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− 224 −MNU-Journal − Ausgabe 03.2021 − ISSN 0025-5866 − © Verlag Klaus Seeberger, Neuss
Schulpraxis
Ein digitales Schulbuch im Mathematik-
unterricht einsetzen
MAXIM BRNIC − GILBERT GREEFRATH
Im Projekt KomNetMath wird der Einsatz und die Nutzung des digitalen Mathematikschulbuchs Net-Mathebuch untersucht.
Dieses zeichnet sich durch die Integration digitaler Werkzeuge aus und bildet die Potenziale digitaler Schulbücher ab. Im
Rahmen des Projektes wurde eine Unterrichtsreihe zur bedingten Wahrscheinlichkeit entwickelt und evaluiert. Die Unter-
richtsreihe und erste Forschungsergebnisse werden in diesem Beitrag vorgestellt.
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MATHEMATIK
1 Einführung
Die Strategie der Kultusministerkonferenz zur Bildung in der
digitalen Welt (KMK, 2016, 12) beschreibt Kompetenzen für
eine aktive, selbstbestimmte Teilhabe in einer digitalen Welt,
die einen integrativen Teil der Fachcurricula aller Fächer dar-
stellen sollen. Bei der Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen
können für diesen Kompetenzerwerb digitale Medien und Werk-
zeuge, etwa realisiert in Lernumgebungen und digitalen Schul-
büchern, eingesetzt werden. Für den Mathematikunterricht
kann man hier zwischen der Nutzung von allgemeinen Medien,
von Medien zum Lernen von Mathematik und von speziellen
digitalen Mathematikwerkzeugen unterscheiden. Ein digitales
Schulbuch für das Fach Mathematik vereint alle diese
Nutzungsmöglichkeiten von Medien. Während die speziellen
digitalen Mathematikwerkzeuge wie eine dynamische Geome-
triesoftware, eine Tabellenkalkulation oder ein Computeralge-
brasystem direkt aus dem Schulbuch heraus angesteuert wer-
den können, können Medien zum Lernen von Mathematik durch
in das Schulbuch integrierte digitale Lernumgebungen sowie
mathematikspezifi sche Apps abgebildet werden. Allgemeine
Medien zur Kommunikation und Präsentation, aber auch zum
Suchen, Verarbeiten und Aufbewahren (KMK, 2016, 16 f.) können
ebenfalls in einem digitalen Schulbuch wiedergefunden werden.
In diesem Beitrag berichten wir aus dem Projekt KomNetMath −
Kompetenter Umgang mit einem integrierten digitalen Schul-
buch (Net-Mathebuch) für den Mathematikunterricht, welches
ein konkretes digitales Mathematikschulbuch für die Oberstufe
in den Fokus nimmt und für welches eine Unterrichtsreihe ent-
wickelt wurde. Das Projekt untersucht die tatsächliche Nut-
zung eines digitalen Schulbuchs mit integrierten digitalen
Werkzeugen aus fachdidaktischer Perspektive und wird von der
Medienberatung NRW seit Dezember 2018 gefördert. In dem
Projekt KomNetMath wird das digitale Mathe matikschulbuch
Net-Mathebuch (s. www.m2.net-schulbuch.de, Abb. 1) genutzt,
welches von der gemeinnützigen Unternehmer gesellschaft
Net-Schulbuch.de (www.net-schulbuch.de) herausgegeben wird.
2 Potenziale des digitalen Schulbuchs
Ein digitales Schulbuch eignet sich aufgrund seiner Potenziale
in besonderer Weise zum Lernen von Mathematik sowie zur
Nutzung spezieller digitaler Mathematikwerkzeuge. Zusam-
menfassend werden folgende Potenziale in besonderer Weise
genannt, die jeweils anhand von inhaltlichen und technischen
Features des Net-Mathebuchs in der Tabelle 1 charakterisiert
werden (CHOPPIN, CARSONS, BORYS, CEROSALETTI, & GILLIS, 2014;
REZAT, 2020).
