Content uploaded by Volker Schuermann
Author content
All content in this area was uploaded by Volker Schuermann on Sep 11, 2024
Content may be subject to copyright.
216
Buchbesprechungen
Verhältnis
von
Vorstellungen
und
Einbildungs
kraft).
Was
das
Buch
lesens-
und
liebenswert
macht,
ist
zum
einen,
dass
es
eine
aktuelle
und
erweiterte
Les
art
zu
Sartres
Überlegungen
über
das
Imaginäre
darstellt;
zum
anderen
ist
es
ein
besonderes
Ver
dienst
dieses
Buches,
dass
es
eine
Verbindung
sucht
zwischen
analytischer
Philosophie
und
phänome
nologischer
Tradition.
Esther
Grundmann
(Tübingen)
Hans
Bernhard
Schmid,
Wir-Intentionalität.
Kritik
des
ontologischen
Individualismus
und
Rekon
struktion
der
Gemeinschaft
(=
Praktische
Philoso
phie,
Bd.
75),
Freiburg/München:
Karl
Alber
2005,
485
S.,
ISBN
3-495-48175-3.
Thema
und
Lektüre
des
Buches
erinnern
an
das
Studium
von
Rousseaus
Gesellschaftsvertrag.
Dort
begegnete
die
These,
dass
in
Bezug
auf
die
bürger
liche
Gesellschaft
eine
Kombinatorik
der
WUlen
der
vielen
Einzelnen
das
eine
sei
(Gesamtwillen),
der
Gemeinwille
der
Gesellschaft
aber
das
unredu
zierbar
Andere.
Rousseau
weckt
Unbehagen.
Es
scheint
zwangsläufig,
dass
besonders
Privilegierte
unabhängig
von
den
Willensäußerungen
der
vie
len
Einzelnen
festlegen
könnten,
was
der
Gemein
wille
der
Gesellschaft
zu
sein
habe.
Rousseauismen
und
politische
Diktaturen
leben
ideologisch
von
solcherart
Holismus.
Dagegen
hat
der
methodologische
Individualis
mus
in
Philosophie
und
Wissenschaften
seinen
Siegeszug
angetreten.
Man
könne
und
solle
gerade
auch
jenes
Handeln,
von
dem
die
Sozialwissen
schaften
und
die
Sozialphilosophie
handelt,
nicht
als
Handeln
von
Kollektivsubjekten
betrachten
-
und
der
Verweis
auf
die
Enemies
der
Open
Society
ist
obligatorisch
(20
f.).
Niemand
bestreitet,
dass
mit
Kollektiven
zu
rechnen
ist,
aber
diese
seien
nicht
als
Grundlagen
der
Erklärung,
sondern
als
zu
Erklärendes
zu
behandeln,
nämlich
aus
den
Handlungen
der
Einzelnen
heraus.
Schmid
beharrt
zu
Recht
darauf,
dass
sich
hinter
dem
methodolo
gischen
Individualismus
„auch
eine
ontologische
Festlegung
verbirgt
“
(21).
Würde
man
ontologisch
Kollektivgebilde
zulassen,
dann
hätte
man
sie
als
Erklärungsgrundlagen
eingeführt.
Das
Konzept
der
Wir-Intentionalität
weiß,
woge
gen
sich
der
ontologische
Individualismus
richtet.
Gleichwohl
handele
es
sich
um
eine
individualis
tisch
verkürzte
Sicht
des
Sozialen,
denn
auch
dies
seits
des
Individualismus
sei
eine
Rede
vom
Wir
nötig
und
möglich,
die
nicht
zwangsläufig
poli
tisch
desaströs
sei.
Schmid
selber
wittert
in
einem
ontologischen
Kollektivismus
eine
große
Erzäh
lung
und
hält
sich
daher,
zunächst
wenigstens,
an
kleine
Geschichten.
Schon
im
Alltagssprachgebrauch
unterscheiden
wir
einen
„distributiven
“
und
einen
„kollektiven
“
Sinn
von
Wir.
