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Warum wird rechtsextremer Terror immer wieder unterschätzt? Empirische und theoretische Defizite statischer Perspektiven

Authors:
  • Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft, Jena

Abstract

Warum wird die Gefahr des Rechtsterrorismus in Deutschland immer wieder unterschätzt? Der Artikel problematisiert statische Verständnisse von Terrorismus und von Extremismus als wesentliche Ursachen dieses Defizits in Behörden, Gesellschaft und Wissenschaft und plädiert stattdessen empirisch und theoretisch begründet für dynamische Zugänge.
„EIN DYNAMISCHER
EXTREMISMUSBEGRIFF
GEHT VOM IDEAL EINER
PLURALISTISCHEN UND
LIBERALEN DEMOKRATIE AUS.
ALS EXTREMISTISCH HÄTTEN
DEMNACH PERSONEN,
BEWEGUNGEN ODER PARTEIEN
ZU GELTEN, DIE DEN
VORRANG DES INDIVIDUUMS
IM DEMOKRATISCHEN
PLURALISMUS ABLEHNEN,
EINER KOLLEKTIVEN
HOMOGENITÄTSVORSTELLUNG
DAS WORT REDEN UND DIE
UNGLEICHHEIT DER MENSCHEN
BEHAUPTEN.“
SAMUEL SALZBORN & MATTHIAS QUENT
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Warum wird rechtsextremer Terror immer wieder unterschätzt?
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Warum wird rechtsextremer
Terror immer wieder
unterschätzt?
Empirische und theoretische Dezite
statischer Perspektiven
Warum wird die Gefahr des Rechtsterrorismus in Deutschland immer wieder unterschätzt?
Der Artikel problematisiert statische Verständnisse von Terrorismus und von Extremismus
als wesentliche Ursachen dieses Defizits in Behörden, Gesellscha und Wissenscha und
plädiert stattdessen empirisch und theoretisch begründet für dynamische Zugänge.
Das defizitäre statische Terrorismusverständnis
Am 2. Juni 2019 wurde der hessische Regierungspräsident Walter Lübcke (CDU) in seinem Haus
ermordet. Die Spur des dringend Tatverdächtigen Stephan E. und seines Umfeldes reichen in das
subkulturelle Milieu des militanten Neonazismus im verbotenen – aber weiter aktiven – Blood-
and-Honour-Netzwerk und dessen besonders terrorainen Arm Combat 18. Nach dem Mord an
Lübcke twitterte Bundeswirtschasminister Peter Altmaier: „Das haben wir seit den NSU-Morden
nicht mehr für möglich gehalten.“ Dabei warnte selbst das Bundeskriminalamt in den letzten Jah-
ren vor dem rechtsterroristischen Gefahrenpotenzial. Und seit dem öentlichen Bekanntwerden
des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) 2011 haben sich Ermittlungen wegen rechtsextre-
men und rechtsterroristischen Gewalttaten und Anschlagsplänen in Deutschland massiv gehäu:
Beispielha dafür stehen die Oldschool Society, die Bürgerwehr Freital, der Angri auf Henriette
Reker, der Pegida-Bombenbauer Nino K., der Nagelbombenanschlag in Hamburg-Veddel, der Bun-
deswehrsoldat Franco Albrecht und das OEZ-Attentat in München im Juni 2016 mit 9 Todesopfern
(Quent 2017, 2019b). Auch die Anschläge auf zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch
mit 51 Todesopfern (März 2019), auf die Synagoge im amerikanischen Pittsburg mit 11 Todesopfern
(Oktober 2018) sowie in El Paso mit 22 Todesopfern (August 2019) müssen im Kontext eines inter-
national ideologisch und über das Internet vernetzten Rechtsterrorismus verstanden werden, der
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Samuel Salzborn & Matthias Quent
sich zunehmend aus politischen Konzepten speist,
die von der sogenannten Neuen Rechten verbreitet
werden und die über die AfD bis in die deutschen
Parlamente reichen: Zu nennen sind hier die Ver-
schwörungslegende vom „großen Austausch“ bzw.
„Bevölkerungsaustausch“ durch Migration sowie
das angebliche Ziel einer konstruierten jüdischen
Weltverschwörung, die qualitative und quantitative
Substanz der Völker zu verringern, um sie besser
ausbeuten und unterdrücken zu können. Antisemitismus ist ein zentrales Bindeelement rechtsra-
dikaler Ideologien, ohne dass er unmittelbar Juden benennen muss. Stattdessen werden Chiren
wie „neoliberalistische Multikultikräe“, die „Freunde des Volkstods“ seien (so Björn Höcke in sei-
nem 2018 erschienenen Buch), oder „Kulturmarxismus“ (u. a. durch die Rechtsterroristen Anders
Breivik und Branton Tarrant) als Äquivalent zum nationalsozialistischen Wahn des „jüdischen Kul-
turbolschewismus“ benannt und mit denselben destruktiven und übermächtigen Eigenschaen
beschrieben wie die Juden im Vernichtungsantisemitismus der Nationalsozialisten (Quent 2019a).
