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Auswirkungen der globalisierungskritischen Protestbewegung: Institutionelle Reformen, ein neues Politikverständnis und postkoloniale Nachfragen

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Abstract

Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der Protestbewegung gegen die neoliberale kapitalistische Weltordnung, die, inspiriert von den mexikanischen Zapatistas, in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre entstand. Sie war stärker globalisiert und trotz unterschiedlicher Strömungen charakterisiert durch ein pluralitätsaffines und eher anarchistisches Politikverständnis. Ihr gelang es teilweise, weitere Liberalisierungen des Welthandels zu verhindern und v.a. zahlreiche Reformprozesse in den von ihr kritisierten Institutionen der globalen politischen Ökonomie in Gang zu setzen. Aus einer postkolonialen Perspektive wird am Beispiel der Erlassjahrkampagne deutlich, dass trotz einer gestiegenen Sensibilität gegenüber der Problematik auch sie nicht ganz frei ist von Paternalismus und Dominanz im Nord-Süd Verhältnis.
PERIPHERIE Nr. 161, 41. Jg. 2021, https://doi.org/10.3224/peripherie.v41i1.02, S. 12-42
Aram Ziai
Auswirkungen der
globalisierungskritischen Protestbewegung
Institutionelle Reformen, ein neues Politikverständnis
und postkoloniale Nachfragen
Keywords: global protest, alterglobalisation, international nancial ins-
titutions, reform, internationalism, neoliberalism, conception of politics,
postcolonial critique, social movements
Schlagwörter: globaler Protest, Globalisierungskritik, internationale Finanz-
institutionen, Reform, Internationalismus, Neoliberalismus, Politikverständ-
nis, postkoloniale Kritik, soziale Bewegungen
In dem Artikel „WTO: Trump ist nur der Vollstrecker der Antiglobalisie-
rungsbewegung“1 argumentiert der SPIEGEL-Kolumnist Henrik Müller –
Professor für Wirtschaftsjournalismus an der TU Dortmund, vorher Vize-
chefredakteur des Manager Magazins – dass der „Niedergang der liberalen
Weltordnung“, personi ziert in Donald Trump, mit der Globalisierungskritik
der späten Neunziger und der „erste[n] große[n] Antiglobalisierungsdemo“
zum WTO-Gipfel in Seattle 1999 begann. Seither sei der Multilateralis-
mus allgemein und die WTO, die laut Müller „die Wirtschaftsgroßmächte
einbremsen und eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung begründen sollte,
indem sie allgemeinen Regeln zur Geltung verhälfe“, zugrunde gerichtet
worden. Diese These ist aus mindestens zwei Gründen problematisch.
Zum einen wandte sich die globalisierungskritische Protestbewegung der
1990er nie – wie die Anhänger_innen Trumps – gegen Globalisierung oder
Multilateralismus oder Liberalismus per se, sondern gegen eine neoliberale
Globalisierung der Weltwirtschaft im Interesse multinationaler Unternehmen.
Die fehlende Differenzierung zwischen politischem Liberalismus (indi-
viduelle Freiheitsrechte) und wirtschaftlichem Liberalismus (Freihandel)
lässt die Gegner_innen einer Globalisierung der Weltwirtschaft – die im
1 https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/wto-donald-trump-ist-nur-der-vollstrecker-der-
antiglobalisierungsbewegung-a-d739c469-f646-45d5-b6fd-9bfcccc4cd54, letzter Aufruf:
9.2.2020.
Auswirkungen der globalisierungskritischen Protestbewegung 13
globalen Wettbewerb Arbeitsrechte und Umweltschutz zu Standortnachteilen
erklärt – als Gegner_innen der Freiheit schlechthin erscheinen. Kritik am
Neoliberalismus wird so zur Befürwortung eines autoritären Nationalstaats
umgedeutet, eine Denk gur, die Eingriffe in den Markt als Angriff auf die
Demokratie interpretiert.
Zweitens war der Zweck der WTO nie, „die Rechte der Stärkeren zu
begrenzen“, wie Müller behauptet. Im Gegenteil: sie war eine Manifestation
der Kräfteverhältnisse im Welthandel und setzte die Rechte der Stärkeren
durch. Sichtbar ist dies daran, dass sie im Unterschied zum Vorgänger, dem
Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) auch den Bereich der
Dienstleistungen umfasste, der den Banken, Versicherungen und Unter-
nehmen des Nordens besonders am Herzen lag. Die WTO ist dabei der
„Nicht-Diskriminierung“ verp ichtet, das heißt sie verp ichtet zur Gleich-
behandlung von lokalen und ausländischen Akteuren – auch wenn letztere
ungleich kapitalkräftiger und wettbewerbsfähiger sind und die einheimische
Konkurrenz vom Markt drängen. Dies wird auch sichtbar in dem für den
Süden wichtigen Bereich der Agrarsubventionen, in dem die WTO zwar
Liberalisierungen in Aussicht stellte, de facto aber durch Ausnahmeregelun-
gen („green box“ und „blue box“) den Industriestaaten des Nordens weiterhin
erlaubte, ihre Landwirtschaft und ihre Agrarkonzerne mit umfangreichen
Zahlungen vor der Konkurrenz aus dem Süden zu schützen bzw. ihnen sogar
Dumpingexporte ermöglichte (Lal Das 1998; Dunkley 2000). Und auch wenn
es China und wenigen Schwellenländern gelang, aufgrund strategischer
Wirtschaftsregulierung und eines großen Binnenmarkts beeindruckende
weltmarktinduzierte Wachstumsprozesse in Gang zu setzen (May u.a. 2014),
bleibt die liberale Welthandelsordnung trotz unbeabsichtigter Nebeneffekte
primär ein Mittel, Industrialisierungsprozesse im globalen Süden für die
übergroße Mehrheit massiv zu behindern (Chang 2003).
Zwar könnte die These vertreten werden,2 dass im Rückblick rechts-
nationale Populisten aus der Kritik an der neoliberalen Weltordnung Kapital
geschlagen haben. Auf eine ausführlichere Auseinandersetzung mit der
Thematik muss in diesem Beitrag aus Platzgründen verzichtet werden,
aber Walden Bello diskutiert in vorliegendem Heft u.a., wie „die Rechte
die Deglobalisierung gekapert hat“ (s. in diesem Heft, S. 94ff). Mir scheint
insgesamt die Verantwortung für die Popularität rechtspopulistischer Parteien
mehr bei den durch diese Ordnung hervorgerufenen sozialen Verwerfungen
und auch bei den diese Ordnung mittragenden sozialdemokratischen Parteien
zu liegen – und nicht bei den Kritiker_innen dieser Ordnung. Und grade
hinsichtlich der Frage der Demokratie könnte der Gegensatz zwischen der
2 Diesen Hinweis verdanke ich einem der beiden Gutachten.
14 Aram Ziai
basisdemokratischen Protestbewegung und Trumps autoritärem Nationa-
lismus kaum größer sein (was auch im übernächsten Abschnitt ausgeführt
wird).3 Dass ein angesehenes Presseorgan unwidersprochen behaupten
kann, die globalisierungskritische Protestbewegung habe Trump den Boden
bereitet, deutet allerdings darauf hin, dass ihre tatsächlichen Auswirkungen
in der Öffentlichkeit wenig präsent sind. Und selbst in der Wissenschaft
lässt sich feststellen, dass nach zahlreichen Veröffentlichungen v.a. in den
frühen 2000er Jahren4 nur wenige neuere Forschungen auf ndbar sind (z.B.
Habermann 2014; Sen 2018 a & b) – und auch deren Fokus liegt meist
auf der „Hochzeit“ der Gipfelproteste 1998-2001. Dies hängt sicher damit
zusammen, dass die Proteste gegen die Weltwirtschaftsgipfel nach dem
11. September 2001 thematisch vom weltweiten „Krieg gegen den Terror“
verdrängt und sicherheitspolitisch eingeschränkt wurden. Die zwischen
50.000 und 75.000 Menschen, die anlässlich des G20-Gipfels in Hamburg
2017 für „grenzenlose Solidarität“ demonstriert haben, weisen jedoch darauf
hin, dass ihr Mobilisierungspotential auch heute noch aktuell ist. Daher hat
sich die von der Hans-Böckler-Stiftung nanzierte Nachwuchsforschungs-
gruppe „Protest und Reform in der globalen politischen Ökonomie aus
postkolonialer Perspektive“ des Themas angenommen.
Vor diesem Hintergrund fragt der vorliegende Beitrag aus dem Abstand
von zwei Jahrzehnten nach der erwähnten Hochzeit 1) nach der Abgren-
zung gegenüber früheren internationalistischen Protestbewegungen im
Hinblick auf ihr Politikverständnis und ihre Entscheidungsprozesse, 2)
nach den langfristigen Auswirkungen, die die globale Protestbewegung auf
die globale politische Ökonomie und insbesondere die von ihr kritisierten
Institutionen gehabt hat, sowie 3) aus postkolonialer Perspektive nach den
Machtverhältnissen zwischen Akteuren des Nordens und des Südens inner-
halb der Bewegung. Zuvor jedoch ist zu klären, was genau mit dem Etikett
der globalen Protestbewegung gemeint ist.
3 Auf der Grundlage von mehr als 3000 repräsentativen Befragten auf dem Europäischen
Sozialforum in Florenz und den G8-Protesten in Genua kommt die Studie von Massimiliano
Andretta u.a. (2003: 201) zu dem Schluss: „Zwar kamen und kommen die Bedenken über
die Liberalisierung der Märkte und die Homogenisierung der Kultur auch in religiösem
Fundamentalismus oder in einem konservativen Protektionismus zum Ausdruck, diese
Spielart der Kritik der Globalisierung ist jedoch in der Bewegung nicht präsent, die im
Gegenteil ein klar linkes Pro l besitzt.“ Nur 0,4 % der Befragten gaben ihre politische
Orientierung mit „Mitte-rechts“ oder „rechts“ an und 0,8 % mit „Mitte“ (ebd.: 200).
4 Abramsky 2001; Waterman 2001; Mies 2001; Bewernitz 2002; Mertes 2002; Walk &
Boehme 2002; Attac Deutschland 2002; Grefe u.a. 2002; Andretta u.a. 2003; Klein 2003;
Anand u.a. 2004; Brand 2005; Marchart & Weinzierl 2006; Notes from Nowhere 2007;
Maeckelbergh 2009.
