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autor*innen
Tom Duscher
Susanne Landis
Wissenschafts-
kommunikation
neu entdecken!
Lange vor der Schrift nutzten die Menschen Bilder, um
sich auszudrücken und über besondere Gegebenheiten
zu kommunizieren. Alte Höhlenmalereien dienten nicht
nur als Nachricht für folgende Generationen, sie berüh-
ren uns noch immer und helfen, vergangene Kulturen
zu verstehen und geschichtlich einzuordnen. Auch heute
drücken wir uns oft schneller und präziser durch die
Nutzung visueller Hilfsmittel aus. In der Wissenschaft
werden Daten durch ihre Verbildlichung zu Resultaten.
Denn Daten alleine sind noch keine Information. Viele
Wissenschaftler sehen in ihren Zahlenreihen, Simulatio-
nen und abgeleiteten Formeln tatsächlich etwas Schö-
nes, Elegantes. Für sie entsteht ein imaginäres Bild, das
nicht weiter auszuformulieren ist und durch die grafi-
schen Darstellungsmöglichkeiten der Simulations- oder
Spreadsheet-Software hinreichend illustriert wird. Diese
wissenschaftlichen Visualisierungen sind für Außenste-
hende meist unverständlich oder hoch komplex und die-
nen in der Wissenschaftswelt nur dem interdisziplinären
Austausch.
Was zeichnet eine gute visuelle Kommunikation aus?
In den Gestaltungsdisziplinen beschäftigt sich vor allem
das Kommunikationsdesign mit der Vermittlung visuel-
ler Botschaften. Also eine visuelle Gestaltung, die einer
bestimmten Absicht oder Strategie folgend angefertigt
wurde. Ein Vorläufer des Kommunikationsdesigns war
die Ausbildung zum Grafik-Designer mit einem eindeu-
tig visuell-gestalterischen Schwerpunkt. Aber durch die
Vielzahl der Medien und Medienkanäle der heutigen Zeit
finden sich in der Lehre des Kommunikationsdesigns im-
mer mehr Aspekte der Kommunikationswissenschaften,
des betriebswirtschaftlichen Marketings, der Soziologie
und natürlich auch der Wahrnehmungspsychologie. Die
Herausforderung für die visuelle Wissenschaftskommu-
nikation besteht darin, mittels avancierter Medien und
Datenvisualisierungen ein authentisches Bild aktueller
Forschung zu vermitteln.
Interaktion als kommunikatives Hilfsmittel
Neue digitale und vernetzte Medien verstärken durch
Animation und Interaktion sowohl die emotionale als
auch die rationale Wahrnehmung. Über animierte Se-
quenzen aufgebaute zeitliche Verläufe oder geografische
Ausbreitungen verringern die Komplexität einzelner
Darstellungen. Der Faktor Zeit kann schrittweise eine
Entwicklung dynamisch aufzeigen. Veränderungen
ermöglichen dadurch einen deutlicheren Vergleich. In-
teraktive Visualisierungen wiederum beziehen den Be-
nutzer mit ein und aktivieren das eigene Handeln. Über
verschiedene Filtermöglichkeiten, wie z. B. zeitliche oder
örtliche Beschränkungen oder durch die Vergrößerung
(zoomen) bestimmter Ausschnitte, lässt sich eine komple-
xe Darstellung selbst untersuchen. Aus einer Übersicht
kann in eine Detailansicht gewechselt werden. Durch
diese aktive Untersuchung einer interaktiven Grafik neh-
men Betrachtende sowohl auf emotionaler als auch ratio-
naler Ebene stärker an der Darstellung teil. Interaktivität
ist eine ideale Methode, um unterschiedliche Blickwinkel
zu ermöglichen. Dem Nutzer interaktiver Visualisierun-
gen erschließen sich je nach Interesse unterschiedliche
Wege, um eine Information zu erhalten.
Welche Vorteile bieten interaktive Medien bzw. neue
Technologien?
