Globaler Antisemitismus. Eine Spurensuche in den Abgründen der Moderne. Mit einem Vorwort von Josef Schuster
Abstract
Seit den islamistischen Terroranschlägen von 9/11 ist weltweit eine Ausweitung und Radikalisierung von Antisemitismus festzustellen – jenseits alter Abgrenzungen zwischen den politischen Spektren. Antisemitismus ist zur globalen Integrationsideologie von Islamisten, Neonazis, Globalisierungsfeinden und Antiimperialisten geworden. Deren Hauptfeindbild heute: Israel. Samuel Salzborn analysiert diese Entwicklung, ihre historischen und theoretischen Hintergründe und plädiert für einen neuen Universalismus, der zur Grundlage für eine erfolgreiche Bekämpfung von Antisemitismus weltweit werden kann.
... Existen semánticas específicas para cada tipo de discurso de odio; racista, antisemita, antigitano, islamófobo, xenófobo que pueden tener efectos tanto en el nivel cognitivo, como en el emocional-afectivo o en el práctico (Lepold y Martínez Mateo, 2019). Pero más importante que las palabras usadas específicamente en cada tipo de discurso de odio (raza, etnia, religión, cultura, etc.) son las lógicas estructurantes o reglas básicas que articulan el discurso racista (van Dijk, 1993;Reisigl y Wodak, 2000;Wodak y Richardson, 2012), y la capacidad que el discurso de odio tiene para adaptarse a los cambios sociales y normativos que prescriben aquello que es socialmente aceptado (Taguieff, 2001;Salzborn, 2020;Volkov, 2006). Estas dos cuestiones hacen que en ocasiones contestar al discurso de odio sea algo complejo e incluso problemático, pues de un acto de contestación bienintencionado pueden derivarse contradicciones performativas, consecuencias no buscadas, negativas a todas luces para la praxis antirracista (Butler, 2004). ...
... Por poner un ejemplo, las metáforas, imágenes y narrativas racistas que se usaron para justificar la colonización de África en el siglo XIX se basaron mayormente en argumentos biologicistas, mientras que en la actualidad las narrativas racistas usadas frente a la inmigración proveniente desde países africanos hacia Europa, se basan en semánticas que hacen referencia al "peligro" de la inmigración, a la "amenaza" que esta supone para la "cultura europea", comparando la inmigración con desastres naturales como una "avalancha" o una "inundación" de inmigrantes en Europa, etc. (Charteris-Black, 2006). En el caso del antisemitismo por ejemplo, es importante destacar la capacidad que tiene el discurso antisemita de reformularse para adaptarse al contexto histórico, aprovechando el odio existente en cada momento y dirigiéndolo hacia las personas judías de formas en que este no es percibido como odio antisemita (Salzborn, 2020;Stögner, 2014;Volkov, 2006). En el Manual de métodos para el trabajo educativo crítico sobre el antisemitismo/Widerspruchstoleranz 2. Ein Methodenhandbuch zu antisemitismuskritischer Bildungsarbeit (2017) de la Iniciativa de Kreuzberg contra el antisemitismo/Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA, por sus siglas en alemán), se trata la cuestión del antisemitismo secundario en relación con su semántica: Artículos Articles Artigos methaodos.revista ...
El racismo como fenómeno social, como forma de odio, como ideología y como práctica ha estado durante mucho tiempo en el centro de los estudios sociológicos. El estudio del racismo, de sus lógicas, semánticas, distintas articulaciones, así como de sus bases material y simbólica ha interesado a los científicos sociales durante décadas, pero en todo ese tiempo ha habido una clara ausencia de estudios sobre como contestar eficazmente al racismo. Basándonos en estudios sobre racismo, estudios críticos del discurso y Teoría Crítica, hemos llevado a cabo un análisis empírico-teórico de 149 herramientas de contestación al discurso de odio racista. Partiendo de una crítica inmanente del racismo, presentamos siete lecciones básicas que las herramientas de contestación al discurso de odio racista habrían de cumplir idealmente, para una contestación eficaz al discurso de odio racista.
