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Barsch, Sebastian/ Barte, Burghard (Hrsg.): Motivation – Kognition – Reflexion. Schlaglichter geschichtsdidaktischer Professionsforschung. Frankfurt/M. 2021.

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Abstract and Figures

Dieser Band versammelt theoretische Perspektiven, konzeptionelle Ansätze und empirische Erkenntnisse zur Professionalisierung von Geschichtslehrpersonen. Neben einem Überblick über die bisherigen methodologisch-methodischen Ausrichtungen werden auch bisher kaum berücksichtigte sowie neue Zugänge zu diesem Feld vorgestellt. Darüber hinaus bietet der Band beispielhaft praktische Vorschläge für die Initiierung von Professionalisierungsprozessen in der Hochschullehre und diskutiert, was als domänenspezifisches Professionswissen verstanden werden kann und wie die Forschung in diesem Feld weiterentwickelt werden könnte.
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Motivation –
Kognition –
Reflexion
Schlaglichter geschichtsdidaktischer
Professionsforschung
Sebastian Barsch, Burghard Barte (Hg.) I Motivation Kognition Reflexion
ISBN 978-3-7344-1229-5
Zu diesem Buch
Dieser Band versammelt theoretische Perspektiven, konzeptionelle Ansätze und
empirische Erkenntnisse zur Professionalisierung von Geschichtslehrpersonen.
Neben einem Überblick über die bisherigen methodologisch-methodischen
Ausrichtungen werden auch bisher kaum berücksichtigte sowie neue Zugänge
zu diesem Feld vorgestellt. Darüber hinaus bietet der Band beispielha prak-
tische Vorschläge für die Initiierung von Professionalisierungsprozessen in der
Hochschulehre und diskutiert, was als domänenspezifisches Professionswissen
verstanden werden kann und wie die Forschung in diesem Feld weiterentwickelt
werden könnte.
Zur Reihe
In der Reihe GESCHICHTSUNTERRICHT ERFORSCHEN werden Beiträge ver-
öentlicht, die sich empirisch fundiert, theoretisch konsistent und international
anschlussfähig mit Geschichtsunterricht beschäigen. Die Reihe soll dem fach-
didaktischen Diskurs ein Forum bieten, in dem empirische Forschung und ge-
schichtsdidaktische Theoriebildung eng aufeinander Bezug nehmen.
GESCHICHTSUNTERRICHT ERFORSCHEN wird herausgegeben von Monika
Fenn, Peter Gautschi, Johannes Meyer-Hamme, Holger Thünemann und Meik
Zülsdorf-Kersting.
Die Herausgeber
Sebastian Barsch ist Professor für Didaktik der Geschichte an der Christian-
Albrechts-Universität zu Kiel.
Burghard Barte ist wissenschalicher Mitarbeiter der Professur für Didaktik der
Geschichte an der Universität Passau.
WOCHEN
SCHAU
GESCHICHTE
WOCHEN
SCHAU
GESCHICHTE
Sebastian Barsch
Burghard Barte
(Hg.)
9783734 412295
GESCHICHTSUNTERRICHT ERFORSCHEN
© Wochenschau Verlag, Frankfurt/M.
Schlaglichter geschichtsdidaktischer
Professionsforschung
WOCHEN
SCHAU
GESCHICHTE
Motivation – Kognition – Reflexion
Sebastian Barsch, Burghard Barte (Hg.)
Geschichtsunterricht erforschen Band 12
© Wochenschau Verlag, Frankfurt/M.
© WOCHENSCHAU Verlag,
Dr. Kurt Debus GmbH
Frankfurt/M. 2021
www.wochenschau-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form
(Druck, Fotokopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Geneh-
migung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer
Systeme verarbeitet werden.
Umschlaggestaltung: Ohl Design
Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier
Gesamtherstellung: Wochenschau Verlag
ISBN 978-3-7344-1229-5 (Buch)
E-Book ISBN 978-3-7344-1230-1 (PDF)
DOI https://doi.org/10.46499/1457
Bibliograsche Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deut-
schen Nationalbibliograe; detaillierte bibliograsche Daten sind im Inter-
net unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Die Reihe „Geschichtsunterricht erforschen“ wird
herausgegeben von
Monika Fenn
Peter Gautschi
Johannes Meyer-Hamme
Holger Thünemann
Meik Zülsdorf-Kersting
Die Qualität der in dieser Reihe erscheinenden Arbeiten wird vor der Publi-
kation in einem oenen Peer-Review-Verfahren durch das Herausgebergre-
mium – gegebenenfalls in Verbindung mit externen, vom Herausgeber-
gremium benannten Gutachtern – geprüft.
© Wochenschau Verlag, Frankfurt/M.
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Inhalt
SEBASTIAN BARSCH, BURGHARD BARTE
Motivation– Kognition– Reflexion. Erfolgsfaktoren für eine gelingende
Geschichtslehrer:innenbildung? ................................ 5
Empirische Befunde
MARTIN NITSCHE
Ansätze und Methoden der Professionsforschung in Geschichte ....... 18
SEBASTIAN BARSCH, NINA GLUTSCH
Berufswahlmotivation und fachliche Überzeugungen von
angehenden Geschichtslehrer:innen ............................. 36
SIMONE LANKES
Didaktische Diagnostik im Geschichtsunterricht. Exemplarische
Einzelfallanalysen der Perspektiven von Lehrer:innen ............... 57
LALE YILDIRIM
Entwicklung und Veränderung von Selbstkonzepten im Praxissemester .. 80
Methodologische Reflexionen und konzeptionelle
Überlegungen
MONIKA FENN, STEFANIE URBAN
Das Potsdamer Modell des erweiterten Fachwissens für den schulischen
Kontext Geschichte. Explorative Prüfung in einer Delphi-Studie ...... 105
LUKAS GREVEN
Didaktische Rekonstruktion und dokumentarische Methode.
Ein integriertes Modell als Rahmenkonzept für die Lehrer:innen-
vorstellungsforschung ........................................ 134
© Wochenschau Verlag, Frankfurt/M.
4
HENNING HOST
Design-Based Research in der geschichts didaktischen
Professionalisierungsforschung. Ein Beispiel im gymnasialen
Geschichtsunterricht der sechsten Jahrgangsstufe .................. 158
BURGHARD BARTE, HORST SCHILLING
Historisches Lehren im Bedingungsgefüge von Geschichtskultur,
Lehr-Lernkultur und digitalen Massenmedien .................... 178
Bildungspraktische Vorschläge und geschichtsdidaktische
Forschungsperspektiven
CHRISTOPH BRAMANN
Schulbucharbeit– ein Aspekt der Professionalisierung von
Geschichtslehrkräften? Implikationen zur Einbindung eines
Leitmediums in die Hochschullehre ............................. 198
JOCHEN PAHL
Geschichtsdidaktische Kompetenzentwicklung durch Analysen von
Unterrichtsvideos ........................................... 224
CHRISTIAN HEUER, MANFRED SEIDENFUß
Geschichtslehrer:innenbildung anders denken! Überlegungen zum
Verhältnis von Disziplin und Profession .......................... 241
Über die Autor:innen ........................................ 261
© Wochenschau Verlag, Frankfurt/M.
5
SEBASTIAN BARSCH, BURGHARD BARTE
Motivation– Kognition– Reexion
Erfolgsfaktoren für eine gelingende Geschichtslehrer:innenbildung?
Während über lange Zeit die wissenschaftliche und öentliche Perspektive auf
Schule vor allem auf die Leistungen von Schüler:innen gerichtet war, ist die Pro-
fessionalisierung von Lehrer:innen erst im Rahmen der verschiedenen Bildungs-
und Fortbildungsphasen zu einem fest etablierten Forschungsbereich in den Bil-
dungswissenschaften und Schulfachdisziplinen geworden. Nicht nur beügelt
durch (inter)nationale Vergleichsstudien wie PISA oder COACTIV entwickel-
te sich eine zunehmende Sensibilität für die Bedeutung der Lehrkraft für schu-
lische Erfolge. Die in Wissenschaft und Medien vielfach rezipierte Hattie-Stu-
die (2009) stellte die Bedeutung einer professionell agierenden Lehrkraft für
gelingendes Lernen in einer Deutlichkeit heraus, wie sie vorher nur selten zu
vernehmen war. Die Ergebnisse dieser umfassenden Meta-Studie sowie ein
gleichzeitig gesteigertes wissenschaftliches Interesse an Grundlagen des profes-
sionellen Handelns von Lehrpersonen waren der Ausgangspunkt für grundle-
gende bildungspolitische Maßnahmen. In Deutschland etwa wurde das politi-
sche Steuerungselement der „Qualitätsoensive Lehrerbildung“ genutzt, um die
Professionsforschung stärker an den Hochschulen zu verankern. Auch in Öster-
reich und der Schweiz wurden zahlreiche Forschungsprojekte initiiert und been-
det; ebenso im nichtdeutschsprachigen Ausland. Dabei ist in Rechnung zu stel-
len, dass im internationalen Kontext professionals und ihre fachlichen beliefs, aber
auch ihr fachliches Wissen und Können, schon früher Gegenstand theoretischer
Überlegungen (Shulman 1987) und empirischer Studien auch aus domänenspe-
zischer Perspektive waren (bspw. Wineburg 1991).
Waren in Deutschland zunächst vor allem die Bildungswissenschaften in
diese Forschungen involviert, nehmen sich zunehmend auch die Fachdidaktiken
derartiger Fragestellungen an und widmen sich den Herausforderungen und
notwendigen Voraussetzungen auf Seiten der Lehrpersonen für die Gestaltung
gelingenden Unterrichts. Dabei dient auch in der Geschichtsdidaktik zumeist
der kompetenztheoretische Ansatz (Baumert/Kunter 2006) und das aus diesem
hervorgegangene Modell (Baumert/Kunter 2011) als konzeptioneller Rahmen,
wenn beispielsweise erforscht wird, welche Kenntnisse und Wissensformen das
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6 Sebastian Barsch, Burghard Barte
für professionelles Handeln grundlegende Fachwissen umfassen sollte (bspw.
Fenn/Seider 2017). Wenngleich jüngst eine kritische Auseinandersetzung mit
diesem Ansatz zu verzeichnen ist, insofern angemerkt wird, dass es gerade für die
Ermöglichung historischen Lernens spezische Facetten von Wissen und Kön-
nen gibt, die von dem bildungswissenschaftlich dominierten Modell nicht abge-
deckt werden (Heuer/Körber/Schreiber/Waldis 2019), erönet das Modell zahl-
reiche domänenspezische Anknüpfungspunkte.
Geschichtsdidaktische Studien mit dem Fokus auf Lehrpersonen erstrecken
sich auf nahezu alle Bereiche der Professionalisierung (Waldis/Ziegler, 2018,
48 50; Nitsche in diesem Band)– von der Entwicklung des Professionswissens
(Heuer/Resch, 2019) über die Unterrichtsplanung (Litten, 2017) bis hin zur Be-
urteilungspraxis von Klassenarbeiten (Kahlcke, 2019). Gleichwohl bildet die do-
mänenspezische Kompetenzentwicklung von Geschichtslehrpersonen und darin
die Entwicklung des Professionswissens im Rahmen der ersten beiden Phasen–
Studium und Referendariat– einen Schwerpunkt innerhalb dieses Forschungsfel-
des. Neben den in diesem Band vorliegenden Beiträgen widmete sich erstmalig in
größerem Umfang die Zweijahrestagung der Konferenz für Geschichtsdidaktik
dem ema, deren Ergebnisse im 2013 erschienen Tagungsband (Popp u. a. 2013)
zusammengetragen sind. Ein Jahr später fokussierte der von Manfred Seidenfuß
herausgegebene Band 13 der Zeitschrift für Geschichtsdidaktik ebenfalls das
„Forschungsfeld Geschichtslehrkräfte“. Seitdem starteten zahlreiche Projekte und
entstanden weitere Arbeiten, die sich dem emengebiet widmen (u. a. Litten
2017; Heuer/Resch/Seidenfuß 2017; Nitsche/Waldis 2017; Schröer 2015).
Die fortschreitende Dynamik in dem Forschungsfeld war für uns Anlass, im
Wintersemester des Jahres 2018/19 eine Vorlesungsreihe an der Christian-Alb-
rechts-Universität zu Kiel zu veranstalten, in der sich aktuelle Studien und Ar-
beiten aus dem Bereich der geschichtsdidaktischen Professionsforschung ver-
sammeln und aus der dieser Band hervorgegangen ist. Der Band verbindet
aktuelle empirische Studien mit konzeptionellen Überlegungen für zukünftige
Forschungen und stellt hochschuldidaktische Innovationsvorschläge vor. Er ad-
ressiert somit eorie, Empirie und Pragmatik. In der Vorbereitung der Vorle-
sungsreihe sowie im Austausch mit den Autor:innen des Bandes zu den Schwer-
punkten ihrer Beiträge zeigte sich zudem, dass die aktuellen Forschungen in dem
Feld, wenn auch in ganz unterschiedlicher Akzentuierung, mindestens eines der
Schlagworte Motivation, Kognition oder Reexion gezielt in den Blick nehmen.
Daher entschieden wir uns, diese Begrie als roten Faden in der Lektüre zu wäh-
len und nutzen sie im Folgenden als Perspektiven für einen kurzen Überblick
über die Forschungslandschaft.
© Wochenschau Verlag, Frankfurt/M.
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1. Motivation
Warum ist der Faktor „Motivation“ relevant für die Lehrer:innenbildung? In der
jüngeren Professionsforschung kommt der Berufswahlmotivation ein hoher
Stellenwert zu. So wird etwa innerhalb des Modells zur professionellen Kompe-
tenz von Baumert und Kunter (Baumert/Kunter 2011) Motivation als eine von
vier grundlegenden Aspekten betrachtet. Auch in anderen Studien wird davon
ausgegangen, dass motivationale Orientierungen im Kontext der Lehrer:in nen-
bil dung als Prädikatoren für Erfolg oder Misserfolg von Lern- und Entwick-
lungsprozessen im Studium ausschlaggebend sein können (Kunter/Kleickmann/
Klusmann/Richter 2011). International gibt es mittlerweile zahlreiche Studien,
die die Berufswahlmotivation von (angehenden) Lehrer:innen in den Blick ge-
nommen haben. Auch wenn diese methodisch nicht immer vergleichbar sind
(Neugebauer 2013, 158 159), zeigen sich bestimmte Tendenzen:
Wird die Wahl für ein Studium bzw. einen Beruf beispielsweise als ein Pro-
zess erklärt (Wigeld/Eccles 2000), der mit den Erfolgserwartungen und dem
subjektiven Wert der Entscheidungsalternativen verbunden ist, können Aspekte
wie beruiche Sicherheit und Aufwand oder Anstrengung und intrinsische Wer-
te wie Freude und Interesse an einer Tätigkeit miteinander in Verbindung ge-
bracht werden. Das international eingesetzte FIT-Choice-Modell (Factors in-
uencing teaching as a career choice) von Richardson und Watt (2007) zählt
darauf aufbauend verschiedene Komponenten auf, die die Berufswahl für den
Lehrer:innenberuf beeinussen: Dazu zählen die selbst eingeschätzte Fähigkeit
in Bezug auf den Lehrer:innenberuf, individuelle (intrinsische, soziale, persönli-
che) Werte sowie die antizipierten Anforderungen und Vorteile des Berufs. Äu-
ßere Einüsse und pädagogische Vorerfahrungen scheinen ebenfalls eine große
Rolle zu spielen, wenn es um die Entscheidung geht, Lehrer:in zu werden (Kö-
nig/Rothland/Darge/Lünnemann/Tachtsoglou 2013; Richardson/Watt 2007).
In den meisten Untersuchungen wird nach intrinsischer (fachliche Interessen,
Spaß an der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen etc.) und extrinsischer Mo-
tivation (gutes Einkommen, hohe beruiche Sicherheit etc.) dierenziert. All-
gemein betrachtet weisen Lehramtsstudierende im Vergleich zu Studierenden
anderer Studiengänge eine höhere soziale Motivation auf (Klusmann/Traut-
wein/Lüdtke/Kunter/Baumert 2009; Neugebauer, 2013; Rolo Henoch/Klus-
mann/Lüdtke/Trautwein, 2015; Glutsch/Barsch 2017). Studierende in den Stu-
diengängen für das Gymnasiallehramt allerdings zeigen geringere pädagogische
und altruistische Motive als die anderer Lehramtsstudiengänge (Glutsch/König/
Rothland 2018, 478).
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8 Sebastian Barsch, Burghard Barte
Auch in der geschichtsdidaktischen Professionsforschung wurde die Berufs-
wahlmotivation von (angehenden) Geschichtslehrer:innen in den Blick genom-
men. Hier sind die Befunde auch im Vergleich zu den bildungswissenschaftli-
chen Studien uneinheitlich. So konnte Kanert (2014) zwar ebenfalls primär
hedonistische und pädagogische Motive für die Berufswahl identizieren,
gleichwohl kommen andere Studien durchaus zu dem Befund, dass fachliches
Interesse und/oder das Interesse, einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten, über-
wiegt (Barsch/Glutsch 2019; für eine Übersicht auch Barsch/Glutsch in diesem
Band).
2. Kognition
Als Gegenstand der Kognitionsforschung kann die mentale Informationsverar-
beitung im Sinne des Wissenserwerbs und fortwährenden Reorganisation die-
ses entwickelten Wissens beschrieben werden. Dabei spielen auch die individu-
ellen Erfahrungen und daraus abgeleiteten Erwartungen sowie Vorstellungen
eine maßgebliche Rolle für die Informationsverarbeitung und das Verhalten. Es
geht der Kognitionsforschung also im Kern darum, „die Eigenschaften des men-
talen Systems zu untersuchen, das Intelligenz bzw. intelligentem Verhalten un-
terliegt“ (Frensch 2006, 19). Von einem engen Zusammenhang zwischen Infor-
mationsverarbeitung und Verhalten wird auch in der Professionsforschung
ausgegangen. Wissen wird hierbei als „mentale Innenseite des Könnens“ (Neu-
weg 2014, 583) betrachtet. Während das zu erwerbende geschichtsdidaktische
Professionswissen bereits seit Längerem intensiv empirisch beforscht wird (sie-
he bspw. Brauch u. a. 2014; Heuer/Resch/Seidenfuß 2017; Waldis u. a. 2014),
wird der Bereich des Fachwissens erst seit kurzem verstärkt in den Blick genom-
men (u. a. Sauer 2012; Kuchler/Sommer 2018; vor allem Fenn/Seider 2017;
Fenn/Urban in diesem Band; Barsch/Barte 2019). Im COACTIV-Modell wer-
den Überzeugungen und Werthaltungen sowie das Professionswissen als zwei
voneinander getrennte Aspekte betrachtet (2006, 482, 496). Auch mit Blick auf
die geschichtsdidaktische Forschung zeigt sich hier, dass diese mentale Dimen-
sion des professionellen Handelns und Verhaltens schon länger intensiv disku-
tiert und nun zunehmend empirisch beforscht wird (für einen Überblick: Bühl-
Gramer 2018; sowie Litten 2017).
Die theoretischen Ausgangspunkte reichen von einem engeren Wissensbe-
gri und der Erfassung des verfügbaren historischen (bspw. Borries 2007; 2013)
oder geschichtsdidaktischen Wissens (Resch/Seidenfuß 2018) bis hin zu umfas-
senderen Konstrukten wie Skripts (Fenn 2013; 2015), Vorstellungen und subjek-
© Wochenschau Verlag, Frankfurt/M.
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tiven eorien bzw. beliefs, in denen die Überzeugungen und Werthaltungen
miteinbezogen sind (u. a. Lankes in diesem Band; Nitsche 2016; Nitsche/Waldis
2017; Schröer 2015). So arbeitet beispielsweise Schröer eine Typologie professi-
onsbezogener beliefs heraus und macht darauf aufmerksam, wie vielschichtig die
Kognitionen von Geschichtslehrpersonen sind und dass beispielsweise wissen-
schaftstheoretische und unterrichtsmethodische Überzeugungen direkt wechsel-
seitig aufeinander bezogen sind (Schröer 2015, 311). Welche handlungssteuern-
de Wirkung Kognitionen haben, hat Monika Fenn in den Blick genommen.
Ihre Ergebnisse zeigen, dass Skripts und subjektiven eorien von Geschichts-
lehramtsstudierenden durch innovative Lernumgebungen mit ergänzenden
Coachingphasen gezielt entwickelt bzw. verändert werden können (Fenn 2015,
524 – 534).
3. Reflexion
Neben motivationalen Faktoren und kognitiven Fähigkeiten wird der Reexi-
onsfähigkeit ein hoher Stellenwert für die Lehrer:innenbildung zugesprochen.
Mit der oft zitierten Forderung, dass die Lehrkräftebildung darin münden solle,
reektierte Praktiker:innen mit forschender Grundhaltung (Schön 1983) her-
vorzubringen, ist letztlich die Honung verbunden, dass Lehrpersonen als le-
benslang sich weiterentwickelnde Professionelle die eigene Haltung dann infra-
ge stellen, wenn sie den Pfad theorie- und evidenzbasierten Handelns verlassen.
Die Reexionsfähigkeit kann daher als ein professionsbezogenes Leitbild ver-
standen werden: Lehrer:innen sollen in ihrem beruichen Handeln bereit sein,
Routinen und subjektive Überzeugungen zu hinterfragen. Dies betrit ganz
konkret auch die unterrichtliche Praxis: „e aim of this reection is for to per-
form better in the next lesson.“ (Korthagen 2001, 59). Unter einer professionel-
len Reexion wird kein einfaches „Nachdenken“ über Routinen und Handlun-
gen verstanden. Vielmehr sollen konkrete Handlungssituationen theoriegeleitet
reektiert und eigenes Handeln in der Situation kritisch begleitet werden: „Re-
ection can take place after an action (reection-on-action) or during the action
(reection-in-action).“ (ebd., 68)
Interessanterweise gilt die Reexionsfähigkeit schon seit mehr als 30 Jahren
zumindest theoretisch als eine Schlüsselfähigkeit von Lehrerpersonen: „In the
past 10 years, the terms ‚reection‘ and ‚critical reection‘ have increasingly ap-
peared in descriptions of approaches to teacher education“ (Hatton/Smith 1995,
33). Umso überraschender ist die geringe Anzahl gerade empirischer Forschun-
gen zur Reexionsfähigkeit von (angehenden) Geschichtslehrer:innen, obwohl
© Wochenschau Verlag, Frankfurt/M.
