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Digitale Transformation –
Mindset vor Skill- und Toolset
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Schlüsselwörter: Digitale Transformation, Mindset, New
Work, Skillset, Toolset, Change, agil, Social Learning
Kurzfassung: Woran liegt es das, Change-Management Pro-
jekte scheitern und ehemals erfolgreiche Unternehmen Prob-
leme haben, mit den Veränderungen Schritt zu halten? Zu oft
wird noch an alten Planungsprozessen festgehalten, die zu
starr und zu unflexibel sind für die neue agile Welt. Statt zu
versuchen allein durch die Einführung neuer Tools und die
Vermittlung neuer Skills wettbewerbsfähig zu bleiben, sollte
verstärkt das „Warum“ vermittelt werden. Erst wenn sich das
Mindset der Mitarbeiter verändert, wird der Wandel gelingen.
Mitarbeiter, die bisher nur das umgesetzt haben, was ihnen
gesagt wurde, fangen an mitzudenken und mitzugestalten.
Das funktioniert nicht von heute auf morgen, sondern braucht
Zeit. Zusätzlich müssen Strukturen geschaffen werden, in de-
nen das neue Mindset wirksam werden kann. Im folgenden
Beitrag wird aufgezeigt, warum die digitale Transformation
Organisationen dazu zwingt, neue Wege einzuschlagen.
Moritz Meißner
Ehemaliger Fachbereichsleiter Digi-
tal Learning und stellvertretender Lei-
ter Akademie VINCI Energies
Deutschland
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HR Consulting Review - Band 11 - Jahr 2020 - ISSN: 2196-0232
Was passiert aktuell?
Aktuelle Forschungsergebnisse und Entwicklungen ermögli-
chen neue Prozesse, Produkte und Geschäftsmodelle. Din-
ge, die bisher undenkbar oder nur mit gewaltigem Aufwand
umsetzbar waren, lassen sich heute von einem normalen Bü-
roarbeitsplatz, der Garage oder dem Kinderzimmer realisie-
ren und skalieren. Oft mit überschaubaren materiellen und
finanziellen Ressourcen. Viele Informationen, Datensätze
und Code-Bibliotheken stehen jedem kostenlos zur Verfü-
gung. Man muss nur zugreifen und nicht selten reicht es Best-
ehendes zu verknüpfen. Genau so sind viele der innovativs-
ten Produkte, Anwendungen und Systeme entstanden: Uber
und Airbnb beispielsweise setzen sich überwiegend aus bes-
tehenden digitalen Komponenten zusammen (Baldwin,
2019).
Heute leben wir in Zeiten von Machine, Platform und Crowd
(McAfee & Brynjolfsson, 2017). Das führt immer häufiger da-
zu, dass alte, bisher erfolgreiche Geschäftsmodelle in Frage
gestellt werden. Schnellere Entscheidungswege, agile Pro-
jektsteuerung und neue Heuristiken werden immer wichtiger.
Im Zuge dieser Entwicklungen fallen immer wieder die Begrif-
fe Mindset, Skillset und Toolset. Was bedeuten sie eigentlich
und warum sollte man sich mit Ihnen beschäftigen? Das Mind-
set ist die Einstellung und Denkweise mit denen Menschen
ihr Leben bewältigen. Dazu gehört auch, wie man Neuem ge-
genüber eingestellt ist und ob man sich zutraut Neues zu ler-
nen und mit bisher unbekannten Themen zu beschäftigen.
Demgegenüber sind Skill- und Toolsets die Fähigkeiten und
Werkzeuge, die für die Lösung von Herausforderungen dem
Einzelnen zur Verfügung stehen. In Organisationen, die Ver-
änderungen angehen, stehen meistens das Skill- und Toolset
im Mittelpunkt, während der “weiche“ Faktor Mindset entwe-
der keine oder in der Ressourcenallokation von Change Ma-
nagement-Projekten nur eine untergeordnete Rolle spielt.