Im Kontext dieser Ideologisierung muss der antisemitische Terroranschlag in Halle als folgerichtig
im Sinne des „Extremismus des Ärgsten“ (Arendt 2006: 978) verortet werden. Am 9. Oktober 2019,
dem höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, beging ein Rechtsextremist aus Sachsen-Anhalt
einen Anschlag auf die volle Synagoge in Halle, um dort möglichst viele Jüdinnen und Juden
umzubringen. Ausweislich seines Manifestes und seines Tatvideos sah er in Juden die Wurzel allen
angeblichen Übels in der Welt. Nur aus Glück, aufgrund der Ungeduld des Täters und wegen der
stabilen Synagogentüren, konnte der Attentäter seinen Plan nicht realisieren. Stattdessen ermorde-
te er vor der Synagoge eine Passantin und in einem gezielt ausgewählten Döner-Restaurant einen
jungen Bauarbeiter. Weitere Personen wurden zum Teil schwer verletzt und traumatisiert. Nach
dem Anschlag wurden jüdische Stimmen laut, die aufgrund des Antisemitismus in Deutschland
daran denken, das Land zu verlassen (vgl. u. a. MDR Sachsen-Anhalt 2019). Auch der Attentäter
von Halle hatte sich in rechtsradikalen Onlinegruppen vernetzt und radikalisiert. Doch zumindest
teilweise hat er seine antisemitische Ideologie auch aus seinem Elternhaus übernommen. In einem
Interview mit Spiegel-TV sagte die Mutter des Rechtsterroristen: „Er hat nix gegen Juden in dem
Sinne. Er hat was gegen die Leute, die hinter der nanziellen Macht stehen. Wer hat das nicht?“
Oenbar ohne es intellektuell erfassen zu können, liefert die Mutter des Attentäters damit ein pro-
totypisches Beispiel für die Artikulation des modernen Antisemitismus, wie er sich nicht nur im
Rechtsextremismus wiederndet, sondern auch in der politischen Linken, in der gesellschalichen
‚Mitte‘ und in islamischen Ausprägungen des Antisemitismus (vgl. Salzborn 2018).
CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte nach dem Anschlag in Halle, dies sei
ein „Alarmzeichen“ gewesen. In den Medien wurde sie massiv dafür kritisiert: Immerhin gab es in
der Bundesrepublik nach Zählungen der Amadeu Antonio Stiung seit 1990 bis November 2019
mindestens 198 Todesopfer rechter Gewalt und der Ausdruck „Alarmzeichen“ sei ein viel zu schwa-
cher Begri, der vor allem zeige, dass die Gefahr durch den rechten Terrorismus in Deutschland
noch immer von Demokrat*innen nicht ernst genug genommen wurde.
Rechtsterrorismus speist sich
zunehmend aus politischen
Konzepten, die von der sogenannten
Neuen Rechten verbreitet werden
und über die AfD bis in die deutschen
Parlamente reichen.
Warum wird rechtsextremer Terror immer wieder unterschätzt?
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Von dem in Thüringen entstandenen, bundesweit mordenden und in der gesamten Bundesrepublik
nicht erkannten NSU-Terrorismus bis zu dem jüngsten Anschlag in Halle stellt sich die Frage: Warum
wird der Rechtsterrorismus nicht als die Gefahr wahrgenommen, die er tatsächlich darstellt?
Ein Teil der Antwort ist das dezitäre statische Terrorismusverständnis hierzulande mit der Folge, dass
sich die Bundesrepublik vom vigilantistischen Rechtsterrorismus (Quent 2019b) lange nicht als an-
gegrien wahrgenommen hat: Von Extremismus und Terrorismus wird erst dann gesprochen, wenn
der Staat oder seine Repräsentanten direkt attackiert werden, so der komplexitätsreduzierende und
unempirische Rückschluss aus den Erfahrungen im Kalten Krieg und dem Deutschen Herbst sowie
der damit einhergehenden Verharmlosung des Rechtsextremismus. Selbst tödliche Angrie auf
ethnische, religiöse, sexuelle und soziale Minderheiten, auf Linke und Angehörige nichtrechter Sub-
kulturen, die der subjektiven Tatrationalität der Verteidigung einer homogenen völkischen Zusam-
mensetzung der Bevölkerung dienen, wurden und werden häug nicht als im Kern antipluralistische
und somit demokratie- und verfassungsfeindliche Aggressionen wahrgenommen und verortet. Das
staatszentrierte Extremismus- und Terrorismusverständnis führt systematisch zur Bagatellisierung
des Rechtsextremismus und zur Zerstörung von Vertrauen in den Rechtsstaat. Insofern stellen Pro-
zess und Urteil des Oberlandgerichts Dresden gegen die Gruppe Freital einen längst überfälligen
Paradigmenwechsel dar: Das Urteil „betont, dass die Einschüchterung von Geüchteten und deren
Unterstützer*innen ein gesamtgesellschaliches Klima erzeugt, dass geeignet ist, der Bundesrepu-
blik zu schaden, da sich Bevölkerungsteile dadurch nicht mehr sicher fühlen können“ (vgl. Pietrzyk
& Homann in diesem Band). Entgegen des statischen muss ein dynamisches und soziologisches
Terrorismusverständnis die kollektiven sowie sozialen
Botschaen und Folgen schwerer Gewalttaten für die
vielfältige Bürger- und Einwanderungsgesellscha so-
wie deren inhärente Verletzung der im Grundgesetz in
Recht gesetzten Prinzipien der Menschenwürde und
Antidiskriminierung in den Blick nehmen. Rechtster-
rorismus beginnt nicht mit dem Mord von Politiker*in-
nen, sondern mit militanten Angrien auf die Gleich-
wertigkeit gesellschalicher Gruppen.