10 Sebastian Barsch, Burghard Barte
mittlerweile auf Reexion ausgerichtete Studienphasen, beispielsweise durch die
Praxisphasen begleitende Portfolioarbeit, an nahezu allen Hochschulstandorten
eingeführt wurden. In einer dieser Studien konnten Barsch und Glutsch zeigen,
dass Geschichtsstudierende in Kiel und Köln in ihren Portfoliotexten nur selten
eine kritisch-durchdringende Reexionstiefe zeigen. Nur wenige Texte setzten
sich fachlich fundiert mit der eigenen Professionalisierung und Entwicklung
auseinander (Barsch/Glutsch 2019, 66 67). Ähnliche Beobachtungen wurden
zuvor fachunabhängig auch in anderen Studien gemacht (Leonhard 2013;
Barsch/Glutsch 2016). Auch Christoph Wilfert befasste sich mit der Reexions-
fähigkeit von Geschichtsstudierenden im Kontext des Praxissemesters, hier ins-
besondere hinsichtlich des Zusammenhangs mit Kompetenzen im Feld For-
schenden Lernens (Wilfert 2016). Das Praxissemester und dort in Anteilen auch
die Reexionsfähigkeit als Basis des „reective practitioners“ (Schön 1983) wur-
de zudem von Isabelle Nientied und Martin Schlutow (Nientied/Schlutow
2017) sowie Lale Yildirim (Yildirim 2016; auch in diesem Band) in den Blick
genommen. Auch das schon erwähnte 2019 veröentlichte GeDiKo-Modell,
in welchem spezische Überlegungen zu einem Modell geschichtsdidakti-
scherKompetenzen von Lehrpersonen skizziert werden, geht ebenso davon aus,
dass Reexionsfähigkeit und (Selbst-)Reexivität grundlegende Merkmale ei-
ner professionellen Kompetenz sind (Heuer/Körber/Schreiber/Waldis 2019,
106 – 110).
4. Zum Aufbau des Bandes
Der streiichtartige Einblick in die geschichtsdidaktische Professionsforschung
macht deutlich, dass mit Fug und Recht davon gesprochen werden kann, dass
sich diese nicht zuletzt durch die Vielzahl der fundierten empirischen Studi-
en zu einem prominenten Feld entwickelt und als eigener Forschungszweig
etabliert hat (dazu auch Heuer/Seidenfuß in diesem Band). Die Breite und
Dyna mik des Forschungszweigs reektiert sich auch in den hier vertretenen
Beiträ gen. Gleichwohl uns dies nicht leichtgefallen ist, da sich die Beiträge
vielfach zwischen den Schwerpunktsetzungen bewegen, haben wir uns hinsicht-
lich der Anordnung für eine Einteilung in drei Kapitel entschieden. Im ers-
tenKapitel nden sich Beiträge, die Befunde empirischer Studien ins Zentrum
stellen. Schwerpunkt des zweiten Kapitels sind methodologische Reexionen
und konzeptionelle Überlegungen. Das dritte Kapitel versammelt schließlich
bildungspraktische Vorschläge und geschichtsdidaktische Forschungsperspekti-
ven.
© Wochenschau Verlag, Frankfurt/M.
11
Einführend zeichnet Martin Nitsche die Entwicklung der verschiedenen
professionstheoretischen Ansätze in der Geschichtsdidaktik nach. Darauf auf-
bauend gibt er einen Einblick in die Entwicklung der geschichtsdidaktischen
Professionsforschung sowie einen umfassenden Überblick über die deutschspra-
chigen Studien in dem Feld. Dabei setzt sich Nitsche mit der Methodenplura-
lität als methodologisches Konzept auseinander und diskutiert das Potential
derDierenzierung theoretischer Zugänge für zukünftige geschichtsdidaktische
Forschungen.
Mit einem expliziten Fokus auf Motivation widmen sich Sebastian Barsch
und Nina Glutsch in einem vergleichend angelegten, qualitativ ausgerichteten
Forschungsdesign der Berufswahlmotivation und dem Fachverständnis von zu-
künftigen Geschichtslehrpersonen auf Grundlage der Analyse von Interviews
mit Geschichts- und Physikstudierenden. In Anlehnung an die konstruktivisti-
sche Grounded-eory-Methodologie analysieren sie die Domänenspezik der
Berufswahlmotive der befragten Studierenden.
Aus ihrem Projekt, in dem sie subjektive eorien Geschichtslehrender zur
Diagnostik erforscht, präsentiert Simone Lankes Befunde zu diagnostischen
Überzeugungen als ein konkreter Teilaspekt subjektiver eorien. Entlang der
Darstellung dreier ausgewählter Einzelfälle steckt sie die Breite dieser spezi-
schen, handlungsrelevanten Kognitionen ab und zeigt auf, in welcher Form Ge-
schichtslehrpersonen diagnostische Verfahren als relevant erachten und für die
Ermöglichung historischen Lernens einsetzen. Ihre Befunde verweisen auf die
Notwendigkeit weiterer geschichtsdidaktischer Forschungen zur Diagnostik, der
nicht zuletzt mit Blick auf einen subjektorientierten Geschichtsunterricht sowie
im Kontext der bildungspraktischen Umsetzung der Inklusion eine große Be-
deutung zugemessen werden kann.
Das erste Kapitel beschließt Lale Yildirim mit der Präsentation von Ergeb-
nissen aus ihrer im Prä-/Post-Design durchgeführten Fragebogenstudie zu den
Veränderungen von Selbstkonzepten im Rahmen des Praxissemesters in Berlin.
Aufbauend auf einer professionstheoretischen Einordnung des Praxissemesters
legt sie die Operationalisierung des Begries Selbstkonzept sowie ihr for-
schungspraktisches Vorgehen dar. Die identizierten Fokusverschiebungen nach
dem Absolvieren des Praxissemesters stellen Erkenntnisse dar, die eine Reexi-
onsfolie für die zukünftige Gestaltung und Weiterentwicklung des Praxissemes-
ters als eine Professionalisierungsgelegenheit sein können.
Monika Fenn und Stefanie Urban erönen das zweite Kapitel mit methodi-
schen Reexionen zu ihrer Fachwissensforschung, die sie als mehrstuge Del-
phi-Studie angelegt haben. Durch die Veranschaulichung der Überlegungen
© Wochenschau Verlag, Frankfurt/M.
12 Sebastian Barsch, Burghard Barte
entlang umfangreichen Datenmaterials schlagen sie hier die Brücke von der Em-
pirie zu den konzeptionellen Überlegungen. Im Zentrum des Beitrags steht die
Diskussion der empirischen Prüfung und Ausdierenzierung der hergeleiteten
Kategorien für eine Topologie des historischen Fachwissens. Die hier präsentier-
ten Befunde, wie beispielsweise das von den befragten Expert:innen als beson-
ders relevant markierte Wissen zur fachspezischen Erkenntnisbildung, bieten
bereits Rückschlussmöglichkeiten für auf Kohärenz ausgerichtete Konzepte in
den fachwissenschaftlichen Studienanteilen.
Einen methodologischen, und ebenfalls durch empirische Befunde berei-
cherten Ansatz stellt Lukas Greven vor. In der Zusammenführung von Didakti-
scher Rekonstruktion und Dokumentarischer Methode entwickelt er ein Mo-
dell, das ein Ausgangspunkt nicht nur für empirische Forschungen, sondern auch
für konzeptionelle Überlegungen zur Professionalisierung sein kann. Darüber
hinaus gibt er Anregungen, wie das Konzept als didaktische Folie genutzt wer-
den kann, um Reexionen über professionelles Handeln anzuregen.
Das berufspraktische Handeln von Geschichtslehrpersonen ist nicht nur
durch auf Individuen bezogene Merkmale bedingt, sondern wird auch durch ei-
ne Reihe weiterer Aspekte, wie gesellschaftlich-normative Vorstellungen zu den
Zielsetzungen des Geschichtsunterrichts oder institutionelle Rahmenbedingun-
gen mitbestimmt. Dem bislang in der Geschichtsdidaktik noch wenig berück-
sichtigten methodologischen Ansatz des Design-Based-Research (DBR), der
diese Einussgrößen explizit aufgreift, widmet sich Henning Host. Aufbauend
auf der Darstellung des Ansatzes diskutiert er konkrete Möglichkeiten des for-
schungspraktischen Vorgehens und erläutert das Potential des DBR-Grundge-
dankens auch für Professionalisierungsprozesse im Rahmen der dritten Phase
der Lehrer:innenbildung, um die Gestaltung von Geschichtsunterricht reektie-
rend zu begleiten.
Ausgehend vom digitalen Wandel und den sich daraus wandelnden Voraus-
setzungen auf Seiten der Schüler:innen diskutieren Burghard Barte und Horst
Schilling die Erweiterung der professionellen Kompetenz um informatorische
Grundlagen aus einer domänenspezischen Perspektive. Dabei gehen sie der
Frage nach, inwiefern der Erwerb informatorischen Wissens fachunabhängig
gedacht werden kann und welche konzeptionellen Implikationen aus der Digi-
talität für die domänenspezische Entwicklung professioneller Kompetenz fol-
gen. Diese gründen sie in der Grundannahme, dass digitale Medien im Hinblick
auf Lernen als ein konstitutives Element der Welterschließung im Allgemeinen
und des formalen historischen Lernens im Konkreten angesehen werden müs-
sen. In seiner ausblickenden Argumentation schlägt der Beitrag die Brücke zu
© Wochenschau Verlag, Frankfurt/M.
13
den im nächsten Kapitel im Vordergrund stehenden bildungspraktischen Vor-
schlägen und einer zukünftigen Perspektive für die geschichtsdidaktische Pro-
fessionsforschung.
Entlang eines mehrheitlich noch analogen Mediums, dem Schulbuch, nimmt
Christoph Bramann die hochschulische Bildungspraxis in den Blick und zeigt auf,
wie die Auseinandersetzung mit Schulgeschichtsbüchern zur Förderung des ge-
schichtsdidaktischen Wissens genutzt werden kann. Angesichts der fortwähren-
den Stellung des Schulgeschichtsbuchs als Leitmedium des Geschichtsunter-
richts plädiert Bramann für eine didaktische Integration der Analyse dieser
Bücher in die Hochschullehre und stellt konkrete Umsetzungsmöglichkeiten so-
wie Anregungen für dahingehend ausgerichtete Prüfungsformate vor.
Ebenfalls mit dem Fokus auf die Entwicklung des geschichtsdidaktischen
Professionswissens erörtert Jochen Pahl, wie der Einsatz verschiedener Videofor-
mate (eigener Unterricht, Best-Practice-Beispiele, Videovignetten etc.) ein Aus-
gangspunkt für eorie-Praxis-Bezüge in den geschichtsdidaktischen Studien-
anteilen genutzt werden kann. Dabei arbeitet er heraus, welche konzeptionellen
Entscheidungen jeweils mit Blick auf einen kompetenzorientierten Einsatz zu
treen sind. So kommt er unter anderem zu dem Schluss, dass gerade die Res-
sourcenintensität von videobasierten Lernumgebungen weniger ein Hemmnis
für ihren Einsatz sein muss als vielmehr ein Potential für institutionenübergrei-
fende Kooperationsformate sein kann.
Das Votum für eine oene, an verschiedenen bildungs- und professionsthe-
oretischen Ansätzen orientierte empirische Forschung, mit dem Martin Nitsche
den Band erönete, wird auch von Christian Heuer und Manfred Seidenfuß in
ihrem den Band beschließenden Beitrag aufgegrien. Von diesem Grundgedan-
ken ausgehend setzen sie sich kritisch mit der hegemonialen Stellung des kom-
petenztheoretischen Ansatzes innerhalb des geschichtsdidaktischen Diskurses
zur Professionalität auseinander. Dabei beziehen sie die Position, dass der Ge-
schichtsdidaktik als Wissenschaftsdisziplin und der Praxis des Geschichtsunter-
richts jeweils eigene Wissensordnungen zugrunde liegen. Aus dieser Perspekti-
ve diskutieren sie, wie Professionalisierung, ausgehend von der Anerkennung
und Reexion dieser jeweils spezischen Ordnungslogik, als die systematische
Einnahme unterschiedlicher Beobachtungsperspektiven zukünftig gedacht wer-
den könnte.
Wir wünschen Ihnen nun eine anregende Lektüre und danken allen Re fe-
rent:in nen der Vorlesungsreihe sowie Beitragenden des Bandes. Für die Unter-
stützung bei der redaktionellen Arbeit danken wir unseren studentischen Mit-
ar bei ter:innen, vor allem Jan-Christian Wilkening und Sebastian Mill. Sehr
© Wochenschau Verlag, Frankfurt/M.
14 Sebastian Barsch, Burghard Barte
herzlich bedanken möchten wir uns abschließend beim „Alumni und Freunde
der CAU e. V.“, der durch seine nanzielle Unterstützung der Publikation eine
zeitnahe Veröentlichung des Bandes auch im Open-Access ermöglicht hat.
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18 Martin Nitsche
MARTIN NITSCHE
Ansätze und Methoden der Professionsforschung
in Geschichte
1. Einleitung
Vor 10 Jahren konnte Hasberg (Hasberg 2010, 160) noch konstatieren, Ge-
schichtslehrpersonen stünden selten im Fokus geschichtsdidaktischer Reexio-
nen, noch seltener im Fokus der Forschung. Obwohl damals administrative und
geschichtsdidaktische Überlegungen hinsichtlich notwendiger Kompetenzen
publiziert waren oder sich gerade in Druck befanden (z. B. Kultusministerkonfe-
renz 2015; Jung/ünemann 2007; Pandel 2005), lagen tatsächlich kaum zehn
Studien vor, in denen (angehende) Geschichtslehrpersonen beforscht wurden
(vgl. Tab.).
Inzwischen gilt dieses Diktum nicht mehr. Angestoßen von bildungswissen-
schaftlichen Bemühungen vor allem hinsichtlich der Erforschung der professio-
nellen Handlungskompetenz (vgl. Abschnitt 2) sind seit 2010 ca. dreißig Studi-
en publiziert worden, in denen angehende und/oder erfahrene Geschichtsleh-
rer:in nen in den Blick gerieten (vgl. Tab.). Zeit also Bilanz zu ziehen sowie
Ansätze zu diskutieren.
Um den Analysehorizont zu konturieren, skizziere ich die wesentlichen bil-
dungswissenschaftlichen Ansätze und Forschungsverfahren, fasse die geschichts-
didaktischen Forschungstendenzen, Ansätze und Methoden zusammen, bevor
ich anhand einer eigenen Studie Chance und Grenzen qualitativer und quanti-
tativer Methoden für die geschichtsdidaktische Professionsforschung skizziere.
Zum Abschluss erfolgt ein Ausblick.
2. Bildungswissenschaftliche Ansätze der Professionsforschung
In den Bildungswissenschaften werden Lehrpersonen seit etwa 100 Jahren sys-
tematisch beforscht. Dabei galt bis in die 1960er Jahre das Persönlichkeitspara-
digma als maßgebend, wonach erfolgreiches Unterrichten als in eher stabilen
Personenmerkmalen der Lehrenden begründet angesehen wurde. Nach Jahren
der Kritik werden, angestoßen von Forschungen der Persönlichkeitspsychologie,
Empirische Befunde
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19
seit den 1990er Jahren wieder verstärkt Aspekte der Persönlichkeit von (ange-
henden) Lehrkräften beforscht. So konnte etwa Mayr basierend auf den fünf
Persönlichkeitsmerkmalen Neurotizismus, Extraversion, Oenheit, Verträglich-
keit und Gewissenhaftigkeit– den ‚Big Five‘– Zusammenhänge zwischen dem
Merkmal Extraversion (z. B. Geselligkeit) und der Kompetenz zur Förderung so-
zialer Beziehungen in Klassen bei Lehrkräften unterschiedlicher Fachrichtun-
gen aufzeigen (Mayr 2014).
Anschließend interessierten sich Forschende im Rahmen des Prozess-
Produkt-Paradigmas insbesondere für solche Aspekte des Unterrichts, die zum
Lernerfolg der Schüler:innen beitrugen. Im darauolgenden Prozess-Media-
tions-Produkt-Ansatz wurden zudem die Informationsverarbeitungsprozesse der
Lernenden einbezogen, bevor seit den 1980er Jahren unter dem Expert:innen-
Paradigma wieder die Lehrkräfte in den Blick gerieten. So untersuchten etwa
Berliner u. a. mittels qualitativer Analysen die Unterrichtswahrnehmung und
stellten fest, dass Expert:innen eher das Lernen der Schüler:innen reektierten,
während Anfänger:innen sich auf nebensächliche Details konzentrierten
(Krauss/Bruckmaier 2014).
Auch davon angeregt, entwickelten sich nach Cramer (2019) die vier Haupt-
stränge der bildungswissenschaftlichen Professionsforschung. Als Professionen
gelten Berufe wie Ärzt:innen oder Jurist:innen, deren Tätigkeitsfelder sich durch
Handeln unter unsicheren Bedingungen charakterisieren lässt, für dessen Bewäl-
tigung die ‚professionals‘ Wissen und Können vor dem Hintergrund ihrer eige-
nen Sozialisations- und Berufserfahrungen sowie die Bereitschaft zur Reexion
derselben benötigen. Aus dem Streit darüber, inwiefern es Lehrkräften gelingt,
mit den Unsicherheiten ihres Berufes umzugehen, entwickelten sich die bis heu-
te wohl dominierenden Hauptstränge der Professionsforschung (z. B. Cramer
2019):
Die Hauptannahme von Vertreter:innen des strukturtheoretischen Ansatzes
ist, dass die Aufgabe der Lehrkräfte vor allem in der Bewältigung von Heraus-
forderungen für andere– hier die Lernenden– bestehe. Dahinter steht die An-
nahme, wonach Unterricht eher Kontingenz bei den Beteiligten hervorrufe, als
störungsfrei zu sein, da permanente Missverständnisse etwa in der Verständi-
gung oder außerschulische Probleme der Lernenden den Lernerfolg verhinder-
ten. Um mit diesem Spannungsverhältnis umzugehen, müssten Lehrkräfte einen
reexiven Habitus sowie erfahrungsbasierte Praxistheorien entwickeln. Daher
interessieren sich Wissenschaftler:innen dieser Richtung insbesondere für die
Struktur solcher Praxistheorien, die Entfaltung solcher Haltung(en) und deren
Ausprägung(en) im Unterricht. So konnte Arnold mittels Fallanalyse mit einer
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20 Martin Nitsche
erfahrenen Lehrkraft etwa zeigen, dass sich diese aufgrund der Einführung von
Projektunterricht in ihrer Schule nicht vornehmlich Wissen über Projektunter-
richt aneignete, sondern während der Vorbereitung auf erwartete Handlungs-
strukturen in der Durchführung konzentrierte (Combe/Kolbe 2008).
Demgegenüber betonen Forschende der kompetenzorientierten Richtung wie
die Beteiligten der COACTIV-Studie, schulischer Unterricht gelinge häuger
statt zu misslingen. Daher könne die Bewältigung schulischer Anforderungen
gelernt werden, indem die Lehrkräfte während der Ausbildung (v. a. fachliches,
fachdidaktisches, pädagogisches) Wissen, die notwendigen Fähigkeiten, motiva-
tionalen Orientierungen und Überzeugungen entwickeln (z. B. Baumert/Kunter
2006, 473 .). Forschungsarbeiten dieser Tradition untersuchen folglich vor al-
lem, wie die genannten Konstrukte für erfolgreiches Handeln ausgeprägt sein
müssen, erworben werden können oder auf die Lernleistungen der Schüler:innen
wirken. So verdeutlichten etwa Voss u. a. (Voss u. a. 2011) mittels quantitativer
Strukturgleichungsmodellierung, dass konstruktivistische Überzeugungen von
Mathematiklehrkräften (z. B. Mathematik als Weg der Problemlösung) die
Mathe testleistungen der beteiligten Schüler:innen positiv prädiktierten, wäh-
rend dies für transmissive Beliefs (z. B. Mathematik als Anwendung statischer
Prozeduren) nicht der Fall war.
Daneben beforschten Bildungswissenschaftler:innen seit den 1980er Jahren
aus berufsbiograscher Perspektive etwa aufgrund welcher Berufswahlmotivation
Studierende Lehrperson werden wollen oder wie praktizierende Lehrpersonen
mit den Spannungen und Entwicklungsaufgaben in der Schule vor dem Hinter-
grund ihrer eigenen Biograe umgehen (Herzog 2014). Wie Herzog betont, las-
sen sich wegweisende Studien kaum identizieren, da der berufsbiograsche
Ansatz verschiedene Inspirationsquellen habe. Indes könne eine Entwicklung
festgestellt werden, wonach angeregt von der Entwicklungspsychologie zwischen
den 1970er und 1990er Jahren diverse Phasenmodelle konturiert wurden, wo-
nach sich die Berufsbiograe zusammenfassend in die Abschnitte Berufsein-
stieg, mittlere und späte Berufsphase unterscheiden lasse. Inzwischen liege der
Forschungsschwerpunkt auf der Untersuchung der einzelnen Phasen, auch wenn
eine Konzentration von Arbeiten zum Berufseinstieg festzustellen sei (ebd.,
411 – 414).
In jüngster Zeit fordern Forschende, die Ansätze mittels meta-reexivem
Blick zu integrieren, da schulische Anforderungen an Lehrkräfte zu komplex sei-
en. Stattdessen müssten angehende Lehrkräfte sowohl auf die sie erwartenden
Widersprüche vorbereitet werden, notwendiges Wissen und Können ausbilden
als auch ihre berufsbiograschen Voraussetzungen reektieren. Empirisch plä-
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21
dieren Forschende dieser Richtung für eine Verknüpfung diverser qualitativer
und quantitativer Verfahren (Cramer 2019).
3. Methoden der bildungswissenschaftlichen Professionsforschung
Methodologisch können empirische Forschungsverfahren in qualitative und
quantitative unterschieden werden. Erstere gelten als fragend, hypothesengene-
rierend, ergebnisoen und sinnverstehend, während Quantizierung hypothe-
sentestend, oder wenigstens summierend, auf große Fallzahlen und Erklärungen
ausgerichtet sei (Kruse 2014, 43 – 58). Zudem lassen sich Mixed-Method- Ansätze
und Triangulationsdesigns nennen mittels derer verschiedene qualitative Zugrif-
fe miteinander oder mit quantitativen Vorgehensweisen verbunden werden kön-
nen (Kelle u. a. 2019). Indes lässt sich hinsichtlich des Methodengebrauchs in der
Professionsforschung ein Methodenpluralismus konstatieren. Zudem ist auch
innerhalb der im vorherigen Abschnitt angesprochenen Ansätze keine alleinige
Präferenz qualitativer oder quantitativer Methoden wohl aber eine Schwer-
punktsetzung erkennbar.
So scheinen die von Combe und Kolbe (Combe/Kolbe 2008) genannten
strukturtheoretischen Studien überwiegend qualitativer Natur zu sein, welche et-
wa nach der Struktur professionellen Handelns von Lehrkräften im Kontext di-
verser Kommunikationssituationen mit Lernenden, ihres Erfahrungswissens
oder ihrer Haltungen fragten. Besonders, wenn nicht Leistungsausprägungen,
sondern individuelle Konstrukte, Handlungsbedingungen oder Wahrnehmun-
gen der Beteiligten interessieren, gelten qualitative Methoden als gewinnbrin-
gend (Cloos 2012). Demgegenüber sind kompetenztheoretische Studien, insbeson-
dere, wenn darin nach statistischen Verbindungen etwa zwischen Beliefs von
Lehrpersonen und Lernleistung der Schüler:innen gefragt wird, von quantitati-
ven Testverfahren oder Befragungen subjektiver Konstrukte (z. B. Interesse, Be-
liefs) dominiert (z. B. Voss u. a. 2011). Bei berufsbiograschen Studien spielen in-
zwischen beide Zugrie eine wichtige Rolle, wobei insbesondere zu Beginn in
den 1980er Jahren eher fallbasiert der Konstruktion von Berufsbiograen nach-
gegangen wurde, während inzwischen auch quantitative Befragungen etwa hin-
sichtlich biograscher Unterschiede von Lehrkräften diverser Schulformen eta-
bliert sind (Kunze/Stelmaszyk 2008). Schließlich wird von Forschenden des sich
gegenwärtig konstituierenden meta-reexiven Stranges die Bedeutung aller ge-
nannten Zugrie betont und es bleibt abzuwarten, inwiefern sich methodologi-
sche Präferenzen herausbilden (Cramer 2019).
