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V
olker
S
chürmann
Grenzen
der
Sprache
In
unserem
Beitrag
Sprache
der
Bewegung
(Fikus/Schürmann
i.d.B.)
ha
ben
wir
programmatisch
eine
zeichentheoretische
Konzeption
mensch
licher
Bewegung
vertreten.
Der
Grundsatz
lautet
daß
auch
körperliche
Bewegungen
Zeichen
eines
je
besonderen
Zeichensystems,
einer
je
be
sonderen
Bewegungskultur
sind.
Dann
ist
das
Sprechen
einer
Sprache
eine
Art
Prototyp
dessen,
was
für
uns
Kultur
heißt
und
was
es
heißt,
ei
ne
Kultur
zu
verstehen.
Nun
klingt
das
ein
wenig
so,
als
wollten
wir
sagen,
daß
eine
Bewe
gungskultur
eine
Sprache
ist.
Das
steht
da
zwar
nicht
-
denn
da
steht,
daß
>Sprache<
ein
Modell
ist
für
das,
was
eine
Kultur
sei
und
für
das,
was
es
heißt
eine
Kultur
zu
verstehen
-,
aber
das
Klima,
in
dem
der
cul-
tural
turn
seine
Wellen
schlägt,
ist
gelegentlich
etwas
schwül.
Daß
es
eines
Modells
bedarf,
um
Irgendetwas
zu
verstehen,
kann
in
zwei
Richtungen
hin
geleugnet
werden
-
metaphysisch-realistisch
und
als
Banalisierung.
Daß
exzentrisch
positionierte
Wesen
-
Kant
sprach
noch
schlicht
von
uns
Menschen
-
keinen
unmittelbaren,
sprich:
unvermittelten
Zu
gang
zur
Welt
haben,
sondern
daß
all
unser
Tun
ein
Umgang
mit
Phainomena,
und
nicht
mit
Dingen
an
sich
selbst
ist,
gilt
heutzutage
in
den
feineren
theoretischen
Kreisen
schon
fast
als
Banalität.
Dort
zeigt
man
den
sogenannten
metaphysischen
Realisten
naserümpfend
die
kalte Schulter
-
und
auch
ich
will
nicht
in
die
Kälte
vermeintlich
ausre
chenbarer
geschichtlicher
Gesetzmäßigkeiten
zurück.
Nimmt
man
den
Kantschen
Grundsatz
aber
als
Banalität,
und
nicht
als
streitbare
These,
dann
kann
man
durch
die
Modellhaftigkeit
unseres
Tuns
(im
mathe
matischen
Sinn)
kürzen.
Schwül
wird
das
Klima
des
cultural
turn
dann.
92
:
V
olker
S
chürmann
wenn
es
nicht
nur
heißt,
Kulturen
wie
Sprachen
zu
verstehen,
sondern
wenn
man
-
klammheimlich
kürzend
-
Kulturen
so
traktiert,
als
seien
sie
Sprachen.
Und
dann
macht
ein
klärendes
Gewitter
die
Sache
erheblich
erträg
licher,
Alkemeyer
(1997:
366)
hat
die
fällige
Abgrenzung
klar
und
deutlich
formuliert
-
wir
können
es
nur
wiederholen
und
unterstrei
chen:
»Folgt
man
Eco,
so
erforscht
die
Semiotik
nicht
nur
alle
Kultur-
phänomene
als
Zeichensysteme,
sondern
geht
auch
von
der
Hypothese
aus,
>daß
in
Wirklichkeit
alle
Kulturphänomene
Zeichensysteme
sind,
d.h.
daß
Kultur
im
wesentlichen
Kommunikation
ist<
[Eco],
Diese
Auf
fassung
zu
akzeptieren,
heißt
aber,
die
gesamte
kulturelle
Welt
als
ein
Universum
des
symbolischen
Austauschs
zu
betrachten.«
Wir
meinen
also
nicht,
daß
Bewegungskulturen
Sprachen
sind,
d.h.
wir
meinen
nicht,
daß
menschliche
Bewegungen
darauf
reduzierbar
sind,
Akte
von
Kommunikation
zu
sein.
