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Auf dem Weg zum Hybridunterricht

Authors:
SchVw NI 2 | 2021
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SCHUL & UNTERRICHTSENTWICKLUNG | HYBRIDUNTERRICHT
Philippe Wampfler
Dozent für Fachdidaktik Deutsch
am IFE der Universität Zürich
Hybridunterricht – Was ist das?
In der Fachliteratur ist seit über 20
Jahren unter dem Stichwort Hy-
bridunterricht die Rede von einer
Kombination von Phasen am Com-
puter und Phasen ohne Computer.
Diese Kombination hat sich in di-
daktischen Arbeiten in den letzten
Jahren hin zu einem dierenzierten
Konzept von »blended learning«
verschoben: Ausgangspunkt ist da-
bei die Einsicht, dass jede Form von
Unterricht (Instruktion, Vertiefen,
Üben, Kooperation, Herstellung von
Lernprodukten etc.) auch in digita-
len Settings erfolgen kann. Deshalb
vermischen sich die Phasen so stark,
dass sie kaum noch getrennt werden
können.
Diese didaktische Idealvorstellung,
die in der Abbildung 1 unter C sicht-
bar wird, steht in den schulpolitischen
Diskussionen im Winter 2020/2021
in einem Kontrast zu zwei anderen
Konzepten:Einerseits geht es um die
Vorstellung (A), Unterricht könn-
te für Schülerinnen und Schülern
übertragen werden, wenn diese auf-
grund von Quarantäne-Bestimmun-
gen oder anderen Gründen nicht am
Präsenzunterricht teilhaben können.
Andererseits ist unter dem Stichwort
»Wechselunterricht« (B)die Abfolge
von Unterrichtsphasen und Arbeit
zuhause in den Fokus gerückt, wo-
bei eine digitale Anreicherung von
Lernsequenzen außerhalb der Schule
denkbar ist.
» So ergibt sich also eine Vielfalt
an Bedeutungen, die den Begriff
›Hybridunterricht‹ diffus er-
scheinen lassen.«
»Hybridunterricht« ist zuletzt auch
ein gut klingender Begri, der in
Konzepten auftauchen kann, die ver-
schleiern sollen, dass Schulen keine
optimalen Lösungen für Notfallsze-
narien entwickelt haben.
So ergibt sich also eine Vielfalt an
Bedeutungen, die den Begri »Hyb-
ridunterricht« dius erscheinen las-
sen.
Die Konzepte im Prüfstand
Blickt man genauer auf die Kon-
zepte, die mit Hinblick auf Hybrid-
unterricht im Umlauf sind, können
einige kritische Fragen herangezogen
werden, mit denen sie auf Schwach-
stellen getestet werden können:
Die Ausstattung der Schulen und
der Lernenden
Das Übertragungs-Modell setzt vo-
raus, dass Unterricht in Schulzim-
mern so aufgezeichnet werden kann,
dass aus der Distanz alle relevanten
Bereiche wahrnehmbar sind. Das
erfordert entweder einen Übertra-
gungsroboter oder aber ein Setup
mit mehreren Kameras und sehr gu-
ten Mikrofonen. Wenige Schulzim-
mer können so ausgestattet werden.
Dasselbe gilt für die Seite der Schü-
lerinnen und Schüler:Sie brauchen
für viele der Modelle digitale Geräte,
Software und Internetzugang. Kann
das nicht sichergestellt werden, erüb-
rigt sich die Arbeit an konzeptionel-
len Feinheiten, weil digitale Arbeit
ohne Geräte, Programme und Netz
sinnlos ist.
Online-Didaktik oder Ersatz für
Präsenzlernen?
Lernumgebungen auf digitalen Platt-
formen müssen von Lernenden aus
konzipiert werden und alters- und
stufengerechtes Lernen ermöglichen.
Dazu braucht es eine Vorstellung,
wie Informationen digital wahrge-
nommen und verarbeitet werden.
Plattformen als Ersatz für Präsenz-
unterricht zu nutzen, funktioniert
nicht – weil ein Klassenzimmer und
ein Lernmanagement-Tool unter-
schiedliche Aordanzen aufweisen,
d.h. sie laden zu unterschiedlichen
Handlungen ein. Wird das nicht be-
rücksichtigt, funktionieren Online-
Lernsettings nicht.