Ein digitales Schulbuch kann also Möglichkeiten für einen adap-
tiven Unterricht bereitstellen, der auf die individuellen Lehr-
und Lernprozesse und Bedürfnisse der Lernenden und Lehr-
kräfte eingeht, aber auch das gemeinsame Arbeiten mithilfe
diverser Funktionen zur Kommunikation und Kooperation
ermöglichen (REZAT, 2020). Die Vermittlung des Lerngegen-
stands, welcher durch curriculare oder bildungspolitische Vor-
gaben beschrieben ist, sollte dabei trotz der vielfältigen
Gestaltungsmöglichkeiten stets im Vordergrund stehen. Für die
Nutzung eines digitalen Schulbuchs ist außerdem eine entspre-
chende technische Ausstattung notwendig. Die Schüler/innen
und Lehrkräfte sollten Endgeräte mit Internetzugang zur Ver-
fügung haben, die sie auch zu Hause für den Schulgebrauch
einsetzen können.
In dem Projekt KomNetMath wird das digitale Mathematikschul-
buch Net-Mathebuch verwendet, welches eine komplette digi-
tale Neukonzeption ist − es gibt also kein analoges Parallelpro-
dukt. Es deckt die Inhalte der gymnasialen Oberstufe ab, wobei
integrierte Lehrer/innen-Hinweise auf die jeweilige Verortung
im Net-Mathebuch verweisen. Zur Navigation hat jede Seite im
Net-Mathebuch eine eindeutig identifi zierbare Kennung. Dieser
sogenannte Net-Code besteht aus einer Buchstabenkombina-
tion und ist mit der Seitenzahl eines klassischen Schulbuchs
vergleichbar. Auf jeder Seite befi ndet sich der Net-Code stets
oben im Header und kann darüber ebenfalls angesteuert wer-
den. So ist bei den hier beschriebenen Seiten der jeweilige
Net-Code stets angegeben. Das Net-Mathebuch wurde ursprüng-
lich für Schulen in Nordrhein-Westfalen konzipiert, wird mitt-
lerweile aber auch in anderen Bundesländern eingesetzt. Die
Inhalte und Funktionen des Net-Mathebuchs werden durch die
zugehörige Redaktion fortlaufend gewartet, aktualisiert und
weiterentwickelt.
Abb. 1. QR-Code zum Net-Mathebuch,
www.m2.net-schulbuch.de
MNU-Journal − Ausgabe 03.2021 − 225 −
Schulpraxis Ein digitales Schulbuch
Potenziale digitaler Schulbücher Beispiele aus dem Net-Mathebuch
Nutzung von Multimedia Lernvideos; Animationen; Simulationen; Pop-Up-Fenster und Tooltipps; Lücken-
texte; Diashows; …
Interaktivität Interaktive Aufgaben, z.B. durch GeoGebra-Apps; Aufgaben mit Auswahlmöglich-
keiten durch Checkboxen oder Radiobuttons; Zuordnungsaufgaben; …
Soziale Aspekte und Kommunikation Uploadfunktion für eigene Materialien; …
Anpassung der Lernerfahrung Anpassung an individuelle Bedürfnisse und Lernstile, z.B. durch das Setzen von
Lesezeichen und Links; Freischaltung von Lösungen durch die Lehrkraft; …
Fortwährendes Assessment /
Dokumentieren des Lernprozesses
Einbindung unterschiedlicher Feedbackarten; Druck- und Speichermöglichkeit; …
Ökonomische Vorteile Schnelle Überarbeitungsmöglichkeit der Inhalte und Features eines digitalen
Schulbuchs durch die Redaktion; Einbindung aktueller Kontexte; …
Tab. 1. Potenziale digitaler Schulbücher mit Beispielen aus dem Net-Mathebuch
Das Net-Mathebuch greift die Potenziale eines digitalen Schul-
buchs auf verschiedenste Weise auf und ist somit für eine
mathematikdidaktische Studie zum Einsatz eines digitalen
Schulbuchs prädestiniert. Es handelt sich um ein interaktives,
digitales Mathematikschulbuch, welches sich insbesondere
durch eine ständige Bereitstellung und Integration von digitalen
Werkzeugen im Vergleich zu analogen Schulbüchern auszeich-
net. Hervorzuheben ist die Einbindung von GeoGebra, die
sowohl aufgabenspezifi sch als auch aufgabenunspezifi sch
erfolgt. Über das Net-Mathebuch ist ein direkter Zugriff auf die
klassische GeoGebra-Oberfl äche, aber auch auf den GeoGebra
3D-Rechner und den GeoGebra-Taschenrechner möglich. Darüber
hinaus sind zahlreiche von der Redaktion entwickelte GeoGebra-
Apps vorzufi nden, die für einzelne Aufgaben konzipiert sind
oder für einen größeren Themenbereich eingesetzt werden
können (Eine App-Übersicht fi nden Sie unter dem Net-Code:
q_geogebratab). Diverse GeoGebra-Apps und technische bzw.