Neue Visualisierungs- und Kommunikationsstrategien in
der Wissenschaft sind heute mehr denn je und dringend
gefragt. Zum einen, um der interessierten Öffentlichkeit
ein klares, faktisch richtiges und nachvollziehbares Bild
der Forschung zu zeigen. Zum anderen, um dem eige-
nen Forschungsinstitut ein einzigartiges und innovati-
ves Bild zu verleihen, von dem Imagetransfer der neuen
Technologien zu profitieren und auch Exzellenz in der
Kommunikation zu demonstrieren. Dazu braucht es eine
transdisziplinäre Zusammenarbeit aus Experten – so-
wohl in der Forschung, als auch in der Visualisierung.
Perspektive Didaktik/Pädagogik
Eine weitere Zukunftsperspektive der visuellen Wis-
senschaftskommunikation liegt in den Digitalisie-
rungs-Prozessen der Bildung, die aktuell in allen
Gesellschaftsschichten zur Diskussion stehen. Neben der
technischen Ausstattung sind hier vor allem gute, nach-
vollziehbare mediale Inhalte nötig und die Fragestellung:
Wie lassen sich die digitalen Medien in den Unterricht
integrieren, um den Nachwuchs für wissenschaftliche
Themen zu begeistern? Hier liegt noch gewaltiges Poten-
zial in einer besseren, nachvollziehbaren Darstellung.
Werden gegenwärtig frei verfügbare und unterschied-
lichste Medien aus dem Internet mit ungewissem Fak-
tengehalt genutzt, wäre es sehr wünschenswert, wenn
wissenschaftliche Institute auf ein eigenes Repertoire
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|Archäologische Nachrichten 2020 | Archäologie und Öffentlichkeit | Wissenschaftskommunikation neu entdecken!
|Archäologische Nachrichten 2020 | Archäologie und Öffentlichkeit | Wissenschaftskommunikation neu entdecken!
an Medienformaten zurückgreifen könnten, um den
wissenschaftlichen Nachwuchs auszubilden – Studieren-
de wie auch post-graduierte Wissenschaftler*innen. Die
Faszination der Forschung attraktiv, nachvollziehbar und
motivierend visuell darzustellen und den Inhalt interak-
tiv ansprechend aufzubereiten, ließe dem Nachwuchs-
mangel entgegenwirken.
Die visuelle Kommunikationsstrategie des Archäologi-
schen Landesamtes Schleswig-Holstein (ALSH)
Fallbeispiel 1: Megalith Time Travel
Es herrscht die letzte Eiszeit, der Wind pfeift und in der
Ferne schiebt sich ein Gletscher schwer über die Land-
schaft. So gelangten die Steine nach Schleswig-Holstein,
die, viel später, in der Megalithkultur als Grabstei-
ne Verwendung fanden. Megalith Time Travel ist ein
interaktives Poster, welches mithilfe brillanter Bilder
zwei Narrative über eine lange Zeitspanne miteinan-
der verknüpft: den Lebenslauf der Megalithsteine und
die Rolle des Menschen. So erhält im musealen Umfeld
das Publikum Zugang zur Geologie, Herkunft, Bau und
Markierung von und durch Megalithen, wobei gleich-
zeitig, um eine Identifikation zu ermöglichen, auch das
Leben der Menschen in den unterschiedlichen Epochen
abgebildet wird. Wie nutzten die Menschen diese Steine,
welchen Aufwand bedeutete es, ein Megalithgrab zu
bauen und warum entstand das Ganze überhaupt? Diese
Fragen beantwortet in aufeinander folgenden Szenen der
Faktor Zeit. Dabei erfahren die Besuchenden auch, wie
sich die Landschaft seit der Steinzeit bis heute wandelte;
aus einer dichten Bewaldung reisen sie in die heute sehr
landwirtschaftlich geprägte und stark besiedelte, wald-
arme Zeit.