Auswirkungen der globalisierungskritischen Protestbewegung 15
Die globalisierte Protestbewegung
gegen neoliberale Globalisierung
Als Reaktion auf die Konsequenzen der ökonomischen Globalisierungspro-
zesse (s. z.B. Stiglitz 2002; Chossudovsky 2002; SAPRIN 2004) entstand in
der zweiten Hälfte der 1990er Jahre eine neue weltweite Protestbewegung,
nur wenige Jahre nachdem das „Ende der Geschichte“ (Fukuyama) und die
Alternativlosigkeit des neoliberalen Kapitalismus verkündet worden war.
Diese Konsequenzen wurden von vielen Menschen als Bedrohung wahr-
genommen, als Bedrohung von sozialen und ökologischen Standards oder
gerade im Norden auch von mühselig erstrittenen Arbeitnehmerrechten, die
man sich im globalen Standortwettbewerb vermeintlich nicht mehr „leisten“
konnte. Besonders betroffen von den Auswirkungen von neoliberalen Refor-
men waren Frauen, die u.a. den Abbau sozialstaatlicher Dienstleistungen
durch vermehrte Reproduktionsarbeit kompensieren mussten (Sparr 1994;
Wichterich 1998). Dementsprechend kam es seit Mitte der 1990er Jahren
vielerorts zu Protesten gegen die Institutionen der globalen Wirtschaftspo-
litik, allen voran Weltbank, IWF und WTO, wie in Genf 1998, Seattle 1999,
Prag 2000 oder Genua 2001.5 Ausgangspunkte waren 1994 die Proteste in
Washington anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Weltbank („50 Years
is enough!“, Danaher 1994) und v.a. der Aufstand der Zapatistas gegen
die mexikanische Regierung6 (dem auch eine Revolution der Frauen in
der Bewegung vorausgegangen war, Trzeciak & Meuth 2013). Allerdings
führte die neoliberale Politik auch in Westeuropa zu zivilgesellschaftli-
chem Widerstand (Abramsky 2001). Während die Bewegung zunächst als
Globalisierungsgegner bzw. als Anti-Globalisierungsbewegung bezeichnet
wurde („No globals“, Andretta u.a. 2003), setzte sich zunehmend der Begriff
der globalisierungskritischen Protestbewegung durch (bzw. in Frankreich
der der „altermondialistes“), der präziser erfasste, dass der Protest keine
grundsätzliche Rückkehr zum Nationalstaat zum Ziel hatte, sondern sich
primär gegen den Neoliberalismus und den globalen Wettbewerb wandte,
ansonsten aber sehr weltoffen war und eine „Globalisierung von unten“
forderte (Boehme & Walk 2002: 9; Mies 2001).7
Transnationale Vernetzungen dieser (bisweilen auch als „Global Jus-
tice Movement“ titulierten) Protestbewegung lassen sich in den weltweit
5 Mit der Bewegungsforschung ließe sich von einem Protestzyklus bzw. einer Protestwelle
sprechen (Steinhilper & Anderl 2018: 307f).
6 REDaktion 1997; Brand & Ceceña 2000; Muñoz Ramirez 2004; Kerkeling 2006.
7 Die Webseite www.gegen-globalisierung.de hingegen wurde zu der Zeit von der NPD
betrieben.
16 Aram Ziai
koordinierten Protestaktionen gegen Freihandel und der von den mexika-
nischen Zapatistas inspirierten Plattform People‘s Global Action (PGA)
erkennen, in der Association pour la taxation des transactions nancières
à l‘aide des citoyens, kurz Attac, und in den als Gegenentwurf zum Davoser
Weltwirtschaftsforum entstandenen Weltsozialforen, die in Porto Alegre
ihren Ausgangspunkt nahmen.8
Der Bewegungsforscher Dieter Rucht vertritt die These, dass die globa-
lisierungskritische Protestbewegung schon deutlich vor den 1990er Jahren
entstanden sei (Rucht 2002a: 50, 2002b: 61-63). Er begründet dies mit dem
Verweis auf Proteste, die sich bereits seit Mitte der 1980er Jahre gegen
G7-Gipfel (20-30.000 Demonstrant_innen in Bonn 1985) oder Jahrestref-
fen von Weltbank und IWF (80.000 Demonstrant_innen in Berlin 1988)
richteten. Dies wirft die Frage auf, inwiefern zehn Jahre später von einer
neuen Bewegung die Rede sein kann bzw. ob wir es nicht vielmehr mit einer
älteren Protestbewegung in der Tradition des Internationalismus (Kößler &
Melber 2002; Hierlmeier 2002; Fischer & Zimmermann 2008) zu tun haben.
Eine neue globale soziale Bewegung?
Politikverständnis und Entscheidungsprozesse
Trotz inhaltlicher Verwandtschaft mit der internationalistischen Solida-
ritätsbewegung der 1980er Jahre (und möglicherweise auch personeller
Überschneidungen) möchte ich, u.a. mit Achim Brunnengräber (2006), die
These einer neuen Qualität der globalisierungskritischen Protestbewegung
vertreten: Zum einen, weil der technische Fortschritt eine deutlich stärkere
globale Vernetzung des Protests und somit einen stärkeren globalisierten
Charakter der Bewegung ermöglichte. Durch die Nutzung neuer Kom-
munikationsmöglichkeiten (Internet, E-Mail, Handys) hatte die globale
Vernetzung der Akteure innerhalb der Bewegung eine qualitativ neue Stufe
erreicht: Dass am ersten „Global Action Day“, dem 16. Mai 1998, zeitgleich
und koordiniert in 49 Städten auf der ganzen Welt von Ankara bis Zürich
Proteste gegen Neoliberalismus und konzerngesteuerte Globalisierung
sowie für Selbstbestimmung stattfanden, war ebenso ein Novum wie die
Tatsache, dass drei Monate vorher auf der ersten PGA-Konferenz in Genf
400 Abgesandte von Basisbewegungen und Nichtregierungsorganisationen
aus 56 Ländern zusammentrafen und ein Manifest ihres Netzwerks abstimm-
ten (Habermann 2014: 49, 42). Den globalen Charakter der Bewegung prägte
8 Waterman 2001; Bewernitz 2002; Walk & Boehme 2002; Attac Deutschland 2002; Grefe
u.a. 2002; Andretta u.a. 2003; Anand u.a. 2004; Brand 2005; Marchart & Weinzierl 2006;
Notes from Nowhere 2007; Habermann 2014.
Auswirkungen der globalisierungskritischen Protestbewegung 17
auch, dass als Reaktion auf die sich verschiebenden Kräfteverhältnisse
im Prozess der neoliberalen Globalisierung deutlich stärker als früher die
Institutionen der globalen politischen Ökonomie in den Fokus genommen
wurden und eine Demokratisierung dieser Institutionen und globale soziale
Rechte einforderte (Maeckelbergh 2009: 9-11).
Zum anderen aber möchte ich argumentieren, dass die Bewegung geprägt
war von einem Politikverständnis, das als pluralitäts- und diversitätsaf n,
hierarchie-, avantgarde- und repräsentationskritisch sowie basisdemokratisch
und konsensorientiert beschrieben werden kann.
Akzeptanz von Pluralität und Diversität
Merkmal dieser globalen Protestbewegung war vor allem die gelungene
Koalition von Gruppen aus unterschiedlichen Spektren der Zivilgesell-
schaft, aus „Teamsters and Turtles“, wie in den Anti-WTO-Protesten von
Seattle 1999 die Allianz von gewerkschaftlichen und ökologischen Gruppen
beschrieben wurde. So war z.B. bei PGA die kanadische Postgewerkschaft
CUPW (Canadian Union of Postal Workers) ebenso beteiligt wie die indische
Bauernbewegung KRRS (Karnataka Rajya Ryota Sangh), die nigerianische
MOSOP (Movement for the Survival of the Ogoni People) ebenso wie die
brasilianischen Landlosen des MST (Movimento dos Trabalhadores Rurais
Sem Terra), ukrainische Umweltschützer_innen (Mama-86), französische
Arbeitslose (Agir Ensemble contre le Chomage) und deutsche Autonome
(Habermann 2014: 39-53, 113). Dies führte auch zu dem Beinamen „Bewe-
gung der Bewegungen“ (Mertes 2002; Sen 2018a & b) und ging einher mit
der Abkehr von der Idee einer einzigen Identität, eines einzigen Gegners, und
v.a. eines einzigen gemeinsamen politischen Ziels der Bewegung jenseits
der Ablehnung einer neoliberalen Globalisierung (Maeckelbergh 2009: 7).
Auf den Punkt gebracht wurde dies durch die Formel „one no – many yeses“
(Habermann 2014: 116; De Angelis 2005: 195). Als gemeinsamer positi-
ver Nenner konnten daher allenfalls eher vage oder allgemeine Ziele wie
„reinventing democracy“ (Graeber 2002) oder „reclaiming the commons“
(Klein 2003: 220) umrissen werden. Dies kann mit Ulrich Brand durchaus
als Lernerfahrung aus früheren Bewegungen gesehen werden: „Eine wichtige
historische Erfahrung ist, dass Vereinheitlichungen der Bewegung selbst zu
hegemonialen Verhältnissen und damit Ausschlüssen führen.“ (2002: 120)
Die Absage an ein einheitliches Ziel und das Bekenntnis zu Diversität und
Pluralität ist somit keine Beliebigkeit, sondern eine politische Aussage.
Auch bei Attac gehören (trotz des auf die Finanztransaktionssteuer aus-
gerichteten Namens) eine thematische Breite und ein weltanschaulicher
18 Aram Ziai
Pluralismus zur Identität dazu. Der erste Satz des Attac-Selbstverständnisses
lautet:
„Wer bei Attac mitmacht, kann christliche oder andere religiöse Motive haben,
Atheist, Humanist, Marxist sein oder und anderen Philosophien anhängen.
Attac hat keine verbindliche theoretische, weltanschauliche, religiöse oder
ideologische Basis, und es braucht eine solche nicht. Vielfalt ist eine Stärke.“
(Attac 2002: 12)
Beides gilt in mindestens ebenso hohem Maße für das Weltsozialforum, das
verschiedenste Gruppen und Kämpfe zu verbinden suchte. Der erste Aufruf
des WSF von Porto Alegre verkündete:
„Wir sind Frauen und Männer, Bauern, Arbeiter und Arbeiterinnen, Arbeitslose,
Berufstätige, Studentinnen und Studenten, Schwarze und Eingeborene, aus dem
Süden und aus dem Norden, engagiert in den [!] Kampf für Menschenrechte,
Freiheit, Sicherheit, Arbeitsplätze und Bildung. Wir kämpfen gegen die Hege-
monie der Finanzmärkte, die Zerstörung unserer Kulturen, die Monopolisierung
des Wissens, der Massenmedien und der Kommunikation, den Abbau der
Natur und die Zerstörung der Lebensqualität durch multinationale Konzerne
und antidemokratische Politik.“ (in: Anand u.a. 2004: 142)
Die Diversität verschiedener sozialer Kämpfe in der globalisierungskriti-
schen Protestbewegung ging einher mit der Akzeptanz unterschiedlicher
Prioritäten und politischer Weltbilder und dessen ungeachtet dem Willen zur
politischen Kooperation auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner:
- einer fundamentalen Ablehnung der neoliberalen Globalisierung,
- der Mindestforderung nach demokratischer Selbstbestimmung der
Betroffenen und
- der Kritik an fehlender Rechenschaftsp icht der Organisationen und
Regelsysteme der global economic governance.