Ein weiterer Teil der Antwort auf die Frage, warum Rechtsterrorismus und Rechtsextremismus in
Deutschland immer wieder unterschätzt und nicht als fundamentaler Angri auf die Republik ver-
standen werden, ist das statische Extremismusverständnis – ohne dass der Rechtsextremismusbe-
gri deshalb für den kritischen und wissenschalichen Gebrauch gänzlich verworfen werden muss.
Die Fehlwahrnehmung des statischen Extremismusverständnisses
Viele Jahre wurde gegen das statische Extremismuskonzept, das auf dem Grundgedanken einer
genuin nicht-extremistischen Mitte und zweier extremistischer Pole mit starken Gemeinsamkeiten
basiert und die Analysegrundlage vieler nachrichtendienstlicher Tätigkeiten der Bundesrepublik
bildet, argumentiert, dass es normativ falsch sei: Es vernachlässige die erheblichen Dierenzen zwi-
schen rechter und linker Weltanschauungen und entlaste in seiner Analogisierung die „Mitte“, die
Das staatszentrierte Extremismus-
und Terrorismusverständnis führt
systematisch zur Bagatellisierung
des Rechtsextremismus und zur
Zerstörung von Vertrauen in den
Rechtsstaat.
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Samuel Salzborn & Matthias Quent
zugleich durch diesen Konstruktionsprozess überhaupt als politischer Ort erst konstituiert werde.
Diese Einwände waren nie falsch – nur zeigt sich seit dem Bekanntwerden des NSU, dass das statische
Extremismuskonzept vor allem eines ist: empirisch unzulänglich. Jenseits der Frage von dierenten
Deutungskontexten hat es sich als gefährlich erwiesen, da es gerade in der empirischen Praxis nicht
dazu in der Lage ist, Rechtsextremismus als solchen zu erkennen, weil es Radikalisierungsprozesse
(aus und in der Mitte der Gesellscha) nicht erfasst, die jenseits von starren Organisationsstrukturen
erfolgen.
Innerhalb der deutschsprachigen Diskussion wird
der Extremismusbegri vor allem in einem spezi-
schen Sinn gebraucht: Es geht um ein Verständnis
von Extremismus, nach dem dieser im normativen
Sinn der demokratischen Verfassungsordnung
entgegensteht und dabei sowohl durch seine ne-
gative wie durch seine positive Bestimmtheit in
Opposition zur Demokratie stehe. Der negative Ex-
tremismusbegri zielt darauf ab, als extremistisch
kenntlich zu machen, was dem demokratischen Verfassungsstaat in fundamentaler und totaler
Weise entgegensteht, diesen versucht zu bekämpfen oder auch abzuschaen. Das positive Be-
grisverständnis versucht überdies, Einstellungs- und Verhaltensmerkmale zu bestimmen, aus
denen ersichtlich werden soll, dass das begriliche Verständnis von Extremismus auch über eine
eigene Phänomenologie verfügt. Besonders Uwe Backes (1989: 111) hat sich für diese Ausdieren-
zierung zwischen einem negativen und einem positiven Begrisverständnis des Extremismus stark
gemacht. Er vertritt die Auassung, dass eine rein negative Denition des Extremismus das „breite
Spektrum der Extremismen“ strukturell unbestimmt lasse.
Entscheidend an diesem bis vor einigen Jahren noch dominanten deutschsprachigen Extremis-
musdiskurs ist, dass Demokratie und Extremismus – und zwar sowohl im negativen wie im positiven
Sinn – als „antithetisches Begrispaar“ (Backes/Jesse 1983: 4) verstanden und insofern in beiden
Denitionsvarianten des Extremismusbegris statisch auf ein bestimmtes Ideal von Demokratie
und dabei konkretisiert auf den Rahmen des bundesdeutschen Verfassungsstaates xiert werden.
Für die Analyse von Extremismen erönet dies lediglich einen relativ schmalen empirischen Inter-
pretationsraum. Backes und Jesse folgend handelt es sich beim Extremismus um eine Sammel-
bezeichnung, mit der unterschiedliche politische Denkformationen und Handlungsweisen zusam-
mengefasst werden, die sich allerdings in der „Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates
und seiner fundamentalen Werte und Spielregeln einig wissen“ (Backes/Jesse 1993: 40).
