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Dirk Kranz
Andreas Krebs
persÖnliche religiosität und spiritualität
in der alt-kath olische n kirche und ihrem umfeld
1. «Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?»
Mit dieser Frage aus Goethes Faust1 bringt Margarete ihren Geliebten Hein-
rich in einige Bedrängnis, lässt er sich doch keiner Glaubensgemeinschaft zu-
ordnen, auf kein überliefertes Bekenntnis festlegen. Heinrich hat seinen eigenen
religiösen Weg gefunden, «will [aber] niemand sein Gefühl und seine Kirche rau-
ben». Mit Margaretens Vorwurf «Zur Messe, zur Beichte bist du lange nicht ge-
gangen» kann Heinrich entsprechend wenig anfangen. Für ihn ist Religion nicht
so sehr in der gemeinschaftlichen Kulthandlung, sei sie ethisch grundiert oder
nicht, als vielmehr in der Erfahrungswelt des Einzelnen verortet – und insofern
Privatangelegenheit. Heinrich empfindet durchaus intensive, ja existentielle reli-
giöse Gefühle, wie er Margarete offenbart; diese rühren aber nicht aus einer per-
sonalen Gottesbeziehung, sondern einem kosmischen Einheitserleben, das kaum
in Worte zu fassen ist:
Wölbt sich der Himmel nicht da droben?
Liegt die Erde nicht hier unten fest?
Und steigen freundlich blickend
Ewige Sterne nicht herauf? […]
Erfüll davon dein Herz, so groß es ist,
Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,
Nenn es dann, wie du willst,
Nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott!
Ich habe keinen Namen
Dafür! Gefühl ist alles;
Name ist Schall und Rauch,
Umnebelnd Himmelsglut.
1 Johann Wolfgang von Goethe, Faust I, Vers 3413 ff., zit. nach: Ders., Sämtliche Werke, Frankfurt
a.M. 1985ff.; s. auch Konrad Paul Liessmann, Gretchens Frage und warum Faust darauf keine
Antwort wusste, in: Ders. (Hg.), Die Gretchenfrage: «Nun sag’, wie hast du’s mit der Religion?»
Wien 2008, 7–18.
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Heinrichs Antwort auf die berühmte Gretchenfrage beinhaltet vieles, was
heute mit «spirituell» umschrieben wird: Misstrauen gegenüber den traditio-
nellen religiösen Institutionen und Offenheit für alternative Sinnorientierungen,
Sehnsucht nach Ganzheitlichkeit und Sinnlichkeit, Vertrauen auf die eigene Intu-
ition fürs Transzendente, Verlagerung des Religiösen ins Private, schließlich auch
die Anerkennung von bzw. Forderung nach religiöser Vielfalt und Toleranz. Ein
so verstandener, sozusagen postmoderner Spiritualitätsbegriff wird freilich weit
strapaziert, und seine Bedeutungsgrenzen sind alles andere als klar: Anything
goes. Sozialwissenschaftler deuten die zunehmende Selbstbeschreibung heu-
tiger Menschen als «spirituell» – gerade in Abgrenzung zu «religiös» oder gar
«fromm» – gerne als Beleg einer fortschreitenden Pluralisierung und Individua-
lisierung des Religiösen. Am Spiritualitätstrend lässt sich aus einer solchen Sä-
kularisierungsperspektive einmal mehr festmachen, wie sehr und vielleicht auch
warum die Kirchen in den letzten Jahrzehnten an Bindungskraft verloren haben.2
Im Folgenden soll es um die persönliche Religiosität und Spiritualität von
Menschen gehen, die der deutschen Alt-Katholischen Kirche angehören oder
nahestehen. Doch wie kann man angesichts der beschriebenen begrifflichen Un-
klarheiten Religiosität und Spiritualität überhaupt erfassen? Es lassen sich (min-
destens) zwei Methoden unterscheiden, derartige fuzzy concepts zu analysieren:
Zum einen kann man in einem qualitativen Ansatz Probanden befragen, was Re-
ligiosität bzw. Spiritualität für sie persönlich – ihre Sinnerfahrung, Lebensgestal-
tung, Krisenbewältigung usf. – bedeutet (bottom-up). Zum anderen kann man in
einem quantitativen Ansatz Zusammenhänge zwischen der Selbstzuschreibung
von Religiosität und Spiritualität und anderen empirischen Größen im Sinne ei-
nes nomologischen Netzwerks untersuchen (top-down).3 Selbstredend schließen
sich beide Methoden nicht aus, sondern ergänzen sich. Den zweiten Ansatz wol-
len wir hier aus einem pragmatischen Grund weiterverfolgen: Dazu liegen uns
Daten einer Fragebogenstudie vor.
Im Zentrum unserer Analysen steht damit die erweiterte Gretchenfrage: Wir
haben Menschen in der Alt-Katholischen Kirche und ihrem Umfeld nach dem
Ausmaß ihrer Religiosität und Spiritualität befragt. In drei Abschnitten werden
2 Vgl. Paul Heelas, Linda Woodhead, The spiritual revolution. Why religion is giving way to
spirituality, Oxford 2005, v.a. Kap. 4, und Ulrich H. J. Körtner, Wiederkehr der Religion? Das
Christentum zwischen neuer Spiritualität und Gottvergessenheit, Gütersloh 2000, Kap. 6.