Darüber hinaus ist jedoch zwischen eher pragmatisch-reformistischen Teilen
der Bewegung (eher bei Attac zu nden) und undogmatisch-antikapitalistisch
Teilen (eher bei PGA zu nden) zu differenzieren. Eine davon unterscheid-
bare dritte Strömung ndet sich in den traditionelleren marxistischen Orga-
nisationen (Socialist Worker‘s Party, hierzulande v.a. Linksruck), die sich
auch in die Bewegung eingebracht haben. Dementsprechend gingen die
Alternativen zum Neoliberalismus auch in verschiedene Richtungen: in die
einer „Deglobalisierung“ (Bello) bzw. einer Abkopplung vom globalen Kapi-
talismus, einer „Globalisierung von unten“, und einer sozialdemokratischen
Auswirkungen der globalisierungskritischen Protestbewegung 19
Re-Regulierung und Demokratisierung der bestehenden Institutionen der
globalen politischen Ökonomie (Rucht 2002b: 58f; Ruggiero 2002: 57).
Skepsis gegenüber Hierarchien,
Avantgarde-Politik und Repräsentation
Auch wenn dieser Punkt sicher nicht für alle Akteure innerhalb der globa-
lisierungskritischen Protestbewegung Gültigkeit hat, so ist doch die weit
verbreitete tiefe Skepsis gegenüber Hierarchien, Avantgarde-Politik poli-
tischer Repräsentation ein weiteres Merkmal, das die Bewegung von den
meisten vorangegangenen unterscheidet. Es gibt keinen Dachverband der
globalisierungskritischen Bewegung mit gewählten Repräsentant_innen.
PGA wurde dezidiert als Vernetzung, allenfalls als gemeinsame Plattform
gegründet, und in den „Hallmarks“ (Grundprinzipien) wurde festgehalten:
„PGA stellt ein Koordinationswerkzeug dar, keine Organisation. Sie hat keine
Mitglieder und ist nicht juristisch repräsentiert. Keine Organisation oder
Person kann PGA repräsentieren.“ (zit. n. Habermann 2014: 47) Auch die
Versuche einer Fraktion, im Rahmen des Weltsozialforums zu verbindlichen
Strukturen und Sprecher_innen zu gelangen, erwiesen sich als hochgradig
kontrovers und stießen auf große Widerstände. Laut seiner Prinzipiencharta
lehnt das WSF ab, „eine Körperschaft zur Repräsentierung der Weltgesell-
schaft zu sein“, oder dass jemand „ermächtigt“ wird, „Positionen im Namen
aller Teilnehmer_innen zu vertreten“. Vielmehr sei es „ein diversi zierter,
nichtkonfessioneller, nicht an Regierungen und nicht an Parteien gebunde-
ner Raum“, der „offen für Pluralität und für die Vielfalt der Aktivitäten und
des Engagements der Organisationen und Bewegungen“, aber auch „der
Geschlechter, Ethnien, Kulturen, Generationen und physischen Fähigkeiten“
sei (WSF Prinzipiencharta, in Anand u.a. 2004: 118f).
Hier manifestiert sich neben dem Bekenntnis zu Pluralität auch ein Miss-
trauen gegenüber dem Repräsentationsprinzip, welches einen Grundpfeiler
des liberalen Demokratieverständnisses darstellt: Demokratie besteht die-
sem Prinzip zufolge auf der Wahl von Führungspersonen, deren politische
Entscheidungen im Namen der Wählenden als sie repräsentierend und somit
als legitim gelten. Ebenso abgelehnt wird die marxistisch-leninistische
Idee einer Avantgarde, die als kommunistische Partei die (ihr bekannten)
Interessen der unterdrückten Klassen vertritt, mit oder ohne demokratisches
Mandat. Brunnengräber bezeichnet die Bewegung daher „in weiten Teilen als
herrschaftskritisch“ (2006: 23). Oliver Marchart & Hubert Weinzierl attes-
tieren den Protestierenden aufgrund einer empirischen Studie in Österreich
und Italien, dass bei ihnen „ein radikaldemokratisches Selbstverständnis
20 Aram Ziai
weitgehend zum Konsens zu gehören scheint“ (2006: 11). Dies manifes-
tiert sich in einer Skepsis gegenüber einem Modell der Politik, das auf dem
Prinzip der Repräsentation (dem „Sprechen für Andere“, Ziai 2018) und der
Gesellschaftsveränderung „von oben“, durch Übernahme des Staates basiert.
In der Abwesenheit einer politischen Perspektive, die den klassischen
Modellen von Reform oder Revolution auf die parlamentarische oder gewalt-
same Übernahme des Staatsapparates abzielt, manifestiert sich ein Modell
von Wandel, das auf gesellschaftliche Veränderungen von unten anstatt auf
solche von oben setzt. Dies hängt zusammen mit der Zurückweisung einer
Avantgarde-Politik, wie sie die kommunistischen Parteien in vielen sozialisti-
schen Staaten zu eigen war, und die den Anspruch erhob, über die Interessen
der Mitglieder der Bewegung (in diesem Fall die der Arbeiter_innen) im
Zweifelsfall besser Bescheid zu wissen als diese selbst. Das hier entworfene
Gegenmodell ist vom bewegungsnahen Politikwissenschaftler John Holloway
auf die Formel gebracht worden: „Die Welt zu verändern, ohne die Macht
zu übernehmen“ (2002).
Basisdemokratie und Konsensorientierung
Die Veränderung der Welt soll also – so ein verbreitetes Verständnis in der
Protestbewegung – von unten, basisdemokratisch erfolgen und angesichts
der Pluralität der Weltbilder auch nicht an einem universellen Gesell-
schaftsentwurf ausgerichtet sein. Gemäß dem Anspruch einer „prä gura-
tiven Politik“, in der sich die politischen Ziele auch in der Wahl der Mittel
widerspiegeln, versuchten weite Teile der Bewegung dementsprechend,
Prozesse der internen Entscheidungs ndung ebenfalls so basisdemokratisch
und konsensorientiert wie möglich zu gestalten. Dies arbeitet v.a. Marianne
Maeckelbergh (2009) in ihrer mehrjährigen ethnographischen Studie zu
den Europäischen Sozialforen (ESF) 2003 und 2004, dem Weltsozialforum
2004 und den G8-Gipfelprotesten 2003, 2004 und 2005 deutlich heraus.
Ihre zentrale Schlussfolgerung ist, dass diese Bewegung durch partizipative
Entscheidungs ndungsprozesse, die von antiautoritären Ideen der 1960er
und neuen sozialen Bewegungen geprägt sind und auf Diversität, Horizon-
talität und Konsens aufbauen, ein neues Demokratieverständnis entwickelt
(ebd.: 4, 13-19, 35-38). Im Vordergrund steht dabei nicht das Erreichen
eines politischen Ziels, sondern der partizipative, konsensorientierte und
Diversität anerkennende statt unterdrückende politische Prozess, in dessen
Verlauf sich dieses Ziel erst herauskristallisiert (ebd.: 75f, 89).
Die Studie zeigt dabei einerseits im Kontext des ESF, wie viel Unmut
ein hohler, nur formaler oder sogar erzwungener Konsens verursachen
Auswirkungen der globalisierungskritischen Protestbewegung 21
kann (ebd.: 79, 103), aber auch im Kontext der Anti-G8-Mobilisierung,
wie partizipative Verfahren unter expliziter Umgehung von Repräsen-
tant_innen, die für die Bewegung entscheiden, was zu tun ist, und trotz
politischer Differenzen zu einem tatsächlich von allen mitgetragenen
Konsens führen können. So konnte beispielsweise die kontroverse Frage,
ob die radikalen Gipfelgegner_innen von Dissent! zu der von NGOs
organisierten (und die G8 nicht grundsätzlich als illegitim ansehenden)
„Make Poverty History“-Demonstration aufrufen sollten, mittels Bezugs-
gruppendiskussionen, Ideensammlungen, berichtenden Delegierten und in
die Kleingruppen zurückgetragenen Vorschlägen kon iktfrei und effektiv
innerhalb kurzer Zeit geklärt werden. Nach einer gemeinsamen Gegen-
veranstaltung konnte der Teil der Bewegung, der eine Unterstützung der
breiten Demonstration für wichtig erachtete, an ihr teilnehmen, signalisierte
jedoch seine abweichende Meinung durch ein Nichteinhalten des gefor-
derten Dresscodes (bunte statt weiße Kleidung) und eigene Flyer mit dem
Slogan „Make Capitalism History“. Alle Beteiligten konnten ihre Beden-
ken äußern, den Prozess konstruktiv beein ussen und die Entscheidung
mittragen (ebd.: 146-151).
Doch nicht nur im PGA-Spektrum (dem Dissent! Zuzurechnen ist)
ndet sich das Beharren auf Inklusion, Konsens und Graswurzeldemo-
kratie. Das Bekenntnis zu nichthierarchischer Entscheidungsfindung
und partizipativer Demokratie ist auch Teil der WSF-Prinzipiencharte
(Anand u.a. 2004: 199). Und auch bei Attac ndet sich tendenziell die
horizontale, basisdemokratische Organisationsform wieder, wie Vincenzo
Ruggiero („die Struktur der Assoziation/Bewegung re ektiert letztlich die
Logik elektronischer Netzwerke, wobei Attac weniger eine hierarchische
Vereinigung als ein Zusammenschluss Gleichrangiger ist“, 2002: 51) und
Marcos Ancelovici (2002: 440f, 448) betonen.