Aus einer solchen Extremismusdenition ergibt sich das Dilemma, das am anschaulichsten mit
einem Beispiel aus der vergleichenden Rechtsextremismusforschung illustriert werden kann:
Während unter Zugrundelegung eines statischen Extremismusbegris eine Partei wie der fran-
zösische Front National aufgrund seines völkischen Menschen- und Weltbildes im französischen
Verfassungskontext eindeutig als extremistische Partei gedeutet werden muss, reicht der Bezug auf
ein völkisches Menschenbild in der Bundesrepublik mit Blick auf denselben normativ-statischen
Das statische Extremismuskonzept
hat sich als empirisch unzulänglich
erwiesen. Radikalisierungsprozesse
jenseits von starren
Organisationsstrukturen kann es
nicht erfassen.
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Extremismusbegri nicht aus, da hier (Art. 116 GG) das völkische Menschenbild selbst teilweise
Grundlage der politischen Ordnung ist, da das Staatsangehörigkeitsrecht lange Zeit allein auf völ-
kischen Kriterien (dem Abstammungsprinzip) basierte. Insofern bleibt ein Extremismusbegri, der
sich lediglich an eine real existierende Formation von Demokratie als Norm anlehnt, unterkomplex
und bleibt im Sinne von Backes hinsichtlich seiner positiven Bestimmung ausgesprochen unscharf
und wenig konturiert. Gero Neugebauer (2001: 13) sieht deshalb den Extremismusbegri auch als
normativ verkürzt, unterkomplex und eindimensional an. Überdies bestehe ein zentrales Problem
im Wechselspiel zwischen normativem Extremismusbegri und empirischer Extremismusforschung
darin, dass die Feststellung, nach der „es sich beim Extremismus um Demokratiefeindscha, Ge-
waltbereitscha, Repression, Dogmatismus etc.“ handele, nicht „als Ergebnis der Extremismusfor-
schung ausgegeben werden“ kann, sondern vielmehr deren Voraussetzung sei (Neugebauer 2001,
20). Armin Pfahl-Traughber (1992: 67) weist überdies auf das Missverhältnis zwischen „inationärer
Verwendung des Extremismusbegris“ und seiner „mangelnden theoretischen Reektiertheit“ hin.
Vor diesem Hintergrund ist auch der Einwand von Hans-Gerd Jaschke gegen die, wie er sie nennt,
„konventionelle Extremismusforschung“ (Jaschke 1991: 46) zu verstehen, wenn er darauf hinweist,
dass der Extremismusbegri allzu o die gesellschalichen Ursachen für das Entstehen von politi-
schem Extremismus ausklammere und dabei die Dynamik extremistischer Gruppierungen und die
Wandelbarkeit sowohl innerhalb des Extremismus, aber eben auch die Interaktion mit dem demo-
kratischen Spektrum außer Acht lasse. Das Etikett des Extremismus, das die Extremismusforschung
entsprechenden Personen und Gruppen zuweist, verkenne, dass es sich um eine Zuschreibung
handle, die Wandelbarkeit und soziale Dynamik innerhalb eines demokratischen Gesellschaswe-
sens ignoriert. Auf diese Weise werden Ursachenkomplexe individualisiert und der gesellschaliche
Kontext vernachlässigt (vgl. Jaschke 1991, 1994). Darauf macht auch Christoph Butterwegge (2000,
2002) aufmerksam und schreibt: „Die Konzentration auf das/die Extreme lenkt vom gesellscha-
lichen Machtzentrum und von seiner Verantwortung für die politische Entwicklung eines Landes
ab“ (Butterwegge 2000: 19). Dabei sei die aus der Extremismusformel resultierende Gleichsetzung
von Rechts- und Linksextremismus ein zentrales Problem, weil sie aus einer lediglich formalen
Gegnerscha zum politischen System eine Vergleichbarkeit von Zielen und Wertvorstellungen ab-
leite. Christoph Kopke und Lars Rensmann betonen,
dass die Individualisierung struktureller Aspekte von
Vergesellschaung durch einen derart statischen Ext-
remismusbegri befördert werde, da politische Orien-
tierungen als „völlig beliebig“ erscheinen, wenn links
und rechts „gleichgesetzt und austauschbar“ werden,
„sofern man außerhalb der willkürlich gesetzten Mitte
steht“ (Kopke/Rensmann 2000: 1453).
Und selbst wenn die Dierenzen hinsichtlich der Zielvorstellung rechter und linker Bewegungen
gewahrt blieben, klammert der statische Extremismusbegri die gesellschalichen Dynamiken
aus: Denn er übersieht, dass extremistische Gesinnungen nicht eben nur an den Rändern, son-
dern auch in der Mitte der Gesellscha anzutreen sind. Von einer normativen Amputation des
Extremismusbegris kann gesprochen werden, weil es sich beim Blick auf die internationale und
Der Extremismusbegri klammert
allzu o die gesellschalichen
Ursachen für das Entstehen von
politischem Extremismus aus.