Bewegungskulturen
wie
eine
Sprache
zu
verstehen,
möchte
nicht
leugnen,
daß
es
in
Zeichensyste
men
durchaus
un-kommunikative
resp.
un-kulturelle
Momente
gibt,
wie
»zum
Beispiel
die
ungleiche
Verteilung
von
ökonomischem,
kultu
rellem
und
sozialem
Kapital
in
einer
Gesellschaft,
die
jeweiligen
Pro
duktionsverhältnisse
usw.«
(Alkemeyer
1997;
367).
Wer
heutzutage
von
>Bewesungskulturen<
redet,
darf
von
der
Kulturindustrie
nicht
schwei-
gen.
Auch
Bewegungskulturen
sind
technologisch-industriell
imple
mentiert
(vgl.
anschaulich
Bockrath
2001:
insbes.
98ff.)
-
und
das
ist
mein
und
anderes
als
Kommunikation.
Doch
es
nicht
so
zu
meinen,
hilft
im
Zweifel
nicht.
Es
müßte
in
der
Logik
der
Theoriebildung
verankert
sein,
daß
Bewegungskulturen
kei
ne
Zeichensysteme
sind.
Das
Verhältnis
des
kulturellen
und
jener
un
kulturellen
Momente
eines
Zeichensystems
wäre
so
zu
bestimmen,
daß
es
eben
nicht
ein
dualistisches
oder
reduktionistisches
Verhältnis
ist.
Alkemeyer
bringt
das
sachliche
Problem
zu
Papier,
wenn
er
von
»au-
ßersemiotischen
Umständen«
spricht,
was
»selbstverständlich«
nicht
heiße,
daß
es
sich
deshalb
um
eine
»objektiv
zugängliche
Realität«
handelt
(ebd.).
Und
das
-
wie
denn
das
Außersemiotische
resp.
Un-
Kulturelle
weder
ontisch
noch
rein
zeichenhaft zu
verstehen
ist
-
ist
ein
nicht
serade
eeringfügiees
theoretisches
Problem,
bei
dem
das
Meinen
o
o
o
o
o
allein
nicht
recht
weiterhilft.
Als
Problemtitel
werde
ich
das
Un-
Kulturelle
als
Grenze
des
Kulturellen
ansprechen.
Solcherart
Grenzen
sind
dann
mindestens
zweierlei
zu
bedenken.
Wenn
eine
Bewegungskultur
keine
Sprache
ist,
sondern
nur
wie
eine
Sprache
zu
verstehen
ist,
dann
ist
erstens
das
Verhältnis
des
zeichen
haften
und
der
nicht-zeichenhaften
Momente
einer
Bewegungskultur
zu
bestimmen.
Ich
werde
in
bezug
auf
diese
nicht-zeichenhaften
Mo
mente
metaphorisch
vom
Außen
einer
Kultur
sprechen:
Außen,
insofern
G
renzen
der
S
prache
I
93
es
um
die
nicht-zeichenhaften
Momente
eines
Zeichensystems
geht;
me
taphorisch,
insofern
diese
nicht-zeichenhaften
Momente
gar
nicht
als
Nicht-Zeichen
zugänglich
sind,
sondern
je
schon
mimetisch
übersetzt
sind
in
nicht-zeichenhafte
Momente
eines
je
bestimmten
Zeichensystems.
Zweitens
ist
von
inneren
Differenzierungen
des
Sprache-seins
aus
zugehen.
Das
körpergebundene
Ausdrucksgeschehen
(im
Simie
von
Plessner/Buytendijk
1925)
ist
nicht
nur
eine
andere
>Sprache<
als
die
Formalsprache
der
Mathematik,
sondern
es
dürfte
klug
sein,
davon
auszugehen,
daß
beide
auch
als
Sprachen
andere
sind.