Diese drei Punkte (Akzeptanz von Diversität und Pluralität; Ablehnung
von Hierarchien, Avantgarde und Repräsentation; Basisdemokratie und
Konsensorientierung) spiegeln in ähnlicher Weise zwei verwandte, aber
unterscheidbare theoretisch-politische Debatten wider: die zum Neuen
Internationalismus und die zum Zapatismus. Die den „Bewegungsvete-
ran_innen“ vertrauten Debatten um Internationalismus haben spätestens
in den 1990er Jahren zur Verabschiedung bestimmter Dogmen geführt:
Erstens: des Glaubens an den Hauptwiderspruch und das revolutionäre
Subjekt, also eine Gruppe, deren Unterdrückung in dem Sinne privile-
giert ist, als dass (aufgrund von gesellschaftlichen Widersprüchen und
Mechanismen) ihre Abschaffung zentral für die Schaffung einer freieren
Gesellschaft ist – was einer Akzeptanz von Diversität von Unterdrückten
22 Aram Ziai
und der Gleichwertigkeit unterschiedlicher Herrschaftsverhältnisse ent-
gegensteht. Zweitens: des Glaubens an eine emanzipative Veränderung
durch Übernahme der Staatsmacht auf der Grundlage einer Blaupause
für eine bessere Gesellschaft und objektiven Wissens über die Interessen
Anderer und das Gemeinwohl – was einer Ablehnung von Hierarchien,
Repräsentation und Avantgarde-Politik nach einem herkömmlichen Poli-
tikmodell entspricht. Drittens: des Glaubens an universelle Prozesse von
Fortschritt, Modernisierung oder „Entwicklung“, die Gesellschaften und
Befreiungsbewegungen im Süden stets in einer nachholenden, rückständi-
gen Position verorten und ein klares politisches Ziel vorgeben – was einer
Diversität der Ziele ebenso entgegensteht wie einem offenen, partizipativen
Entscheidungsprozess.9
Innerhalb der globalisierungskritischen Protestbewegung v.a. bei Jünge-
ren deutlich stärkeren Anklang fanden jedoch die Slogans der Zapatistas, auf
die zur politischen Verortung oftmals zurückgegriffen wurde: „Eine Welt,
in die viele Welten hineinpassen“ bestärkt die Akzeptanz von Diversität;
„Fragend gehen wir voran“ drückt das Fehlen eines fertig formulierten
Weltverbesserungsplans aus und das Bekenntnis zu Zweifel und Diskus-
sion (und somit die Absage an Avantgardepolitik); und „Wir müssen die
Welt nicht erobern. Es reicht, sie neu zu schaffen“ distanziert sich von
der Perspektive einer Gesellschaftsveränderung durch Übernahme des
Staatsapparats und „Wir gehen im Tempo der Langsamsten“ lässt sich als
Absage an Avantgarde-Modelle und Bekenntnis zu Inklusion und Konsen-
sorientierung deuten.10
Diese drei Prinzipien eines neuen Politikverständnisses (Diversität,
Globalität, Ablehnung von Avantgarde-Politik) rechtfertigen es meines
Erachtens, von einer neuen, eigenständigen Bewegung im Unterschied zu
älteren internationalistischen Bewegungen zu sprechen, von einem Neuen
oder gar „postmodernen“ (Redaktion Alaska 1998),11 einem anarchistischem,
postkolonialen oder zapatistischen Internationalismus (Kastner 2011),
ungeachtet aller zweifelsfrei vorhandenen Kontinuitäten zu früheren
Protestbewegungen.
9 Foitzik & Marvakis 1997; Redaktion Alaska 1998; Hierlmeier 2002; BUKO 2003.
10 REDaktion 1997; Brand & Ceceña 2000; Brand 2002; Muñoz Ramirez 2004; Kerkeling 2006;
Kastner 2011.
11 Die Redaktion der Alaska (1998: 223) unterscheidet hierbei einen postmodernen von
einem Neuen Internationalismus anhand einer „modernen“ Vorstellung von Emanzipation
(radikaler Bruch zwischen bestehenden Verhältnissen und befreiter Gesellschaft, in der
keine Herrschaftsverhältnisse mehr existieren, Befreiung als Freisetzung von etwas bereits
Existentem, das nicht von Herrschaftsverhältnissen geprägt ist, usw.).
Auswirkungen der globalisierungskritischen Protestbewegung 23
Erfolgreicher Protest? Reformen der
Institutionen der globalen politischen Ökonomie
Wie sieht es nun aus mit den Erfolgen der globalisierungskritischen und
von diesem neuen Internationalismus geprägten Protestbewegung? Die
Forderung nach der Abschaffung von Weltbank, IWF und WTO, nach der
Entmachtung der Konzerne und nach der Streichung des Schuldenbergs
der Dritten Welt sind offensichtlich nicht erfüllt worden. Der krude All-
tagsverstand eines „hat alles nix gebracht, die da oben machen sowieso,
was sie wollen“ wird bei näherem Hinsehen jedoch den Auswirkungen der
Bewegung noch weniger gerecht als David Graebers euphorische Diagnose,
die Bewegung habe ihre Ziele in Rekordzeit erreicht (Graeber 2007).12
Tatsächlich hat die Bewegung zahlreiche Reformprozesse angestoßen und
einige Prozesse der Neoliberalisierung aufgehalten.
In diesem Abschnitt soll ein Überblick erfolgen über solche Reformprozesse
in der Weltwirtschaft, insbesondere in den von der globalen Protestbewegung
attackierten Institutionen, die mutmaßlich als Reaktion auf diese Angriffe
initiiert wurden. Diesen Zusammenhang auf wissenschaftlichen Ansprüchen
genügende Art und Weise zu belegen, ist allerdings schwierig. Eine sich dieser
Frage widmende Dissertation konstatiert: „Die schwierigste Aufgabe war,
darzulegen, dass das, was als Reaktion wahrgenommen wurde, tatsächlich
durch die soziale Bewegung verursacht worden war.“ (Kolb 2007: 23) Die
kritisierten Institutionen werden nur in den seltensten Fällen zugeben, dass sie
mit den Reformen die Proteste schwächen und ihre beschädigte Legitimität
wiederherzustellen versuchten. Die Schlussfolgerung liegt nahe und auch die
wissenschaftliche Literatur geht von diesem Zusammenhang aus (O‘Brien
u.a. 2000), ein präziser Nachweis steht jedoch noch aus. Felix Kolb (2007: 28)
unterscheidet im Hinblick auf den Ein uss sozialer Bewegungen fünf Ebenen:
1. die des Agenda-Settings,
2. die der inhaltlichen Vorschläge im Hinblick auf die Agenda,
3. die der politischen Entscheidungen über die Vorschläge,
4. die der Implementierung der Entscheidungen und
5. die der öffentlichen Güter als Resultat der Implementierung.
Anhand dieses Analyserasters sollen im Folgenden einige mutmaßlich als
Reaktion auf Forderungen der globalisierungskritischen Protestbewegung
entstandene Reformen näher betrachtet werden.
12 S. auch die Ausgabe der Bewegungszeitschrift Turbulence vom Juni 2007 mit dem Titel
„What would it mean to win?“
24 Aram Ziai
Reform der Strukturanpassung und Entschuldung in Weltbank und IWF
Auf dem Kölner G7/G8-Gipfel 1999 wurde im Rahmen der Erweiterung
der Schuldenerlassinitiative für hochverschuldete arme Länder (HIPC-II,
HIPC – Highly Indebted Poor Countries) und als Reaktion auf langjährige
Kritik an den umstrittenen Strukturanpassungsprogramme beschlossen, den
Schuldenerlass mit einer Reform dieser Programmen zu verknüpfen. Die
wirtschaftspolitischen Konditionalitäten der Kreditvergabe der Weltbank
und des IWF sollten fortan – auch über die HIPC-II-Initiative hinaus – an
den Prinzipien von Armutsbekämpfung, Partizipation und „ownership“ aus-
gerichtet sein. Im Klartext sollten von den Regierungen der Nehmerländer
unter Beteiligung der Zivilgesellschaft erarbeitete Armutsbekämpfungsstra-
tegien (Poverty Reduction Strategy Papers, PRPSs) die Bedingung nicht nur
für weitreichende Entschuldung, sondern auch für konzessionäre Kredite
der Weltbank sein (BMZ 2002). Dass die Strukturanpassung dem Ziel der
Armutsbekämpfung dienen und Sozialprogramme stärken statt kürzen soll,
ist eine deutliche Kehrtwende in der Politik der International Financial
Institutions (IFI) im Vergleich mit den 1980er Jahren, wie die Kritik einer
UNICEF-Studie an ihren damaligen Auswirkungen illustriert (Cornia
u.a. 1987; s. auch Sparr 1994). Und auch dass Ownership und Partizipation
statt Diktaten aus Washington die Erstellung der wirtschaftspolitischen
Reformen leiten soll, ist ein gänzlich neues Prinzip gegenüber dem bisher
wenig demokratischen Umgang mit Kreditnehmerländern.
In der Forschung wurde jedoch ein deutlicher Ein uss der IFI auf die
Erstellung der PRSP konstatiert: Walter Eberlei & Thomas Siebold behaup-
ten, die Rolle von IWF und Weltbank dabei könne „kaum unterschätzt
werden“ (2002: 42). Dies scheint erklärungsbedürftig, denn of ziell ist
keinerlei Einmischung von dieser Seite in die jeweiligen partizipativen Pro-
zesse vorgesehen. Allerdings haben die beiden Institutionen (u.a. durch ein
Handbuch zur PRSP-Erstellung) den Regierungen der betroffenen Länder
durchaus deutlich gemacht, welche wirtschaftspolitischen Maßnahmen in
Washington als sinnvoll gelten und welche nicht. Ein Finanzminister eines
afrikanischen Landes formulierte es ganz offen: „Wie geben ihnen, was sie
wollen, bevor sie anfangen, uns zu belehren.“ (zit. n. World Development
Movement 2001: 7) Selbst von Seiten der Zivilgesellschaft wurde in einem
afrikanischen Land beispielsweise darauf verzichtet, wirtschaftspolitische
Maßnahmen vorzuschlagen, von denen bekannt war, dass sie in Washington
auf wenig Gegenliebe stoßen würden (wie z.B. Maßnahmen zum Schutz
der einheimischen Landwirtschaft oder Textilindustrie) (vgl. Eberlei & Sie-
bold 2002: 43). Das heißt die Machtbeziehungen in der politischen Ökonomie
Auswirkungen der globalisierungskritischen Protestbewegung 25
sorgen auch unter den Bedingungen formaler „ownership“ der Regierungen
und Partizipation der Zivilgesellschaft für eine neoliberale Prägung der PRSP.
Die Ausrichtung auf Armutsbekämpfung fand zwar tatsächlich statt, aber
in der Form sozialpolitischer Programme unter Beibehaltung neoliberaler
Grundprinzipien. David Craig & Doug Porter bezeichnen dies als „inclusive
liberalism“ (2005).