3 Vgl. Peter C. Hill, Kenneth I. Pargament, Advances in the conceptualization and measurement
of religion and spirituality, in: American Psychologist 58 (2003) 64–74, und Brian J. Zinnbauer et
al., Religion and spirituality. Unfuzzying the fuzzy, in: Journal for the Scientific Study of Religion
36 (1997), 549–564.
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• zunächst Binnenbeziehungen zwischen den Einschätzungen der eigenen Re-
ligiosität und Spiritualität untersucht,
• die Religiositäts- und Spiritualitätsauskünfte im Kontext eines komplexeren
Religiositätsmodells beleuchtet und schließlich
• Beziehungen zwischen Religiosität und Spiritualität einerseits und Kirchen-
bindung sowie ökumenischer und interreligiöser Offenheit andererseits dar-
gestellt.
Unsere Datengrundlage ist die im Jahr 2011 durchgeführte Studie Religio-
sität in der Alt-Katholischen Kirche (RELAK-Studie)
4. An dieser anonymen
Befragung haben insgesamt 970 Erwachsene teilgenommen, darunter 740 Per-
sonen, die formell der Alt-Katholischen Kirche angehören (ca. 6% der regist-
rierten Alt-Katholiken), und 230 Personen, die der Alt-Katholischen Kirche ohne
formelle Mitgliedschaft nahestehen. Die Rekrutierung der Teilnehmer erfolgte
hauptsächlich im Gemeindekontext, so etwa im Anschluss an Gottesdienste und
in Gemeindebriefen. Die Stichprobe erstreckt sich über das gesamte Erwachse-
nenalter (18 bis 89 Jahre) und ist hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses na-
hezu ausgeglichen (46% weiblich). Ihr Bildungsniveau ist überdurchschnittlich
(71% Abitur). Die meisten Teilnehmer kommen aus West-, Südwest- oder Süd-
deutschland (75%), was der Verbreitung des Alt-Katholizismus in Deutschland
entspricht.
2. Binnenbeziehungen zwischen Religiosität und Spiritualität
«Alles in allem: Als wie religiös würden Sie sich selbst bezeichnen?» und
«Einmal abgesehen davon, ob Sie sich selbst als eine religiöse Person bezeichnen
oder nicht: Als wie spirituell würden Sie sich selbst bezeichnen?», wurden die
Teilneh mer der RELAK-S tudie konkret g efragt. Das Antwor tformat war jewe ils
fünfstufig und reichte von 1 («gar nicht religiös» bzw. «gar nicht spirituell») bis 5
(«sehr religiös» bzw. «sehr spirituell»). Die beiden Fragen waren schon im Reli-
gionsmonitor 2008, einer groß angelegten und repräsentativen Religiositätsstudie
enthalten,5 wodurch der Vergleich der RELAK-Stichprobe mit römisch-katho-
lischen und evangelischen Christen möglich ist (300 bzw. 320 Teilnehmer im
Religionsmonitor). Kritisch mag man einwenden, dass der Fragewortlaut bereits
4 Wesentliche Befunde der RELAK-Studie wurden kürzlich in einem Doppelheft der Internatio-
nalen Kirchlichen Zeitschrift ausführlich dargestellt, s. Dirk Kranz, Andreas Krebs, Religiosität
in der Alt-Katholischen Kirche Deutschlands: eine empirische Studie. Ergebnisbericht und Kom-
mentare, Bern 2014 [= Doppelheft 1/2 der IKZ 104 (2014)]; die hier ausgeführten Analysen zum
Ve r h ä lt n i s v o n S p ir i t u a l i t ät u n d R e l ig i o s i t ä t m ö g e n e i ne v e r t i e f en d e E r g än z u n g s e in .
5 Vgl. Stefan Huber, Aufbau und strukturierende Prinzipien des Religionsmonitors, in: Bertels-
mann-Stiftung (Hg.), Religionsmonitor 2008, Gütersloh 2007, 19–29.
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eine gewisse Opposition von Religiosität und Spiritualität nahelegt; dies wird bei
der Interpretation der Befunde zu berücksichtigen sein.
In der RELAK-Stichprobe unterscheiden wir zwischen gebürtigen Kirchen-
mitgliedern (15%; im Folgenden «Nicht-Konvertiten» genannt), Konvertiten
(61%; Personen, die im religionsmündigen Alter zur Alt-Katholischen Kirche
gewechselt sind, dies meist aus der Römisch-Katholischen Kirche) und Nahe-
stehenden (24%; Personen, die formell nicht alt-katholisch sind, sich aber der
Alt-Katholischen Kirche verbunden fühlen). Aufgrund der je unterschiedlichen
religiösen Biographien könnte diese Stichprobenunterteilung aufschlussreich
sein (und ist es in vorangegangenen Analysen bereits gewesen6).
