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Rezension: Barbara Ränsch-Trill: Kult - Sport - Kunst - Symbol. Tanz im kulturellen Gedächtnis (2004)

Authors:

Abstract

In: Leipziger Sportwissenschaftliche Beiträge 45 (2004) 2
Volker
Schürmann
hat
in
seiner
Rezension,
auch
in
dem
Teil,
in
welchem
das
so
anregende
Buch
„Utilitarismus
und
Sportethik
von
C.
Pawlenka
behandelt
wurde,
intellektuell
anspruchsvolle,
beunruhigende
und
auch
angreifende
Fra
gen
gestellt
-
für
eine
weitergehende
vertiefende
Diskussion
der
sportphiloso
phisch
bedeutsamen
Themen
Interdisziplinarität,
Paradigmen,
Ethik
und
Regeln
genau
das
Richtige.
Literatur
Brandom,
R.
B.
(2000).
Expressive
Vernunft
Begründung,
Repräsentation
und
diskursive
Festlegung.
Frankfurt/M.
Drexel,
G.
(2004).
Zu
Philosophie,
Sprachspiel
und
Regefolgen
beim
späten
Wittgenstein
-
Klärungsversuche
im
Hinblick
auf
den
Sport.
In
Pawlenka,
C.
(Hrsg.),
Sportethik.
Regeln
-
Fairness
-
Doping
{S.
75-89).
Paderborn.
Platon
(1990).
Werke
in
acht
Bänden.
Griechisch
und
deutsch.
Sonderaugabe
Bd.1.
Hrsg.
v.
G.
Eigier.
Darmstadt.
Schürmann,
V.
(2003).
Zur
besorgten
Sportethik,
die
alles
beim
Alten
lässt
-
aus
Anlass
zweier
Neuerscheinungen.
In
Leipziger
Sportwissenschaftliche
Bei
träge
44
{2),
161-173.
Wittgenstein,
L.
(1984).
Tractatus
logico-philosophicus.
Tagebücher
1914-1916.
Philosophische
Untersuchungen
(Werkausgabe
Bd.
1).
Frankfurt/M.
150
LSB
(Sankt
Augustin)
45(2004)2,
151-153
Barbara
Ränsch-Trill:
Kult
-
Sport
-
Kunst
-
Symbol.
Tanz
im
kulturellen
Ge
dächtnis
(Texte
-
Quellen
-
Dokumente
zur
Sportwissenschaft,
Bd.
32).
Schorndorf;
Hofmann
2004.
3-7780-6912-8,
237
S.,
24,90
Der
hier
von
Barbara
Ränsch-Trill,
Professorin
für
Philosophie
und
Sporfphilo-
sophie
an
der
Deutschen
Sporthochschule
Köln,
vorgelegte
Band
„ist
eine
Sammlung
von
Texten
aus
Literatur
und
Philosophie
seit
der
Antike"
(11).
Anlie
gen
ist
es,
historisch
und
kulturell
ganz
unterschiedliche
und
sich
wandelnde
Auffassungen
vom
Tanz
zu
dokumentieren.
Leitend
ist
der
Gedanke,
dass
die
Kulturgeschichte
ein
kulturelles
Gedächtnis
abgibt,
das
die
notwendige
Grund
lage
zum
aufschließenden
Verständnis
der
Gegenwart
bildet
(34).
Keinen
Zu
gang
zu
diesem
Gedächtnis
zu
haben,
wäre
dann
gleichbedeutend
mit
gleich
sam
abgeschlossenen
Borniertheiten.
Die
Kulturgeschichte
des
Tanzes
bilde
nun
in
diesem
„riesigen
Hof"
(Augustin)
eine
eigene
Ecke
(34).
Wir
seien
„zu
keiner
Zeit
in
der
komfortablen
Situation
gewesen,
über
eine
Gesamtdeütung
(„Philosophie
)
des
Tanzes
in
systemati
scher
und
historischer
Hinsicht
zu
verfügen.
So
wird
hier
dann
wenigstens
und
immerhin
eine
ausgewählte
Materialsammlung
„am
Leitfaden
authentischer
Zeugnisse
als
Minimalbedingung
eines
solchen
Unternehmens
vorgelegt,
er
gänzt
Je
um
kurze
Einführungen
zu
Autor
und
Text.
Darin
schon
allein
scheint
mir
dem
Band
ein
großes
Verdienst
zuzukommen,
Originalwortlaute
vom
Gil-
gamesch-Epos
über
Homer,
Hesiod,
Platon,
Plotin,
Basilius
der
Große,
Carmina
Burana,
Heinrich
Seuse,
Denis
Diderot,
Novalis,
Heinrich
Heine
bis
zu
Rudolf
von
Laban,
Eva-Elisabeth
Fischer
und
einigen
anderen
zu
dokumentieren.
Na
türlich
ist
„keine
Vollständigkeit
(11)
angestrebt.