Wenn
„wir
“
uns
vor
dem
Regen
un
terstellen,
ist
das
Wir
ein
ganz
anderes
je
nachdem,
ob
wir
zufällig
dort
vorbeikommende
Einzelindivi
duen
sind
oder
ob
wir
das
gemeinsam
als
Wander
gruppe
tun
(15).
Dieser
Unterschied
ist
im
und
für
das
Handeln
relevant,
etwa
wenn
sich
das
Wir
während
des
Tuns
ändert-
S
chmi
d
lässt
Anna
und
Berta
zusammen
spazieren
gehen
-
zunächst
nicht,
dann
doch
gemeinsam.
Das
ist
eine
Situation,
die
„ganz
besonderes
Fingerspitzengefühl
beim
Wir-
Sagen
“
fordert
(16).
Beim
nicht-gemeinsamen
Wandern
ist
das
„Wir
“
übergriffig,
„und
mit
dem
ungebundenen
Wandern
ist
es
vorbei
“
(17).
Schmid
macht
geltend,
dass
sich
die
individuel
len
„Motive
“
des
gemeinsamen
Tuns
„weitest
gehend
unterscheiden
“
können:
Berta
mag
viel
leicht
nicht
gern
alleine
wandern,
Anna
mag
den
Sicherheitsvorteil
schätzen.
Dass
es
gemeinsames
Tun
ist,
zeigt
sich
in
der
Nicht-Übergriffigkeit
von
„Wir
“
;
was
aber
das
Gemeinschaftliche
ist
ist
„nicht
im
direkten
Rekurs
auf
die
individuellen
Motive
der
an
diesem
Handeln
Beteiligten
zu
be
antworten
“
.
Schmid
findet
die
Unterscheidung
Rousseaus
in
der
Alltäglichkeit
so
kleiner
Gemein
schaften
wieder:
„Die
Gemeinschaftlichkeit
eines
Tuns
und
die
Gründe,
die
die
beteiligten
Individuen
für
ihr
Mittun
haben
mögen,
stehen
nicht
auf
dem
selben
Blatt.
“
(18
f.)
Das
ist
eine
schöne
Geschichte,
die
freilich
als
solche
noch
nicht
klärt,
was
sie
klären
soll.
„Auf
einem
anderen
Blatt
“
zu
stehen,
kann
auch
ein
In
dividualismus
kostenlos
zugestehen;
der
Streit
ent
springt
allein
bei
der
Frage,
wie
man
zu
diesem
an
deren
Blatt
hinübergelangt.
Das
Konzept
von
Wir-Intentionalität
ist
aufgefordert
zu
zeigen,
dass
„die
resultierenden?]
Gemeinschaftlichkeit
“
(18
f.)
gleichwohl
nicht
als
bloße
Kombinatorik
der
indi
viduellen
Gründe
erklärbar
ist.
Haben
denn
nicht,
klarerweise,
beide
je
für
sich
Gründe,
gemeinsam
wandern
zu
wollen?
Und
was
bedarf
es
dann
mehr?
Schmid
listet
fünf
der
„offensichtlichsten
und
nächstliegenden
“
Einwände
auf
(26-32).
Das
Bei
spiel
des
Gemeinschaftshandelns
sei
i)
logisch
se
kundär,
da
es
vorgängige
Ich-Intentionalitäten
bereits
voraussetzt;
es
gehe
ü)
von
einem
sym
metrischen
Verhältnis
aus,
was
gerade
nicht
der
Regelfall
sei
(Eltern-Kind,
Lehrer-Schüler
etc.);
und
es
sei
iii)
seinerseits
in
umgreifendere
soziale
Zusammenhänge
eingebettet,
mithin
in
einem
wei
Phil.
Jahrbuch
115.
Jahrgang
/
1
(2008)
Buchbesprechungen
217
ten
S
inne
institutionalisiert
(vgl.
117,
die
Existenz
von
Alpenvereinen
etwa).