Was die Entschuldungsinitiative HIPC-II angeht, so ist zunächst festzu-
halten, dass sie deutlich weitreichender war als alle vorhergehenden und
zum ersten Mal auch Schulden gegenüber den IFI miteinbezog – allerdings
war auch sie längst nicht ausreichend. Zumindest nach ihrer erneuten Erwei-
terung zur MDRI (Multilateral Debt Relief Initiative) auf dem G8-Gipfel
in Gleneagles wurde jedoch für eine Reihe verschuldeter Länder zunächst
eine spürbare Senkung der Schuldenlast erreicht. Mehr als eine teilweise
und vorübergehende Lösung ist jedoch ohne eine Miteinbeziehung globaler
Handelspolitik ohnehin nicht zu erwarten (Kaiser 2014).13
Im Hinblick auf den Ein uss der Protestbewegung ist festzuhalten, dass
er sich mindestens auf drei Ebenen erstreckte: nicht nur gelang es, eine
Reform der Strukturanpassung auf die Agenda zu setzen, auch die inhaltliche
Akzentsetzung bei den Reformvorschlägen und die politische Entscheidung
zugunsten von weitreichendem Schuldenerlass, Armutsbekämpfung, Parti-
zipation und Ownership tragen klar die Handschrift der Globalisierungskri-
tiker_innen. Auf der vierten Ebene der Umsetzung der Entscheidungen sind
die neuen Prinzipien zwar nicht nur leere Rhetorik, aber an der Durchsetzung
neoliberaler Prinzipien bei den Armutsbekämpfungsprogrammen hat die
Reform wenig geändert. Daher ist unklar, inwiefern auf der fünften Ebene
tatsächlich von einem Erfolg gesprochen werden kann.
Inspection Panel der Weltbank
Als Reaktion auf eine internationale Protestkampagne zivilgesellschaftlicher
Akteure gegen das Narmada-Staudammprojekt in Indien (und unter damit
erzeugtem Druck des US-Kongresses) wurde 1994 mit dem Inspection Panel
der Weltbank eine unabhängige Instanz etabliert, bei der von Weltbankprojek-
ten Betroffene Klage einreichen können, wenn die Institution ihre Umwelt-
und Sozialstandards nicht einhält. Das von Management und Präsident der
Weltbank unabhängige Inspection Panel erstellt Untersuchungsberichte zu
den strittigen Projekten, die dann direkt dem Exekutivdirektorium vorgelegt
13 Dessen eingedenk enthielt das Abkommen zur Entschuldung der BRD 1953 eine Klausel, die
Schuldendienstzahlungen an einen Handelsbilanzüberschuss knüpften – so hatten die Gläu-
biger einen Anreiz, Exporte des Schuldnerlands zu kaufen (Jubilee Debt Campaign 2015).
26 Aram Ziai
werden, das daraufhin Verbesserungsmaßnahmen verlangen oder im Extrem-
fall einen Projektstopp verhängen kann (Shihata 2000). Die internationale
Kampagne ging auf die indische Organisation Narmada Bachao Andolan
unter der Leitung von Medha Patkar zurück, die auch Teil der Vernetzung
im Rahmen der globalen Protestbewegung war (Habermann 2014: 89).
Bis dato hatte sich die Weltbank stets darauf berufen, dass der Kreditneh-
mer (in diesem Fall der indische Staat) allein verantwortlich sei. Die Hart-
näckigkeit der Protestkampagne, der für die Weltbank fatale Morse-Report,
der die katastrophalen Auswirkungen des Staudammprojekts skizzierte, und
der dadurch ausgelöste Druck der USA bewirkten jedoch ein Einlenken. Die
Einführung eines Mechanismus, der Betroffenen von Weltbankprojekten eine
Klagemöglichkeit bot, war eine einschneidende Neuerung im internationalen
Recht. Umso mehr, als dass die meisten anderen multilateralen Entwick-
lungsbanken dem Beispiel folgten und ebenfalls Rechenschaftsmechanismen
einrichteten (van Putten 2008).
In der politikwissenschaftlichen Literatur ist jedoch nicht unumstritten,
wie effektiv dieser für internationale Organisationen höchst innovative
Rechenschaftsmechanismus letztlich ist. Zwar kam es durchaus als Reak-
tion auf Beschwerde von Betroffenen und Untersuchungsberichte des
Inspection Panels in einer Reihe von Fällen zu konkreten Verbesserungen
(z.B. Einführung von zivilgesellschaftlichen Konsultationen, Zahlung von
Entschädigungen an Vertriebene), doch nur in wenigen Einzelfällen wur-
den die kritisierten Projekte tatsächlich gestoppt, und die Entscheidungen
bleiben stets dem Exekutivdirektorium der Weltbank vorbehalten und eine
Einspruchsmöglichkeit der Kläger_innen ist nicht vorgesehen.14 Auch ist als
Reaktion auf die Konkurrenz durch die Asian Infrastructure and Investment
Bank (AIIB) sowie die New Development Bank (NDB) ein Aufweichen der
sozialen und ökologischen Standards der Weltbank im Rahmen des sog.
safeguard review zu verzeichnen (Horta 2015).15 Dennoch hat der Protest zur
Schaffung eines wirksamen institutionalisierten Rechenschaftsmechanismus
für Projektbetroffene geführt. Und auch wenn Entwicklungsprojekte auch
heute noch millionenfach zur Vertreibung führen, sind bei der Weltbank so
katastrophale Projekte wie das Narmada Valley Development Staudamm-
projekt durch diesen Mechanismus heutzutage praktisch ausgeschlossen.
Der Ein uss der Protestbewegung erstreckte sich hier wiederum mindes-
tens auf die ersten drei Ebenen (Agenda-Setting, inhaltliche Vorschläge,
14 Fox & Brown 1998; Clark u.a. 2003; World Bank Inspection Panel 2009; Daniel u.a. 2016;
Ziai 2016; Pereira u.a. 2017; Schäfer 2019.
15 S. dazu das Civil Society Statement on the October 31 Decision of the World Bank‘s Board
of Directors on the Review of the Inspection Panel‘s Toolkit von 2018.
Auswirkungen der globalisierungskritischen Protestbewegung 27
politische Entscheidungen). Auch hier ist die vierte Ebene der Implementie-
rung umkämpft. Auf der fünften Ebene lässt sich zumindest ein begrenzter
Zugewinn des öffentlichen Gutes demokratischer Rechenschaftsp icht nicht
von der Hand weisen.
Weitere Reformprozesse bei der Weltbank, die als Reaktion auf die
globale Protestbewegung gesehen werden können, beziehen sich auf die
Regulierung und des Extraktivismus-Sektors im Extractive Industries
Review (Anderl 2017) sowie auf die breit angelegte Studie „Voices of the
Poor“ (Reiff, in diesem Heft, S. 43ff). In einem weiteren Sinne könnte auch
die Etablierung der Millennium Development Goals 2001 als Versuch
interpretiert werden, die durch die Proteste angeschlagene Legitimation des
UN-Systems und der IFI wiederherzustellen.
TRIPs-Reform in der WTO
Das Abkommen über handelsbezogene geistige Eigentumsrechte (TRIPs –
Trade-related Intellectual Property Rights) ist seit Gründung der Welthan-
delsorganisation 1995 verbindlicher Teil ihres Vertragswerks und verlangt
von den Mitgliedstaaten, Schutzmechanismen für Patente in nationales Recht
umzusetzen (Dunkley 2000). Im Bereich der Medikamentpatentierung gab
es vor dem TRIPs-Abkommen in ungefähr 50 Ländern überhaupt keinen,
in zahlreichen anderen Ländern nur einen eingeschränkten Patentschutz
(z.B. wurden in Indien lediglich Patente auf Herstellungsverfahren, nicht
aber auf Endprodukte erteilt). Das hatte zur Folge, dass in diesen Ländern
die medizinische Versorgung durch Generika („Nachbauten“ der Original-
Medikamente) erheblich günstiger sichergestellt werden konnte. Durch das
TRIPs-Abkommen der WTO wurde somit in vielen Ländern ohne eigene
Pharmaindustrie der Rückgriff auf Generika deutlich erschwert oder ganz
verhindert, was insbesondere die Behandlung von AIDS-Patienten um das
35- bis 100-fache verteuerte. Zwar waren begrenzte Ausnahmeregelungen für
Zwangslizenzen (Herstellung von patentierten Medikamenten ohne Erlaub-
nis des Patentinhabers) und Parallelimporte (Einfuhr günstigerer Original-
Medikamente aus anderen Ländern) vorgesehen, allerdings wurde von den
Industrieländern auf die Peripherieländer Druck ausgeübt, von diesem Recht
auf Zwangslizenzen keinen Gebrauch zu machen – erfolgreich. Die USA
haben hingegen bereits über 100 Mal eine Zwangslizenz angewendet. Nach-
dem eine von der südafrikanischen Treatment Action Campaign initiierte
internationale Kampagne Proteste organisiert und Druck aufgebaut hatte,
wurde auf der WTO-Ministerkonferenz in Doha 2001 eine Erklärung zu
TRIPs und öffentlicher Gesundheit verabschiedet, die Ausnahmeregelungen
28 Aram Ziai
vom Patentrecht im Fall eines nationalen Gesundheitsnotstands ausdrücklich
bestätigt und als legal festschreibt.16
Das Patentregime war einer der Schwerpunkte der Proteste gegen die
WTO, einerseits wegen der Patentierung von Saatgut, andererseits auch
wegen der beschriebenen Pharmapatente. Die globalen und v.a. die süd-
afrikanischen Proteste haben dazu geführt, dass unter Druck gesetzte
Regierungen von Peripherieländern den OECD-Regierungen in der
Doha-Erklärung Zugeständnisse in der WTO, abgetrotzt haben (gegen die
Pharma rmen vergeblich zu klagen versucht haben). Auch wenn darauf
hingewiesen werden muss, dass entgegen den Forderungen der Proteste
das TRIPs-Abkommen und damit das globale Patentregime im Interesse
der multinationalen Pharma rmen durch die Doha-Erklärung unangetastet
blieb, kann doch von einem Teilerfolg der Bewegung gesprochen werden.
Der Ein uss der Protestbewegung erstreckte sich erneut auf die drei Ebe-
nen des Agenda-Settings, der inhaltlichen Alternativvorschläge und der
politischen Entscheidung. Auch hier war die Ebene der Implementierung
umkämpft, aber gerade in Südafrika war eine spürbare Verbesserung der
Versorgung mit antiretroviralen Medikamenten für AIDS-Patient_innen ein
klarer Erfolg auf der fünften Ebene der öffentlichen Güter.
