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Moderne und Postmoderne
Samuel Salzborn
Modern möchten eigentlich alle sein – denn umgangssprachlich versteht man als
modern, dass man den neuesten Trends folgt oder sich auf der Höhe der Zeit
befindet, zugleich sind die dem Antonym zugeordneten Emotionen ausgespro-
chen negativ: unmodern, das klingt antiquiert, veraltet, anpassungsunfähig. Wie
bei vielen umgangssprachlichen Adaptionen von konzeptionellen Begriffen liegt
(neben einigen Verzerrungen und Simplifizierungen) auch in dieser eine Portion
Wahrheit über das, was die Moderne ausmacht: In der Tat grenzt der Epochenbe-
griff eine historische Zeitspanne als modern von ihrer Vorgeschichte ab, die
durch nachhaltige Veränderungen und Erneuerungen im Menschen- und Gesell-
schaftsverständnis geprägt ist und zu deren elementarem Kern ein dynamisches
Moment gehört, das emotional positiv besetzt ist.
Kann man dabei wissenschaftsgeschichtlich relativ klar wesentliche histori-
sche Ereignisse und Veränderungen benennen, die für die Entstehung der Mo-
derne zentral sind, gibt es immer wieder Debatten darum, ob die Moderne bis in
die Gegenwart fortdauert, ob sie unterbrochen war oder ob sie vielleicht auch
schon von einer anderen Epoche, der sog. Postmoderne, abgelöst wurde. Liegen
am Beginn der Moderne im 17. und 18. Jahrhundert mit der Aufklärung, der In-
dustrialisierung und der Säkularisierung politische und ökonomische Transfor-
mationsprozesse, die retrospektiv den Epochenwechsel deutlich kenntlich wer-
den lassen, wurde gerade mit Blick auf die europäischen Faschismen und beson-
ders den Nationalsozialismus argumentiert, dass der „Zivilisationsbruch“
Auschwitz (Diner 1988) in der Vernichtung der europäischen Juden fundamental
alle modernen Vorstellungen von Freiheit, Gleichheit und Solidarität zerstört
hat. Aus diesem Grund kann und darf nicht bruchlos von einer sich fortsetzen-
den Modernisierung ausgegangen werden. Von anderen Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftlern wurden dann wiederum in den späten 1980er-Jahren ein-
setzende Prozesse einer „reflexiven Modernisierung“ (Beck u. a. 1996) lokali-
siert, in der man sich selbstkritisch mit den dunklen Seiten von Moderne und
Modernisierung befasst und, besonders bezüglich der neuen sozialen Bewegun-
gen die Hoffnung formuliert, dass eine andere Moderne jenseits von Zweckrati-
onalitäten und „instrumenteller Vernunft“ (Horkheimer 1947) möglich sein
könnte.
Was en détail dabei die Moderne kennzeichnet, ist Gegenstand der For-
schung und Reflexion zahlreicher wissenschaftlicher Disziplinen, zumal sich die
Modernisierungsprozesse historisch stets kulturell und temporär ungleichzeitig
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entwickelt haben (und sich auch nach wie vor entwickeln) und insofern biswei-
len im Weltmaßstab auch von mehreren, sich überlappenden und wechselseitig
beeinflussenden Modernisierungsprozessen gesprochen wird (vgl. Eisenstadt
2001; Knöbl 2007). Die fachlichen Perspektiven sind insofern ausgesprochen he-
terogen: In ihrem umfangreichen und lesenswerten Handbuch Moderneforschung
(2015) haben Friedrich Jaeger, Wolfgang Knöbl und Ute Schneider insgesamt 28
Fachperspektiven und die sich in den Fächern wandelnden Verständnisse von
„Moderne“ zusammengetragen. Dass eine dezidiert politikwissenschaftliche
Perspektive dabei fehlt, hat mit der Sache selbst zu tun und kann zur Formulie-
rung der Grundüberlegung dieses Beitrags anregen: Zum einen hat die Politik-
wissenschaft systematisierend relativ wenig zur Aufklärung über die Frage, was
die Moderne ist, beigetragen, zum anderen verdankt das Fach zugleich seinen
genuinen Gegenstand selbst dem langwierigen sozioökonomischen Transforma-
tionsprozess, der zur Entstehung der modernen Gesellschaft geführt hat. Denn
wenn man die Politik und das Politische – ungeachtet aller Kontroversen über
Detailfragen der Begriffsbestimmung – als die strukturelle Organisation von öffent-
lichen Konflikten begreift, dann sind drei Grundelemente dieses Verständnisses
überhaupt erst als Produkt der Moderne entstanden: die Idee der Notwendigkeit
einer strukturellen und damit apersonalen Organisation von Herrschaft, ein als
Öffentlichkeit zu bezeichnender gesellschaftlicher Raum und die Fokussierung
auf die Konflikthaftigkeit von Interessen.