Ein
vierter
Einwand
spielt
die
Absichten
gegen
die
Einstellungen
aus
und
hält
geteilte
Gesinnungen
für
wichtiger
als
ein
miteinander
Tun.
Nicht
zuletzt
drängt
sich
ein
Einwand
methodischer
Natur
auf,
insofern
man
das
Spezifische
von
Gemeinschaftsbildungen
dort
aufsuchen
müsse,
wo
das
Tun
nicht
bloß
kontin
genter-,
sondern
notwendigerweise
gemeinsam
er
folgt:
Wandern
kann
man
auch
allein,
heiraten
kann
man
nur
zu
zweit
S
chmi
d
s
timm
t
all
diesen
Einwänden
zu.
Die
an
gezielte
„Ontologie
des
Miteinanderseins
“
möge
all
diesen
Einwänden
nicht
ausgesetzt
sein,
und
inso
fern
möge
es
bloß
so
scheinen,
dass
die
Wahl
gera
de
dieses
Beispiels
der
„individualistischen
Illusi
on
“
Vorschub
leistet
(32
f.).
Die
Wahl
gerade
dieses
Ausgangspunktes
möchte
anschlussfahig
bleiben.
Es
sei
nun
einmal
so,
dass
der
Individualismus
in
den
(Sozial-)Wissenschaften
hegemonial
sei,
und
insofern
ist
es
das
Anliegen
von
Schmid,
die
Pro
bleme
des
Individualismus
gerade
dort
aufzuzei
gen,
wo
er
seine Stärken
hat
(33-35).
In
guter
Tra
dition
des
Kritikbegriffs
will
Schmid
seinem
Gegner
also
Heimrecht
gewähren,
worin
zugleich
die
Gefahr
liegt,
ungewollt
Ausgangspunkte
zu
übernehmen
(450
f.),
nicht
zuletzt
das
Konzept
von
Intentionalität
selber.
Darunter
noch
liegt
eine
weitere
methodische
Vorentscheidung:
„Am
Anfang
soll
das
Phänomen
stehen
“
(25),
mithin
ein
„Bekenntnis
zum
phäno
menologischen
^ositivismus*
“
(26).
Das
letztlich
entscheidende
Kriterium
für
theoretische
Entschei
dungen
-
etwa
für
oder
gegen
einen
ontologischen
Individualismus
-
„muss
die
Phänomenadäquat
heit
sein
“
(37;
vgl.
24).
Die
Anführungszeichen,
mit
denen
sich
dieser
Positivismus
bedeckt,
zeigt
die
Verlegenheit.
Was
Schmid
am
Beispiel
der
Ver
haltenstheorien
zeigt
trifft
auch sein
eigenes
Pro
jekt.
Am
beobachtbaren
Verhalten
lässt
sich
nicht
selber
ablesen,
wie
es
interpretiert
sein
will,
und
eine
„Erhöhung
der
Detailschärfe
des
Beobachtens
“
hilft
nicht
weiter
(54).
Aber
das
gilt
auch
für
Phä
nomene.
Nichts
spricht
rein
phänomenal
dagegen,
den
Staatsapparat
zu
einer
handelnden
Entität
zu
weihen.
Ein
Holismus
soll
angesichts
historischer
Erfahrungen
nicht
sein.
Schmid
verdeckt
zu
sehr,
dass
Phänomenadäquatheit
ein
negatives
Kriteri
um
ist,
das
positiv
durch
logische
Anstrengungen
(vgl.
238
f.)
und
ein
Ethos
ergänzt
werden
muss.
Ein
ontologischer
Individualismus
ist
rein
phäno
menal
nicht
widerlegbar.
In
Teil
I
des
Buches
geht
es
um
die
Grundlagen
des
Individualismus
und
deren
Alternativen.
Zu
nächst
zeigt
Schmid,
dass
es
auch
weiterhin
um
ein
Konzept
von
Intentionalität,
mithin
um
Be-
wusstseinsphilosophie
gehen
müsse.