Staateninsolvenzverfahren im IWF
Bereits im Verlauf der Schuldenkrise zahlreicher Länder des globalen Südens
in den 1980er Jahren, in der der IWF und die Weltbank über die Struktur-
anpassungskredite zunehmend globalen Ein uss auf die Wirtschaftspolitik
nahmen, wurde der Ruf nach einem geregelten Staateninsolvenzverfahren
laut. Dieses sollte das gläubigerdominierte Verfahren im Pariser Club ablösen
und sicher stellen, dass insolvente Staaten weiter in der Lage sind, ihren
sozialen Verp ichtungen gegenüber ihren Bürger_innen nachzukommen –
was in der Schuldenkrise allzu oft nicht der Fall war. Selbst ein Bericht
der UNICEF (Cornia u.a. 1987) stellte fest, dass die Sparpolitik mit dem
Ziel, die Forderungen der Gläubigerbanken zu bedienen, auf dem Rücken
der einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen der jeweiligen Länder
ausgetragen wurde und vielerorts die Kindersterblichkeit stieg und die
Lebenserwartung sank. Der IWF hatte Forderungen nach einer Begrenzung
des Schuldendien stes durch die Schuldner und nach einem Staateninsolven-
zrecht in diesem Kontext stets zurückgewiesen. Doch nach den teilweise
massiven Gipfelprotesten der 1990er Jahre (und den Ausschreitungen auf der
16 Frein & Reichert 2003: 17; Frein & Reichel 2000: 26; Jenkes 2000; Schaaber 2001; Fischer
2003: 27.
Auswirkungen der globalisierungskritischen Protestbewegung 29
Jahrestagung in Prag 2000) wurden die zivilgesellschaftlichen Forderungen
nach einem solchen Verfahren unter dem Namen FTAP (Fair and Transpa-
rent Arbitration Procedure, faires und transparentes Schiedsverfahren) im
IWF 2001 mit dem Vorschlag eines SDRM (Sovereign Debt Restructuring
Mechanism, Umstrukturierungsmechanismus für Schulden souveräner
Staaten) aufgegriffen (Krueger 2002). Das von der IWF-Vizedirektorin
skizzierte SDRM-Verfahren entspricht nicht dem geforderten FTAP, aber
erkennt an, dass der IWF als Gläubiger nicht die Rolle des Schiedsgerichts
übernehmen kann und überträgt die Entscheidung über das Ausmaß des
Schuldenerlasses an eine (nicht näher spezi zierte) unabhängige Instanz.
Auch wird die Überprüfung aller Gläubigerforderungen zu Beginn als ein
Element des Verfahrens genannt. Die Zersplitterung der Schuldenverhand-
lungen in verschiedene Foren wird ebenso als Problem anerkannt wie die
Notwendigkeit eines zeitweiligen Schuldendienstmoratoriums (Schneider
2002; Hersel 2003; Ambrose 2005: 282ff). Allerdings wurde der Vorschlag
eines SDRM im Frühjahr 2003 von einer Mehrheit der IWF-Exekutivdi-
rektoren abgelehnt, interessanterweise auch durch einige Repräsentanten
des globalen Südens (Kellermann 2006, Kap. V). Hierbei spielte der Druck
der Finanzmärkte, die allein die Möglichkeit einer Staateninsolvenz mit
Zinsaufschlägen bestrafen würden, eine große Rolle (Ziai 2012).
Der Bewegung gelang es hier selbst in der gegenüber den Protesten am
unemp ndlichsten Organisation der globalen politischen Ökonomie, dem
IWF, das Thema Staateninsolvenz auf die Agenda zu setzen. Die Unter-
schiede zwischen SDRM und FTAP deuten allerdings auf die Umkämpftheit
der Vorschläge auf der zweiten Ebene hin, wie auch auf den Umstand, dass
die Probleme mit „rogue creditors“ ein wichtiger Auslöser für das Aufgreifen
der Forderung durch den IWF waren. Auf der dritten Ebene der politischen
Entscheidung zeigte sich dann, dass der Ein uss der Bankenlobby dem der
globalen Protestbewegung überlegen war.
Finanztransaktionssteuer („Tobin Tax“)
Ebenfalls gegen den Ein uss von Banken und Investmentfonds gerichtet
war die Kernforderung von Attac nach einer „Entwaffnung der Finanz-
märkte“ durch die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, nach ihrem
Er nder James Tobin auch „Tobin Tax“ (TT) genannt. Um Spekulation
an den Finanzmärkten einzudämmen und Krisen zu verhindern, sollten
grenzüberschreitende Devisentransaktionen mit einer geringfügigen Steuer
belegt werden – deutlich unter 1 %, aber hoch genug (die Vorschläge rei-
chen von 0,01 bis 0,5 %), um kurzfristige spekulative Finanzgeschäfte, die
30 Aram Ziai
aus minimalen Kursunterschieden Gewinn schöpfen wollen, unrentabel
zu machen. Die Einkünfte der TT könnten dann nach einem Vorschlag
des UNDP zur Finanzierung von Armutsbekämpfung eingesetzt werden
(Huffschmid 2002: 233ff; Jetin 2012).
Aufgrund des entschiedenen Widerstands der Bankenlobby und als Kon-
sequenz v.a. auch der US-amerikanischen und britischen Regierungen war
ein internationaler Konsens für die TT nicht zu erreichen. Trotz der Ableh-
nung des Finanzministeriums hat das Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) 2002 – mit dem Argument, es
handele sich um eine Finanzierungsquelle für Entwicklungszusammen-
arbeit – eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, die zu dem Schluss
kam, dass eine EU-weite Einführung der Steuer ohne größere Probleme
durchführbar wäre (Spahn 2002). Die Regierungen von Frankreich und
Belgien haben schon relativ früh ihre Unterstützung für die Devisentrans-
aktionssteuer bekundet, 2005 ließ Bundeskanzler Schröder (ebenfalls gegen
den ausdrücklichen Rat des Finanzministers) überraschend verlautbaren,
dass er ihr auch offen gegenüberstehe (Fues 2005). Nach der Finanzkrise
2008 konnten NGOs sogar den IWF dazu bringen, sich ernsthaft mit der
TT auseinanderzusetzen. Auch eine entsprechende Studie des IWF kam zu
dem Schluss, dass die Steuer durchaus machbar sei, durch den Ein uss des
US-Finanzministeriums wurde jedoch ein anderes Instrument zur Stabili-
sierung der Märkte favorisiert. 2009 sprachen sich sowohl die SPD als auch
Kanzlerin Merkel für die Steuer aus, auf dem G20-Gipfel in Toronto 2010
blieben jedoch die USA, Großbritannien, Australien, Kanada, Indien und
noch einige weitere Schwellenländer bei ihrer Ablehnung. Auf Initiative
Deutschlands und Frankreichs (unter dem Druck einer zivilgesellschaft-
lichen Kampagne sowie mit Unterstützung einiger anderer Länder sowie
des EU-Parlaments) präsentierte die EU-Kommission einen Vorschlag, der
2013 über die sogenannte Enhanced Cooperation Procedure, die auch ohne
Konsens zwischen den EU-Mitgliedstaaten eine „Koalition der Willigen“
ermöglicht, zu Verhandlungen zwischen elf EU-Mitgliedern über die Ein-
führung einer TT führte (Wahl 2014: 4-7). Diese sind allerdings bis heute
nicht abgeschlossen.
Ähnlich wie beim SDRM gelang es der Protestbewegung zwar, mit
dem Rückwind einer gegenwärtigen Krise das Thema der Finanztrans-
aktionssteuer auf die Agenda des IWF zu setzen (erste Ebene) und auch
die inhaltlichen Vorschläge zu beein ussen (zweite Ebene), auf der Ebene
der politischen Entscheidungen war der Ein uss der Bankenlobby jedoch
wirksamer. Dies gilt in ähnlicher Form auch für die Arena der EU, wo eine
Entscheidung zur Einführung der Steuer trotz vielversprechender Ansätze
Auswirkungen der globalisierungskritischen Protestbewegung 31
bis heute nicht getroffen wurde. Dass das Attac-Projekt in einer Reihe
von EU-Mitgliedsstaaten (darunter die Schwergewichte Deutschland und
Frankreich) mittlerweile propagiert wird, zeigt, dass hier auch auf der dritten
Ebene der Ein uss erfolgreich war, diese Erfolge auf nationaler Ebene bis
jetzt durch die supranationale Struktur der EU unwirksam blieben.
Jenseits dieser Reforminitiativen sind jedoch noch weitere Fälle zu
nennen, in denen die Protestbewegung Abkommen, die die neoliberale
Globalisierung weiter vorangetrieben hätten, verhindern konnte. In Kolbs
Analyseraster reichte hier demnach der Ein uss zumindest bis auf die Ebene
der politischen Entscheidungen, auch wenn die die Bewegung hier nicht als
Gestalter, sondern als Vetospieler am politischen Prozess beteiligt war. In
beiden Fällen gelang es der Lobby der weltmarktorientierten Kapitalfraktion
jedoch, ihre Anliegen auf die Agenda anderer Abkommen zu verlagern.
Verhinderung des Multilateralen Investitionsabkommens (MAI)
Der spektakulärste Fall ist sicher der des Multilateral Agreement on Invest-
ment (MAI). Nachdem sich im Rahmen der WTO abzeichnete, dass ein
weitreichendes Investitionsschutzabkommen am Widerstand der Länder des
Südens scheitern würde, verlagerten USA und EU die entsprechenden Ver-
handlungen in die OECD – mit der Absicht, in diesem Rahmen ein Abkom-
men mit möglichst hohen Standards verabschieden zu können, das möglichst
hohe Standards beinhaltete und mittelfristig weltweite Geltung erlangen
und als „Verfassung der Weltwirtschaft“ (so WTO-Generaldirektor Renato
Ruggiero) fungieren könnte (Tielemann 1999: 4; Mies & Werlhof 1998a: 7).
Zentrale Elemente des Abkommens beinhalteten einen Schutz für Inves-
toren vor staatlichen Au agen (z.B. Verp ichtungen zur Quali zierung
einheimischer Arbeitskräfte oder zur Nutzung lokaler Zulieferer) sowie
Klagemöglichkeiten gegen Staaten auf Entschädigung wegen indirekter
Enteignung – was potentiell jegliche Gesetze einschloss, die eine Reduktion
der Gewinnerwartung des Investors zur Folge hatten (McDonald 1998: 633;
Mies & Werlhof 1998b: 15f). Nachdem ein Vertragsentwurf 1997 durch
die NGO Public Citizen an die Öffentlichkeit gelangte, entstand eine
breite zivilgesellschaftliche Protestkampagne in vielen Ländern, die Teil
der globalisierungskritischen Bewegung war. Diese war so erfolgreich,
dass viele Parlamentarier_innen und einige Regierungen wie Frankreich
und Neuseeland sich der Opposition gegen das MAI anschlossen und das
Abkommen im Herbst 1998 für gescheitert erklärt werden musste. An den
Verhandlungen beteiligte Ministerien wiesen darauf hin, dass bestehende
32 Aram Ziai
Meinungsverschiedenheiten durch die Proteste deutlich verschärft worden
seien (Kobrin 1998: 99; Tielemann 1999: 8).