inhaltliche Features werden in der Unterrichtsreihe zum
Abb. 2. Navigation und struktureller Aufbau des Net-Mathebuchs am Beispiel des Kapitels „Bedingte Wahrscheinlichkeiten und der
Satz von Bayes“ (Net-Code: aabb)
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Schulpraxis Ein digitales Schulbuch
Schwerpunkt „bedingte Wahrscheinlichkeiten“ aufgegriffen.
Charakteristisch für dieses digitale Schulbuch ist dabei neben
der Integration dieser unterschiedlichen Elemente der struktu-
relle Aufbau des Buches.
3 Struktur des Net-Mathebuchs
Die Struktur der einzelnen inhaltlichen Kapitel bzw. Themen
spiegelt sich in der Aufbereitung des Buches durch entspre-
chende Reiter wider (Abb. 2). Die Aufteilung eines Themas folgt
dabei in der Regel dem Dreischritt: Erforschen − Lehrtext −
Aufgaben. Durch die Erforschen-Seite wird den Lernenden ein
erster und niedrigschwelliger Zugang zum jeweiligen Thema
ermöglicht. Das Erforschen enthält Aufträge bzw. Aufgaben,
die durch gestufte Hilfen und interaktive Elemente ergänzt
werden sowie eine zusammenfassende Ergebnissicherung
anbieten. Vereinzelt werden alternative Zugänge zu einem
Thema angeboten, die von Lehrkräften oder Lernenden ausge-
wählt werden können. Beispielsweise wird bei der Einführung
der Binomialverteilung ein Zugang über das Galtonbrett (Erfor-
schen 1) oder über einen Multiple-Choice-Test (Erforschen 2)
angeboten (Net-Code: bacf).
Im Lehrtext werden dann die jeweils relevanten und wichtigen
Defi nitionen und Sätze eingeführt und Beispiele gegeben. Die
sich anschließenden Aufgaben sind nach Basisaufgaben, Auf-
gaben 1 und Aufgaben 2 unterteilt. Der Schwierigkeitsgrad
einer Einzelaufgabe ist zusätzlich gekennzeichnet. Bei den
Basisaufgaben handelt es sich um grundlegende Aufgaben, die
sich an das Gelernte aus dem Erforschen und dem Lehrtext
anschließen. Die Erforschen-Aufgaben und die Basisaufgaben
stellen viele Tipps, Hinweise und interaktive Elemente bereit.
Diese stehen bei den Aufgaben 1 und Aufgaben 2 teilweise
nicht mehr zur Verfügung. Das Ziel ist, dass die Lernenden Auf-
gaben auch ohne entsprechende Hilfen lösen können. Insbeson-
dere die Aufgaben 2 unterscheiden sich im Anwendungsbezug
oder in ihrer Komplexität von den Aufgaben 1 und werden auch
als „weiterführende Aufgaben“ aufgefasst. Durch die Auftei-
lung und Unterscheidung der Aufgaben soll ein differenziertes
Angebot bereitgestellt und damit individuelles Lernen ermög-
licht werden.
Bei dem hier vorgestellten Dreischritt − Erforschen, Lehrtext,
Aufgaben − handelt es sich um eine prototypische Unterteilung
eines Kapitels, welches bei anderen Themen durch weitere
Aspekte bzw. Reiter ergänzt oder variiert wird. Bei Ergänzun-
gen kann es sich beispielsweise um einen sogenannten Check
handeln. Ein solcher Verständnischeck greift bereits bekanntes
Wissen auf und kann dieses ggfs. wieder auffrischen. Hingegen
kann eine Vertiefung eine tiefergehende Auseinandersetzung
mit der jeweiligen Thematik ermöglichen, die auch über den
Lehrplan hinausgehen kann.