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22 Martin Nitsche
4. Geschichtsdidaktische Professionsforschung
Insgesamt wird aus der Tabelle auf Seite 24 deutlich, dass inzwischen– je nach
Zählweise1– sechsunddreißig geschichtsdidaktische Studien vorliegen, in denen
(angehende) Lehrkräfte beforscht wurden. Davon lassen sich zwölf Studien als
rein qualitativ, dreizehn als ausschließlich quantitative einordnen, während in elf
Arbeiten beide Zugrie gewählt wurden.
Aus historischer Sicht wird deutlich, dass Hugs deskriptivstatistische (z. B.
Häugkeitsanalysen) Studie aus dem Jahr 1977, in der er unter anderem Fachin-
teresse und bevorzugte Unterrichtsmethoden von Geschichtslehrkräften erfrag-
te, lange Zeit solitär blieb. Anschließend analysierten von Borries u. a. mittels in-
ferenzstatistischer Methoden wie Reliabilitätsanalysen seit den 1990er Jahren im
Rahmen der umfangreichen Befragungen von Lernenden etwa die Unterrichts-
ziele und -methoden von Lehrkräften. Bis 2012 ist ein leichter Zuwachs auf acht
Studien zu verzeichnen, von denen zwei qualitative, vier quantitative und zwei
beide Zugrie verwendeten. Allerdings ist eine theoretische Verortung im Rah-
men der skizzierten Ansätze der Professionsforschung oft nicht erkennbar. Le-
diglich Seidenfuß und ünemann orientierten sich in ihren qualitativen Arbei-
ten erkennbar am Expert:innen-Paradigma. Die thematischen Ausrichtungen
waren divers und betrafen vor allem Einzelaspekte wie Unterrichtziele oder
Fachmotivation.
Mit Sauers Fragebogenerhebung hinsichtlich der Relevanzeinschätzungen
etwa fachlicher und geschichtsdidaktischer Kompetenzaspekte von angehenden
und erfahrenen Lehrkräften wurde im Jahr 2012 erstmals eine empirische Stu-
die vorgelegt, die sich kompetenztheoretisch klassizieren lässt. Seitdem sind zehn
qualitative, neun quantitative Untersuchungen– einschließlich Sauers– sowie
neun Studien, in denen Verfahren beider Bereiche verwendet wurden, zu ver-
zeichnen. Sieben qualitative Untersuchungen lassen sich dem kompetenztheoreti-
schen Ansatz zuordnen, drei sind undeutlich verortet. Als Beispiel kann die Fall-
analyse von Sperisen und Schär genannt werden, welche dem Habitusansatz
folgend aufzeigen konnten, dass das Selbstverständnis der Lehrperson als
Strukturhistoriker:in bedeutsamer für die Unterrichtsgestaltung war, als das ge-
nutzte Lehrmittel.
1 Zusammengehörige Publikationen habe ich gebündelt. Bei von Borries Arbeiten handelt
es sich eigentlich um eigenständige Untersuchungen, in denen indes meist vergleichbare
Konstrukte untersucht wurden.
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23
In drei der neun seit 2012 publizierten quantitativen Arbeiten wurden de-
skriptivstatistische Verfahren genutzt. Je eine Studie ist sozialisations- bzw. kom-
petenztheoretisch sowie undeutlich verortet. In den restlichen sechs quantitativen
Arbeiten fanden zudem inferenzstatistische Verfahren der Klassischen Testthe-
orie (KTT) wie Reliabilitätsanalysen oder Explorative Faktorenanalysen (EFA)
zur Konstruktmodellierung etwa von Aspekten des fachdidaktischen Wissens
Verwendung. Alle lassen sich kompetenztheoretisch einordnen. In den jüngeren
drei Studien wurden zudem komplexere Verfahren der Item-Response-eorie
(IRT) zur Testskalierung oder Strukturgleichungsmodelle (KFA, SEM) etwa zur
Schätzung von Eekten eingesetzt. Hervorzuheben sind die Arbeiten von Resch
u. a., da darin mittels mehrstuger Entwicklung ein Kompetenztest zu Teilas-
pekten geschichtsdidaktischer Kompetenz anhand mehrerer Samples angehen-
der deutscher Lehrpersonen in der ersten und zweiten Ausbildungsphase vali-
diert und für die Untersuchung des Kompetenzzuwachses der Befragten während
des Referendariats eingesetzt werden konnte.
Schließlich liegen neun Untersuchungen vor, in denen dem Mixed-Method-
oder Triangulationsansatz gefolgt wird, von denen sieben der kompetenztheoreti-
schen Richtung, eine dem Expertise-Paradigma sowie eine dem berufsbiograschen
Ansatz folgen, während eine Studie undeutlich verortet ist. In sechs Untersu-
chungen wurden neben deskriptivstatistischen Analysen diverse qualitative Zu-
grie wie die hermeneutische Interpretation, dokumentarische Methode oder quali-
tative Inhaltsanalyse genutzt. Fenn setzte neben Analysen von Unterrichtsvideos
zudem inferenzstatistische Verfahren zur Fragebogenskalierung und Analyse
von Gruppenunterschieden in einer Intervention mit Lehramtsstudierenden zur
Förderung konstruktivistischer subjektivier eorien ein. In zwei Studie kamen
neben qualitativen Methoden (Inhaltsanalysen) komplexere Verfahren zur Kon-
struktmodellierung, Eektschätzung (KFA, SEM) und Testkonstruktion (IRT)
zur Anwendung. Eine davon wird in Abschnitt 5 genauer vorgestellt.
Zusammenfassend ist seit 2012 eine Konzentration auf den kompetenzori-
entierten Ansatz und spezische Teilaspekte professioneller Kompetenz festzu-
stellen, während sich qualitative sowie quantitative Methoden beinahe die Waage
halten und Kombinationsdesigns zunehmen. ematisch standen insbesondere
Aspekte fachdidaktischen Wissens (z. B. Aufgaben, Planung) sowie subjektive
eorien oder Beliefs im Fokus, während in jüngster Zeit auch die Konturierung
des Fachwissens in den Blickpunkt gerät.
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24 Martin Nitsche
Nr. Autor:innen Theoretische
Verortung in der
Professionsfor-
schung
Zielkonstrukt(e) Erhebungs-
methoden &
Proband:innen
Auswertung
1(Hug 1977) Undeutlich z. B. Motivation
und Interesse, be-
vorzugte Themen,
Methoden
Fragebogen, Inter-
views mit erfahre-
nen LP
Deskriptive Statis-
tik, Hermeneutik?
2(Borries 1995)
(Borries 1999)
(Borries 2005)
Undeutlich z. B. bevorzugte
Themen, Unter-
richtsziele, -metho-
den
Fragebogen mit
angehenden und
erfahrenen LP
Deskriptive Statis-
tik und Inferenzsta-
tistik (v. a. KTT)
3(Seidenfuß 2002)
(Seidenfuß 2003)
Expertise z. B. Planung Interviews mit
erfahrenen LP
Hermeneutik?
4(Messner/Bu
2007)
Undeutlich Zielorientierungen,
didaktische Über-
zeugungen, Rol-
lenkonzept
Fragebogen mit
erfahrenen LP
Deskriptive Statis-
tik und Inferenzsta-
tistik (v. a. KTT, EFA)
5(Meyer-Hamme
2007)
Undeutlich Geschichtskonzep-
te
Fragebogen mit
angehenden LP
Deskriptive Statis-
tik und Inferenzsta-
tistik (v. a. CA)
6(Sauer 2008) Undeutlich Vorstellungen hin-
sichtlich notwendi-
ger Geschichtszah-
len
Fragebogen mit
erfahrenen LP
Deskriptive Statis-
tik
7(Eisele-Brauch/
Deschner 2010)
Undeutlich Entwicklung von
Materialerstel-
lungskompetenz
Lerntagebuch mit
angehenden LP
Kategorisierend?,
Deskriptive Statis-
tik
8(Thünemann
2012)
Expertise Subjektive Theorie
zum Unterricht
Interview mit
angehender LP
Qualitative Inhalts-
analyse
9(Sauer 2012) Kompetenz-
theoretisch
z. B. Relevanzein-
schätzung von
Kompetenzberei-
chen
Fragebogen mit
angehenden und
erfahrenen LP
Deskriptive Statis-
tik und Inferenzsta-
tistik (v. a. KTT)
10 (Lücke/Barricelli
2013)
Sozialisations-
theoretisch
z. B. Erziehungs-
und Lernziele
Fragebogen
mitangehenden
LP
Deskriptive Statis-
tik
11 (Sperisen/Schär
2013)
Undeutlich Habitus Interview und
Unterrichtsvideo-
grae mit erfahre-
ner LP
Objektive Herme-
neutik
12 (Fenn 2013)
(Fenn 2015)
Kompetenz-
theoretisch
Subjektive Theori-
en u. a. zum Lehren
und Lernen
Fragebogen,
Interviews, Unter-
richtsvideograe
mit angehenden
LP
Deskriptive Statis-
tik und Inferenzsta-
tistik (v. a. KTT)
© Wochenschau Verlag, Frankfurt/M.
25
Nr. Autor:innen Theoretische
Verortung in der
Professionsfor-
schung
Zielkonstrukt(e) Erhebungs-
methoden &
Proband:innen
Auswertung
13 (Daumüller
2014)
Berufsbiogra-
sch
z. B. Rollenkonzep-
te
Fragebogen, Inter-
views mit erfahre-
nen LP
Deskriptive Statis-
tik, Hermeneutik?
14 (Kanert 2014) Kompetenz-
theoretisch
Selbstwahrneh-
mung z. B. bzgl.
Konzept- und
Übertragungs-
kompetenz
Fragebogen mit
angehenden LP
Deskriptive Statis-
tik
15 (Waldis/Wyss
2014)
Kompetenz-
theoretisch
Selbstwahrneh-
mung z. B. Lern-
fortschritte wäh-
rend der Weiterbil-
dung
Fragebogen und
Interviews mit
erfahrenen LP
Deskriptive Statis-
tik, Hermeneutik
16 (Waldis u. a.
2014)
(Waldis u. a.
2015)
(Nitsche/Waldis
2016)
(Waldis u. a.
2019)
(Marti/Waldis
2019)
Kompetenz-
theoretisch
z. B. fachdidakti-
sches Wissen zur
Unterrichtsreexi-
on, narrative Kom-
petenz
Gruppendiskussi-
onen, Fragebögen
mit geschlossenen
und oenen Ant-
wortformaten mit
angehenden LP
Deskriptive Statis-
tik und Inferenzsta-
tistik (v. a. KTT, IRT),
Qualitative Inhalts-
analyse
17 (Schröer 2015) Kompetenz-
theoretisch
z. B. didaktische
Theorien
Aufgaben-, Video-
vignetten, Inter-
views mit ange-
henden LP
Qualitative Inhalts-
analyse
18 (Brauch u. a.
2014)
(Wäschle u. a.
2015)
Kompetenz-
theoretisch
Konstruktion von
Lernaufgaben
Intervention mit
angehenden LP
Deskriptive Statis-
tik und Inferenz-
statistik (v. a. KTT,
VA,R)
19 (Albers 2016) Undeutlich Beliefs hinsichtlich
Themen in der Mi-
grationsgesell-
schaft
Interviews und
Gruppendiskussi-
onen mit erfahren
LP
Dokumentarische
Methode
20 (Pichler 2016) Expertise Professionsver-
ständnis
Fragebogen und
Interviews mit
erfahrenen LP
Deskriptive Statis-
tik, strukturierte In-
haltsanalyse
21 (Litten 2017) Kompetenz-
theoretisch
z. B. Planungshan-
deln, Beliefs
Interviews, Vignet-
ten mit erfahrenen
LP
Qualitative Inhalts-
analyse,
Typenbildung
22 (Münch 2017) Undeutlich Beliefs zum Kon-
zept Geschichts-
kultur
Fragebogen, Inter-
views mit erfahre-
nen LP
Deskriptive Statis-
tik, Dokumentari-
sche Methode
© Wochenschau Verlag, Frankfurt/M.
26 Martin Nitsche
Nr. Autor:innen Theoretische
Verortung in der
Professionsfor-
schung
Zielkonstrukt(e) Erhebungs-
methoden &
Proband:innen
Auswertung
23 (Meis/Zuckowski
2017)
Kompetenz-
theoretisch
Kompetenzen his-
torischen Denkens
(Re-Konstruktion)
Fragebogen u. a.
mit angehenden
LP
Deskriptive Statis-
tik und Inferenzsta-
tistik (v. a. KTT, EFA)
24 (Rothland u. a.
2015)
(Wolf u. a. 2018)
Kompetenz-
theoretisch
z. B. Berufswahl-
motivation, fachdi-
daktisches Wissen
zur Planung
Fragebogen mit
angehenden LP
Deskriptive Statis-
tik und Inferenzsta-
tistik (v. a. KTT, VA.
IRT)
25 (Wilfert/Thüne-
mann 2018)
Kompetenz-
theoretisch
Subjektive Theori-
en z. B. zum Lehren
und Lernen
Interviews mit
angehenden LP
Qualitative Inhalts-
analyse
26 (Sauer 2018) undeutlich Schulbuchnutzung Fragebogen mit
erfahrenen LP
Deskriptive Statis-
tik
27 (Resch u. a. 2017)
(Resch 2018)
(Resch u. a. 2019)
Kompetenz-
theoretisch
z. B. Fachwissen,
Fachdidaktisches
Wissen (v. a. Aufga-
ben formulieren
können)
z. B. Textvignetten
mit angehenden
und erfahrenen LP
Deskriptive Statis-
tik und Inferenzsta-
tistik (v. a. KTT, KFA,
IRT, VA)
28 (Hartmann 2019) Kompetenz-
theoretisch
z. B. fachdidakti-
sches Wissen, Be-
liefs
Fragebogen mit
angehenden und
erfahrenen LP
Deskriptive Statis-
tik und Inferenzsta-
tistik (v. a. IRT, KFA)
29 (Lahmer-Gebau-
er/Urbach 2019)
Kompetenz-
theoretisch
z. B. Beliefs zu Fach-
und Selbstkonzept
Interviews mit
angehenden und
erfahrenen LP
Qualitative Inhalts-
analyse
30 (Barsch/Glutsch
2019)
Kompetenz-
theoretisch
z. B. Berufswahl-
motivation
Portfolios mit
angehenden LP
Qualitative Inhalts-
analyse
31 (Barsch/Barte
2019)
Kompetenz-
theoretisch
z. B. Struktur und
Themenfelder des
historischen Fach-
wissens
Interviews mit
Historiker:innen
Grounded Theory
32 (Fenn/Seider
2017)
(Fenn u. a. 2019)
Kompetenz-
theoretisch
z. B. Struktur histo-
rischen Fachwis-
sens
Fragebogen mit
geschlossenen und
oenen Antwort-
formaten mit
Expert:innen;
Concept Maps
mitangehenden
LP
Deskriptive Statis-
tik, Qualitative In-
haltsanalyse
33 (Marti u. a. 2019) Undeutlich z. B. Beliefs zum
Schreiben im GU
Interviews mit
erfahrenen LP
Qualitative Inhalts-
analyse
34 (Brauch u. a.
2019)
Kompetenz-
theoretisch
Beliefs zu kontro-
versen Themen
Fragebogen mit
oenem Antwort-
format
Kategorisierend
© Wochenschau Verlag, Frankfurt/M.
27
Nr. Autor:innen Theoretische
Verortung in der
Professionsfor-
schung
Zielkonstrukt(e) Erhebungs-
methoden &
Proband:innen
Auswertung
35 (Nitsche 2019) Kompetenz-
theoretisch
z. B. geschichts-
theoretische und
didaktische Beliefs
Fragebogen mit
angehenden und
erfahrenen LP,
Interviews, Unter-
richtsvideograe
Triangulation von
deskriptiver und
Inferenzstatistik
(v. a. KTT, KFA, SEM)
sowie Qualitativer
Inhaltsanalyse
36 (Bernhard 2020) Kompetenz-
theoretisch
z. B. Beliefs zur
Kompetenzorien-
tierung
Fragebogen, Inter-
views mit erfahre-
nen LP
Mixed-Methods
aus deskriptive Sta-
tistik, qualitativer
Inhaltsanalyse und
Grounded Theory
Tab.: Deutschsprachige Studien zur Professionsforschung in Geschichte
Anmerkungen: CA = Clusteranalyse; EFA = Explorative Faktorenanalyse; IRT = Item-Response-
Theory; KFA = Konrmatorische Faktorenanalyen; KTT = Klassische Testtheorie; LP = Lehrperso-
nen; R = Regression; VA = Varianzanalyse.
5. Chancen und Grenzen qualitativer und quantitativer Methoden
Im Rahmen meiner Studie „Beliefs von Geschichtslehrpersonen“ nutzte ich so-
wohl quantitative als auch qualitative Verfahren. eoretisch ist die Unter-
suchung der kompetenztheoretischen Professionsforschung verpichtet, indem in
Anleh nung an das VisuHist-Modell von Waldis u. a. (2014) die geschichtstheo-
retischen und geschichtsdidaktischen Beliefs von angehenden (und erfahrenen)
Lehrkräften hinsichtlich ihrer Struktur, der statistischen Zusammenhänge, der
statistischen Eekte der Hochschulausbildung auf die Ausprägung sowie der
qualitativen Zusammenhänge zwischen Beliefs von erfahrenen Geschichtslehr-
kräften und ihrer Unterrichtspraxis analysiert wurden (Nitsche 2019, 13 – 19).
Dabei gelang es auf der Grundlage von zwei qualitativen und zwei quanti-
tativen Pilotierungen den „Epistemological Beliefs Questionnaire in History
(EBQH)“ sowie den „Teaching and Learning Beliefs Questionnaire in History
(TLBQH)“ in der Hauptstudie an einem Sample von 177 angehenden Deutsch-
schweizer Geschichtslehrpersonen, die an fünf Pädagogischen Hochschulen
und einer Universität studierten mittels KFA hinsichtlich der angenommenen
Unterscheidung in je drei geschichtstheoretische (Positivismus, Skeptizismus,
Narrativer Konstruktivismus) sowie drei geschichtsdidaktische Perspektiven
(Transmission, Individueller Konstruktivismus, Sozialer Konstruktivismus) zu
validieren. Zudem ließen sich anhand von Strukturregressionsmodellen nach
© Wochenschau Verlag, Frankfurt/M.
28 Martin Nitsche
Kontrolle weiterer Aspekte (z. B. Alter, Unterrichtserfahrung) Eekte der An-
zahl besuchter geschichtswissenschaftlicher Hochschulkurse auf die geschichts-
theoretischen Beliefs sowie der Anzahl besuchter geschichtsdidaktischer Hoch-
schulkurse auf die geschichtsdidaktischen Beliefs der Studierenden nachweisen
(ebd., 174 – 180).
Weiterhin nahmen zwölf erfahrene Lehrpersonen an der quantitativen Be-
fragung teil, von denen sich zwei an einer qualitativen Vertiefungsstudie betei-
ligten, in deren Rahmen der Unterricht der Proband:innen videograert und Sti-
mulated-Recall-Interviews anhand der Unterrichtsvideos durchgeführt wurden.
Mittels qualitativer Inhaltsanalysen wurde unter anderem deutlich, dass die Um-
setzung von geschichtstheoretischen und -didaktischen Beliefs von weiteren
Überzeugungen etwa hinsichtlich Lernenden oder Medien sowie von den un-
terrichtsmethodischen Kenntnissen abhängig scheint (ebd., 268 273).
Die quantitativen Analysen verdeutlichen indes beispielhaft Grenzen quan-
titativer Verfahren hinsichtlich der inhaltlichen Validität der Operationalisierun-
gen. So mussten besonders für die narrativ-konstruktivistische Position Items
ausgeschlossen werden, die den erzählenden Charakter von Geschichte unter-
strichen, sodass den verbleibenden auch solche Proband:innen zugestimmt ha-
ben könnten, die eher einem verwandten Geschichtskonzept (z. B. interpretativ-
hermeneutisch) zusprechen. Dies verweist auf die grundsätzliche Schwierigkeit,
dass mittels geschlossener Erhebungsinstrumente theoretische Annahmen
derForschenden impliziert sind, die zwar anhand der vorliegenden Literatur
begrün det sein mögen, jedoch von den Befragten in anderer Weise aufgefasst
werden können. Allerdings konnte ich für meine Studie im Rahmen der quali-
tativen Vertiefung anhand des Vergleichs zwischen den Fragebogen- und Inter-
viewantworten der erfahrenen Lehrkräfte illustrieren, dass ihre dort verdeutlich-
ten geschichtstheoretischen und -didaktischen Beliefs ähnlich auselen. Daher
scheint es immerhin möglich mittels der genutzten Fragebogenerhebungen Ten-
denzen zu erfassen, die den Beliefs der Proband:innen annähernd entsprechen
(ebd., 274 281). Weiterhin ist für meine Studie keine Repräsentativität für alle
angehenden Deutschschweizer Geschichtslehrpersonen gegeben, da weder eine
Zufalls- noch Quotenstichprobe gezogen werden konnte (z. B. Bortz/Schuster
2010), auch wenn es sich immerhin weitgehend um eine Vollerhebung der un-
tersuchten Jahrgangskohorte handelte.
Die Einschränkungen meiner qualitativen Analysen betreen ebenfalls– wie
oft bei solchen Verfahren (z. B. Kruse 2014, 51)– die Reichweite der Ergebnis-
se (Nitsche 2019, 287 288). Da es sich um eine qualitative Vertiefung quantita-
tiver Analysen handelte, würde man die Auswahl der Proband:innen idealer
© Wochenschau Verlag, Frankfurt/M.
29
Weise etwa von den Platzierungen der Antworten auf den Skalen der Fragebö-
gen und damit in der befragten Gesamtgruppe abhängig machen, um typische
Fälle auszuwählen (z. B. Sieber 1973). Stattdessen ließen sich die Proband:innen
lediglich freiwillig rekrutieren. Dennoch unterschieden sich die Befragten hin-
sichtlich der Beliefs-Positionen so weit voneinander, dass kontrastreiche Fallana-
lysen möglich waren.