Das
Argu
ment
lebt
davon,
den
Verweis
auf
Intentionalität
als
die
einzige
Alternative
zur
Verhaltenstheorie
anzusehen.
Eine
Verhaltenstheorie
könne
den
frag
lichen
Unterschied
in
den
Bedeutungen
des
Wir-
Sagens
nicht
klären
-
ein
von
außen
beobachtbares
völlig
identisches
Verhalten
könne
völlig
verschie
denes
Handeln
sein
-,
also
bliebe
nur
ein
Inten
tionalismus.
In
allen
Einwänden
gegen
solcherart
Bewusstseinsphilosophie,
z.B.
seitens
sprachphi-
losophischer
Konzepte,
sieht
Schmid
generell
Ver
kürzungen
am
Werk.
Wenn
man
den
Begriff
inten
tion
nur
weit
genug
fasse
(Unterbewusstsein,
Wünsche,
Affekte
etc.),
d
ann
seien
auch
die
Ein
wände
nicht
haltbar
bzw.
bezeugten
ihrerseits
pro
blematische
Grundannahmen.
Das
ist
nur
konsequent,
produziert
aber
Über
spannungen.
Wie
Schmid
selber
sieht
(97),
spricht
letztlich
nichts
dafür,
dass
nur
die
Beteiligten
sel
ber
sagen
können,
ob
es
sich
um
Gemeinschafts
handeln
handelt.
Mitläufer
sind
nicht
nur
deshalb
keine
Mittäter,
weil
sie
sich
nicht
selber
als
Täter
interpretieren.
Falls
man
darin
nur
Selbsttäu
schung
sieht
(57),
dann
belässt
man
die
(zutreffen
den
oder
unzutreffenden)
Selbstzuschreibungen
auf
demselben
Blatt
der
fraglichen
normativ
regu
lierten
Wir-Praxis.
Für
Schmid
ist
diese
Problemlage
ein
entschei
dendes
Argument
für
das
Konzept
einer
Wzr-Inten-
tionalität
Seine
Konsequenz
liegt
nämlich
nicht
darin,
die
Wir-Praxis
auf
ein
anderes
Blatt
als
die
Intentionen
zu
schreiben,
sondern
(wenigstens
zu
nächst
e
inm
al
und
insofern
auch
korrekt)
die
Wir-
Intentionen
auf
ein
anderes
Blatt
als
die
Ich-Inten-
tionen
zu
schreiben.
„Wer
,wir
‘
sagt,
teilt
seine
epistemische
Autorität
mit
den
mitgemeinten
an
deren.
“
(72)
„Wir
“
kann
man
nur
gemeinsam
sagen.
Gemeinschaftshandeln
sei
„über
eine
irreduzible
gemeinsame
Absicht
zu
bestimmen
“
(161).
Der
zweite
Schritt
von
Schmid
liegt
in
einer
Ver
kehrung
üblicher
Fundierungsverhältnisse.
In
der
Regel
werde
es
so
gesehen,
dass
i)
reflexiv-thema
tisches
Gruppenbewusstsein
eine ontologische
Vo
raussetzung
der
Existenz
der
Gruppe
sei;
und
dass
ii)
die
Existenz
der
Gruppe
die
Voraussetzung
des
Gemeinschaftshandelns
sei.
Beide
Annahmen
seien
„verkehrt
“
(99).
Gruppen
existieren
nicht,
weil
es
ein
entsprechendes
Be
wusstsein
gibt,
sondern
umgekehrt.
Es
gelte,
dass
„die
Existenz
der
Gruppe
das reflexiv-thematische
,Gnippenbewußtsein
‘
wahr
[macht]
-
und
nicht
umgekehrt
“
(96)
Und
es
sei
auch
nicht
so,
dass
An
na
und
Berta
zur
Wandergruppe
werden
bevor
sie
gemeinsam
wandern,
sondern
dies
geschehe
simul-
Phü.
Jahrbuch
115.