Beispielsweise geschieht hier die
Entwicklung des Narrativs an-
hand des Megalithen »Brutkamp«
in Albersdorf (Kr. Dithmarschen),
der für Besuchende leicht zugäng-
lich ist. Der mächtige Deckstein
des Brutkamps dient dabei als die
Epochen begleitender Anker und
wiederkehrendes Charakteristi-
kum.
Technologisch basiert die An-
wendung teilsweise auf mit
Fotogrammmetrie erzeugten
360°-Panoramabildern. Auf ei-
nem großen Multitouch-Monitor
im Landscape Format bewegen
sich die »Zeitreisenden« mit
Swipe-Gesten auf einer festen
y-Achse nach links und rechts durch die Szenerie und
machen sich mit der Gegend vertraut. Um die immersive
Wirkung zu verstärken, untermalen jede Szene passen-
de Hintergrundgeräusche, wie das Rauschen des Windes
oder das Prasseln eines Feuers. Jede der Epochen führt
eine Frage ein, wie etwa »Glaubten die Menschen an ein
Leben nach dem Tod?« oder »Wieso wurden die Megalith-
gräber zerstört?«. Diese Fragen sollen die Benutzer*innen
dazu animieren, die Lösungen in den Beschreibungen der
Szenerie zu suchen. Alternativ lässt sich eine Audiospur
anwählen, in der eine professionelle Sprecherin in einer
knappen Erzählung die Umstände der jeweiligen Epoche
schildert und die aufgeworfene Frage klärt. Die Verweil-
dauer mit diesem Exponat ist insgesamt auf eine halbe
Stunde ausgelegt.
Dieses Projekt erschafft Impressionen aus 11 Epochen,
die im Gedächtnis bleiben sollen. Dabei wird auch die
archäologische Forschung immer wieder thematisiert,
sodass die Besuchenden auch Einblicke in den For-
schungsalltag und Forschungsmethoden der Archäo-
log*innen gewinnen.
Das Beispiel zeigt: Wenn es um die Sichtbarmachung des
eigentlich Unsichtbaren geht, kommt exzellentes Design
und Visualisierung am besten zum Tragen. Denn in der
visuell geprägten Gesellschaft ersetzt das Bild oft das
[ 1 ] Seit 2016 layoutet das Science Communi-
cation Lab in enger Zusammenarbeit mit dem
ALSH die Archäologischen Nachrichten Schles-
wig-Holstein.
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Wort. Und die Qualität der Bilder schätzt mittlerweile
selbst (oder gerade) die junge Generation sehr schnell
ein: Stellt es ein professionell erzeugtes und glaubwürdi-
ges Bild dar oder produzierte hier jemand selbst etwas?
Für eine authentische Forschung ist es deshalb eminent
wichtig, den eigenen Qualitätsanspruch auch in der visu-
ellen Kommunikation zum Ausdruck zu bringen.
Fallbeispiel 2: Die Archäologischen Nachrichten aus Schles-
wig-Holstein
Seit 2016 layoutet und gestaltet das Science Communi-
cation Lab in enger Zusammenarbeit mit dem ALSH die
Archäologischen Nachrichten aus Schleswig-Holstein.
Dabei wird auf eine klare Struktur geachtet, die die
Lesbarkeit der hochklassigen publizierten Forschung
verständlicher unterstützt. Die teilweise neu produzierte
einheitliche visuelle Sprache der Karten und Abbildun-
gen schaff t eine homogene Zeitschrift, die deutschland-
weit, aber auch in den europäischen Nachbarländern zu
einem wichtigen Spiegel der aktuellen archäologischen
Forschung avancierte.
Fallbeispiel 3: Eintragung von Haithabu und Danewerk zum
Weltkulturerbe
Einen der großen Erfolge des ALSH, die Eintragung
Haithabus und des Danewerks als UNESCO-Weltkul-
turerbe, unterstützte das Science Communication Lab
gestalterisch. Besonders hervorzuheben ist dabei die
15 m lange und 2,5 m hohe Ausstellungswand, auf deren
Wänden Themen zum Welterbe an sich und der Forschung
daran dargestellt sind. Dabei projizieren Beamer zusätz-
lich animierte Informationen (z. B. die deutsch-dänische
Grenzverschiebung) auf die Wand. Diese Mixed-Media-
Installation erlaubt es, Forschungsschwerpunkte, Funde,
aber auch Informationen zum damaligen Leben den
[ 2, 3 ] »Megalith Time Travel«: Interaktives Exponat.