4 Unterrichtsreihe zu bedingten Wahrscheinlich-
keiten
Im Rahmen des Projektes wurde eine fünfstündige Unterrichts-
reihe (à 45 Minuten) mit dem Schwerpunkt „bedingte Wahr-
scheinlichkeiten“ konzipiert. Die Reihe basiert auf dem Kapitel
Bedingte Wahrscheinlichkeiten und der Satz von Bayes im
Net-Mathebuch (Net-Code: aabb).
Das Themenfeld eignet sich für die Durchführung einer Studie
zur Nutzung und zur Abbildung der Potenziale eines digitalen
Mathematikschulbuchs auf besondere Weise, da sich dieses
durch diverse Darstellungswechsel, die Ermöglichung individu-
eller Zugänge und die Integration authentischer Kontexte aus-
zeichnet. Die Voraussetzungen zur Behandlung dieses Themas
und die beiden zentralen Erforschen-Aufgaben der Unterrichts-
reihe werden im Folgenden vorgestellt. Außerdem wird auf die
relevanten Features und Mathematikwerkzeuge in diesem Kapi-
tel eingegangen, die einen potenziellen Mehrwert zu analogen
Materialien haben können.
Unterrichtliche Voraussetzungen
Die Durchführung einer Unterrichtsreihe, die auf dem genann-
ten Kapitel aufgebaut ist, setzt inhaltliche bzw. stochastische
Vorkenntnisse voraus. Die Lernenden sollten bereits im Umgang
mit Vierfeldertafeln und Baumdiagrammen geübt sein. Dies
bedeutet, dass sie bereits zweistufi ge Zufallsexperimente und
Daten in einem Baumdiagramm bzw. einer Vierfeldertafel dar-
stellen und Wahrscheinlichkeiten, zum Beispiel per Pfadregeln,
berechnen können. Dagegen sollte der Begriff „bedingte Wahr-
scheinlichkeit“ und dessen Berechnung noch nicht explizit defi -
niert bzw. eingeführt worden sein, da dies in der Unterrichts-
reihe thematisiert wird. Rechnungen können entweder per im
Net-Mathebuch angefügten GeoGebra-Taschenrechner oder per
separatem Hilfsmittel, zum Beispiel einem graphikfähigen
Taschenrechner, durchgeführt werden.
Aufbau der Unterrichtsreihe
Es werden zwei unterschiedliche Erforschen-Zugänge für die
Erarbeitung der bedingten Wahrscheinlichkeiten im Net-Mathe-
buch angeboten (Erforschen 1 und Erforschen 2). Sie setzen
jeweils spezifi sche Schwerpunkte, beispielsweise sollen für das
Übertragen der gegebenen Daten unterschiedliche Darstel-
lungsformen genutzt werden. Beide Zugänge greifen aber die
Empfehlung auf, dass zum Verständnis bedingter Wahrschein-
lichkeiten zuerst eine Darstellung der Daten mit absoluten
Häufi gkeiten erstellt werden soll (KRÜGER, SILL & SIKORA, 2015,
191). Es werden realweltliche und aktuelle Kontexte behan-
delt, zu denen Hintergrundinformationen direkt aufgerufen
werden können. Beide Zugänge eignen sich somit für eine
refl ektierte Auseinandersetzung und Interpretation gegebener
Daten und diagnostischer Tests. Aus diesen Gründen sollen
beide Zugänge in der entwickelten Unterrichtsreihe bearbeitet
werden. Zu beiden Zugängen fi nden sich im Kapitel vergleich-
bare Aufgaben, die anschließend gemacht werden können. Aus
diesen und weiteren didaktischen Überlegungen wurde eine
Unterrichtsreihe entwickelt, die in drei chronologische Einhei-
ten aufgefasst werden kann:
1. Einheit: Erforschen 2 („Morden im Norden“)
mit anschließender Übungsaufgabe
2. Einheit: Erforschen 1 („HIV-Heimtest“)
mit anschließender Übungsaufgabe
3. Einheit: Übungsphase mit weiteren Aufgaben
MNU-Journal − Ausgabe 03.2021 − 227 −
Schulpraxis Ein digitales Schulbuch
Diese Aufteilung ist bereits mit unterschiedlichen Kursen und
Schulformen erprobt worden und kann in dieser Form für den
eigenen Unterricht übernommen werden. Es ist aber auch eine
andere Reihenfolge denkbar, da insbesondere die ersten beiden
Einheiten getauscht oder die Erforschen-Zugänge arbeitsteilig
erarbeitet werden können. Die Aufgaben eignen sich zum
selbstständigen Arbeiten, da die Lösungen durch die Lehrkraft
im Net-Mathebuch freigeschaltet werden können und die Pro-
blemstellungen der Erforschen-Aufträge bereits vorgegeben
sind. Die Aufgaben können durch die Lehrkraft begleitet wer-
den, indem zum Beispiel der Einstieg und die Sicherung gemein-
sam gestaltet werden. Auf diese Weise wird es für die Erarbei-
tung der Erforschen-Zugänge im Rahmen der Projektdurchführung
vorgegeben. Welche didaktischen Besonderheiten und (digita-
len) Potenziale insbesondere die in den ersten beiden Einheiten
verwendeten Aufgaben haben, wird im Folgenden kurz vorge-
stellt.