Denn die naturwissenschaftliche Revolution des Menschen- und Naturbildes
in Verbindung mit der philosophischen Neujustierung der Rolle des Menschen
in der Welt haben die elementare Grundlage für die moderne Vorstellung des
Menschen als körperlich eigenständiges und unabhängiges Individuum sowie
den sich daraus ergebenden Anspruch, nicht Objekt, sondern Subjekt von Herr-
schaft zu sein, gelegt. Diese Erkenntnisse wurden dann durch die bürgerlichen
Revolutionen im 17. und 18. Jahrhundert in Amerika und Europa der Grundstein
für das, was aus heutiger Perspektive den Beginn der Moderne charakterisiert.
War es ein Erfolg dieser bürgerlichen Revolutionen, dass sie versprachen, den
Menschen zum Individuum und Subjekt zu emanzipieren, so war diese Emanzi-
pation nur um den Preis zu haben, dass sie die Freiheit von Zwang proklamierte,
zugleich die Freiheit von Sicherheit schaffte und damit die freien Subjekte in
eine neue Ortlosigkeit globaler Vergesellschaftungszusammenhänge warf.
Die maßgeblichen Charakteristika der Moderne sollen im Folgenden skiz-
ziert, an ihnen formulierte Kritik soll dargestellt und die postmoderne Wendung
gegen die Aufklärung rekonstruiert werden, wobei auch auf aktuelle Kontrover-
sen eingegangen wird, die entlang der Pole Universalismus vs. Partikularis-
mus/Kulturalismus geführt werden.
Moderne und Postmoderne 97
Moderne
Für die in dem Prozess der realhistorischen Entstehung der Moderne maßgebli-
che Konstituierung eines „sozialen Raumes“ (Bourdieu 1994) spielte die Heraus-
bildung einer spezifischen Vorstellung von Zeit während der Aufklärung die
zentrale Rolle. Denn die Zeit – genauer: die menschliche Herstellung einer tech-
nischen Messbarkeit der Zeit – ist die Voraussetzung für die Annahme von sozi-
alen Differenzen, die über das Konkrete, das erreichbare und wahrnehmbare
Umfeld hinausgehen. Ein Nebeneffekt der Nutzung von Zeit zur einheitlichen
Messung von Arbeitsquanta (vgl. Marx 1859: 15 ff.) war die Möglichkeit zu einem
über die konkrete Lebensumgebung der Individuen hinausgehenden räumlichen
Vergleich. Entgegen der vorkapitalistischen, religiös dominierten Zeitauffas-
sung („messianische Zeit“), in der Vergangenheit und Zukunft in einer unmit-
telbaren Gegenwart zusammenfielen, entstand im Gefolge der Aufklärung eine
Vorstellung von „homogener und leerer Zeit“ (Benjamin 1977: 258), die nicht
durch Präfiguration und Erfüllung gekennzeichnet war, sondern durch eine mit-
tels Uhr und Kalender messbare zeitliche Deckung und durch die „Vorstellung
eines sozialen Organismus, der sich bestimmbar durch eine homogene und leere
Zeit bewegt“ (Anderson 1996: 33). Die damit entstehende Vorstellung von histo-
rischer Zeit schuf die Wahrnehmung von verschiedenen Ereignissen, die zum
selben Zeitpunkt an unterschiedlichen Orten stattfinden und zwar sowohl in der
Gegenwart als auch in der Vergangenheit.
Die Notwendigkeit der einheitlichen Messung von Zeit und damit der Er-
möglichung einer Vorstellung von sozialen Orten war auch die zwingende Vo-
raussetzung für die Etablierung einer kapitalistischen anstelle einer feudalen
Produktionsweise, deren Übergang durch die zunehmende Bedeutung von
Handwerk, Handel und Manufakturen, aber auch durch die sich intensivierende
Arbeitsteilung gekennzeichnet war. Im Gegensatz zum Feudalismus, der durch
das Privateigentum an Grund und Boden und ein beschränktes Eigentum an
Menschen (Leibeigene und hörige Bauern, welche selbst durch Frondienste ei-
nen Teil des Grund und Bodens zur eigenen Bewirtschaftung überlassen beka-
men) geprägt war, strukturierte sich der Kapitalismus durch das Privateigentum
an Produktionsmitteln bei einer abstrakten Rechtsgleichheit infolge der Eman-
zipation des Bürgertums. Aus der starren Ständestruktur wurde so eine durch-
lässige Klassenstruktur, die nun ihrerseits nicht mehr durch einen politischen,
sondern durch einen ökonomischen Mechanismus reguliert wurde.