Während früher das Anhäufen von Skills und Tools ausge-
reicht hat, um erfolgreich zu sein, ändern sich die Zeiten dra-
matisch. Viele ehemals geschützte Arbeitsplätze im Dienst-
leistungssektor sind es heute schon nicht mehr und weitere
grundlegende Veränderungen stehen an. Der Ratschlag, ein-
fach mehr Kompetenzen zu erwerben, in Form neuer Skills
und Tools, reicht nicht mehr (Baldwin, 2019). Was auch im-
mer die digitale Transformation für den Einzelnen, die Organi-
sation oder Gesellschaft bedeuten mag, eine Frage sollte
sich jeder einzelne stellen:
„Sind wir kompetent genug für die Anforderungen einer digita-
len Arbeitswelt?“ (Nachtwei, Meißner & Postler, 2019, S. 60)
Warum funktioniert vieles nicht mehr wie früher?
Heute reicht es nicht mehr aus, sich auf ein Thema zu fokus-
sieren, es zu beherrschen und immer weiter zu perfektionie-
ren. Stattdessen geht es immer mehr um die flexible Verknüp-
fung bestehenden Wissens sowie von Fähigkeiten und Werk-
zeugen untereinander, bei gleichzeitigem Einweben neuer
Technologien. Das funktioniert nur selten mit langen Entschei-
dungs- und Planungsprozessen, sondern mit einer neuen Art
zu denken. Es wird immer wichtiger seine Gedanken zu tei-
len und seine Idee in kleinen Schritten zu optimieren. Und
zwar solange, bis etwas entstanden ist, das tatsächlich Nut-
zen stiftet und sich nicht nach langer Entwicklungszeit und
hohen Kosten als Fehlinvestition herausstellt. Das ist die
Neue Art zu arbeiten. Es werden Fehler gemacht. Sogar ziem-
lich viele Fehler. Zum Glück jedoch früh genug, um daraus zu
lernen. Vorausgesetzt die handelnden Akteure gehen offen
damit um - ohne Rücksicht auf das eigene Ego.
!
Damit tun sich einige schwer. Es gibt Führungskräfte, die ha-
ben Angst davor, dass sie ohne Wissensvorsprung ihre Da-
seinsberechtigung verlieren. Oder sie befürchten sich eine
Blöße zu geben, wenn sie eingestehen etwas nicht zu wis-
sen. Gleichzeitig merken sie, dass es immer schwerer wird,
ihren Mitarbeitern Wissen vorzuenthalten und ihre Unkennt-
nis zu kaschieren. Denn immer mehr Menschen arbeiten
transparent und nehmen Ansagen nicht mehr als gottgege-
ben hin, sondern prüfen nach und recherchieren. Dank ihres
Smartphones und leistungsfähiger Suchmaschinen kann je-
derzeit und just in time ein Reality Check durchgeführt wer-
den. Die Hierarchie wird immer weiter vom Digitalen untergra-
ben. Das ist einer der Gründe, weshalb alte Unternehmen mit
der digitalen Transformation überfordert sind (De Clercq,
2018).
Alte Denk- und Arbeitsweisen vermitteln ein trügerisches Ge-
fühl von Sicherheit, denn alles wird kontrolliert und bis ins
kleinste Detail geplant. Nur leider entfalten die Wenigsten ihr
volles Potential in Umgebungen, in denen nicht vertraut wird
und jeder Versuch neue Wege zu gehen vielleicht der letzte
war. Planen ist wichtig und bleibt wichtig. Allerdings in kurzen
und flexiblen Intervallen. In komplexen Arbeitsrealitäten muss
man schnell planen und die Pläne bei Bedarf ebenso schnell
wieder anpassen. Selbst der schönste bis ins Detail ausgear-
beitete Plan ist wertlos, wenn sich die Rahmenparameter in
der Zwischenzeit geändert haben. Gefährlich wird es dann,
wenn starr an Entscheidungen festgehalten wird. Trotzdem
ist dieses Verhalten nachvollziehbar. Schließlich hat es lange
gedauert, bis die Geschäftsführung den Plan abgesegnet hat.
Eine Planänderung wäre ein Schuldeingeständnis und zusätz-
lich müsste sie erneut begründet, diskutiert und genehmigt
werden.
!