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Samuel Salzborn & Matthias Quent
vergleichende Extremismusforschung keineswegs um die einzige Variante handelt, den Extremis-
musbegri für die wissenschaliche Diskussion fruchtbar zu machen. Die theoriengeschichtliche
Auseinandersetzung mit extremistischen und totalitären Bewegungen zeigt, dass das Potenzial
des Extremismusbegris weit größer ist, als sich dies in seiner bundesdeutschen Vereinfachung
darstellt (vgl. Salzborn 2018: 105.).
Seymour Martin Lipset hat bereits in einem Aufsatz von
1959, der dann auch in sein berühmtes Werk Political Man
(1960) eingeossen ist, einen dierenzierteren Extremis-
musbegri eingeführt. Lipset unterscheidet dabei drei we-
sentliche Kategorien, die zur Klassizierung von Extremis-
mus dienen können und zugleich einen gehaltvollen und
substanziellen Demokratiebegri zugrunde legen. Während
die politischen Ziele auf der traditionellen Rechts-Links-
Achse und ihrer Distanz zur liberalen Demokratie ebenso die Unterscheidung zwischen demokra-
tischen und autoritären Mitteln zur Durchsetzung eigener politischer Ziele noch Bestandteile der
fachwissenschalichen Diskussion sind, die heute auch in der deutschen Extremismusforschung
weiterhin Anwendung nden, ist die eigentlich zentrale Kategorie von Lipset weitgehend aus ih-
rem Blickfeld verschwunden: die Dierenzierung zwischen Pluralismus und Monismus, wobei eine
antiplurale und monistische Weltanschauung als Kennzeichen von Extremismus interpretiert wird.
Nimmt man die Kategorien von Lipset ernst, dann fällt auf, dass Extremismus nicht nur an den
Rändern des politischen Systems zu lokalisieren ist, sondern gleichermaßen in dessen Mitte. Dies
zeigt auch, dass ein statischer Extremismusbegri im Vergleich mit einem dynamischen Extremis-
musbegri empirisch gegenüber antipluralistischen und gegenaufklärerischen Bestrebungen aus
der Mitte der Gesellscha blind bleibt, da diese stets normativ verklärt wird.
Lipset prägte damit den Begri des „extremism of the center“ und fügte der konzeptionellen Überle-
gung eines linken und eines rechten Extremismus einen dritten Typus hinzu, der allerdings zuvörderst
auch als sozialökonomischer Begri als Extremismus der Mittelklassen bzw. Mittelschichten zu verste-
hen war. So gibt es Lipset (1960: 173) folgend mit Blick auf die Linke, die Rechte und die Mitte jeweils
eine moderate und eine extremistische Strömung, „each major social stratum has both democratic
and extremist political expressions“ (Lipset 1960: 131). Die Gemeinsamkeiten der drei Extremismen
bestünden in ihrer sozialpolitischen Orientierung an den verärgerten, orientierungslosen, desintegrier-
ten, ungebildeten, dierenzierungsunfähigen und damit eben letztlich autoritären Personen auf jedem
Level der Gesellscha (Lipset 1960: 175). Entscheidend ist: Alle Extremismen weisen Bezüge zu den
demokratischen Bewegungen auf: „The dierent extremist groups have ideologies which correspond
to those of their democratic counterparts“ (Lipset 1960: 133). Nimmt man Lipsets Überlegungen in sozi-
alstruktureller und demokratietheoretischer Hinsicht ernst, dann liefern sie ein wertvolles Grundgerüst
für einen dynamischen Extremismusbegri. Dieser bleibt zwar ein normativer Begri, aber er bietet die
Möglichkeit, die subjektive Setzung von Norm und Abweichung – auf die der statische Extremismus-
begri letztlich in seiner ganzen Banalität hinausläu – hinter sich zu lassen. Lipsets Grundkonzept
bedarf lediglich einer Konkretisierung von Pluralismus und Antipluralismus, den Manfred G. Schmidt
(2010: 245f.) als attitudinalen Antipluralismus und weltanschaulichen Monismus beschrieben hat.
Nach Lipset ist Extremismus
nicht nur an den Rändern der
Gesellscha zu lokalisieren,
sondern gleichermaßen in
deren Mitte.