Jahrgang
/
1
(2008)
218
Buchbesprechungen
tan.
„Es
ist
das
gemeinsame
Tun,
das
sie
zur
Gruppe
macht
“
(99).
Und
insofern
könne
man
sagen,
dass
dem
reflexiv-thematischen
Wir-Bewusstsein
„ein
vorreßexiv-unthematisches
Wir-Bewusstsein
“
be
reits
vorausgesetzt
sei
(99).
Hier
liegt
die
entscheidende
Einsicht,
dass
das
Gemeinsame
nicht
mehr
auf
einem
Entscheid
für
gemeinsames
Tun
beruht,
da
es
nicht
zunächst
Ge
genstand
des
Bewusstseins
sein
kann,
bevor
es
zum
gemeinsamen
Tun
kommt
Und
das
wiederum
be
deutet:
„Auf
den
ursprünglichen
Begriff
des
ge
meinsamen
Tuns
bezogen
macht
der
Begriff
der
.Freiwilligkeit*
bzw.
der
Zustimmung*
ebenso
we
nig
Sinn
wie
derjenige
des
Zwangs.
“
(105)
So
zu
treffend
das
ist,
so
wenig
ist
damit
schon
das
Pro
blem
des
Status der
externen
Rahmenbedingungen
des
gemeinsamen
Tuns
gelöst,
wie
Schmid
es
gerne
hätte
(99).
Ein
Blick
auf
die
Performanz-Debatte
zeigt,
dass
auch
dort
nicht
klar
ist,
ob
die
Inszenie
rung
lediglich
ein
vorgegebenes
Drehbuch
ratifi
ziert
oder
ob
sie
ihr
eigenes
im
Tun
aus
dem
Hut
zaubert
oder
was
eine
„allmähliche
Verfertigung
des
Drehbuches
in
der
Performance
“
heißen
soll.
Der
letzte
Schritt
liegt
im
Aufweis
dessen,
dass
gemeinsame
Intentionen
„eine
genuin
intersubjek-
tiv-relationale
Angelegenheit
“
sind
(180).
Ins
gesamt
kann
man
dann
das
Konzept
von
Wir-In-
tentionalität
in
folgende
Formel
gießen:
„In
sozialontologischer
Hinsicht
führt
ein
vorreflexiv
unthematischer,
nicht-reduktionistischer
und
in
tersubjektiv-relationaler
Begriff
des
gemeinsamen
Intendierens
nämlich
ganz
im
Gegensatz
zur
ana
lytischen
Theorie
der
kollektiven
Intentionalität
hin
zu
einer
heterodoxen
Position
in
der Sozialon
tologie.
“
(238)
Nun
müsse
man
sich
auch
nicht
mehr
vor
Kollektivsubjekten
fürchten,
denn
diese
seien
lediglich
die
Kehrseite
des
Individualismus.
Gemeinsame
Intentionen
aber
seien
gerade
nicht
„von
der
Art,
die
ein
oder
mehrere
einzelne,
kollek
tive
oder
individuelle
Subjekte
haben
-
sie
sind
vielmehr
etwas,
worin
Individuen
sich
teilen
“
(233).
Das
Buch
ist
klug
und
gründlich
gearbeitet
Es
seziert
eine
laufende
Debatte
bis
in
die
tragenden
Grundannahmen
hinein
und
präsentiert
damit
eine
Art
philosophischer
Diskursanatomie
der
besten
Güte.
Es
ist
vorbehaltlos
lehrreich,
nicht
zuletzt
wegen
manch
überraschender
Materialien
alter
phänomenologischer
Debatten
(u.
a.
Lazarus,
Stein,
Geiger,
Frank).
Gleichwohl
kann
ein
Ergebnis
nur
heterodox
in
Bezug
auf
eine
bestimmte
Debatte
sein.
Und
das
ist
jene,
die
hinreichend
deutlich
be
reits
in
einem
Titel
von
Searle
angezeigt
ist:
es
geht
um
The
Rediscovery
ofthe
Mind
(190,
Fn.