Verzahnung prioritär behandeln
Bei Konzepten ist entscheidend, wie
die Verzahnung von Online- und
Präsenzlernen gestaltet wird. Wie
können Lernergebnisse aus dem di-
gitalen Lernraum in den physischen
eingebracht werden – und wie Vor-
gänge im Klassenzimmer digital wei-
tergeführt werden? Je mehr Bezüge
Auf dem Weg zum Hybridunterricht
Wie aus einem Notfallszenario eine Bildungsidee für die Zukunft wird
Digitale Lernformen mit Präsenzunterricht zu koppeln war im Frühsommer und Herbst 2020 für
viele Schulen ein Zwang, der aus einer Krise entstand: Viele Schülerinnen und Schüler konnten
den Unterricht im Schulzimmer nicht besuchen, also hat man ihnen digitale Unterrichtseinhei-
ten angeboten. Der so entstandene »Hybridunterricht« basiert aber oft auf vagen oder ein-
seitigen Vorstellungen, wie die Kombination von Unterricht im Schulzimmer mit Online-Arbeit
gestaltet werden könnte.
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File Name: 08_SchVw_NI_2021_02_Wampfler_Hybridunterricht Stage: 1st Proof Date: 05/01/2021 07:21:40 PM (GMT+5:30) Pages: 55 of 57
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und Scharniere hier geschaen wer-
den, die dazu führen, dass digitales
Lernen und die Arbeit im Klassen-
zimmer als verbunden erlebt werden,
desto besser ist die Wirksamkeit ent-
sprechender Konzepte zu beurteilen.
Die Sicht von Lehrenden und Ler-
nenden
Wie auch immer Hybridunterricht
gestaltet wird – er muss für Lehren-
de und Lernende machbar sein. Das
heißt, dass er von realistischen An-
nahmen ausgeht, was die Arbeits-
belastung, die Arbeitsform und die
Medienkompetenz der Beteiligten
betrit. Der breite Einsatz von On-
line-Tools muss mit Support- und
Fortbildungsangeboten gestützt
werden. Kluge Konzepte für Hyb-
ridunterricht lassen die Arbeitsbelas-
tung nicht explodieren, sondern ge-
hen rücksichtsvoll mit den Ressour-
cen von Schülerinnen, Schülern und
Lehrkräften um.
Lernkultur
Hybridunterricht erweitert die an
einer Schule bereits vorhandene
Lernkultur. Wenn tragfähige, ver-
trauensvolle pädagogische Beziehun-
gen und Ermächtigung zum selbst-
orientierten Arbeiten im Mittelpunkt
der Kultur einer Schule stehen, dann
wird sich auch ein entsprechender
Umgang in Online-Settings ermög-
lichen. Wenn hingegen Kontrolle
und Prüfungen den Kern des päda-
gogischen Handelns darstellen, wird
das auch in digitalen Kontexten ab-
gebildet. Wer also eine digitale Über-
wachungskultur ablehnt, müsste erst
für eine Lernkultur sorgen, die ohne
Überwachung auskommt, bevor die-
se digitalisiert wird.
Konzepte zurückhaltend erstellen
Konzepte sind aus rechtlichen Grün-
den oft nötig – in Bezug auf Unter-
richtsentwicklung sind sie jedoch mit
Vorsicht zu behandeln. Der relevante
Punkt – auch beim Hybridunter-
richt – ist die Umsetzung. Wenn eine
Umkehrung stattndet und zuerst
die Umsetzung und Erprobung ers-
ter Schritte gemacht wird, die dann
sauber dokumentiert und reektiert
werden, dann entstehen brauchbare
Konzepte quasi beiläug.
Schulen brauchen keine PR
Eltern wie auch Schülerinnen und
Schüler erleben an Schulen so viele
Interaktionen, dass sie sich unweiger-
lich ein Bild von der Qualität einer
Schule machen. Wenn Hybridunter-
richt gewinnbringend eingesetzt
wird, merken das alle Beteiligten.
Genauso ist es auch, wenn das nicht
gelingt. Schulen müssen sich in die-
ser Hinsicht nicht verkaufen. Schö-
ne Begrie bringen nichts, wenn sie
nicht im Schulalltag gedeckt werden
können. Genauso ist es auch mit
Konzepten:Werden sie nicht gelebt
und umgesetzt, haben sie keine Wir-
kung.
Das Gruppenmodell und dialogi-
sches Lernen
Blickt man auf die verschiedene Vor-
schläge, die es zu hybriden Lernfor-
men gibt, gibt es zwei Modelle, mit
denen sich sinnvolle Lösungen um-
setzen lassen.
Das Gruppenmodell
Das Gruppenmodell (exemplarisch
vorgelegt von der Kaiserin-eopha-
nu-Schule Köln (KTS), vgl. phwa.ch/
kts), sieht vor, dass »hybride Teams«
gebildet werden. Lernende bilden
Gruppen, in denen sie viele Lernauf-
gaben lösen. Aus diesen Gruppen sind
dann nur wenige Schülerinnen oder
Schüler im Präsenzunterricht anwe-
send – in der Gruppe verbinden sie
aber die Online-Lernerfahrung mit
dem Unterricht vor Ort. Gut gebilde-
te Gruppen erlauben es, verschiedene
zeitliche und räumliche Strukturen
umzusetzen, bei denen die Gruppen-
zusammensetzung gleich bleiben.