Die damit hergestellte innergesellschaftliche Mobilität, bei der nicht mehr
die Geburt über die soziale und ökonomische Stellung entschied, sondern eine
vertikale Durchlässigkeit auf der Basis von rechtlicher und politischer Gleichheit
entstand, basierte auf der Weltanschauung des Liberalismus, der die Rechts-
gleichheit als zwingende Voraussetzung für die Entfaltung individueller Freiheit
reklamierte und damit auch eine prinzipielle Partizipation derjenigen an der
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Herrschafts- und Rechtsordnung durchsetzen wollte, die diese betraf. Die Vo-
raussetzung hierfür war nicht nur eine zunehmende Alphabetisierung, sondern
mehr noch die Erfindung des Buchdrucks und die dadurch ermöglichte Verfüg-
barkeit von Wissen (vgl. Osterhammel 2009: 1105 ff.). Mit dem Beginn der Etab-
lierung von national-einheitlichen Vehikularsprachen entwickelte sich in der
Frühen Neuzeit ein politischer Raum, der kommunikative Prozesse jenseits rein
autoritativer Anweisungen nicht nur ermöglichte, sondern zugleich auch selbst
der unmittelbare sprachliche Motor für die Etablierung von demokratischen
Herrschaftsformationen in der Moderne war (vgl. Salzborn 2012). Da Herrschaft
nun eine wie auch immer geartete Legitimation durch die Beherrschten voraus-
setzte, bedurfte sie der Kommunikation in einem nicht-privaten und nicht-ge-
heimen Raum von Gesellschaft, einer „Öffentlichkeit“.
Die wesentliche Voraussetzung für Öffentlichkeit, die zugleich auch immer
wieder in kommunikativen Prozessen eingefordert wurde, war die transparente
Struktur herrschaftlicher Institutionen und herrschaftlichen Handelns inner-
halb eines Gemeinwesens, wobei der Öffentlichkeit neben dieser bilateralen
Kontrollfunktion auch die der Artikulation gesellschaftlicher Interessenplurali-
täten zukam (vgl. Habermas 1962). Aufgrund der Interessenkonkurrenzen und
der politischen Konflikte innerhalb eines Gemeinwesens begann sich Öffentlich-
keit damit als heterogener Raum zu konstituieren, in dem um die Akzeptanz von
Legitimations- und Rechtfertigungsmodellen von Herrschaft gestritten wurde,
was ihre partielle oder generelle Kritik einschloss. Bedingung wie Vorausset-
zung von Öffentlichkeit, ohne die eine Legitimationsnotwendigkeit von Herr-
schaft nicht hergestellt werden konnte (nur Phänomene, die bekannt sind, kön-
nen diskutiert und damit auch infrage gestellt werden), war die Schaffung eines
„politischen Raumes“ (Greven 1998), der den handelnden Akteuren ein hinrei-
chendes Maß an Sicherheit, zunächst und vor allem in physischer Hinsicht, er-
möglichte; einer Sicherheit, die auf einer verbindlichen Übereinkunft der Gesell-
schaft basierte: dem Vertrag.
Die Idee des Vertrages, die maßgeblich mit den Namen Thomas Hobbes
(1651), John Locke (1690) und Jean-Jacques Rousseau (1762) verbunden ist, be-
steht darin, dass ein – zunächst hypothetischer – Vertrag zwischen allen Mit-
gliedern eines Gemeinwesens zur Begründung von Herrschaftsverhältnissen
notwendig sei (vgl. Salzborn 2010). Im Unterschied zur mittelalterlichen Herr-
schaftsbegründung, bei der es nicht um die Legitimation, sondern um Herr-
schaftstechniken ging, rückte diese Vertragsidee den Menschen (wenngleich an-
fänglich nur den besitzenden Menschen männlichen Geschlechts) in den Mittel-
punkt, der als Subjekt über seine (Nicht-)Partizipation an Herrschaftsfragen und
damit zugleich seine aktive (Nicht-)Teilnahme an Herrschaftsprozessen selbst
entscheiden sollte. Herrschaft war im Sinn des Kontraktualismus nur dann legi-
tim, wenn sie auf einer gemeinsamen Übereinkunft im Sinne eines Gesellschafts-
vertrages basierte, der die Herrschenden zur Ausübung ihres Gewaltmonopols
Moderne und Postmoderne 99
ermächtigte – sei es durch einmalige Initiierung (wie bei Hobbes), durch Reprä-
sentation (wie bei Locke) oder durch Identität (wie bei Rousseau). Damit er-
schlossen die Vertragstheoretiker den politischen Raum für soziales Handeln,
dem zugleich eine (natur-)rechtliche Basis und damit eine strukturelle Ord-
nungsdimension auf allgemeiner und gleicher Grundlage gegeben wurde.
Das Moment der Gleichheit drückte sich als Forderungs- und später auch
Maßnahmenkatalog in den politischen Erklärungen der großen bürgerlichen Re-
volutionen aus und konkretisierte dabei die Forderungen nach gleichen und all-
gemeinen Menschen- und Bürgerrechten – bereits zu dieser Zeit um die erst
Jahrhunderte später verwirklichte Forderung nach Frauenrechten ergänzt (vgl.
Holland-Cunz 2003). Mit der bürgerlichen Emanzipation brachen die alten Ord-
nungs- und Herrschaftssysteme, die fast ausschließlich durch den König (oder
den hohen Adel und Klerus) symbolisiert worden waren, nach und nach zusam-
men. An ihre Stelle trat der mit einem Gewaltmonopol versehene Staat, der die
altständische Ordnung der Häuser als weitgehend autarker Lebenswelt einer Fa-
milie einschließlich ihrer Diener und Sklaven (vgl. Otis-Cour 2000: 25) und ihrer
hierarchischen Dienst- und Schutzbeziehungen ohne einheitliche Generalnor-
mierung ablöste. Der Staat zeichnete sich durch eine monopolisierte, zuneh-
mend auch legitime physische Gewaltsamkeit (Weber 1921, 1966) als rationale,
aufgeklärte Grundlage aus, mit einem bürokratischen Staatsapparat und einer
abstrakten und allgemeinen Normenordnung, die ihrerseits wiederum d en Mög-
lichkeitsraum für die Entstehung moderner Gesellschaften als soziale Ordnun-
gen bot.