... Der Grund für eine zunehmende Verbreitung des israelbezogenen Antisemitismus liegt in seiner panideologischen Anschlussfähigkeit: Der als Israel-Kritik getarnte Antisemitismus hat eine Tradition in antiimperialistischen Bewegungen und linken Submilieus (Benz 2016;Beyer 2017;Haury 2019;Poliakov 1992;Rickenbacher 2020). Er ist darüber hinaus aufgrund seiner diskursiven Verbindung mit schuldabwehrenden Artikulationen des Antisemitismus unter Wähler:innen des rechten Parteienspektrums weit verbreitet (Salzborn 2018;Rensmann 2020). Gleich mehrere Studien verzeichnen zudem akzentuierte Zustimmungswerte zum israelbezogenen Antisemitismus unter Muslim:innen (Decker und Celik 2019;Pickel et al. 2020) -womit sich nun die Frage nach den Besonderheiten des Antisemitismus unter Muslim:innen stellt. ...
... Aus der Breite der genannten Profile wird deutlich: Antisemitismus ist in Deutschland panideologisch anschlussfähig (Beyer und Liebe 2020, S. 141;Rensmann 2020;Salzborn 2018). Diese Aussage bezieht auch religiöse Gruppen mit ein. ...
Zusammenfassung
Bereits seit einigen Jahren schwelt eine Diskussion über einen neuen Antisemitismus. Im Fokus dieser Debatten finden sich immer häufiger Einwanderer:innen, vor allem aber Muslim:innen wieder. Als Folge kam der Begriff eines islamisierten Antisemitismus auf. Schnell wurden diese Diskussionen zu einem Politikum. Rechtsextreme Akteure wie die Alternative für Deutschland griffen die Hinweise auf Antisemitismus unter Muslim:innen auf und instrumentalisierten diese für ihre antimuslimische Agenda. Diese Instrumentalisierung wiederum macht es Menschen, die sich gegen antimuslimische Diskriminierung einsetzen, schwer, die Existenz eines muslimischen Antisemitismus anzuerkennen. Anhand unterschiedlichen empirischen Materials untersucht dieser Beitrag die Prävalenz antisemitischer Ressentiments unter Muslim:innen und wie diese mit der Persistenz von Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft zusammenhängen. Die Ergebnisse zeigen, dass traditionelle Formen des Antisemitismus und insbesondere israelbezogener Antisemitismus unter Muslim:innen besonders akzentuiert ausfällt. Der Antisemitismus, in muslimischen Submilieus, stellt neben dem ethnonationalen, rechtsextremen Antisemitismus eine Bedrohung für Jud:innen in Deutschland dar. Der Antisemitismus unter Muslim:innen stützt sich sowohl auf Narrative, die aus ihren Herkunftsländern stammen, sowie auf religiöse Quellen. Allerdings ist der Antisemitismus unter Muslim:innen in Deutschland geringer ausgeprägt als in den meisten Gesellschaften der islamischen Welt. Darüber hinaus sind schuldverleugnende Artikulationen von Antisemitismus nach wie vor ein Markenzeichen der autochthonen Bevölkerung und rechter politischer Milieus. Antisemitismus in Deutschland bedarf daher eines differenzierteren Verständnisses, als es noch vor wenigen Jahren notwendig erschien.
... Ein wichtiger Wendepunkt in der Geschichte antisemitischer Ressentiments waren die islamistischen Terroranschläge von 9/11, die erklärtermaßen nicht nur den USA, sondern der gesamten freien Welt und der aufgeklärten Moderne galten (vgl. Salzborn 2018). Sie waren aber auch, wie Osama bin Ladin und andere islamistische Terroristen stets betont haben, in zentraler Weise antisemitische Anschläge (vgl. ...
Der Beitrag analysiert die Entwicklung des Antisemitismus
seit den Terroranschlägen von 9/11 und ordnet die Entwicklung in ihre historischen
Entstehungszusammenhänge ein.
... Ein wichtiger Wendepunkt in der Geschichte antisemitischer Ressentiments waren die islamistischen Terroranschläge von 9/11, die erklärtermaßen nicht nur den USA, sondern der gesamten freien Welt und der aufgeklärten Moderne galten (Salzborn, 2020). Sie waren aber auch, wie Osama bin Ladin und andere islamistische Terroristen stets betont haben, in zentraler Weise antisemitische Anschläge -denn Jüdinnen und Juden stehen eben in der islamistischen Lesart für alles, was gehasst wird. ...