Jenseits der Diskussion um statistische Repräsentativität oder qualitative
Aussagereichweiten ließ sich in meiner Arbeit eine klassische wissenschaftliche
Strategie anwenden, um die Plausibilität der Ergebnisse zu erhöhen, die auch in der
Professionsforschung gewinnbringend genutzt wird (z. B. Resch u. a. 2019): die
breite Einordnung in den deutsch- und englischsprachigen Forschungsstand.
6. Ausblick
Zusammenfassend scheint es angemessen, ‚die‘ Gegenwart der geschichtsdidak-
tischen Professionsforschung als Blütezeit zu bezeichnen, da die Zahl der Studi-
en, welche erkennbar theoretisch verortet sind und Methoden transparent begrün-
den, seit 2012 stetig zunimmt. Dabei fällt im Vergleich zur englischsprachigen
Forschung die intensive Nutzung statistisch anspruchsvoller Methoden auf
(Hover/ Hicks 2018). Bemerkenswert ist zudem die wachsende Zahl von Unter-
suchungen, in denen Mixed-Methods- oder Triangulationsdesigns genutzt wer-
den, was, wie am Beispiel meiner Studien verdeutlicht, die Einblicke in Aussage-
reichweiten und Grenzen der Ergebnisse und der genutzten Methoden erweitert.
Indes scheinen sich die geschichtsdidaktischen Professionsforscher:innen
fast geschlossen auf den kompetenzorientierten Ansatz geeinigt zu haben, oft oh-
ne sich begründet von den anderen Perspektiven abzugrenzen. Vermutlich wäre
es durchaus fruchtbar, aus strukturtheoretischer Sicht nach problematischen Be-
dingungen professionellen Handelns von Lehrkräften im Geschichtsunterricht
zu fragen, berufsbiograsche Gründe für methodische Vorlieben im Unterricht zu
untersuchen oder Professionalisierungsverläufe von Lehrkräften mittels multip-
ler Zugrie aus meta-reexiver Sicht zu analysieren.
Insgesamt bleibt zu wünschen, dass die Blütezeit geschichtsdidaktischer
Professionsforschung noch eine Weile anhält, da wir immer noch viel zu wenig
über Zusammenhänge zwischen Aspekten der professionellen Kompetenz (z. B.
Wissen, Überzeugungen), denselben sowie Unterrichtsqualitätsmerkmalen und
Lernleistungen der Schüler:innen wissen. Zudem fehlen Studien hinsichtlich
Professionalisierungsprozessen.
© Wochenschau Verlag, Frankfurt/M.
30 Martin Nitsche
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36 Sebastian Barsch, Nina Glutsch
SEBASTIAN BARSCH, NINA GLUTSCH
Berufswahlmotivation und fachliche
Überzeugungen von angehenden
Geschichtslehrer:innen
Wie andere Fachdidaktiken hat sich auch die Geschichtsdidaktik in den vergan-
genen Jahren zunehmend mit der Professionalisierung angehender Geschichts-
lehrpersonen befasst (Waldis/Ziegler 2018, 48 50; Nitsche in diesem Band).
Fragen nach der Berufswahlmotivation speziell in einem domänenspezischen
Zuschnitt wurden bisher allerdings nur wenig adressiert. Der vorliegende Bei-
trag geht der Frage nach, welche Motivation Studierende haben, das Fach Ge-
schichte auf Lehramt zu studieren. Darüber hinaus soll untersucht werden, wie
sich fachliche Überzeugungen und Interessen nach einigen Semestern Studie-
nerfahrung darstellen. Ein Erkenntnisinteresse liegt somit darin, etwas über spe-
zisch fachliche Interessen bei der Berufswahl herauszunden, und diese mit
dem allgemeinen Wunsch „Lehrer:in“ zu werden, abzugleichen. Zudem sollen
Hinweise über ihre Vorstellungen zum Berufsbild „Geschichtslehrer:in“ gewon-
nen werden. Konkret ergeben sich daraus die folgenden Fragestellungen:
a) Welche Vorstellungen äußern Studierende zu ihrem Interesse am Leh rer:in-
nen be ruf und im Speziellen am Geschichtslehrer:innenberuf?
b) Welche Begründungen für ihr Interesse am Fach Geschichte geben Studie-
rende? Dabei ist eine Subfrage, ob sich in den Interviews möglicherweise
Einüsse des Fachstudiums auf die Berufswahlmotivation bzw. des Fachver-
ständnis zeigen.
Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurden neun Lehramtsstudierende
mit dem Fach Geschichte sowie als Vergleichsgruppe vier Studierende mit dem
Fach Physik mittels eines halbstandardisierten Leitfadens interviewt.
1. Berufswahlmotivation und epistemologische Überzeugungen:
Theoretische Grundlagen
In der Forschungsliteratur zur Professionalisierung von Lehrpersonen wird weit-
gehend konsensual davon ausgegangen, dass die motivationale Orientierung ne-
ben anderen Faktoren wie kognitiven Fähigkeiten einen entscheidenden Ein-
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uss auf die Kompetenzentwicklung von Studierenden hat (Baumert/Kunter
2007; Kunter u. a. 2011). Motivationale Faktoren können sich nicht nur auf die
Qualität von Unterricht, sondern auch auf die allgemeine Berufszufriedenheit
von Lehrpersonen auswirken (Watt/Richardson 2013). Auch scheint ein Zu-
sammenhang zwischen Motivation und beruicher Gesundheit zu bestehen, et-
wa im Kontext von Burn-Out (Rothland 2012). Noch wenige Erkenntnisse gibt
es darüber, wie motivationale Faktoren auf die unterschiedlichen Fächerdomä-
nen verteilt sind. Eine neuere bildungswissenschaftliche Untersuchung kommt
zu dem Ergebnis, dass sich fachspezische Unterschiede im Kontext der Berufs-
wahlmotivation kaum nden lassen. Studierende verschiedener Fächerkombina-
tionen unterscheiden sich in ihren Motiven nur gering voneinander (bezogen auf
den intrinsischen Wert und den Wunsch, mit Kindern und Jugendlichen arbei-
ten zu wollen). Allerdings hängt „der gewählte Lehramtstyp mit deutlicheren
Dierenzen in den Berufswahlmotiven“ zusammen (Glutsch u. a. 2018, 478).
Studierende in den Studiengängen für das Gymnasiallehramt weisen geringere
pädagogische und altruistische Motive auf als diejenigen, die das Lehramt für die
SekundarstufeI studieren (ebd., 480). Dies hat sich auch in Ergebnissen ande-
rer Studien gezeigt, die Gymnasiallehrämtern ein höheres fachliches und gerin-
geres pädagogisches Interesse bescheinigen (etwa Rolo u. a. 2015).
Die wenigen bislang durchgeführten Studien zur Berufswahlmotivation
speziell von Geschichtsstudierenden zeigen, dass kaum Unterschiede im Ver-
gleich zu Studierenden anderer Fächer bestehen (ebd.). Auch hier dominieren
über die Fächergrenzen hinweg intrinsische, personen- und beziehungsorien-
tierte Motive. So ist das Interesse an der Zusammenarbeit mit Kindern und Ju-
gendlichen der am häugsten genannte Grund für die Berufswahl; auch wenn
der Wunsch, mit Kindern und Jugendlichen zusammenzuarbeiten, bei Ge-
schichtsstudierenden geringer ausgeprägt zu sein scheint (ebd., 509). Eine Un-
tersuchung von Sandkühler (2013) konnte zeigen, dass eigene Schulerfahrungen
und der Einuss von positiv wahrgenommenen Vorbildern bei mehr als der
Hälfte der von ihm Befragten einen Einuss auf die Entscheidung für das Ge-
schichtsstudium hatten. Im Gegensatz zur Studie von Kanert (2014) jedoch, der
für die Berufswahlmotivation vorrangig hedonistische Gründe aufdecken konn-
te, stellten Kiel u. a. (2011) fest, dass angehende Geschichtslehrkräfte „ihren Fo-
kus im Studium und auch für den späteren Beruf deutlich auf den fachspezi-
schen Teil gelegt“ haben (41) und dem Beruf eine „hohe gesellschaftliche
Bedeutung“ zuschreiben (ebd.). Auch Barsch und Glutsch (2019) konnten bei
einer Analyse von Portfoliotexten eine hohe intrinsische Motivation feststellen,
die oft mit einem subjektiven Interesse am Fach gekoppelt ist. Ein weiterer Be-
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38 Sebastian Barsch, Nina Glutsch
fund stützt die Ergebnisse der Studie Sandkühlers, der den Einuss von Vorbil-
dern und eigenen Erfahrungen im Geschichtsunterricht auf die Berufswahlmo-
tivation identizierte. Hedonistische Motive (Freizeit/Vereinbarung von Familie
und Beruf, Gehalt etc.) konnten in dieser Studie nicht als handlungsleitend für
die Berufswahl identiziert werden. Inwiefern die ankierend geführten Inter-
views mit Geschichts- und Physikstudierenden diese Befunde stützen und vor
dem Hintergrund der Erfahrungen des eigenen Studiums reektiert werden, soll
im Rahmen dieses Beitrags dargelegt werden.
Bezüglich der epistemologischen Überzeugungen von Geschichtslehrperso-
nen wurden vor allem Studien mit Lehrer:innen oder Referendar:innen durch-
geführt. Ludger Schröer (2015) befragte Referendar:innen in Nordrhein-West-
falen zu Beginn und am Ende ihres Referendariats hinsichtlich ihrer fachlichen
Überzeugungen. Auf Basis eines umfangreichen Datenmaterials identizierte er
vier grundlegende Typen angehender Geschichtslehrpersonen: So existieren laut
seiner Studie neben positivistischen Typen, die Geschichte als objektive Wirk-
lichkeit verstehen, konstruktivistisch veranlagte Typen, welche die Perspektivität
und den Konstruktcharakter von Geschichte als erkenntnistheoretisch relevant
betrachten. Des Weiteren betrachten Referendar:innen Geschichte vor allem als
ein Arsenal, aus dem für die Gegenwart gelernt werden kann. Geschichte erfüllt
bei diesem dritten Typ den Zweck von Anschauungsmaterial. Der vierte Typ
versteht Geschichte als Form einer musealen Inszenierung, bei der die Alterität
wesentliches Merkmal ist (Schröer 2015, 312). Die überwiegende Zahl der Be-
fragten sind dem ersten Typus zuzuordnen, verfügen also über ein eher positivis-
tisches Geschichtsverständnis (ebd., 313). Ähnliches konnten bereits frühere
Studien zeigen (Maggioni 2010; Maggioni u. a. 2009), die ebenfalls angehende
Lehrer:innen untersuchten. Maggioni (2010) iden tizierte drei Typen, die sie als
„Copier“ (214), „Subjectivist“ (222) und „Crite rialist“ (227) bezeichnete. Der
Typ „Copier“ verfügt demnach über ein eher positivistisches Geschichtsbild,
Geschich te bildet dieser Auassung nach die vergangene Wirklichkeit ab. Die
Typen existieren nicht trennscharf voneinander, einzelne Personen wechseln je
nach Kontext zwischen ihnen hin und her. „Subjektivist:innen“ gehen in einem
gewissen Maße vom Konstruktcharakter von Geschichte aus, allerdings basieren
ihre Annahmen weniger auf wissenschaftlichen eorien, sondern vielmehr da-
rauf, dass Historiker:innen Geschichte stets vor dem Hintergrund ihrer eigenen
Deutungen und Sichtweisen schreiben. Geschichte ist somit nicht objektiv,
strebt auch nicht Objektivität durch intersubjektive Verständigung an, sondern
unterliegt individuellen Deutungshoheiten. „Criterialists“ gehen davon aus, dass
historisches Wissen durch Anwendung fachlicher Kriterien und Heuristiken
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entsteht, Geschichte also konstruiert ist, jedoch quellen- und argumentationsba-
siert wissenschaftlich rekonstruiert werden muss.
Katharina Litten untersuchte, auf Basis welcher Überzeugungen Geschichts-
lehrkräfte an Hauptschulen und Gymnasien ihren Unterricht planen. Das auf-
fälligste Ergebnis zeigt, dass viele Lehrkräfte Schüler:innenorientierung und da-
mit den Fokus auf die individuelle historische Sinnbildung zwar propagieren,
tatsächlich aber eher auf einen Fundus nicht weiter theoretisch begründeten Er-
fahrungswissens zurück greifen (Litten 2017, 400). Insbesondere erfahrene gym-
nasiale Lehrpersonen sind der Auassung, dass es „generationenübergreifende
Gewissheiten“ gebe, die im Unterricht zu berücksichtigen seien (ebd., 272).
Trotz einer kaum feststellbaren Orientierung an geschichtsdidaktischen Prämis-
sen bejahten die Befragten die „Förderung historischen Denkens nicht nur no-
minell […], sondern [verfolgten diese] in ihren Unterrichtskonzeptionen auch
überwiegend“ (ebd., 434). Aus Littens Untersuchung lässt sich somit folgern,
dass die epistemologischen Überzeugungen von Geschichtslehrpersonen zwar
einerseits im Sinne eines positivistischen Geschichtsbildes verstanden werden
könnten, gleichzeitig aber die Subjektorientierung beim historischen Denken
angenommen wird.
Martin Nitsche untersuchte angehende und erfahrene Lehrkräften hin-
sichtlich ihrer epistemologischen Vorstellungen zum Unterrichtsfach Geschich-
te (Nitsche 2019). Er stellte heraus, dass die meisten Lehrpersonen keine ein-
heitlichen beliefs hinsichtlich des Faches entwickeln und sowohl positivistische
als auch konstruktivistische Vorstellungen verinnerlichen. Zudem konnte er ten-
denziell feststellen, dass „die geschichtswissenschaftliche Ausbildung (Anzahl
Kurse in Geschichte) für eine höhere Zustimmung zu positivistischen und nar-
rativ-konstruktivistischen Annahmen“ sorgte (ebd., 280). Darüber hinaus konn-
ten keine „Eekte der Unterrichtserfahrung der Befragten und der geschichts-
didaktischen Ausbildung auf“ ihre Konstrukte gefunden werden (ebd., 281).
Zusammenfassend zeigt die Befundlage ein uneinheitliches Bild betreend
der Berufswahlmotivation von Studierenden des Lehramts Geschichte. Hin-
sichtlich der epistemologischen Überzeugungen wurde eine Bandbreite zwi-
schen konstruktivistischen und positivistischen Deutungen bei (angehenden)
Geschichtslehrpersonen identiziert.
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40 Sebastian Barsch, Nina Glutsch
2. Stichprobe und methodisches Vorgehen
Der vorliegende Beitrag ist eine Ergänzung zu einer Studie, bei der im Winter-
semester 2016/17 und im Sommersemester 2017 an den Universitäten Kiel und
Köln Portfolioreexionen von Masterstudierenden im Lehramt Geschichte hin-
sichtlich des Bereichs Berufswahlmotivation ausgewertet wurden (Barsch/
Glutsch 2019). Ergänzend dazu wurden problemzentrierte Interviews mit Mas-
terstudierenden geführt (n = 9 im Fach Geschichte; n = 4 im Fach Physik). Sechs
der Befragten waren weiblich, sieben männlich. Die Geschichtsstudierenden wa-
ren in das Lehramtsprol Gymnasium eingeschrieben, ebenso wie zwei der Phy-
sikstudierenden. Die anderen beiden Physikstudierenden strebten das Lehramt
für Sonderpädagogik an.
Die Interviews bilden die Datengrundlage des vorliegenden Beitrags. Sie
wurden vor dem Hintergrund der Frage geführt, welche spezischen und indi-
viduellen Begründungen sich hinsichtlich der Berufswahlmotivation nden las-
sen. Ebenso sollten die Interviews Hinweise geben, ob sich diese zwischen den
Studierenden mit unterschiedlichen Fächern unterscheiden.
Die Rekrutierung der Interviewpartner erfolgte auf freiwilliger Basis. Um
eine reine Positivselektion von Studierenden zu verhindern, die hoch intrinsisch
motiviert sind, wurde ein nanzieller Anreiz über 10 Euro für die Teilnahme an
der Studie gesetzt. Damit handelt es sich um ein zufälliges Sampling (Truschkat
u. a. 2011, 365), welches gleichzeitig als theoretisches Sampling verstanden wird,
insofern bereits nach der ersten Erhebung Daten kodiert wurden. Die Befragten
erklärten zudem, dass das jeweilige Fach (Geschichte oder Physik) im Gegen-
satz zum Zweit- oder Drittfach persönlich als besonders interessant betrachtet
wurde. In diesem Beitrag werden die Texte, die aus der Erhebung 2016/17 und
2017 stammen, vor dem Hintergrund der oben genannten Forschungsfragen
ausgewertet. Der Interviewleitfaden umfasste vier Ebenen:
• Ber ufswahlmotivation(undEinussdesStudiumsdarauf )
• Fachverständnis(undEinussdesStudiumsdarauf )
• GesellschaftlicheRelevanzdesGeschichtsunterrichts
• AlternativeBerufswünsche
Zusätzlich wurde eine Metaphernfrage gestellt bzw. ein Vergleich eingeführt,
indem ein Satz zum Abschluss des Interviews vervollständigt werden sollte:
„Geschichtsunterricht ist für mich wie…“. Durch diese Frage sollte den Studie-
renden die Möglichkeit gegeben werden, über die Eigenschaften des Geschichts-
unterrichts in anderer Form zu sprechen, sie zu erweitern oder zu reduzieren auf
einen für sie wesentlichen Kern. Metaphern transportieren die „Bedeutung von
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einem bekannten Zusammenhang zu einem unbekannten Zusammenhang
oder von einem abstrakten Konzept in ein weniger abstraktes Konzept“ (Kruse
u. a. 2011, 65).
Die audiographierten Interviews wurden für die vorliegende Studie voll-
ständig transkribiert und mittels der Erweiterung der Grounded eory nach
Charmaz (Charmaz 2011) ausgewertet. Charmaz verfolgt eine stärker konstruk-
tivistisch ausgeprägte Methodologie der „klassischen“ Grounded eory
(Strauss/Corbin 2010). Ihre Methode ist davon geprägt, dass die Entwicklung
einer Grounded eory das „Ergebnis eines interaktiven Konstruktionsprozes-
ses von Forschenden und Beforschten [ist], in dem die professionellen und per-
sönlichen Voraussetzungen der Forschenden eine wesentliche Rolle spielen und
in den Interpretationen entsprechend berücksichtigt werden müssen“ (Bücker
2020). Gleichwohl verfolgt ihr Ansatz, nah an den Daten zu bleiben und der
induk tiven Kategorienbildung Vorrang zu geben und das eigene Wissen produk-
tiv zu nutzen. Die „eoriebildung zielt auf die Konzeptualisierung von empiri-
schen Phänomenen in abstrakten Begrien, um dadurch ein vertieftes Verständ-
nis des Untersuchungsgegenstands zu ermöglichen“ (ebd.). Die Grounded
eory zielt also in diesem Fall nicht darauf, die soziale Bedingtheit der unter-
suchten Gruppe zu erklären (als Beispiel für die Gruppe von Studierenden ge-
nerell), sondern sie in ihrer Fallspezik der explizit hier befragten Gruppe
verstehend zu beschreiben.
Das Material wurde zunächst in zwei Durchgängen initial (oen) kodiert,
wobei gleichzeitig schon konzeptionelle Codes gebildet wurden. Anschließend
wurden diese zu Kategorien zusammengefasst, mit deren Hilfe das Material ana-
lytisch erneut systematisiert wurde (focused coding nach Charmaz). Auf Basis
dieser Hauptkategorien und ihre Beziehungen zueinander entwickelten wir die
„Grounded eory“, indem wir drei Idealtypen identizierten (s. u.). Zusätzlich
wurden einzelne Textpassagen paraphrasiert, um so spezielle Argumentationslo-
giken zu verdichten. Den Paraphrasen wurden erneut Kategorien zugeordnet.
Die Metaphern wurden zusätzlich hermeneutisch-interpretativ ausgewertet.
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42 Sebastian Barsch, Nina Glutsch
Wir identizierten folgende Kategorien:
Haupt- und
Unterkategorien
Beispiel
Intrinsische Motivation, Lehrer:innenberuf generell
Vereinbarkeit Familie/
Beruf; Finanzielle und
beruiche Sicherheit;
gute Arbeitsbedin-
gungen
Weil, was gibt es besseres als vormittags zu arbeiten, nachmittags nach
Hause zu kommen, nochmal an’ Schreibtisch zu gehen, und dann wirklich
auch strukturiert sein fünf Tage die Woche, Wochenende frei. Also, das
spricht halt auch für den Lehrerberuf, nde ich.“ (Ge1_3)
Verlegenheitslösung „Also ich hab kurz vor dem Studium überlegt, ob ich Bachelor of Arts/Mas-
ter of Arts studiere, hab dann aber überlegt, alles das, was ich im Master of
Arts machen könnte, kann ich ja auch im Master of Education machen. Ich
hab ’ne Chance mehr, das ist sicherlich auch ein Faktor, aber ich hätte es
niemals gemacht, wenn ich gedacht hätte, ich möchte kein Lehrer werden.
(Ge1_2)
Spaß am Unterrichten „Aber ich hab einfach gemerkt, dass ich gut erklären kann, ich hab kein Pro-
blem damit vor Leuten zu sprechen, ich arbeite gerne mit Kindern, ich hab
auch lange in der Grundschule gearbeitet als Nebenjob. Das war einfach ir-
gendwie– ja, ich hab mich wohl gefühlt.“ (Ge2_2)
Gesellschaftlicher Beitrag des Faches Geschichte
Tradition verstehen „Ich glaub, dass das wichtig ist, ähm, (..) erstens bei der eigenen Persönlich-
keitsbildung so, dass man weiß, wo man herkommt, wo man die Wurzeln
hat.“ (Ge3_2)
Gegenwart verstehen;
Lernen aus der
Geschichte
„Und, ähm, jetzt einfach im Moment auch die Situation halt als mit den
Flüchtlingen als diese ganze Problematik aufgekommen ist. Und dass sich
dann so ganz stark dieser, dieser Rechtsdrall irgendwie da ist. Und das nde
ich ganz schlimm, weil ich halt denke, dass Geschichte ja schon gezeigt hat,
wohin so’n Denken führen kann.“ (Ge3_2)
Empathie entwickeln „also ich glaube, das Lernen aus Geschichte ist schon, schon wichtig, aber
[…] nicht nur unbedingt Lernen im Sinne von Wissensanhäufung, sondern
eben einfach auch von sozialem Umgang, empathischen Umgang.
(Ge1_2)
(politische) Teilhabe
ermöglichen
„Also ich nd Geschichtsunterricht sehr wichtig, gerade, ja, so mit dieser ak-
tuellen politischen Strömung, die man halt so merkt.“ (Ge3_2)
Kritikfähigkeit schulen „was kann man für Fächer wählen, die dazu beitragen dann Schülerinnen
und Schüler eben dazu befähigen, kritisch zu werden und dann irgendwie
mündig und emanzipiert in die Welt hinaus zu gehen.“ (Ge1_1)
Wissenschaftliches/fachliches Interesse an Geschichte
Faszination Alteritäts-
erfahrungen
„Und dass man es sehen kann und, dass man zum Teil sogar noch anfassen
kann und so was Leute schon hundert Jahren vorher in den Händen gehal-
ten haben, oder womit sie umgegangen sind oder so. Oder was sie ge-
schrieben haben, dass man das lesen kann und dass man ein Teil ja wieder
zurück in die Gegenwart holen kann. Das war für mich ein unheimliches
faszinierendes Erlebnis.“ (Ge1_1)
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43
Haupt- und
Unterkategorien
Beispiel
Anthropologie:
Wiehandeln/handel-
ten Menschen?