Einmal in den Stand der Erkenntnisfähigkeit seiner eigenen Subjektfähigkeit
versetzt, war der Mensch als Gattungswesen nicht mehr dazu in der Lage, seine
eigene Unfreiheit gedanklich zu akzeptieren. Mit diesem Erkenntnisvollzug war
aber, als er einmal gedacht war, auch eine Umkehrung verbunden, die Max
Horkheimer und Theodor W. Adorno (1947) die Dialektik der Aufklärung genannt
haben. Der Glaube an Gott wurde im Prozess der Aufklärung von einem Glauben
an Natur und Technik substituiert, demzufolge nun allenthalben natürliche
Kräfte zu wirken schienen, wo faktisch gesellschaftliche und kulturelle Phäno-
mene dominierten. Dieser Aberglaube an die Natur hat ideengeschichtlich auch
eine menschliche Phantasie bestärkt, die zumindest die monotheistischen Reli-
gionen stets minimiert hatten: den Wunsch nach menschlicher Allmacht, nach
vollständiger Natur- und Technikbeherrschung, nach Kontrolle von Leben und
Sterben, nach Überwachung von Abweichung, nach narzisstisch ungezügelter
Größe und Stärke. Die Kehrseite eines Postulats der Infragestellung von Religion
war somit ein neuer Glaube: der an Natur und Technik. So hat sich im Gefolge
der Aufklärung ein neuer Götzenglaube entwickelt, der nichts war als ein Glaube
an sich selbst – und dabei zu unterscheiden von einem selbstbewussten Wissen
um eigene Stärken, das auch die eigenen Schwächen akzeptieren würde. Im
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Zentrum steht die mangelnde Einsicht, nicht Gott sein zu können, wie Béla Grun-
berger und Pierre Dessuant (1997) es ausgedrückt haben, sich mit der eigenen
Bedeutungslosigkeit und Sterblichkeit nicht abfinden zu können.
Die politische Theorie hat den Prozess der Entstehung der Moderne nicht
nur deskriptiv-beschreibend erfasst, sondern durch aktive Intervention in die
Debatten des 17. und 18. Jahrhunderts wesentlich gestaltet und geprägt: Die ge-
samte Philosophie der Aufklärung, die Debatte über Menschen- und Bürger-
rechte, über die Gleichheitsansprüche der Geschlechter, die Teilung von politi-
schen Gewalten, über Repräsentation und/oder Identität von Herrschaft, die Re-
gulierung und Reglementierung von politischer Macht, ja auch die von (Nicht-)
Verfügbarkeit von Körperlichkeit sind Debatten, die die Moderne intellektuell
prägen, aber zugleich ihre materiellen Grundlagen ausmachen. Neben diesen in-
haltlichen und konzeptionellen Dimensionen gibt es aber auch ein methodolo-
gisches Axiom der Moderne: ihren Wahrheitsanspruch – der als unhintergehba-
rer Anspruch meint, dass es nicht-diskursive Wahrheit gibt, ohne zu unterstel-
len, sie auch zu (er)kennen.
Aber auch die Kehrseiten der Emanzipation sind Teil dieser Realität: Die Phi-
losophie der Aufklärung war zwar dabei, sich vom geistesgeschichtlichen Ballast
der religiösen Begründung von Politik zu befreien. Diese Emanzipation war aber
mit dem Preis verbunden, den Glauben an Gott durch den Glauben an die Natur
(-wissenschaften) zu ersetzen, also den Menschen als neues Gott-Imago zu in-
thronisieren. So liegt in der halbierten Aufklärung, die deutlich mehr als die
Hälfte der Menschheit von ihrem Freiheits- und Gleichheitsversprechen aus-
schloss, ein Teil der historischen Wahrheit, die die Ambivalenz der Moderne be-
gründet. Die Ausprägung und Fortentwicklung der modernen (Natur-)Wissen-
schaften war auch mit der Fundierung von Ordnungssystemen ethnologischen
und rassistischen Zuschnitts verknüpft. Denn während das Gleichheitspostulat
mit universellem Anspruch formuliert worden war, „wurden auf der ideologi-
schen Ebene gleichzeitig auch Argumentationsmuster entwickelt, die der Legi-
timation von Ungleichheit dienten.“ (Hentges 1999: 281) Diese Ungleichheits-
muster beinhalteten im Denken der Aufklärung den systematischen Ausschluss
von Frauen aus dem Freiheits- und Gleichheitspostulat und das Festhalten an
der Sklaverei, aber auch Rassismus und Antisemitismus (vgl. hierzu ausführlich
Salzborn 2017: 78 ff. und 81 ff.).