Antisemitismusbekämpfung ist ein junges Politikfeld mit Blick auf strukturiertes Staatshandeln. Der Beitrag stellt die Relevanz der Antisemitismusbekämpfung und ihre Entstehung als dezidierte staatliche Aufgabe dar, um am Beispiel des Berliner Modells der Antisemitismusbekämpfung exemplarisch zu zeigen, wie diese konkret im staatlichen Handeln umgesetzt wird. Berlin wird aus drei Gründen ausgewählt: Erstens ist das Land Berlin das erste und einzige Bundesland, das über ein ressortübergreifendes Konzept der Antisemitismusbekämpfung verfügt. Zweitens basiert das Berliner Modell auf einer integrativen Zusammenarbeit von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Stellen. Drittens ermöglicht der Blick auf Berlin die Perspektive der Verzahnung unterschiedlicher vertikaler Differenzierung von Verwaltung, da das Land Berlin zugleich eine Großstadt ist, die mit ihren zwölf Bezirken über Verwaltungsdimensionen verfügt, die jeweils und für sich genommen denen anderer deutscher Großstädte entsprechen. In Ermangelung einer föderalen Vergleichsperspektive liegt der Schwerpunkt des Beitrags im deskriptiv-explorativen Bereich.
... While research on globalization has already shown that nationalism and globalization are mutually reinforcing phenomena (Mann 1997;Bayly 2004;Pryke 2009;Werron 2012Werron , 2021, research on anti-Semitism has only just started to recognize that enmity towards Jews is a multifaceted global phenomenon (e.g. Braun and Ziege 2004;Rabinovici et al. 2004;Salzborn 2020). With few exceptions, however, the empirical focus is on developments after 1945, while processes of globalization and their consequences before that are hardly considered. ...
The »global« is permanently made and remade by how it is envisioned in political projects, in language, and in literature. Through a range of case studies, this book shows how practices of referring to the world actually constitute the global in its many facets. It aims to provide a sense in readers of how the global is not something »out there«, but that it is embedded in a wide range of the seemingly »everyday«. The contributions appeal to a readership from a background in Sociology, History, Political Science, Literary Studies, and Social Work.
... While research on globalization has already shown that nationalism and globalization are mutually reinforcing phenomena (Mann 1997;Bayly 2004;Pryke 2009;Werron 2012Werron , 2021, research on anti-Semitism has only just started to recognize that enmity towards Jews is a multifaceted global phenomenon (e.g. Braun and Ziege 2004;Rabinovici et al. 2004;Salzborn 2020). With few exceptions, however, the empirical focus is on developments after 1945, while processes of globalization and their consequences before that are hardly considered. ...
The "global" is permanently made and remade by how it is envisioned in political projects, in language, and in literature. Through a range of case studies, this book shows how practices of referring to the world actually constitute the global in its many facets. It aims to provide a sense in readers of how the global is not something "out there", but that it is embedded in a wide range of the seemingly "everyday". The contributions appeal to a readership from a background in Sociology, History, Political Science, Literary Studies, and Social Work.
The post-factual age does not begin with Donald Trump, nor with the current doubts about scientific truths, nor with social media. Propaganda and disinformation are nothing new. Perhaps people have always lived in a post-factual age, or perhaps every era has its post-factual age. Therefore, not only from a historical perspective, it hardly seems appropriate to call the current era the era of the post-factual. From a psychological perspective, the narrative about a current post-factual age is also unlikely to be tenable. People do not simply map the world in which they live. Everything people feel, think, and do is the result of individual and social constructions that are negotiated against the backdrop of self-referential mental processes in social understanding. The individually and socially created constructions of the world can certainly be described as post-factual images of reality.
Der Beitrag diskutiert die Frage, unter welchen Bedingungen und in welchen Fällen von Rassismus oder rassistischer Diskriminierung gesprochen werden sollte. Dafür unterscheidet er heuristisch fünf rassismustheoretische Ansätze, die diese Frage in je anderer Weise beantworten. Dies sind: 1. ideengeschichtliche Ansätze, die Rassismus als (pseudo-)wissenschaftliche Rassentheorie verstehen, 2. Ansätze, die die Existenz von races oder „Rassen“ voraussetzen und Rassismus als ein Ungleichheitsverhältnis zwischen ihnen verstehen, 3. sozialpsychologische Ansätze, die Rassismus als Vorurteil verstehen, 4. ideologiekritische Ansätze, die Rassismus als gesellschaftlich bedingtes falsches Bewusstsein verstehen, sowie 5. macht-, diskurs- und hegemonietheoretische Ansätze, die Rassismus als soziales Dominanzverhältnis verstehen.