Abbildung 1: Mittelwerte der Religiositäts- und Spiritualitätsfrage
Wie Abbildung 1 zeigt, ist sowohl Religiosität als auch Spiritualität in der
Alt-Katholischen Kirche und ihrem Umfeld um einen halben bis ganzen Skalen-
wert stärker ausgeprägt als in der Römisch-Katholischen und Evangelischen Kir-
che. Hier sollten jedoch keine vorschnellen Schlüsse gezogen werden, schließlich
6 Siehe Kranz/Krebs, Religiosität (wie Anm. 4), sowie dies., Altkatholische Identität. Eine em-
pirische Annäherung, in: Internationale Kirchliche Zeitschrift 104 (2014), 322–338 sowie dies.,
Konversion als gemeinsamer Weg, in: Christen heute 57 (2013), 236–237.
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wurden die Teilnehmer der RELAK-Studie wie beschrieben im Gottesdienstkon-
text, die des Religionsmonitors hingegen nach dem Zufallsprinzip rekrutiert.
Doch auch wenn die in allen Stichproben miterhobene Gottesdiensthäufigkeit
(die erwartungsgemäß bei den Teilnehmern der RELAK-Studie höher ausgeprägt
ist und insgesamt einen stärkeren Bezug zur Religiositäts- als zur Spiritualitäts-
frage aufweist) als Kontrollvariable berücksichtigt wird, bestätigt sich das skiz-
zierte Ergebnis.7
Für unsere Frage nach dem Verhältnis von Religiosität und Spiritualität re-
levanter erscheint der Vergleich der beiden Ausprägungen innerhalb der jewei-
ligen Stichproben. Zunächst übertreffen die Religiositätswerte im Mittel stets
die Spiritualitätswerte. Die Unterschiede sind bei alt-katholischen Konvertiten
und Nahestehenden allerdings recht gering, während sie insbesondere bei den
Mitgliedern der beiden Mehrheitskirchen auffallen. Das Verhältnis von Religio-
sität zu Spiritualität kehrt sich übrigens – auf deutlich niedrigerem Niveau – im
Religionsmonitor bei jenen etwa 300 Teilnehmern um, die angeben, keiner Re-
ligionsgemeinschaft (mehr) anzugehören. Dies mag dafür sprechen, den heute
gebräuchlichen Spiritualitätsbegriff mit einem deutlichen Säkularisierungsvor-
zeichen zu versehen.8 Zurück zu unserer Analyse: Sie gewinnt weiterhin an Präg-
nanz, wenn wir statt der jeweiligen Ausprägungen von Religiosität und Spiri-
tualität diesbezügliche intraindividuelle Unterschiede betrachten. Hier bewegen
sich die mittleren Differenzwerte bei Konvertiten und Nahestehenden nahe am
Nullpunkt (0,09 bzw. 0,05), während sie bei Nicht-Konvertiten (0,40) sowie vor
allem bei Römisch-Katholischen und Evangelischen deutlich höher ausfallen
(0,67 bzw. 0,72). Das bedeutet, dass sich Konvertiten und Nahestehenden als
etwa genauso religiös wie spirituell beschreiben, während in den anderen Stich-
proben die selbstberichtete Religiosität überwiegt.
Schließlich sollen die Daten auf kategorialem statt kontinuierlichem Niveau
ausgewertet werden. Dazu wurden die Studienteilnehmer abhängig von ihren
Antworten vier Typen zugeteilt: Beim ersten Typ sind weder Religiosität noch
Spiritualität ausgeprägt, beim zweiten und vierten Typ ist die individuelle Reli-
giosität stärker bzw. schwächer als die individuelle Spiritualität, und beim dritten
Typ sin d Spiritua lität und R eligiosität gleicherma ßen ausgepr ägt.9
7 Wir verzichten hier auf eine präzise Darstellung der Inferenzstatistiken zu den durchgeführten
Frequenz- und Varianzanalysen; bei Interesse stellen wir diese gerne zur Verfügung.
8 Die heterogene Gruppe der religiös Ungebundenen bzw. Unreligiösen kann in dieser Arbeit aus
Platzgründen nicht weiter betrachtet werden.
9 Die Zuordnung wird in Kranz/Krebs, Religiosität (wie Anm. 4), Abschnitt 3.4, genauer beschrie-
ben. Vgl. Heinz Streib, More spiritual than religious. Changes in the religious field require new
approaches, in: Ders. et al. (Hg.), Live Religion: Conceptual, empirical, and practical-theologian
approaches, Leiden 2008, 53–67.
