wörter "Erotema" und "Epos".
"Erotema" heißt die "Frage" beziehungsweise "eromai" fragen, befragen und nachforschen. Und
"Epos" bedeutet "Erzählung". "Nachricht", "Kunde", aber auch "Götterspruch", beziehungsweise
"eipon" "erzählen". Der von mir erfundene Begriff "ero-episches" Gespräch in der Tradition von
Homer soll also darauf verweisen, dass Fragen und Erzählungen kunstvoll miteinander im
Gespräch verwoben werden. Eben auf das kommt es beim Forschungsgespräch an. Der Terminus
ero-episches Gespräch drückt das gut aus. Wenn man bei Homer nachliest, versteht man, was ich
mit diesem will. (…)
Diese Gespräche finden bei Homer meist in einer Situation statt, in der sich die Beteiligten wohl
fühlen, (…). (ebd., S. 70)
Die pädagogisch-psychologische Vorbereitung wird in Anlehnung an Piaget und Mitarbeiterinnen (vgl.
Inhelder, Sinclair & Bovet, 1974) wie folgt auf den Punkt gebracht: die Forschungsinteressen sowie die
pädagogischen Interessen und Zielsetzungen werden in einer bedeutsamen Situation in ein
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Gespräch, d.i. eine «conversation libre», in gemeinsames Handeln und in metakognitives Denken
integriert und entwickelt.
Nun folgt die Übersetzung des flexiblen Interviews, welches von Ross (1986, zitiert nach Kamii, 1989,
S.15-16) publiziert worden ist.
Versuchspersonen
60 Kinder, Primarklasse 2-5, 15 pro Klasse. Zufallsstichprobe aus 33 Klassen, aus 5 Primarschulen.
Ort: Butte County, Californien.
Auswahl der Schulen unter Berücksichtigung von Stadt-Land, öffentlich-privat, unterschiedlichen
Mathematikbüchern, Schulgrössen, soziale Schicht.
Die individuellen Interviews
Jedem Kind werden 25 Holzstäbchen vorgelegt.
„Zähle die Stäbchen und schreibe die Zahl auf“ (Blatt und Schreibzeug bereitlegen.
Versuchsleitung (VL) umkreist die Ziffer 5 von 2(5) und fragt:
„Hat dieser Teil irgendetwas damit zu tun, wie viele Stäbchen du hast?“
VL notiert die Antworten, vielleicht macht das Kind noch andere Angaben.
VL umkreist die Ziffer 2 von (2) (5) und fragt:
„Hat dieser Teil irgendetwas damit zu tun, wie viele Stäbchen du hast?“
VL notiert die Antworten, vielleicht macht das Kind noch andere Angaben
Tabelle 1
Die vier Niveaus der Antworten
Niveau 1
Die zweistellige Zahl repräsentiert die Menge der Objekte (alle 25 Stäbchen).
Das Kind ist jedoch überzeugt, dass die zwei einzelnen Ziffern in der
zweistelligen Zahl keine zahlenmässige Bedeutung haben.
Niveau 2
Die zweistellige Zahl repräsentiert die ganze Menge (25 Stäbchen). Das Kind
„erfindet“ Bedeutungen für die einzelnen Ziffern.
Die Interpretationen haben keinen Bezug zur Idee des Stellenwertes (Zehner,
Einer).
Beispiel: Bei 25 Stäbchen bildet die „5“ eine Gruppe von 5 Stäbchen, die „2“
eine Gruppe von 2 Stäbchen.
Niveau 3
Die zweistellige Zahl repräsentiert die ganze Menge von 25 Objekten. Die
einzelnen Ziffern bedeuten Zehner oder Einer. Das Kind weiss aber nur
ungenau, wie das funktioniert. Die Summe der Teile muss nicht mit dem
Ganzen übereinstimmen.
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• Typ A: Die Bedeutung der Stellenwerte wird nicht vollständig oder
bloss schwankend zugeordnet.
• Typ B: Beide Stellenwerte bedeuten Einer.
• Typ C: Das Kind verwechselt die Stellenwerte: Einer anstatt Zehner,
Zehner anstatt Einer.
Niveau 4
Die zweistellige Zahl repräsentiert die ganze Menge von 25 Objekten. Die
einzelnen Stellen sind Teile der ganzen Zahl. Sie bestehen aus den Gruppen
der Zehner und Einer. Das Ganze ist gleich wie die Summe der Teile.
Tabelle 2
Die Leistungsniveaus bei der Stäbchenaufgabe
Klasse
Leistungs-Niveau
1
2
3
4
2
5
2
5
3
3
7
1
2
5
4
0
7
0
8
5
1
4
0
10
Total
13
14
7
26
N = 15 Kinder pro Klasse
Chi-Quadrat = 30.1 df=9 p kleiner .0004
(nachgerechnet Stefan Meyer: Spearmanns Rho = 0.33, empirische Signifikanz = 99%)
Kommentar (Stefan Meyer)
Die Vorbereitung des flexiblen Interviews sowie das Gespräch mit dem Kind oder dem Jugendlichen
prägen den Inhalt und den Verlauf der kritischen Exploration.