Im
Kontrast:
Englisch
und
Deutsch
sind
zweifellos
andere
Sprachen,
aber
es
spricht
wenig
dafür,
daß
man
dort
auch
einen
Unterschied
im
Sprachh/pi/5
unterstellen
sollte.
Demgegenüber
springt
der
logische
Unterschied
zwischen
der
Sprache
der
Worte
und
der
Sprache
der
Musik
so
ins
Au
ge,
daß
hier
wenigstens
ein
Unterschied
im
Sprachtypus
vorliegen
sollte.
Manche
meinen
sogar,
man
könne
überhaupt
nicht
im
strengen
Sinne,
sondern
bestenfalls
illustrativ,
von
einer
Sprache
der
Musik
re
den.
Dann
läge
nicht
einmal
ein
Unterschied
im
Sprachtypiis
vor,
son
dern
schlicht
ein
Unterschied
zwischen
Sprache
und
Nicht-Sprache.
Das
von
Hildenbrandt
aufgeworfene
Problem
(vgl.
Fikus/Schürmann
i.d.B.)
ist
genau
hier
verortet,
wenn
er
sportlichen
Bewegungen
aus
lo
gischen
Gründen
-
sie
seien
durch
bloße
>Autoreflexivität<
gekenn
zeichnet
-
ihren
Sprachcharakter
bestreitet.
Eine
Kultur
und
ihr
Außen
Bis
hierher
war
unsere
Rede
von
>Kultur<
hinreichend
formal,
um
aus
schließlich
die
Minimalbestimmungen
einer
zeichentheoretischen
Kon
zeption
menschlicher
Bewegung
zu
fassen.
Dementsprechend
setzten
die
Reden
von
>Kultur<,
>Sprache<
und
>Zeichensystem<
zwar
unter
schiedliche
Akzente,
waren
aber
im
Kern
synonym.
Diese
Synonymie
kann
und
muß
sogar
noch
erweitert
werden,
wie
sich
das
z.B.
in
der
Rede
von
»gesellschaftlichen
Bedeutungen»
andeutet.
Statt
»Kultur»
können
wir
auch
»menschliche
Welt»
bzw.
»Gesellschaft»
sagen.
Diese,
ihrer
Formalität
verdankten,
synonymen
Verwendungsweisen
bezeu
gen
keinen
Mangel
an
Differenzierungsvermögen,
sondern
sind
eine
theoretische
Stärke.
Nämlich
jene
Stärke
von
Sfruirtorwissenschaften
(wie
Mathematik,
Linguistik
etc.),
von
materialen
Unterschieden
ahse-
hen
zu
können,
um
Gemeinsames
sehen
zu
können.
Dies
zu
betonen,
ist
nicht
unwichtig,
weil
dieses
formale
Minimum
bestimmte
Probleme
gerne
vermeiden
möchte.
Jörn
Rüsen
hat
soeben
eine
Art
Bestandsaufnahme
von
»Kultur
und
Kulturwissenschaft
am
Anfang
des
21.
Jahrhunderts«
gegeben
(vgl.
Rüsen
2004).
Um
Mißver
ständnisse
zu
vermeiden;
Rüsen
krittelt
nicht.
Er
hat
keinerlei
Problem,
den
cultural
turn
hinreichend
zu
würdigen:
»In
der
Tat
hat
die
kultur
94
i
V
olker
S
chürmann
wissenschaftliche
Wende
in
den
Humanwissenschaften
zu
neuen
Fra
gestellungen
und
Einsichten
geführt.«
(Ebd.;
534)
Was
Rüsen
aber
ganz
unaufgeregt
festhält,
ist
der
Sachverhalt,
daß
nicht
»hinreichend
klar«
geworden
sei,
worin
das
»Neue
wirklich
besteht«
(ebd.).
Bei
Rüsen
wird
deutlich,
daß
dieses
Neue
sicher
nicht
dadurch
entspringt,
daß
man
>Kultur<
gegen
>Geschichte<
oder
>das
Soziale«
profiliert.