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Abbildung 2: Verteilungen der Religiositäts- und Spiritualitätstypen
Abbildung 2 zeigt die Typenverteilung in den unterschiedlichen Stichpro-
ben. Insgesamt gibt es in der RELAK-Stichprobe kaum und damit weniger Teil-
nehmer als in der römisch-katholischen bzw. evangelischen Stichprobe, die sich
als weder religiös noch spirituell bezeichnen (Typ 1). Wenn man wiederum die
Gottesdiensthäufigkeit als Kontrollvariable berücksichtigt, zeigt sich, dass dieser
Unterschied auf jene im Religionsmonitor vergleichsweise viele Teilnehmer zu-
rückzuführen ist, die nur selten am Gottesdienst teilnehmen; die häufigen Gottes-
dienstbesucher beschreiben sich in keiner der fünf Stichproben als weder religiös
noch spirituell. Während fast die Hälfte der gebürtigen Alt-Katholiken – ähnlich
wie Römisch-Katholische und Evangelische – höhere Religiositäts- als Spiri-
tualitätswerte angeben (Typ 2), trifft dies nur auf ein Drittel der konvertierten
Alt-Katholiken und Nahestehenden zu. Bei den seltenen Gottesdienstbesuchern
sind die Anteile insgesamt etwas geringer, aber die Verhältnisse bleiben doch ge-
wahrt. Umgekehrt geben konvertierte Alt-Katholiken und Nahestehende häufiger
an, eher spirituell als religiös zu sein (Typ 4). Dieser Kontrast tritt insbesondere
bei den seltenen Gottesdienstbesuchern zutage, wird aber bei Berücksichtigung
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der Gottesdiensthäufigkeit wiederum nicht aufgehoben. Ein ausgewogenes Ver-
hältnis von Religiosität und Spiritualität (Typ 3) kommt bei Teilnehmern der
RELAK-Studie – und zwar unabhängig vom Gottesdienstbesuch – häufiger vor
als bei römisch-katholischen und evangelischen Teilnehmern des Religionsmoni-
tors. Damit ist das Verhältnis derer, die sich als «genauso religiös wie spirituell»
(Typ 3) im Vergleich zu «eher religiös als spirituell» (Typ 2) bezeichnen, in der
RELAK-Stichprobe umgekehrt zur Religionsmonitor-Stichprobe. Insgesamt fällt
also bei dieser Analyse kategorialer Daten die ausgeprägte spirituelle Selbstiden-
tifikation der RELAK-Teilnehmer auf, insbesondere jener, die zur Alt-Katholi-
schen Kirche konvertiert sind oder sich ihr ohne formelle Mitgliedschaft verbun-
den fühlen.
3. Religiosität und Spiritualität
im Kontext eines multidimensionalen Religiositätsmodells
Wie kann man die Antworten auf die Religiositäts- und Spiritualitätsfrage
im Kontext eines komplexeren Religiositätsmodells interpretieren? In der RE-
LAK-Studie wurde – wie bereits im Religionsmonitor – das fünfdimensionale
Religiositätsmodell von Rodney Stark und Charles Glock zugrunde gelegt;10 es
umfasst:
(1) die praktische Dimension, wobei zwischen öffentlicher Praxis und privater
Praxis unterschieden wird (d.h. der Häufigkeit und Wichtigkeit des Gottesdienst-
besuches bzw. des persönlichen Gebets oder der Meditation),
(2) die intellektuelle Dimension, d.h. das Interesse an und die Auseinanderset-
zung mit Religion («Wie sehr interessieren Sie sich für religiöse Themen?», «Wie
oft denken Sie über religiöse Themen nach?»),
(3) die ideologische Dimension, d.h. der Glaube an Gott oder etwas Göttliches
(«Wie stark glauben Sie daran, dass es Gott oder etwas Göttliches gibt?», «…
dass es ein Leben nach dem Tod gibt?»),
(4) die experientielle Dimension, d.h. die Erfahrung von Gott oder etwas Gött-
lichem («Wie oft erleben Sie Situationen, in denen Sie das Gefühl haben, dass
Gott oder etwas Göttliches Ihnen etwas sagen will», «… in Ihr Leben eingreift?»)
(5) die konsequentielle Dimension, d.h. die moralische Alltagsrelevanz von Reli-
gion («Wie stark leben Sie in Ihrem Alltag nach religiösen Geboten?»).
Die elf Fragen, die den Studienteilnehmern gestellt wurden, machen deutlich,
dass bei der Überführung des Modells in einen Fragebogen darauf geachtet wur-
10 Rodney Stark, Charles Y. Glock, American piety. The nature of religious commitment, Los Angeles 1968.
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de, Religiosität möglichst breit zu erfassen und nicht auf eine bestimmte Religion
oder gar Konfession hin zuzuschneiden.11
Tabelle 1: Multiple Zusammenhänge zwischen der Religiositäts- und
Spiritualitätsfrage und dem mehrdimensionalen Religiositätsmodell
Anmerkung: Regressionsgewichte (β) unter dem statistischen Signifikanzniveau
von α = 0,05 wurden ausgelassen.
In Tabelle 1 sind Maße für die Stärke der Zusammenhänge zwischen den
beschriebenen Religiositätsdimensionen und den Religiositäts- und Spirituali-
tätswerten abgetragen. Das Korrelationsmaß (R2) am Ende eines jeden Analy-
seschritts fasst als Prozentwert zusammen, wieviel Religiositäts- bzw. Spirituali-
tätsvarianz (d.h. Unterschiedlichkeit zwischen den Probanden einer Stichprobe)
auf die Religiositätsdimensionen insgesamt zurückzuführen ist. Die Regressions-
11 Die Religiositätsskala stammt von Stefan Huber, Odilo W. Huber, The Centrality of Religiosity
Scale (CRS), in: Religions 3 (2012), 710–724; ihr Einsatz in der RELAK-Studie wird ausführlich
beschrieben in Kranz/Krebs, Religiosität (wie Anm. 4), Abschnitt 3.2.