Die Menge der Stäbchen (oder anderer Objekte) sollte sich auf die Welterfahrung, die Interessen und
die Fragen bzw. Probleme des Kindes mit den Zahlen beziehen. Wenn das Kind oder der Jugendliche
im Vorfeld zeigen kann, wie er Gegenstände, Geld oder Darstellungsmittel zählt, so können und
müssen die Fragestellungen angepasst werden. Aus diesem Grund trägt dieses Vorgehen den
Namen «Methode der kritischen Exploration». Der Prozess soll dialogisch, flexibel, adaptiv und mit
Freude gestaltet werden.
Es lohnt sich, wenn man die Menge der Gegenstände vom Kind auswählen lässt, wobei darauf zu
achten ist, dass es mindestens 10 Objekte sind, weil das Verständnis der Stellenwerte geprüft werden
soll. – Bei älteren Kindern können grössere Mengen durch Geldbeträge dargestellt werden.
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Wenn das Kind Mühe hat mit dem Zählen (z.B. der Eins zu Eins – Zuordnung, so kann nach
Absprache mit ihm im Chor gezählt werden. Auch das Schreiben darf unterstützt werden, indem sich
die VL als Sekretärin oder als Sekretär vorstellt (vgl. Meyer, 2020). Tauchen Sie in ein Rollenspiel ein,
wenn das vom Kind oder von der Jugendlichen gewünscht wird: «Wir wären jetzt Zahlenforscher; du
wärest der Forscher und ich die Assistentin, die dich immer wieder fragt, was sie notieren soll; etc.»
Die Untersuchungssituation ist frei und kreativ. Die Beziehung und die Emotionen münden in die
Freude über das gemeinsame kritische Explorieren (das ist das Hauptmerkmal des flexiblen
Interviews). D.h. es ist kritisch in Bezug auf das Verstehen und die Einsichten des Kindes und es ist
kritisch in Bezug auf das Wissen und die Methodenkompetenzen der Versuchsleiterin. Stellt man in
einer Testphase fest, dass das Kind etwas nicht weiss oder «fehlerhaft» denkt, so kann die
Versuchsleiterin auf Bitte des Kindes eine Antwort modellieren, im Sinn von: «Als deine Assistentin
würde ich diese Aufgabe so anpacken und lösen.» Manipulieren Sie dazu mit dem Material und
denken Sie laut nach. – Experimentieren Sie bewusst mit Vergesslichkeit, um zu untersuchen, wie das
Kind im Denk- und Lösungsprozess mitgeht und zeigen kann, was es versteht.
Zeichnen Sie das flexible Interview auf. Die Videos könnten mit dem Kind bzw. den Jugendlichen aber
auch mit den Versuchsleiterinnen besprochen werden, dabei hat sich die Methode «Sharing the
Video» sehr bewährt (vgl. Werfeli & Meyer, 2019). Die Versuchsleiterin und das Kind / die Jugendliche
schauen sich das Video an und tauschen die Erfahrungen, die Gedanken und die Emotionen in freier
Konversation gegenseitig aus.
Metakognitives Denken pflegen
Im Anschluss an die explorative Phase werden dem Kind je nach dem Niveau der Antworten
metakognitive Fragen vorgelegt. Es soll darauf geachtet werden, dass das Gespräch frei,
wertschätzend und in freundschaftlichem Ton gehalten wird (vgl. Adey, 2008).
Auf keinen Fall soll auf Richtigkeit, sondern auf die logisch-mathematische Wahrheit von Aussagen
hingearbeitet werden. Es ist eine nachhaltige Schulung des Denkens, ähnlich den sokratischen
Dialogen oder dem Sprachspiel nach Wittgenstein (1980). Man trifft sich regelmässig für solche
Denkschulungen, setzt sich mit kognitiven Konflikten, mit «Fehlern», mit Erinnerungen, mit
Vermutungen und mit Einsichten auseinander. Was heute nicht erklärt, dargestellt, begründet und
bewiesen werden kann, wird vielleicht morgen mit Freude als Entdeckung geschildert (vgl. Meyer,
2020).
Tabelle 3
Auswahl metakognitiver Fragen (mF)
mF in Bezug
auf Niveau 1
«Du hast die Anzahl eindeutig bestimmen können (25 Stäbchen). Woran erkennst du,
wie man eine Anzahl korrekt bestimmen kann? Woran muss man denken?»
«Die Anzahl ist eindeutig bestimmt – welcher Gedanke sagt dir, dass diese beiden
Ziffern 2-5 von 25 nichts mit der Anzahl zu tun haben?» «Erfinde Begründungen.»
«Schildere deine Gedanken beim Zählen.»
mF in Bezug
«Du hast die Menge gezählt und eine zweistellige Zahl (25) notiert.» «Worauf hast du
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auf Niveau 2
Acht gegeben, als du die Zahl 5 mit 5 Stäbchen und die Zahl 2 mit 2 Stäbchen
dargestellt hast? Wie würdest du einem Kameraden erklären, worauf er bei der
Darstellung achten muss? Woran erkennst du, ob eine Erklärung wahr ist?»
mF in Bezug
auf Niveau 3
«Du hast die Menge gezählt und eine zweistellige Zahl (25) notiert, dabei war auch
von Einern und Zehnern die Rede. Die Erklärungen sind schwankend, das ist
spannend. Deshalb denken wir nun über dieses Denken nach.»