Ausschnitte aus unterschiedlichen Zeit epochen
zum Lebenslauf der Megalith-Steine und der Rolle
des Menschen.
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|Archäologische Nachrichten 2020 | Archäologie und Öff entlichkeit | Wissenschaftskommunikation neu entdecken!
|Archäologische Nachrichten 2020 | Archäologie und Öffentlichkeit | Wissenschaftskommunikation neu entdecken!
Das Science Communication Lab ist eine Ausgründung der Muthesius Kunsthochschule in Kiel. Es ist speziali-
siert auf neue, interaktive Kommunikationsformen für die Wissenschaft und wissenschaftsnahe Märkte mit
komplexen, erklärungsintensiven Themen. Dazu entwickelt es interaktive Exponate für Konferenzen, Museen
und Ausstellungen, erstellt Datenvisualisierungen und hochwertiges Informationsdesign. Im Vergleich zu
herkömmlichen Mediendienstleistern besteht das interdisziplinäre Team aus Spezialist*innen aus den Gebie-
ten Design, Wissenschaft und Programmierung, die gemeinsam eine wissenschaftlich präzise Lösung entwi-
ckeln und diese mit hoher Gestaltungs- und Visualisierungskompetenz verbinden. Idee des »Labs« ist es, von
Institutionen als eigene Abteilung für Spezialaufgaben in der Wissenschaftskommunikation hinzugebucht
zu werden und über einen Zeitraum eines halben Jahres und länger eine maßgeschneiderte Lösung für das
Institut zu entwickeln – immer in enger Abstimmung mit den Wissenschaftler*innen.
[ 4 ] Mixed-Media Installation zur Ein-
tragung von Haithabu und Danewerk als
UNESCO-Welt kulturerbe zeigt Themen
zum damaligen Leben, Forschungsschwer-
punkten und Funden.
Besucher*innen durch die visuell durchdachte Struk-
tur zu erschließen. Animationen und bewegte Grafiken
ergänzen so statische gedruckte Texte und Bilder und es
entsteht ein belebter, multimedialer Eindruck. Aktuell
ergänzt die Wand die Ausstellung im Danevirke Museum.
Ihre Konzeption erlaubt es, dass sie auch transportiert
und zu besonderen Anlässen präsentiert werden kann.
literatur
H.-J. Gehrke und M. Sénécheau, Geschichte, Archäologie,
Öffentlichkeit: Für einen neuen Dialog zwischen Wissen-
schaft und Medien. Standpunkte aus Forschung und Praxis
(Bielefeld 2010).
J. Drucker, Graphesis: Visual Forms of Knowledge Production
(Cambridge 2014).
J. Hagy, Visualization: Indexed. In: J. Steele and N. Iliinsky
(Hrsg.), Beautiful Visualisation. Looking at Data through the
Eyes of Experts (Theory in Practice) (Sepastopol 2010) 353–367.
M. Hassenzahl, User Experience (UX): Towards an Experien-
tial Perspective on Product Quality. In: É. Brangier, G. Michel,
J. M. C. Bastien, N.Carbonell (Hrsg.) Proceedings of the 20th
Conference on l’Interaction Homme-Machine. Association for
Computing Machinery (New York 2008) 11–15.
https://dl.acm.org/doi/10.1145/1512714.1512717
S. H. Landis und T. Duscher, Visual Science Communication:
The next Generation Scientific Poster. Frontiers in Communi-
cation. Section Science and Environmental Communication
2020 (in Vorber.).
H. Rosling, O. Rosling und A. Rosling Rönnlund, Factfulness:
Ten Reasons We’re Wrong about the World - and Why Things
Are Better than You Think (New York 2018).
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