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PHILOKLRS
2007/1
Diskussion
ist,
sind
Überlegungen
zu
Sinn,
Logik
und
Struktur
des
Sports
not
wendig;
denn
sie
bilden
das
Fun
dament
bzw.
das
Proprium
der
Sportphilosophie.
Abgesehen
von
der
Schwäche
einer
verkürzten,
weil
anthropozentrischen
Sichtwei
se
muss
sich
Caysas
Position
einer
philosophischen
Anthropologie
des
Körpers
die
Frage
gefallen
lassen,
inwiefern
sie
legitimerweise
noch
Sportphilosophie
genannt
werden
kann
bzw.
was
ihr
sportspezifischer
Beitrag
zur
Analyse
und
Klärung
sportbezogener
bzw.
allgemeinphi
losophischer
Probleme
ist.
Statt
„Sportphilosophie
als
kritische
Anthropologie
des
Körpers
“
müsste
es
nicht vielmehr
heißen:
„Kritische
Anthropologie
des
Körpers
als
Sportphilosophie
“
oder
gar
(solange
das
Wesen
letzterer
nicht
deutlich
wird);
„Sportphilosophie
oder
kriti
sche
Anthropologie
des
Körpers“
?
V
olker
Schürmann
Sportphilosophie
als
reflexive
Sportwissenschaft
Dem
Anliegen
der
gefragten
Kon
troverse
und
dem
begrenzten
Um
fang
geschuldet,
werde
ich
hier
nicht
all
das
betonen,
was
mir
an
dem
Konzept
von
Sportphilosophie
von
Volker
Caysa
überzeugend
zu
sein
scheint.
Ich
bekunde
einfach
meinen
Respekt
vor
all
dem,
was
Caysa
zu
dem
aktuellen
Stand
der
Sportphilosophie
und
seiner
Insti
tutionalisierung
beigetragen
hat,
und
meine,
mit
ihm
Wesentliches
zu
teilen,
nicht
zuletzt
das
Anlie
gen,
Sportphilosophie
nicht
ledig
lich
als
Anwendung
einer
woanders
gewonnenen
und
bereits
,fertigen
‘
Philosophie
zu
konzipieren.
An
dem
hier
vorgelegten
Konzept
überrascht
und
irritiert
mich,
was
ich
alles
bereits
unterschrieben
bzw.
immer
schon
anerkannt
haben
muss,
wenn
ich
im
Sinne
dieses
Konzepts
anständig
Sportphiloso
phie
betreiben
will.
Der
Text
kennt
recht
ungehemmt
Formulierungen
wie
„Sportphilosophie
muss“
,
„Sportphilosophie
darf
nicht“
,
„es
ist
ein
Irrtum
anzunehmen
“
-
und
solcherart
Formulierungen
scheinen
mir
Methode
zu
haben.
Woher
aber
weiß
Caysa
all
das,
was
da
für
Sportphilosophie
erlaubt
und
nicht
erlaubt
ist?
Nach
meinem
Ver
ständnis
gehört
es
zum
historisch
erreichten
Stand
der
Begriffsge
schichte
von
,
Kritik
“,
dass
sich
der
Maßstab
der
Kritik
nicht
unsichtbar
macht,
sondern
dass
eine
kritische
Philosophie
(logisch
und
de
facto)
in
der
Lage
ist,
Auskunft
über
den
Ort
zu
geben,
von
dem
aus
sie
sel
ber
spricht,
i
Das
muss
(hoffentlich)
1
Exemplarisch
sei
auf
Gramsci
ver
wiesen:
„Wenn
die
Philosophie
der
Praxis
theoretisch
behauptet,
dass
jede
für
ewig
und
absolut
gehaltene
Wahr
heit
1
praktische
Ursprünge
gehabt
hat
28
Volker
Schürmann
Kommentare
nicht
auf
Kosten
eigener
Ernsthaf
tigkeit
gehen,
verlangt
aber
(ver
mutlich)
ironische
Brechungen
dieser
eigenen
Ernsthaftigkeit.
Und
davon
scheint
mir
Caysas
Text
un
getrübt
zu
sein.