„Also Geschichte ist, was war, was ist und was sein wird und damit ja auch
was mich hervorgebracht hat und was ich hervorbringe, also anthropolo-
gisch auch irgendwie ganz interessant, die Rolle des Menschen darin des-
halb.“ (Ge1_4)
Konstruktcharakter:
Wie wird Geschichte
konstruiert?
„Für mich ist Geschichte letztlich ein Denkkonstrukt.“ (Ge1_2)
Einuss des Studiums auf Berufswahlmotivation und Fachvorstellung
mehr Praxis ist
notwendig
„Praxisnah. Klar, Kooperationen mit Schulen. Ich denke. dass sowas enorm
viel Auand erfordert, aber ich glaube, das ist es wert.“ (Ge2_2)
mehr Fachwissen-
schaft ist notwendig
„Es heißt dann ja von ganz vielen Kommilitoninnen und Kommilitonen im-
mer: es muss mehr Praxis sein. Das ist natürlich in gewisser Weise richtig,
aber auch nicht nur, weil nur Praxis oder zu starker Praxisorientierung en-
det ja schon fast in so einen Ausbildungsberuf oder so. Und das nde ich
eben nicht, sondern ich nde es muss schon so sein, dass Geschichtslehrer
auf der einen Seite auch Fachwissenschaftler sind, und auf der anderen Sei-
te eben auch Lehrer.“ (Ge1_1)
Theorie und Praxis
müssen besser ver-
zahnt werden
„… würde mindestens die Theoriephase immer mit einer Praxisphase be-
gleiten“ (Ge1_3)
Geschichte ist mehr
als historische Inhalte
„Also Geschichtsbewusstsein und Gegenwartsidentität. Aber das trit’s
auch ganz gut für mich. Also ich nd das sehr wichtig, ich hab’ da nie vorher
drüber nachgedacht, konnte ich ja gar nicht. Für mich war, als ich angefan-
gen habe Geschichte zu studieren, war wirklich dieser Gedanke ‚Ich geh da-
rein um historische Inhalte zu lernen.‘“ (Ge2_2)
Lebensweltorientie-
rung/Orientierung in
der komplexen Welt
„Also ein bisschen so ähm erkenntnistheoretisch gedacht, dass man sich
eben immer so in kleinen Etappen versucht den Schülerinnen und Schü-
lern irgendwie so Sinn von historischen Prozessen, Verhältnissen und so
deutlich zu machen, und dass zu immer mehr Erkenntnis führt, und sie,
wenn sie dann auf die Spitze angekommen sind, dann eben kurz vor dem
Abitur stehen, dann irgendwie zumindest, die komplexe Welt, in der sie le-
ben, dass sie das Gefühl haben, dass sie sie ein bisschen verstanden haben.
(Ge1_1)
Tab.: Kategorien und Beispielauszüge
3. Ergebnisse und Typenbildung
Wie die Ergebnisse der bereits erwähnten Studie (Barsch/Glutsch 2019) stütz-
ten auch die Reanalyse und die tieferen Einblicke in die Interviewdaten zunächst
einmal die Erkenntnis, dass die intrinsische Motivation, vor allem der Spaß am
Unterrichten und der Beitrag zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung sowie
das fachliche Interesse ausschlaggebend für die Berufswahl war (ebd.). Von den
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44 Sebastian Barsch, Nina Glutsch
dreizehn Befragten fanden sich (fachübergreifend) nur drei Personen, die deut-
lich hedonistische Motive für die Berufswahl äußerten. Vier der Geschichtsstu-
dierenden traten das Geschichtsstudium zunächst bei fachlich vorhandenem In-
teresse als eine Art Notlösung an (siehe Kategoriensystem). Einer der Befragten
äußerte dagegen nachdrücklich, dass die Berufswahl „Lehrer“ explizit nicht Re-
sultat hedonistischer Sichtweisen war:
„Also es war jetzt nicht so, dass ich gesagt hab, Jo, sechs Wochen Sommerferien, das
brauch ich auf jeden Fall‘ oder ‚Verbeamtet sein ist super‘, sondern es war einfach
irgendwie wo ich gesagt hab, das passt mit meinen Leidenschaften und deswegen
nehm’ ich das jetzt“ (Ge2_1).
Auch der Einuss von Vorbildern konnte erneut als wertvolle Entscheidung für
die Berufswahl identiziert werden:
„Und, ähm, dann auch der Unterricht in der Schule, also ich hatte das Glück, dass
ich da wirklich gerade auch im Leistungskurs eine ziemlich gute Geschichtslehre-
rin hatte, die wirklich auch ganz tollen Unterricht gemacht hat“ (Ge1_1).
Bei diesen übergreifend vorndbaren Merkmalen und dem allgemein geäußer-
ten Interesse für das Fach Geschichte, das sich für die meisten Befragten bereits
in der Kindheit zeigt und durch familiäre Prägung gestärkt wurde, sind jedoch
drei Argumentationslinien interessant, welche die einzelnen Fälle unterscheid-
bar voneinander machen und hier die Grundlage einer Typenbildung bilden. Im
Folgenden werden daher die drei konstruierten Typen hinsichtlich der ihnen zu-
geschriebenen Berufswahlmotivationen, Interessen und Reexionen des Fach-
studiums auf ihre fachlichen und beruichen Vorstellungen beschrieben. Die
einzelnen befragten Personen lassen sich tendenziell spezischen Typen zuord-
nen, was sich quantitativ in der Zuordnung von Kategorien zu den Interviews
zeigt. So konnten bei einem Befragten besonders häug Codierungen aus dem
Bereich „Wissenschaftliches/fachliches Interesse an Geschichte“ gefunden
werden, solche wie „Vereinbarkeit Familie/Beruf“ oder „Empathie entwickeln“
dagegen kaum. Dieser Student argumentierte vorrangig mit seinem eigenen wis-
senschaftlichen Interesse und wurde von uns eher dem Typ 2 zugehörig
eingeordnet (wissenschaftlich-neugieriger Typ). Gleichwohl lassen sich die ein-
zelnen Interviews stets in unterschiedlichen großen Ausprägungen mehreren
Typen zuordnen. Die Typen sind im Folgenden in der Ich-Form formuliert, um
so zu verdeutlichen, wie die entsprechenden Personen argumentieren könnten.
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45
Die einzelnen Paraphrasierungen, welche aus verschiedenen Interviews zusam-
mengetragen und verdichtet wurden, werden jeweils mit exemplarischen Auszü-
gen aus den Interviews ergänzt. Dies soll eine am Material begründete Transpa-
renz der Typenbeschreibungen hinsichtlich der Paraphrasen ermöglichen.
Typ 1: Politisch-emanzipatorischer Typ
Ich werde Lehrer:in, weil ich einen gesellschaftlichen Beitrag leisten möchte.
Besonders wichtig ist mir die Befähigung der Schüler:innen zur politischen Teil-
habe und zu einem kritischen Blick auf das, was um sie herum in der Welt ge-
schieht: „[…] ich wollte etwas machen, bei dem ich sagen kann, dass ich die
Schüler eben auch noch erzieherisch ein bisschen formen kann. Was Moral an-
geht, was Politik angeht.“ (Ge1_3).
Geschichte beziehungsweise der Geschichtsunterricht ist genau das richti-
ge Fach dafür. Grundlegend können diese Ansätze auch mit anderen Fächern
gefördert werden. Aber an der Geschichte kann man besonders deutlich veran-
schaulichen, wie sich Gesellschaften entwickelt haben (und zwar nicht immer
zum Positiven). Man kann aus der Geschichte lernen. Als Geschichtslehrer:in
möchte ich dabei helfen, dass die Schüler:innen die Welt ein bisschen besser ver-
stehen:
„Alle reden zwar immer über dieses, das Kritische, zu kritischen Menschen ausbil-
den, aber in welchem Fach kann man das so gut, vergleichbar mit Geschichte? Ich
nd’ eigentlich fast nur da, in diesem Rahmen.“ (Ge3_3)
Ich selbst hab mich schon früh für Geschichte interessiert. Bei der Berufswahl
war mir allerdings nicht direkt klar, ob es genau darauf hinauslaufen muss, oder
ob ich etwas anderes hätte studieren können. Ich denke aber, dass sich das Ge-
schichtsstudium am besten mit meinen Idealen verbinden lässt. Das Studium hat
meinen Blick auf das Fach Geschichte geschärft. Ich denke, dass fachliche In-
halte wesentlich sind, um später Geschichte angemessen und gut unterrichten
zu können:
„Und dass man ein Fach (.) wirklich auch wissenschaftlich durchdrungen haben
sollte oder auch fachliche Aspekte durchdrungen haben sollte, verstanden haben soll-
te, um sie dann wirklich gut didaktisch aufbereiten zu können. Und deswegen n-
de ich schon, dass es wichtig ist, dass auch die eorie auf jeden Fall einen hohen
Stellenwert weiterhin genießen sollte.“ (Ge1_1)
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46 Sebastian Barsch, Nina Glutsch
Dieses fachliche Wissen müsste auch für den später zu planenden Unterricht zu
einem hohen Grad deklaratives Wissen sein, welches zu den schulischen Anfor-
derungen passt:
„Denn man hat ja dieses berühmte Phänomen: in den ersten Semestern lernt man
ja vieles Methodisches, was auch sehr wichtig ist, dass man überhaupt erst lernt
‚wie kann ich mir selbst Wissen aneignen‘, das brauch ich ja später als Lehrer. Aber
ich hab im Praktikum gemerkt, ich wusste nichts über die Kreuzzüge, die sind ir-
gendwie untergegangen in meinem Studium, also total blöd: ich saß in der Stun-
de und ich konnte den Schülern nichts beantworten zu den Kreuzzügen“ (Ge1_4)
Gleichzeitig müssen diese fachlichen Anteile immer wieder mit Praxisfragen
verknüpft werden. Geschichte ist zwar vor allem eine Wissenschaft, in der Schu-
le geht es aber eben darum, den Schüler:innen gesellschaftliche Teilhabe zu er-
möglichen:
„Würde mindestens die eoriephase immer mit einer Praxisphase begleiten. Im
Idealfall würde ich das koppeln mit der Schule, wobei man darauf achten müsste,
dass sie Schüler nicht zu kurz kämen. […] Ich würde auch, vielleicht […] in Schu-
len gehen und sagen: ‚Könnt ihr euch das vorstellen mit uns zusammen zu arbei-
ten an der Uni?‘“ (Ge1_3)
Das Studium hat mir eine neue epistemologische Perspektive auf das Fach Ge-
schichte bzw. den Geschichtsunterricht ermöglicht:
„Also, früher hab’ ich immer gedacht, tatsächlich eben diese historischen Ereignis-
se und Fakten. Jetzt durch das Studium denk ich vielmehr einfach diese Kompe-
tenz auf Zusammenhänge gucken zu können und erst mal das verstehen zu kön-
nen, dass das eben auch etwas von Menschen (.) konstruiert ist, dass das verschie
-
dene Perspektiven gibt, verschiedene Sichtweisen, das nde ich auch hat man auch
eigentlich nur so in diesem Fach, dass dieses Bewusstsein, was auf ganz viele Din-
ge im Alltag helfen kann, auch das ein Konikt zum Beispiel von jeder Seite an-
ders aussehen kann.“ (Ge3_3)
Typ 2: Wissenschaftlich-neugieriger Typ
Ich habe mich schon immer für Geschichte interessiert. Teilweise bin ich dabei
familiär vorgeprägt, etwa indem in der Familie Geschichten über die eigene Her-
kunft erzählt wurden. Manchmal ging ich auch mit meinen Eltern oder anderen
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in Museen und schaute mir historische Dinge an. Letztlich hat meine Sozialisa-
tion mein Interesse an Geschichte deutlich beeinusst:
„Also zum einem hatte ich schon immer eine Faszination für Geschichte, also es
ng schon in der Kindheit an, ich habe viele historischen Filme geguckt mit mei-
nen Schwestern und […] hatte so Was-Ist-Was-Bücher zuhause mit Geschichts-
thema. Naja, Playmobil habe ich auch ein bisschen mit der Ritterburg gespielt […]
es hat mich aber auch meine, also weil ich katholisch bin, meine Religion so ein
bisschen dazu, also ich wurde in der Schule viel– geärgert würde ich nicht sagen–
aber, es wurde in meiner Jugend schon angesprochen, das war schon außergewöhn-
licher, katholisch zu sein, und das hat mich schon so ein bisschen, mit der eigenen
Kirche auseinanderzusetzen hat mich auch irgendwie zur Geschichte gebracht“
(Ge1_2)
An der Geschichtswissenschaft nde ich besonders spannend, dass sich mit ihr
anthropologische Grundkonstanten über den Verlauf der Zeit analysieren lassen.
Ich schaue mir also an, wie die Menschen früher in bestimmten Situationen ge-
handelt haben und kann dies auf die Gegenwart übertragen:
Also was mich ja auch immer interessiert hat und was mich jetzt auch im Studi-
um immer mehr interessiert hat, sind so Sachen wie: […] Wie sind Menschen mit
dem Tod umgegangen? Wie sind Menschen mit Dingen umgegangen, die es jetzt
auch noch gibt? Jeder muss sich mit dem Tod beschäftigen, das muss auch heute, das
musste ja im Mittelalter, das musste ja in der Frühen Neuzeit, das musste ja in der
Antike irgendwo. Oder mit Angst sich auseinanderzusetzten. Ich glaube, das sind
Punkte, die einfach Relevanz heute haben und die aber eben auch Relevanz frü-
her hatten, und es lohnt sich dann zu schauen, wie hat sich das verändert. Nicht
unbedingt nur, um daraus zu lernen, sondern auch um zu verstehen, es gibt ande-
re Ansichten als meine und es gibt andere Umgangsmöglichkeiten als meine, die
müssen nicht gleich schlecht sein.“ (Ge1_2)
Das Studium hat mir durchaus neue Perspektiven auf die Geschichte ermöglicht.
Gerade die geschichtstheoretischen Vertiefungen haben mein Verständnis des
Faches erweitert. Früher hatte Geschichte etwas Objektiveres für mich, mittler-
weile weiß ich, dass die Geschichtswissenschaft gerade durch ihren Konstrukt-
charakter geprägt ist:
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48 Sebastian Barsch, Nina Glutsch
„Für mich ist Geschichte letztlich ein Denkkonstrukt. Also das ist im Studium bei
mir gewachsen tatsächlich, das hatte ich, als ich aus der Schule kam nicht, diesen
Eindruck. Aus der Schule war es für mich doch mehr so dieses ‚naja, das ist objek-
tiv‘ und ‚so wars‘. Für mich jetzt ist es ein Konstrukt[…]. Jeder Mensch bildet sich
eine eigene Geschichte im Endeekt, weil aus seinen Gedankenkonstrukten ergibt
sich eine Geschichte und was dann die wissenschaftliche Sicht der Geschichte ist,
die ist dann vielleicht profunder als die eines Laien oder eines Schülers, aber trotz-
dem hat jeder sein eigenes Bild davon und das kommt daher, dass man eben mit
eigenen Dingen reingeht in die Geschichte.“ (Ge1_2)
Aus diesem Grund nde ich es sehr gut und lässt sich wissenschaftlich gut be-
gründen, dass der Geschichtsunterricht die narrative Kompetenz als Zielmarke
in den Mittelpunkt gerückt hat. Ich selbst denke, dass es eine gute Balance zwi-
schen Forschungsorientierung und Praxistransfer in den einzelnen Studienteilen
geben sollte. Als angehende:r Geschichtslehrer:in möchte ich mein eigenes In-
teresse für Forschung nämlich mit schulischem Lernen bzw. den Möglichkeiten,
dieses Interesse später weiterverfolgen zu können, verbinden:
„Ich, der so sehr gerne viel auch historische Forschung betreibt, also für jemanden
wie mich wäre es dann schade, also weil ich […] sehr gerne Seminar zu Sozial-
forschung besucht habe, was mir sehr viel Spaß macht, aber ich glaube, […] man
muss eine Mischung nden aus Geschichte als Eigenwert oder Wissen als Eigen-
wert und Geschichte als didaktisches Objekt.“ (Ge1_2)
Typ 3: Pädagogisch-schüler:innenorientierter Typ
Für mich war schon früh klar, dass ich Lehrer:in werden wollte. Ich habe Spaß
am Unterrichten, der Umgang mit jungen Menschen macht mir Spaß und ich
kann gut kommunizieren und gut erklären. Wichtig ist für mich, dass ich die
Schüler:innen auf die Zukunft vorbereite und ihnen ein gutes Leben in der Ge-
sellschaft ermögliche: „Weil ich Schüler möglichst gut auf ihr späteres Leben in
der, in unserer Welt vorbereiten möchte.“ (Ge3_1) Unterrichten macht mir auch
deswegen Spaß, weil es Erfolgserlebnisse gibt, besonders dann, wenn die
Schüler:innen neues Wissen, neue Erkenntnisse aufbauen konnten oder etwas
gelernt haben, was sie anwenden können: „Und das irgendwie so diesen Mo-
ment, wenn sie das verstanden haben, und sich dann irgendwie auch freuen, das
anwenden zu können.“ (Ge3_3)
Dass ich mich für das Fach Geschichte entschieden habe, ist ein bisschen
dem Zufall geschuldet. Es standen verschiedene Fächer zur Auswahl.Ich habe
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49
aber nun den Eindruck, dass ich mit dem Fach Geschichte meine pädagogischen
Ideale am besten vermitteln kann:
„Ehrlich gesagt war das mehr oder weniger zufällig. Ich hab’ mich auf mehrere Fä-
cher beworben und Geschichte war mit darunter, unter anderem auch mit Erd-
kunde und […] Deutsch glaub’ ich auch […]. Ich hatte Geschichte sehr wenig in
der Schule. Also, es war nicht das so’n Interesse in der Schule war, aber ich hab’ ge-
merkt, dadurch, dass ich mich halt gerne für historische Sachen interessiere, und
dass ich mir überlegt habe, was möchte ich Schülern gerne beibringen […] da war
Geschichte einfach dabei.“ (Ge2_2)
Das Lehramtsstudium ist daher gut für mich geeignet, weil ich fachliche Inter-
essen mit Unterrichten verbinden kann: „Ich hab’ ja gesagt Geschichte interes-
siert mich, Englisch interessiert mich, was mache ich damit? Ähm, und da bot
sich halt Lehrerin an. Und da ich irgendwie Spaß daran habe, Leuten Sachen zu
erklären, dachte ich, hey (lacht)“ (Ge3_1).
Auch jetzt, nachdem ich einige Semester studiert habe, möchte ich immer
noch Lehrer:in werden. Das Geschichtsstudium hat mich allerdings durchaus in
einigen Aspekten überrascht. Ich dachte immer, dass Geschichte vor allem ein
objektives Abbild der Vergangenheit sei und meine Aufgabe als Geschichtslehrer:in
darin bestünde, den Kindern beizubringen, wie es früher mal war. Aber es geht
ja um viel mehr, um Geschichtsbewusstsein und historisches Denken. Das hat-
te ich so nicht erwartet, aber es ist gut:
„Also Geschichtsbewusstsein und Gegenwartsidentität. Aber das trit’s auch ganz
gut für mich. Also ich nd das sehr wichtig, ich hab’ da nie vorher drüber nachge
-
dacht, konnte ich ja gar nicht. Für mich war, als ich angefangen habe Geschichte
zu studieren, war wirklich dieser Gedanke ‚Ich geh da rein um historische Inhalte
zu lernen.‘ Und das ist ja glücklicherweise viel viel mehr.“ (Ge2_2)
Typen im Vergleich: Auälligkeiten bei den Geschichtsstudierenden
Wie bereits erwähnt, können die jeweiligen Fälle nicht alle eindeutig den einzel-
nen Typen zugeordnet werden. Gleichwohl zeigen sich gewisse Auälligkeiten
hinsichtlich der Verteilung. Um ein fundiertes Verständnis über die befragte
Gruppe zu bekommen, haben wir die einzelnen Interviews nach der Typenbil-
dung (s. u.) den Typen quantitativ zugeordnet. Von den neun befragten Ge-
schichtsstudierenden äußerte lediglich ein Fall ein primäres Interesse an den
Geschichts wissenschaften und dem daraus entsprungenen Einuss auf die Stu-
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50 Sebastian Barsch, Nina Glutsch
dienwahl.Derselbe Fall beurteilte auch den Geschichtsunterricht vor allem hin-
sichtlich seiner Möglichkeiten, Schüler:innen forschungsorientiert die Vergan-
genheit nahe zu bringen. Der Idealtypus „wissenschaftlich-neugierig“ stellt bei
der befragten Gruppe daher ein Einzelfall dar. Mit fünf Studierenden, die eher
dem politisch-emanzipatorischen Typ zugeordnet werden können, ist dieser am
häugsten anzutreen. Hier äußerten die Befragten ein grundlegendes Interes-
se am Fach Geschichte, dieses wurde jedoch vor allem als Träger zur Förderung
politischer Teilhabe und kritischen Denkens betrachtet. Drei der Befragten äu-
ßerten eher ein Interesse am Lehrer:innenberuf generell. Sie waren durch die
Aussicht motiviert, unterrichten zu können. Das Fach Geschichte hatte hier eine
pragmatische Funktion, das intrinsische Interesse an der Geschichtswissenschaft
wird nicht übermäßig deutlich. Der Befund aus früheren Studien, demnach Stu-
dierende des Lehramts Gymnasium ein höheres fachliches und geringeres päd-
agogisches Interesse hätten, kann für die untersuchte Gruppe nur in Teilen be-
stätigt werden. Die hier befragte Gruppe äußerte ein Interesse an der Veränderung
gesellschaftlicher Verhältnisse bzw. die Teilhabe an politischen Prozessen im
Rahmen ihrer Profession. Die Mehrzahl verfügt zudem über ein eher konstruk-
tivistisches Verständnis von Geschichte. Werden die Typen von Maggioni (2010)
angewandt, können die hier Befragten überwiegend als „Subjektivist:innen“ und
„Kriterialist:innen“ bezeichnet werden.
Typen im Vergleich: Die „Naturwissenschaftler:innen“
Bei den Physikstudierenden zeigt sich in den Interviews auf die Frage nach dem
Fachkonzept, dass es ebenso wie bei den Geschichtsstudierenden pädagogisch-
schüler:innenorientierte Typen gibt, die die Entwicklungsförderung der Kinder
und Jugendlichen zumindest der fachlichen Bildung als gleichwertig einschät-
zen:
„[…]möchte ich immer noch gern Lehrer werden, weil ich nde, dass man in der
Schule nicht nur auf den, auf die fachlichen Seiten der Schuldbildung achten soll-
te. Sondern auch viel auf das Soziale, auf den Hintergrund, ja, wie es einem Men-
schen so geht und was er alles lernen kann.“ (Phy1_2).