Erwin Marquardt leitete in den späten Jahren der Weimarer Republik (1929-1933) die Volkshochschule Groß-Berlin. Über sein erwachsenenbildnerisches Wirken liegen bisher vergleichsweise wenig Forschungsbefunde vor. Das Anliegen der vorliegenden Arbeit besteht darin, die Kernaspekte seiner Volkshochschulkonzeption herauszuarbeiten. Zu-gleich wird der Frage nachgegangen, inwiefern diese sich als Aspekte einer praktisch fundierten bildungstheoretischen Neuausrichtung im damaligen Volkshochschulkontext begreifen lassen. Hierzu werden die von Marquardt im Zeitraum von 1930 bis 1933 in der Gewerkschaftszeitschrift „Die Arbeit“ veröffentlichten elf Artikel mit dem gleichnamigen Titel „Volkshochschule – Freie Volksbildung“ einer historischen Inhaltsanalyse unterzogen. Zu Beginn der Arbeit werden zunächst die Genese der Erwachsenenbildung in Deutsc-land und die Biographie Marquardts nachgezeichnet. Die anschließende Inhaltsanalyse erfolgt in einem zweistufigen Verfahren, welches sich durch einen deskriptiven sowie einen interpretativen Modus auszeichnet. Anschließend werden vier Themenschwerpunkte, die sich aus der interpretativen Analysesequenz ergeben, vor dem Hintergrund der Fragestellung nach Marquardts Volkshochschulkonzeption diskutiert. Die herausge-arbeiteten Schwerpunkte lauten „Kritik“, „Aufgabenbereich der Volkshochschule“, „Orga-nisation der Volkshochschule“ und „Didaktische Überlegungen (Methodik)“. Abschließend wird die Rekonstruktion der Volkshochschulkonzeption Marquardts in einem Resümee zusammengefasst. Es wird hervorgehoben, dass Marquardt sich für eine Erwachsenenbildung einsetzte, die sich an den konkreten Bildungsbedürfnissen der sozio-ökonomisch benachteiligten Arbeiterschaft orientierte. Sein Anliegen bestand darin, Bil-dungsgerechtigkeit herzustellen um die politische Teilhabe aller Gesellschaftsmitglieder zu ermöglichen.
Recently, an increasing interest has been evolved in extending the mentalization
model to social and cultural contexts. In this article, by using mentalization-
based concepts in this broader sense, the psychosocial background
of anti-democratic prejudices is analyzed and strategies for communicating
with young people expressing right-wing populist attitudes are developed.
For this purpose, the spread of right-wing populist prejudices in contemporary
German population is shown based on current large-scale findings.
Then, a model based on mentalization theory is presented, which helps to
understand the socio-emotional emergence of anti-democratic prejudices. In
this framework, research results regarding pedagogical contexts are shown,
investigating prejudice reduction through intergroup processes in schools and supporting the effectiveness of promoting mentalizing processes. Finally,
concrete strategies are discussed in detail showing how (social) educational
professionals can react to right-wing populist statements through mentalization-
based communication.
Postkoloniale und poststrukturalistische antirassistische Theorieansätze gewinnen weltweit einen immer größeren Einfluss an Universitäten, im Politik- und Kulturbetrieb sowie in sozialen Bewegungen. Das Bild, das prominente Vertreterinnen und Vertreter dieser Ansätze dabei von Antisemitismus und Holocaust einerseits, Judentum und Zionismus andererseits zeichnen, weist allerdings systematische Verzerrungen und Fehler auf: Unterschiedliche Formen und Radikalitätsgrade der begrifflichen Entspezifizierung oder Verharmlosung von Antisemitismus, der Relativierung der Shoah sowie der Dämonisierung Israels und des Zionismus sind dabei festzustellen.
Die folgende Bibliographie, die regelmäßig aktualisiert werden soll, bietet einen ersten Überblick über Kritiken an postkolonialen, bzw. antirassistischen Deutungen von Antisemitismus, Shoah, Zionismus und Israel. Nicht alle der dabei aufgelisteten Texte sind grundlegende Kritiken an postkolonialen Ansätzen. Manche kritisieren lediglich spezielle, aber signifikante Punkte der postkolonialen und antirassistischen Deutung der oben genannten Themen.