,
Kritik
1
ist
ein
„Verpflichtungsbeg
riff
1
(Röttgers),
denn
niemand
könnte
sich
öffentlich
dazu
beken
nen,
unkritisch
zu
sein.
Also
geht
der
Streit
dämm,
wer
in
richtiger
Weise
kritisch
ist.
Für
Caysa
ist
der
Fall
klar:
diejenige
Sportphiloso
phin
ist
richtig
kritisch,
die
einen
„Mittelweg
“
einschlägt
zwischen
„unkritischer
Sportverherrlichung
und
apokalyptischer
Sportverartei-
lung
“
.
Was
aber
soll
das
konkret
heißen?
Einmal
angenommen,
ich
betrachte
das
ganze
Geschäft,
was
z.B.
Michael
Schumacher
betreibt
und
was
wir
uns
angewöhnt
haben
Motorsport
zu
nennen,
als
einen
einzigen
ökologischen
Unsinn
und
Skandal:
bin
ich
dann
noch
richtig
kritisch?
Oder
betreibe
ich
dann
bereits
apokalyptische
Sportvemr-
teilung?
Und
wer
entscheidet
das?
und
dass
sie
einen
provisorischen
1
Wert
dargestellt
hat
(Geschichtlichkeit
jeder
Welt-
und
Lebensauffassung),
so
ist
es
sehr
schwierig,
praktisch
1
ver
ständlich
zu
machen,
dass
eine
solche
Interpretation
auch
für
die
Philosophie
der
Praxis
selbst
gilt,
ohne
dabei
die
zum
Handeln
notwendigen
Überzeu
gungen
zu
erschüttern.
“
(Gramsci,
A.,
1994,
Gefängnishefte.
Bd.
6:
Philoso
phie
der
Praxis.
Hg.
v.
W.F.
Haug.
Hamburg:
Argument.
§
62,
S.
1476)
An
der
Aussage
„Der
Sportphilo
soph
bedient
sich
nicht
abwertender
oder
aufwertender
Klischees,
son
dern
er
analysiert
die
Klischees
“
kann
ich
weder
etwas
spezifisch
Sportphilosophisches
entdecken
noch
überhaupt
einen
Differenzie-
rungswert:
in
der
freien
Wildbahn
der
Universitätslandschaft
dürfte
man
ausschließlich
Exemplare
fin
den,
die
der
Meinung
sind,
dass
sie
selber
genau
das
tun.
Folgt
man
Caysa,
dann
haben
die
„moderne
Sportpraxis
und
die
mit
ihr
verbundenen
Wissenschaften
“
irgendein
Defizit,
das
zu
beheben
die
Sportphilosophie
angetreten
und
aufgefordert
ist.
Was
genau
dieses
Defizit
ist
und vor
allem:
worin
sein
logischer
Status
besteht,
das
bleibt
unterbestimmt.
Es
liege
eine
„tech
nologische
Rationalität
und
Kom
plexität
“
vor,
deren
„Gefahren
in
nerhalb
ihres
eigenen
Paradigmas
nicht
mehr
reflektiert
werden
kön
nen
“
.
Was
ist
das
für
ein
„können
“
?
Ist
es
die
schlicht
beschreibende
Aussage,
dass
es
dort
nicht
ge
schieht?
Ist
es
eine
These
zur
(In-)
Kompetenz
der
Beteiligten?
Oder
ist
es
eine
logische
Unmöglichkeit
analog
zu
einem
blinden
Fleck,
der
bestimmte
Sehakte
ermöglicht,
aber
in
diesen
Sehakten
nicht
selbst
ge
sehen
werden
kanrü
Caysa
spricht
einerseits
davon,
dass
das
geeignete
„Instrumentarium
“
nicht
zur Verfügung
steht,
und
auch
davon,
dass
dem
Sportsystem
noch
immer
die
„Fähigkeit
“
der
Selbst
distanzierung
mangelt.
Also
ein
29
PHILOKLES
2002/1
Diskussion
Kompetenzdefizit
auf
Seiten
des
Sportsystems.