Die neue Art zu Arbeiten ist nicht neu. Selbst vor dem Be-
griffsschöpfer von New Work Fritjof Bergmann (1977) gab es
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Ansätze, die im Wesentlichen das Gleiche meinten. Diejeni-
gen, die sich schon früher an den Prinzipen des neuen Arbei-
tens ausgerichtet haben, waren damit erfolgreich. Der ent-
scheidende Unterschied ist jedoch, dass die alte Art zu arbei-
ten bis vor kurzem noch funktioniert hat. Das gelingt jetzt im-
mer seltener. Und das tut vielen Führungskräften weh. Denn
sie sind heute im Top-Management, weil sie mit der alten Art
zu arbeiten sozialisiert wurden und ihre Erfolge darauf zurück-
führen.
Die Denkmuster der alten Art des Arbeitens haben sich ver-
festigt. Wie neuronale Autobahnen auf denen wir mit Autopilo-
ten fahren. Bei der neuen Art gleicht die neuronale Struktur
oft noch einem unbefestigten Dschungelpfad. Hier funktio-
niert nichts automatisch und ein Schritt muss vor den ande-
ren gesetzt werden. Das fühlt sich schwerfällig an und viele,
die den Pfad einschlagen, wünschen sich ihre Autobahn zu-
rück.
“Once we have made up our minds about an issue, stub-
born!consistency is a very appealing luxury: we really!don't
have to think hard about the issue anymore.”!(Cialdini 2006,
S.60)
Heute sollten wir viel häufiger auf Sicht fliegen: Ziele und Mei-
lensteine definieren und den Kurs trotzdem permanent kon-
trollieren - falls nötig korrigieren. Der Autopilot kann auch
funktionieren. Versagt er, war es wahrscheinlich der letzte
Flug. Komplexe Probleme können nicht mit Methoden gelöst
werden, die für einfache oder komplizierte Probleme entwi-
ckelt wurden. Das stellen Snowden und Boone (2007) sehr
anschaulich mit ihrem Cynefin-Framework dar.
Warum Mindset vor Skillset und Toolset?
Das Scheitern ist bereits vorprogrammiert, wenn versucht
wird, Mitarbeitern Skills oder Tools zu vermitteln, ohne deren
konkreten Mehrwert für den Einzelnen zu kommunizieren.
Häufig wird einfach von oben bestimmt, was eingeführt wer-
den soll und welche Schulungen dafür benötigt werden. Oder
es wird sehr abstrakt auf Vorteile für das Unternehmen hinge-
wiesen. Das reicht nicht aus. In auf Effizienz getrimmten
Strukturen sind Mitarbeiter mit ihren alltäglichen Anforderun-
gen nicht selten an den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit an-
gekommen. Und wenn nicht, empfinden es zu mindestens
viele so. Erschwerend ist es zudem, wenn es in der Vergan-
genheit bereits Change-Programme gab, die ohne Abschluss
wieder eingestellt worden sind und diejenigen Mitarbeiter be-
lohnt wurden, die einfach so weiter gemacht haben wie bis-
her.
Themen, die heute vermittelt werden, schüren auch Ängste.
Neue Skills und Tools stellen häufig auf eine neue Art zu ar-
beiten ab, die von Zusammenarbeit und Transparenz geprägt
ist. Fehlt das Warum und/ oder das Vertrauen zu den Vorge-
setzten, reagieren Mitarbeiter mit aktivem oder passivem Wi-
derstand und stellen sich die folgenden Fragen: Werden mei-
ne Fehler jetzt transparent? Möchte mein Vorgesetzter mich
stärker kontrollieren? Wird mein Arbeitsplatz wegrationali-
siert? Erhöhen Führungskräfte jetzt den Druck, wird es nicht
besser. Im Gegenteil; der Widerstand nimmt zu.