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gewichte (β) oberhalb der Korrelationsmaße geben an, inwieweit die einzelnen
Religiositätsdimensionen zu der jeweiligen Varianzaufklärung beitragen. Diese
Werte könne n z wi sc hen –1 und +1 variieren. Negativ we rt e be deuten gegenläu -
fige Beiträge («je mehr …, desto weniger …» und umgekehrt), Positivwerte
gleichläufige Beiträge zur Varianzaufklärung («je mehr …, desto mehr …»), und
nicht signifikante Werte um Null weisen auf fehlende Beiträge hin (diese wurden
aus Übersichtsgründen in der Tabelle weggelassen).
Betrachtet man zunächst die Korrelationsmaße, fällt auf, dass die Religiosi-
tätsdimensionen einen stärkeren Varianzanteil (je nach Stichprobe etwas mehr
oder weniger als die Hälfte) des Religiositätswertes (Analyse A) im Vergleich mit
dem Spiritualitätswert (Analyse B; maximal ein Drittel) aufklären. Die kleinsten
Schnittmengen finden wir jeweils bei den konvertierten Alt-Katholiken; für sie
scheinen die Selbstbeschreibungen «religiös» wie «spirituell» also am wenigsten
mit den im Religiositätsmodell enthaltenen Dimensionen zusammenzuhängen.
Dass die Religiositätsdimensionen insgesamt einen größeren Anteil der Religio-
sitätsvarianz aufklären, überrascht aufgrund der Konstruktnähe nicht; bemerkens-
wert ist aber, dass Spiritualität – wenngleich häufig im öffentlichen Diskurs (und
auch auf konkreter Frageebene) in Opposition zu Religiosität gebracht – durch-
aus in Termini des Religiösen fassbar ist, zumindest in den vorliegenden kirchlich
gebundenen Stichproben. In einem dritten Schritt wurde zusätzlich analysiert,
inwieweit intraindividuelle Unterschiede zwischen Religiosität und Spiritualität
(Differenzwerte, die im positiven Bereich für «eher religiös als spirituell» stehen)
mit den Religiositätsdimensionen zusammenhängen. Die Korrelationsmaße fal-
len vergleichsweise gering aus; der aufgeklärte Varianzanteil überschreitet nur
bei denen, die der Alt-Katholischen Kirche nahestehen, ein Zehntel.
Gehen wir nun aber ins Detail der Zusammenhangsanalysen und fragen uns
jeweils, welche der Religiositätsdimensionen zur Aufklärung von Religiositäts-
und Spiritualitätsvarianz beitragen. Bezüglich der Religiositätsfrage (Analyse A)
fallen die durchweg positiven Beiträge (fast) aller Religiositätsdimensionen auf;
augenscheinlich erfassen die unterschiedlichen Dimensionen des zugrunde ge-
legten Religiositätsmodells vieles von dem, was die Studienteilnehmer implizit
unter «religiös» verstehen. Einzig die passive Erfahrungsdimension hat bei den
Teilneh mern der RE LAK-Studie (und auch den evangelische n Teilnehmern des
Religionsmonitors) wenig mit der Selbstbeschreibung «religiös» zu tun.
Bezüglich der Spiritualitätsfrage (Analyse B), bei der die Varianzaufklärung
ja deutlich geringer ausfällt, gilt unsere Aufmerksamkeit zunächst den Leerstel-
len: Wo hebt sich auf der Folie des verwendeten Religiositätsmodells Spiritualität
von Religiosität ab? Insbesondere der Gottesdienstbesuch als öffentliche (im Un-
terschied zur privaten) Religiositätspraxis scheint wenig mit individueller Spiri-
tualität verbunden zu werden (bei Nahestehenden finden wir sogar eine negative
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Beziehung), ebenso der Glaube an Gott (mit Ausnahme der Nahestehenden und
Evangelischen) und das Leben nach religiösen Geboten. Positiv hingegen ist all-
gemein die Erfahrungsdimension mit der Selbstzuschreibung von Spiritualität as-
soziiert, und zwar über alle Stichproben hinweg. In der RELAK-Stichprobe (aber
auch bei den evangelischen Teilnehmern des Religionsmonitors) fällt weiterhin
der dominante Zusammenhang zwischen der intellektuellen Religiositätsdimen-
sion und Spiritualität auf.
Schließlich geht es um die Frage, welche der Religiositätsdimensionen mit
der Selbstzuschreibung «eher religiös als spirituell» assoziiert sind (Analyse C).
Dies trifft in allen Stichproben für den Gottesdienstbesuch und – nur in der RE-
LAK-Stichprobe – für das Leben nach religiösen Geboten zu.