Daneben äußerten die meisten der Befragten fachliche Interessen und Vorstel-
lungen über ihr Fach, die dem wissenschaftlich-neugierigen Typen zugeordnet
werden könnten. Hier wird insbesondere der Logik und dem Verstehen von na-
turwissenschaftlichen Gesetzen große Bedeutung zugemessen:
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51
„Also da bin ich vielleicht auch ein sehr Physiker oder sehr Naturwissenschaftler,
aber logisch Denken heißt ja nicht zwangsläug nicht kreativ denken. Also eigent-
lich ist Mathematik zum Beispiel, nde ich, etwas, wo sehr viel kreativ gedacht
wird, weil wenn’s darum geht, Dinge zu beweisen […] dann ist es erstmal egal,
wie du das machst. […] Aber du musst sie eben schon beweisen. Du kannst dir
nicht selbst einfach irgendwas überlegen und dann sagen: ‚Das ist toll, das ist kre-
ativ, das ist gut.‘ Sondern du musst eben schon an, also dich an dieses Minimum
halten, was dann ja die Herausforderung ist, sonst wäre es ja einfach.“ (Phy2_2)
Der politisch-emanzipatorisch Typ, der sich bei den Geschichtsstudierenden he-
rauskristallisiert hat, ndet sich grundlegend auch bei den Physikstudierenden
wieder. Auch hier wird der Kritik- und Urteilsfähigkeit eine außerordentlich gro-
ße Bedeutung zugemessen, welche durch das Fach gefördert werden kann:
„Ja um, um selber und freies Denken zu leisten. Genau. Weniger, also ich nd’s
nicht wichtig und es interessiert mich auch nur ganz wenig, tatsächlich, wie ein
Transformator funktioniert. […] Also ich nde nicht, dass Schüler das unbedingt
wissen müssen, […] wie das funktioniert. Aber dass sie schon auch verstehen auch
so ganz viel, dass man sich das nicht immer machen kann, wie man möchte, oder
sich nicht alles hinnehmen kann, wie man möchte, sondern dass man versteht, dass
die Welt an sich kompliziert aufgebaut ist. […] Dass man sehr viel Arbeit rein-
stecken muss, um das zu verstehen und Dinge zu verstehen […] Und bei Physik
hat man halt den Vorteil: Man kann sehen vor dem ‚Ok, das ist falsch‘ und am
Ende sieht man in gewisser Weise ‚Ok, die ist, deckt mehr ab. Die eorie deckt
mehr ab.‘“ (Phy2_1)
Gleichwohl werden die Teilhabeaspekte weniger im politischen Kontext be-
trachtet. Stärker als bei den Geschichtsstudierenden scheint die individuelle Be-
fähigung der Kinder und Jugendlichen zu Verstehensprozessen auch außerhalb
sozialer Systeme als wertvoll betrachtet zu werden:
„Ja, die die Oenheit sich die Umwelt genauer anzuschauen und dann auch ver-
stehen zu wollen […], wie manche Vorgänge funktionieren und was ich auch to-
tal spannend nde ist, dass man die emen auf so verschiedene Arten herunter-
brechen kann.“ (Phy1_2)
Dieselbe Studentin äußerte im Übrigen– nach einem Vergleich zwischen dem
Fach Physik und Geschichte (das sie nicht studiert, sondern hier auf Schulerfah-
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52 Sebastian Barsch, Nina Glutsch
rungen zurückgreift) gefragt– äußerst unterschiedliche Sichtweisen hinsichtlich
der jeweiligen Fachlichkeit und des mit diesem verbundenen Wissenschaftsver-
ständnisses:
„[…]im Vergleich, wenn ich das nochmal so zusammenfasse, dann ist der Natur-
wissenschaftsunterricht eher so hinterfragend und forschend […], und Geschichte
ist dann eher so die Allgemeinbildung und […] nicht urteilsbildend.“ (Phy1_2)
Insgesamt äußerten die Physikstudierenden sich häuger zu spezisch fachli-
chen Aspekten hinsichtlich ihrer Vorstellung als Lehrperson (Logik, urteilen,
forschen). Gleichwohl muss berücksichtigt werden, dass aus diesem Fachbereich
lediglich vier Personen befragt wurden. Die Varianz mag daher bei den neun be-
fragten Geschichtsstudierenden größer gewesen sein.
4. Metaphern
Die Metaphernanalyse folgt dem rekonstruktiven Ansatz und „einer ganz spezi-
schen Haltung gegenüber Sprache, die als sinnkonstituierendes Symbol- bzw.
Zeichensystem im Zusammenhang der Repräsentation von Welt und Wirklich-
keit“ betrachtet wird (Kruse u. a. 2011, 7). Bei den relativ kurzen Antworten der
Studierenden bezüglich der Frage danach, wie bzw. womit sie das Fach verglei-
chen würden („Geschichte ist wie…“) fällt zunächst auf, dass die Vergleiche al-
le positiv ausfallen oder positiv konnotiert sind. Da die Studierenden nicht an-
gehalten wurden, den Vergleich weiter auszuführen, bleibt manchmal auch nur
ein Wort bzw. Begri stehen („Chance“, „Musik treiben“). Grundsätzlich lässt
sich interessanterweise ein Cluster mit Begrien aus der Natur ausmachen, das
teilweise erweitert wird. Das Fach wird gleichgesetzt mit einem „Berg“, ein an-
deres Mal mit einem „Baum“, der als Wurzeln die Vergangenheit in sich trägt
und daraus kontinuierlich weiterwächst und somit die Gegenwart repräsentiert.
Auch mit einem Sommertag, der am anderen Morgen ähnlich, aber doch anders
verläuft, wird Geschichte verglichen. Oder mit einem stillen Gewässer, unter
dessen Oberäche sich unterschiedliche, neue Dinge verbergen. In diesen Na-
turvergleichen wiederholen sich die Überzeugungen zu unterschiedlichen Facet-
ten des Fachs, die die Studierenden in den Interviews immer wieder ansprechen.
Aber auch durch Beschreibungen wie „Fülle an Möglichkeiten“, „Raum, um sich
kreativ zu entfalten“ oder „Chance“ und „Musik treiben“ wird die Vielfältigkeit,
die mit dem Fach verbunden wird, deutlich. Ähnlich zu den Naturmetaphern
sind einige wenige Vergleiche auszumachen, die sich ebenfalls auf etwas Leben-
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53
des stützen: „Fundgrube des menschlichen Zusammenlebens“, etwas „Aufbau-
endes, Produktives“ und „lebendige Geschichte“. Geschichte scheint für die Stu-
dierenden somit nichts Statisches, rein eoretisches zu sein. Dies deckt sich mit
der Erkenntnis, dass die Mehrzahl der interviewten Studierenden ein eher kon-
struktivistisches Verständnis des Fachs aufweist.
Die überwiegend geäußerten Naturmetaphern deuten wie bereits angespro-
chen in die Richtung, dass mit oder in der Geschichte etwas Neues entdeckt
werden kann, das sich in immer neuen Formen zeigt, es aber doch Aspekte gibt,
die noch unbekannt sind (Berg, Gewässer) und möglicherweise auch nie oen-
bar werden. Obwohl der wissenschaftlich-neugierige Typ in der vorliegenden
Studie zwar identiziert, aber kaum vertreten ist, würden sich die Naturmeta-
phern am ehesten ihm zuordnen lassen. Aus der Entdeckung von lebenden Sys-
temen und aus der Kreativität heraus, die mit dem Fach Geschichte verbunden
ist, ergeben sich wiederum Anknüpfungspunkte zu den Physikstudierenden, die
fachlich in diese beiden Richtungen argumentieren.
5. Fazit und Ausblick
Die vorliegende Studie bestätigt das Vorhandensein verschiedener motivationa-
ler Faktoren hinsichtlich der Berufswahl.Anders jedoch als die vor allem quan-
titativ ausgerichteten Untersuchungen konnten durch den qualitativen For-
schungsansatz stärker subjektive Faktoren und Begründungen analysiert werden.
Damit mag sich auch erklären, dass hedonistische Motive weniger identiziert
werden konnten. Insofern die Interviewsituation explizit das Fach in den Mit-
telpunkt des Gesprächs rückte, wurden die Befragten auch in einem hohen
Maße dazu angeregt, fachlich zu argumentieren. Auallend ist, dass alle identi-
zierten Typen zumindest in Teilen ein konstruktivistisches Verständnis von
Geschichte haben. Dies hat auch einen Einuss auf ihre Überzeugungen, wie
Geschichte unterrichtet werden sollte. In den Interviews wurde mehrfach geäu-
ßert, dass das Fachstudium Vorstellungen über das Fach stark prägt. Daraus las-
sen sich jedoch keine Prognosen für spezische Muster hinsichtlich des berufs-
praktischen Handelns ableiten. Verschiedene Studien konnten bereits zeigen,
dass ein fachliches Verständnis, welches mehr oder minder dem aktuellen wis-
senschaftlichen Stand entspricht, nicht zwangsläug zu einem Unterricht führt,
der diese Prinzipien berücksichtigt (Litten 2017; Voet/Wever 2016). Zukünfti-
ge qualitative Längsschnittstudien könnten demnach wertvolle Erkenntnisse
über den langfristigen Einuss epistemologischer Überzeugung auf praktisches
Unterrichtshandeln generieren.
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54 Sebastian Barsch, Nina Glutsch
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© Wochenschau Verlag, Frankfurt/M.
57
SIMONE LANKES
Didaktische Diagnostik im Geschichtsunterricht
Exemplarische Einzelfallanalysen der Perspektiven von Lehrer:innen
1. Einleitung und Ausgangslage
In der aktuellen Bildungs- sowie (fach-)didaktischen Lehr-Lernforschung
herrscht große Einigkeit hinsichtlich der Bedeutung diagnostischen Handelns
und diagnostischer Kompetenzen von Lehrenden für gelingende Lehr-Lernpro-
zesse. Auch in der Geschichtsdidaktik ist unbestritten, dass eziente didaktische
Diagnostik, die eine individuell-passgenaue Förderung zum Ziel hat und als Be-
standteil von Unterrichtsplanung verstanden wird (Ingenkamp/Urban 2008,
Amrhein u. a. 2015), ein Kernelement im Gesamtgefüge der Geschichtslehrer:in-
nenkompetenzen darstellt (Adamski 2014; Kühberger 2014; Weber 2017; Barsch
2016; Heuer u. a. 2017). Diese an einer konstruktivistischen Lehr-Lernkonzep-
tion orientierten Forderungen an Lehrende und ihr professionelles Handeln
können zwar aus theoretischer Perspektive– vor allem mit Blick auf die im Zu-
ge von Inklusion zunehmend heterogenen Lerngruppen– überzeugen. Aller-
dings liegen bisher aus fachdidaktischer Perspektive nur wenige1 und für den
Geschichtsunterricht keine empirischen Erkenntnisse über diagnostische Kom-
petenzen von Lehrer:innen vor (zuletzt Heuer u. a. 2017, 171),2 so dass sich die
1
In der aktuellen empirischen Forschung ist eine Operationalisierung diagnostischer Kom-
petenz über Urteilsakkuratheit verbreitet. Empirische Forschungsprojekte zur diagnosti-
schen Kompetenz konzentrierten sich damit bislang zum einen auf den Zusammenhang
zwischen Akkuratheit der Urteile von Lehrenden und fachlichen Leistungen und Ent-
wicklungsständen ihrer Lernenden (Leuders 2017; z. B. Spinath 2005) und zum anderen
auf kognitive Prozesse der Informationsverarbeitung, die Lehrerurteilen zugrunde liegen
(bspw. Kaiser u. a. 2017). Bisher gänzlich unberücksichtigt bleiben darüber hinaus gehen-
de Aspekte der Diagnosekompetenz wie Diagnoseanlässe, Integration des diagnostischen
Urteils in Unterrichts- und Förderplanung oder diagnostisches Wissen (für einen ausführ-
lichen empirischen Forschungsstand zuletzt Praetorius u. a. 2017, 1 – 15).
2
Obwohl auch die fachdidaktische Forschung zu Aspekten der professionellen Kompetenz
von Geschichtslehrkräften in den letzten Jahren stark zugenommen hat (für einen aktu-
ellen Forschungsüberblick zur geschichtsdidaktischen Lehrerprofessionalisierungsfor-
© Wochenschau Verlag, Frankfurt/M.
58 Simone Lankes
Frage stellt, inwiefern Geschichtslehrende diesbezügliche normative Postulate
verinnerlicht haben und bei der Planung, Durchführung und Evaluation ihres
Unterrichts auch berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund sollen in diesem Bei-
trag die Perspektiven von Geschichtslehrkräften auf das ema Diagnostik un-
tersucht und erste empirisch begründete Hypothesen im Zusammenhang mit
diagnostischen Kompetenzen Geschichtslehrender generiert werden.
2. Rekonstruktion diagnostischer Überzeugungen von
Geschichtslehrenden
Das Ziel der vorliegenden qualitativen Untersuchung besteht also in einer ers-
ten Exploration diagnostischer Kompetenzen von Geschichtslehrenden. Hierbei
wird nicht die (situationsspezische) Performanz, sondern die kognitive Dispo-
sition (Blömeke u. a. 2015) dieses Kompetenzbereichs im Fokus stehen, indem
der Frage nachgegangen wird, welche Überzeugungen zum ema Diagnostik im
Geschichtsunterricht bei Geschichtslehrenden zu identizieren sind.
Konnten Funktionen und damit die hohe Relevanz berufsbezogener Über-
zeugungen im Hinblick auf kompetentes Unterrichtshandeln zwar bisher in
zahlreichen qualitativen wie quantitativen Studien belegt werden (Pajares 1992;
Reusser/Pauli 2014, 653), so liegt doch bis heute keine allgemein akzeptierte und
einheitliche Denition dieses Konstrukts vor. So herrscht beispielsweise nach
wie vor Uneinigkeit darüber, wie sich der Begri Überzeugungen zu verwand-
ten Begrien wie Wissen, Vorstellungen, pädagogische Orientierungen oder
Subjektive eorien verhält bzw. wie er sich von diesen abgrenzen lässt (Reus-
ser/Pauli 2014,646 648; Litten 2017, 137; Nitsche 2016, 161). Daher gilt es,
den Begri für die vorliegende Untersuchung zu präzisieren: Berufsbezogene
Überzeugungen von Lehrenden sollen hier mit Reusser und Pauli als „aektiv
aufgeladene, eine Bewertungskomponente beinhaltende Vorstellungen über das
Wesen und die Natur von Lehr-Lernprozessen […] [verstanden werden], wel-
che für wahr oder wertvoll gehalten werden und ihrem berufsbezogenen Den-
ken und Handeln Struktur, Halt, Sicherheit und Orientierung geben“ (Reusser/
Pauli 2014, 642 – 643).
Damit stellen Überzeugungen individuell als bedeutsam empfundene Kog-
nitionen dar, die sich auf einen beruich relevanten Gegenstandsbereich bezie-
schung Bühl-Gramer 2018), stellen Studien, die sich dezidiert dem Bereich der diagnos-
tischen Kompetenz von Geschichtslehrenden zuwenden, bislang ein Forschungsdesiderat
dar (Heuer u. a. 2017, 171).
© Wochenschau Verlag, Frankfurt/M.
59
hen und sich handlungssteuernd auswirken. Sie werden in institutionellen Pro-
fessionalisierungskontexten sowie in (beruichen) Erfahrungskontexten gewon-
nen und sind damit höchst individuell. Überzeugungen werden hier neben
„sozial geteilte[m] und durch andere vermittelte[m] Wissen“ (Baumert u. a.
2011, 41) sowie emotionalen und kognitiven Verarbeitungen individueller Er-
fahrungen und Handlungen als Bestandteile Subjektiver eorien aufgefasst, die
sich als Gesamt der kognitiven Dispositionen einer Kompetenz (Blömeke u. a.
2015; Plöger 2006, 115) stetig erneuern und reorganisieren.3 Zudem lassen sich
Überzeugungen hinsichtlich ihrer Inhalte in epistemologische Überzeugungen
zu Genese, Bedeutung und Entstehung von (historischer) Erkenntnis einerseits
und Überzeugungen zu (fachlichen) Lehr-Lernprozessen andererseits dieren-
zieren (Reusser/Pauli 2014, 650; Nitsche 2016, 170 180). Wird im Rahmen
dieser Studie die Frage nach den diagnostischen Überzeugungen der Lehrenden
gestellt, werden damit dieser Dierenzierung entsprechend weniger epistemolo-
gische als speziell fachliche sowie überfachliche Überzeugungen zu Lehr-Lern-
prozessen fokussiert.
Methodisches Vorgehen: Fallauswahl,Erhebung, Auswertung
Um die Überzeugungen von Geschichtslehrkräften zur Diagnostik möglichst
breit zu explorieren und facettenreich beschreiben zu können, erfolgte die Aus-
wahl der Proband:innen (N=20) nach dem Prinzip der maximalen Variation
(Flick 2017, 259 260). Durch einen Einbezug der verschiedenen Schulformen
der SekundarstufeI4 und den damit verbundenen Implikationen auf den insti-
tutionellen Teil des Professionalisierungsprozesses sowie auf den Erfahrungs-
horizont der Proband:innen wurde so eine möglichst große Varianz innerhalb
3 Im vorliegenden Beitrag werden zur Rekonstruktion von Überzeugungen Lehrender Da-
ten ausgewertet, die im Rahmen eines Dissertationsprojektes erhoben wurden. Während
hier auf Überzeugungen fokussiert wird, werden in diesem größeren Forschungszusam-
menhang darüber hinaus mit Wissen und Erfahrungen ebenfalls die weiteren Bestand-
teile Subjektiver eorien rekonstruiert. Damit wird eine breite Exploration und systema-
tische Deskription der gegenstandsbezogenen, handlungsleitenden Subjektiven eorien
von Geschichtslehrenden mittlerer und großer Reichweite (Dann 1989; Wahl 1991, 2006;
Groeben u. a. 1988) zum ema Diagnostik angestrebt.
4
Die Proband:innen unterrichten an Gymnasium (4), Gesamtschulen und Realschulen (4),
Hauptschulen und Sekundarschulen (4), Förderschulen (4) sowie an inklusiven Gymna-
sien und Gesamtschulen (4), die sich durch drei Faktoren auszeichnen: 1. ein dezidiert in-
klusives Schulkonzept, 2. eine Schüler:innenschaft, die eine große Vielfalt hinsichtlich
mehrerer Heterogenitätsdimensionen (mindestens auch Lernende mit diagnostizierten
Förderbedarfen) aufweist, 3. mehrjährige Erfahrung mit inklusiven Unterrichtssettings.
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60 Simone Lankes
der Stichprobe sichergestellt. Im Sample sind außerdem Berufsanfänger:innen
(weniger als fünf Jahre Berufserfahrung abzüglich des Vorbereitungsdienstes)
und Lehrende mit mehr als zehn Jahren Berufserfahrung gleichermaßen reprä-
sentiert. Gemeinsam ist allen Proband:innen, dass sie das Fach Geschichte stu-
diert und im Vorbereitungsdienst „belegt“ haben und dass sie dieses Fach zum
Zeitpunkt der Erhebung an Schulen in Nordrhein-Westfalen in der Sekundar-
stufeI unterrichteten.
Die Exploration individueller Überzeugungen bedarf einer subjektbezoge-
nen Erhebungsmethode, die zu einer freien und ausführlichen Narrativierung
auordert und somit Gegenstände und Strukturen des Denkens oenzulegen
vermag (Helerich 2011, 26 35; Reusser/Pauli 2014, 284). Da angesichts der
Kom plexität und der wenig einheitlichen Verwendung des Begris Diagnostik
nicht davon ausgegangen werden kann, dass umfassende Überzeugungen zu die-
sem Gegenstand ad hoc artikuliert oder in standardisierter Engführung ange-
messen erhoben werden können, wurde mit dem problemzentrierten Interview
eine teilstandardisierte Befragungsform gewählt. Das problemzentrierte Inter-
view erlaubt es, sowohl Forschenden als auch Befragten den kommunikativen
Prozess mitzugestalten und zu strukturieren (Witzel 1985; Hopf 2017). Durch
einen Leitfaden können dabei emen seitens der Forschenden eingegrenzt und
gezielt fokussiert sowie eine Vergleichbarkeit zwischen den einzelnen Interviews
sichergestellt werden (Helerich 2011, 178 190). In der vorliegenden Studie
wurde das Gespräch mit Hilfe eines zweiteiligen Interviewleitfadens strukturiert
und auf den emenkomplex didaktische Diagnostik fokussiert.5 In einer ersten
Gesprächsphase wurde das eigene professionelle Handeln der Lehrperson im di-
agnostischen Bereich adressiert. Hier zielten Fragen und Gesprächsauorderun-
gen darauf ab, Fähigkeiten und Fertigkeiten der eigenen Lernenden sowie die
Beobachtungen und (diagnostischen) Handlungen, die diesen Einschätzungen
zu Grunde liegen, ausführlich zu beschreiben. Um eine möglichst dichte Erfas-
5 Im Rahmen der hier vorliegenden Studie wurde der Teil der Interviews ausgewertet, der
auf Überzeugungen von Lehrenden zum Gegenstand Diagnostik fokussiert. Weitere Tei-
le des eingesetzten Leitfadens, der auch Elemente des fokussierten Interviews nach Mer-
ton und Kendall (1976) und Passagen des Lauten Denkens (Konrad 2010) enthält, the-
matisieren die Bereiche Wissen und Erfahrungen zum Gegenstand Diagnostik, diagnos-
tische Praktiken, Urteile und Überzeugungen zum inklusiven (Geschichts-)Unterricht so-
wie zum historischen Lehren und Lernen, um eine mehrdimensionale Exploration und
dichte, systematische Beschreibung der Subjektiven eorien mittlerer und großer Reich
-
weite von Geschichtslehrenden zu didaktischer Diagnostik, die sie in institutionellen Pro-
fessionalisierungskontexten sowie in individuellen (beruichen) Erfahrungen gewonnen
haben, zu ermöglichen.