Zwar
gebe
es,
relativ
gesehen,
nur
spärliche
Zeugnisse
zum
Tanz,
aber
selbst
die
können
sinnvoilerweise
nicht
vollständig
zusammengestellt
werden.
Selbstverständlich
geht
es
um
eine
Sammlung
.wichtiger'
und
.typischer'
Zeugnisse.
Unvollständig
muss
der
Band
auch
in
einer
anderen,
schmerzhafteren
und
allzu
leicht
Fälschliches
suggerie
render
Hinsicht
sein;
„Dass
es
in
manchen
Epochen
nur
wenige
oder
auch
gar
keine
Texte
zum
Tanz
gibt,
darf
nicht
zu
dem
Schluß
führen,
die
Menschen
hätten
nicht
getanzt.
(12)
So
verdienstvoll
die
Sammlung
als
solche
auch
unbe
streitbar
ist,
so
wäre
es
doch
hilfreich
gewesen.
Kriterien
der
Textauswahl
offen
zu
legen.
Das
gilt
sowohl
hinsichtlich
der
vorgenommenen
.Auslassungen'
als
auch
innerhalb
der
dokumentierten
Autoren
dort,
wo
es
von
ihnen
mehrere
Texte
zum
Thema
gibt
(ein
Textauszug
aus
der
Poetik
von
Aristoteles
spricht
für
sich;
dennoch
ist
es
nicht
selbstverständlich,
dass
die
Politik
nicht
auftaucht).
151
Die
Autorin
hat
der
Sammlung
eine
eigene
Einführung
vorangestellt.
Sie
unter
scheidet
dort
drei
Dimensionen,
in
die
das
Tanzen
eingeschrieben
sein
kann:
Tanz
als
Kult,
Tanz
als
Sport,
Tanz
als
Kunst.
Hier
dürfte
auch
der
implizite
Kriterienkatalog
der
Textauswahl
liegen.
Hinsichtlich
des
Anliegens,
eine
Doku
mentation
des
kulturellen
Gedächtnisses
sein
zu
wollen,
ist
die
Dimension
des
Kultes
wohl
die
zentrale,
denn
„der
Tanz
als
Kult
ist
unserer
Zeit
und
auch
unse
rer
Tanzpraxis
wohl
am
weitesten
entfernt
(15).
Schon
hier
bewährt
sich
ein
ganz
eigenständiger
Teil
des
Bandes:
zahlreiche
dokumentierende
Bilder
bilden
einen
durchgehenden
Subtext
zu
den
wortsprachlichen
Zeugnissen.
Der
Sport-
Begriff
wird
sehr
weit
gefasst
und
ist
konnotiert
mit
den
Bestimmungen
,zum
Vergnügen
betrieben'
und
.Körperertüchtigung,
insbesondere
zu
militärischen
Zwecken'.
Davon
unterscheide
sich
dann
die
Dimension
der
Kunst:
Zwar
sei
der
Tanz
grundsätzlich
eben
eine
gestaltete,
mithin
künstliche
und
niemals
natürli
che
Bewegung,
aber
in
der
Dimension
der
Kunst
komme
dem
Tanz
eine
„Welt
deutung
zu,
was
über
den
Tanz
als
Sport
hinausgehe
(29).
Als
Kunst
will
der
Tanz
„im
Unterschied
zur
Artistik
und
der
Zirkusakrobatik
[...]
immer
etwas
mit-
teilen
über
das
Verhältnis
des
Menschen
zur
Welt
(30).
Hier
gehe
es
jedoch
um
künstlerische,
nicht
aber
um
kultische
Weltdeutung
(15).
Die
Autorin
bietet
angenehm-zurückhaltende
Deutungen
an.
Sachliche
Pro
blempunkte
werden
benannt,
durchaus
auch
Positionsbestimmungen,
aber
diese
doch
in
der
Regel
gebunden
an
einen
Distanzierungsgestus.
Ein
typi
sches
Beispiel:
„Darf
man
behaupten,
dass
der
Tanz
tatsächlich
zu
früheren
Zeiten
.Sport'
in
unserem
Sinne
gewesen
ist?
Wahrscheinlich
darf
man
es.
(22)
Nicht
nur
dann,
wenn
man
hier
sachlich
anderer
Meinung
ist,
kann
man
nun
wissen,
dass
davon
etwas
abhängt
-
nicht
zuletzt
für
die
Darstellung
des
Ban
des.
Manchmal
wird
auch
betont
auf
weitere
Deutung
verzichtet
-
und
damit
auf
das
Zeugnis
selbst
verwiesen.
Lukian
biete
eine
kosmologische
Deutung
des
Tanzes
an,
wobei
er
über
Platon
hinaus
„noch
etwas
Entscheidendes
hin-
zujfügt]:
die
Vorstellung,
das
Weltall
sei
aus
einem
.uranfänglichen
Tanz'
ent
standen
(15;
vgl.
59).
Warum
der
Tanz
diese
Rolle
spielen
konnte,
erfährt
man
nicht
-
und
wendet
sich
also
an
Lukian
selbst.