Postcolonial and poststructuralist antiracist theoretical approaches are gaining increasing influence at universities, in the political and cultural spheres, and in social movements worldwide. However, the picture that prominent representatives of these approaches draw of Antisemitism and the Holocaust on the one hand, and Judaism and Zionism on the other, exhibits systematic distortions and errors: Different forms and degrees of radicality of the conceptual de-specification or trivialization of Antisemitism, the relativization of the Shoah, and the demonization of Israel and Zionism can be observed.
The following bibliography, which will be updated regularly, offers an initial overview of critiques of postcolonial or antiracist interpretations of Antisemitism, the Shoah, Zionism, and Israel. Not all of the texts listed here offer fundamental critiques of postcolonial approaches. Some merely criticize specific but significant aspects of postcolonial and antiracist interpretations of the issues mentioned above.
The »global« is permanently made and remade by how it is envisioned in political projects, in language, and in literature. Through a range of case studies, this book shows how practices of referring to the world actually constitute the global in its many facets. It aims to provide a sense in readers of how the global is not something »out there«, but that it is embedded in a wide range of the seemingly »everyday«. The contributions appeal to a readership from a background in Sociology, History, Political Science, Literary Studies, and Social Work.
Zusammenfassung
Der Zusammenhang zwischen der Reichsbürgerszene, religiösen Semantiken und Verschwörungssemantiken wurde trotz soziologischer wie gesellschaftlicher Relevanz für längere Zeit wenig erforscht. Vor dem Hintergrund religiöser Bezüge im deutschen Rechtsextremismus zeigt der Artikel, welche Rolle Religion für die Argumentation der Reichsbürgerszene hat. Dabei wird auf der einen Seite davon ausgegangen, dass Religion und Verschwörungssemantiken als funktionale Äquivalente verstanden werden können, insofern beide deutende, komplexitätsreduzierende und sinnstiftende Funktionen übernehmen. Auf der anderen Seite wird auf inhaltlicher Ebene gezeigt, wie religiöse Semantiken Eingang in die Argumentation der Reichsbürger finden. Die Rolle religiöser Semantiken wird anhand einer qualitativen Inhaltsanalyse online verfügbarer Beiträge von zwölf relevanten Reichsbürgergruppen näher analysiert. Dabei werden Akteurschaftszuschreibungen induktiv erhoben und miteinander verglichen. Der Artikel zeigt, dass die naturalisierende Perspektive der Reichsbürger, die sich in einer Gegenüberstellung von einer als natürlich verstandenen eigenen Akteurschaft und einer als künstlich abgewerteten Akteutschaft zugeschriebener Verschwörer äußert, auch religiös begründet wird: Die eigene Akteurschaft legitimiert sich in diesem Sinne über supernaturalisierende Zuschreibungen. Sie wird als Teileiner göttlich-transzendenten Ordnung begriffen, die in der manichäischen Weltdeutung der Reichsbürger von verschwörerischen Kräften bedroht ist.
Der Essay thematisiert die Entstehung und Präsenz des Denkens in »Verschwörungen« als in die moderne gesellschaftliche Entwicklung eingebunden und einem grundlegenden Funktionswandel unterworfen. Die aktuellen Manifestationen als ein Medium für Ressentiments und als eine Form der Praxis der projektiv personalisierenden Aneignung und Anpassung von Realität in Alltag und politischer Propaganda müssen als Bestandteil eines autoritären Syndroms verstanden werden.
Im freudianisch geprägten Forschungsprogramm zum Autoritären Charakter der Frankfurter Schule zeigte sich als entscheidend für die Ausbildung antisemitischer Verschwörungsideologien der psychodynamische Mechanismus paranoider Projektionen. Zur Untersuchung der Verschwörungsmentalität heute ist jedoch eine modern-psychodynamische statt einer klassisch-freudianischen Konzeptualisierung zu bevorzugen. Im Modell Autoritärer Emotionsdynamiken werden Verschwörungsideologien auf Regressionen des Mentalisierens und epistemischen Vertrauens zurückgeführt. Solche regressiven Prozesse sozioemotionaler Fähigkeiten können gesellschaftlich infolge einer politischen/sozialen Entfremdung durch defizitäre Anerkennungserfahrungen entstehen. Abschließend wird ein Programm zur empirischen Überprüfung des neuen mentalisierungstheoretischen Ansatzes vorgestellt.
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