Der
cultu-
ral
turn
kann
sinnvollerweise
kein
Überbietungsgestus
sein,
wie
er
je
doch
häufig
daher
kommt
-
sowohl
heutzutage
nach
1989
als
auch
zu
Beginn
des
20.
Jahrhunderts,
wo
es
ihn
schon
einmal
gab,
gerichtet
ge
gen
die
Geschichtsphilosophie
(vgl.
Konersmann
1996).
Jenes
formale
Minimum
>Kultur<,
von
dem
die
Rede
ist,
meint
schlicht:
Nicht-Natur.
»Kultur
ist
ein
Gegenbegriff
zur
Natur
und
be
zeichnet
insofern
den
Gesamtbereich
aller
nicht-natürlichen
Sachver
halte
der
menschlichen
Welt.«
(Rüsen
2004:
535)
Und
eben
darin
ist
dieser
Begriff
synonym
mit
anderen
Gegenbegriffen
zur
Natur,
wie
et
wa
Geschichte,
das
Soziale,
Gesellschaft,
das
Politische,
das
Ökonomi
sche,
Sprache.
Und
dann
und
damit
ist
>Kultur<
nicht
nur
ein
möglicher
Begriff
jenes
Gesamtbereichs
aller
nicht-natürlichen
Sachverhalte,
son
dern
zugleich
ein
Gegenbegriff,
der
»diesen
Bereich
in
einer
bestimm
ten
Hinsicht
[ordnet],
die
sich
von
andern
[...]
unterscheidet.
Diese
Hin
sicht
bezieht
sich
auf
die
sinnbildenden
Tätigkeiten
des
menschlichen
Geistes
in
allen
Formen
und
Dimensionen
der
Lebenspraxis«
(ebd.).
Unser
Ansatz,
Sportwissenschaft
als
Kulturwissenschaft
zu
forma
tieren,
schwimmt
eindeutig
auf
der
Welle
des
cultural
turn.
Aber
jene
Betonung
eines
formalen
Minimums
insistiert
darauf,
daß
es
lediglich
heißen
soll:
Kultur,
und
nicht
Natur.
Insofern
wäre
der
Name
»Hu
manwissenschaft«
passender.
Aber
erstens
hätten
wir
dann
jene
Welle
achtlos
vorbeirollen
lassen,
und
zweitens
ist
die
Rede
vom
Humanum
oder
von
der
Welt
der
Menschen
ebenfalls
notorisch
mißverständlich.
Gesellschaft
ist
der
Bereich
von
Nicht-Natur
-
klar.
Aber
daß
dieser
Be
reich
aus
Menschen
besteht,
ist
alles
andere
als
klar.
Nur
ganz
be
stimmte
Sozial-
und
Subjekt-Theorien
lassen
diesen
Bereich
aus
Men
schen
bestehen
(vgl.
dagegen
Röttgers
2002;
insb.
17);
und
spätestens
seit
Plessner
(1931)
und
allerspätestens
seit
Lindemann
(2002)
ist
klar,
daß
es
in
Gesellschaft
einen
Mechanismus
gibt,
der
die
Grenzen
des
Sozia
len
bestimmt
-
weder
ist
zu
allen
Zeiten
und
allen
Orten
klar,
daß
alle
Exemplare
der
Gattung
homo
sapiens
zu
den
sozialen
Entitäten
gehö
ren,
noch
ist
klar,
daß
nur
Exemplare
dieser
Gattung
dazu
gehören.
Deshalb
werde
ich
im
folgenden
nicht
von
»Menschen«
(als
Bürger
ei
ner
Gesellschaft)
reden,
sondern
von
dem
formalen
Minimum
sozialer
Individua,
nämlich
von
exzentrischer
Positionalität
(Plessner).
Zweifellos
liegt
uns
auch
an
der
spezifischen
von
Rüsen
genannten
Hinsicht
»Kultur«
im
Unterschied
zu
den
anderen.
Nicht
umsonst
haben
Grenzen
der
S
prache
|
95
wir
dasjenige
Moment
X,
das
nicht
auf
den
rein
physischen
Bewe
gungsvollzug
reduzierbar
ist,
»Bedeutung«
genannt.