1. Einheit: Erforschen 2 („Morden im Norden“) mit
anschließender Übungsaufgabe
In der Erforschen-Aufgabe „Morden im Norden“ des Erforschen 2
sollen Lernende zu einem Sachkontext eine Vierfeldertafel auf-
stellen und anschließend bedingte Wahrscheinlichkeiten be-
rechnen. Insbesondere wenn in den vorigen Unterrichtseinheiten
vorwiegend mit Vierfeldertafeln gearbeitet wurde, bietet sich
diese als erste Aufgabe der Unterrichtsreihe an. Der Sachkon-
text behandelt hier einen (fi ktiven) Kriminalfall, der in eine
interessensweckende Geschichte eingebettet ist. Dabei soll per
DNA-Analyse der/die potenzielle Täter/in gefunden werden.
Die gegebenen und berechneten absoluten Häufi gkeiten kön-
nen in einer Vierfeldertafel eingetragen werden (Abb. 4).
Anhand dieser Aufgabe kann die Schreib- und Sprechweise des
Begriffs „bedingte Wahrscheinlichkeiten“ erstmalig eingeführt
werden. Nach Bearbeitung der Aufgabe kann die Aufgabe B1
der Basisaufgaben als sich anschließende Übungsaufgabe bear-
beitet werden. Die Inhalte werden noch einmal aufgegriffen,
da insbesondere noch einmal auf die sprachliche und formelle
Unterscheidung verschiedener Wahrscheinlichkeiten eingegan-
gen wird (Abb. 3).
2. Einheit: Erforschen 1 („HIV-Heimtest“) mit
anschließender Übungsaufgabe
In der Erforschen-Aufgabe „HIV-Heimtest“ des Erforschen 1
geht es um die Zuverlässigkeit von HIV-Heimtests. In dieser Auf-
gabe wird die Notation der bedingten Wahrscheinlichkeit
anhand von Tipps und einem Lückentext aufgegriffen. Zusätz-
lich werden in dieser Aufgabe die Begriffl ichkeiten eines diag-
nostischen Testes (Prävalenz, Sensitivität, Spezifi tät und Vor-
hersagewert) erstmalig eingeführt. In dieser Aufgabe sind
relative Häufi gkeiten bzw. Wahrscheinlichkeiten gegeben, die
für ein leichteres Verständnis auf eine Population übertragen
werden. Diese Aufgabe eignet sich insbesondere dann als Ein-
stiegsaufgabe, wenn die medizinisch-technischen Begriffe früh
eingeführt und gegebene Daten zuerst in ein Baumdiagramm
eingetragen werden sollen (Abb. 5). Anhand dieser Aufgabe
kann insbesondere mithilfe einer integrierten GeoGebra-App
der Zusammenhang von Prävalenz, Sensitivität und Spezifi tät
auf den Vorhersagewert erkundet werden (Abb. 4). Mithilfe
dieser Visualisierung können unterschied-
liche Zusammenhänge modelliert und
eine Diskussion zu diagnostischen Tests
ermöglicht werden. Auf die GeoGeb-
ra-App kann auch im späteren Verlauf
einer Unterrichtsreihe verwiesen und sie
somit unabhängig vom Einsatz der Auf-
gabe „HIV-Heimtest“ genutzt werden.