Forcing change while ignoring the persons’ intentions will on-
ly lead to an intense reaction.!(Kishimi & Koga, 2019, S. 123)
Im ersten Schritt geht es deshalb darum zu überzeugen und
das Feld zu bestellen, auf dem neue Einstellungen und Denk-
weisen heranreifen können. Das braucht Zeit und es geht
ganz sicher nicht über Nacht. Selbst wenn Change-Program-
me aufgesetzt werden, wird der benötigte Zeiteinsatz fast im-
mer unterschätzt. Statt in Wochen oder Monaten zu rechnen,
braucht es Jahre, in denen Überzeugungsarbeit geleistet und
ein konkreter Mehrwert der Maßnahmen vermittelt werden
muss. In den seltensten Fällen geht es „nur“ um Tools oder
Skills. Zuerst geht es um das Mindset.
Reicht es demnach aus, das richtige Mindset zu vermitteln?
Wie so oft gibt es hierzu keine einfachen und allgemeingülti-
gen Antworten und Regeln. Während einige aus der New-
Work-Szene zum größten Teil auf das Mindset abstellen, gibt
es auch andere, die einen ganz andern Weg einschlagen.
Demnach ist Arbeit am Mindset nicht erforderlich und es
reicht aus, den Kontext anzupassen, damit sich Menschen
vom einen auf den anderen Moment ganz anders verhalten
(Vollmer, 2019). Es gibt also kein Rezept, das einfach nachge-
kocht werden kann. Ein verbindendes Element sollte sein,
dass die Arbeit an und mit Tool- und Skillset immer erweitert
werden sollte um das Mindset - also “weiche“ Faktoren. Da-
mit sich dieses manifestieren kann, bedarf es zusätzlich „har-
ter“ Faktoren wie Strukturen und Regeln.
Neben einem Mindset, das auf Transparenz, Zusammenar-
beit und der Bereitschaft zum lebenslangen Lernen beruht,
schaffen Strukturen und Regeln einen Schutzraum. Ein
Schutzraum in dem Nachdenken, Netzwerken und Lernen
möglich sind, ohne eine Kosten-Nutzen-Analyse machen zu
müssen. Kurzfristige Ergebnisziele sind Gift für Kreativität
und um etwas neues nie Gedachtes auf den Weg zu bringen.
Dabei sind Fehler als Teil des Prozesses einzukalkulieren.
Von ihnen können und sollen alle lernen. Das funktioniert a-
ber nur dann, wenn derjenige, der seinen Fehler mit anderen
teilt, keine Nachteile erwarten muss. Der Austausch funktio-
niert nicht nur unternehmensintern, sondern auch über Unter-
nehmensgrenzen hinweg. Natürlich kann es vorkommen,
dass eine gute Idee kopiert wird. Aber Ideen gibt es wie Sand
am Meer. Entscheidend ist, die richtigen Menschen zu finden,
die dabei helfen Ideen zu materialisieren. Wir sollten gemein-
sam ein Mindset entwickeln, das sich am gegenseitigen Vor-
teil orientiert: Win-Win statt Win-Lose.
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Literatur
Baldwin, R. (2019). The Globotics Upheaval: Globalisation, Robotics and
the Future of Work. London: Weidenfeld & Nicolson.
Bergmann, F. (1977). On Being Free. University of Notre Dame.
Cialdini, R. B. (2006). Influence: The Psychology of Persuasion (Revised
ed.). New York: Harper Business.
De Cercq, I. (2018). Vernetzt Arbeiten: Soziale Netzwerke in Unterneh-
men. Frankfurt am Main: Frankfurter Allgemeine Buch.
Kishimi, I. & Koga, F. (2019). The Courage To Be Disliked: How to free
yourself, change your life and achieve real happiness. London: Atlantic
Books.
McAfee, A. & Brynjolfsson, E. (2017). Machine, Platform, Crowd: Harnes-
sing Our Digital Future. New York: W. W. Norton & Company.
Nachtwei, J., Meißner, M., & Postler, B. (2019). Digitalkompetenz - Orien-
tierung im Wirrwarr. Personalführung, 6/19, 58-63.
Snowden, D.J. & Boone, M. (2007). A Leader’s Framework for Decision
Making. Harvard Business Review, 85 (11), 69-76.
Vollmer, L. (2019). Der Führerfluch: Wie wir unseren fatalen Hang zum
Autoritären überwinden. Berlin: intrinsify.me.
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