4. Beziehungen zwischen Religiosität und Spiritualität und
Kirchenbindung, ökumenischer und interreligiöser Offenheit
Inwieweit hängen die Antworten auf die Religiositäts- und Spiritualitätsfrage
mit der Bindung an die (Alt-Katholische) Kirche sowie mit ökumenischer und
interreligiöser Offenheit zusammen? In der RELAK-Studie – leider nicht im Re-
ligionsmonitor, weshalb Vergleiche mit den römisch-katholischen und evangeli-
schen Teilnehmern dieser Studie nicht möglich sind – wurden die letztgenannten
drei Konstrukte folgendermaßen erfasst:12
(1) Kirchenbindung: Mit einer Skala, die häufig im Bereich der (nichtkirch-
lichen) Organisationsforschung zum Einsatz kommt, wurde die Bindung an die
Alt-Katholische Kirche erhoben.13 Bindung wird hier verstanden als ein affek-
tives Band, das die Person mit ihrer Organisation, d.h. ihrer Kirche verbindet.
Beispielaussagen, zu denen die Teilnehmer der RELAK-Studie das Ausmaß ih-
rer Ablehnung oder Zustimmung angeben sollten, lauteten: «Ich fühle mich der
Alt-Katholischen Kirche voll und ganz zugehörig», «Ich bin stolz, zur Alt-Katho-
lischen Kirche zu gehören» und «Wenn es in der Alt-Katholischen Kirche Prob-
leme gibt, beschäftigt mich das auch persönlich».
(2) Ökumenische Offenheit: Die Teilnehmer wurden gefragt, inwieweit sie
der Ansicht seien, «die christlichen Konfessionen sollten alles versuchen, Spal-
tung und Trennung zu überwinden» oder (negativ formuliert) «… sollten sich
12 Für Details siehe Kranz/Krebs, Religiosität (wie Anm. 4), Abschnitte 4.1 (Kirchenbindung), 4.4.
(Ökumenische Orientierung), 4.5 (Religiöser Pluralismus).
13 Christian Vanderberghe, Kathleen Bentein, Florence Stingelhamber, Affective commitment to
the organization, supervisor, and work group. Antecedents and outcomes, in: Journal of Vocational
Behavior 64 (2004) 47–71.
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wieder schärfer gegeneinander abgrenzen», und ob sie häufig an ökumenischen
Gottesdiensten und Veranstaltungen teilnähmen und sich auch aktiv für den öku-
menischen Dialog engagierten.
(3) Interreligiöse Offenheit: Außerdem wurden die Teilnehmer gefragt, in-
wieweit sie der Ansicht seien, man solle «gegenüber allen Religionen offen sein»,
«jede Religion [habe] einen wahren Kern», man müsse «alle Religionen respek-
tieren» und «alle Religionsgemeinschaften in Deutschland sollten gleiche Rechte
haben».
Tabelle 2: Multiple Zusammenhänge zwischen der Religiositäts- und
Spiritualitätsfrage und Kirchenbindung,
ökumenischer und interreligiöser Offenheit
Anmerkung: Regressionsgewichte (β) unter dem statistischen Signikanzniveau
von α = 0,05 wurden ausgelassen.
In Tabelle 2 fallen die vergleichsweise starken multiplen Religiositätszusam-
menhänge in der Stichprobe der gebürtigen Alt-Katholiken auf (Analyse A). Hier
sind es gleichermaßen die Bindung an die eigene Kirche wie die Offenheit für
den Dialog mit anderen Kirchen, aber nicht die interreligiöse Offenheit, die mit
ausgeprägter Religiosität Hand in Hand gehen. Die Zusammenhänge sind bei
den konvertierten Alt-Katholiken schwächer, aber ähnlich im Muster. Bei den
Nahestehenden hängt die eigene Religiosität nicht – vielleicht noch nicht – mit
der Bindung an die Alt-Katholische Kirche, wohl aber mit ihrer ökumenischen
Orientierung zusammen.
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Im Hinblick auf Spiritualität beläuft sich die Varianzaufklärung durchweg
im einstelligen Bereich (Analyse B). Diese ist in allen drei Stichproben auf die
ökumenische Orientierung zurückzuführen. Es sind also insbesondere die öku-
menisch Interessierten und Engagierten, die sich als «spirituell» bezeichnen.
Überraschenderweise scheint die Selbstzuschreibung von Spiritualität in der
Alt-Katholischen Kirche und ihrem Umkreis nicht mit einer erhöhten interreli-
giösen Offenheit einherzugehen; dies hätte man vielleicht aufgrund des heutigen
allgemeinen Spiritualitätsverständnisses erwartet.
Durch den Einbezug der intraindividuellen Differenz zwischen Religiosi-
täts- und Spiritualitätswerten wurden vorangehende Analysen bereits geschärft;
signifikante Korrelationen können wir an dieser Stelle allerdings so gut wie nicht
feststellen (Analyse C). Die Differenz scheint also wenig mit der eigenen Kir-
chenbindung bzw. der ökumenischen oder interreligiösen Orientierung zu tun zu
haben. Nennenswert ist lediglich, dass nur bei Nahestehenden der erwartete Ne-
gativzusammenhang zwischen interreligiöser Orientierung und dem Differenz-
wert auftritt; nur für diese Stichprobe gilt also, dass diejenigen, die sich als «eher
religiös als spirituell» beschreiben, dem interreligiösen Dialog tendenziell reser-
viert gegenüber stehen.