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Strukturtheoretisch können wesentliche Aspekte für eine solche konzeptionelle Ergänzung eines
dynamischen Extremismusbegris aus den Überlegungen von Ernst Fraenkel aufgegrien werden,
dessen (Neo-)Pluralismustheorie auf der Annahme basiert, dass die Vertretung von konkurrierenden
Interessen einer Demokratie nicht schade, sondern vielmehr deren Fundament bilde. Auf der Basis
der Anerkennung konkurrierender sozialer Lebensformen werde ein kontroverser Prozess der Willens-
bildung erstrebt, dem jedoch ein gemeinsam anerkannter Wertekodex zugrunde liegen müsse. Das
Gemeinwohl sei dabei nicht abstrakt denierbar, sondern müsse in konkreten Interessenauseinan-
dersetzungen ausgehandelt werden. Staatlicher Idealtyp ist für Fraenkel der „autonom legitimierte,
heterogen strukturierte, pluralistisch organisierte Rechtsstaat“ (Fraenkel 1991: 326). Aufgrund der
damit konzeptionell gegebenen normativen Oenheit handelt es sich um ein strukturtheoretisches
Instrumentarium, mit dem Antipluralismus und Monismus scharf kritisiert werden können. Die Of-
fenheit des Konzepts impliziert aber zugleich, dass um die Frage eines gesellschalichen Konsensus
dauerha entlang von Interessenkonikten, auch grundlegender Art, gestritten werden muss.
Ein wesentlicher Schlüssel ist die konsequente Orientierung am freien und sich selbst bestimmenden
Individuum als genuinem Subjekt der Politik, dessen „Gemeinwohl“ im gesellschalichen Kontext
niemals a priori, sondern ausschließlich a posteriori bestimmbar ist, da die ihm zugrunde liegende
Vorstellung von Gerechtigkeit „kein absoluter, sondern ein relativer Begri“ ist (Walzer 1992: 440).
Als extremistisch hätten demnach Personen, Bewegungen oder Parteien zu gelten, die den Vorrang
des Individuums im demokratischen Pluralismus ablehnen, mit antiliberaler und antiindividualis-
tischer Intention einer kollektiven Homogenitätsvorstellung das Wort reden und die Ungleichheit
der Menschen behaupten. In einen solchen Extremismusbegri im Sinne der politischen Kulturfor-
schung sind nicht nur Handlungen, sondern auch Einstellungen und vor allen Dingen Vorstellungen
eingelassen (vgl. Salzborn 2009). Diese Vorstellungen und Einstellungen sind aber eben reversibel
und unterliegen der öentlichen Auseinandersetzung im demokratisch-pluralen Kontext, wobei sie
als Denkformen eben in keiner Weise an bestimmte politische Spektren oder eine ausdierenzier-
te Rechts-Links-Achse gebunden sind. Ein von Lipsets
Überlegungen ausgehender und konzeptionell um die
demokratietheoretischen Überlegungen des Neoplu
-
ralismus erweiterter dynamischer Extremismusbegri
stellt insofern das normative Postulat einer nicht-extre-
mistischen Mitte aus empirischen Gründen grundsätz-
lich infrage und macht Antipluralismus und Monismus
zur Grundlage der Analyse.
Politische Bestrebungen, die
sich gegen Individualismus,
Heterogenität und Pluralismus
richten, müssen als extremistisch
bezeichnet werden.
Prof. Dr. Samuel Salzborn ist Politik- und Sozialwissenschaler und
lehrt Politikwissenscha an der Universität Gießen.
Dr. Matthias Quent ist Soziologe und Direktor des Instituts für Demo-
kratie und Zivilgesellscha.
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„RECHTSTERRORISMUS
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SONDERN MIT
MILITANTEN
ANGRIFFEN AUF DIE
GLEICHWERTIGKEIT
GESELLSCHAFTLICHER
GRUPPEN.“
SAMUEL SALZBORN & MATTHIAS QUENT
27
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Politische Bildung und politisches Lernen in der Grundschule wird seit Jahrzehnten konzeptionell und fachdidaktisch der Wissenschaftsdisziplin Sachunterrichtsdidaktik zugeordnet. Trotz dieser fachdidaktischen Zuweisung ist ein Desiderat in Bezug auf die diskursive Auseinandersetzung über Politische Bildung in der Grundschule erkennbar. Der Band bietet daher umfassende Ein- und Überblicke zu konzeptionellen Sichtweisen, empirischen Forschungsprojekten sowie Lehr-Lernprojekten und -settings an unterschiedlichen Universitäts- und Ausbildungsstandorten. Eine übergreifende kritische Bestandsaufnahme des gegenwärtigen (Diskussions-)Standes zur Politischen Bildung im Sachunterricht in Deutschland, Österreich und der Schweiz wird somit in diesem Band aufgezeigt. (DIPF/Orig.)
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Politische Bildung und politisches Lernen in der Grundschule wird seit Jahrzehnten konzeptionell und fachdidaktisch der Wissenschaftsdisziplin Sachunterrichtsdidaktik zugeordnet. Trotz dieser fachdidaktischen Zuweisung ist ein Desiderat in Bezug auf die diskursive Auseinandersetzung über Politische Bildung in der Grundschule erkennbar. Der Band bietet daher umfassende Ein- und Überblicke zu konzeptionellen Sichtweisen, empirischen Forschungsprojekten sowie Lehr-Lernprojekten und -settings an unterschiedlichen Universitäts- und Ausbildungsstandorten. Eine übergreifende kritische Bestandsaufnahme des gegenwärtigen (Diskussions-)Standes zur Politischen Bildung im Sachunterricht in Deutschland, Österreich und der Schweiz wird somit in diesem Band aufgezeigt. (DIPF/Orig.)