Im Anschluss zur „HIV-Heimtest“-Aufgabe
kann die Aufgabe 1 unter Aufgaben 1
bearbeitet werden. Diese Aufgabe zu
einem Diabetestest hat vergleichbare
Anforderungen und enthält interaktive
Tipps und Feedbackoptionen. Außerdem
wird diese Aufgabe im Lehrtext als Bei-
spielaufgabe aufgegriffen. In diesem Bei-
spiel werden die unterschiedlichen Mög-
lichkeiten zur Berechnung einer
bedingten Wahrscheinlichkeit, d.h. per
Vierfeldertafel, umgekehrten Baumdia-
gramm oder Satz von Bayes gegenüberge-
stellt und veranschaulicht. Auf den Lehr-
text kann spätestens an dieser Stelle der
Unterrichtsreihe oder direkt nach Einfüh-
rung der Berechnung und Schreibweise
einer bedingten Wahrscheinlichkeit hin-
gewiesen werden. Darüber hinaus enthält
der Lehrtext u.a. ein ergänzendes Lern-
video zu bedingten Wahrscheinlichkeiten.
Abb. 3. Teilaufgabe d der Basisaufgabe B1. Die Sprach- und Sprechweisen können
einander zugeordnet werden (Net-Code: aabb_aufgaben)
MNU-Journal − Ausgabe 03.2021− 228 −
Schulpraxis Ein digitales Schulbuch
3. Einheit: Übungsphase
Übungsaufgaben können aus den Basisaufgaben, Aufgaben 1
oder Aufgaben 2 ausgewählt werden. Diese unterscheiden sich
in der Bereitstellung digitaler Hilfsmittel und in ihrer Komplexi-
tät. Die Erarbeitung der bedingten Wahrscheinlichkeit kann
durch andere Kapitel, z. B. Vierfeldertafel, Stochastische
Unabhängigkeit, Komplexe Aufgaben und Zusammenfassung
(Net-Code: aab), ergänzt werden. Besonders hingewiesen sei
auf das Kapitel Vierfeldertafel und den dortigen Lehrtext, da
hier die Umformung von der Vierfeldertafel in ein Baumdia-
gramm animiert dargestellt wird (Net-Code: aaba).
Digitale Feedbackfunktionen und Werkzeuge
Eine interaktive Vierfeldertafel bzw. ein interaktives Baumdia-
gramm stellt jeweils ein zentrales Element der beiden Auf-
gaben dar (Abb. 5). Die Lernenden können ihre eingetragenen
Werte prüfen oder sich bei der Vierfeldertafel direkt die Lösung
anzeigen lassen. Solche Prüf- und Lösungsoptionen sowie vor-
gegebene Strukturen fi nden sich oftmals in den Erforschen-Auf-
trägen und Einstiegsaufgaben der Kapitel. Sobald die Lernen-
den einen ersten Zugang zum Thema und erste Kompetenzen in
der jeweiligen Thematik aufgebaut haben, können auch Auf-
gaben ohne entsprechende Hilfen oder Feedbackoptionen aus-
gewählt werden.
Neben diesen aufgabenspezifi schen Hilfsmitteln, die hier aus-
schnittsweise vorgestellt werden, können auch aufgabenunab-
hängige Werkzeuge genutzt werden. Ein Beispiel ist die
Geo Gebra-App in Abbildung 6.
In dieser kann eine Vierfeldertafel eigenständig beschriftet und
mit absoluten oder relativen Häufi gkeiten ausgefüllt werden.
Fehlende Werte und diverse Wahrscheinlichkeiten können
direkt durch die App berechnet werden. Auf Basis der Vierfel-
dertafel lassen sich die jeweiligen Baumdiagramme generie-
ren. Außerdem werden mit einem Klick auf eine Wahrschein-
lichkeit die zugehörigen Daten bzw. Informationen markiert.