Zwar wurden Versuche unternommen, das Thema Investitionsschutz wie-
der auf die WTO-Agenda zu setzen, dies war jedoch erfolglos. Stattdessen
fanden einige MAI-Klauseln (auch die „indirekte Enteignung“) Eingang in
zahlreiche bilaterale Investitionsabkommen. Als Teil des TTIP (Transatlantic
Trade and Investment Partnership) stießen die Regulierungsverbote für Staa-
ten und Klagemöglichkeiten für Unternehmen jedoch erneut auf massiven
zivilgesellschaftlichen Protest, u.a. in Form von 150-250.000 Demonstrie-
renden in Berlin im Oktober 2015. Nach dem Regierungsantritt von Trump
2016 – und hier ndet sich dann doch ein kleines Argument für die ansonsten
unplausible These des eingangs erwähnten Spiegel-Artikels – wurden die
Verhandlungen auf Eis gelegt. Allerdings vertreten manche Sozialwissen-
schaftler_innen die These, dass Trump lediglich der letzte Sargnagel war und
die Verhandlungen durch die Proteste und die massive Delegitimierung des
Abkommens v.a. in der deutschen Öffentlichkeit ohnehin bereits eingefroren
und zum Scheitern verurteilt waren (Soendergaard 2020: 286).
Keine weitere Liberalisierungsrunde in der WTO
Beinahe ebenso bemerkenswert wie der Fall des MAI ist jedoch, dass die
auf der vierten Ministerkonferenz in Doha/Katar 2001 begonnene Verhand-
lungsrunde der WTO bis heute nicht abgeschlossen ist. Nur ein kleiner Teil
der Doha Agenda konnte 2013 auf der neunten Ministerkonferenz in Bali
beschlossen werden. Die anderen sechs Ministerkonferenzen seit Doha ver-
liefen weitestgehend im Sande. Dies führte dazu, dass bereits vor einem Jahr-
zehnt von einer Krise der WTO die Rede war (Baldwin & Evenett 2011) – und
seither ist die Situation nicht besser geworden. Im Gegenteil, die WTO wird
von manchen Beobachter_innen ob dieses Stillstands als zunehmend bedeu-
tungslos angesehen. Grund für die Unfähigkeit der WTO, die Doha-Verhand-
lungsrunde seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten erfolgreich abzuschließen,
ist im Wesentlichen eine Pattsituation zwischen Ländern des Nordens und
des Südens. Eine stabile Koalition von Vertreter_innen des Südens weigert
sich, weitere Liberalisierungsschritte zu verhandeln, bevor der Norden nicht
endlich (bereits in der Uruguay-Runde angekündigte) Zugeständnisse im
Bereich der Agrarsubventionen macht (Chorev & Babb 2009: 477). Dies
hängt in nicht unwesentlichem Maße damit zusammen, dass seit den späten
1990ern die Proteste gegen neoliberale Globalisierung die Delegierten dieser
Länder entsprechend unter Druck gesetzt haben bzw. diese sich die Position
der globalisierungskritischen Protestbewegung zu Eigen gemacht haben
Auswirkungen der globalisierungskritischen Protestbewegung 33
(Rucht 2002b: 60). Die Länder des Nordens wichen jedoch nicht von ihrer
(in der Uruguay-Runde erfolgreichen) Position ab, nur ein an den Interessen
„ihrer“ Unternehmen orientiertes Verhandlungspaket abschließen zu wol-
len. Unter der Hand beschwerten sich manche, die Delegierten des Südens
wären von Demonstrierenden und NGOs aufgehetzt worden (Jawara &
Kwa 2003; Ziai 2007 Kap. 8). Offenbar hat die globale Protestbewegung seit
2001 erfolgreich weitere Liberalisierungsabkommen im Rahmen der WTO
verhindert. Allerdings wurden stattdessen im gleichen Zeitraum durchaus
bilaterale oder regionale Freihandelsabkommen abgeschlossen.
Im Unterschied zu den Reformprozessen ist die Verhinderung eines
Ausbaus der neoliberalen Globalisierung uneingeschränkt als Erfolg der
Bewegung zu werten. Bei den Reformprozessen müsste noch genauer
untersucht werden, inwiefern die erreichten Fortschritte gegen die Prozesse
der Kooptation und Befriedung von Bewegungsakteuren und NGOs auf-
zuwiegen sind (s. hierzu auch Anderl 2017). Diese Prozesse, speziell die
Einbindung von NGOs in ein Regime der Global Economic Governance,
können als Transformation von Staatlichkeit analysiert werden (s. Brand
u.a. 2001). Manche NGOs fragen dabei (in militärischem Vokabular, aber
durchaus selbstkritisch), ob in dem Fokus auf die kleinen Scharmützel der
Reformen der große Krieg um globale Gerechtigkeit nicht verloren geht
(Bendana 2006: 4).
Postkoloniale Perspektive: kritische Nachfragen
Wenn das Hauptanliegen einer postkolonialen Perspektive in der Untersu-
chung kolonialer Kontinuitäten besteht17, so ist auch im Hinblick auf die
globalisierungskritische Protestbewegung die Frage zu stellen, inwiefern
sie von globalen Machtasymmetrien und Konstruktionen des Anderen aus
der Epoche des Kolonialismus geprägt ist.
Eine systematische Untersuchung dieser Frage kann an dieser Stelle
nicht geleistet werden. In der Literatur nden sich (meist eher anekdotische)
Hinweise. Einige bejahen die Frage, unter Hinweis auf die deutliche Überre-
präsentanz von weißen Westeuropäer_innen im Europäischen Sozialforum
(Maeckelbergh 2009: 134), die Kooptation von globalisierungskritischen
Gruppen durch kapitalistische Eliten (Young 2014: 381, s. auch Anderl 2017)
oder den Ausschluss des radikalen Netzwerks von Gruppen of Colour
„Wretched of the Earth“ vom People‘s Climate March of Justice and Jobs in
London 2015 (Görlich & Habermann 2018: 321f). Andere verweisen darauf,
dass im Rahmen des WSF und insbesondere bei PGA (Habermann 2014)
17 Kerner 2012; Conrad u.a. 2013; Castro Varela & Dhawan 2015; Ziai 2016.
34 Aram Ziai
explizit darauf geachtet wurde, eine Dominanz nördlicher Akteure zu
verhindern. Eine Vermeidung von Paternalismus im Nord-Süd-Kontext
wurde auch sichtbar an dem Zitat der Aborigine-Aktivistin Lilla Watson,
das dem PGA-Manifest vorangestellt wurde: „Wenn Du nur kommst, um
mir zu helfen, dann verschwendest Du Deine Zeit. Wenn Du aber kommst,
weil Deine Befreiung mit meiner verbunden ist, dann lass uns zusammen
arbeiten!“ (zit. n. Habermann 2014: 46)
An dieser Stelle soll lediglich eine Fallstudie näher beleuchtet werden:
die internationale Kampagne zum Schuldenerlass unter dem Namen „Jubi-
lee“ bzw. „Erlassjahr“. Diese erreichte eine Mobilisierung von Millionen
von Menschen für einen Schuldenerlass der Trikontländer v.a. im Vorfeld
der G8-Gipfel von Köln 1999 und Gleneagles 2005, die einen teilweisen
Schuldenerlass hochverschuldeter Niedrigeinkommensländer erreichte
(Keet 2000; Kaiser 2014). Dieser war, wie oben ausgeführt, verknüpft mit
einer Reform der Strukturanpassungsprogramme und gilt gemeinhin als einer
der wichtigen Erfolge der globalen Protestbewegung. Allerdings kam es im
Verlauf dieser Kampagne zu einem Kon ikt und letztlich einer Abspaltung
unter dem Namen „Jubilee South“.
Diese entstand aufgrund inhaltlicher Differenzen zwischen den beteiligten
(meist bewegungsnahen) Organisationen im Süden und den tendenziell eher
auf professionelle Lobbyarbeit ausgerichteten im Norden. Erstere erhoben
dabei weit radikalere Forderungen: auf dem regionalen Treffen der afrikani-
schen Kampagnen in Accra im April 1998 forderten sie die Einstellung der
Schuldendienstzahlungen und Reparationen für Sklavenhandel, Kolonia-
lismus und Neokolonialismus. Auf dem Treffen der lateinamerikanischen
und karibischen Kampagnen in Tegucigalpa im Januar 1999 wurde auch
von der historischen Schuld des Nordens, nicht des Südens gesprochen
(Keet 2000: 463). Daraus ergab sich der Slogan „don‘t owe, won‘t pay“:
„wir schulden nichts und werden nicht zahlen“. Überhaupt wurde die
Legitimität der Schulden grundsätzlich in Frage gestellt und von vielen
Kampagnen des Südens ein vollständiger, bedingungsloser Schuldenerlass
gefordert. Auch reiche ein Schuldenerlass nicht aus und das Ungleichheit
und Armut produzierende Weltwirtschaftssystem gehöre auf den Prüfstand
(Collins 1999: 420f; Bendana 2006: 8f; Somers 2014: 88).18
Diese Forderungen, die auf dem einzigen gemeinsamen internationalen
Kampagnentreffen in Rom 1998 deutlich artikuliert worden waren, wurden
in der Folge jedoch von den beteiligten Organisationen aus dem Norden
zugunsten von deutlich moderateren Forderungen nach Schuldenreduktion
und Schuldenerlass übergangen bzw. allenfalls als Drohkulisse gegenüber
18 S. auch http://www.jubileesouth.net/, letzter Aufruf: 2.9.2020.
Auswirkungen der globalisierungskritischen Protestbewegung 35
Gläubigerinstitutionen benutzt, um moderatere Forderungen durchzusetzen
(Keet 2000: 462f; Somers 2014: 89). Das Fehlen einer Struktur der inter-
nationalen Jubilee 2000 Kampagne ermöglichte dabei eine Dominanz der
nationalen Kampagnen mit den meisten Ressourcen (die aus dem Norden,
v.a. Großbritannien und Deutschland). Der Vorschlag eines demokratisch
konstituierten International Steering Committee wurde von der britischen
Kampagne als utopisch abgelehnt. Letztlich wurden so auf informelle Weise
die Kampagnenziele von den Akteuren des Nordens de niert (was auch von
einem Teil dieser Akteure zugegeben wurde) (Somers 2014: 85).