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Die hier vorgestellte qualitative Studie setzt sich mit Perspektiven von Grundschulkindern auf die DDR- und die deutsche Teilungsgeschichte auseinander. Hierfür wurden Kindern der vierten Klassen in Osnabrück und Berlin mittels bildimpulsgesteuerter, leitfadenstrukturierter Einzelinterviews befragt. Ein besonderer Schwerpunkt der Untersuchung liegt zudem auf dem Machtkonzept der Kinder. In diesem Kontext wird die Verwobenheit von Geschichte und Politik und damit auch dem historischen und politischen Lernen deutlich. Im Beitrag werden die Anlage der Untersuchung sowie zentrale Ergebnisse dieses abgeschlossenen Promotionsprojektes dargestellt.
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Julia Poschmann und Eva Gläser erläutern in ihrem Beitrag den Zusammenhang von Kindernachrichten und Politischer Bildung im Sachunterricht. Mediennutzungsstudien unterstreichen die Bedeutung von Medien als „Quelle für politisches Lernen“ (die Autorinnen in diesem Band). Die in den Nachrichtensendungen enthaltenen Filme können als „Erklärvideos“ betrachtet und als solche analysiert werden, insbesondere, wenn diese als Medien für politisches Lernen im Unterricht einbezogen werden. Der Beitrag erläutert beispielhaft an einem konkreten Seminarkonzept, inwiefern „Fachsprache in und sprachliche Gestaltung von (Kinder-)Nachrichtensendungen im Kontext von Politischer Bildung“ (ebd.) von Studierenden interpretiert und reflektiert werden kann.
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In einer von Digitalität geprägten Zeit steht die Gesellschaft vor veränderten Bedingungen und Herausforderungen, wodurch sich für die politische Bildung neue Aufgaben und Themen ergeben – auch in der Grundschule. Gesellschaftspolitisch relevante Themenfelder wie die Verbreitung von Desinformationen („Fake News“1) oder der Schutz persönlicher Daten sind zwar nicht erst im Zuge der digitalen Transformation aufgekommen, haben aber neue Brisanz erlangt. So wird „Fake News“ erkennen beispielsweise im Deutschunterricht behandelt (vgl. z. B. Wild 2018) und Datenschutz ist im Rahmen von Medienbildung oder informatischer Bildung verortet. Aber in diesen Themen stecken eine gesellschaftliche Relevanz und eine politische Dimensionen (s. Kapitel 2), sodass es nicht ausreichend ist, Schüler*innen lediglich Strategien zum Erkennen von „Fake News“ oder für datenschutzkonformes Surfverhalten zu vermitteln. Wie eine politische Betrachtung dieser Phänomene im Sachunterricht aussehen kann und inwiefern es Studierenden gelingt, eine solche Perspektive herauszuarbeiten, soll in diesem Beitrag anhand konkreter Erfahrungen aus dem Projekt PoliMeR (Politische Medienbildung Regensburg)2 aufgezeigt werden.
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Ein rechter Terroranschlag stellt ein extremes krisenhaftes Ereignis dar – auch für die Kommune, in der er stattfindet. In den meisten Fällen lässt sich relativ schnell nach der Tat eine Dethematisierung rechter Gewalt feststellen. Für die wissenschaftliche Auseinandersetzung stellt sich die Frage nach den Dynamiken der Dethematisierung: Wie kommt es dazu, dass die Taten aus dem öffentlichen Diskurs verschwinden? Auf der Basis einer multiperspektivischen Analyse eines extrem rechten Mordes in Baden-Württemberg wird die Rolle der mobilen Jugendarbeit für den Prozess der Dethematisierung analysiert, die in diesem Fall eine wichtige Funktion zugeschrieben bekam. Damit wird ein westdeutscher Fall diskutiert, was insofern von Bedeutung ist, als die mobile Jugendarbeit mit akzeptierendem Ansatz häufig für die ostdeutschen Bundesländer dieser Zeit problematisiert wird. Basis der qualitativ-rekonstruktiven Analyse sind Interviews mit dem damaligen Sozialarbeiter und einem ehemals rechtsorientierten Jugendlichen. Beide wurden mehr als 25 Jahre nach dem Anschlag im Rahmen eines Lehrforschungsprojekts befragt. Die Rekonstruktion zeigt, dass die mobile Jugendarbeit in diesem Fall als zentrale Problemlösungsinstanz von der Gemeinde adressiert wurde, indem die damals rechtsorientierten Jugendlichen als Hauptursache konstruiert und isoliert wurden. Die Kontrastierung der beiden Perspektiven verweist darauf, dass die mobile Jugendarbeit sich nach diesem krisenhaften Ereignis des Mordes die politischen Ziele der Kommune zu Eigen gemacht und damit mit zur Dethematisierung des Mordes beigetragen hat. Dies war unter anderem möglich, weil die mobile Jugendarbeit den akzeptierenden Ansatz anwendete, der gesellschaftliche Ermöglichungsbedingungen extrem rechter Haltungen weitgehend ausblendet und diese als Problemlage von Jugendlichen fasst. Mit diesem Beitrag soll mit einem qualitativen Zugang ein weiterer empirischer Beitrag für die Auseinandersetzung um die Dethematisierung rechten Terrors der 1990er Jahre geleistet werden.