Postmoderne
In einer Systematisierung postmoderner Theoriekonzepte hat Peter Dews (2010:
344 f.; Herv. im Orig.) drei zentrale Kernanliegen herausgearbeitet, die die wich-
tigsten Aspekte der postmodernen Theoriebildung zusammenfassen:
Moderne und Postmoderne 101
1. „Anti-foundationalism: a conviction that moral norms and political principles
cannot be given an ultimate metaphysical grounding, and that all
knowledge claims are relative to linguistic, social and historical contexts.
2. The critique of the ‘subject’: a rejection of the notion that human beings can be
essentially defined as rational, reflective subjects of experience and as con-
sciously self-determining agents or initiators of action, a notion assumed to
be central to the modern philosophical tradition. According to postmodern
theorists, due attention paid to issues of culture, gender and race, and to the
vulnerable corporeality of human beings, will lead us to view subjectivity as
divided, internally conflictual, and shaped by the opaque workings of un-
conscious desire.
3. Acknowledge of difference, and the claims of the ‘Other’: a conviction that univer-
salistic moral and political discourses inevitably rides roughshod over cul-
tural, ethnic, gender and other differences between human beings, exclu-
ding or marginalising subordinate groups and dissident voices. From this
perspective, Enlightenment rationalism and universalism appear as a meta-
physically disguised Eurocentrism. Indeed, according to many postmodern
thinkers, the exclusion of ‘alterity’ may be built into the basic structures of
the Western conception of reason as such.“
Der erste Punkt betrifft den in der postmodernen Theoriebildung von Beginn an
formulierten Skeptizismus gegenüber einem Wahrheitsanspruch: Dieser wird
auf zahlreichen Ebenen abgelehnt und in Frage gestellt, dass es so etwas wie eine
objektive politische, soziale oder gesellschaftliche Realität überhaupt gibt. Post-
moderne Theorie rückt insofern nicht die Frage in den Mittelpunkt, was ist, son-
dern die, wie es wahrgenommen und gedeutet wird. Daran schließt die Infrage-
stellung des modernen Subjektbegriffs an. Der Mensch wird nicht als tatsächlich
freies und emanzipationsfähiges Wesen begriffen, das sich auf rationaler Ebene
in die Lage versetzen kann, selbstkritisch und reflektiert seine sozialen und po-
litischen Rollen einzunehmen. Er wird im Gegenteil in einem tendenziell kollek-
tivistischen Verständnis lediglich als in diesen Rollen gefangen gedeutet, die im
postmodernen Sinn letztlich unentrinnbar sind. Diese Rollen sind insofern, so
paradox es klingt, die geheime Wahrheit postmoderner Weltbilder, die man aber
als solche ungern einräumt. Aus dieser Haltung folgt schließlich eine Ablehnung
von Rationalität und Vernunft, die in eine gänzlich andere Richtung zielt als bei-
spielsweise die psychoanalytische Kritik (die nicht die bewusste Rationalität in
Frage, sondern ihr lediglich die unbewusste Irrationalität als methodologisches
Instrumentarium an die Seite stellen wollte). Denn in postmodernen Weltbil-
dern wird die Gültigkeit von Vernunft- und Rationalitätsansprüchen weitge-
hend abgelehnt und stattdessen proklamiert, dass unterschiedliche Weltbilder
mit ähnlichem Geltungsanspruch nebeneinander koexistierten.
Mit diesen Grundlegungen, die sich in der Geschichte postmoderner Theo-
riebildung nach und nach entwickelt haben (waren die beiden ersten Aspekte
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vor allem in Theorien des Strukturalismus, Poststrukturalismus und Konstruk-
tivismus formuliert worden, findet sich der dritte Aspekt vor allem in postkolo-
nialen und antirassistischen Ansätzen), trifft das postmoderne Postulat in jün-
gerer Vergangenheit auf soziale Realitäten, die ihm entgegenkommen: Soziolo-
gische Gegenwartsdiagnosen jüngeren Datums betonen einen gesellschaftlichen
Trend zu hedonistischen Selbstverwirklichungskonzepten, zur radikalen Indivi-
dualisierung und damit zum Tanz um das goldene Selbst. Die Optimierung eige-
ner Potenziale und Möglichkeiten, die Verwirklichung eigener Träume und
Wünsche scheint höchst attraktiv zu sein. Dieser Trend kann dabei als Ausdruck
wie Ergebnis einer theoretischen Diskussion gedeutet werden, die ihren Höhe-
punkt in den 1990er-Jahren hatte und damit bereits intellektuell antizipierte,
was heute gesellschaftlich wahrnehmbar ist: die postmoderne Abwendung von
der modernen Gesellschaft, die nun gerade die negative Kehrseite der Moderne
der menschlichen Selbstüberhöhung und radikalen Selbstvergötterung positiv
adaptiert.