Aber
klar
ist,
daß
»Kultur«
dann
eben
eine
spezifische
Hinsicht
des
Gesamtbereichs
ist,
nicht
aber
ein
Teilbereich.
Das
Ganze
der
Nicht-Natur
ward
in
spezifi
scher
Weise
geordnet
-
so
daß
auch
und
u.a.
die
Rede
von
gesellschaftli
chen
Bedeutungen
gänzlich
unproblematisch
ist.
Genauso
zweifellos
ist
dann
aber
zu
klären,
worin
»Eigenart
und
Stellenwert
des
spezifisch
Kulturellen
im
Verhältnis
zu
anderen
Hin
sichten«
besteht
(Rüsen
2004:
535).
Und
das
heißt
einfach;
w«as
ist
an
ders?
Jener
Überbietungsgestus,
der
meint,
gerade
das
Kulturelle
schaf
fe
irgendeinen
Mehrwert
gegenüber
dem
Historischen,
Sozialen,
Öko
nomischen,
und
erst
recht
eine
darin
angelegte
»umstandslose
Verall
gemeinerung
des
Kulturellen
zum
schlechthin
Menschlichen
handelt
sich
zwei
höchst
problematische
Defizite
ein:
Zum
einen
wird
das
kul
turwissenschaftliche
Denken
naturvergessen
und
steht
hilflos
vor
den
dramatischen
Erkenntnissen
[z.B.]
der
Biologie
und
Gehirnphysiologie.
[...]
Die
schwierige
Vermittlung
oder
gar
Synthese
der
beiden
ganz
un
terschiedlichen
Denkweisen
und
Forschungsverfahren
wird
dabei
im
Emst
gar
nicht
erst
versucht.«
(Ebd.)
-
Weit
entfernt,
schon
konkrete
Methoden
der
Analyse
anbieten
zu
können,
ist
immerhin
methodolo
gisch
klar,
daß
ein
diakritischer
Ansatz,
anders
als
ein
Svnthesis-
Konzept,
das
Kulturelle
»im
Inneren«
des
physischen
Bewegungsvoll
zugs verortet.
Das
zweite
Defizit:
»Eine
undifferenzierte
Verallgemeinerung
menschlicher
Deutungsleistungen
zur
entscheidenden
Triebkraft
der
Lebensführung
[trübt]
den
kulturwissenschaftlichen
Blick.«
So
ver
standene
Humanwissenschaften
leisten
»einer
Entpolitisierung
Vor
schub.
Das
kann
in
die
Nähe
einer
ideologieträchtigen Verstellung
von
Wirklichkeit
führen
(wenn
man
z.B.
soziale
Konflikte
nur
noch
durch
die
Brille
kultureller
Differenz
betrachtet).«
(Ebd.:
536)
Die
auftretenden
Probleme
bei
der
angemessenen
Bestimmung
des
Außen
einer
Kultur
können
exemplarisch
anhand
der
Cultural
Studies
studiert
werden
(vgl.
Hörning/Winter
1999).
Diese
waren
innerhalb
ei
nes
marxistischen
Theoriekontextes
angetreten,
gegen
reduktionisti-
sche
Lesarten
des
Basis-Überbau-Theorems
die
Eigenbedeutsamkeit
kultureller
Überbauten
in
und
für
die
Entwicklung
von
Gesellschaften
geltend
zu
machen.
Zugleich
wappnete
der
marxistische
Kontext
da
vor,
die
Autonomie
des
Kulturellen
als
dessen
Autarkie
zu
traktieren:
es
ging
immer
auch
und
zugleich
um
die
soziale,
politische
und
öko
nomische
Grundierung
des
Kulturellen.