Dann
wären
die
Sportphilosophen
die
Bei-Bringer,
also
diejenigen,
die
es
diesem
Sys
tem
besorgen,
und
mithin
diejeni
gen,
die
das
bestehende
Sportsys
tem
zu
dessen
Glück
zwingen
-
auch
gegen
Widerstände,
die
dann
wegerklärt
werden
können
als
Bor
niertheiten
gegenüber
den
wesentli
chen
Voraus-Einsichten
kritischer
Sportphilosophie.
Umso
dringlicher
stellt
sich
dann
die
Frage,
woher
solcherart
Sportphilosophie
ihre
eigene
Einsicht
bezieht.
Andererseits
deutet
Caysa
aber
auch
die
Variante
einer
sachlogischen
Unmöglichkeit
an:
Sport
habe
eine
ihm
eigene
„empraktische
Dimen
sion
“
und
wird
deshalb,
also
aus
Gründen
der
Sache,
„immer
in
ge
wissem
Maße
eine
nicht
reflektierte
Praxisform
sein“
.
Aber
auch
hier
zieht
Caysa
daraus
den
Schluss,
dass
das
Sportsystem
externer
Hilfe
bedarf,
„um
sich
selbst
von
außen
zu
beobachten
und
korrigieren
zu
können
“
.
Dieser
Schluss
scheint
mir
jedoch
falsch
oder
mindestens
vor
schnell
zu
sein.
M.E.
ist
es
gerade
die
Frage,
ob
Vollzüge
mit
emprak-
tischer
Dimension
(also
z.B.
kör
perliche
Bildungsprozesse)
in
jegli
chem
Sinne
als
nicht-reflexiv
zu
kennzeichnen
sind,
oder
ob
sie
nicht
vielmehr
als
Vollzüge
mit
emprak-
tischer
Dimension
durch
eine
spezi
fische
Weise
von
Reflexivität
ge
kennzeichnet
sind.
Diese
Frage
wäre
zu
klären,
und
erst
dann
kann
überhaupt
gesagt
werden,
ob
Sport-
30
Philosophie
eine
Reflexionsleistung
ist,
die
von
außen
zum
Sportsystem
hinzutritt,
oder
ob
diese
Reflexi
onsleistung
eine
Grenzbestimmung
des
Sportsystems
(oder
zunächst:
der
Sportwissenschaften)
ist.
Eine
solche
Umkehr
der
Fragerei
henfolge
scheint
mir
symptomatisch
und
wichtig
zu
sein.
Thesen
wie
diejenige,
dass
Sportphilosophie
eine
Hilfestellung
von
außen
bietet,
machen
bereits
Voraussetzungen,
die
es
ihrerseits
(sportphiloso
phisch)
zu
klären
gilt.
Und
deshalb
bleibt
aus
meiner
Sicht
nur
der
Gestus,
an
Caysas
Behauptungen
gleichsam
vorbei
zu
schreiben.
Vielleicht
hat
er
ja
in
der
Sache
recht,
was
weiß
ich.
Stand
der
Din
ge
scheint
mir
jedenfalls
(erst)
der
zu
sein,
fraglich
zu
finden,
ob
eine
Reflexion
des
Sports
bzw.
der
Sportwissenschaften
von
außen
zu
erfolgen
hat.
Und
von
der
Antwort
auf
diese
Frage
hängt
durchaus
einiges
ab.
Einmal
angenommen
-
obwohl
bereits
das
hochgradig
fraglich
ist
eine
Beratungsfunktion
der
Philo
sophie
könnte
sich
tatsächlich
oder
sollte
sich
gar
primär
„auf
ethische
Fragen
der
Sportentwicklung
“
be
ziehen.
Dann
ist
die
Grundidee,
dass
es
sich
dabei
um
eine
Beratung
von
außen
handelt,
alles
andere
als
unschuldig.
Nimmt
man
das
näm
lich
ernst,
dann
würden
sich
im
Sport
keine
ethischen
Fragen
stel
len.