Bezüglich der postmodernen Theoriekonzepte ist festzuhalten, dass die his-
torische Epoche der Moderne nach wie vor nicht zu Ende ist und die Idee der
Postmoderne lediglich eine Variante antimoderner Rebellionen darstellt, die
ungeachtet der materiellen (Re-)Produktionsverhältnisse dennoch verändernd
auf die soziale Realität einwirkt, eben gerade weil sich die materiellen Bedingun-
gen, die die Moderne kennzeichnen, nicht grundsätzlich verändert haben. Ironi-
scherweise bestätigt damit die postmoderne Ideologie sogar ihren intellektuel-
len Wesenskern: Postmoderne Theoriekonzepte streiten nicht um Wahrheit im
Sinne einer tatsächlichen gesellschaftlichen Realität, sondern um scheinbar
gleichrangige Deutungen im Diskurs, denen jeder Wirklichkeits- und Wahrheits-
bezug fehlen kann. Die Postmoderne ist insofern eine geistesgeschichtliche Strö-
mung, die für einen spezifischen „Paradigmenwechsel“ (Kuhn 1962) kämpft, der
sich gegen die moderne Wirklichkeit richtet und dabei den Versuch unter-
nimmt, die Paradigmen der Aufklärung dadurch in Frage zu stellen, dass ihre
universalistische Allgemeingültigkeit im Diskurs in Abrede gestellt (im postmo-
dernen Jargon würde es heißen: „dekonstruiert“) wird. Oder, wie Henning Ott-
mann (2012: 254) es kurz und bündig zusammengefasst hat: „Wenn alles gleich
gültig ist, kann einem auch alles gleichgültig sein.“ Die postmoderne Ideologie
opponiert gegen die Schlüsselüberzeugungen der modernen Welt, die mit ihren
Idealen von Freiheit, Gleichheit und Solidarität auf der normativen Ebene immer
um die Idee der außerakademischen Wahrheit kreisen. Dass es auf der materiel-
len Ebene der sozioökonomischen Struktur keine Postmoderne gibt, ist letztend-
lich paradoxerweise genau das, was die postmoderne Ideologie mit ihrem in den
Diskurs aufgelösten und damit verleugneten Wahrheitsanspruch selbst auch
proklamiert.
Für sich genommen kann jede der in dem Zitat von Peter Dews (2010: 344 f.)
benannten Dimensionen auch berechtigte Elemente der Kritik an moderner Ver-
gesellschaftung enthalten. Es ist aber gerade die methodologische Integration
Moderne und Postmoderne 103
dieser Dimensionen, die dazu führt, dass diese Ambivalenzen im postmodernen
Weltbild nicht verarbeitet werden können und deshalb in Gänze verworfen wer-
den müssen. Denn Aufklärung und Modernisierung werden nicht als verkürzt,
halbiert oder ambivalent wahrgenommen (womit die aufgeklärte Emanzipa-
tionsidee des Menschen zum Individuum und Subjekt als richtig begriffen
würde). Die postmoderne Ideologie ist in dieser Hinsicht selbst letztlich ein deut-
licher Ausdruck der in der Moderne unvermeidbaren Zerrissenheit, die postmo-
dern, d. h. regressiv kompensiert werden soll. Denn es geht in der postmodernen
Sehnsucht als „antirationalistische Revolte“ (von Beyme 1991: 161) um eine Kri-
tik an der Moderne, bei der sich Struktur und Individuum wechselseitig entlas-
ten, sodass am Ende überhaupt niemand oder etwas mehr verantwortlich ist und
Geschichte wie Gesellschaft in Beliebigkeit aufgelöst sind. Auf der einen Seite ist
es die Struktur der modernen Gesellschaft, innerhalb derer Prozesse scheinbar
jenseits individueller Verantwortlichkeiten ablaufen, auf der anderen Seite ist
es der quasi automatisch funktionierende Einzelne, der weder als Individuum
noch als Subjekt verstanden werden kann und im postmodernen Jargon der Ge-
genwart oft zur „Person“ entmenschlicht wird.
Die wichtigen Vordenker der Postmodernismus-Idee wie Jean Baudrillard,
Zygmunt Bauman, Gilles Deleuze, Jacques Derrida, Michel Foucault oder Jean-
François Lyotard kritisierten, dass das Paradigma der Moderne als Leitidee einen
gewichtigen Teil der Menschheit von ihren eigenen Versprechen ausschloss und
insofern diese vielfältigen Realitätswahrnehmungen notwendig zum Sprechen
gebracht werden müssten (vgl. Welsch 1988; Zima 2016). Mit dieser zunächst
richtigen Kritik warf die postmoderne Ideologie aber zugleich auch den univer-
salistischen Anspruch von Aufklärung und Moderne über Bord – fast so, als hät-
ten die postmodernen Denkerinnen und Denker die Ambivalenz des die Aufklä-
rung grundierenden Liberalismus nicht verstehen wollen, dass der politische Li-
beralismus Garant für Freiheit und Emanzipation sein kann, der ökonomische
Liberalismus stets Ungleichheiten und Ausbeutungsverhältnisse generiert und
reproduziert.