Im Kontext des Kölner G8-Gipfels übernahmen auch manche der
Nord-NGOs die Rhetorik von Weltbank und IWF hinsichtlich der „Schul-
dentragfähigkeit“ und versuchten eine Verbesserung der HIPC-Entschul-
dungsinitiative zu erreichen – die aber eine Entschuldung nur für 21 der
ärmsten Länder vorsah und zudem an Strukturanpassungsau agen knüpfte.
Besonders deutlich wurde die Distanz in der diskursiven Rahmung des
Schuldenthemas zwischen Nord und Süd auf dem Kölner Gipfel selbst:
anstatt des „don‘t owe, won‘t pay“ trugen einige Erlassjahr-Anhänger_innen
auf dem T-Shirt den Spruch „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir
vergeben Afrika seine Schulden“ (pers. Erfahrung). Die auf dem Gipfel
beschlossene Entschuldungsinitiative beinhaltete die lang kritisierte Kopp-
lung an neoliberale Politiken ebenso wie an eine Entscheidung der IFI,
ob die von der Regierung vorgesehenen Armutsbekämpfungsstrategien
sinnvoll seien. Die bedingt positive Einschätzung dieser Initiative durch
die britische Kampagnendirektorin gegenüber den Medien war nicht mit
den Kampagnen des Südens abgesprochen und wurde als bevormundend
wahrgenommen (Somers 2014: 86).19 Auf der Grundlage der Erfahrung,
dass ihre Forderungen in der internationalen Jubilee-Kampagne nicht ernst
genommen und verwässert wurden, kam es daher im Oktober 1999 zur
Gründung von Jubilee South durch etwa 150 Aktivist_innen aus dem Trikont
(Ambrose 2005: 275).
Zwar ist zu bedenken, dass es bei diesem Kon ikt auch um einen
zwischen radikalen sozialen Bewegungen und bewegungsnahen Orga-
nisationen auf der einen und professionellen, auf Lobbyarbeit setzende
NGOs ging, aber die Dominanz und der Paternalismus von Akteuren des
Nordens gegenüber Akteuren des Südens in der Erlassjahrkampagne ist aus
postkolonialer Perspektive auch als eine koloniale Kontinuität zu interpre-
tieren. Auch wenn dieser Fall nicht ohne weiteres als repräsentativ für die
19 Interessant ist in diesem Kontext, dass sich betreffende Person als Leiterin der Jubilee 2000
Kampagne präsentiert („I led a campaign, Jubilee 2000,...“ https://www.annpettifor.com/
about/, letzter Aufruf: 2.9.2020).
36 Aram Ziai
globalisierungskritische Protestbewegung als Ganzes gelten kann, so wird
doch deutlich, dass auch unter dem Slogan, „eine andere Welt“ sei möglich,
bisweilen Machtverhältnisse auf der existierenden, kolonial geprägten Welt
reproduziert werden können.
Fazit
Am Ende dieses Beitrags sollte deutlich geworden sein, dass die Analogie
zu Trump der Bewegung gegen neoliberale Globalisierung in keiner Weise
gerecht wird. Selbst gegenüber früheren internationalistischen Bewegungen
zeichnet sie sich durch ein stärker basisdemokratisch und anarchistisch
geprägtes Politikverständnis aus. Sie hat (auch in der hier vorliegenden und
nicht umfassenden Darstellung) eine beeindruckende Reihe an Reformen
in den Institutionen der globalen politischen Ökonomie angestoßen und ein
weiteres Vorantreiben der neoliberalen Globalisierung in wichtigen Punkten
verhindert – und nebenbei bei den beteiligten Menschen zu vielfältigsten
Erfahrungen, Re exions- und Politisierungsprozessen geführt. Allerdings
ist auch sie nicht gänzlich frei von neokolonialen Dominanzverhältnissen
zwischen Akteuren des Nordens und des Südens. Und sicher ist bei der
Würdigung ihrer Erfolge gleichzeitig zu bedenken, inwiefern Reformen
auch oft der Demobilisierung und Befriedung sozialer Bewegungen durch
herrschende Klassen und Institutionen dienen. Dennoch sollte dies nicht
hindern, die erreichten Zugeständnisse durchaus auch als Erfolge der Bewe-
gung zu deuten, zumindest wenn wir David Grabers Verständnis folgen:
„[…] es gibt keine klaren Brüche in der Geschichte. Die Kehrseite einer
Vorstellung von klaren Brüchen, vom dem einen Augenblick, wenn der Staat
fällt und der Kapitalismus besiegt ist, ist, dass alle Änderungen außer dieser
einen überhaupt keinen Sieg darstellen. […] Das ist in meinen Augen absurd.
[…] Vermutlich wird jeder Weg, der tatsächlich zu einer Revolution führt, mit
unzähligen Momenten der Kooptation, mit unzähligen siegreichen Kampagnen,
mit unzähligen kleinen, aufständischen Augenblicken – oder auch mit Zeiten
von Flucht und verborgener Autonomie einhergehen.“ (Graeber 2007: 407)
Revolution im Sinne einer grundlegenden emanzipativen gesellschaftlichen
Veränderung, die auch bedeutet, „den Alltag von jeder einzelnen von uns zu
verändern“ (A.Titze),20 ist dann als Summe von vielen einzelnen sozialen
Kämpfen, Reformen und unvollständigen Fortschritten zu verstehen, nicht
mehr als Wendepunkt der Geschichte, der alle Machtverhältnisse verschwin-
den lässt (Gibson-Graham 2006 [1996]; Redaktion Alaska 1998) – als „work
in progress“.
20 S. hierzu auch den cultural-politics-Ansatz, Escobar & Alvarez 1992.
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Ziai, Aram (2016): „The World Bank Inspection Panel in Ghana: Civil Society Protest and
the Glocalization of Accountability“. In: Journal of Poverty Alleviation and International
Development, Bd. 7, Nr. 1, S. 39-65.
Anschrift des Autors
Aram Ziai
ziai@uni-kassel.de
Article
Der Beitrag untersucht zentrale Stränge der Debatten in und zu gegenwärtigen internationalistischen Bewegungen in Mexiko und Deutschland. Den Ausgangpunkt bilden die Debatten zum Neuen Internationalismus, wie sie seit den 1970er Jahren in Praktiken und Ideen der Solidaritätsbewegungen zu sozialen, antikolonialen Bewegungen im globalen Süden angestoßen und schließlich im Kontext verschiedener sozialer Kämpfe diskutiert, ausgeweitet und transformiert wurden. Mittels einer Qualitativen Inhaltsanalyse rekonstruieren wir zentrale Themen im Hinblick auf Gemeinsamkeiten sowie Divergenzen in Texten, die von der EZLN und der BUKO von 1996 bis 2021 verfasst wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass gemeinsame Verweise auf die Inhalte des Neuen Internationalismus in den untersuchten Texten vorhanden sind, jedoch entlang der situierten Kämpfe und Erfahrungen mit Unterdrückung und Marginalisierung unterschiedlich ausgelegt werden. Verbindende Elemente beziehen sich auf Formen intersektionaler Herrschaftskritik sowie die Absage der Idee von einem revolutionären Subjekt, einer Avantgarde, einem Hauptwiderspruch sowie der Übernahme der Staatsmacht. Zugleich betonen die analysierten Texte die Notwendigkeit transnationaler Kämpfe und globaler Vernetzungen gegen Kapitalismus, um planetarischer Zerstörung und Ausbeutung entgegen zu treten.
Book
Die Rolle des Internationalen Währungsfonds (IWF) in der internationalen Finanzarchitektur ist seit seiner Gründung umstritten. Im Zuge der asiatischen Wirtschafts- und Finanzkrise in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre erreichte die Auseinandersetzung eine neue Dimension. Globale Proteststürme und Kritik von Seiten prominenter Experten haben die Legitimität des IWF empfindlich gestört - seine Politik sei krisenverschärfend und einseitig auf Interessen großer Gläubiger ausgerichtet. Mit dem IWF rückte auch der Washington Consensus als neoliberale EntwicklungsÝ programmatik verstärkt ins Sichtfeld der Kritiker. Die in Folge unternommenen Versuche, den Aufgabenbereich des IWF zu reformulieren, blieben jedoch relativ erfolglos. Diesen Reformdiskurs analysiert der Autor aus einer machttheoretischen Perspektive und durchleuchtet dabei die Organisation des Washington Consensus.
Book
Welche Relevanz hat die Perspektive der postkolonialen Studien für die Politikwissenschaft? Die Frage nach den Auswirkungen der Epoche des Kolonialismus lässt verschiedene Bereiche der Disziplin - darunter Politische Theorie, Geschlechterverhältnisse, Internationale Beziehungen und Politische Systeme - in einem neuen Licht erscheinen. Die in diesem Band versammelten postkolonialen Analysen politischer Theorien, Institutionen und Prozesse, die sich auf empirischer und theoretischer Ebene bewegen, machen eurozentrische Strukturen und koloniale Argumentationsmuster in der Politikwissenschaft, in der Politikpraxis auf deutscher und internationaler Ebene sowie in postkolonialen Ländern sichtbar.
Article
The article examines how negotiations of the Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) have spurred a broad and highly heterogeneous opposition movement within European civil society. The extensive regulatory scope of the proposed agreement, spanning far beyond traditional trade-related issues, has meant that a broad range of potentially affected stakeholders have become involved in the protests. Findings from questionnaires sent to organisations partaking in the opposition to the TTIP identify novel categories of issues at stake, as well as the formation of new transnational ties. The article applies a neo-Gramscian conceptual approach to the analysis of the new channels and platforms for social movements to challenge transnational elite consensus. The protest movement´s successful contribution to stalling the agreement suggests a certain contemporary agential space to challenge neoliberal globalisation.
Chapter
From 1940 to 1970, Mexico experienced sustained, high economic growth as government policies focused on providing incentives and infrastructure for diversified industrialization and for commercial agriculture. Throughout this period, widely known as the “Mexican Miracle,” Mexico’s cities grew at unprecedented and unexpected rates. Yet, living conditions in urban areas deteriorated as the government was unable or unwilling to extend public services to burgeoning outlying neighborhoods, many of which did not have legal land tenure. Job opportunities in the cities did not keep pace with the high rate of rural-to-urban migration or with the growing number of high school and university graduates seeking professional employment.