Eine solche App kann direkt zu Beginn als umfangreiches Werk-
zeug, beispielsweise mit der „Morden im Norden“
-
Aufgabe,
eingeführt werden, damit die Beziehungen und der Darstel-
lungswechsel zwischen Vierfeldertafel, Baumdiagramm und
einer Wahrscheinlichkeit veranschaulicht werden. Alternativ
kann die App zu einem späteren Zeitpunkt den Lernenden prä-
sentiert werden, wenn sie bereits in der Lage sind, selbststän-
dig bedingte Wahrscheinlichkeiten zu berechnen und diese
zielgerichtet für entsprechende Anwendungen genutzt werden
kann.
5 Das Projekt KomNetMath
Das Projekt KomNetMath hat insbesondere das Ziel, einen Ver-
gleich zwischen digitalem und analogem Schulbuch zu evaluie-
ren, da es bislang noch keine gesicherten Ergebnisse gibt,
Abb. 4. Die GeoGebra-App „Sensispezibaum“ zum HIV-Heimtest im Erforschen 1 (Net-Code: aabb_index)
MNU-Journal − Ausgabe 03.2021 − 229 −
Schulpraxis Ein digitales Schulbuch
inwiefern sich die jeweilige Nutzung unterscheidet bzw. wel-
che unterschiedlichen Einfl üsse dies auf etwaige Lerneffekte
hat. Dies ist von besonderer Relevanz, da Mathematikschul-
bücher für die Unterrichtsorganisation eine übergeordnete
Bedeutung haben (FAN, ZHU, & MIAO, 2013). Somit ergibt sich als
übergeordnete Fragestellung des Projektes, wie sich Kompe-
tenzen von Lernenden durch die Nutzung eines digitalen Mathe-
matikschulbuchs im Vergleich zur Nutzung analoger Materialien
entwickeln. Zur Beantwortung dieser Fragestellung wird der
Lernzuwachs von Schüler/inne/n vor und nach einer Unter-
richtsreihe zum inhaltlichen Schwerpunkt „bedingte Wahr-
scheinlichkeiten“ gemessen (BRNIC, 2020). Die Kurse werden für
den Zeitraum dieser Unterrichtsreihe, basierend auf den Ergeb-
nissen eines Tests vor Beginn der Reihe, in zwei möglichst ver-
gleichbare Gruppen aufgeteilt. Eine Gruppe arbeitet in dieser
Unterrichtsreihe mit dem digitalen Schulbuch, die andere
Gruppe erhält eine analoge Adaption der für diese Reihe rele-
vanten Kapitel in Form eines gedruckten Hefters. Für diese
analoge Adaption wurden gedruckte Analogien der Apps, Feed-
backfunktionen und der weiteren interaktiven Elemente ent-
wickelt. Die Adaption gewährleistet, dass nicht unterschied-
liche Schulbücher miteinander verglichen werden, sondern
Abb. 5. Interaktive Vorlagen für eine Vierfeldertafel und ein Baumdiagramm (Net-Codes: aabb_erforschen2; aabb_index)
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MNU-Journal − Ausgabe 03.2021− 230 −
Schulpraxis Ein digitales Schulbuch
Effekte auf den Vergleich zwischen analogen und digitalen
Materialien rückführbar sind. Neben den vergleichbaren Mate-
rialien erhalten beide Gruppen ebenfalls gleichwertigen Unter-
richt.
Damit auch Einfl üsse des langfristigen Einsatzes eines digitalen
Schulbuchs untersucht werden können, werden darüber hinaus
Einstellungen und spezifi sche Computer-Selbstwirksamkeits-
erwartungen der Lernenden zu dem digitalen Mathematikschul-
buch im Verlauf eines Schuljahres erhoben, da sich Nutzung
und Einstellungen bzw. Selbstwirksamkeitserwartungen gegen-
seitig beeinfl ussen können (BRNIC & GREEFRATH, 2020; KARSTEN,
MITRA, & SCHMIDT, 2012). Mit Selbstwirksamkeitserwartung ist
die Überzeugung einer Person gemeint, dass sie Handlungen,
hier mit einem digitalen Schulbuch, erfolgreich ausführen
kann.