23).
Die
Debatte
hat
sich
damit
wohl
in
der
Adresse
geint.
So
wie
man,
wenn
schon,
Gott
nicht
in
the
sky,
but
in
heaven
suchen
sollte,
so
sollte
man
geistvol
lerweise
zwischenmenschliche
Sachverhalte
nicht
in
mind,
sondern
in
der
alten
Rede
von
spirit
su
chen.
Den
sozialontologischen
Individualismus
als
Ergebnis
einer
cartesianischen
(statt
einer
ver
tragstheoretischen)
Gehirnwäsche
zu
präsentieren
(Titel
Teil
I),
wäre
dann
so
klar
nicht:
„Die
Gemein
samkeit
gemeinsamen
Tuns
geht
der
Reflexion
auf
die
Gemeinsamkeit
voraus;
sie
liegt
im
Tun
selbst.
“
(107)
Dieses
grundlegende
Ergebnis
könnte
im
An
schluss
an
einen
anderen
Geist-Begriff
praxis-,
und
nicht
bewusstseinsphilosophisch
interpretiert
wer
den:
dass
bereits
/ch-Intentionen
individuierte
Wir-Sachverhalte
sind,
und
dass
die
Praxis
auf
einem
anderen
Blatt
steht
als
die
sie
tragenden
und
vorwegnehmenden
Intentionen.
Der
Unterschied
kommt
an
zentraler
Stelle
zum
Tragen.
Schmid
setzt
voraus,
was
eigens
zu
klären
wäre:
Er
kennt
„intentionale,
aber
nicht-sprach-
fahige
Akteure
(etwa
Primaten)
“
(118).
So
überzeu
gend
daran
die
Option
eines
„vorreflexiv-unthema-
tischen
Bewusstseins
“
diesseits
einer
„propositlonal
ausdifferenzierten
Sprache
“
(116f.;
vgl.
396
f.)
ist
so
wenig
folgt,
was
Schmid
schlicht
setzt:
dass
Pri
maten
im
selben
Sinne
intentional
sind
wie
Men
schen.
Die
Gemeinsamkeit
von
Menschen
dürfte
eine
andere
sein
als
die
der
Primaten.
Der
Teil
II
handelt
dann
in
seinerseits
drei
Kapi
teln
von
der
„Rekonstruktion
der
Gemeinschaft
“
.
Aufgabe
sei
zu
zeigen,
dass
und
inwiefern
das
in
dividualistische
Selbst(miss)verständnis
„selbst
noch
eine
Form
des
Wir-Seins
ist
“
(244).
Zunächst
wird,
etwas
bemüht
und
betont
,heterodox
‘
,
Hei
deggers
Daseinsanalyse
für
die
gesuchte
Sozialon
tologie
fruchtbar
gemacht.
Alternativen
scheinen
auf
-
etwa
Löwith
(288)
oder
Plessner
(312)
-,
aber
die
gehören
wohl
nicht
in
die
Charts
„der
.größe
ren'
Philosophen
des
vergangenen
Jahrhunderts
“
(308).
Das
zentrale
Kapitel
zum
unvermeidlichen
Ho
mo
Oeconomicus
ärgert
ein
wenig
und
muss
durch
die
Selbsterklärungen
im
Schlusswort
gepuffert
werden.
Was
soll
man
davon
halten,
dass
einem
dort
auf
100
Seiten
die
Probleme
und
Folgepro
blemverästelungen
des
Gefangenendilemmas
prä
sentiert
werden,
aus
Teil
I
schon
wissend,
dass
die
ses
doch
ganz
grundsätzlich
jener
vorreflexiven
Ebene,
die
gar
nicht
durch
„Entscheidungen
“
kon
stituiert
ist,
nicht
gerecht
werden
kann?
Anliegen
und
Stachel
des
zweiten
Teils
werden
dann
im
letz
ten
Kapitel
sichtbar:
Das
vielstimmige
Lamento,
dass
der
modernen
Gesellschaft
ihr
sozialer
Zu
sammenhang
verloren
gehe,
sei
kein
Problem
des
gesellschaftlichen
Lebens,
sondern
eines
der
Phil.