5. Zusammenfassung und Ausblick
Über alle hier betrachteten kirchlich gebundenen Stichproben der RE-
LAK-Studie und des Religionsmonitors ist Religiosität stärker ausgeprägt als
Spiritualität – zumindest, wenn wir die Selbstbeschreibung der Probanden als
Datengrundlage nehmen. Dieser Trend kehrt sich bei Konfessionslosen um; sie
beschreiben sich eher als spirituell denn als religiös. Allerdings stellt sich das Ver-
hältnis von Religiosität zu Spiritualität in der RELAK-Stichprobe – insbesondere
bei konvertierten Alt-Katholiken und Nahestehenden – ausgeglichener dar als bei
den römisch-katholischen und evangelischen Teilnehmern des Religionsmoni-
tors. Dies zeigt sich auch daran, dass in der RELAK-Stichprobe der Anteil derer,
die von sich sagen, sie seien ebenso spirituell wie religiös (oder gar eher spiritu-
ell als religiös), mit etwa der Hälfte der Probanden (bzw. bis zu einem Fünftel)
deutlich höher ausfällt als bei den Römisch-Katholischen und Evangelischen; er
beträgt dort etwa ein Drittel (bzw. ein Zehntel). Spiritualität ist Menschen in der
Alt-Katholischen Kirche und ihrem Umfeld also erstens wichtig, und zweitens
scheinen sich Spiritualität und Religiosität hier gut miteinander zu vertragen.
Allerdings bezeichnen sich auch in der Alt-Katholischen Kirche eher jene
als spirituell (denn religiös), die dem Gottesdienst fernbleiben und ihre Lebens-
führung weniger nach religiösen Geboten ausrichten. Was vermissen also jene,
die sich vor allem als spirituell bezeichnen, am (alt-katholischen) Gottesdienst,
könnte man weiter fragen. Vielleicht ist die Frage aber falsch gestellt, denn die
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Spirituellen vermissen womöglich gar nichts am Gottesdienst, weil sie eben da
nichts suchen. In Übereinstimmung mit der gängigen Spiritualitätssemantik fin-
den wir unter spirituellen Menschen – wiederum unabhängig von der Konfessi-
on – auch eine stärkere Ausprägung der Erfahrungsdimension des Religiösen.
Interessanterweise steht dies in der RELAK-Stichprobe nicht im Widerspruch
zur intellektuellen Religiositätsdimension. Spiritualität ist für Alt-Katholiken und
Menschen, die der Alt-Katholischen Kirche nahestehen, also eine Angelegenheit
der Erfahrung und des Verstandes, des Sich-Berühren- und -Leiten-Lassens wie
des Interessiert-Seins und Durchdenkens.
Dass sich Religiosität und Spiritualität in der Alt-Katholischen Kirche gut
vertragen, mag man auch daran ablesen, dass sich bei den Teilnehmern der RE-
LAK-Studie weder am Ausmaß der Bindung an die (eigene) Alt-Katholische
Kirche noch an der Offenheit für den Dialog mit anderen Kirchen die Abgren-
zung von Religiosität zu Spiritualität festmacht. Religiosität ist – insbesondere
bei gebürtigen Alt-Katholiken – mit alt-katholischer Kirchenbindung und öku-
menischer Orientierung assoziiert, Spiritualität hingegen «nur» mit ökumeni-
scher Orientierung. Immerhin stehen sich Kirchlichkeit und Spiritualität in der
RELAK-Stichprobe nicht entgegen; ob dies ein alt-katholisches Spezifikum ist –
sozusagen quer zum vermeintlichen postmodernen Trend – können wir mangels
Vergleichsdaten nicht sagen. Schließlich ist eine besondere Verbindung zwischen
Spiritualität und interreligiöser Offenheit für die RELAK-Stichprobe nicht fest-
zustellen. Alles in allem scheint Spiritualität in der Alt-Katholischen Kirche also
eine primär christliche Signatur zu haben.
Manchmal hat man den Eindruck, die Kirchen stünden dem Spiritualitäts-
begriff zunehmend reserviert gegenüber. Dies mag an seiner eingangs beschrie-
benen Unklarheit liegen, vielleicht auch an seinem Säkularisierungsgeruch. An-
dere hingegen reden viel von Spiritualität, ja nutzen ihren «Wirkfaktor» – etwa
in Erziehungs-, Beratungs- und Behandlungszusammenhängen sowie, kaum
verwunderlich, auch im Medien- und Marketingbereich.14 Wer heute den Spiritu-
alitätsbegriff bemüht, sich gar als spirituellen Menschen beschreibt, kann damit
ganz Unterschiedliches und wohl auch Kirchenfernes im Sinn haben. Jedoch:
Die Wurzeln des Spiritualitätsbegriffs liegen im Christentum; er geht auf spiritus,
die Bezeichnung für den Heiligen Geist, zurück. Nach christlicher Überzeugung
wirkt der Geist in der Kirche – und ist doch unverfügbar, mit verfasster Religion
nicht gleichzusetzen. Die Spannung zwischen der Freiheit solcher Spiritualität
14 Vgl. Jeremy R. Carrette, Richard King, Selling spirituality: The silent takeover of religion, Lon-
don 2005, v.a. Kap. 4, und Michael N. Ebertz, «Spiritualität» im Christentum und darüber hinaus.