In diesem unverstandenen Widerspruch liegt der intellektuelle Nukleus des
Postmodernismus: die liberale Weltordnung in ihrer Einheit von (politischer)
Freiheit und (ökonomischer) Unfreiheit zu begreifen. Mit Blick auf das Zeitalter
des Kolonialismus und Imperialismus fehlte es dem postmodernen Ansatz an
Differenzierungsvermögen – nicht zu verstehen, dass die Ambivalenzen der Auf-
klärung nicht dazu führen müssen, diese sui generis zu verteufeln, sondern die
Moderne als prozedual unabgeschlossen zu begreifen, ohne dabei in radikalen
Kulturalismus zu verfallen: denn man kann sowohl die brutalen Praktiken des
Kolonialismus kritisieren und trotzdem gleichzeitig betonen, dass eine regres-
sive Gemeinschaftsstruktur, wie sie nicht selten die Opfer des Kolonialismus ver-
folgten, keine Alternative zur Aufklärung sein kann. Der Postmodernismus
104 Samuel Salzborn
stellte nun aber den regressiven Rekurs auf kulturalistische Identitätskonzepti-
onen in den Mittelpunkt und meinte, die Dialektik der Aufklärung auflösen zu
können, indem er sie gänzlich verwarf.
Die postmoderne Idee wurde damit satisfaktionsfähig, dass alle Haltungen
zur Welt gleichermaßen zu respektieren seien, dass es keine Wahrheit gebe, son-
dern nur die Konstruktion von differenten Wahrheitsvorstellungen im Diskurs,
in dem machtbezogene Sprecherpositionen darüber entschieden, was sich
durchsetze, und zugleich das Subalterne stets zu bevorzugen sei, nur weil es sub-
altern ist – ganz gleich, wie regressiv oder repressiv die Subalterne auch sein
mag. Dieser Kulturrelativismus ist der Kern postmodernen Denkens, das für sich
in Anspruch nimmt, am Ende der postulierten Ablehnung von Wahrheit als ein-
ziges überhaupt darüber entscheiden zu dürfen, was wahr ist. Hatte Jean-
François Lyotard in La condition postmoderne (1979) zwar proklamiert, dass alle
großen Erzählungen an Bedeutung und Plausibilität verloren hätten, so ist, wie Jo-
chen Hörisch (2010: 259) zurecht einwendet, eben die Erzählung der Postmo-
derne „selbst geradezu der Prototyp einer solchen großen Erzählung“.
Unter dem Banner, die Verdammten dieser Erde (Fanon 1994) zu repräsentie-
ren und mit dem methodologischen Trick, diejenigen Positionen, die man selbst
vertritt, stets als marginalisiert zu hypostasieren, gelingt es den Postmodernis-
ten, Ideen fundamentaler Ungleichheit, wie sie in kulturalistischen Ansätzen ge-
nerell verfochten werden, eine zunehmende Repräsentanz zu verschaffen (was
nicht zwingend für den postmodernen Architekturbetrieb gilt, vgl. Welsch 2008:
87 ff.). Aus (unterstellten) Asymmetrien von Macht formt der Postmodernismus
Akzeptanz für kulturalistische und oftmals gegenaufklärerische Konzeptionen,
die dem Menschen absprechen, Individuum und/oder Subjekt zu sein und sich
(wieder) dem Diktat von subkulturellen Hegemonien unterwerfen zu sollen.
Damit ist der emanzipatorische Anspruch, den man bei den Begründern
postmoderner Modernekritik durchaus noch sehen konnte, in sein Gegenteil
umgeschlagen, die Kritik an fehlender Repräsentanz des Anderen in eine blinde
Affirmation von kultureller Differenz, die den politischen und sozialen Pluralis-
mus von Interessen auflöst in die gleichgültige Affirmation von Diversität. Die
postmodernen Theorien erleben insofern gegenwärtig ihre Renaissance in einer
Vielzahl von antiuniversalistischen Ansätzen, die partikularistisch und kultura-
listisch argumentieren. Diese agieren von der generellen Annahme kultureller
Eigenart aus, bei der real bestehende, aber eben sozial und historisch begründ-
bare und damit auch revidierbare Differenzen naturalisiert, entsozialisiert und
kollektiviert werden, sodass ein postmodernes Konstrukt von kollektiver Diffe-
renz auf allen gesellschaftlichen Ebenen manifestiert wird. Die als unabänder-
lich konstruierte kulturelle Differenz bildet dann den Legitimationsrahmen, in
den potenzielle Differenzen aus allen gesellschaftlichen Bereichen integriert
werden können, um sie zu naturalisieren und das „Verschwinden des Sozialen“
(Kaschuba 1995: 27) im gesellschaftlichen Diskurs durch ein kollektivistisch-ho-
mogenes Weltbild zu kompensieren.