Das Modell der KTS geht von sechs
Lernenden in einer Gruppe aus. Bei
Wechselunterricht mit einer Halbie-
rung oder Drittelung der Lerngrup-
pen wären also jeweils drei oder zwei
Mitglieder einer Gruppe im Klassen-
zimmer anwesend und würden sich in
den weiteren Lernphasen mit denen
austauschen, welche digitale Lernan-
gebote genutzt haben.
Das gibt Lehrpersonen sehr viele
Möglichkeiten und Freiheiten, pro-
duktive Settings zu gestalten. Schü-
lerinnen und Schüler erhalten auch
Vermittlungsaufgaben, im Austausch
erfahren sie sehr deutlich, wie gut sie
Abb. 1: Vier Vorstellungen v on Hybridunterricht
File Name: 08_SchVw_NI_2021_02_Wampfler_Hybridunterricht Stage: 1st Proof Date: 05/01/2021 07:21:40 PM (GMT+5:30) Pages: 56 of 57
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etwas verstanden haben oder können
– daraus ergeben sich zielführende
Fragen und Rückmeldungen, die den
Unterricht verbessern.
Dialogisches Lernen
Das zweite Modell, das auf der Vor-
stellung des dialogischen Lernens
von Urs Ruf und Peter Gallin be-
ruht, sieht vor, dass Lernende gene-
rell Lernprodukte herstellen (im ein-
fachsten Fall eine Art Lerntagebuch
gestalten). Die Dokumentation des
eigenen Lernens ist die Vorausset-
zung für die nächste Präsenzphase.
Wer dialogisches Lernen umsetzt,
kann Wechselunterricht didaktisch
umfassend gestalten – weil Lernende
viel Zeit brauchen, um Lernprodukte
herzustellen bzw. sich mit den Auf-
trägen des dialogischen Unterrichts
auseinanderzusetzen. Ihre Zugänge
und Ideen sind dann die Grundlage
für die folgenden Präsenzphasen:Der
Unterricht im Klassenzimmer geht
von den Einsichten der Lernenden
aus und erweitert oder hinterfragt
sie. So ergibt sich für alle Beteiligten
sofort der Eindruck, dass die Arbeit
an Lernprodukten, die außerhalb des
Klassenzimmers erfolgt, mit dem Prä-
senzunterricht direkt verbunden ist.
Fazit
Hybridunterricht ist ein Modell für
die Zukunft des Lernens. Die be-
wusste Planung von Präsenzphasen
und digitalen Lerneinheiten kann
ein Schlüssel für die Entwicklung
von Schulen und Unterricht sein –
obwohl es sich aktuell um Notfall-
szenarien handelt. Entscheidend ist,
Hybridunterricht von der Lernkultur
einer einzelnen Schule aus zu konzi-
pieren und ihn schrittweise so einzu-
führen, dass er weder bei Lehrenden
noch Lernen zu einer Überforderung
führt. 
Literatur
Wanda Klee, Philippe Wampfl er
und Axel Krommer: Hybrides
Lernen. Weinheim/Basel 2021.
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Ihre Sabine Weiner
Impressum
SchulVerwaltung
Zeitschrift für Schulentwicklung und
Schulmanagement
Ausgabe für Niedersachsen
SchVw NI, 31. Jg., 2 | 2021
ISSN 1865-2050
Art.-Nr.69386102
Herausgeber:
Heiner Ho meister, MK, Leiter der Abteilung All-
gemeinbildendes Schulwesen, Kirchen;
Dr. Elke Richlick, Direktorin des Niedersächsischen
Landesinstituts für schulische Qualitätsentwicklung
(NLQ), Hildesheim.
Fachbeirat:
Matthias Aschern, Abteilungsleiter Evaluation
und Schulinspektion, NLQ;
Stefan Beckermann, RLSB Braunschweig,
Dezernatsleiter Berufsbildende Schulen;
Andrea Kunkel, Vorsitzende des SLVN;
Jens Mau, MK, Organisation, Koordinierung und
Personal RSLB und NLQ;
Ulrike Rehn, MK, Leiterin des Referates Grund-
schulen, Oberschulen, Hauptschulen, Realschulen;
Dr. Wolfgang Schimpf, Leiter des Max-Planck-
Gymnasiums, Göttingen; Vorsitzender der Nieder-
sächsischen Direktorenvereinigung (NDV);
omas Schippmann, RSLB Osnabrück, Leiter des
Dezernats Finanzen, Recht, Personal;
Christian Schlöndorf, NLQ, Medienbildung;
Andreas Stein, MK, Leiter des Referates Gymnasien,
Abendgymnasien, Kollegs, Deutsche Schulen im
Ausland, Gesamtschulen;
Melanie Walter, MK, Leiterin der Abteilung
Beru iche Bildung.
Redaktion:
Sabine Weiner M. A.
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