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61
sung der Überzeugungen Geschichtslehrender im Zusammenhang mit diagnos-
tischem Handeln sicherzustellen, wurden die oenen Fragen und Gesprächsauf-
forderungen jeweils um vertiefende Interventionen ergänzt. Die Proband:innen
wurden hierbei durch Vertiefungsfragen6 dazu angehalten, einzelne Aussagen zu
elaborieren und ihre Auassungen durch konkrete Beispiele und Erklärungen zu
explizieren. Dabei ging es nicht darum, valide Aussagen über die Fähigkeiten der
eigenen Lernenden oder die geschilderten Unterrichtspraxen zu generieren, son-
dern die Begründungsguren, die im Zusammenhang mit (eigenen) diagnosti-
schen Handlungen entwickelt werden, und damit Teilaspekte der individuellen
Überzeugung zu Diagnostik im Geschichtsunterricht zu identizieren. An-
schließend wurden anhand eines zweiten Leitfadenabschnitts die zuvor mit
Blick auf die eigene Lerngruppe und das eigene Handeln thematisierten Aspek-
te systematisch vertieft und validiert, um die bereits erhobenen und unterschied-
lich akzentuierten Äußerungen in der anschließenden Rekonstruktion ergän-
zend und vergleichend auswerten zu können. Hier waren die Proband:innen
aufgefordert, ihre allgemeinen Vorstellungen im Bereich der Diagnostik zu schil-
dern. Gezielt wurden Ziele, Potenziale und Herausforderungen diagnostischen
Handelns sowie die Bedingungen ezienter Diagnostik im Geschichtsunter-
richt adressiert. Im Anschluss an jedes Interview wurde zudem ein geschlosse-
ner Kurzfragebogen eingesetzt, der zur Erfassung der personenbezogenen Da-
ten und unterrichtlichen Rahmenbedingungen dient. Mit diesem wurden
(berufs-)biographische Daten (Alter, Geschlecht, Ausbildungsform, Jahre der
Berufserfahrung) erhoben und die Proband:innen zu einer kurzen Beschreibung
ihrer aktuellen beruichen Situation aufgefordert (Schulform, Schulprol, (mul-
tiprofessionelles) Kollegium, (Heterogenität der) Schüler:innenschaft und ggf.
spezische Qualikationen und Aufgaben). Alle Befragungen wurden als Ein-
zelinterviews im Winter 2017/2018 durchgeführt und dauerten zwischen 50
und 70Minuten. Dokumentiert wurden die Gespräche durch Audioaufnahmen
und und ein Postskript, um besondere Eindrücke und Auälligkeiten zeitnah
festhalten zu können.
Für eine regelgeleitete Rekonstruktion der Überzeugungen der Lehrenden
zum ema Diagnostik im Geschichtsunterricht wurden die so erhobenen Da-
ten vollständig transkribiert und mit Hilfe der strukturierenden Inhaltsanalyse
6 Hierfür wurden vorab die Bereiche Dokumentation von Schülermerkmalen und diagnos-
tischen Urteilen, Reexion eigener diagnostischer Urteile und Feedbacksituationen fest-
gelegt, um möglichst viele Teilbereiche (didaktischer) Diagnostik (Schrader 2013) zu er-
fassen.
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62 Simone Lankes
nach Kuckartz (2018) ausgewertet. Hierbei ging es primär darum, jene Interview-
aussagen zu identizieren und zu strukturieren, die Antworten auf die Frage zu-
lassen, wie sich die Überzeugungen der Geschichtslehrkräfte hinsichtlich der Ziele,
derGegenstände von Diagnosen, des methodischen Vorgehens sowie Bedingungen von
Diagnostik (im Geschichtsunterricht) beschreiben lassen. Ein weiterer Schwer-
punkt der Auswertung lag auf der Frage, inwiefern sich hierbei auch fachspezische
Bezüge und damit Aspekte geschichtsdidaktischer Diagnostik in den Überzeugungen
der Lehrenden zeigen. In einem kombiniert deduktiv-induktiven Verfahren wur-
de ein Kategoriensystem entwickelt, mithilfe dessen die Perspektive der Lehren-
den auf Diagnostik erfasst, angemessen beschrieben und systematisiert werden
kann. In einem ersten Schritt wurden hierzu Oberkategorien deduktiv aus den
Forschungsfragen und dem Leitfaden abgeleitet, die zunächst selbst induktiv am
Material geprüft, gegebenenfalls erweitert oder verworfen wurden, um sie dann
in einem zweiten Schritt jeweils mittels induktiv gebildeter Subkategorien aus-
zudierenzieren.7
3. Ergebnisse: Exemplarische Darstellung ausgewählter Einzelfälle
Das auf diese Weise entwickelte Kategoriensystem ermöglicht es schließlich, die
individuellen Überzeugungen von Lehrpersonen zum emenkomplex Diag-
nostik im Geschichtsunterricht anhand von zwei Dimensionen zu beschreiben:
Zum einen geht es um das Begrisverständnis von Diagnostik, das eine Lehrper-
son aufweist und das über die drei Bereiche Ziele, Gegenstände und Methoden8
in insgesamt zwölf Unterkategorien abgebildet wird. Zum anderen werden die
Bedingungen für eine eziente Diagnostik erfasst, die von den Proband:innen be-
nannt werden und die sich über die Bereiche unterrichtliche Rahmenbedingun-
gen und Aspekte der diagnostischen Kompetenz der Lehrperson in insgesamt
neun Subkategorien darstellen lassen.9
7 Als Materialgrundlage für diese induktive Modikation und Dimensionierung des Kate-
goriensystems diente eine Auswahl von Interviews, die hinsichtlich der Schulform und
der Berufserfahrung sowie Erfahrungen mit inklusiven Lernsettings möglichst divers wa-
ren, bis nach elf Interviews eine Sättigung der Kategorien festgestellt werden konnte (zur
deduktiv-induktiven Kategorienbildung Kuckartz 2018, 95 – 96; Schreier 2014, 10).
8 Tabelle 1 (Unterkategorien K1–K4; Abb.1).
9 Tabelle 2 (Unterkategorien K5–K6; Abb.2).
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63
K1: Ziele von Diagnostik im Geschichtsunterricht
Unterkategorie Kategorienbeschreibung Ankerbeispiel
K1a: Selektion
(Leistungsbeur-
teilung, Noten-
gebung)
Das Ziel diagnostischen Han-
delns besteht darin, eine
Grundlage für die Beurteilung
der Lernenden und die Verga-
be von Noten zu generieren.
I_13, 00:34:28-7: Und ich nde es halt auch wichtig,
dass man, also ich meine wir schreiben ja auch Zeug-
nisse. Wir müssen ja auch irgendwas machen, damit
das irgendwie begründbar ist. Und das ist ja Diagnos-
tik. Also ich kann jetzt nicht, Diagnostik ist ja nicht nur
einmal im Halbjahr einen Test zu schreiben, und dann
ist der fünf und dann ist die Leistung fünf.
K1b: Adaptive
Unterrichts-
planung und
-gestaltung
Das Ziel diagnostischen Han-
delns besteht darin, auf der
Grundlage von Diagnostik Un-
terricht so planen zu können,
dass einzelne Schüler individu-
ell passgenau und gezielt ad-
ressiert und gefördert werden.
I_10, 00:28:36-7: Diagnostik ist ja erstmal (…) ein
wichtiger Bestandteil meiner lehrerischen Tätigkeit.
Ja, also ganz allgemein gesehen, sehe ich darin ein
Mittel der Unterrichtsplanung, indem ich gucke, was
können Schüler, wo sind Schüler und (…) wo muss ich
sie hinführen. Und dann für mich überlege, mit wel-
chen fachlichen, fachdidaktischen Mitteln kann ich
das.
Das Ziel diagnostischen Han-
delns besteht darin, auf der
Grundlage von Diagnostik
Unterricht so planen zu kön-
nen, dass die Motivation und
das Interesse der Lernenden
gesteigert wird.
I_6, 00:27:17-8: Also wenn man weiß, wo man den
Schüler abholen kann mit seinen Möglichkeiten und
Schwierigkeiten und wenn man den Punkt natürlich
trit, und der dann sieht „Wow, so läuft das.“ Dann
wächst natürlich auch das Interesse daran. Der sieht
irgendwie „Ich kann das und komme irgendwie damit
auch an.
K2: Gegenstände von Diagnosen
Unterkategorie Kategorienbeschreibung Ankerbeispiel
K2a: Diagnose
von Lernprozes-
sen (formativ)
Gegenstand der Diagnose ist
das Ergebnis einer Evaluation
von Lernprozesse der Lernen-
den/formativer Diagnostik
I_12, 00:37:55-7: [Im Geschichtsunterricht gilt es, ]
Lernfortschritte [zu diagnostizieren]. Lernprogression,
so müsste ich da eher sagen. Ich glaube es ist ganz
wichtig (…) zu gucken, ob sich tatsächlich beispiels-
weise so etwas wie ein methodisches Verständnis
langsam aufbaut.
K2b: Diagnose
von Lernstän-
den als Lernvor-
aussetzungen
(meist Anfangs-
diagnostik)
Gegenstand der Diagnose ist
die Erfassung der Ausprägung
eines bestimmten Merkmals
der Lernenden (z. B. fachliche
oder überfachliche Interessen
oder Kompetenzen oder Ent-
wicklungsstand als Lernvoraus-
setzungen)
I_17, 01:13:12-3: Aber da jetzt eine große, aufwendige
Diagnostik zu machen, Lernstand, Kompetenzniveaus,
welche Methoden beherrschen sie, und so weiter, ja,
das erkenne ich in meinem Unterricht sowieso. Ob ich
das jetzt in einer Abfrage, in einer schriftlichen, wie
auch immer da am Anfang des Schuljahres brauche,
weiß ich nicht. Was ändert das?
K2c: Diagnostik
von Lerner-
gebnissen
(summativ)
Gegenstand der Diagnose ist
die Erfassung der Ausprägung
eines bestimmten Merkmals als
abschließendes, zusammenfas-
sendes Urteil über die Summe
der erworbenen Kenntnisse
und Fähigkeiten (z. B. Lernziel-
kontrollen, Klassenarbeiten)
I_11, 00:44:06-7: Und dann brauche ich aber noch mal
irgendwas, um zu sehen, haben die das denn jetzt
überhaupt verstanden, haben die das bearbeitet. Also
oft sind die Materialien nicht so, dass man erkennt,
dass die tatsächlich Kompetenzen erworben haben.
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64 Simone Lankes
K3: Fachspezische und überfachliche Bezüge der Gegenstände von Diagnostik
Unterkategorie Kategorienbeschreibung Ankerbeispiel
K3a: Gegen-
stand hat einen
fachspezi-
schen Bezug
Gegenstand der Diagnose sind
historische Fähigkeiten bzw.
fachspezische Schülervorstel-
lungen, z. B. Zeitbegri der Ler-
nenden
I_2, 00:31:08-5: Naja, Diagnostik heißt auf jeden Fall,
Fähigkeiten und Fertigkeiten, also Kompetenzen von
Schülerinnen und Schülern zu identizieren. Na, und
im Geschichtsunterricht gibt es da ganz viel zu diag-
nostizieren: zum Beispiel, auf welcher Kompetenzebe-
ne man denn was diagnostizieren möchte– auf der
methodischen oder auf der inhaltlichen? Oder auf der
Handlungsebene sogar, ne?
Gegenstand der Diagnose ist
das Interesse der Lernenden an
historischen Themen
I_13, 00:33:43-0: Ja, also einmal [ist] das Vorwissen [zu
diagnostizieren]. Was ist da überhaupt vorhanden?
Dann natürlich auch, an welchen historischen The-
men ein Interesse vorhanden ist.
K3b: Gegen-
stand hat einen
überfachlichen
Bezug
Gegenstand der Diagnose be-
zieht sich auf überfachliche Fä-
higkeiten
I_17, 00:47:21-7: Also über welche Fähigkeiten die
Schüler verfügen, wenn es um die Arbeit mit einem
Buch oder um die Arbeit mit einem Text geht.
Gegenstand der Diagnose be-
zieht sich auf das soziale Um-
feld oder den familiären Hinter-
grund.
I_7, 00:29:39-5: Bei Diagnostik ist ganz viel auch, wo
kommt der Schüler her, was hat der für ein Umfeld,
was bringt der für soziale Kompetenzen mit, kann der
das nicht oder will der das nicht, wird der von zu Hause
aus nicht unterstützt, ist Schule für den einfach neben-
sächlich (…) und der hat wirklich ganz andere Sorgen.
K3c: Diagnosti-
scher Fokus
liegt auf den
einzelnen
Lernenden
Gegenstand der Diagnose sind
Merkmale einzelner Lernender
I_11, 00:29:17-1: Didaktische Diagnostik: Also die Fra-
ge, wie stark muss ich einen Unterrichtsinhalt herun-
terbrechen, um wirklich alle Schülerinnen und Schüler
zu erreichen. Diagnostik steht dann eben davor, um
zu erkennen, wo ist der Leistungsstand der einzelnen.
K3d: Diagnosti-
scher Fokus
liegt auf der
gesamten Lern-
gruppe
Gegenstand der Diagnose er-
gibt sich aus der Betrachtung
der gesamten Lerngruppe
I_12, 00:02:20-9: Ja das sind ja schon immer wichtige
Aspekte, das man berücksichtigt, um was für eine
Lerngruppe es sich handelt– ohne da zu sehr Vorein-
stellungen vorzunehmen wie von wegen: „Ja, also die
sind schwach“ oder „Die sind stark“, das meine ich gar
nicht damit, sondern dass man berücksichtigt, dass es
einfach unterschiedliche Lerngruppen gibt, und das
man dementsprechend auch gucken muss, wie man
etwas zum Beispiel auch methodisch aufzieht.
K4: Methodischer Zugang (u. a. Diagnoseanlässe)
Unterkategorie Kategorienbeschreibung Ankerbeispiel
K4a: Informelle
Diagnostik
Der methodische Zugang ba-
siert auf rein informellen diag-
nostischen Maßnahmen (z. B.
Beobachtung der Lernenden
im Unterricht).
I_5, 00:27:03-1: Andere Form [der Diagnostik] ist, was
ich als Lehrer jeden Tag im Unterricht mach. Also
Schüler beobachten und ja, dadurch ja auch diagnos-
tizieren, wo hat der Schüler noch Schwierigkeiten, wo
braucht er noch Unterstützung. Das ist ja so die all-
tägliche Diagnostik, die man macht. Also das eine
vielleicht so diese professionelle Art und Weise, so mit
Test und schriftlich und von einem Experten durchge-
führt.– Also als Lehrer bin ich zwar auch Experte, aber
so halt diese Spontandiagnostik, sag ich mal.
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65
K4b: Formelle
diagnostische
Maßnahme
Der methodische Zugang ba-
siert auf rein formellen diag-
nostischen Maßnahmen
I_12, 00:35:45-5: Ja, zum Beispiel Tests, [Diagnostik] ist
alles, was direkt überprüft wird und was eben belast-
bare Ergebnisse erbringt, die dann im Idealfall dann
auch Schlüsse darüber zulassen, wie man weiter ver-
fahren sollte, schlicht und ergreifend.
Die diagnostische Maßnahme
ist formell und wird als standar-
disierte Verfahren von externer
Seite ausgeführt
I_5, 00:28:46-9: Für mich muss Diagnostik von der
Auswertung so ausgearbeitet sein, dass ich ja schnell
ein Ergebnis auch sehen kann, also eine Vergleichbar-
keit hab. Ich denk da jetzt grad zum Beispiel an den
Deutschunterricht. Bei der Hamburger Schreibprobe
da bekomm ich eine Auswertung als Balkendia-
gramm. Und traumhaft für mich als Lehrer ist natür-
lich, wenn das Ganze irgendwie automatisiert läuft.
Also der Schüler macht zum Beispiel online einen
Test.
Tab. 1: Kategoriensystem: Begrisverständnis der Lehrenden von Diagnostik
K5: Unterrichtliche Rahmenbedingungen als Bedingungen ezienter Diagnostik
Unterkategorie Beschreibung der Kategorie Ankerbeispiel
K5a: Zeit Bedingung ezienter Diagnos-
tik ist mehr Zeit im Geschichts-
unterricht (größerer Stunden-
umfang) bzw. mehr Zeit zur
Vor- und Nachbereitung des
Unterrichts
I_4, 01:05:41-6: genau, vielleicht ist das der Knack-
punkt, wenn ich die Diagnose mache, dann müsste
ich auch noch mehr Aufgaben in Geschichte gezielt
als Übungsaufgaben formulieren und das machen wir
nicht im Augenblick (…) auch weil uns ein Schuljahr
weggenommen wurde und wir gleichzeitig auf Kom-
petenzorientierung umstellen sollen und um das zu
erreichen, bräuchte man Diagnose und konkrete
Übung– aber wie soll das denn zeitlich funktionie-
ren?
K5b: Lerngrup-
pengröße
Bedingung ezienter Diagnos-
tik sind kleinere Lerngruppen
I_2, 00:33:06-3: Und es ist halt natürlich auch schwie-
rig mit 30 Leuten in so einer Sek I-Klasse, irgendwie
am Anfang superindividuell zu diagnostizieren. Also
wenn ich halt wirklich sage, ich möchte genau gu-
cken, was können die auf den verschiedenen Ebenen,
dann brauche ich Zeit und kleinere Klassen.
K5c: curriculare
Vorgaben
Bedingung ezienter Diagnos-
tik sind weniger enge curricula-
re Vorgaben (weniger starke
Stoorientierung)
I_4, 01:05:41-6: [Diagnostik und gezielte Förderung]
machen wir nicht im Augenblick. Weil wir auch sehr
stark– gerade jetzt angesichts dieses Bulimielernens-
mit dem Aufbau von Kenntnissen befasst sind und
weniger mit dem Üben von Strukturen. Und von da-
her wäre es sehr sinnvoll und sehr wünschenswert,
ein bisschen Raum zu schaen auch von den Vorga-
ben, die man bekommt.
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66 Simone Lankes
K6: Aspekte der diagnostischen Kompetenz der Lehrkraft als Bedingungen ezienter Diagnostik
Unterkategorie Beschreibung der Kategorie Ankerbeispiel
K6a: Methodi-
sche Kenntnisse
der Lehrkraft
Bedingung ezienter Diagnos-
tik sind methodische Kenntnis-
se (diagnostischer Tools) der
Lehrperson
I_5, 00:32:26-0: Meiner Meinung nach müsste dort [bei
einer LehrerInnenfortbildung zum Thema didaktische
Diagnostik] behandeln werden, welche diagnostischen
Instrumente es überhaupt für den Geschichtsunter-
richt gibt. Also erstmal verschiedene Dinge vorstellen.
K6b: Reexion
über eigenes
diagnostisches
Handeln
Bedingung ezienter Diagnos-
tik im Geschichtsunterricht ist
die Reexion über eigenes
Handeln und eigene Diagno-
sen.
I_11, 00:53:06-7: Ich glaube, dass wir im Schulalltag
selten darüber reektieren, was wir an Diagnostik ma-
chen. Ich glaube nicht, dass wir [Diagnostik] gar nicht
machen, aber uns ist das oft nicht so bewusst. (…) Ich
glaube, [der Vorteil davon, das gezielter zu machen,
wäre], dass ich mit meinem Unterricht mehr Schüle-
rinnen und Schüler erreichen würde.
K6c: Sensibilität
für verschiedene
Einussfaktoren
auf Diagnosen
(z. B. typische
Beurteilungs-
und Beobach-
tungsfehler)
Bedingung ezienter Diagnos-
tik ist eine Sensibilität für ver-
schiedene Einussfaktoren auf
Diagnosen wie Beurteilungs-
und Beobachtungsfehler
I_10, 00:35:41-0: Ja, vielleicht dass man tatsächlich
nochmal ein bisschen mehr geschärft wird und dass
man einen Blick dafür kriegt, was vielleicht auch Ein-
ussfaktoren auf die Ergebnisse der Diagnostik sind.
Dass eben nicht nur das, was da als Diagnose steht
gewertet wird, sondern auch wie ist das zustande ge-
kommen.
K6d: Regel-
mäßigkeit von
Diagnostik
Bedingung ezienter Diagnos-
tik ist eine Kontinuität diagnos-
tischer Maßnahmen
I_13, 00:35:43-6: Also ich nde halt wichtig, dass man
das sehr regelmäßig macht (…) also wenn ich zum
Beispiel diese Selbsteinschätzungsbögen mit denen
mache, mache ich das halt jede Stunde. Das ist schon
wichtig, weil also ich kann heute nicht mehr sagen,
was die vor zwei Wochen geleistet haben. Also das
muss man, entweder direkt nachhalten oder man
kann es vergessen. Also das meine ich mit regelmäßig.
K6e: Dokumen-
tation diagnos-
tischer Einsich-
ten
Bedingung ezienter Diagnos-
tik ist eine Dokumentation dia-
gnostischer Einsichten
I_13, 00:34:54-0: Ja weil, ich nde wenn man keine Di-
agnostik betreibt, dann ist das ja immer nur so eine
Gefühlssache. Dass du denkst: „Och ja, der hat da Ah-
nung von“ oder „Der kann das“ oder eben „Der kann
das nicht“, „Der checkt das nicht“. Aber wenn ich das
nachhalte und gucke und auch am besten natürlich
auch immer für mich visualisiere, zum Beispiel in ei-
nem Diagramm, dann sehe ich ja, sind da Lernfort-
schritte oder nicht. Und je nachdem muss ich halt
meinen Unterricht auch umstellen.
K6f: Lernförder-
liche Rückmel-
dungen für Ler-
nende /Einbe-
zug der Lernen-
den in den dia-
gnostischen
Prozess
Bedingung ezienter Diagnos-
tik ist, Lernenden Feedback zu
ihren Kompetenz- und Ent-
wicklungsständen zu geben
bzw. sie in den diagnostischen
Prozess miteinzubeziehen
(bspw. durch die Implementati-
on von Verfahren der Schüle-
rInnenselbsteinschätzung)
I_10, 00:26:13-3: Zum einen gibt das [Feedbackge-
spräch] eine Art von Transparenz, also der Schüler
weiß dann, wo er dran ist (…) und das gibt ja auch
eine Art von Selbstbestätigung und Selbstvertrauen
für den weiteren Arbeitsverlauf, wenn der Schüler
sieht, okay, ich selber stufe mich hier bei Stufe 3 ein
und der Lehrer sagt mir auch Stufe 3 und ich muss das
noch machen, dann bin ich bei Stufe 4.
Tab. 2: Kategoriensystem: Bedingungen ezienter Diagnostik aus Sicht der Lehrenden
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67
Entlang dieses Kategoriensystems werden im Folgenden drei Einzelfälle exem-
plarisch beschrieben (Kuckartz 2018, 111 117), um einen möglichst transpa-
renten Einblick in die zentralen Befunde zu den diagnostischen Überzeugungen
der Lehrenden zu geben sowie Ausprägungen einzelner Aspekte der individuel-
len Lehrendenüberzeugung besser veranschaulichen zu können. Diese drei Fäl-
le wurden zum einen aufgrund ihrer hohen Kontrastivität und zum anderen we-
gen ihrer Repräsentativität für die gesamte Stichprobe ausgewählt. Bei der
Darstellung der Ergebnisse werden neben Interviewbelegen auch Äußerungen
der Interviewpartner:innen im Wortlaut zitiert, um die Ausführungen zu ver-
deutlichen.
Fall 1: Diagnostik: theoretisch sinnvoll, aber nicht praxistauglich
Beim ersten Fallbeispiel handelt es sich um das Interviewtranskript einer weib-
lichen Lehrkraft, die 34 Jahre alt ist, neun Jahre Berufserfahrung hat und seit
sechs Jahren an einem ländlich geprägten Gymnasium die Fächer Sozialwissen-
schaft und Geschichte unterrichtet.