Jahrbuch
115.
Jahrgang
/
1
(2008)
Buchbesprechungen
219
Selbstbeschreibung,
und
nur
darüber
vermittelt
eines
der
Gesellschaft
selber.
„Schon
die
Tatsache,
dass
Sozialität
in
diesen
Diagnosen
qua
Zusam
menhalt
in
den
Blick
genommen
wird,
zeigt,
dass
dabei
das
Phänomen
unseres
vorreflexiv-unthe-
matischen
Miteinanderseins
theoretisch
über
sprungen
wird.
“
(411)
Wo
immer
selber
man
auch
Anschluss
suchen
mag:
Der
zentrale
Kern
des
Buches
ist
überaus
überzeugend.
In
der
Perspektive
einer
„Ontologie
des
Miteinanderseins
fällt
ein
verändertes
Licht
“
auf
Phänomene
und
Selbstbeschreibungen
des
So
zialen.
Volker
Schürmann
(Leipzig)
Rolf
Kühn,
Ästhetische
Existenz
heute.
Zum
Ver-
hältnis
von
Leben
und
Kunst,
Freiburg/München:
Karl
Alber
2007,
214
S.,
ISBN
978-3-
495-48239-1.
Wo
es
um
die
Frage
nach
dem
Ästhetischen
geht,
teilen
sich
Kunsthistoriker
und
Philosophen
in
der
Regel
die
Aufgaben.
Kunstwissenschaftler
gelten
als
Experten
des
ästhetischen
Objekts:
Sie
interpre
tieren
konkrete
Kunstwerke
und
bemühen
sich
im
mer
auch
um
deren
historische
wie
systematische
Klassifikation.
Philosophische
Ästhetiker
dagegen
konzentrieren
sich
auf
die
Funktionen
des
ästheti
schen
Bewusstseins:
Sie
fragen
nach
der
Geltung
ästhetischer
Urteile
sowie
danach,
welche
Produk
tions-
und
Rezeptionsfaktoren
an
der
Konstitution
ästhetischer Erfahrungen
beteiligt
sind.
Zwei
Vor
urteile
beherrschen
dabei
die
wissenschaftliche
wie
die
philosophische
Ästhetik
von
vornherein.
In
der
Kunstwissenschaft
regiert
die
Auffassung,
dass
die
Ästhetik
es
mit
Objekten
oder
Objektklassen
zu
tun
hat,
denen
traditioneller
Weise
das
Attribut
des
Künstlerischen
anhaftet.
In
der
philosophischen
Ästhetik
dominiert
der
Gedanke,
dass
die
All-
gemeingültigkeit
ästhetischer
Geschmacksurteile
das
eigentliche
Kernproblem
des
Diskurses
über
die
Kunst
darstellt.
In
seinem
Buch
Ästhetische
Existenz
heute.
Zum
Verhältnis
von
Leben
und
Kunst
schlägt
Rolf
Kühn
einen
anderen
Weg
zum
Ästhetischen
ein.
Wie
der
Untertitel
bereits
andeutet,
geht
es
dem
Verfasser
um
eine
im
weitesten
Sinne
kulturphilosophische
Thematik
-
nämlich
um
die
Frage
nach
dem
inne
ren
Baud,
welches
die
Kunst
unauflöslich
an
das
Leben
bindet.
Vor
dem
Hintergrund
dieser
Fra
gestellung
erstaunt
es
nicht,
dass
Kühns
Text
mit
einem
weiten
Begriff
des
Ästhetischen
operiert;
mit
einem
Konzept,
welches
in
seiner
zeitkritischen
Akzentuierung
durchaus
auch
bestimmte
kultur
politische
Stellungnahmen
nach
sich
zieht.