Das Kind weiss aber nur ungenau, wie das funktioniert. Die Summe der Teile muss
nicht mit dem Ganzen übereinstimmen.
• Typ A: «Worauf soll ein Kind, eine Kameradin achten, wenn sie bei der
Darstellung und dem Zuordnen noch schwankt? Welcher Gedanke zeigt, dass
etwas sicher dargestellt werden kann? Welcher Gedanke bringt das Schwanken
zum Ausdruck?»
• Typ B: «Es ist wahr, was du gezählt und geschrieben hast. – Welcher Gedanke
zeigt dir, dass beides Einer bzw. beide Ziffern Zehner sind? Wie begründest du,
dass beide Einer bzw. beide Zehner sind? – Erfinde Gedanken, formuliere
Begründungen!»
• Typ C: «Es wird auseinandergehalten, dass an einer Stelle die Einer, bei der
anderen die Zehner sind. – Woran muss man denken, wenn man die Stellen
einteilen soll? Wie erklärst du einer Kameradin, warum hier die Einer und da die
Zehner sein müssen? – Wie kann einem Kameraden, der noch schwankt, mit
Gedanken gezeigt werden, was wahr ist? – Welche Gedanken spielen bei
sogenannten Verwechslungen eine Rolle? Welcher Gedanke sagt dir, dass es
sich um eine Verwechslung handeln muss?» Erfindet mögliche Fragen, erfindet
Erklärungen, erfindet Begründungen.»
mF in Bezug
auf Niveau 4
Die zweistellige Zahl repräsentiert die ganze Menge von 25 Objekten. Die einzelnen
Stellen sind Teile der ganzen Zahl. Sie bestehen aus den Gruppen der Zehner und
Einer. Das Ganze ist gleich wie die Summe der Teile:
«Du siehst die Stäbchen und die Zahl 25, denke laut darüber nach, weshalb sie dies
und das bedeuten. Erfinde Gedanken, mit denen man die Bedeutung einer
Kameradin erklären kann. Worauf muss ich achten, dass die Erklärung und die
Darstellungen und die Begründungen wahr sind?»
Tabelle 3 enthält Vorschläge mit metakognitiven Fragen für die Denkschulung. Beziehen Sie die
Fragen auf das Antwort-Niveau. Tüfteln Sie an den Formulierungen. Lassen Sie die Fragen von
Fachpersonen gegenlesen. Wenn die Kinder am Anfang diese Form und die Prozesse des Denkens
nicht verstehen, so inszenieren Sie es modellhaft mit der Teamteaching-Partnerin oder mit einem
Plüschtier. Integrieren Sie «Denk-Fehler» und kognitive Konflikte ganz bewusst in die Denkschulung,
sie sind wertvollste Rohstoffe für die Bildung des logisch-mathematischen Denkens und der
Handlungskompetenzen (LP 21) (vgl. Kramarski & Zoldan, 2008). Die Forschungen zur kognitiven
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Akzeleration haben bewiesen, dass die Schulung des Denkens schon im Kindergarten beginnen kann
(vgl. Adey, 2008).
Literatur
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Inhelder, B., Sinclair, H. & Bovet, M. (1974). Apprentissage et structures de la connaissance. Paris:
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Kamii, C. (1989). Young children continue to reinvent arithmetic – 2nd grade. New York: Teachers
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Verfügbar unter: https://www.hfh.ch/de/unser-service/shop/produkt/mathematik_kurztest_mkt_19
Moser Opitz, E. (2007). Rechenschwäche / Dyskalkulie. Bern: Haupt-Verlag.
Munk, J. H., Gibb, G. S. & Caldarella, P. (2010). Collaborative Preteaching of Students at Risk for
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https://doi.org/10.1177/1053451209349534
Ruflin, A.-L. (2008). Stellenwert unter erschwerten Bedingungen entdecken : verbessert aktiv-
entdeckender und problemlösender Mathematikunterricht das Verständnis der Stellenwerte
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bei lernbehinderten Schülern der Oberstufe?. Unveröff. Masterarbeit. Zürich: Hochschule für
Heilpädagogik.
Wagoner, B. (2015). Qualitative Experiments in Psychology: The Case of Frederic Bartlett’s
Methodology. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 16(3).
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Werfeli, B. & Meyer, S. (2019). Flexible Interviews besprechen. Fallstudie und Reflexion des flexiblen
Interviews mit Hilfe von «sharing the video». Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik.
Zugriff am 20.12.2020. Verfügbar unter: http://www.interview.hfh.ch/page005.htm
Wittgenstein, L. (1980). Tractatus logico-philosophicus, Tagebücher 1914-1916, Philosophische
Untersuchungen (Schriften 1) (4. Auflage.). Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag.
Kontakt
Stefan L. Meyer, Senior Lecturer HfH
stefan.meyer[at]hfh.ch