»Die
forschungspolitische
Fra
ge
der
Cultural
Studies
handelt
davon,
wie
die
»Leute«
von
den
beson
deren
Strukturen
ihres
Alltagslebens
und
den
verschiedenen
Wider
ständen
und
Mächten,
denen
sie
dabei
begegnen
-
sowohl
ökonomi
96
:
V
olker
S
churmann
scher
als
auch
politischer
Provenienz
entmündigt
oder
ermächtigt
werden
und
ferner
wie
sie
selbst
ihre
Situation
auslegen,
darsteilen,
be
greifen
und
zum
Ausdruck
bringen.«
(Göttlich
2001:17)
Freilich
ist
das
in
der
Entwicklung
der
Cultural
Studics
immer
auch
ein
Spannungsverhältnis,
eher
die
Eigenbedeutsamkeit
des
Kulturellen
zu
betonen
-
mit
der
Tendenz,
nur
noch
meinend
zwischen
Autonomie
und
Autarkie
zu
unterscheiden;
oder
aber
auf
der
>außer<kulturellen
Grundierung
des
Kulturellen
zu
bestehen
-
mit
der
Tendenz
zum
Re
duktionismus.
Jene
Schwüle
eines
kulturalistischen
Klimas
zeigt
sich
dort
in
den
Formulierungen
gegen
das
Basis-Überbau-Theorem.
Insze
niert
wurde
»der
radikale
Bruch«
(ebd.:
29;
vgl.
28)
mit
diesem
Theo
rem.
Es
ging
also
nicht
so
sehr
um
eine
nicht-reduktionistische
und
nicht-dualistische
Lesart
dieses
Theorems,
als
vielmehr
gegen
das
Theorem
selbst.
Damit
aber
geht
auch
die
-
wie
problematisch
auch
immer
-
postulierte
Asymmetrie
zwischen
einer
Ökonomie
und
ihren
Überbauten
verloren.
Überbauten
sind
dann,
modernistisch
gespro
chen,
>
Kopien
ohne
Originah.
Der
marxistische
Kontext
gerät
zum
Mäntelchen,
mit
dem
man,
je
nach
Bedarf,
kokettieren
kann
oder
das
man
ablegen
kann,
wenn
man
außer
Haus
geht.
Heutzutage
scheint
es
dagegen
nun
wiederum
eine
Gegenbewe
gung
zu
geben,
die
sich
gleichsam
auf
die
Wurzeln
der
Cultural
Studies
besinnt.
Dieser
Gegenbewegung
reicht
es
nicht,
beliebige
Phänomene
lediglich
im
Rahmen
des
cultural
turn
zu
lesen
-
und
selbst
die
Cultural
Studies
nur
noch
als
Verfahren
der
Kontextualisierung
zu
begreifen.
Gegen
solch
kulturalistische
Tendenzen
wird
nun
wieder
jene
Asym
metrie
eingebracht:
»Die
Herausforderung
durch
die
Cultural
Studies
besteht
nämlich
keineswegs
in
deren
radikaler
Kontextualität,
sondern
diese
ist
mit
ihrem
spezifischen
Erkenntnisinteresse
gegeben,
kulturelle
Praktiken
in
ihrer
Beziehung
und
Begrenzung
durch
soziale
Strukturen
und
Prozesse zu
begreifen.«
(Ebd.;
16;
vgl.
C.
Winter
2001)
Das
zentrale
theoretische
Problem
manifestiert
sich
als
Unbehagen.
Grossberg
for
dert,
daß
die
Cultural
Studies
»explizit
zu
Fragen
der
politischen
Öko
nomie
zurückkehren«
müßten,
was
sie
lange
vernachlässigt
hätten
(n.
C.
Winter
2001:
295).
Gleichwohl
wird
von
der
Grenze
des
Kulturellen
nur
der
Innenaspekt
thematisert:
»Wir
müssen
-
noch
radikaler
-
sogar
erkennen,
dass
Ökonomie
selbst
ein
Diskurs
ist,
dass
die
Wirtschaft
selbst
immer
auf
komplexe
Weise
durch
kulturelle
Praktiken
artikuliert
ist.«
(Grossberg,
n.
ebd.:
296)
Gegen
Ökonomisten
mag
das
eine,
gar
radikale,
festzuhaltende
Einsicht
sein;
im
Hinblick
auf
Marx
ist
es
ein
Weichspüler.