Soziologische Vermutungen zur Hochkonjunktur eines Begriffs, in: Zeitschrift für Religionswis-
senschaft 13 (2005) 193–208.
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und der Gebundenheit des Religiösen begleitet das Christentum von Anfang an.
Es wird auch heute in dieser Spannung umso besser bestehen, je mehr es Spi-
ritualität und Religiosität zusammenbringen kann. Kirche sollte aufgrund ihres
ureigenen Anliegens den Spiritualitätsbegriff wieder mehr mit Leben füllen – las-
sen. Gott kann unter vielen Namen angerufen werden – mit Faust (alias Goethe):
«Nenn’s Glück! Herz! Liebe!» – und bleibt doch einer: «Gott!». «Die Einheit
Gottes in der Vielfalt seiner Namen und Eigenschaften», schreibt Jürgen Ebach,
«erweist sich als ebenso komplementär wie antagonistisch. Diese Vielfalt ist je-
doch eines gewiss nicht, nämlich beliebig».15
Wie Kirche im Allgemeinen, so braucht auch Theologie im Besonderen spi-
rituelle Tiefe: «Die geistliche Dimension eröffnet dem theologischen Denken
und Forschen immer auch eine Tiefendimension, die über empirische Fakten und
Konklusionen hinausgeht – eine Dimension, ohne die sie [die Theologie] ihren
Auftrag verfehlen würde», schreibt Günter Eßer.16 Mit Christian Oeyen beruft
er sich auf «den großen [Johann Michael] Sailer»: «Wer Innigkeit besitzt, wer
in sich selbst mit Gott verbunden ist, der ist frei».17 Weiterhin führt Eßer aus,
dass «diese spirituelle Grunddisposition den ganzen [Hervorhebung durch die
Autoren] glaubenden Menschen umschließt und damit auch den […] Weg der
Freiheit, auf dem die alt-katholischen Theologinnen und Theologen ihre Aufgabe
erfüllen. Diese Freiheit kommt eben nicht aus einer Gott und seine Offenbarung
negierenden Emanzipation des Menschen, sondern sie erwächst aus der intimen
Beziehung mit Gott». Eine derart «begeisterte» Theologie sollte, ja darf nicht im
akademischen Elfenbeinturm bleiben, sondern muss den Austausch mit Kirche
und Gesellschaft suchen, denen sie ja verpflichtet ist. Austausch ist hier tatsäch-
lich als Geben und Nehmen gemeint, auch als Aushalten von Spannung.
Kürzlich lasen wir in der Kirchenzeitung «Christen heute», das alt-katholi-
sche Bistum habe einen leerstehenden Pfarrhof im Eifeldorf Kirchheim erworben
und plane dort die Errichtung eines Besinnungshauses für geistliche Gemeinde-
15 Jürgen Ebach, «Name ist Schall und Rauch». Beobachtungen und Erwägungen zum Namen
Gottes, in: Ders. et al.: Gretchenfrage. Von Gott reden – aber wie? (= Jabboq 2), Gütersloh 2002,
17–82: 73.
16 Günter Eßer, «Welches ist aber nun die Aufgabe eines alt-katholischen Theologen?» Drei Zu-
gänge zu einer Ortsbestimmung, Beitrag in: Christian Oeyen, Denkbewegungen. Gesammelte
Aufsätze zur alt-katholischen Theologie, Bonn 2004, 259–283: 278ff. Eßer deutet an, dass die
geistliche Tiefendimension die Fächer Theologie und Religionswissenschaft unterscheide; ein Ge-
danke, der unseres Erachtens im Zuge der auch an deutschsprachigen Universitäten zunehmend
verbreiteten religious studies Vertiefung verdiente.
17 So die Zusammenfassung von Christian Oeyen, Der Kampf unserer Väter und unsere heutige
Situation. Gedanken zum Thema: Was sind wir?, in: Ders., Denkbewegungen (wie Anm. 16),
28–42: 38.
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und Bistumstage, «ein[es] Ort[es], an dem wir Alt-Katholiken gastfreundlich sein
können […] auch [gegenüber] Menschen, die auf der Suche sind nach Spirituali-
tät, denen aber Kirche im herkömmlichen Sinn nicht behagt».18 «Glückwunsch!»,
mögen sich viele Leser spontan gefreut haben. Leider schreibt die Autorin im
letzten Absatz, Kirchheim sei (noch) Fiktion. Aufgrund der RELAK-Studie wür-
de man einem solchen Projekt einigen Erfolg in Aussicht stellen. Alt-Katholiken
– insbesondere den vielen ökumenisch orientierten – ist Spiritualität ein starkes
religiöses, ja christliches Bedürfnis. Ein Besinnungshaus wäre ein idealer Ort,
an dem man sich über Spiritualität austauschen und Spiritualitätsformen in ihrer
Vielfalt und Tiefe kennenlernen könnte.
18 Alexandra Pook, Ein Projekt mit Blick auf die Zukunft der Kirche, in: Christen heute 58 (2014)
182–183: 183.