Stattdessen
hätte
der
Sport
ge
wisse
ethische
Fo/guprobleme,
die
er
selbst
aber
nicht
reflektieren
Volker
Schflrmann
Kommentare
kann,
weshalb
er
auf
die
Beratung
durch
eine
Sportphilosophie
ange
wiesen
ist.
M.E.
muss
man
diese
Konsequenz
jener
Grundidee
nur,
wie
gerade
geschehen,
aussprechen,
um
sie
hochgradig
unplausibel
fin
den
zu
können.
Mindestens
erfor
dert
es
einen
hohen
Begründungs
aufwand,
Sport
und
Sportwissen
schaften
als
ethikffeie
Zonen
zu
begründen.
Eine
direkte
Folge
der
Grundidee,
Sportphilosophie
sei
Kritik
des
Sports
von
außen,
ist,
dass
Sport
philosophie
ein
Geschäft
von
Aus
erwählten
wird.
Nicht
jeder
x-
Beliebige,
der
Sport
treibt,
führt
bereits
sein
Leben.
Dies
zu
tun,
ist
vielmehr
a)
überhaupt
eine
eigene
Leistung
und
b)
eine
solche,
die
sich
als
philosophische
Reflexion
dokumentiert.
„Der
Sport
selbst,
philosophisch
betrachtet,
wird
als
eine
Lebenskunst
verstanden,
und
der
(philosophisch
reflektiert
han
delnde)
Sportler
wird
demzufolge
als
ein
Lebenskünstler
betrachtet
“
.
Es
ist
also
erklärtermaßen
nicht
so,
dass
man
sein
Leben
nicht
nicht
führen
kann
-
und
dass
auf
dieser
Basis
Unterschiede
im
Lebensstil
Unterschiede
in
der
Art
und
Weise
wären,
das
eigene
Leben
zu
führen
sondern
es
gibt
im
Konzept
von
Caysa
die
Fremdbestimmten
und
die
Selbstbestimmer.
Für
meinen
Geschmack
ist
das
reichlich
viel
Jargon
der
Eigentlichkeit
in
heuti
ger
Zeit.
Erschwerend
kommt
hin
zu,
dass
man
dort
(nur)
durch
Philo
sophie
zum
Selbstbestimmer
wird.
Das
wiederum
scheint
mir
ein
typi
scher
Fall
dessen
zu
sein,
was
Bourdieu
als
„scholastischen
Fehl
schluss
“
bezeichnet
und
kritisiert.
„Der
scholastische
Paralogismus,
scholastic
fallacy,
besteht
darin,
den
Metadiskurs
als
Ursprung
des
Dis
kurses
anzusetzen,
die
Metapraxis
als
Ursprung
der
Praxis
.
“
2
Hegel
hatte
Philosophie
als
Eule
der
Minerva
charakterisiert.
Ihr
Ge
schäft
wäre
dann
ein
spezifischer
Beitrag,
diese
Welt
zu
verstehen.
Verfährt
sie
dabei
„rücksichtslos
“
,
dann
dokumentiert
sich
das
darin
-
so
die
Hoffnung
von
Marx
und
Engels
-,
dass
die
Verhältnisse
ins
Tanzen
geraten,
weil
und
insofern
Philosophie
diesen
Verhältnissen
dann
deren
eigene
Melodie
vor
spielt.
Das
ist
offenkundig
ein
Bin-
/zenverhältnis
der
Verhältnisse.
Dieses
Konzept
von
Kritik
setzt
auf
innerweltliche
Resonanz
und
nicht
auf
Hilfe
von
außen.
Dieses
Kritik-
Modell
würde
ich
dem
Grundansatz
von
Volker
Caysa
entgegenhalten,
denn
ich
bezweifle,
dass
man
der
(Sport-)
Philosophie
noch
extra
einen
Auftrag
erteilen
kann
oder
gar
muss,
besonders
kritisch
zu
sein,
um
dadurch,
wenn
schon
nicht
die
Welt,
so
doch
wenigstens
den
Sport
zu
verändern.
2
Bourdieu,
P.,
1998,
Praktische
Ver
nunft.
Zur
Theorie
des
Handelns.
Frankfurt
a.M.:
Suhrkamp.
S.
207.
31