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Zusammenfassung Der vorliegende Beitrag analysiert Wandlungsprozesse im Deliktsfeld rechts motivierter Brandstiftungen in Deutschland im Zeitraum von 2010 bis 2017. Der Fokus liegt hierbei auf Tatverdächtigen bzw. Täter*innen und es wird die Frage beantwortet, wie sich der Wandel der Täter*innenstruktur in den vergangenen Jahren im genannten Deliktsbereich konkret ausgestaltet hat. Als empirische Bezugspunkte dienen zwei laufende Forschungsprojekte, die sich mit unterschiedlichen methodischen Zugängen – einerseits der statistischen Analyse von Tatverdächtigendaten der Polizei, andererseits der auf Täter*innen bezogenen Aktenanalyse – der obigen Forschungsfrage widmen. Die empirischen Ergebnisse belegen einen drastischen Wandel der Tatverdächtigen- bzw. Täter*innenstruktur im Untersuchungszeitraum. So lässt sich ein deutlicher Anstieg des Anteils an weiblichen Tatverdächtigen konstatieren. Auch die für rechte Gewalt eher untypische Altersgruppe der Tatverdächtigen über 30 Jahre hat an Relevanz gewonnen. Darüber hinaus hat der Anteil von Gruppentaten im Zeitverlauf ab – und der Anteil an alleinhandelnden Täter*innen zugenommen. Da über eine Analyse der Tatmittel auf einen hohen Planungsgrad der Taten geschlossen werden kann, lässt sich bilanzieren, dass sich im Zuge der sog. »Flüchtlingskrise« neue, eher der »Mitte der Gesellschaft« zugehörige Tätergruppen gebildet haben, die analytisch nicht mehr in das etablierte Forschungsraster der spontan verübten Jugendgewalt passen.
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Der Umgang mit Rechtsextremismus ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die damit beginnt, über eigene Einstellungen und Haltungen nachzudenken, da jeder Mensch z. B. rassismusrelevante Wissensbestände in sich trägt. Dabei ist es von großer Bedeutung, sich selbst nicht per se als Teil einer unproblematischen Mitte der Gesellschaft zu verstehen, die nichts mit den Phänomenen und Einstellungen zu tun hat, die sich unter dem Begriff Rechtsextremismus subsumieren.
  • Christoph Butterwegge
Butterwegge, Christoph (2000): Entschuldigungen oder Erklärungen für Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt? Bemerkungen zur Diskussion über die Entstehungsursachen eines unbegriffenen Problems, in: Ders./Lohmann, Georg (Hrsg.): Jugend, Rechtsextremismus und Gewalt. Analysen und Argumente. Leske + Budrich: Opladen, S. 13-36.
Jüdischer Gemeindevorsitzender von Halle denkt an Auswanderung -antisemitische Reaktionen. Mitteldeutscher Rundfunk
  • Mdr Sachsen-Anhalt
MDR Sachsen-Anhalt (2019): Jüdischer Gemeindevorsitzender von Halle denkt an Auswanderung -antisemitische Reaktionen. Mitteldeutscher Rundfunk. Online verfügbar unter https://www.mdr.de/sachsen-anhalt/halle/halle/interview-juedische-gemeinde-vorsteher-privorozki-antisemitische-kommentare-100.html [18.11.2019].
  • Gero Neugebauer
Neugebauer, Gero (2001): Extremismus -Rechtsextremismus -Linksextremismus. Einige Anmerkungen zu Begriffen, Forschungskonzepten, Forschungsfragen und Forschungsergebnissen, in: Schubarth, Wilfried/Stöss, Richard (Hrsg.): Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Bilanz. Leske + Budrich: Opladen, S. 13-37.
  • Pfahl-Traughber
Pfahl-Traughber, Armin (1992): Der Extremismusbegriff in der politikwissenschaftlichen Diskussion -Definitionen, Kritik, Alternativen, in: Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 4, Bouvier: Bonn, S. 67-86.
  • Matthias Quent
Quent, Matthias (2017): Rassistischer Hass -das OEZ-Attentat in München, in: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (Hrsg.): Wissen schafft Demokratie. Schriftenreihe des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft, Bd. 2 (2), S. 74-89.
Deutschland rechts außen. Wie die Rechten nach der Macht greifen und wie wir sie stoppen können
  • Matthias Quent
Quent, Matthias (2019a): Deutschland rechts außen. Wie die Rechten nach der Macht greifen und wie wir sie stoppen können. Piper: München.