Neben der Verwendung des digitalen Mathematikbuches im
Unterricht und der empirischen Untersuchung ist die regel-
mäßige Fortbildung der unterrichtenden Lehrkräfte die dritte
wichtige Säule des Projekts. In diesem Rahmen kommen die
Expert/inn/en für das digitale Schulbuch, die unterrichtenden
Lehrkräfte und die begleitenden Fachdidaktiker/innen zusam-
men und treten gemeinsam in den Diskurs. In der Gestaltung
der Fortbildungen wird ein Schwerpunkt auf die Verknüpfung
unterrichtsrelevanter Inhalte aus dem Kernlehrplan und didak-
tischer Konzepte zum Einsatz des digitalen Mathematikschul-
buchs einschließlich der Nutzung digitaler Werkzeuge gesetzt.
6 Erste Forschungsergebnisse
Im Rahmen des Projektes konnten bereits erste Erkenntnisse
zur Nutzung des digitalen Schulbuchs und zu Auswirkungen auf
das Lernen gesammelt werden. So konnte durch die Durchfüh-
rung der Unterrichtsreihe mit dem Net-Mathebuch bereits ein
signifi kanter Kompetenzzuwachs der Schüler/innen festgestellt
werden. Insbesondere im Vergleich zur Nutzung vergleichbarer
analoger Materialien lassen sich positive Effekte durch die Auf-
bereitung des digitalen Schulbuchs feststellen, auch wenn die
Schüler/innen von der jeweils gleichen Lehrkraft unterrichtet
werden. Diese vorläufi gen Ergebnisse sollen durch die Durch-
führung der Unterrichtsreihe mit weiteren Kursen bestätigt
werden.
Es stellte sich außerdem heraus, dass positive Effekte auf
spezifi sche Computer-Selbstwirksamkeitserwartungen und Ein-
stellungen gegenüber einem digitalen Schulbuch erst durch
eine langfristige Nutzung feststellbar sind. Dies kann mit einer
Erwartungshaltung der Lernenden gegenüber einem digitalen
Schulbuch zusammenhängen, die beispielsweise durch Erfah-
rungen mit anderen digitalen Medien geprägt ist. In vergleich-
baren Studien zum Einsatz digitaler Werkzeuge zeigten sich
ähnliche Effekte (GREEFRATH, 2012; RIESS, 2018). Es ist anzuneh-
men, dass die Schüler/innen den Umgang mit einem digitalen
Schulbuch erst erlernen müssen, damit sie die Potenziale und
die bereitgestellten Werkzeuge für sich gewinnbringend einset-
zen und erkennen. Diese Prämisse kann bezüglich der Nutzung
von Potenzialen eines digitalen Schulbuchs im Mathematik-
unterricht ebenso für die Lehrkräfte gestellt werden. Hierfür
stellt die Durchführung regelmäßiger Fortbildungen eine sinn-
volle und begleitende Unterstützung dar.
In der Auswertung der Fragebögen konnte darüber hinaus fest-
gestellt werden, dass die Schüler/innen insbesondere die Feed-
backfunktionen und die Aufbereitung der Themen durch andere
Visualisierungs- und Darstellungsmöglichkeiten als Vorteile des
Net-Mathebuchs empfanden. Außerdem wurde die Zugänglich-
keit des Net-Mathebuchs von jedem Endgerät positiv hervorge-
hoben.
Abb. 6. GeoGebra-App zur Vierfeldertafel (Net-Code: q_vierfelder)
− 231 −
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MNU-Journal − Ausgabe 03.2021 − ISSN 0025-5866 − © Verlag Klaus Seeberger, Neuss
Schulpraxis
KARSTEN, R., MITRA, A., & SCHMIDT, D. (2012). Computer Self-
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MAXIM BRNIC, m.brnic@uni-muenster.de, ist wissenschaftlicher Mit-
arbeiter am Institut für Didaktik der Mathematik und der Informatik
an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Schwerpunkte
seiner Arbeit sind das Lernen mit digitalen Schulbüchern und der
Einsatz digitaler Werkzeuge im Mathematikunterricht.
Prof. Dr. GILBERT GREEFRATH, greefrath@uni-muenster.de, ist Professor
für Mathematikdidaktik mit dem Schwerpunkt Sekundarstufen an
der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Schwerpunkte
seiner Arbeit sind der Einsatz digitaler Medien und Werkzeuge
sowie mathematisches Modellieren.
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Danksagung
Wir danken der Medienberatung Düsseldorf und dem Team des
Net-Mathebuchs sowie den beteiligten Lehrkräften für die her-
vorragende Kooperation in diesem Projekt.
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