Gesucht
war
einst
eine
Weise,
überzeugend
sagen
zu
können,
daß
>Kultur
selbst
immer
auf
komplexe
Weise
durch
ökonomi
sche
Praktiken
grundiert
ist<.
G
renzen
der
S
prache
|
97
Jetzt
im
nachhinein
läßt
es
sich
gleichsam
quasi-axiomatisch
sagen:
Unter
einer
>Kultur<
verstehen
wir
ein
je
bestimmtes
Ensemble
sich
bewegender
exzentrisch
positionierter
Individua.
Macht
man
von
ei
nem
solchen
Prozeß
eine
Momentaufnahme,
stellt
sich
eine
Kultur
als
Ensemble
von
Verhältnissen
sich
bewegender
Individua
dar;
ein
sol
ches
Ensemble
von
Verhältnissen
(eine
Gesellschaft)
hat
sich,
Exzentri
zität
unterstellt,
je
schon
in
»symbolischen
Formen«
(Cassirer)
wie
Sprache,
Religion,
Recht,
Wissenschaft,
Technik,
kurz;
in
dem,
was
He
gel
den
»objektiven
Geist«
nennt,
manifestiert.
In
bezug
auf
Bewe
gungskulturen
im
engeren
Sinne
wird
man
von
einer
symbolischen
Form
»reflexive
Körperbewegungen»
reden
können,
die
wir
gewöhn
lich,
wenn
auch
problematisch,
»Sport»
nennend
Hebt
man
solche
Mo
mentaufnahmen
wieder
auf
und
betrachtet
»Kultur»
als
Prozeß,
kann
man
einfach
sagen,
daß
exzentrisch
positionierte
Naturkörper
in
einer
Kultur
ihr
Leben
produzieren,
genauer:
je
bestimmte
Momente
ihres
Lebens.
Für
»Kultur
als
Prozeß»
kann
man
daher
auch
»Lebensweise»
sagen.
Das
Verhältnis
von
Produktionsweisen
exzentrischen
Lebens
und
ihren
objektiven
Geistern
kann
also
in
einer
Terminologie
von
Prozeß
und
Produkt
(geronnenem
Prozeß)
gefaßt
werden:
Der Arbeiter
»hat
gesponnen
und
das
Produkt
ist
ein
Gespinst.«
(Marx
1867:195).
Gesellschaften,
also
Ensemble
von
Verhältnissen
exzentrischer
In
dividua,
sind
somit
(als
Momentaufnahmen
eines
Prozesses)
in
einem
zeitlichen
und
räumlichen
Verlauf
situiert,
1
2
mithin
mit
einem
histori
schen
und
kulturellen
Grenz-Index
(Gegenwart;
Zivilgesellschaft)
ver
sehen.
»Kultur
als
Produkt»
hat
je
gegenwärtig
ihre
Vergangenheit
und
Zukunft,
und
je
bestimmt
(=
diese
citoyen
und
nicht
jene)
simultane
Kulturen
neben
sich.
Intern
sind
Zivilgesellschaften
zudem,
und
histo
risch
differenziert,
mit
einem
ökonomischen,
sozialen,
rechtlichen,
reli
giösen,
technischen,
geschlechtlichen,
volkssprachlichen,
politischen,
agonal-spielerischen
etc.
Index
versehen,
was
sich
in
der
Regel,
wenn
auch
nicht
zwingend,
in
der
Ausdifferenzierung
entsprechender
Sub
systeme
manifestiert.
In
der
Regel
kann
der
jeweilige
materiale
Gehalt
jener
Indizes
anhand
der
Ökonomie,
der
durchschnittlichen
Sozial
struktur,
des
Rechtssystems,
der
gebräuchlichsten
Technologie,
der
ty
pischen
Geschlechterverhältnisse,
der
Amtssprache(n),
der
staatlichen
und
nicht-staatlichen
politischen
Institutionen,