Eines
jedenfalls
wird
dem
Leser
bereits
zu
Beginn
des
Bu
ches
schnell
deutlich:
Anstatt
den
Blick
im
Stile
wissenschaftlich-philosophischer
Kunsttheorien
auf
einzelne
Artefakte
verschiedener
Kunstepo
chen
oder
Kunstgattungen
zu
heften,
richtet
sich
Kühns
Blick
im
Medium
eines
existenziell
zuge
spitzten
Ästhetikverständnisses
direkt
auf
die
Tota
lität
humaner
Kulturleistungen.
Vor
allem
zweier
lei
treibt
den
Autor
um:
Erstens
die
Frage,
wie
sich
die
eigentümliche
„Präsenz
“
und
„Zeitlosigkeit
“
(11)
des
Ästhetischen
rechtfertigen
lässt,
sofern
dieses
-
am
singulären
Kunstwerk
gewissermaßen
exemplarisch
hervortretend
-
als
ein
phänomeno
logisches
Merkmal
des
Lebens
verstanden
werden
muss;
zweitens
die
Frage,
wie
sich
ein
Ästhetisches,
dessen
Lefaenssitz
jenseits
des
Bezirks
offiziell
ge
schätzter
Kunstwerke
liegt,
in
elementar
sinnlichen
Leibvollzügen
offenbart.
Die
drei
Buchkapitel,
die
mit
„Elementarästhe
tik
“
(11-72),
„Orte
“
(75-137)
und
„Kultur
heute
“
(141-204)
betitelt
sind,
entführen
den
Leser
auf
unterschiedliche
Felder
der
ästhetischen
Theorie
und
Praxis.
Neben
Interpretationen
von
Werken
der
modernen
Malerei
und
Musik
(im
1.
Kapitel)
stehen
Betrachtungen
über
Architektur
und
Land
schaftsgestaltung
(im
2.
Kapitel),
und
diese
wieder
um
werden
(im
3.
Kapitel)
durch
einen
zeitdiagnos
tischen
Blick
auf
die
(Kunst
der)
Gegenwartskultur
ergänzt
Auch
wenn
es
angesichts
der
Textglie-
derung
vordergründig
so
scheinen
mag:
Das
Buch
bietet
alles
andere
als
ein
additives
Sammelsurium
von
Werk-
bzw.
Stildeutungen.
Je
weiter
der
Text
voranschreitet
desto
deutlicher
zeichnet
sich
ab:
Nicht
Objekte
der
Kunst
stehen
bei
Kühn
zur
Dis
kussion,
sondern
ihr
existenzieller
Beitrag
zum
Verständnis
dessen,
was
gelingendes
menschliches
Leben
im
Sinne
heilvollen
Kulturdaseins
eigentlich
ist.
Wer
demgemäß
nach
dem
,Was
‘
bzw.
dem
We
sen
von
Leben
und
Kultur
fragt,
der
darf
freilich,
so
Kühn,
weder
eine
einfache
empirische
noch
onto
logische
Inhalts-
oder
Gegenstandsangabe
er
warten;
denn
weder
Leben
noch
Kultur
sind,
der
lebensphänomenologischen
Ursprungsforschung
des
Verfassers
gemäß,
bloße
Urteilsobjekte,
über
deren
ästhetische
.Qualität*
distanziert
und
.all
gemeingültig*
zu
befinden
wäre.
Was
das
Buch
stattdessen
leisten
möchte
ist
eine
Art
.Lebens
genealogie*
des
Ästhetischen.
Hs
wird
der
Versuch
unternommen,
die
Quellen
der
individuellen
wie
der
gesellschaftlichen
(Kultur-)Lebendigkeit
so
aufzuzeigen,
wie
diese
sich
in
statu
nascendi
un-
verkleidet
offenbaren.
Die
Kunst
eignet
sich
für
diesen
Zweck
in
höchstem
Maße.
Nirgendwo
sonst
nämlich
wird
das
unmittelbare
Hervorbrechen
des
Phil.
Jahrbuch
115.
Jahrgang
/
1
(2008)