Moderne und Postmoderne 105
Fazit
Moderne und Postmoderne liegen erkenntnistheoretisch auf unterschiedlichen
Ebenen: Während die Moderne wissenschaftsgeschichtlich unbestritten eine
historische Epoche ist, deren Beginn sie von vorherigen Epochen durch mar-
kante gesellschaftliche, politische und ökonomische Veränderungen abgrenzt,
stellt die Postmoderne keine reale historische Epoche dar, sondern firmiert als
Oberbegriff für sozial- und kulturwissenschaftliche Theorien, die die Errungen-
schaften der Moderne und ihre Zentralkategorien Freiheit, Gleichheit und Soli-
darität in Frage stellen und antiuniversalistisch relativieren wollen. Dabei ist im
postmodernen Diskurs aus einer zunächst durchaus berechtigten Kritik an den
uneingelösten Versprechen der Moderne, von denen ein Großteil der Mensch-
heit ausgeschlossen war, eine repressive Hinwendung zu kulturalistischer Iden-
titätspolitik geworden, an deren Ende nicht der Mangel an Freiheit, sondern die
Idee der Freiheit als solche bekämpft wird.
Bezogen auf den politischen Background haben sich dabei aus einer theore-
tischen Bewegung, die der politischen Linken zuzurechnen war, heute Allianzen
von postmodernen Überzeugungen entlang von Vorstellungen von homogener
und repressiver Kollektividentität gebildet. Dabei sind die Positionen, wie sie in
rechtsextremen Gruppierungen wie den Identitären vertreten werden, inhaltlich
nicht mehr unterscheidbar von denen, wie sie etwa im Spektrum der sog. critical
whiteness formuliert werden: Die moralische Bewertung des als „gut“ etikettier-
ten differiert, die antiuniversalistische Ablehnung von Individualität und Sub-
jektivität verbindet beide zugleich elementar. Wesentlich an dieser Wendung ist
letztlich der postmoderne Abschied von der in den modernen, bürgerlichen Re-
volutionen errungenen Vorstellung des Menschen als körperlich individuelles
Subjekt, das aus seiner Eigenständigkeit und der Potenzialität zu aufgeklärter
Mündigkeit den Anspruch ableitet, sozial und politisch zu partizipieren. Gegen
diese aufgeklärte Vorstellung stellen postmoderne Ansätze die regressive Wen-
dung zu vermeintlich authentischen Kollektiven, die über den repressiven
Zwang zur Unterordnung unter die Kategorien race, class, gender gegen den Wil-
len des Individuums durchgesetzt werden sollen.
Für die Vertiefung der Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Mo-
derne und Postmoderne seien vor diesem Hintergrund drei Aspekte besonders
empfohlen:
1. Um die theoretischen Beziehungen, gerade mit Blick auf die markanten Dif-
ferenzen von moderner und postmoderner politischer Theorie, herauszuar-
beiten, bietet es sich an, die Bedeutung der modernen Vorstellungen von
Individualität und Subjektivität in Bezug auf andere politiktheoretische
Schlüsselkategorien zu diskutieren und sie mit den postmodernen Konzep-
ten zu vergleichen.
106 Samuel Salzborn
2. Da eine der zentralen erkenntnistheoretischen Differenzen zwischen mo-
dernen und postmodernen Ansätzen in der Annahme und Anerkennung ei-
ner außerakademischen Wahrheit besteht, eignet sich auch dieses Themen-
feld, um unter Bezugnahme auf unterschiedliche Fallbeispiele die daraus re-
sultierenden praktischen Konsequenzen zu diskutieren.
3. Schließlich lässt sich der Blick lenken auf das theoriengeschichtliche Fak-
tum, dass die postmoderne Theorie in ihren Anfängen das selbstkritische
Potenzial der Moderne herausgefordert hat, dann aber in eine theoretische
Ablehnung zahlreicher moderner Grundüberzeugungen (Freiheit, Gleich-
heit, Solidarität) umgeschlagen ist, was die Frage danach aufwirft, ob paral-
lele Entwicklungen in anderen theoretischen Strömungen bestehen, für die
Ähnliches zu konstatieren ist.
Lektüreempfehlung
Jaeger, Friedrich/Knöbl, Wolfgang/Schneider, Ute (Hrsg.) (2015): Handbuch Moderneforschung,
Stuttgart.
Der Band stellt die interdisziplinären Grundlagen d er Moderneforschung systematisch vor. Dabei werden
fachliche Kontroversen diskutiert und Schlüsselfragen der politischen Moderne erörtert.
Salzborn, Samuel (2013): Sozialwissenschaften zur Einführung, Hamburg.
Hier werden die großen wissenschaftstheoretischen Debatten dargestellt, alle wesentlichen Schulen der
Sozialwissenschaften präsentiert und entlang von Schlüsselbegriffen die zentralen Differenzen der Sozial-
wissenschaften diskutiert.
Zima, Peter V. (2016): Moderne/Postmoderne. Gesellschaft, Philosophie, Literatur, 4. korr. Aufl., Tü-
bingen.
Das Bu ch stellt d ie Entwic klungen der Modernef orschung u nd untersc hiedlich e postmode rne Ansätz e vor.
Literatur
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Welsch, Wolfgang (2008): Unsere postmoderne Welt, 7. Aufl., Berlin.
erschienen in:
Gisela Riescher/Beate Rosenzweig/Anna Meine (Hg.):
Einführung in die Politische Theorie. Grundlagen – Methoden – Debatten
Stuttgart: Kohlhammer Verlag 2020