Genau
das
scheint
mir
die
Funk
tion
einer
Einführung
zu
sein,
nämlich
aktiv
die
Vorstellung
zu
boykottieren,
man
könne
sich
nunmehr
das
Original
schenken.
(In
diesem
Fall
gerät
man
dort
denn
auch
ordentlich
ins
Stutzen.
Dort
steht
nämlich
gar
nicht,
daß
die
Welt
aus
dem
Tanz
entstanden
ist,
sondern
nur,
dass
beide
„gleichzeitigen
Ursprungs
sind.
Lukian
richtet
sich
gegen
die,
die
den
Tanz
für
eine
„neuere
Erfindung,
eine
Sache
von
gestern
oder
vorgestern
halten,
und
stellt
dem
die
„richtigste
Genea
logie
entgegen;
der
Tanz
sei
so
alt
wie
die
Welt
(61).)
Was
in
der
Einführung
zu
kurz
kommt,
ist
eine
Diskussion
der
Beziehungen
der
genannten
drei
Dimensionen.
So
verständlich
das
auch
ist
-
es
geht
um
ein
„Informationsbuch
(11)
zu
Zwecken
der
Dokumentation,
nicht
um
eine
Gesamt
deutung
des
Tanzes
-,
so
wenig
unschuldig
ist
das.
Auch
eine
nicht
explizit
gemachte
Verhältnisbestimmung
gibt
eine
Verhäitnisbestimmung.
Zum
Beispiel;
Der
griechischen
Antike
eine
Sportvorstellung
„in
unserem
Sinne
zuzumuten,
152
ist
zugleich
ein
(im
wesentlichen)
additives
Konzept
jener
Dimensionen:
Tanz
ist
entweder
Kult
oder
Sport
oder
Kunst,
und
gelegentlich
auch
mehreres
davon
zusammen
(exemplarisch
S.
23
zum
Waffentanz).
Der
Gedanke,
dass
ein
kul
tisch
infizierter
gymnischer
Wettstreit
a/s
körperliche
Betätigung
etwas
anderes
sein
könnte
als
moderner
Sport,
kann
dann
gar
nicht
erst
auftauchen.
Sport
„in
unserem
Sinne
ist
doch
wohl
(u.
a.)
durch
eine
Trennung
von
Religion
und
Körperübungen
charakterisiert.
Das
heißt
weder,
das
Sport
als
Sport
keine
religiöse
Dimension
hat
-
Coubertin
selbst
hat
genau
die
nachdrücklich
betont
und
eingeklagt
-,
noch
heißt
das,
dass
moderne
Religion
ohne
die
Dimension
körperlicher
Rituale
auskommt.
Dennoch
ist
die
spezifisch
moderne
Trennung
beider
.Subsysteme'
ein
Unterschied
zu
den
antiken
Olympischen
Spielen,
den
man
für
wesentlich
halten
kann.
Jedenfalls
ist
es
eine
bestimmte
Vorentschei
dung,
zu
unterstellen,
die
griechischen
Wettkämpfer
hätten
einen
sportlichen
Wettkampf
ausgetragen,
und
dann
auch
noch
Zeus
gehuldigt.
Die
Wettkämpfe
waren
Teil
eines
kultischen
Festes,
und
d.
h.
doch
vermutlich:
ohne
diese
Ein
bindung
waren
sie
nicht
das,
was
sie
waren.
In
dieser
Hinsicht
ist
die
Darstel
lung
des
Bandes
eigentümlich
unhistorisch.
Irgendwie
scheint
schon
klar,
was
„Kult
,
„Sport
und
„Kunst
bedeuten,
so
dass
-
so
gesehen
-
die
einzelnen
Dokumente
Auskunft
geben,
in
welcher
dieser
Dimensionen
sie
den
Tanz
veror-
ten.
Eine
Kulturgeschichte
des
Sports
und
des
Tanzes
müsste
aber
auch
erzäh
len
(können),
wie
sich
das
Verständnis
von
Sport
bzw.
Tanz
wandelt.
Dann
geht
es
nicht
nur
um
unterschiedliche
„Wertschätzungen
(11),
sondern
um
unter
schiedliche
Auffassungen
dessen,
was
dort
je
wertgeschätzt
wird.
Insofern
ist
der
erste
Satz
der
Einleitung
nur
die
halbe
Wahrheit:
„Der
Tanz
ist
ein
universa
les
Phänomen.
(13)
Was
es
in
dieser
Universalität
je
heißt,
als
Tanz
zu
gelten,
dürfte
zutiefst
historisch
sein.
Doch
eine
solche
Kulturgeschichte
des
Tanzes
wäre
schon
ein
wesentlicher
Schritt
hin
zu
einer
„Gesamtdeutung
des
Tanzes,
die
wir
eben
noch
nicht
haben.
Die
Bedingungen,
damit
anzufangen,
haben
sich
durch
den
von
Ränsch-Trill
vorgelegten
Band
entscheidend
verbessert.
Volker
Schürmann
(Leipzig)
153
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