Hinsichtlich der methodischen Zugänge zeichnet sich die diagnostische
Überzeugung dieser Geschichtslehrerin dadurch aus, dass sie mit dem Begri
Diagnostik generell sowohl formelle als auch informelle diagnostische Verfahren
verbindet,10 wobei deren Nutzen nach Einschätzung der Probandin weniger von
methodischen Fragen, wie der Wahl eines formellen oder informellen diagnosti-
schen Instrumentariums, als vielmehr von der Kontinuität diagnostischer Ein-
sichten abhänge. So werden beispielsweise diagnostische Verfahren zur einmali-
gen Bestimmung der Lernstände als Lernvoraussetzungen zu Beginn eines
Lernprozesses als weniger nützlich erachtet, da aufgrund der Diversität innerhalb
einer Lerngruppe fraglich sei, ob man sich „innerhalb von einer Stunde ein kom-
plettes Bild von Schülerinnen und Schülern machen“ (I_2, 00:13:55-5) könne.
10
Im Gegensatz zu formellen, gezielt als Diagnoseanlass konzipierten und eingesetzten Ver-
fahren (z. B. Diagnoseaufgaben, Kompetenzraster etc.) sind mit dem Begri informeller
diagnostischer Verfahren subjektive, (kaum) methodisch reektierte und häug oberäch-
liche Diagnosen gemeint. Hierbei werden auf Grundlage aller Beobachtungen und Re-
exionen während der Durchführung von Unterrichtseinheiten (z. B. Beobachtung der
Lerner im Umgang mit Aufgaben/Materialen in selbsttätigen Lernprozessen oder Ree-
xion der mündlichen Beiträge) Rückschlüsse auf individuelle Stärken und Schwächen,
Leistungsfähigkeiten und (Förder-)Bedürfnisse gezogen werden. Rein informelle Diag-
nostik kann zu Urteilsungenauigkeiten führen. Erst durch den Einsatz formeller diagnos-
tischer Verfahren kann eine präzise Operationalisierung unter Einbezug einer Analyse der
Rahmenbedingungen und eine Verizierung der diagnostischen Aussagen gewährleistet
werden (Hesse/Latzko 2011, 58 59; Ingenkamp/Lissmann 2008, 54 57).
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68 Simone Lankes
Vielmehr wirkten sich diagnostische Maßnahmen lernförderlich aus, wenn die-
se im Sinne formativer Diagnostik auf kontinuierliche Einsichten zu den Lern-
prozessen ausgerichtet seien, „indem man diagnostische Instrumente regelmäßig
einsetzt. Also bestimmte Arbeitsblätter, die auf Diagnose abzielen oder Sachen
noch mehr einsammeln, Schüler gezielt drannehmen, einfach um zu versuchen,
Feedback zu bekommen.“ (I_2, 00:34:47-7)
Auf die Frage nach dem „Was“, also nach den Gegenständen geschichtsdi-
daktischer Diagnosen, führt die Lehrerin aus:
„Naja, Diagnostik heißt auf jeden Fall, Fähigkeiten und Fertigkeiten, also Kom-
petenzen von Schülerinnen und Schülern zu identizieren. Und im Geschichts-
unterricht gibt es da ganz viel zu diagnostizieren: zum Beispiel, auf welcher Kom-
petenzebene man denn was diagnostizieren möchte. […] Und es kommt eben da-
rauf an, was ich halt herausnden möchte. Welche der, ja wie gesagt, verschiede-
nen Kompetenzen, möchte ich herausnden– also Beurteilungskompetenz, Sach-
kompetenz, Methodenkompetenz, Handlungskompetenz. Also da würd ich es dann
nochmal spezizieren.“ (I_2, 00:32:08-0)
Diagnostisches Handeln im Geschichtsunterricht müsse sich an den im Kern-
lehrplan für das Fach Geschichte ausgewiesenen Kompetenzbereichen orientie-
ren. Mit diesem Verweis werden als Gegenstand der Diagnosen statt überfach-
licher Fertigkeiten der Lernenden deren historische Fähigkeiten angeführt,
wobei exemplarisch anhand dieser Interviewpassage fachspezische Bezüge der
diagnostischen Überzeugung zu identizieren sind (zu den Gegenständen ge-
schichtsdidaktischer Diagnostik Kühberger 2014, 16).
„Im besten Falle hole ich die Schüler ja da ab, wo sie sich benden. Und kann dann
meinen Unterricht dementsprechend darauf anpassen. Und wenn ich sage, ich lege
meinen Schwerpunkt auf nur eine Sache, dann unterfordert es die einen und über-
fordert vielleicht die anderen. Also es ist ja schon elementar zu gucken, was kann
derjenige tatsächlich, um dann da Unterricht entsprechend zu planen.“ (I_2,
00:32:44-3)
Mit diesen Worten beschreibt die Gymnasiallehrerin das aus ihrer Sicht theore-
tische Potenzial diagnostischen Handelns im Hinblick auf eine adaptive Unter-
richtsplanung. In einer ausführlichen Erläuterung hierzu zeigt sich zudem, dass
diese Einschätzung auf einer fundierten theoretischen Wissensbasis fußt. So
konstatiert sie beispielsweise in diesem Zusammenhang, dass es
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69
„wahrscheinlich ideal wäre, wenn die Schüler regelmäßig zum Beispiel eine Selbst-
einschätzung machen könnten: Wo steh ich gerade? Wo muss ich noch dran arbei-
ten? Zusammenhänge zwischen Quellen und historischen Darstellungen versteh
ich zum Beispiel irgendwie nicht so oft, deshalb sollte ich da irgendwie mehr für
machen.“ (I_2, 00:28:03-6).
Zum einen erwähnt sie an dieser Stelle erneut explizit die Notwendigkeit, regel-
mäßig diagnostische Einsichten zu generieren, um so Förder- und Unterrichts-
planung fortlaufend auf dieser Grundlage zu organisieren (zum Gütekriterium
der Kontinuität formativer Diagnostik bspw. Prengel 2016, 49). Zum anderen
wird der von ihr hier beschriebene „Idealzustand“ (I_2, 00:28:03-6) damit be-
gründet, dass „diese Reexion über das eigene Lernverhalten es dann ja auch [er-
leichtert], Lernprozesse in Gang zu setzen“ (I_2, 00:28:30-0). So verweist sie auf
eine auch in der (fach-)didaktischen Lehr-Lernforschung im Hinblick auf Dia-
gnostik häug formulierte erkenntnistheoretisch fundierte Forderung, Lernen-
de in diagnostische Prozesse mit einzubeziehen und ihnen damit Verantwortung
für ihren eigenen Lernprozess zu übertragen. In Bezug auf die eigenen diagnos-
tischen Tätigkeiten, wie beispielsweise die kontinuierliche Dokumentation ihrer
Einschätzungen zu den Lernständen der eigenen Schüler:innen (I_2, 00:11:54-2),
wird dann allerdings– sozusagen wider besseres Wissen– formuliert, dass dies
„tatsächlich zur Notenvergabe für die Schüler und nicht zur konkreten […] Ver-
besserung der Schülerleistung oder so“ (I_2, 00:14:40-1), also mit dem Ziel der
Leistungsbeurteilung und weniger zwecks individueller Förder- oder adaptiver
Unterrichtsplanung geschehe. Hierin zeigt sich exemplarisch eine für dieses In-
terview charakteristische Kluft zwischen einem als wünschenswert betrachteten
„Idealzustand“ diagnostischen Handelns, der zudem durch den Verweis auf e-
oriewissen begründet werden kann, und dem beschriebenen professionellen
Handeln im Bereich der Diagnostik. Dieser Umstand wird von der Lehrenden
explizit reektiert (I_2, 00:14:40-1) und mit den Rahmenbedingungen gymna-
sialen Geschichtsunterrichts begründet:
„Aber dafür muss halt Zeit da sein, das haben wir ja schon gesagt, um das Gan-
zezu machen. Und es ist halt natürlich auch schwierig, mit 30 Leuten in so einer
SekI-Klasse irgendwie superindividuell zu diagnostizieren am Anfang. Also
wenn ich halt wirklich sage, ich möchte genau gucken, was können die auf den ver-
schiedenen Ebenen, dann [sind die Bedingungen]: Zeit und kleinere Klassen.“
(I_2, 00:33:06-3)
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70 Simone Lankes
Auch wenn die Lehrende zuvor die Auswirkungen diagnostischen Handelns als
besonders lernwirksam beschreibt, wird hier deutlich, dass der aus ihrer Sicht
sehr hohe organisatorische und zeitliche Aufwand angesichts knapper Unter-
richtszeit und großer Klassenstärke für sie Hinderungsgründe darstellen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die diagnostische Überzeu-
gung, die sich auf Basis dieses ersten Interviewtranskriptes rekonstruieren lässt,
durch zwei zentrale Merkmale auszeichnet: Zum einen werden fachspezische
Bezüge hergestellt, zum anderen ist eine deutliche Diskrepanz zwischen theore-
tischen Ausführungen zu Potenzialen, Methoden, Gegenständen und Bedin-
gungen einerseits und Schilderungen der eigenen diagnostischen Praxis und den
damit einhergehenden erfahrungsbasierten Begründungen und Explikationen
andererseits erkennbar.
Fall 2: Diagnostik als punktuelles Unterstützungsangebot für Lehrende
inForm von extern durchgeführten standardisierten Testungen von
Lernständen
Der Proband des zweiten Fallbeispiels ist männlich, 34 Jahre alt und kann (in-
klusive Referendariat) auf acht Jahre Berufserfahrung zurückblicken. Er unter-
richtet die Fächer Geschichte und Deutsch an einer städtischen Gesamtschule,
die sich primär durch oene Lernformen (fächerübergreifende Projektphasen)
und eine stark heterogene Schüler:innenschaft– vor allem durch einen hohen
Anteil Lernender mit Förderbedarf, sogenannte Inklusionskinder– auszeichnet.
Diagnostik könne, so der in diesem Interview befragte Lehrende, dabei hel-
fen, im Unterricht „konkreter und zielgerichteter zu arbeiten“ (I_5, 00:28:37-6).
Verweist der Lehrende hier zunächst in Übereinstimmung mit der zuvor vorge-
stellten Probandin auf die besonderen Potenziale diagnostischen Handelns für
eine adaptive Unterrichtsgestaltung, zeigen sich bei der Gesamtschau dieses
Transkriptes klare Unterschiede zum ersten Interview. So zählt zwar nach An-
sicht dieses Probanden zu Diagnostik auch das, „was [er] als Lehrer jeden Tag
im Unterricht mach[e]. Also Schüler beobachten und ja, dadurch ja auch diag-
nostizieren, wo hat der Schüler noch Schwierigkeiten, wo braucht er noch Un-
terstützung“ (I_5, 00:25:56-1). Von dieser „Spontandiagnostik“ (ebd.) sei aller-
dings „so diese professionelle Art und Weise [des Diagnostizierens], so mit Test
am Anfang und schriftlich“ (I_5, 00:27:03-1) klar abzugrenzen. Mit Blick auf
diese Ausführungen fällt auf, dass seine Überzeugung zum ema Diagnostik
von einer dominanten Dierenzierung geprägt ist: So verbindet er mit dem Be-
gri formelle Diagnoseanlässe, die von externer Seite in Form standardisierter
Verfahren angeboten werden. Im Gegensatz hierzu stünden andererseits infor-
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71
melle, nicht zielgerichtet durchgeführte Maßnahmen wie beispielsweise die Be-
obachtung der Lernenden, die in unterrichtliche Kontexte eingebettet sind und
damit zu den alltäglichen Tätigkeiten einer Lehrperson zählten. Wenig verwun-
dern vor diesem Hintergrund dann auch die Ausführungen zu den Bedingungen
ezienter, also lernförderlicher Diagnostik:
„Für mich als Lehrer muss Diagnostik von der Auswertung so ausgearbeitet sein,
dass ich auch schnell ein Ergebnis sehen kann. […] Und im Optimalfall kann ich
dann direkt aus dieser Auswertung schließen, welches Material der Schüler be-
kommt. […] Und traumhaft für mich als Lehrer ist natürlich, wenn das Ganze
irgendwie automatisiert läuft. Also der Schüler zum Beispiel online einen Test
macht– da gibt es ja mittlerweile auch viele Verfahren– beantwortet dort Fra-
gen und so weiter. […] Damit das Ganze schneller geht und ich als Lehrer da auch
entlastet werde. Weil ich diese ganze diagnostische Auswertung halt im Alltag
kaum leisten kann“ (I_5, 00:30:00-2).
Entsprechend seinem Verständnis von Diagnostik, das sich primär auf standar-
disierte Testungen bezieht, werden hier konsequenterweise Gütekriterien diag-
nostischer Instrumentarien wie Ökonomie und Praxistauglichkeit (zu eher un-
terrichtspragmatischen Gütekriterien diagnostischen Handelns Adamski 2014,
152) thematisiert. Die Herausforderung für die Lehrkraft bestehe bei diesem
Begrisverständnis dann folgerichtig allein in der bloßen Kenntnis entsprechen-
der diagnostischer Tools (I_5, 00:11:26-0).
Diese formellen diagnostischen Maßnahmen zielten, so der Gesamtschul-
lehrer, auf das punktuelle und akkurate Erfassen des „Ist-Zustandes“ (I_5,
00:28:37-6) am Anfang des Lernprozesses zwecks Bestimmung der Lernvoraus-
setzungen (I_5, 00:27:03-1) einerseits ab und auf summative Diagnostik von
Lernergebnissen als Abschluss eines Lernprozesses andererseits (I-5, 00:27:53-5),
wobei er sich auf den KLP für das Fach Geschichte bezieht und hier konkret den
Bereich der Sachkompetenz als Gegenstand von Diagnosen betont:
„Also es gilt zu diagnostizieren, ob der Schüler den Gegenstand verstanden hat,
mit dem er sich auseinandergesetzt hat. Also hat er die Sachkompetenz erreicht?
Hat er noch Verständnislecks? Gibt es Dinge, die er unbedingt wissen sollte, um
sich irgendwie in der Gesellschaft zu orientieren?“ (I_5, 00:27:53-5)
Obwohl sich in dieser Konkretisierung der Diagnosegegenstände zwar noch ein
fachlicher Bezug zeigt, ist der diagnostischen Überzeugung dieses Probanden
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72 Simone Lankes
generell eine starke Fokussierung auf fachunspezische Aspekte zu attestieren.
So antwortet er beispielsweise auf die Bitte, die Fertigkeiten der eigenen Lernen-
den im Bereich der historischen Methodenkompetenz zu beschreiben, aus-
schließlich mit der Nennung überfachlicher Kriterien, wie zum Beispiel Kon-
zentrationsfähigkeit, Fertigkeiten zur Selbstorganisation oder Arbeitsverhalten
der Schüler:innen (I_5, 00:09:03-4). Und auch als Antwort auf die Frage nach
für den Geschichtsunterricht relevanten Fähigkeiten der Lernenden werden
ausschließlich fachunspezische Fertigkeiten im Umgang mit Texten aufgelis-
tet:
„Das Wichtigste ist wahrscheinlich, dass die Schüler so eine Texterschließungskom-
petenz haben. Also, dass sie, wenn sie einen Text bekommen, der für sie unbekannt
ist, den Schritt für Schritt lesen und dann so nach und nach erschließen können.
Also wenn da Fremdwörter drin vorkommen, diese erstmal als solche zu erkennen,
zu markieren vielleicht das Fremdwort mit einem Wörterbuch oder mit dem In-
ternet zu erschließen, um so nach und nach diesen Text für sich verständlich zu
machen.“ (I_5,00:07:59-5)
Resümierend lässt sich festhalten, dass sich hier gerade hinsichtlich der Merk-
male Methode und Gegenstand nicht nur Unterschiede zu Interview eins, son-
dern auch deutliche Abweichungen zu den normativen Postulaten zeigen, die so-
wohl in der (fach-)didaktischen Lehr-Lernforschung als auch in administrativen
Vorgaben formuliert werden. Die diagnostische Überzeugung dieses Probanden
ist maßgeblich von zwei Aspekten geprägt: Zum einen zeichnet sie sich durch
eine konsequente Fokussierung auf fachunspezische Fähigkeiten der Lernen-
den aus, zum anderen dadurch, dass hier gezieltes diagnostisches Handeln expli-
zit nicht als Teil (der eigenen) alltäglichen Lehrer:innenarbeit aufgefasst wird.
Vielmehr begreift der Proband Diagnostik als punktuelles Unterstützungsange-
bot für Lehrende in Form von extern durchgeführten standardisierten Testun-
gen der Lernstände der Schüler:innen, was in dem Wunsch nach „Automatisie-
rung von Diagnostik“ (I_5, 00:30:00-2) pointiert zum Ausdruck kommt.
Fall 3: Kontinuierliche Diagnostik von Lernprozessen und
Lernvoraussetzungen und konsequente Individualisierung als
„alltägliches Handwerkszeug“ von Lehrenden
Das dritte Fallbeispiel beschreibt die Überzeugung einer Lehrerin (49), die die
Fächer Deutsch und Geschichte studiert hat und 18 Jahre Berufserfahrung an
einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen sammeln konnte.
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„Ich nde, wenn man keine Diagnostik betreibt, dann ist das ja immer nur so eine
Gefühlssache. Dass du denkst: „Och ja, der hat da Ahnung von“ oder „der kann das“
oder eben „der kann das nicht“, „der checkt das nicht“. Aber wenn ich das nachhal-
te und gucke, dann sehe ich ja, ob da Lernfortschritte sind oder nicht. Und je nach-
dem muss ich halt meinen Unterricht auch umstellen.“ (I_13, 00:34:27-5)
Exemplarisch verdeutlicht dieses Zitat die Ziele, die die Lehrende mit diagnos-
tischem Handeln verbindet. So dient auch nach Ansicht dieser Befragten Diag-
nostik dazu, Unterricht und individuelle Förderung konsequent so passgenau
planen und gestalten zu können, dass nachweislich Lernfortschritte bei den ein-
zelnen Lernenden zu verzeichnen sind (I_13, 00:29:06-9).
Begründet wird die unbedingte Notwendigkeit zur passgenauen Förderung
und adaptiven Unterrichtsplanung mit dem eigenen unterrichtspraktischen Er-
fahrungshorizont als Geschichtslehrerin an einer Förderschule:
„Also ich muss die [Schülerinnen und Schüler] ja auch echt bedienen, damit alles
andere auch läuft. Also wenn ich hier jemanden überfordere, dann ippt der aus.
Oder wenn ich jemanden unterfordere, dann ippt der eben auch aus. Und wenn
ich das verhindern möchte, dann muss ich die schon entsprechend füttern.“ (I_13,
00:38:41-9)
Der in diesem Fallbeispiel beschriebene methodische Zugang, um dieses Ziel
der Passung von Lernenden und Lehr-Lernangeboten zu erreichen, basiert auf
einer Mischung aus formellen und informellen Verfahren. Zum einen, so die
Förderschullehrerin, seien individuelle Lernprozesse und Lernfortschritte über
informelle Maßnahmen, beispielsweise „über solche Klassengespräche, [in de-
nen] natürlich deutlich [werde], was die schon können, wo man da ansetzen
kann oder muss“ (I_13, 00:07:12-4) stetig zu beobachten und zu diagnostizie-
ren. Um allerdings zu vermeiden, dass „Diagnostik immer nur so eine Gefühls-
sache ist“ (00:34:27-5), wird zum anderen auf die Notwendigkeit einer ergän-
zenden formellen Diagnostik explizit hingewiesen. Beispielhaft werden hier
schriftliche Tests (I_13, 00:16:00-8) oder Instrumentarien zur Eingangsdiagnos-
tik angeführt, damit „klar [werde], was die [Schülerinnen und Schüler] wissen,
ob die überhaupt eine Vorstellung von Zeit haben. Haben die eine Vorstellung
oder ein Vorwissen von Dingen, die so passiert sind? Haben die verschiedene Sa-
chen schon einmal gehört? Ägypter oder etwas, was immer ganz interessant ist:
Jahr null, Jesu Geburt, die Frage, ob es Jesus gegeben hat“ (I_13, 00:07:01-7). Ist
hiermit zwar das Potenzial diagnostischer Verfahren für die summative Kontrol-
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74 Simone Lankes
le von Lernergebnissen und die Bestimmung von Lernständen als Lernvoraus-
setzung hervorgehoben, so wird die große Bedeutung formeller Diagnostik doch
auch mit der Möglichkeit begründet, individuelle Lernprozesse kontinuierlich
und gezielt evaluieren zu können (I_13, 00:27:19-3):
„Das nde ich schon sehr wichtig, dass man Kompetenzraster anfertigt. Die Schü-
ler benden sich einfach auf verschiedenen Stufen und ich kann ja von einem sehr
schwachen Schüler nicht Stufe vier erwarten. […] Und es sollte ja auch jeder Schü-
ler mindestens irgendwas gelernt haben. Und ich versuche die Aufgaben so zu ge-
stalten, dass in den Erarbeitungsphasen auch jeder damit zurechtkommt und je-
der mit einem Lernzuwachs da rauskommt. Insofern muss ich mir halt schon gut
überlegen, wie stelle ich eine Aufgabe, damit eben der sehr schwache Schüler da et
-
was draus zieht, und wie kann ich aber einen tten Schüler damit auch ein biss-
chen mehr fordern.“ (I_13, 00:29:06-9)
Hinsichtlich der Kategorie Gegenstände von Diagnosen zeigen die hier ange-
führten Passagen darüber hinaus, dass die diagnostische Überzeugung dieser Ge-
schichtslehrkraft von fachspezischen Bezügen geprägt ist. Werden hier doch so-
wohl dezidiert historische Wissensbestände (I_13, 00:07:01-7; I_13, 00:33:12-7)
und das schüler:innenseitige Interesse an historische emen (I_13, 00:33:12-7)
als auch fachlich relevante Schüler:innenvorstellungen, wie der Zeitbegri der
Lernenden oder Vorstellungen von Realität und Fiktionalität (I_13, 00:07:01-7;
I_13, 00:00:44-2), als zu diagnostiziere Gegenstände im Fach Geschichte be-
nannt (zur Bedeutung historischer Schüler:innenvorstellungen z. B. Günther-
Arndt 2006; Kühberger 2016, 141; Lange 2016, 132 133).
Vor dem Hintergrund der hier ausgeführten Vorstellungen zu diagnosti-
schen Zielen, Methoden und Gegenständen erscheinen dann auch die Schilde-
rungen der Probandin zu den Bedingungen ezienter Diagnostik passend. Zen-
tral sei nämlich neben der Ergänzung der informellen durch formelle Verfahren,
die Lernenden in den diagnostischen Prozess einzubeziehen, indem diese regel-
mäßig lernförderliche Rückmeldungen erhalten (I_13, 00:35:43-6). Darüber hi-
naus wird die Bedeutung der Kontinuität von Evaluation sowie regelmäßiger
Dokumentation diagnostischer Einsichten zur Vermeidung typischer Beurtei-
lungsfehler betont, wie folgende Passage exemplarisch verdeutlicht:
„Also ich nde halt wichtig, wie gesagt, dass man das [Dokumentieren] sehr regel-
mäßig macht[…] Das ist schon wichtig, (4) weil ich heute nicht mehr sagen kann,
was die vor zwei Wochen geleistet oder gelernt haben. Also das muss man entwe-
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